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Im Beamtensinne


 
 
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Christof Lais Sperl
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 62
Beiträge: 941
Wohnort: Hangover
Der silberne Roboter


Beitrag29.12.2018 16:33
Im Beamtensinne
von Christof Lais Sperl
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Im Beamtensinne
Ich höre sie in der Küche herumklappern. Von nebenan Sportgeschrei aus Vaters Radio. Wir man sich bloß nur so aufregen kann. Wegen ein paar Flanken und Toren geraten die Reporter immer in höchste Erregung. Beschleunigen ihre Rede und bremsen die Sätze dann ganz langsam herunter. Mutter schaut durch die Küchentür, und stopft sich ein Taschentuch in den Ärmel. Ihr Gesicht ist zu einer Faust geballt.

„Finger aus dem Mund! Hör auf, an den Nägeln zu kauen! Hast du etwa Hunger? Wie dein eigener Vater!“

Aus der Küche dringt ein Schwall Essensduft herein. Ich weiß immer genau, was sie kocht.

Viel Auswahl gibt es nicht. Um die zehn Gerichte. Kommt was was Ekliges auf den Tisch, esse ich immer das Schlimmste zuerst. Schlinge den Spinat mit den Kartoffeln schnell runter, um mich dann der Bratwurst zu widmen.

„Es wird alles zusammen gegessen. Nicht getrennt!“

Sie weiß genau, wie ich die grüne Pampe hasse, und knallt mir noch einen Löffel Strafportion über die Wurst, von der ich den Spinat erst wieder abkratzen muss. Isst man beides zusammen, überseucht der Gemüsegeschmack das Wurstaroma. Aufgeben kann ich aber auch nicht. Schließlich gilt, dass alles gegessen werden muss, was einmal auf den Teller kommt. Ich lasse den Spinat die Kehle hinunterrinnen, um weiter vorne noch umso länger auf dem Fleisch kauen zu können. Die Zunge stößt an die obere Zahnreihe und trennt beide Nahrungsmittel voneinander. So geht das eine Weile gut. Manchmal warte ich, bis sie wegguckt. Meistens guckt sie den Vater finster an. Der sagt nie etwas. Entweder läuft Fußballgebrüll im Radio, oder er hat die Nase im SPIEGEL. Entscheidungen sind ihm fremd.

Nachts lutsche ich heimlich an der Senftube. Der macht einen Bratwurstgeschmack. Ich verstehe nur nicht, wie.

„Rauf in dein Zimmer. Aufräumen und Hausaufgaben. Finger aus dem Mund, oder brauchst du einen Zahnstocher? Also an die Hausaufgaben, du willst ja mal studieren, und nicht wie dein eigener Vater enden.“

Enden? Hat der Vater seine letzten Tage erreicht? Er steht doch jeden Morgen vor der Kommode und knotet sich den Schlips. Abends kommt er spät nach Hause. Und auch samstags muss er arbeiten. Er pfeift Melodien, wo er sitzt und steht. Die Melodien haben keine feste Struktur, und klingen wie Vogelzwitschern. Manchmal beginnt er mit einem Lied wie Bruder Jakob, und zerhackt die Tonfolge so, dass nur noch der Rhythmus übrig bleibt. Ist der SPIEGEL durchgelesen und kommt nichts im Radio, sitzt der Vater auf dem Sofa und zwitschert vor sich hin. Sein Gesicht hat die sprunghafte Mimik einer Zeichentrickfigur. Ein erstauntes Pünktchen, und dann wieder herabhängende Mundwinkel. Beim Pfeifen sind die Lippen gespitzt. Das dauert ein paar Sekunden. Dann ist das Lied zu Ende, und die Mundwinkel fallen herab. Gleich darauf zerhackt er die nächste Melodie. Tschiup, tschiup, tschiup. Und wieder fallen die Mundwinkel. Er trauert ohne Unterlass. Nur das Zwitschern kann die Schwermut unterbrechen. Sitzt er im Sommer auf der Terrasse, kann ich durchs Fenster beobachten, wie seine Mimik unablässig zwischen zwei Zuständen hin- und herspringt.

„Das Medikament“, sagt Mutter manchmal, „bringt den zum Pfeifen. Er macht mich noch wahnsinnig mit der Zwitscherei. Gnade dir Gott, wenn du wirst wie der.“

Manchmal schafft er es nicht aus dem Bett. Tagelang. Zieht die Decke bis zur Nase hoch. Dann sitzt Mutter unten und schluchzt.

Ich muss an solchen Tagen immer mit ihr kuscheln. Stundenlang. Löffelchen auf dem Sofa machen. Wie das Besteck in der Schublade aneinander liegen. Mutter zittert dann. Sie flüstert: Die Ärzte wüssten nicht, was er habe. Oder aber er hat etwas, über das man nicht spricht.

Jetzt geht er regelmäßig zu Lugner. Der sei unverschämt, sagt Mutter. Er habe sie nämlich gefragt, ob sie selbst womöglich seine Krankheit sei. Und Vater entscheiden müsse, ob er lieber gesund, oder weiter verheiratet bleiben wolle. Mutter wollte ihm den Lugner verbieten. Wo sie doch sonst so auf ihre Doktoren und Pfarrer schwört, und auch in Vaters Beisein von ihnen schwärmt. Ich glaube an den Ärzten interessiert sie, dass die alle kriegen können. Und bei den Pfarrern gilt das auch, nur dass die nicht dürfen.

Vater war zuerst Kassierer. Dann Sekretär. Später Obersekretär und Amtmann. Dann Inspektor. Nun will Mutter ihn zum Oberinspektor treiben. Doch Riedel, dieses Schwein, habe bereits gesagt, dass er bei den Fehlzeiten alle Beamtenprüfungen mit eins ablegen könne, und es trotzdem niemals zum Oberinspektor brächte. Dafür lege er, Riedel, persönlich seine Hand ins Feuer.

Vater könnte doch einfach Inspektor bleiben. Aber für Mutter reicht das nicht. Der Ball muss bis ans obere Ende der Laufbahn weitergetrieben werden. Bis zum Oberinspektor. Mindestens. Und selbst der wäre im Vergleich zum Direktor rein gar nichts.

Geht es mal besser, lädt Mutter wenige Freunde und viele Nachbarn ein. Dann wird Martini getrunken. Es gibt Salzstangen, und ich kriege eine Cola. Kommt die Sprache auf Pfarrer oder Ärzte, lacht Mutter schrill auf. Das Lachen kommt von ganz weit unten. Von einer Stelle, die Vater wohl niemals anrühren kann. Das Kreischen schmerzt in den Ohren. Mutter bindet es jedem auf die Nase. „Mein Mann ist Beamter.“ Als ob die Glückseligkeit der Welt vom Status des Staatsdieners abhinge. „Als Beamtengattin“, beginnt sie manchen ihrer Sätze. Vater sagt aber fast gar nichts.

Er hat nun ein neues Medikament bekommen. Jetzt pfeift er nicht mehr. Er brummt nur vor sich hin. Beim Brummen ein Lächeln im Gesicht. Ein Fortschritt. Doch ist er still, fallen die Mundwinkel gleich wieder herab. Mutter redet ohne Unterlass. Vater tut so, als würde er zuhören: "Ja, ja." Ist Mutter in der Küche, sagt er trotzdem seine Jas weiter auf. Dann brummt er wieder. Und trauert. Manchmal brummt er "Hmmmja".

Nun sitzen sie beim Abendbrot. Ich bin etwas später an den Tisch gekommen, weil ich im Flur noch heimlich einen Nagelsplitter abbeißen musste. Bei den Fingernägeln ist es ja so: Was dran ist, muss zerfetzt werden. Mutter lacht schallend. Dazwischen ist Vaters ja, ja eingestreut. Es geht um die Frau des neuen Nachbarn, der Angestellter bei der Krankenkasse ist. Mutter nennt sie die Günthersche.

„Ich habe der Güntherschen doch schon mehrfach gesagt, mein Mann ist Beamter. Vorhin auch wieder.  Und weißt du, was die dumme Kuh geantwortet hat? Mein Mann hat es auch zu etwas gebracht. Er ist Angestellter im Beamtensinne!“



_________________
Lais
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Murnockerl
Geschlecht:weiblichEselsohr
M


Beiträge: 340



M
Beitrag29.12.2018 20:06

von Murnockerl
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Flüssig, wie auch interessant zu lesen - ich wüsste nichts auszusetzen. Danke für den Text smile
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Austrobass
Geschlecht:männlichLeseratte

Alter: 56
Beiträge: 100
Wohnort: Weinviertel/Austria


Beitrag30.12.2018 07:55

von Austrobass
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Dein Text hat (für mich) wieder einen schönen Rhythmus. Sehr gerne gelesen, Danke!

liebe Grüße

Martin


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Due to Budget cuts the light on the end of the tunnel will be turned off.
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Pnin
Geschlecht:männlichGänsefüßchen

Alter: 69
Beiträge: 22
Wohnort: Wien


Beitrag30.12.2018 14:50
Re: Im Beamtensinne
von Pnin
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Schließe mich als dritter Ösi dem zustimmenden Urteil meiner Landsleute an. Bin auch in Deine lichtlosen Bereiche des Meeres eingetaucht, was den Kreislauf sehr angenehm belebt hat. Tja, als Best Ager muss Dir niemand lang erklären, dass Deine Schreibe ausgereift daherkommt. Du bist ein mit allen Wassern gewaschener Sprachtaucher. Auch dieser Text ist wirklich beeindruckend.

Zwei kleine – Vorbehalte wäre zu viel gesagt – Gedänkelchen blubbern im Nachklang der Lektüre.

Da ist einmal der mir weder geläufige noch anschauliche Ausdruck „im Beamtensinne“, der Dir so wichtig ist, dass er Titel und Schlussstein des Textes ist. Gut möglich, dass dies nur an meiner Unkenntnis liegt. Ein bisschen Googeln hat mich aber nicht gerade davon überzeugt, dass der Terminus hoch im Kurs steht. Da als Genre Kurzgeschichte angegeben wurde, bekommt der Schluss noch größeres Gewicht, scheint alles auf diese Pointe zuzusteuern. In mir als Leser, der auch nach 20-jährigem Staatsdienst mit dem Ausdruck fremdelt, will sie, so sie denn eine ist, jedenfalls nicht zünden.

Und dann frage ich mich, warum mich zwar die Schönheit des Handwerks begeistert, aber der Text nicht selbstvergessen macht, nicht auf berauschende Weise mitnimmt. Könnte es sein, dass Du zu glücklich bist? Es fehlt mir in Deiner Kunst wohl etwas das Getriebene, Abgründige. Trotz der denunziatorischen Muttercharakterisierung ist da keine Not. Der harmonisierende Gestus zeigt sich auch in der Erzählperspektive, die den Erfahrungshorizont des vorgeblich erzählenden Jungen sprachlich geschickt herbeizitiert, aber die sich nicht radikal darauf ein- und verlässt, sondern von einer noch übergeordneten Erzählinstanz beaufsichtigen lässt. Beispielsweise an dieser „Stelle“:

Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:
Kommt die Sprache auf Pfarrer oder Ärzte, lacht Mutter schrill auf. Das Lachen kommt von ganz weit unten. Von einer Stelle, die Vater wohl niemals anrühren kann. Das Kreischen schmerzt in den Ohren. Mutter bindet es jedem auf die Nase. „Mein Mann ist Beamter.“ Als ob die Glückseligkeit der Welt vom Status des Staatsdieners abhinge.


Die psychoanalytische Andeutung von der zu wenig berührten Stelle und der philosophische Kommentar zur Glückseligkeit übersteigen den Kind-Erzähler. Dieses (im Übrigen völlig legitime) Vermischen der Stimmen hat eine Entsprechung in den Rätseln des Erzählpräsens. Da werden mit dem Zauberwort nun verschiedene Zeittiefen planiert:

Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:
Nun will Mutter ihn zum Oberinspektor treiben.
 
Er hat nun ein neues Medikament bekommen. Jetzt pfeift er nicht mehr.

Nun sitzen sie beim Abendbrot.


Ist das wirklich so gewollt oder ein wenig geschwindelt oder passiert? Nicht falsch verstehen: Mir gefällt Dein Schreiben außerordentlich. Noch viel länger könnte ich mich über all das auslassen, was mir daran imponiert. Mein Herumgestochere ist nicht als Kritik an der Speise zu verstehen. Ich bin selbst unentschieden, möchte trotzdem die Denkelei rückmelden. Vielleicht hilft dieser Rohbericht eines Eindrucks ja, indem er eigene Überlegungen bestätigt. Ziemlich sicher bin ich mir, dass Wolfgang Herrndorf die jugendliche Erzählstimme in diesem Text so nicht gelten ließe. Der war da unversöhnlich. Aber wer wollte unglücklich wie er sein...

Liebe Grüße aus Wien
Pnin
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Christof Lais Sperl
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 62
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Der silberne Roboter


Beitrag30.12.2018 16:04
Liebe Kritiker
von Christof Lais Sperl
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Vielen Dank für eure hilfreichen Kommentare.
An Pnin möchte ich das Folgende schreiben: Klasse, wie du das Wort "nun" in seiner Funktion herausmeißelst. Da sollte ich eventuell noch feilen. Eigentlich könnte es auch überflüssig sein. Mal sehen, was mir dazu noch einfällt.

Nun aber zum "Beamtensinn". Das hat sich wirklich mit dieser Aussage so zugetragen. Da macht eine Person den Stadtteil kirre, dass der Mann "Beamter" ist. Irgendwann sind die Leute so verschüchtert oder von der Sülzerei so genervt, dass sie entgegnet: Meiner ist auch was wert. Er ist Angestellter. Aber ein so toller, in einem derart blitzsauberen Büro, ohne Dreck an den Fingern, nur mit Akten unterm Arm, dass das dem Beamten (im Beamtensinne) nahekommt.

Zum Jungen: Pnin, das dachte ich mir beim Schreiben auch. Weiß der zuviel? Ist er zu reif? Wer erzählt da? Eine legitime Kritik.

Warum fesselt der Text nicht noch mehr? Warum ist er nicht rauh genug?
Wenn ich das noch besser könnte! Confused

Es gibt ja auch eine heftige Ader in mir, die man im Red Light District sehen kann. Da war es für einige zuviel des Guten. Vielleicht muss ich noch eine bessere Balance finden.

Danke und VLG, guten Rutsch, CLS


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Lais
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Gast







Beitrag30.12.2018 17:12

von Gast
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Ich konnte von Anfang an mit dem Text mitgehen, die Beschreibung des Reporter Tonfalls hat mich angezogen, dann das Faustgesicht und später immer wieder verschiedene Formulierungen und Kleinigkeiten.

Pnins Kritikpunkte waren für mich nicht so offensichtlich, aber wenn einmal etwas in Sprache gefasst wird, wird einem einiges klar, was davor vielleicht aufgefallen ist aber nicht eindeutig definiert wurde ...

Ein toller Text, dessen sprachliches Gelingen, Aufbau, Atmosphäre und Vielseitigkeit mir einiges beibringen können!

Ach, sehr amüsant fand ich die ausgeweitete Schilderung des Essens, da musste ich kurz auflachen, weil das fast schon ins Absurde getrieben wurde, danach musste ich bemerken, dass ich mit offenem Mund weitergelesen habe Laughing so sehr war ich fasziniert!
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UtherPendragon
Eselsohr
U


Beiträge: 402



U
Beitrag30.12.2018 18:18

von UtherPendragon
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Das ist wirklich gut.

Erinnert mich ein bisschen an "Ansichten eines Clowns".

"Geht es mal besser, lädt Mutter wenige Freunde und viele Nachbarn ein."
Was gerade besser geht, erschließt sich mir nicht. Aber der Satz an sich ist ganz groß.

"Wir man sich bloß nur so aufregen kann."
-Wie

"Ich weiß immer genau, was sie kocht."
Der Satz paast so, wie ich finde, nicht ganz zum Rest. Vielleicht "Ich weiß immer vorher, was auf den Tisch kommt"?

" Entweder läuft Fußballgebrüll im Radio, oder er hat die Nase im SPIEGEL"
-> Komma weg

"Nachts lutsche ich heimlich an der Senftube. Der macht einen Bratwurstgeschmack."
Der?

"Er trauert ohne Unterlass. Nur das Zwitschern kann die Schwermut unterbrechen"
- Ist das nicht eine etwas gewagte Analyse?

"Und Vater entscheiden müsse, ob er lieber gesund, oder weiter verheiratet bleiben wolle"
- Hier fehlt n Verb

"Ich glaube an den Ärzten interessiert sie, dass die alle kriegen können. Und bei den Pfarrern gilt das auch, nur dass die nicht dürfen. "
feinifeinifeinifeinifeinifein

Für Weiteres bin ich gerade nicht in der Lage. Aber Pnin hat gute Sachen aufgeführt. Für mich allerdings zündelt es doch im Beamtensinne, der Schluss bringt eine zuvor nicht dagewesene Leichtigkeit ins Spiel. Das für mich Clownhafte eben.

MfG


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Christof Lais Sperl
Geschlecht:männlichKlammeraffe

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Der silberne Roboter


Beitrag30.12.2018 18:29
Uther P
von Christof Lais Sperl
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Danke für die Hinweise! Gut gelesen! Vlg cls

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Lais
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Christof Lais Sperl
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Der silberne Roboter


Beitrag09.01.2019 15:22
Im Beamtensinne 2.0
von Christof Lais Sperl
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Uther, Sipos und Pnin, nun habe ich eure Kritikpunke berücksichtigt. Vielen Dank, CLS



Im Beamtensinne
Ich höre sie in der Küche herumklappern. Von nebenan Sportgeschrei aus Vaters Radio. Wie man sich bloß nur so aufregen kann. Wegen ein paar Flanken und Toren geraten die Reporter immer in höchste Erregung. Beschleunigen ihre Rede und bremsen die Sätze dann ganz langsam herunter. Mutter schaut durch die Küchentür, und stopft sich ein Taschentuch in den Ärmel. Ihr Gesicht ist zu einer Faust geballt.

„Finger aus dem Mund! Hör auf, an den Nägeln zu kauen! Hast du etwa Hunger? Wie dein eigener Vater!“

Ich lasse die Hände in den Jeanstaschen verschwinden. Der Stoff schmerzt am freiliegenden Nagelbett.

Aus der Küche dringt ein Schwall Essensduft herein. Ich weiß immer schon vorher, was auf den Tisch kommt.

Viel Auswahl gibt es nicht. Um die zehn Gerichte. Kommt was etwas Ekliges auf den Tisch, esse ich immer das Schlimmste zuerst. Schlinge den Spinat mit den Kartoffeln schnell runter, um mich dann der Bratwurst zu widmen.

„Es wird alles zusammen gegessen. Nicht getrennt!“

Sie weiß genau, wie ich die grüne Pampe hasse, und knallt mir noch einen Löffel Strafportion über die Wurst, von der ich den Spinat erst wieder abkratzen muss. Isst man beides zusammen, überseucht der Gemüsegeschmack das Wurstaroma. Aufgeben kann ich aber auch nicht. Schließlich gilt, dass alles gegessen werden muss, was einmal auf den Teller kommt. Ich lasse den Spinat die Kehle hinunterrinnen, um weiter vorne noch umso länger auf dem Fleisch kauen zu können. Die Zunge stößt an die obere Zahnreihe und trennt beide Nahrungsmittel voneinander. So geht das eine Weile gut. Manchmal warte ich, bis sie wegguckt. Meistens guckt sie den Vater finster an. Der sagt nie etwas. Entweder läuft Fußballgebrüll im Radio oder er hat die Nase im SPIEGEL. Entscheidungen sind ihm fremd.

Nachts schleiche ich mich runter und lutsche heimlich an der Senftube. Habe ich von Gerd gelernt. Großer Bruder. Der Senf macht einen Bratwurstgeschmack. Wir verstehen nur nicht, wie.

„Rauf in dein Zimmer. Aufräumen und Hausaufgaben. Schon wieder Finger aus dem Mund, oder brauchst du einen Zahnstocher? Also an die Hausaufgaben, du willst ja mal studieren, und nicht wie dein eigener Vater enden.“

Enden? Hat der Vater seine letzten Tage erreicht? Er steht doch jeden Morgen vor der Kommode und knotet sich den Schlips. Abends kommt er spät nach Hause. Und auch samstags muss er arbeiten. Er pfeift Melodien, wo er sitzt und steht. Die Melodien haben keine feste Struktur, und klingen wie Vogelzwitschern. Manchmal beginnt er mit einem Lied wie Bruder Jakob, und zerhackt die Tonfolge so, dass nur noch der Rhythmus übrig bleibt. Ist der SPIEGEL durchgelesen und kommt nichts im Radio, sitzt der Vater auf dem Sofa und zwitschert vor sich hin. Sein Gesicht hat die sprunghafte Mimik einer Zeichentrickfigur. Ein erstauntes Pünktchen, und dann wieder herabhängende Mundwinkel. Beim Pfeifen sind die Lippen gespitzt. Das dauert ein paar Sekunden. Dann ist das Lied zu Ende, und die Mundwinkel fallen herab. Gleich darauf zerhackt er die nächste Melodie. Tschiup, tschiup, tschiup. Und wieder fallen die Mundwinkel. Er trauert ohne Unterlass. Vielleicht kann nur das Zwitschern die Schwermut unterbrechen. Sitzt er im Sommer auf der Terrasse, kann ich durchs Fenster beobachten, wie seine Mimik unablässig zwischen zwei Zuständen hin- und herspringt.

„Das Medikament“, sagt Mutter manchmal, „bringt den zum Pfeifen. Er macht mich noch wahnsinnig mit der Zwitscherei. Gnade dir Gott, wenn du wirst wie der.“

Gerd und ich müssen uns jeden Tag in die Schule quälen. Aber Vater schafft es manchmal nicht aus dem Bett. Tagelang. Zieht die Decke bis zur Nase hoch. Dann sitzt Mutter unten und schluchzt. Selbst am Nachmittag, wenn wir heimkommen. Zwischendurch hat sie aber trotzdem Essen gemacht.

Ich muss an solchen Tagen mit ihr kuscheln. Stundenlang. Löffelchen auf dem Sofa machen. Wie das Besteck in der Schublade aneinander liegen. Mutter zittert dann. Sie flüstert: Die Ärzte wüssten nicht, was er habe. Oder aber er hat etwas, über das man nicht spricht.

Jetzt geht er regelmäßig zu Lugner. Der sei unverschämt, sagt Mutter. Er habe sie nämlich gefragt, ob sie selbst womöglich seine Krankheit sei. Und Vater entscheiden müsse, ob er lieber gesund, oder weiter verheiratet bleiben wolle. Mutter wollte ihm den Lugner verbieten. Wo sie doch sonst so auf ihre Doktoren und Pfarrer schwört, und auch in Vaters Beisein von ihnen schwärmt. Gerd sagt, an den Ärzten interessiert sie, dass die alle kriegen könnten. Und bei den Pfarrern gälte das auch, nur dass die nicht dürften.

Vater war zuerst Kassierer. Dann Sekretär. Später Obersekretär und Amtmann. Dann Inspektor. Mutter will  ihn zum Oberinspektor treiben. Doch Riedel, dieses Schwein, habe bereits gesagt, dass er bei den Fehlzeiten alle Beamtenprüfungen mit eins ablegen könne, und es trotzdem niemals zum Oberinspektor brächte. Dafür lege er, Riedel, persönlich seine Hand ins Feuer.

Vater könnte doch einfach Inspektor bleiben. Aber für Mutter reicht das nicht. Der Ball muss bis ans obere Ende der Laufbahn weitergetrieben werden. Bis zum Oberinspektor. Mindestens. Und selbst der wäre im Vergleich zum Direktor rein gar nichts.

Geht es mit Vater mal besser, lädt Mutter wenige Freunde und viele Nachbarn ein. Dann wird Martini getrunken. Es gibt Salzstangen, und ich kriege eine Cola. Kommt die Sprache auf Pfarrer oder Ärzte, lacht Mutter schrill auf. Das Lachen kommt von ganz weit unten. Von einer Stelle, sagt Gerd, die Vater wohl niemals anrühren kann. Das Kreischen schmerzt in den Ohren. Mutter bindet es jedem auf die Nase. „Mein Mann ist Beamter.“ Als ob die Glückseligkeit der Welt vom Status des Staatsdieners abhinge. „Als Beamtengattin“, beginnt sie manchen ihrer Sätze. Vater sagt aber fast gar nichts.

Er hat ein neues Medikament bekommen. Jetzt pfeift er nicht mehr. Er brummt nur vor sich hin. Beim Brummen ein Lächeln im Gesicht. Ein Fortschritt. Doch ist er still, fallen die Mundwinkel gleich wieder herab. Mutter redet ohne Unterlass. Vater tut so, als würde er zuhören: "Ja, ja." Ist Mutter in der Küche, sagt er trotzdem seine Jas weiter auf. Dann brummt er wieder. Und trauert. Manchmal brummt er "Hmmmja".

Sie sitzen beim Abendbrot. Ich bin etwas später an den Tisch gekommen, weil ich im Flur noch heimlich einen Nagelsplitter abbeißen musste. Bei den Fingernägeln ist es ja so: Was dran ist, muss zerfetzt werden. Mutter lacht schallend. Dazwischen ist Vaters ja, ja eingestreut. Es geht um die Frau des neuen Nachbarn, der Angestellter bei der Krankenkasse ist. Mutter nennt sie die Günthersche.

„Ich habe der Güntherschen doch schon mehrfach gesagt, mein Mann ist Beamter. Vorhin auch wieder.  Und weißt du, was die dumme Kuh geantwortet hat? Mein Mann hat es auch zu etwas gebracht. Und jetzt  kommt’s: Er ist Angestellter im Beamtensinne!“


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UtherPendragon
Eselsohr
U


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U
Beitrag10.01.2019 15:29

von UtherPendragon
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Tag auch,

gut, die Perspektive ist konsistenter in jeder Hinsicht. Lediglich "Wir verstehen nur nicht, wie." würde ich einfach streichen, ich finde dieser Satz ist zu viel des syntaktischen Stakkato.

Gern gelesen:)


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nicolailevin
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Beitrag13.01.2019 13:26

von nicolailevin
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Diese Essenserinnerung hat mir sehr gut gefallen. Ganz großes Kino!

"freiliegendes Nagelbett" klingt mir für die Kindperspektive zu elaboriert. Da tät ich was weniger anatomisch-medizinisch Korrektes nehmen.

Und ich seh einen Widerspruch: Erst schreibst du, der Vater stehe jeden Morgen, auch Samstags, vor der Kommode, um seinen Schlips zu binden. Da seh ich einen pflichtbewussten korrekten Mann, der in drölfzig Jahren nicht einmal krank fehlt.

Weiter unten lernen wir dann, dass er sehr häufig fehlt und es krankheitsbedingt nicht in die Arbeit schafft. Das bekomm ich nicht übereinander.
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Christof Lais Sperl
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Beitrag13.01.2019 14:20
Nicolai Levin
von Christof Lais Sperl
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Da hast du Recht. Das muss ich noch besser erklären. Vlg CLS

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Christof Lais Sperl
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Alter: 62
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Beitrag20.01.2019 12:02
Im Beamtensinne
von Christof Lais Sperl
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@ Nicolai Levin, ich habe deine Einwände noch berücksichtigt. Danke!





Im Beamtensinne



Ich höre sie in der Küche herumklappern. Von nebenan Sportgeschrei aus Vaters Radio. Wie man sich bloß nur so aufregen kann. Wegen ein paar Flanken und Toren geraten die Reporter immer in höchste Erregung. Beschleunigen ihre Rede und bremsen die Sätze dann ganz langsam herunter. Mutter schaut durch die Küchentür, und stopft sich ein Taschentuch in den Ärmel. Ihr Gesicht ist zu einer Faust geballt.

„Finger aus dem Mund! Hör auf, an den Nägeln zu kauen! Hast du etwa Hunger? Wie dein eigener Vater!“

Ich lasse die Hände in den Jeanstaschen verschwinden. Der Stoff schmerzt an den blutigen Nägeln. Aus der Küche dringt ein Schwall Essensduft herein. Ich weiß immer schon vorher, was auf den Tisch kommt. Viel Auswahl gibt es nicht. Um die zehn Gerichte. Kommt was Ekliges auf den Tisch, esse ich immer das Schlimmste zuerst. Schlinge den Spinat mit den Kartoffeln schnell runter, um mich dann der Bratwurst zu widmen.

„Es wird alles zusammen gegessen. Nicht getrennt!“

Sie weiß genau, wie ich die grüne Pampe hasse, und knallt mir noch einen Löffel Strafportion über die Wurst, von der ich den Spinat erst wieder abkratzen muss. Isst man beides zusammen, überseucht der Gemüsegeschmack das Wurstaroma. Aufgeben kann ich aber auch nicht. Schließlich gilt, dass alles gegessen werden muss, was einmal auf den Teller kommt. Ich lasse den Spinat die Kehle hinunterrinnen, um weiter vorne noch umso länger auf dem Fleisch kauen zu können. Die Zunge stößt an die obere Zahnreihe und trennt beide Nahrungsmittel voneinander. So geht das eine Weile gut. Manchmal warte ich, bis sie wegguckt. Meistens guckt sie den Vater finster an. Der sagt nie etwas. Entweder läuft Fußballgebrüll im Radio oder er hat die Nase im SPIEGEL. Entscheidungen sind ihm fremd.

Nachts schleiche ich mich runter und lutsche heimlich an der Senftube. Habe ich von Gerd gelernt. Großer Bruder. Der Senf macht einen Bratwurstgeschmack. Wir verstehen nur nicht, wie. Aber egal, da kann man endlich mal pur essen, was einem schmeckt.

„Rauf in dein Zimmer. Aufräumen und Hausaufgaben. Schon wieder Finger aus dem Mund, oder brauchst du einen Zahnstocher? Also an die Hausaufgaben, du willst ja mal studieren, und nicht wie dein eigener Vater enden.“

Enden? Hat der Vater seine letzten Tage erreicht? Er steht doch jeden Morgen vor der Kommode und knotet sich den Schlips. Abends kommt er spät nach Hause. Und auch samstags muss er arbeiten, wenn er nicht mal wieder krank ist. Er pfeift Melodien, wo er sitzt und steht. Die Melodien haben keine feste Struktur, und klingen wie Vogelzwitschern. Manchmal beginnt er mit einem Lied wie Bruder Jakob, und zerhackt die Tonfolge so, dass nur noch der Rhythmus übrig bleibt. Ist der SPIEGEL durchgelesen und kommt nichts im Radio, sitzt der Vater mit überschlagenen Beinen auf dem Sofa und zwitschert vor sich hin. Sein Gesicht hat die sprunghafte Mimik einer Zeichentrickfigur. Ein erstauntes Pünktchen, und dann wieder herabhängende Mundwinkel. Beim Pfeifen sind die Lippen gespitzt. Das dauert ein paar Sekunden. Dann ist das Lied zu Ende, und die Mundwinkel fallen herab. Gleich darauf zerhackt er die nächste Melodie. Tschiup, tschiup, tschiup. Und wieder fallen die Mundwinkel. Er trauert ohne Unterlass. Vielleicht kann nur das Zwitschern die Schwermut unterbrechen. Sitzt er im Sommer auf der Terrasse, kann ich durchs Fenster beobachten, wie seine Mimik unablässig zwischen zwei Zuständen hin- und herspringt.

„Das Medikament“, sagt Mutter manchmal, „bringt den zum Pfeifen. Er macht mich noch wahnsinnig mit der Zwitscherei. Gnade dir Gott, wenn du wirst wie der.“

Gerd und ich müssen uns jeden Tag in die Schule quälen. Aber Vater schafft es manchmal nicht aus dem Bett. Tagelang. Zieht die Decke bis zur Nase hoch. Dann sitzt Mutter unten und schluchzt. Selbst am Nachmittag, wenn wir heimkommen. Zwischendurch hat sie aber trotzdem Essen gemacht.

Ich muss an solchen Tagen mit ihr kuscheln. Stundenlang. Löffelchen auf dem Sofa machen. Wie das Besteck in der Schublade aneinander liegen. Mutter zittert dann. Sie flüstert: Die Ärzte wüssten nicht, was er habe. Oder aber er hat etwas, über das man nicht spricht.

Jetzt geht er regelmäßig zu Lugner. Der sei unverschämt, sagt Mutter. Er habe sie nämlich gefragt, ob sie selbst womöglich seine Krankheit sei. Und Vater entscheiden müsse, ob er lieber gesund, oder weiter verheiratet bleiben wolle. Mutter wollte ihm den Lugner verbieten. Wo sie doch sonst so auf ihre Doktoren und Pfarrer schwört, und auch in Vaters Beisein von ihnen schwärmt. Gerd sagt, an den Ärzten interessiert sie, dass die alle kriegen könnten. Und bei den Pfarrern gälte das auch, nur dass die nicht dürften.

Vater war zuerst Kassierer. Dann Sekretär. Später Obersekretär und Amtmann. Dann Inspektor. Mutter will  ihn zum Oberinspektor treiben. Doch Riedel, dieses Schwein, habe bereits gesagt, dass er bei den Fehlzeiten alle Beamtenprüfungen mit eins ablegen könne, und es trotzdem niemals zum Oberinspektor brächte. Dafür lege er, Riedel, persönlich seine Hand ins Feuer.

Vater könnte doch einfach Inspektor bleiben. Aber für Mutter reicht das nicht. Der Ball muss bis ans obere Ende der Laufbahn weitergetrieben werden. Bis zum Oberinspektor. Mindestens. Und selbst der wäre im Vergleich zum Direktor rein gar nichts.

Geht es mit Vater mal besser, lädt Mutter wenige Freunde und viele Nachbarn ein. Dann wird Martini getrunken. Es gibt Salzstangen, und ich kriege eine Cola. Kommt die Sprache auf Pfarrer oder Ärzte, lacht Mutter schrill auf. Das Lachen kommt von ganz weit unten. Von einer Stelle, sagt Gerd, die Vater wohl niemals anrühren kann. Das Kreischen schmerzt in den Ohren. Mutter bindet es jedem auf die Nase. „Mein Mann ist Beamter.“ Als ob die Glückseligkeit der Welt vom Status des Staatsdieners abhinge. „Als Beamtengattin“, beginnt sie manchen ihrer Sätze. Vater sagt aber fast gar nichts.

Er hat jetzt ein neues Medikament bekommen. Jetzt pfeift er nicht mehr. Er brummt nur vor sich hin. Beim Brummen ein Lächeln im Gesicht. Ein Fortschritt. Doch ist er still, fallen Mundwinkel und nun auch Augenlider gleich wieder herab. Mutter redet ohne Unterlass. Vater tut so, als würde er zuhören: "Ja, ja." Ist Mutter in der Küche, sagt er trotzdem seine Jas weiter auf. Dann brummt er wieder. Und trauert. Manchmal brummt er "Hmmmja".

Sie sitzen beim Abendbrot. Ich bin etwas später an den Tisch gekommen, weil ich im Flur noch heimlich einen Nagelsplitter abbeißen musste. „Nietnagel“, sagt meine Mutter immer verächtlich. Bei den Fingernägeln ist es ja so: Was dran ist, muss zerfetzt werden.

Mutters Lachen dringt durch die Tür. Dazwischen ist Vaters ja, ja eingestreut. Es geht um die Frau des neuen Nachbarn, der Angestellter bei der Krankenkasse ist. Mutter nennt die Nachbarin „die Günthersche“.

„Ich habe der Güntherschen doch schon mehrfach gesagt, mein Mann ist Beamter. Vorhin auch wieder.  Und weißt du, was die dumme Kuh geantwortet hat? Mein Mann hat es auch zu etwas gebracht. Und jetzt  kommt’s: Er ist Angestellter im Beamtensinne!“


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Lais
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Rübenach
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Beitrag20.01.2019 12:29
Re: Im Beamtensinne
von Rübenach
Antworten mit Zitat

Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:


Vater war zuerst Kassierer. Dann Sekretär. Später Obersekretär und Amtmann. Dann Inspektor. Mutter will  ihn zum Oberinspektor treiben. Doch Riedel, dieses Schwein, habe bereits gesagt, dass er bei den Fehlzeiten alle Beamtenprüfungen mit eins ablegen könne, und es trotzdem niemals zum Oberinspektor brächte. Dafür lege er, Riedel, persönlich seine Hand ins Feuer.

Vater könnte doch einfach Inspektor bleiben. Aber für Mutter reicht das nicht. Der Ball muss bis ans obere Ende der Laufbahn weitergetrieben werden. Bis zum Oberinspektor. Mindestens. Und selbst der wäre im Vergleich zum Direktor rein gar nichts.


Hallo Christof.
hier ist dir ein Fehler unterlaufen. Vom Obersekretär wird man nicht zum Amtmann befördert, sondern zum Amtsinspektor. Danach ist normalerweise Ende. Wer den Aufstieg in den gehobenen Dienst schafft (wie der Vater im Text), wird zunächst Inspektor, weiter geht es mit Oberinspektor, dann erst kommt der Amtmann, danach Amtsrat und am Ende Oberamtsrat.


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