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Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Antiquariat -> Zehntausend 01/2019
Der Raum

 
 
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Catalina
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 51
Beiträge: 427
Wohnort: Kehdingen


Beitrag01.01.2019 20:00
Der Raum
von Catalina
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Er hatte keine Erinnerung daran, wie und wann er hierher gekommen war. Auch wusste er nicht, wer den Raum entdeckt hatte. Vielleicht war er es selbst gewesen. Seit er denken konnte, war er hier. Er war ihm sehr vertraut, dieser Raum, groß und spärlich eingerichtet. In seiner Mitte stand eine alte, aber beeindruckende Chaiselongue aus rotem Samt. Daneben spendete eine Stehlampe dämmriges Licht. Ein kleiner, dunkler Schrank stand in einer Ecke, in einer anderen ein Holzstuhl.

Als kleines Kind fühlte er sich hier geborgen, verband Gemütlichkeit mit dem Raum. Er teilte ihn mit Mutter, die es sich immer auf der Chaiselongue bequem machte und die Füße hochlegte. Sein Platz war der Holzstuhl. „Wir beide sind die besten Freunde und ich werde immer hier bleiben“, beteuerte Mutter. Er stellte weder die Sitzordnung noch ihre Worte in Frage.

In den ersten Jahren genoss er die gemeinsame Zeit mit Mutter. Wann genau sich das änderte, konnte er später nicht mehr sagen. Sie strich immer öfter unruhig umher und inspizierte die Einrichtung. Zuerst hörte er interessiert ihren vereinzelten Bemerkungen über die Farbe der Wände und die Anordnung der Möbelstücke zu. Doch als sie zur offenen Kritik wurden, war er verunsichert. Einerseits mochte er den Raum genau so, wie er war. Andererseits dachte er, Mutter hatte sicher mehr Ahnung. Und ihm lag daran, dass sie sich wohl fühlte.

Je genauer und vehementer ihre Ausführungen mit der Zeit wurden, desto mehr wuchs seine Angst. Mutter schien der Raum immer weniger zu gefallen. Der Gedanke, sie könne ausziehen, lähmte ihn. Also fing er an, ihn nach ihren Plänen zu verändern. Er strich die Wände, verrückte die Möbel und hing Bilder auf. Seine Bemühungen motivierten Mutter offensichtlich, denn mit jeder Veränderung bekam sie eine weitere Idee.

Die nächsten Jahre verbrachte er mit immer wieder neuen Renovierungsarbeiten. Doch mit jedem Jahr klangen die Anleitungen von Mutter ungeduldiger und frustrierter. Er schaffte es einfach nicht, den Raum nach ihrem Wunsch zu gestalten. Seine Verzweiflung mischte sich mit ihrer und setzte sich in jeder Ecke fest.

Dann gab er auf. Er verkroch sich im Schrank und machte die Türen zu. Mit den Händen über seinen Ohren klangen die Vorwürfe von Mutter gedämpfter, doch konnte er jedes Wort verstehen. Er schloss die Augen. Wie lange er so im Schrank saß, wusste er nicht. Mutter verlor sich in nicht enden wollenden Tiraden. Irgendwann taten sie nicht mehr weh, sondern begannen zu jucken. Sie zupften an seinen Nerven, immer stärker, immer intensiver. Er versuchte es zu ertragen.

Bis zu dem Moment, in dem er es nicht mehr aushielt. Er stieß die Schranktür auf, kroch aus seinem Versteck und stellte sich vor Mutter auf. Wortlos zeigte er zur Tür, die er zum erste Mal wahr nahm. Den Blick von Mutter vergaß er nie wieder. Weder Traurigkeit noch Bedauern lag in ihm, nur Enttäuschung.

Sie war weg. Das erste Mal, seit er sich erinnern konnte, war er alleine. Erleichterung mischte sich mit einem Gefühl des Verlustes und der Trauer. Eine Ambivalenz, die ihn zu zerreißen versuchte. Er blickte sich um; alles war verändert. Hektisch versuchte er, den Raum in den ursprünglichen Zustand zu bringen. Aber er konnte sich weder an die Farbe der Wände noch an den Platz der Möbel erinnern. Was immer er auch probierte, der Raum blieb ihm fremd.

Die meiste Zeit verbrachte er an dem einzig Platz, der ihm noch vertraut war: im Inneren des Schrankes. Dort im Dunkeln träumte er oft, wie sich der Raum mit Leben füllen würde. Licht und Musik würden ihn durchfluteten. Die Klänge wären so mitreißend und stimmungsvoll, dass er sich wie schwerelos dazu bewegen würde. Er würde mit all seinen Gästen tanzen. Interessante, liebenswerte Menschen, die seine Freunde wären. Lachen würde überall erklingen und er wäre glücklich.

Ja, bald würde es so sein. Er musste nur den richtigen Leuten begegnen. So öffnete er ab und zu die Tür des Raumes  einen Spalt breit. Er sehnte sich nach Gesellschaft, wartete auf Freunde. Dann erinnerte er sich daran, dass der Raum noch nicht richtig eingerichtet war. Erschrocken schloss er wieder die Tür.

Nur einmal, da war er nicht schnell genug. Sie steckte den Kopf herein und er vergaß nicht nur seine Angst, sondern auch alles andere. Dass sich dieses zauberhafte Geschöpf ausgerechnet seinen Raum ausgesucht hatte, war für ihn ein Wunder. Ohne nachzudenken ließ er sie eintreten. Sie sah sich um und nickte anerkennend. Dann fragte sie, wohin sie sich setzen könne. Er war irritiert.

Fast jeden Tag kam sie zu Besuch. Er liebte diese Zeit. Doch sie verlor nie ein Wort über die Einrichtung und er wurde immer unsicherer. Er fragte sich, ob es ihr egal war. Ob er ihr egal war; für ihn war das gleichbedeutend. Als er die Frage laut aussprach, war sie erstaunt. Es ginge sie doch nichts an, wie er sich einrichte. Er war maßlos enttäuscht.  

Fortan versuchte er, ihre Gedanken zu erraten. Nachdem sie auf der Chaiselongue traurig aussah, rückte er das Möbelstück in die andere Ecke. Er strich die Wände in der Farbe des Kleides, das sie am Vortag getragen hatte. Immer wieder. Vielleicht, wenn alles so wäre wie sie es liebte, würde sie doch bei ihm einziehen, hoffte er. Aber mit jedem seiner Versuche schien sie ungeduldiger zu werden. Ob er denn nicht wisse, was er wolle.
„Ich weiß nicht, was du willst“, dachte er verzweifelt. Ihre Ungeduld schrieb er seiner Unfähigkeit zu, den Raum nach ihren Wünschen zu verändern. Bald war er auch während ihrer gemeinsamen Zeit mit der Einrichtung beschäftigt, keine Minute wollte er verschenken. Seine Angst, sie würde ihn verlassen, wurde immer größer. Und mit ihr der Drang, es ihr so einzurichten, dass sie bleiben würde.

Ihre Besuche wurden seltener. Als sie gar nicht mehr kam, blieb er mit dem Gefühl zurück, versagt zu haben. Er versuchte, sich mit seinem alten Traum zu trösten. Doch der war nur noch blass. Ganz bestimmt würde er irgendwann Freunde haben, daran glaubte er fest. Sobald er fertig eingerichtet war. Lange Tage verbrachte er mit Überlegungen, wie genau er auszusehen hätte, der Raum. Seine Zeichnungen füllten unzählige Seiten an Papier und er stellte komplizierte Berechnungen auf. Überall stapelten sich Ratgeber mit Einrichtungsideen.

Als alles Überlegen zu nichts führte, probierte er wild eine Variation nach der nächsten aus. Er rückte, strich, hämmerte und bastelte im Akkord. Hin und wieder hielt er inne, um sein Werk zu begutachten, und jedes Mal sagte ihm ein schneller Blick, dass es noch lange nicht geschafft war. Nur kurz holte er Luft und fing wieder von vorne an. Er verlor das Gefühl für die Zeit und hatte nur noch einen Gedanken: den perfekten Raum.

Die folgenden Jahre verbrachte er wie im Fieberwahn. Er begann, Selbstgespräche zu führen. „Nein, nein, so nicht“, murmelte er vor sich hin, oder „Nochmal, nochmal“. Ein ums andere Mal strich er die Wände in allen nur denkbaren Nuancen und rückte die Möbel vor und zurück. „Falsch! Das ist falsch!“, rief er dann aus.

Bis seine Kraft ihn verließ. Er begann zu zittern und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Nur mit großer Anstrengung schaffte er es, in in den Schrank zu kriechen. Hier musste er den für ihn so desolaten Raum nicht mehr sehen und er fand Ruhe. Nur noch selten verließ er sein Versteck; verrückte dann hier und da ein Möbelstück, strich ab und zu noch eine Wand. Das Ergebnis bedrückte ihn immer. Auch wenn er nicht wusste, wie der Raum auszusehen hatte, wusste er doch ganz genau, wie er es nicht sollte.

Die Tür blieb schon lange verschlossen. Ob noch Menschen daran vorbei gingen, interessierte ihn nicht mehr. Er war sich sicher: Keiner, der den Raum jetzt betrat, würde wieder kommen; hatte ihn doch jede Renovierung hässlicher gemacht.

Irgendwann kam er gar nicht mehr aus dem Schrank, dem einzigen Platz, an dem er keinen Drang zur Veränderung spürte. Die Dunkelheit war für ihn vollkommen, genauso wie die Stille. Lange blieb er dort sitzen. Sah nichts, hörte nichts und fühlte auch nichts mehr.

Einmal war es ihm, als schimmerte Licht zwischen den Schranktüren und er hörte leise Musik. Sein Körper begann, sich leicht im Takt zu wiegen und aus der Ferne hörte er glückliches Gelächter.
Dann war nichts mehr.

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lebefroh
Geschlecht:weiblichEselsohr
L

Alter: 43
Beiträge: 364
Wohnort: Berlin
Der bronzene Durchblick


L
Beitrag12.01.2019 00:21

von lebefroh
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Die Idee ist nicht schlecht, aber trotzdem hat die Geschichte für mich nicht funktioniert. Es liest sich wie eine Fabel, mir fehlt Tiefe.

Auch fühle ich mich sehr stark an den (tollen) Film "Raum" erinnert, in dem der Protagonist sich ebenfalls nur in Raum und Schrank aufhält.

Zuguterletzt fühlt es sich nicht wirklich wie ein ganzes Leben an. Kind und alter Mann wirken genau gleich, es scheint keinerlei Entwicklung zu geben.

Leider keine Punkte.
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Tape Dispenser
Geschlecht:männlichEselsohr
T


Beiträge: 272



T
Beitrag12.01.2019 16:47

von Tape Dispenser
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Ich würde das als eine Parabel verorten wollen, bin mir aber nicht sicher.
Der Text ist in einfacher und schnörkelloser Sprache geschrieben, aber es ist das Erzählte, was hier mehr als eine Deutung zulässt.
Zum einen das Mutter-Kind Thema und die mehr oder weniger gelungene Abnabelung, zum anderen das Thema, wie man seine eigenen Bedürfnisse wahrnimmt (oder eben nicht), das Hinterherhecheln um (vermeintliche) Bedürfnisse anderer zu befriedigen, ohne jemals ans Ziel zu kommen, und nich einiges anderes, was sich mir beim zweimaligen Lesen noch nicht erschlossen hat. Vereinsamung, Rückzug, Hoffnung, an sich selbst scheitern.
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Herdis
Geschlecht:weiblichLeseratte


Beiträge: 134
Wohnort: Nordhessen


Beitrag13.01.2019 16:37

von Herdis
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Ein Leben im Zeitraffer. Diese Vorgabe ist für mich erfüllt.

Von der Mottovorgabe "(Un-)Haltbare Gegenwart "Die gestundete Zeit" von Ingeborg Machmann:
Die auf Widerruf gestundete Zeit
wird sichtbar am Horizont."
inspiriert oder sich damit auseinandersetzend?

Nicht wörtlich. Ansonsten, eher ein nein. Einzig wenn man das Ende im Schrank als DAS Ende sieht, dann ein jein. Die Vorgabe wurde m.E. nach weniger beachtet.

Ob E-Lit oder U-Lit- da halte ich mich (bei allen Texten, die ich hier bewerte) raus.

Ich fand den Text etwas schwieriger zu lesen, aber er hinterließ bei mir doch ein sehr nachdrückliches, nachdenkliches Gefühl. Es insbesondere geliebten Menschen Recht zu machen (und zu scheitern), sich selbst isolieren, besser (geliebt) werden zu wollen, Hoffnung und Enttäuschung, irgendwann Resignation, Abschotten. Ob stets ein realer Raum (und/oder Schrank) oder irgendwan nur im Kopf/der Seele- bleibt für mich offen, aber das macht überhaupt nichts. Erschreckend real bleibt es trotzdem.


_________________
"Wenn ich nicht schreibe, fühle ich, wie meine Welt schrumpft. Ich empfinde, wie ich mein Feuer und meine Farben verliere." Anais Nin

Online frei erhältlich:
Herbsttag (Zwischendurchgeschichten, WIRmachenDRUCK.de, 978-3-9817672-9-2)
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Heidi
Geschlecht:weiblichReißwolf


Beiträge: 1425
Wohnort: Hamburg
Der goldene Durchblick


Beitrag13.01.2019 22:12
Re: Der Raum
von Heidi
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Text ist schon gut gemacht. Erst dachte ich, es handelt sich um eine psychisch kranke Mutter, die ihr Kind von der Außenwelt abschottet, dann dachte ich, es handelt sich um einen Text, der auf Kafka anspielt. Eingepfercht in diesem Raum, bewegungslos, was das Außen betrifft, nun aber denke ich was ganz anderes. Körper. Der Mensch und sein Körper, (s)ein Raum, den er bewohnt, eine ganze Zeit lang und irgendwann stirbt er.
Momentan verlässt er (der Mensch in diesem Text) den Körper nicht, kann er ja nicht, er pflegt ihn, der Mutter zuliebe, aber, auch sich selbst zuliebe. Im Alter wirds dann damit spärlicher, weil der Antrieb fehlt, das Innenleben wird dann weniger durchgespustet und am Ende dann die Musik. Soweit meine Interpretation. Aber wie du siehst, bietet der Text auch andere Möglichkeiten, er ist abstrakt genug gebaut, um mir mehr zu bieten als eine feste Aussage oder Botschaft.
An sich gefällt mir der Text, er ist unaufgeregt und erzählt mir etwas Allgemeinmenschliches, er kann in mehrere Richtungen ausgelegt werden. Das ist gut. So richtig bewegen, also im Nachhinein tut er mich allerdings nicht. Es gibt zwar im Text selbst viel Interpretationsfreiraum, aber darüber hinaus dann eher weniger.
Thema und Motto sind im Text spürbar umgesetzt. Was mir fehlt ist etwas Abefahrenes, was mich so richtig festsaugt und nicht mehr loslässt. Aber vielleicht kommt das noch beim nächsten Mal lesen. Mal schauen, wie viele Punkte es für dich werden.

---

Unglaublich aber wahr: Es sind zehn Punkte geworden.
Keine Ahnung, wie das jetzt passiert ist.
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d.frank
Geschlecht:weiblichReißwolf
D

Alter: 44
Beiträge: 1125
Wohnort: berlin


D
Beitrag14.01.2019 16:08

von d.frank
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Gefällt mir gut!
Im Wettbewerbsfaden wurde Kafka genannt - in seiner nüchternen Surrealität ließe sich der Text mit der kafkaesken Verwandlung vergleichen.
Was ich mag ist, dass der Text mich darüber nachdenken lässt, wann es wohl zu viel geworden ist. Zuerst ging das für mich so ein bisschen in Richtung Ilsebill - die ewig nörgelnde, weibliche Bezugsperson, die nie zufrieden ist- aber es taucht ja dann schon die Frage auf, wie viel Ansporn nötig ist. Wenn jemand in seiner Unbeschriebenheit noch nicht in der Lage ist, ein Blatt zu füllen, dann braucht es ja einen Lehrmeister, der ihn zu immer höheren Zielen führt. Am Ende ist der Protagonist zwar in der Lage, einen Raum zu dekorieren, ihn immer wieder neu und vermeintlich besser füllen, aber das kommt überhaupt nicht mehr aus ihm selbst. Der Raum, sein vermeintlich Inneres, bleibt leer, obwohl er gefüllt ist.
Die Mutter hat  schlussendlich eine eindeutige Position und das wäre das Einzige, dass ich am Text zu monieren hätte, weil ich finde, dass er damit seine eigene Offenheit untergräbt. Letztendlich finde ich viele und nachdenkenswerte Betrachtungsweisen darin: zu Beziehungen, zum Selbstbild und zum Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler, der Mutter hätte man hier vielleicht mehr Ambivalenz zugestehen können. Aber das sage ich jetzt auch nur einfach so, weil ich den Text ja nicht schreiben musste. wink
Bei den Vorgaben wird es dann schon ein bisschen schwieriger. Wo vereinen sie sich in ihm? Gerafftes Leben? Ein Raum - eine Gegend? Die eigene Seelenlandschaft? Das trifft schon alles, das kann man durchgehen lassen.
Und die Gegenwart, die unhaltbar ist? Klar, die unterliegt ja der ständigen Veränderung, weil sie anscheinend nicht aushalten zu ist. Von daher ein Favorit, dieser Text!

Edit: So sang- und klanglos wie der Titel auch ist, ist er treffend gewählt. Vielleicht hätte sogar auch einfach nur "Raum" gereicht. Raum geben, Raumzeit, räumen, Spielraum.
In meiner abschließenden Punktvergabe versuche ich eine Schnittmenge aus persönlicher Vorliebe und Einhaltung der Wettbewerbsregeln, also Texte, die mir persönlich etwas Neues erzählen und Texte, die das Beste aus den Vorgaben gemacht haben. Im Surrealismus geht so einiges, das könnte man dem Text vorhalten, dass er es sich gegenüber anderen Texten einfacher gemacht hat, einen wichtigen und streitbaren Inhalt abzubilden. Technisch greift er direkt die Vorgabe auf, erzählt in wenigen Absätzen über ein ganzes Leben, ohne sich großartige Ausreißer zu leisten. Die Frage der Perspektive hat der Text gekonnt über seinen Surrealismus gelöst. Ich verzeihe ihm jetzt auch die einseitige Darstellung der Mutter, obwohl die eigentlich ein Grund wäre, ihn weiter nach unten zu schieben. Im Endeffekt soll der Text aber wohl keine Lösung anbieten und um seinen Kern herauszuformen, hat es die Mutter eben gebraucht, sonst hätte man sich auf etlichen mehr Zeichen ausbreiten müssen. Ich mag die Gedanken, die der Text bei mir anschlägt, deshalb setze ich ihn auf Platz Drei meiner persönlichen Punkteliste.


_________________
Die Wahrheit ist keine Hure, die sich denen an den Hals wirft, welche ihrer nicht begehren: Vielmehr ist sie eine so spröde Schöne, daß selbst wer ihr alles opfert noch nicht ihrer Gunst gewiß sein darf.
*Arthur Schopenhauer
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firstoffertio
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Beitrag15.01.2019 00:00

von firstoffertio
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Das ist mir zu fiktiv. Selbst wenn der Raum, der Schrank ein Bild sein soll.
Und für einen Lebentext ist's mir zu wenig, und zu wenig gerafft.

Kurzzeitig hatte ich beim Lesen an einen Outsider Künstler gedacht, aber da ist keiner. Es wird hauptsächlich eine Metapher durchgespielt.
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UtherPendragon
Eselsohr
U


Beiträge: 402



U
Beitrag15.01.2019 06:48

von UtherPendragon
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Ok wow, ich finde diesen Text bedrückend und das ist zuvörderst ein kompliment, da ich ihn als Allegorie auf bspw. eine erziehungsbedingte Depression verstehe. Leider ist für mich kein Bezug zum Gedicht erkennbar, weder auf das Momentum des Widerrufs, noch in Bezug auf das Wesen der Zeit, allerhöchstens noch den Abschied mag ich erkennen, der jedoch m.E. keine zentrale Rolle einnimmt. Es gelingt mir leider nicht, diesen Text nach den Wettbewerbsvorgaben einzuordnen.

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Dies ist ein Text, der an jeden Deiner Beiträge angehangen werden kann. Es besteht ein Limit von 400 Buchstaben.
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Anoa
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A
Beitrag15.01.2019 10:25

von Anoa
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Guten Morgen,

das ist eine gut geschriebene und packende Geschichte.

Allerdings kam mir die Idee vertraut vor. Es gibt da so einen Film- "The Room", "Der Raum", der vergleichbar ist, also Vorsicht. Deine Geschichte hat mir aber besser gefallen als der Film.

Weiter so und liebe Grüße,

Anoa


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Mona Ullrich, Berlin
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Mardii
Stiefmütterle

Alter: 64
Beiträge: 1774



Beitrag15.01.2019 15:14

von Mardii
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Der Text ist eine sehr treffende Umsetzung des Themas Biographie. Sehr stimmige Geschichte, gut lesbar.
Ich habe nicht das Gefühl, dass die Zeit irgendwie gerafft ist und werde mir über seine Bedeutung nicht ganz klar.


_________________
`bin ein herzen´s gutes stück blech was halt gerne ein edelmetall wäre´
Ridickully
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Literättin
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Beitrag17.01.2019 08:45

von Literättin
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Schwer zu ertragen, ihm da zuzuschauen, wie er sich an der internalisierten Mutter abkämpft. Schön in treffende Bilder gesetzt, wie fehlgeschlagene Kindheit einem zusetzen, wie sie an einem innerlich kleben, wie sie einen besetzen kann und einen dazu verführt, wie die Fliege an der Fensterscheibe immer und immer wieder das gleiche Verhalten abzuspulen, obwohl es nicht in die Freiheit führt. Der Raum ist die Vergangenheit, in der er feststeckt. Der Schrank: der innere Rückzugsort, man könnte sagen die Notlösung, die nicht ins Leben führt. Das Ende lässt Hoffnung aufblitzen und versagt sie sogleich wieder. Ein Text, der mich mitnimmt. Ein E-Text und doch auch hier wieder: was ist mit der (Un)Haltbarkeit der Gegenwart? Vermutlich hat sie der Autor komplett anders interpretiert als ich, also nicht auf das Zeitliche bezogen, sondern eher in Richtung Unerträglichkeit? Er, der Protagonist ist ja nicht mit einem Fuß in der Gegenwart angekommen. Er steckt ja in seiner Vergangenheit fest. Und die Stundung der Zeit? Ich finde sie nicht. Dennoch ein Text, der mich im Lesen gefangen hält wie seine Hauptfigur.

_________________
when I cannot sing my heart
I can only speak my mind
- John Lennon -

Christ wird nicht derjenige, der meint, dass "es Gott gibt", sondern derjenige, der begonnen hat zu glauben, dass Gott die Liebe ist.
- Tomás Halík -

Im günstigsten Fall führt literarisches Schreiben und lesen zu Erkenntnis.
- Marlene Streeruwitz - (Danke Rübenach für diesen Tipp.)
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Kiara
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Beiträge: 1404
Wohnort: bayerisch-Schwaben


Beitrag17.01.2019 11:21

von Kiara
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Dies ist eine Standard-Antwort: Vielen Dank für deinen Text! Ich bitte um Verständnis, dass ich (momentan) keine Begründung dafür abgebe, warum du von mir Punkte bekommen hast. Das liegt unter anderem daran, weil die (sogenannte) Klassifizierung von E-Literatur wenigstens teilweise subjektiv ist.
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Nihil
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Moderator
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Beiträge: 6039



Beitrag17.01.2019 18:33

von Nihil
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Das ist ein Text, in dem ich viel von meinen eigenen Themen wiederekenne. Vielleicht ist er mir auch deshalb so lieb. Da wird parabelartig und nicht realistisch – erstaunlicherweise eine Seltenheit in diesem Jahr – vom Leben eines Menschen berichtet, der die Regeln (seiner Mutter) nie in Frage gestellt hat und ihre Befehle, wie die Inneneinrichtung zu gestalten sei, als einziges Ausdrucksmittel kennt. Dabei jagt er einer alten Erinnerung nach, als noch alles gut war mit seiner Mutter und sie nicht, für ihn so wenig nachvollziehbar, mürrisch und unzufrieden mit jeder Veränderung wurde. Der Protagonist betritt die äußere Welt nie, versucht sich aber dennoch, ihr durch etliche „Renovierungen“ seines „Zimmers“ anzupassen oder anzubiedern, um ihr zu gefallen, zu hoffen, dass andere den ersten Schritt wagen mögen, damit er seiner Einsamkeit entkommen kann. Dass er daran naturgemäß scheitern muss, weil er durch seine sozialen Phobien  keinen Kontakt mit der äußeren Welt aufnimmt, sie und ihre Menschen gar nicht kennen kann, ist so tragisch wie unabwendbar.

Nuuuur ... ob der Zeitaspekt hier so eine zentrale Rolle spielt? Zwar geht es um ein ganzes Leben und die Erzählhaltung ist hier eine der wenigen, die den Vorgaben des Wettbewerbs entspricht. Von Raffung lässt sich hier zwar reden, auch den „Widerruf“ erkenne ich in der sich ändernden Einrichtung. Dennoch bleibt das Zeitgefühl hier fast völlig außen vor. Hm. Ich muss nochmal überlegen, was mir hier wichtiger ist.
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hobbes
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Beitrag17.01.2019 21:12

von hobbes
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Hallo.

Beim wiederholten Lesen habe ich beschlossen, den Raum als Metapher für den Mensch selbst zu lesen. Ich bin mir nicht sicher, ob das von dir so beabsichtigt war.
Ich habe das so beschlossen, weil sich der Text ansonsten doch eher träge vor sich hinschleppt. Mit diesem Beschluss eigentlich auch, leider.

Das ist ja im Grunde eine abgrundtief traurige Geschichte. Nur leider kommt nichts von dieser Traurigkeit bei mir an. Ich lese es, ich verstehe es, ich denke, Herrje, was für ein verschwendetes Leben, aber das ist alles im Kopf. Und nicht fühlbar.

Ich habe gerade versucht, es am Text festzumachen, also warum der Text bei mir so ankommt (das heißt, er kommt ja gerade nicht bei mir an). Leider bin ich damit gescheitert. Ich hoffe doch sehr, beim Lesen der anderen Kommentare wird mir ein Licht aufgehen.
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V.K.B.
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Wohnort: Nullraum
Das goldene Rampenlicht Das silberne Boot
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Beitrag20.01.2019 00:08

von V.K.B.
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Hallo Inko,
auf den ersten Blick eine sehr belanglose Geschichte über Unzufriedenheit mit der Zimmereinrichtung (könnte man jedenfalls denken, ich hab sofort allegorisch gelesen), auf den zweiten Blick das traurige Leben von jemandem, der sie nie selbst findet und immer nur versucht, anderen zu gefallen, einsam bleibt und daran zerbricht. Ich denke, es gibt zu viele Menschen, die so leben.

Ich lese deine Geschichte folgendermaßen: Als Kind ist er sehr auf die Mutter fixiert, die ihm aber keine Geborgenheit gibt, das Urvertrauen wird zerstört und er zweifelt an sich, beginnt, alles auf sich zu attribuieren (er sei es, der den Wohn/Lebens_Raum gestalten müsse). Er gibt seine eigenen Wünsche auf, sein eigenes Selbst, und setzt alles daran, der Mutter zu gefallen. Doch er hat keine Chance, kann es ihr nie rechtmachen. Irgendwann der Bruch, er versucht, allein klarzukommen. Sehr schön: Er kann sich nicht mehr daran erinner, wie der Raum vorher aussah, als er ihn mochte. Er bleibt auf der Suche nach sich selbst, aber findet nichts wieder, das seine eigene Persönlichkeit ausmacht, weil er alles verbogen hat, um seine Mutter zufriedenzustellen.
Irgendwann hat er eine Beziehung, doch er bleibt unsicher, fragt sich, ob er ihr genüge. Wieder gibt er sich selbst auf und setzt alles daran, der Freundin/Frau zu gefallen. Die will aber jemanden mit eigener Persönlichkeit und die Beziehung/Ehe zerbricht daran.
Wieder ist er allein und orientierungslos, zudem zutiefst frustriert. Er probiert alles mögliche aus, aber findet nichts, dass ihn ausmachen würde. Immer mehr zieht er sich zurück (Schrank=soziale Isolation) und entwickelt immer mehr Ängste, die von seinen Mitmenschen fernhalten. Nur allein ist er sich genug, wenn auch nicht glücklich. Er träumt nur noch von einem besseren Leben, tut aber nichts mehr, es zu erreichen, weil er den Glauben an diesen Traum längst verloren hat.

Ich denke, es geht sehr vielen Menschen so. Sie sind speziell, unverstanden, ecken an und finden nie ihren Platz. Verlieren ihre Selbstsicherheit, ihr Selbstwertgefühl und bleiben auf der Strecke, verschwinden immer mehr in der sozialen Isolation. Ich kann das sehr gut nachvollziehen, und habe gerade eine Vermutung, wer das geschrieben haben könnte. Hätte man in dem Raum mal so einen rundlichen kleinen Herrn mit sonderbaren Essgewohnheiten vorbeischicken sollen? Aber okay, ich hör jetzt auf zu spekulieren, ich verhau mich da eh immer.

Vorgaben sind umgesetzt, finde ich ich, nichts zu meckern. Das Motto sehe ich in den Träumen, der Hoffnung, dass es irgendwann besser wird, ohne dass der Protagonist merkt, wie ihm die Zeit davonläuft. Die Gegenwart ist für ihn unhaltbar, er versucht sich immer an Veränderungen, aber letztendlich doch gehalten, denn es ändert sich nichts.

Aber ist das E? Dass man die Geschichte nicht so lesen soll, wie sie da steht, sondern auf einer anderen Ebene, war mir von Anfang an klar. Es ist eine Allegorie, sozusagen eine Stellvertreter-Geschichte für etwas anderes, was sich der Leser selbst denken muss. Für mich ist das keine darunterliegende zweite Ebene, sondern eine zu bringende Deutung, wenn man mit der Geschichte was anfangen will. Sprachlich recht einfach und verständlich gehalten, ohne große Experimentierfreude. Mir hätte die Geschichte noch besser gefallen, wenn sie auch auf der ersten Ebene etwas hergeben würde und sich die allegorische Lesung nicht sofort aufdrängen würde. In der Kategorie muss ich daher ein paar Punkte in der internen Wertung abziehen. Aber ich hoffe, dass am Ende auch in der Forenwertung noch Punkte für dich übrigbleiben, denn ich mag die Geschichte und habe sie sehr gerne gelesen.

PS: Ein paar Tippfehler sind noch drin, auch das mindert das Lesevergnügen etwas, weil man denkt, der Autor oder die Autorin hätte sich da bei einem solchen Wettbewerb mehr Mühe geben können. Aber das ist nur ein kleiner Wermutstropfen, dem ich in der Wertung keine Bedeutung beimesse.

Beste Grüße,
Veith


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Hang the cosmic muse!

Oh changelings, thou art so very wrong. T’is not banality that brings us downe. It's fantasy that kills …
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a.no-nym
Klammeraffe
A


Beiträge: 699



A
Beitrag21.01.2019 03:08

von a.no-nym
Antworten mit Zitat

Hallo Inko,
ich habe eine Weile gebraucht, um mich Deinem Text anzunähern. Nach dem ersten Lesen stand ich etwas ratlos mitten im Raum vor dem "Schrank" und kritzelte beim Gehen lediglich ein "Nochmal lesen!" ans Türschild. Ich war ehrlich gesagt erstmal froh, an die frische Luft zu kommen, denn es war bzw. ist doch recht bedrückend und düster da drinnen... Bei jedem weiteren Besuch wirkte der Raum verändert, weitete (oder verengte) sich, bot andere Ein- und Aussichten. Diese ganz eigene Art, das Leben einer Figur zu erzählen, fasziniert mich. Trotzdem (und das bitte ich durchaus als Kompliment zu verstehen) bin ich jedesmal wieder so sehr von der Trostlosigkeit und Unausweichlichkeit bedrückt, dass ich hinterher unbedingt etwas Heiteres "zu  mir nehmen" muss...

Auf jeden Fall ist dies ein Kandidat für meine Top 10 Smile

Für Text und Inko alles Gute!
Freundliche Grüße
a.
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Eredor
Geschlecht:männlichDichter und dichter

Moderator
Alter: 32
Beiträge: 3416
Wohnort: Heidelberg
Das silberne Stundenglas DSFx
Goldene Harfe Pokapro III & Lezepo I


Traumtagebuch
Beitrag21.01.2019 13:02

von Eredor
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Ich bin hin und hergerissen. Du erzählst das ganze Leben durch die Allegorie des Raumes, der für Einrichtung, Selbstwahrnehmung, für die Arbeit an der eigenen Persönlichkeit und auch Fremdwahrnehmung stehen kann. Der Text also spielt auf einer Meta-Ebene in einem nicht-existenten Raum. Mich beeindruckt sehr dein Konzept, das du dir zum Thema gemacht hast. Ich frage mich aber schon länger, warum ich dem Text keine 12 Punkte geben will. Mittlerweile glaube ich, eine Antwort zu haben: Mir ist die Allegorie noch nicht ausgereizt genug. Es gibt ein paar Bezugspunkte, es gibt den Schrank, in den zu unterschiedlichen Lebensstationen eingezogen wird, weil er für das Vertraute steht, für das Unveränderliche, selbst wenn sich die Position des Schranks verändert. Vielleicht ließe sich sagen, der Schrank ist die Heimat. Denn im Raum fühlt sich der Protagonist, seit die Mutter sich darin nicht mehr wiedererkennt, nach dessen Umstrukturierung nicht mehr wohl. Es gibt auch Momente, in denen die Außenwelt in den Raum eindringt. Das ist dann sie. Das Problem ist, dass sonst niemand diesen Raum zu betreten scheint, weil der Protagonist niemanden hereinlässt. Eine kluge Entscheidung, um sich ganz auf die Allegorie des Raums konzentrieren zu können, aber dadurch wird es unnatürlich. Du kannst in thermodynamischen Betrachtungen alle Zustandsvariablen als konstant definieren, um eine spezielle Variable zu betrachten. Aber damit bist du noch nicht in der Realität angekommen. Ich sehe also kein Leben vor mir, sondern eine schöne Allegorie. Und deshalb ziehe ich einige Punkte ab. Was nicht heißt, dass ich deinen Text nicht sehr gut fand, aber ich habe so viele Favoriten, dass ich irgendwie sortieren muss.

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"vielleicht ist der mensch das was man in den/ ersten sekunden in ihm sieht/ die umwege könnte man sich sparen/ auch bei sich selbst"
- Lütfiye Güzel
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Municat
Geschlecht:weiblichEselsohr

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Beitrag21.01.2019 13:06

von Municat
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Moin Inko smile

Ein Raum als Spiegel für das Seelenleben und die gescheiterte Selbstfindung eines Menschen - interessantes Bild, finde ich. Kann sein, dass ich komplett auf dem Holzweg bin, aber ich sehe hinter dem Bild mit dem Zimmer folgende Entwicklung:

Zuerst steht der Raum für das schräge Verhältnis Deines Protas zu seiner Mutter. Ihr will er alles recht machen. Er versucht, der Mensch zu sein, den sie haben will und scheitert an dem Versuch. Zuerst zieht er sich in sein Schneckenhaus zurück, dann schiebt er die Mutter aus seinem Leben, weil er der Situation nicht gerecht wird. Nachdem er sich eine Weile lang einigelt und seinen Träumen nachhängt, lässt er eine Frau an sich heran. Er ist erstaunt, dass diese nicht (wie seine Mutter) versucht, ihn zu verändern, sondern ihn so nimmt wie er ist.

Mit dieser Freiheit kommt er nicht klar und versucht genau der Mensch zu sein, den sie haben möchte. Krampfhaft versucht er zu erraten, wie sie ihn haben möchte und vergisst darüber komplett, wer er selbst ist. Seine Freundin verliert das Interesse an ihm, weil sie seine eigene Persönlichkeit vermisst. Sie will eben keinen Ja-Sager an ihrer Seite, sondern einen Menschen mit eigenem Kopf.

Nach der Trennung versucht der Prota noch eine Weile verzweifelt, sich selbst zu finden. Das scheitert wohl daran, dass er sich immer nur über andere Menschen definiert hat, nie über sich selbst. Nach einer Weile kriecht er zurück in sein Schneckenhaus. Allerdings lässt Du ihm einen Hoffnungsschimmer. Oder auch nicht, wenn ich den letzten Satz lese. Hmmmm.

Wenn der Text tatsächlich so gemeint ist, wie ich das hier ersponnen habe, ist er difinitiv mehrschichtig. Er versucht eindeutig an mehreren Stellen, die Gegenwart festzuhalten und schafft das nicht, weil die Zeit weiter läuft. Das Thema ist also umgesetzt.

Punkte vergebe ich erst, wenn ich alle Beträge kommentiert habe.

ediTier
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MoL
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Das bronzene Stundenglas


Beitrag21.01.2019 20:44

von MoL
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Man sollte meinen, lieber Inko, dass sich die Raummetapher irgendwann im Laufe des Textes abnutzt, aber das tut sie irgendwie nicht. Sehr gerne gelesen! Smile

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"Menschen und andere seltsame Wesen"
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Hexenherz-Trilogie: "Eisiger Zorn", "Glühender Hass" & "Goldener Tod", Acabus Verlag 2017, 2019, 2020.
"Die Tote in der Tränenburg", Alea Libris 2019.
"Der Zorn des Schattenkönigs", Legionarion Verlag 2021.
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Michel
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Das bronzene Bühnenlicht Das goldene Niemandsland
Der silberne Durchblick Der silberne Spiegel - Prosa
Silberne Neonzeit


Beitrag22.01.2019 15:56

von Michel
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Ein Leben in einem Raum. Nie zufrieden, ständig am Ändern, Warten auf den „richtigen“ Ausdruck, den richtigen Moment, der bis zum Ende nie kommt. Originelle Idee, facettenreiche Ausführung, Symbolik zuhauf. Und zu direkt. Die Sprache dient lediglich als Werkzeug, um die Geschichte zu erzählen, ich ahne eine zweite Bedeutungsebene, die auf mich aber eher farblos wirkt. E, also wirklichE? Wahrscheinlich so wenig wie mein eigener Text.
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lilli.vostry
Wortschmiedin


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Wohnort: Dresden


Beitrag23.01.2019 00:49
aw:DerRaum
von lilli.vostry
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Hallo,

der Titel hat mich neugierig gemacht. Ein Raum, in dem ein Mensch sein ganzes Leben verbringt; aber nicht mit leben, sondern mit einrichten. Immer wieder anders, in Perfektionszwang. Vom Jungen, der versucht alle Wünsche seiner Mutter zu erfüllen bis zum Mann, der den Raum nach der Kleiderfarbe der Frau immer wieder neu streicht. Die Zeitraffung geschieht hier vor allem durch Wiederholung, Dehnung, Monotonie des Gleichen...

Liest sich dadurch auch wenig spannend. Man wartet auf einen Ausbruch, hofft darauf, doch der Erzähler verkriecht sich immer wieder im Schrank, träumt wie es sein könnte, den Raum mit Leben zu füllen...

Eine sonderbare Geschichte, ein bisschen märchenhaft, erinnert ein wenig an die traurigen Dinggeschichten von Andersen, surreal, skurril und tragikomisch. Wie der Mann so wurde, was es damit auf sich hat, mit diesem Drang alles ändern zu wollen, warum er gar keinen eigenen Geschmack, Stil hat, nur auf andere hört, bleibt verborgen. Ist einseitig übertrieben.
Dieses Festhalten nur an Äußerlichkeiten. Wodurch er die Menschen verliert, denen er nahe sein möchte.

Ein paar Rechtschreibfehler stehen auch drin.

Hat mich nicht ganz überzeugt Dein Text. Hab ihn dennoch gern gelesen, er ist anrührend geschrieben, regt zum Nachdenken an - wie viel oder wenig braucht es in einem Raum, um ihn mit Leben zu erfüllen, sich wohlzufühlen und glücklich zu sein und dies sichtbar gespiegelt zu finden...

Für mich gehört Dein Text zu den zehn besten in diesem Wettbewerb.

Viele Grüße,
Lilli


_________________
Wer schreibt, bleibt und lebt intensiver
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Jenni
Geschlecht:weiblichBücherwurm


Beiträge: 3310

Das goldene Aufbruchstück Die lange Johanne in Gold


Beitrag23.01.2019 01:19

von Jenni
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Das Leben eines Menschen erzählt durch die Beschreibung einer Verbildlichung seines Innenlebens, das ist schon ein interessanter Ansatz. Beim ersten Lesen kommt das zunächst als etwas seltsame Geschichte über eine Mutter-Sohn-Beziehung daher, die dann immer skurriler wird und schließlich eine Metapher für sich selbst, das konnte man rechtzeitig begreifen, bevor er so einsam in seinem Raum wurde und die Unaussprechlichkeit dieses In-sich-zurückziehen gut mitfühlen. Überhaupt Respekt: Das ist ja nicht leicht, mit einer derart distanzierten, sachlichen Erzählweise und einer so deutlichen Abstraktion, Einsamkeit spürbar zu machen, Mitgefühl zu erzeugen, und das gelingt dir, und auch gibt es zu denken, wie sehr wir andere Menschen in ihrem Innersten beeinflussen können, ohne das von außen zu „sehen“. Beim zweiten Mal lesen dann darf ich die Kunstfertigkeit der Details bewundern, wie das arme Kind versucht seine Mutter zufriedenzustellen, die an ihm rummeckert und ihn später verlässt, wovon ihm ein lebenslanges Gefühl der Unzulänglichkeit zurückbleibt und das dauernde Bemühen etwas „richtig“ zu machen. Das ist schon gut gemacht.

Das Thema, da habe ich nicht nur bei diesem Text das Gefühl, Vorgabe 1 (ein ganzes Leben zeitgerafft) habe es sich da einfacher gemacht, klar, Vergänglichkeit ist irgendwo unhaltbare Gegenwart, aber auf doch recht unspezifische Weise. Was vielleicht doch heißt, dass diese Vorgabe schwieriger war. Das Motto lese ich nicht heraus, aber das geht mir mit vielen Texten so.
Vier Punkte von mir.
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