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Der Überlebende oder Das Silberlicht


 
 
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Nasobem
Geschlecht:männlichGänsefüßchen
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Beiträge: 28



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Beitrag06.12.2018 23:13
Der Überlebende oder Das Silberlicht
von Nasobem
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Meine erste Geschichte auf diesem Forum...
... Ich bin nicht nervös. Du bist nervös!

Diese Geschichte habe ich geschrieben, als ich dreizehn Jahre alt war. Trotzdem ist sie einer der wenigen alten Texte, auf die ich noch immer ein wenig stolz bin. Ich freue mich also darauf, von euch wieder auf die Erde geholt zu werden.

(Verzeiht den angeberischen Titel. Mein dreizehnjähriges Ich konnte sich einfach nicht für einen Titel entscheiden)

----------------------------------------------------------------------


Der Überlebende oder Das Silberlicht

Um ihn herum waberten Schatten. Fino hörte, wie sie flüsterten und sich bewegten. Die Geister folgten ihm. Schwach erleuchtete die Fackel den felsigen Boden. Rot tanzten die Flammen und spendeten flackerndes Licht. Die Geister blieben außerhalb des Lichtkreises. Fino hörte, wie sie in der Dunkelheit atmeten.
Seine Stiefel kratzten über den steinigen Boden. Ein Windstoß ließ die Fackel aufflackern. Fino fröstelte. Das fahle, weiße Licht des Mondes ergoss sich kalt über die weite, graue Felslandschaft. Nicht weit entfernt sah Fino dürre Fichten aufragen. Die Nadeln hingen noch an ihren Zweigen, doch sie waren genau so tot wie alles andere um sie herum. Nebel waberte um ihre Stämme. Dahinter glitzerte ein See.
Fino hatte diese trostlose Landschaft noch nie zuvor gesehen, doch er wusste genau, was zu tun war. Er erreichte die Bäume.
Die dürren, trockenen Nadeln strichen über das schmutzige Gesicht des Überlebenden. Zu seinen Füßen lag ein Boot, rasch aus grauem Holz gezimmert, und wartete auf ihn. Fino warf einen Blick über das dunkle Wasser. Dort, auf der gegenüberliegenden Seite, klaffte ein Loch im Felsen. Eine Höhle. Dorthin musste er gelangen. Fino befestigte die Fackel am Bug des Bootes, stieg ein und ergriff die Ruder. Lautlos durchschnitt das Gefährt das schwarze Wasser des Sees. Nur das leise Platschen der Ruder durchbrach die Stille, und das Flüstern der Geister. Sie glitten neben dem Boot durchs dunkle Wasser und huschten am Ufer entlang, das vom Nebel verborgen war. Der Junge konnte sie nicht sehen, doch er spürte ihre Anwesenheit. Das Licht der Fackel tanzte auf den Wellen vor dem Bug. Fino erreichte das Ufer. Das Boot schob sich mit einem schabenden Geräusch auf den grauen Kies des Strandes. Er stieg aus und nahm die Fackel. Vor ihm lag die Höhle. Ein kahler Baum klammerte sich an den Fels und seine Wurzeln hingen in den Eingang, der im Gestein klaffte wie das Maul eines Ungeheuers. Fino umklammerte die Fackel fester, als könnte sie ihn vor seinem Schicksal retten. Er holte tief Luft und trat ein, und die Höhle verschlang ihn. Das Licht der Fackel reichte keine drei Schritte weit. Der Gang, durch den es ihn führte, war niedrig und schmal und aus schwarzem Fels. Fino spürte, dass die Geister ihm folgten. Er lief weiter, geradeaus in die Dunkelheit, und versuchte, seinen Atem zu beruhigen. Plötzlich wichen die Wände zurück und er stand in einer Halle. Sie schien vor langer Zeit vom Wasser in den Fels gefressen worden zu sein. Fino achtete nicht auf die seltsamen Formen, die es im Laufe der Jahrhunderte in die Wände gemeißelt hatte, sein Blick war auf den großen steinernen Tisch in der Mitte der Halle gerichtet. Auch er schien aus dem Gestein der Höhle gemeißelt zu sein. Und auf seiner Tischplatte leuchtete etwas, hell wie der Mond. Das Silberlicht. Es war das Herz der zerstörten Welt, ihr Anfang und ihr Ende. Deshalb war Fino hier. Er würde die Welt beenden, die trostlose Welt dort draußen. Sein Herz schlug heftig, als er langsam an den Tisch trat. Die Geister blieben am Eingang der Halle zurück. Fino beugte sich über das Silberlicht. Es war eine winzige Kugel, so groß wie eine Murmel, vielleicht aus Glas. Zögernd streckte er die Hand aus und nahm es vorsichtig, als fürchtete er, es würde zwischen seinen Fingern zerbrechen. Fino spürte, wie die Geister ihn drängten, es fallen zu lassen und der Welt ein Ende zu setzen. Er wusste, dass er es tun musste, doch er fürchtete sich davor. Lange zögerte er. Doch schließlich erinnerte er sich der toten Bäume am See, der zerstörten Städte, der niedergebrannten Wälder. Für sie gab es keine Rettung mehr.
Dann ließ er es fallen. Unendlich langsam näherte sich das Silberlicht dem Boden. Die Zeit schien stillzustehen. Fino glaubte, sein Spiegelbild in der winzigen Kugel erkennen zu können, wie es aufblühte und ihm entgegensah.
Und dann war es vorbei. Das Silberlicht zerschellte auf dem Steinboden.
Der kalte Schein, in den die Höhle getaucht gewesen war, zerfloss, und mit ihm die Steinwände, der See, die Fichten an seinem Ufer. Der Mond verdunkelte sich. Das Spiegelbild des Jungen in der Kugel zerriss, und mit ihm die nachtschwarze Himmelskuppel. Fino stürzte in Finsternis.


Wieder war es dunkel. Doch dort, irgendwo in der Finsternis, leuchtete ein kleines Licht, weiß, wie der Mond. Ein neues Silberlicht. Eine neue Welt würde entstehen, würde blühen und welken, und am Ende zerschellen. Nur das Silberlicht würde weiterleben.

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reißwolf
Leseratte


Beiträge: 138



Beitrag07.12.2018 13:23
Re: Der Überlebende oder Das Silberlicht
von reißwolf
Antworten mit Zitat

Wirklich, dreizehn? Nicht schlecht. Ein gewisser (altersbedingter?) Hang zur Adjektivitis ist nicht zu übersehen, aber ansonsten ein guter Ansatz. Gut, dieses Genre ist mir eher fremd, die klischeehafte Stimmung erscheint mir trivial wie der unvermeidliche Käuzchenschrei in einer nächtlichen Friedhofsszene. Aber das lasse ich jetzt mal außen vor. Ich habe den Text lediglich auf handwerkliche Schiefheiten durchgesehen:

Zitat:

Um ihn herum waberten Schatten. Fino hörte, wie sie flüsterten und sich bewegten. Die Geister folgten ihm. Gut: Die Geister mit undefiniertem Personalpronomen einzuführen und erst im zweiten Satz zu nennen, zeugt von einem Gefühl für Spannungsaufbau. Schwach erleuchtete die Fackel den felsigen Boden. Rot tanzten die Flammen und spendeten flackerndes Licht. Die Geister blieben außerhalb des Lichtkreises. Fino hörte, wie sie [Sie atmeten] in der Dunkelheit atmeten.
Seine [Finos] Stiefel kratzten über den steinigen Boden. Ein Windstoß ließ die Fackel aufflackern. Fino [Er] fröstelte. Das fahle, weiße Licht des Mondes ergoss sich kalt über die weite, graue Felslandschaft. Nicht weit entfernt sah Fino dürre Fichten aufragen. Die Nadeln hingen noch an ihren Zweigen, doch sie waren genau so tot wie alles andere um sie herum. Nebel waberte Wiederholung um ihre Stämme. Dahinter glitzerte ein See.
Fino hatte diese trostlose Landschaft noch nie zuvor gesehen, doch er wusste genau, was zu tun war. Er erreichte die Bäume.
Die dürren, trockenen Nadeln strichen über das schmutzige Gesicht des Überlebenden. Zu seinen Füßen lag ein Boot, rasch aus grauem Holz gezimmert, und wartete auf ihn. Fino warf einen Blick über das dunkle Wasser. Dort, auf [Auf] der gegenüberliegenden Seite[,] klaffte ein Loch im Felsen. Eine Höhle. Dorthin musste er gelangen. Fino befestigte die Fackel am Bug des Bootes, stieg ein und ergriff die Ruder. Lautlos durchschnitt das [Das] Gefährt [durchschnitt] das schwarze Wasser des Sees. Nur das leise Platschen der Ruder durchbrach die Stille, und das Flüstern der Geister. Sie glitten neben dem Boot durchs dunkle Wasser und huschten am Ufer entlang, das vom Nebel verborgen war. Passiv. Besser: Das sich im Nebel verbarg. Der Junge konnte sie nicht sehen, doch er spürte ihre Anwesenheit. Das Licht der Fackel tanzte auf den Wellen vor dem Bug. Fino erreichte das Ufer. Das Boot schob sich mit einem schabenden Geräusch auf den grauen Kies des Strandes. Er stieg aus und nahm die Fackel. Vor ihm lag die Höhle. Ein kahler Baum klammerte sich an den Fels[,] und seine Wurzeln hingen in den Eingang, der im Gestein klaffte wie das Maul eines Ungeheuers. Fino umklammerte die Fackel fester, als könnte sie ihn vor seinem Schicksal retten. Er holte tief Luft und trat ein, und die Höhle verschlang ihn. Das Licht der Fackel reichte keine drei Schritte weit. Der Gang, durch den es ihn führte, war niedrig und schmal und aus schwarzem Fels. Fino spürte, dass die [Die] Geister ihm folgten [ihm]. Er lief weiter, geradeaus in die Dunkelheit, und versuchte, seinen Atem zu beruhigen. Plötzlich wichen die Wände zurück[,] und er stand in einer Halle. Sie schien vor langer Zeit vom Wasser in den Fels gefressen worden zu sein. Fino achtete nicht auf die seltsamen Formen, die [das Wasser] es im Laufe der Jahrhunderte [Jahrtausende] in die Wände gemeißelt hatte, sein Blick war auf den großen[,] steinernen Tisch in der Mitte der Halle gerichtet. Auch er [der] schien aus dem Gestein der Höhle gemeißelt zu sein. Und auf seiner Tischplatte leuchtete etwas, hell wie der Mond. Hinter "Mond" ein Doppelpunkt Das Silberlicht. Das Silberlicht könnte einen Absatz vertragen. Es war das Herz der zerstörten Welt, ihr Anfang und ihr Ende. Deshalb war Fino hier. Er würde die Welt beenden, die trostlose Welt dort draußen. Sein Herz schlug heftig, als er langsam an den Tisch trat. Die Geister blieben am Eingang der Halle zurück. Fino beugte sich über das Silberlicht. Es war eine winzige Kugel, so groß wie eine Murmel, vielleicht aus Glas. Zögernd streckte er die Hand aus und nahm es vorsichtig, als fürchtete er, es würde zwischen seinen Fingern zerbrechen. Perspektivfehler: "Als fürchtete er" ist eine Außensicht. Du erzählst jedoch personal, kennst also sein Innenleben und musst nicht darüber spekulieren. Fino spürte, wie die [Die] Geister ihn drängten [ihn], es fallen zu lassen und der Welt ein Ende zu setzen. Er wusste, dass er es tun musste, doch er fürchtete sich davor. Lange zögerte er. Doch schließlich [Schließlich] erinnerte er sich der [an die] toten Bäume am See, der [die] zerstörten Städte, der [die] niedergebrannten Wälder. Genitv nach "erinnern" ist nur semi-schön. Gelegentlich wird er nach "entsinnen" oder "gedenken" gebraucht; aber bei "erinnern" - nein. Für sie gab es keine Rettung mehr.
Dann ließ er es fallen. Unendlich langsam näherte sich das Silberlicht dem Boden. Die Zeit schien stillzustehen. Fino glaubte, sein Spiegelbild in der winzigen Kugel erkennen zu können, wie es aufblühte und ihm entgegensah.
Und dann war es vorbei. Das Silberlicht zerschellte auf dem Steinboden.
Der kalte Schein, in den die Höhle getaucht gewesen war, zerfloss, und mit ihm die Steinwände, der See, die Fichten an seinem Ufer. Der Mond verdunkelte sich. Das Spiegelbild des Jungen in der Kugel zerriss, und mit ihm die nachtschwarze Himmelskuppel. Fino stürzte in Finsternis.


Wieder war es dunkel. Doch dort, irgendwo in der Finsternis, leuchtete ein kleines Licht, weiß, wie der Mond. Ein neues Silberlicht. Eine neue Welt würde entstehen, würde blühen und welken, und am Ende zerschellen. Nur das Silberlicht würde weiterleben.


Liest sich im Großen und Ganzen flüssig. Nur zweimal gab es eine Irritation: Der Prota wird einmal "Der Überlebende" genannt, ein anderes Mal "Der Junge". Dabei dachte ich jedesmal spontan, eine neue Figur wird eingeführt.

Viel Spaß beim Umsetzen oder Verwerfen!
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Nasobem
Geschlecht:männlichGänsefüßchen
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Beiträge: 28



N
Beitrag07.12.2018 15:43

von Nasobem
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Danke für die äußerst ausführliche Kritik!

Mir war bereits bewusst, dass ich zur "Adjektivitis" neige, aber ich bin überrascht, dass man tatsächlich so viel streichen kann, ohne die Bedeutung zu verändern. Zwar ist dieser Text alt, aber die Kritik lässt sich trotzdem auf meine neueren Geschichten anwenden. Ich schreibe immer noch eher zu viele Adjektive als zu wenig... Ich werde mal meine aktuellen Texte durchsehen.

Dass man Perspektivfehler machen kann, daran habe ich bis jetzt noch keinen Gedanken verschwendet. Jetzt, wo ich darüber nachdenke, fällt mir auf, dass ich öfter mal von der personalen Erzählweise in eine Außensicht springe. Danke für den Hinweis!

Ich merke, es gibt noch viel zu lernen. Und das ist ja auch gut so. Schließlich macht es keinen Spaß, perfekt zu sein.
Ich übe weiter!
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findling
Leseratte


Beiträge: 112



Beitrag08.12.2018 17:16
Re: Der Überlebende oder Das Silberlicht
von findling
Antworten mit Zitat

Liebe Nasobem,

Du schreibst aus Deiner Seele, köstlich, mit welcher Intensität sich die Landschaft in meinem Inneren aus der Melodie Deiner Worte erhebt, es fehlt wirklich nur noch der mahnende Ruf eines Käuzchens oder die den Kurs kreuzende, den spiegelglatten See zerteilende Ringelnatter, deren Wellenspur vom Kahn des Jungen durchschnitten wird.

Ich atme die Kraft der Augenblicke, aus der Du Deine "Geschichte" geboren und tauche als blauer Delfin in die Tiefen Deiner offenen Seele. Was für eine Lust am Wort, was für eine Freude an der Ewigkeit unseres Seins in Liebe.

Danke.

Ich hab jetzt mal meinen Rhythmus drunter gelegt, schaut dann so aus:
Nasobem hat Folgendes geschrieben:


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Der Überlebende oder Das Silberlicht

Um ihn herum waberten Schatten. Fino hörte, wie sie flüsterten und sich bewegten. Die Geister folgten ihm. Schwach erleuchtete die Fackel den felsigen Boden. Rot tanzten die Flammen und spendeten flackerndes Licht. Die Geister blieben außerhalb des Lichtkreises. Fino hörte, wie sie in der Dunkelheit atmeten.
Seine Stiefel kratzten über den steinigen Boden. Ein Windstoß ließ die Fackel aufflackern. Fino fröstelte. Das fahle, weiße Licht des Mondes ergoss sich kalt über die weite, graue Felslandschaft. Nicht weit entfernt sah Fino dürre Fichten aufragen. Die Nadeln hingen noch an ihren Zweigen, doch sie waren genau so tot wie alles andere um sie herum. Nebel waberte um ihre Stämme. Dahinter glitzerte ein See.

Fino hatte diese trostlose Landschaft noch nie zuvor gesehen, doch er wusste genau, was zu tun war. Er erreichte die Bäume.
Die dürren, trockenen Nadeln strichen über das schmutzige Gesicht des Überlebenden. Zu seinen Füßen lag ein Boot, rasch aus grauem Holz gezimmert, und wartete auf ihn. Fino warf einen Blick über das dunkle Wasser. Dort, auf der gegenüberliegenden Seite, klaffte ein Loch im Felsen. Eine Höhle. Dorthin musste er gelangen.
 Fino befestigte die Fackel am Bug des Bootes, stieg ein und ergriff die Ruder. Lautlos durchschnitt das Gefährt das schwarze Wasser des Sees. Nur das leise Platschen der Ruder durchbrach die Stille, und das Flüstern der Geister. Sie glitten neben dem Boot durchs dunkle Wasser und huschten am Ufer entlang, das vom Nebel verborgen war. Der Junge konnte sie nicht sehen, doch er spürte ihre Anwesenheit. Das Licht der Fackel tanzte auf den Wellen vor dem Bug. Fino erreichte das Ufer.

Das Boot schob sich mit einem schabenden Geräusch auf den grauen Kies des Strandes. Er stieg aus und nahm die Fackel. Vor ihm lag die Höhle. Ein kahler Baum klammerte sich an den Fels und seine Wurzeln hingen in den Eingang, der im Gestein klaffte wie das Maul eines Ungeheuers.
Fino umklammerte die Fackel fester, als könnte sie ihn vor seinem Schicksal retten. Er holte tief Luft und trat ein, und die Höhle verschlang ihn.

Das Licht der Fackel reichte keine drei Schritte weit. Der Gang, durch den es ihn führte, war niedrig und schmal und aus schwarzem Fels. Fino spürte, dass die Geister ihm folgten. Er lief weiter, geradeaus in die Dunkelheit, und versuchte, seinen Atem zu beruhigen. Plötzlich wichen die Wände zurück und er stand in einer Halle. Sie schien vor langer Zeit vom Wasser in den Fels gefressen worden zu sein. Fino achtete nicht auf die seltsamen Formen, die es im Laufe der Jahrhunderte in die Wände gemeißelt hatte, sein Blick war auf den großen steinernen Tisch in der Mitte der Halle gerichtet. Auch er schien aus dem Gestein der Höhle gemeißelt zu sein. Und auf seiner Tischplatte leuchtete etwas, hell wie der Mond.
Das Silberlicht.

 Es war das Herz der zerstörten Welt, ihr Anfang und ihr Ende. Deshalb war Fino hier. Er würde die Welt beenden, die trostlose Welt dort draußen. Sein Herz schlug heftig, als er langsam an den Tisch trat. Die Geister blieben am Eingang der Halle zurück. Fino beugte sich über das Silberlicht. Es war eine winzige Kugel, so groß wie eine Murmel, vielleicht aus Glas.
 Zögernd streckte er die Hand aus und nahm es vorsichtig, als fürchtete er, es würde zwischen seinen Fingern zerbrechen. Fino spürte, wie die Geister ihn drängten, es fallen zu lassen und der Welt ein Ende zu setzen. Er wusste, dass er es tun musste, doch er fürchtete sich davor.
Lange zögerte er.
Doch schließlich erinnerte er sich der toten Bäume am See, der zerstörten Städte, der niedergebrannten Wälder. Für sie gab es keine Rettung mehr.
Dann ließ er es fallen.

Unendlich langsam näherte sich das Silberlicht dem Boden. Die Zeit schien stillzustehen.

Fino glaubte, sein Spiegelbild in der winzigen Kugel erkennen zu können, wie es aufblühte und ihm entgegensah.
Und dann war es vorbei.

Das Silberlicht zerschellte auf dem Steinboden.
Der kalte Schein, in den die Höhle getaucht gewesen war, zerfloss, und mit ihm die Steinwände, der See, die Fichten an seinem Ufer. Der Mond verdunkelte sich. Das Spiegelbild des Jungen in der Kugel zerriss, und mit ihm die nachtschwarze Himmelskuppel.

Fino stürzte in Finsternis.


Wieder war es dunkel. Doch dort, irgendwo in der Finsternis, leuchtete ein kleines Licht, weiß, wie der Mond. Ein neues Silberlicht. Eine neue Welt würde entstehen, würde blühen und welken, und am Ende zerschellen. Nur das Silberlicht würde weiterleben.


Liebe Grüße,
Reinhard
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Nasobem
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Beiträge: 28



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Beitrag08.12.2018 22:28

von Nasobem
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Danke für die freundlichen (und poetischen) Worte.

Käuzchenschrei und Ringelnatter können leider nicht vorkommen, weil alles tot ist...
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Membarus
Gänsefüßchen

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Beiträge: 26
Wohnort: Münsterland


Beitrag23.01.2019 16:13

von Membarus
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Ich habe vom Handwerk wirklich keine Ahnung, aber deine Geschichte liest sich wunderbar und ist spannend. Mir hat sie sehr gefallen. Bloß weitermachen! smile
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Nasobem
Geschlecht:männlichGänsefüßchen
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Beiträge: 28



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Beitrag23.01.2019 19:38

von Nasobem
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Membarus hat Folgendes geschrieben:
Ich habe vom Handwerk wirklich keine Ahnung, aber deine Geschichte liest sich wunderbar und ist spannend. Mir hat sie sehr gefallen. Bloß weitermachen! smile

Vielen Dank! Ich habe nicht vor, aufzuhören! Mr. Green
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gold
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Beiträge: 4943
Wohnort: unter Wasser
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Beitrag24.01.2019 00:21

von gold
Antworten mit Zitat

Hallo Nasobem,

danke für die spannende Nacht Lektüre. Weiter so. Ich hoffe, dass du uns mit deinem Talent noch lange unterhältst.

Liebe Grüße
gold


Edit: Das Einzige, was mich stört, ist der Titel. Es besteht ein großer Unterschied zwischen dem Begriff "der Überlebende" und dem Begriff "das Silberlicht".  Der erste ist nüchtern, der zweite süßlich romantisch. Vielleicht findest du ja ein Wort, das dazwischen liegt?


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