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Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Antiquariat -> Zehntausend 01/2019
Warum sah Max von Sydow auf seine Uhr und schwieg?

 
 
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Constantine
Geschlecht:männlichBücherwurm


Beiträge: 3311

Goldener Sturmschaden Weltrettung in Bronze


Beitrag01.01.2019 20:00
Warum sah Max von Sydow auf seine Uhr und schwieg?
von Constantine
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Warum sah Max von Sydow auf seine Uhr und schwieg?


Da! Die volle Minute, Max. Du wirst mir verzeihen, bin zu faul, um mir irgendeinen Startpunkt zu merken. Meine kontrollierte Spontaneität. Das Wo ist für den Augenblick unwichtig. Es ist nur ein Ort, wie dieser Wanderweg oder der Mistkäfer vor mir, der seine Dungkugel rollt. Er könnte sie auch dort drüben bei den Kühen auf der Weide, irgendwo in einem Keller oder auf dem Mars vor sich herschieben. Es wäre dem Moment egal, wo der Käfer sich befindet, oder der Specht, den ich gerade hämmern höre, oder wo ich bin. Bedeutender sind das Wie und das Warum. Warum bin ich hier auf diesem Wanderweg, blicke auf meine Uhr und schaue dem Insekt zu? Der Zeiger stockt, springt um eine Einheit, stockt wieder, springt erneut. Stillstand in der Bewegung oder Bewegung im Stillstand? So konstant und konsequent der Uhrzeiger den Moment auch fortfegt, so inkonsequent ist er in seiner Konsequenz. Er hält inne und enthält so viel zwischen jedem Ticken.

Über mir nähert sich ein Kondensstreifen einem anderen, berührt ihn fast. Wie in Zeitlupe und von Geisterhand malt sich diese weiße Linie in den blauen Himmel. Der Fingerzeig Gottes, pflegte mein Großvater dazu zu sagen. Ein schöner Gedanke, aber nein, Gott hat damit nichts zu tun. Gott hat mit all dem hier nichts zu tun, nicht mit dem Wald, der Wiese, dem Wanderweg, den Tieren. Diesen Moment habe ich erschaffen und ich bin neugierig, was er mir bringen wird.

Hier, vor meinen Füßen ist ein Mistkäfer. Er ist schwarz, hat sechs Extremitäten und ist determiniert. Wie viele Zentimeter legt ein Mistkäfer in einer Minute zurück? Ganz klassisch, der Käfer mit seiner Dungkugel. Er rollt sie im Rückwärtsgang mit seinen Hinterextremitäten und stößt sich dabei mit seinen Vorderbeinen ab. Auf diesem Wanderweg scheint er genau zu wissen, wohin es lang geht, hält Kontakt mit seiner Kugel und schiebt Millimeter für Millimeter dieses Ungetüm von Mehrfachem an Masse seines eigenen Körpergewichts. Er hat keine Angst, überrollt zu werden. Denkt nicht daran. Nein.

Zur Rechten grenzen Ahornbäume an den Weg. Die Sonne färbt die Blätter in unterschiedlichste Grünschattierungen, von grell bis zu tiefgrün, und ein leises Rascheln verbindet sich mit dem Hämmern des Spechts. Drüben auf der umzäunten Weide stehen verteilt acht Kühe und grasen. Ihre rostbraunen Felle leuchten im Sonnenlicht, als wären sie mit Kupfer bedeckt, ihre Kopfenden wirken wie Sahnehauben. Acht rosa Zungen, sechzehn kupferne Ohren, vierundzwanzig Hufe, acht wedelnde Schwänze und bestimmt unzählige Fliegen. Wo Kühe sind, sind Fliegen. In der Ferne hallt das Hämmern eines Spechts zum dritten Mal. Er möchte mir irgendetwas sagen. Irgendwas möchte er mir in den Kopf hämmern, was ich vergessen habe. Dessen bin ich mir sicher, sonst würde ich ihn nicht, nein, sonst würde ich alles um mich nicht so intensiv wahrnehmen.

Was denkst du darüber, Max? Was hast du gedacht, als du deiner Kollegin Liv gegenübergessen bist und eine Minute lang schweigend auf deine Uhr geblickt hast? Oder dachtest du nichts, so wie dieser Käfer, der unerschütterlich weitere Zentimeter zurückgelegt hat und für den Zeit nichts ist? Wie viele Atemzüge tätige ich, während ich ihm dabei zusehe? Ist es nicht so, dass eine Minute ein unbeachtetes Dasein fristet? Wo weiß man noch, eine Minute zu schätzen? Im Sport zählen meist Sekunden, Hundertstel und Tausendstel entscheiden über Treppchenplatz, Gold, Silber, Bronze. Im Beruf spricht man von der Arbeitszeit, der Achtunddreißig- oder Zweiundvierzig-Stundenwoche. Was zählt, ist der Stundenlohn, aber die letzte Arbeitsminute, die traut sich keiner laut zu wertschätzen, sie wird heimlich herbeigesehnt und das innere Lächeln hinter einem gottergebenen ›Oh, schade, schon Feierabend‹ versteckt. Und diesen Käfer da, den interessiert das alles nicht. Auch nicht das Laubblatt, das ihm den Weg versperrt, er manövriert seine Kugel geschickt drum herum und legt wieder einige Zentimeter zurück, genauso wie mein Sekundenzeiger, der Halbzeit signalisiert.

Der Kondensstreifen über mir schneidet den anderen und zieht genauso unbeirrt weiter. Warum blicke ich auf meine Uhr und denke an Max von Sydow? Auch ich schweige, wie er einst. Auch ich möchte anscheinend einen Punkt deutlich machen. Aber mir sitzt keine Liv Ullmann gegenüber. Niemand wird hiervon erfahren und niemandem werde ich meinen Standpunkt erläutern. So wie immer. Ich mache alles mit mir aus. Ich erinnere mich nicht mehr, wann ich das letzte Mal jemanden um Rat gefragt habe, wann etwas so sehr in mir rumort hat oder nach außen wollte, dass ich es mit jemandem teilte. Dieser wundervolle Augenblick hier beispielsweise. Wie soll ich den mit jemandem teilen? Jeder, der wie ich hier steht, sieht das Gleiche und doch auch nicht. Paradox, aber so ist es. Jeder wird anders empfinden und jeder wird etwas anderes wahrnehmen.

Sag mir Max, was ist der Punkt in meinem Stillstand hier? Die Veranschaulichung einer nicht enden wollenden Dauer einer einzelnen Minute? Oder der Vorbote meines beginnenden Wahnsinns, weil ich hier stehe, einem Mistkäfer zusehe und mit dir einen inneren Monolog führe? Ist es meine Art von Humor, dass ich an die Szene mit dir und Liv denken musste und hier und jetzt die Gelegenheit nutze, sie auf meine Weise nachzuspielen? Oder möchte mir meine Seele hier und jetzt etwas beibringen, was ich noch zu lernen habe? Dann solltest du dich aber beeilen, denn das letzte Drittel ist angebrochen und ich bin im Vergleich zu den anderen weiterhin noch so weit wie zuvor. Der Mistkäfer ist einige Zentimeter weitergewandert, die Kühe haben sich bewegt, einige liegen zusammengerottet im Gras und manche blicken gelangweilt zu mir rüber, was ich absolut nachvollziehen kann. Max, mich hat dein ewiger Blick auf die Uhr auch gelangweilt, und doch ist er mir in Erinnerung geblieben. Nun bin ich selbst der Langweiler: Alles um mich ist in Bewegung, nur ich stehe da und es macht mir nichts aus.

Der Himmel ist wie Kaffeesatzlesen. Großmutter müsste jetzt bei mir sein, sie würde Großartiges darüber zu erzählen wissen, was mir die Zukunft bringt: Ein riesiges, von blau umgebenes Himmelskreuz, die Kondensstreifen haben sich an ihren Enden zu Puderzucker aufgelöst und Schleierwolken erstrecken sich wie zarte Zuckerwatte bis zum Horizont. Großvater würde sich jetzt bekreuzigen und dabei lächeln. Auch ich lächle, weil ich meinen Großvater und Himmelskreuze mag, aber ich bekreuzige mich nicht. Nicht für Kondensstreifen, nicht für die Luftfahrt und nicht für die Passagiere.

Das Ticken des Zeigers vollendet die Minute. Ich schätze die Strecke ab, die der Mistkäfer mit seiner wertvollen Kugel zurückgelegt hat und welchen Weg er noch vor sich hat. Tue ich das nicht auch? Schiebe irgendwas vor mir her, was mich überrollen könnte? Anstelle es zu ändern, schiebe ich es über Steiniges, über Unebenheiten, über Steigungen, und droht es nach links oder nach rechts abzudriften, halte ich die Spur, halte den Kontakt, berühre es, justiere und rolle es weiter vor mir her.
Max, ich lächle und weißt du was, ich beginne eine weitere Minute.
Weißt du warum?
Weil ich es kann.
Punkt.

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lebefroh
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Beitrag11.01.2019 22:38

von lebefroh
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Hhm. Ich sehe die Vorgaben nicht als erfüllt.

Der Text ist gut geschrieben, ich habe ihn auch nicht ungern gelesen. Du findest schöne Worte, setzt sie sicher und präzise. Ich habe allerdings keine Ahnung, was jetzt mit Max von Sydow ist.

Egal. Ich sehe so oder so nicht, wie hier Geschehnisse "einer ganzen Gegend" dargestellt werden.

Leider keine Punkte.
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Tape Dispenser
Geschlecht:männlichEselsohr
T


Beiträge: 272



T
Beitrag11.01.2019 22:55

von Tape Dispenser
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Thema und Vorgaben: Die Zeitdehnung wir hier mit dem wandernden Sekundenzeiger angezeigt, funktioniert für mich aber nicht. Auch finde ich hier nur wenig Ereignisse von einer Stadt/Gegend. Der Mistkäfer rollt seine Kugel, die Protagonistin rollt Gedanken in ihrem Kopf und ansonsten passiert alles im Sichtfeld und der Erinnerung.
Acht Kühe hätten bei mir übrigens 32 Beine, es sei denn, sie wären dreibeinig, was ich aber nicht als Absicht des Verfassers/der Verfasserin ansehe, sondern als Nachlässigkeit.  

Man könnte den Text auf die Schwierigkeiten deuten, die der/die Autor(in) beim Schreiben dieses BEitrags zu diesem Wettbewerb hatte. Mir sind zu viele nichtssagende Worthülsen enthalten, die zwar helfen die Erzählzeit zu dehnen, aber nichts aussagen - jedenfalls mir nicht.
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V.K.B.
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Beitrag11.01.2019 23:23

von V.K.B.
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Hallo Inko,

Ha, verdammt, ich mag diesen Text. Habe ihn gerne gelesen, bin mit den Gedanken mitgegangen und habe gedacht: cool, hier hat sich jemand was getraut. Hätte ich auch so machen sollen. Ich würde gerne Punkte geben, aber:
Vorgaben hat Folgendes geschrieben:
Wählt ihr Vorgabe (2), die Zeitdehnung der Ereignisse einer Stadt/Gegend in einer Minute, so ist es wichtig, dass das Mittel der Zeitdehnung tatsächlich auf mehrere Orte parallel angewendet wird, also erzählt wird, was in der Minute an verschiedenen Plätzen gleichzeitig geschieht.
und im Fragethread:
Bananenfischin hat Folgendes geschrieben:
Nach oben ist es im Prinzip offen, kleiner als ein Straßenzug sollte die "Gegend", pauschal gesagt, nicht werden.

Das sehe ich hier leider nicht umgesetzt. Nichts von verscheiden Plätzen, wir bleiben bei einem Protagonisten, nur ein paar Kühe und ein Käfer in seiner Sichtweite kommen noch vor, sonst nur ein innerer Monolog und Gedanken.

Damit sehe ich die Vorgabe leider als nicht umgesetzt und muss den Text aus meiner Wertung disqualifizieren. Auch wenn er noch so gut zum restlichen Thema passt. Sorry.

Trotzdem sehr gerne gelesen,
Veith

Edit: Trotz dass ich dem Text in meiner internen Wertung durch die für mich nicht erfüllte Vorgabe massiv Punkte abziehen musste, landet er immer noch im Mittelfeld, so gut gefällt er mir. Für Punkte im Wettbewerb reicht es aber leider nicht mehr.


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firstoffertio
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Beitrag12.01.2019 00:52

von firstoffertio
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Hier habe ich das grundsätzliche persönliche Problem, dass ich nicht weiß, warum Max von Sydow und welche Szene/Gespräch mit Liv Ullmann angesprochen werden. Scheint aber ja wichtig für den Text zu sein. Oder?

Irgendwie nehme ich ihm den Mistkäfer nicht ab, Die Beschreibungen des Himmels, der Kondensstreifen scheinen mir, ja, irgendwie manieriert.

Am besten gefällt mir der Schluss. Und dies:

Zitat:
So konstant und konsequent der Uhrzeiger den Moment auch fortfegt,


Zeitdehnung an verschiedenen Orten in der Minute ist mir nicht genug gegeben.
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Eredor
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Traumtagebuch
Beitrag12.01.2019 13:26

von Eredor
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„Der Himmel ist wie Kaffeesatzlesen.“

Bam! Da ist er. Ein hammermäßiger Satz, direkt ins Textgebilde geschlagen.
Davon gibts noch mehr. Aber leider muss ich Abstriche machen: du erfüllst die Vorgaben nicht. Meiner Meinung nach beschreibst du hier keine Gegend mit einzelnen Orten, sondern nur einen Ort. Woran ich das festmache: Das einzige „Ereignis“ dieser Geschichte sind Max und der Käfer. Was schade ist, weil die Geschichte in Sachen Sprache, Witz und Botschaft sehr stark ist.


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Literättin
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Beitrag13.01.2019 09:21

von Literättin
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Ich habe ein Problem mit dem Titel: Ich muss tatsächlich Max von Sydow googeln und nach der Uhr-Szene suchen, finde sie aber nicht. Ich muss also erst einmal ohne diese Szene mit dem Text klarkommen, habe allerdings jetzt hohe Erwartungen, weil der Titel spannend klingt, Neugier erzeugt und "sich" so "wichtig macht". Was folgt, scheint erst einmal nur eine minutiöse Schilderung kleiner Ereignisse auf einem Wanderweg. Da ist ein Mistkäfer unterwegs, da sind Kühe in der Ferne, ein Specht hämmert. Eine Spaziergängerin (zumindest sehe ich sie als Frau vorm inneren Auge) denkt nach. Das Wo sei für den Augenblick unwichtig wird mir erzählt, doch diese Suggestion läuft für mich ins Leere, weil ich in der folgenden minutiösen Betrachtung immer deutlicher mich auf einem Waldweg wiederfinde, in der Betrachtung eines bzw. mehrerer Geschehen und das Wo für mich als Leser hier durchaus wichtig wird. Eine Ungenauigkeit hat sich eingeschlichen: ein Mistkäfer ist kein Ort.
Dann wird die große oder kleine Warum-Frage bemüht, die mich nicht erreicht, vielleicht zu "naiv" und zu geradeheraus gestellt oder wirklich zu bemüht und auch die folgenden hin und her gedrehten Fragen erreichen mich nicht:

Zitat:
Der Zeiger stockt, springt um eine Einheit, stockt wieder, springt erneut. Stillstand in der Bewegung oder Bewegung im Stillstand? So konstant und konsequent der Uhrzeiger den Moment auch fortfegt, so inkonsequent ist er in seiner Konsequenz. Er hält inne und enthält so viel zwischen jedem Ticken.


Ein Inhalt der folgenden Betrachtungen bleibt mir verschlossen, die Fragen, der hergestellte Zusammenhang zwischen einer Filmszene, dem Leben der Protagonistin (vermute ich) und dieser geschilderten Landschaftsminute erschließt sich mir nicht. Am Ende bin ich neugieriger auf den Film, den ich vielleicht kenne aber nicht erinnere als auf diesen spröden, irgendwie leer bleibenden Text, der sich mir verschließt. Innerlich zusammenhanglos steht er für mich da. Und etwas ratlos verlasse ich ihn. Was mir bleibt und gefällt, ist eine idyllische Landschaft mit leuchtendem Ahorn, kupfernen Kuhohren und einem Kondensstreifenhimmel. Seltsamer Weise habe ich einen ganz konkreten Waldrandweg hier vor Ort im Kopf, den ich mal wieder aufsuchen könnte.

E – ich würde sagen ein Versuch von E. Ich sehe diesen Text dabei eher als Abschnitt in einem Frauenroman (keine Chicklit, kein Liebesroman, eher einer der früheren genrefreien Frauenliteratur) und ich kann nicht einmal sagen was mich dazu bringt, diesen Text so zu verorten. Die Fragen, die im Text aufgeworfen werden erscheinen mir allerdings ein wenig „vordergründig tiefgehend gemacht“. Die (un)haltbare Gegenwart – hier die festgehaltene Minute, deren Bedeutung(gslosigkeit) untersucht wird. Im Schlusssatz klingt die positive Bejahung über die „Selbstwirksamkeit“, an: die Kontrolle über die eigene Lebenszeit haben. Was mir in diesen Text wiederum den Roman anklingen lässt: der heranreifender Entschluss der Frau, das Leben in die eigenen Hände zu nehmen, selbst wieder in Erscheinung zu treten, nach all dem minutiösen Suchen, nach einer Phase tieferer Beschäftigung mit der Frage der Bedeutung der festgehaltenen oder verrinnenden (Lebens)Zeit. Die Stundung mag hier im Fixieren der Minute anklingen, die schließlich wieder „losgelassen“ wird. Das ist natürlich weit gegriffen und höchst spekulativ, aber das ist das, was der Text für mich anklingen lässt.


_________________
when I cannot sing my heart
I can only speak my mind
- John Lennon -

Christ wird nicht derjenige, der meint, dass "es Gott gibt", sondern derjenige, der begonnen hat zu glauben, dass Gott die Liebe ist.
- Tomás Halík -

Im günstigsten Fall führt literarisches Schreiben und lesen zu Erkenntnis.
- Marlene Streeruwitz - (Danke Rübenach für diesen Tipp.)
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Municat
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Alter: 56
Beiträge: 353
Wohnort: Zwischen München und Ingolstadt


Beitrag14.01.2019 15:59

von Municat
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Moin Inko smile

Ein Mensch (ich sehe einen Mann, kann aber nicht begründen, warum) steht im Wald, beobachtet einen Mistkäfer, der sich beständig auf sein Ziel zubewegt, Hindernisse umschifft und trotz der Ablenkungen immer wieder die richtige Richtung findet. Im Gegensatz dazu sieht er Kühe, die kein bestimmtes Ziel verfolgen, sondern scheinbar ihren spontanen Eingebungen folgen. Kondensstreifen, die sich zu einem Himmelskreuz formen, lassen ihn über die Schönheit der Dinge aus den Augen verschiedener Generationen und über Religion (von der er nichts hält) sinnieren. Über allem steht ein Bild aus einem Film, das ihm nicht mehr aus dem Kopf geht. Eine an und für sich langweilige Szene, die ihn aber aus irgendwelchen Gründen fesselt.

Den Kern seiner gedanklichen und emotionelen Nöte sehe ich hier:
Zitat:
Tue ich das nicht auch? Schiebe irgendwas vor mir her, was mich überrollen könnte? Anstelle es zu ändern, schiebe ich es über Steiniges, über Unebenheiten, über Steigungen, und droht es nach links oder nach rechts abzudriften, halte ich die Spur, halte den Kontakt, berühre es, justiere und rolle es weiter vor mir her.


Der Schreibstil ist für die Situation authentisch - angenehm nah an den Gedanken der Protas. Die Schrift kann ich nicht leiden ... aber da kannst Du ja nichts für Wink

Das Thema spüre ich zum Beispiel hier:
Zitat:
Alles um mich ist in Bewegung, nur ich stehe da und es macht mir nichts aus.


Was mir ein bisschen bei dem Dehnungs-Thema fehlt, sind die verschiedenen Orte zur selben Zeit. Klar, da ist der Waldweg einerseits und die Filmszene andererseits, aber diese zweite Ebene findet ja lediglich im Kopf des Protas statt - und spielt in einer komplett anderen Zeit.

Den geforderten Anspruch finde ich in den Bildern, die sich überlagern und den dem Dialog mit einer FIlmszene an sich.  

Von daher also nichts zu meckern.

Punkte vergebe ich, wenn ich alle Beiträge ein zweites Mal gelesen und bewertet habe.


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Gräme dich nicht, weil der Rosenbusch Dornen hat, sondern freue dich, weil der Dornbusch Rosen trägt smile
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d.frank
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D
Beitrag14.01.2019 19:53

von d.frank
Antworten mit Zitat

Erst hatte ich schreiben wollen, dass ich nicht wüsste, was es mit diesem Max auf sich hat und dass es mir komisch vorkäme, wenn jemand wirklich eine geschlagene Minute auf seine Uhr starren würde. Ich meine, eine Minute, das ist nun wirklich nicht mit einem schnellen, hektischen Blick assoziierbar. Aber wahrscheinlich ist es genau das. Diese komische Marotte eines fast x beliebigen Arbeitskollegen, den man unter: "Glotzt ständig und minutenlang auf seine Uhr", abgelegt hat. Schön finde ich auch, dass in diesem Text die Natur zu Wort kommt, dass er sich nicht, wie so viele andere Texte, um die Minute geballten Schicksals dreht, sondern ganz alltägliche, eigentlich gewöhnliche Beobachtungen in schöner Sprache macht. Ich mag das Entschleunigte des Textes und wie sein Erzähler trotz des erfolgreichen Wunsches, sich auf diesen vermeintlichen Stillstand einzulassen, in eine Erwartungshaltung verfällt.
Ein bisschen lapidar wird es, als der Erzähler über einen beginnenden Wahnsinn monologisiert. Ansonsten mag ich sehr viel an dem Text und die (un)haltbare Gegenwart, der Horizont, Bewegung im Stillstand sind auch mit drin.
Hat also schon mal meine Sympathien.

Edit: Warum Herr von Sydow sieben Punkte bekommt:
Weil er sich mit seinen Naturbetrachtungen angenehm abhebt und weil das schlüssig ist, dass man über jemanden nachsinnt, der die Marotte pflegt, während eines Gespräches geschlagene 60 Sekunden auf seine Uhr zu glotzen (wenn ich das richtig verstanden habe) und weil das originell ist, während der Inhalt weniger originell ist, aber dafür ziemlich gut verpackt, nicht sofort offensichtlich und überhaupt finde ich beschriebene Natur und Landschaft meistens ziemlich öd. Das und weil der Text innerhalb der Konkurrenz einen recht eigenen Weg geht, haben mich dazu veranlasst, die Punkte hier zu lassen.

PS:
Zitat:
›Oh, schade, schon Feierabend‹

Hast du das wirklich schon mal jemanden sagen hören?


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Die Wahrheit ist keine Hure, die sich denen an den Hals wirft, welche ihrer nicht begehren: Vielmehr ist sie eine so spröde Schöne, daß selbst wer ihr alles opfert noch nicht ihrer Gunst gewiß sein darf.
*Arthur Schopenhauer
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hobbes
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Beiträge: 4290

Das goldene Aufbruchstück Das goldene Gleis
Der silberne Scheinwerfer Ei 4
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Beitrag14.01.2019 23:47

von hobbes
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Diese Schriftart, schlimm. Sorry, dass ich damit anfange. Dabei finde ich sie im Grunde ganz ansprechend, nur überhaupt nicht lesbar, also hier im Forum. Aber egal, es gibt ja zum Beispiel Print-Buttons.

Der Titel ist natürlich ganz großartig, zumindest dafür, mich zum ersten Lesen ziemlich schnell hierher zu verführen. Beim zweiten Lesen fange ich an zu kommentieren, schreibe über den Titel und frage mich plötzlich ganz genau diese Frage, warum sah er auf seine Uhr und schwieg, eine Antwort ist vom ersten Lesen jedenfalls nicht hängen geblieben, aber vielleicht hat der Text ja auch gar keine Antwort darauf. In jedem Fall erinnert mich der Titel nun an diese Black-Box-Stories, wobei ich gerade nicht sicher bin, ob die wirklich so heißen, also dieses "Da liegt einer tot in der Pfütze, was ist passiert?" Ich habe üblicherweise keine Geduld mit diesen Geschichten, hätte ich dich, Text, nicht schon gelesen, ich würde jetzt vielleicht befürchten, ich müsse diese Antwort finden. Vielleicht muss ich das auch oder sollte es, aber nun, ich weiß ja schon, dass ich dich, Text, eh schon sehr gerne lese, auch abseits einer solchen Antwort.

Was vielleicht an den Tieren liegt, bzw. an der Natur, mit Natur dieser Art kriegt man mich immer. Ich mag auch die acht Kühe, man ich habe da natürlich sofort die Frage im Kopf, warum müssen es denn genau acht Kühe sein, was soll denn diese Zahl, aber dann merke ich, oha, das ist jetzt mal ein Beispiel dafür, warum so etwas genau richtig ist und freue mich daran.
Vielleicht wird es mir gegen Ende hin ein klein wenig zu Parallelen ziehend, zu deutlich. Gerade der letzte Absatz, ich finde, der könnte ein wenig mehr Freiraum vertragen.

Was ich auch noch mag ist die Ansprache, diese Art des Erzählens, weil, ich fürchte, ich wiederhole mich: es passt einfach so gut.

Eigentlich hatte ich dich auf Platz vier einsortiert. Dann allerdings kam der direkte Vergleich mit deinem Konkurrenten von Platz fünf und nun ja, es ist nicht gut ausgegangen. Für dich. War aber knapp.
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Mardii
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Beiträge: 1774



Beitrag15.01.2019 14:38

von Mardii
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Ein Text über das Vergehen einer Minute, ein Mistkäfer rollt seine Kugel vorwärts und Max von Sydow shaut auf seine Uhr, während er Liv Ullmann gegenübersitzt.
Der Text ist sprachlich und stilistisch gut konstruiert, er konzentriert sich auf Weniges und schafft doch eine ganze Szenerie von Zusammenhängen. Könnte Punkte geben.


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Heidi
Geschlecht:weiblichReißwolf

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Der goldene Durchblick


Beitrag15.01.2019 22:37
Re: Warum sah Max von Sydow auf seine Uhr und schwieg?
von Heidi
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Die Sache mit dem Mistkäfer gefällt mir schon mal.
Alles andere werde ich in Ruhe noch mal lesen müssen, um Thema und Motto als umgesetzt bezeichnen zu können, oder eben nicht.
Bis bald also.

---

Es soll wohl eine Minutendehnungsgeschichte sein, davon kann ich aber kaum was erkennen. Dennoch: eine Lebensraffung kann es noch weniger sein, weil der Ich-Erzähler die ganze Zeit über am selben Ort ist. Zwar liest sich alles etwas langatmig (passend für die Dehnung, wenn auch die Langatmigkeit eher einen Dehnungscharakter haben sollte und keinen der zum Abdriften veranlasst), aber es handelt sich nicht um mehrere Situationen unterschiedlicher Figuren an unterschiedlichen Orten, die dieselbe Minute zum selben Zeitpunkt erleben und "mitteilen". Ich lese hier von einer Figur, die so einiges in sich hin- und herbewegt.

Das Käferbild ist schön; es vermittelt eine gewisse Zeitlosigkeit, auch die kleinen Dinge anzuerkennen und genauer in den Fokus zu nehmen. Eben diesen Käfer wahrzunehmen und was sonst noch passiert, während er sich abrackert. Aber einen Teil der Aufgabenstellung (Dehnung) erlebe ich definitiv nicht als erfüllt. Was das Motto betrifft: Auch das kann ich nicht aus dem Text herausfühlen. Es wird von diesen Kondensstreifen gesprochen und könnten so was wie ein Verweis auf das Motto sein, auch weil sie mehrmals thematisiert werden, aber sie wirken eher dekorativ; der Text ist nicht durchdrungen vom Motto, die Figur handelt nicht danach. Sie philosophiert vor sich hin und teilt mir ihre Gedanken mit, auch den inneren Monolog mit einer anderen Person, dem darf ich lauschen, was als Ansatz sicherlich gut gewählt ist für die Minutendehnung. Mir fehlen aber die Gedanken anderer Figuren.
Allein das Thema halte ich für gut umgesetzt. Das ist sehr gegenwärtig (Un-)Haltbar alles.

Zu den Kondesstreifen noch mal. Faszinierend, dass sie, wie auch andere Bilder, von mehreren Texten, unabhängig voneinander öfter mal vorkommen, wie etwa Kirchtürme, Glocken, Räume, Uhren, Flugzeuge usw. Oder eben diese Kondesstreifen zumindest ein zweites Mal. Ich hätte Wolkenformationen besser gefunden, solche empfinde ich als ursächlicher, gerade wenn ein Text so stark philosophiert wie dieser. Kondensstreifen sind unnatürliche, die Umwelt belastende Kreationen von Maschinen (Erfindung des Menschen), Wolken werden von der Natur erschaffen, sie sind ein Produkt des Wasserkreislaufes und eigenen sich, wenn gewählt ausgedrückt, sicherlich gut als Bild im Bild. Klar sind Woken (vielleicht) etwas abgegriffen, dennoch halte ich sie für interssanter und vielsagender als Kondesstreifen.

---

Die Käfersache hätte einen Punkt verdient, oder zwei, aber es sind keine mehr übrig. Tut mir leid.
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a.no-nym
Klammeraffe
A


Beiträge: 699



A
Beitrag15.01.2019 23:17

von a.no-nym
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Hallo Inko!
Ein nachdenklicher, unaufgeregter Text, zu dessen Intention ich jedoch auch beim wiederholten Lesen kaum Zugang finde. Trotzdem mochte ich die Betrachtungen über den Mistkäfer.
Offenbar spielt der Text auf einen Film oder eine Filmszene an - vielleicht erschließt sich die Botschaft deshalb nicht so recht, weil mir die Voraussetzungen fehlen? Anklänge an die (un-)haltbare Gegenwart entdecke ich, auch die auf Widerruf gestundete Zeit kann ich durchaus am Horizont wahrnehmen.
Die Vorgabe, dass entweder das gesamte Leben einer Figur umfasst werden oder erzählt werden soll, was in der einen Minute an verschiedenen Plätzen gleichzeitig geschieht, lässt der Text m.E. weitgehend außer Acht (oder ich habe den Text oder die Vorgabe missverstanden, das kann ich leider nicht ganz ausschließen).

Alles Gute für Text und Inko!
Freundliche Grüße
a.
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lilli.vostry
Wortschmiedin


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Wohnort: Dresden


Beitrag16.01.2019 00:44
aw:WarumsahMaxvonSydowaufseineUhrundschwieg?
von lilli.vostry
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Hallo,

der Titel Deines Textes hat mich neugierig gemacht. Ja warum sah und schwieg er?
Das lässt Dein Text m.E. offen und mich ein wenig ratlos und enttäuscht zurück.

Die Zeitdehnung i(2) ist erfüllt, für mein Empfinden zu sehr gedehnt, aufgebläht. Da wird künstlich Spannung aufgebaut und nicht eingehalten, was der Titel verspricht.

Nicht gegen langsames, mußevolles Erzählen, doch hier führt es zu nichts ungewöhnlich tiefgründig Erhellendem, was E-Literatur doch sollte.

Anfangs vielversprechend, man wartet auf den bestimmten Aha-Moment, was es mit dem Ich-Erzähler auf sich hat, der auf einem Wanderweg steht, zeitvergessen, sich an diese Filmszene mit M.v.S. erinnert und einen Mistkäfer vor sich beobachtet (als weitere Figur) und die Kühe gegenüber kurz betrachtet (das sehe ich nicht als "verschiedenen Ort" lt. Vorgabe, allenfalls andere Umgebung aber am gleichen Ort).  

Gefallen hat mir der erste Abschnitt, das Nachdenken über Stillstand, Bewegung von Zeit und das Dazwischen dem Ticken, schön formuliert.

Das Ende wiederum wenig aussagend für mein Empfinden.

Gehört für mich leider nicht unter die ersten elf zu befedernden Texte.

Grüße,
Lilli


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Nihil
{ }

Moderator
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Beiträge: 6039



Beitrag16.01.2019 17:01

von Nihil
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Auch so ein Text, den ich mögen will, aber zu dem ich doch keinen echten Zugang finde. Die Sprache ist geschliffen und ich höre dem Erzähler gerne zu, aber die Ansprachen an Max von Sydow, deren Relevanz und Querverweise sich mir nicht erschließen, bringen mich wieder raus. Rein subjektiv gesprochen finde ich dieses Konzept eines inneren Dialogs mit Schauspielern/fiktiven Figuren ein bisschen abgehoben, wenn ich das mit „echten“ Gedankenströmen vergleiche. Klar, das hier ist Kunst und darf es auch sein. Aber dieser kumpelhafte Schnack wirkt auf mich unehrlich. Vielleicht weil die Antwort von Max nicht einmal spekulativ als potenzielle eingebunden wird. Stattdessen rhetorische Fragen, die mir das erzählende Ich prätentiös erscheinen lassen. Vor allem auch deswegen, weil die Erzählstimme immer wieder davon erzählt, dass sie prokrastiniert, unangenehme Dinge vor sich herschiebt und sich nicht überwinden kann, eigene Schwächen zuzugeben. Am Ende gibt es da folgerichtig auch keine Entwicklung. Das meine ich tatsächlich als Pluspunkt, denn eine Minute ist keine lange Zeit, und für lebensverändernde Augenblicke allemal.

Und dann ist da noch die Sache mit dem Thema und der Minute. Ich mag den Text ja. Aber. Der Inhalt bewegt sich irgendwo zwischen Themanvariante 1 und 2. Denn für eine Biographie ist  da nicht genug, nur die Beschränkung auf eine einzelne Person und gelegentliche Rückblicke und Reflexionen, die leider sehr im Vagen bleiben:
Zitat:
Das Ticken des Zeigers vollendet die Minute. Ich schätze die Strecke ab, die der Mistkäfer mit seiner wertvollen Kugel zurückgelegt hat und welchen Weg er noch vor sich hat. Tue ich das nicht auch? Schiebe irgendwas vor mir her, was mich überrollen könnte? Anstelle es zu ändern, schiebe ich es über Steiniges, über Unebenheiten, über Steigungen, und droht es nach links oder nach rechts abzudriften, halte ich die Spur, halte den Kontakt, berühre es, justiere und rolle es weiter vor mir her.

Der Vergleich wäre stärker gewesen, wenn du ihn nicht aufgeschlüsselt hättest. Zudem sagt mir die Erklärung nichts, was ich nicht vorher schon gewusst hätte.
Und für die Beschreibung einer Gegend ist mir die Gegend zu wenig umfangreich. Jemand schlendert durch ein ländliches Idyll, hört Spechte picken und Kühe schnarchen. Um die Ereignisse dieses Gebietes geht es dabei nicht. Wir haben hier einen Naturspaziergang mit Gedanken, an dem alles recht oberflächlich und unbestimmt bleibt. Da stellt sich, trotz der gut gelungenen Sprache, leider der Eindruck der Belanglosigkeit ein.
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Catalina
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Beitrag18.01.2019 07:45

von Catalina
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Ich habe Deinen Text als letzten gelesen und spontan gedacht: Diese anderen Dehnungen da, die sind doch pillepalle. Du hast sie mich sehr intensiv spüren lassen, die gedehnte Minute.

Uschi weiß nicht, von welchem Film die Rede ist und kennt auch die Szene nicht. Aber das macht so gar nichts aus, denn der Text erklärt mir gekonnt, worum es geht. Ich kann bei ihm die Relativität der Zeit sehr eindringlich spüren.

Die Idee finde ich großartig und Du hast meinen allergrößten Respekt für diese gekonnte Umsetzung.

Zuerst war ich mir nicht sicher, ob die Vorgaben denn wirklich erfüllt seien. Ist das denn wirklich ein Gebiet, über das Du da schreibst? Hast Du die Vorlage elegant umschifft? Nach etwas Nachdenken ist es fast so, als ob sie besser erfüllt wurden, als bei allen anderen. Dein Gebiet ist ein Mikrokosmos. Das gefällt mir sehr. Ich suchte auch die gestundete Zeit, bis ich merkte, dass ich selten so eine haltbare Gegenwart gespürt habe. Dein Text setzt sich mit der Zeit an sich auseinander, dichter dran geht es doch kaum.

"Stillstand in der Bewegung oder Bewegung im Stillstand?" Mag ich. Das lädt ei zum Philosophieren. Den so trocken determinierten Käfer mag ich auch.

Da Du zu alledem noch sehr schön erzählen kannst:
5 Punkte
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Michel
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Das bronzene Bühnenlicht Das goldene Niemandsland
Der silberne Durchblick Der silberne Spiegel - Prosa
Silberne Neonzeit


Beitrag22.01.2019 17:00

von Michel
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Eine Minute auf Weg und Kuhweide, haben die 8 Kühe wirklich nur 24 Beine Wink Imaginärer Dialog (Monolog?) mit dem Schauspieler Max von Sydow, teils sehr genaue Beobachtungen wie die des Mistkäfers, aber das LI nervt mich. E ist das wohl schon, aber ein gefühlt etwas selbstverliebtes E, das mich nicht wirklich erreicht.
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Jenni
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Das goldene Aufbruchstück Die lange Johanne in Gold


Beitrag23.01.2019 00:58

von Jenni
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Ein Ich-Erzähler läuft eine Minute durch eine Landschaft mit Mistkäfer und wendet sich in Gedanken an einen Max, der ebenfalls eine Minute auf die Uhr gesehen hat, um etwas zu demonstrieren, was, das erfahre ich nicht, was der Erzähler damit demonstrieren will, oder ob überhaupt er etwas demonstrieren will, das ebenfalls nicht.
Erzählt ist diese Geschichte so, dass sie mich in keinem Moment besonders interessiert, allenfalls möchte ich gerne wissen, worauf sie schließlich hinauslaufen wird. Auf nichts, soweit ich es erkennen kann. Vielleicht kann man aber auch ganz viel hineininterpretieren, über Zeit, Augenblicke, Erinnerungen, Naturerleben, Mistkäfer im buchstäblichen und übertragenen Sinne, nur da ist (in meiner Lesart) nichts konkretes.

Das Thema ist wohl umgesetzt, „(Un)haltbare Gegenwart“, durch diesen klassischen Augenblick, im Sinne, obwohl nichts bedeutendes geschieht nicht wiederholt werden zu können, wobei so ähnlich doch, denn der Erzähler beginnt eine neue Minute. Auf Widerruf gestundete Zeit wird mir nicht sichtbar. Die Zeit ist gedehnt, ABER: Sie ist nur aus einer Perspektive und an einem Ort gedehnt, und das auch durch die Gedanken des Erzählers an Vergangenes, und nicht wie von der Vorgabe gefordert an mehreren Orten parallel (wobei doch: die Kühe dahinten, der Specht im Wald und die Wolken am Himmel, aber come on!). Gerade das halte ich für die große Herausforderung an dieser Aufgabenstellung, von mehreren Orten/Geschehnissen parallel zu erzählen und dennoch einen Eindruck verlangsamter Zeit zu erzeugen.
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UtherPendragon
Eselsohr
U


Beiträge: 402



U
Beitrag24.01.2019 01:18

von UtherPendragon
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Hier leider nicht mein Geschmack. Ich störe mich an ein paar Stilblüten, die vielleicht nur ich als solche aufnehme - "Er ist schwarz, hat sechs Extremitäten und ist determiniert." z.B. - sowie an der Szenerie für sich. Die Gegend ist mir hier zusehr nähere Umwelt des Erzählenden, zu nah und profan, um Horizont und "aufkommendem Wahnsinn" gerecht zu werden oder etwas von diesen Motiven spiegeln zu können. Das Spiel mit den Eigenheiten und der Analogisierung der Zeit durch den Menschen, welcher sich ihr unterwirft, hat wiederum ganz gute Ansätze, die ich aber nie weit verfolgen kann; vage glaube ich, eine Liebesgeschichte oder gar einen überdachten Selbstmordversuch herauszulesen. Was mir generell gefällt ist die Idee, die Schilderung einer Gegend nach Vorgabe mit der Innensicht des Erzählers zu verflechten, nichtsdestotrotz fehlt mir hier leider (noch) jegliche Pointe. Die muss nicht immer da sein, aber ich erwartete so etwas beim Lesen.

_________________
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anderswolf
Geschlecht:männlichReißwolf


Beiträge: 1069



Beitrag25.01.2019 17:16

von anderswolf
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Konstruierte Begebenheit im Wald. Bleibt einer stehen, wenn es die Zeit schon nicht tut und beschuldigt die Seele für die Pause, mit der nichts anzufangen ist. Der absente Max von Sydow gilt als stummer Stichwortgeber, er habe auf die Uhr gesehen, vielleicht eine Minute lang nichts gesagt. Den Leser interessiert Max von Sydow nicht, auch nicht die belebte Natur, die sich angeblich nur auf den Betrachter bezieht, ihm zuliebe geschieht. Der Specht, die Bäume, die Kühe, alles beziehe sich auf den Irrelevanten, der als Einziges inmitten der belebten, bewegten Natur stillesteht, was aber keine detaillierte Beobachtung der Welt zur Folge hat, nur die Erkenntnis, wie austauschbar der Beobachter sei: Jeder sieht das Gleiche und eben nicht, irrelevant wären alle, was der Text selbst erkennt: Was ist der Punkt in meinem Stillstand hier?
Nach aller Langeweile einer gedehnten Minute kommt der Text zu einem überraschend unbanalen Schluss, was aber vielleicht auch am Kontrast liegen mag. Ist denn nicht der Mensch auch nur ein Sisyphos-Käfer, der unsehends, aber auch unbeirrt auf ein unbekanntes Ziel all die Scheiße eines Lebens vor sich herrollt? Sehr generalisierend anwendbar, und unklar, ob es da den recht flachen Text vorher gebraucht hätte.
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Constantine
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Beiträge: 3311

Goldener Sturmschaden Weltrettung in Bronze


Beitrag25.01.2019 18:53

von Constantine
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Bonjour

Ich bin's nur.

Merci beaucoup.
Constantine
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Constantine
Geschlecht:männlichBücherwurm


Beiträge: 3311

Goldener Sturmschaden Weltrettung in Bronze


Beitrag29.01.2019 15:11

von Constantine
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lebefroh hat Folgendes geschrieben:

Hhm. Ich sehe die Vorgaben nicht als erfüllt.

Der Text ist gut geschrieben, ich habe ihn auch nicht ungern gelesen. Du findest schöne Worte, setzt sie sicher und präzise. Ich habe allerdings keine Ahnung, was jetzt mit Max von Sydow ist.

Egal. Ich sehe so oder so nicht, wie hier Geschehnisse "einer ganzen Gegend" dargestellt werden.

Leider keine Punkte.


Hallo lebefroh,

bedauerlich, dass mein Beitrag für dich die Vorgaben nicht erfüllt hat und dir der Bezug zu Max von Sydow, der 1 Minute lang auf seine Uhr blickte, dem Text-Protagonisten, der gleichfalls 1 Minute vergehen lässt und meine inhaltliche Einarbeitung der Vorgaben ein Rätsel blieb.
Ich freue mich, dass dir der Schreibstil gefallen hat und du meinen Beitrag gerne gelesen hast.
Danke für dein Feedback.

LG Constantine
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