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Wer gendert?, fragt die Federwelt

 
 
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a.no-nym
Klammeraffe
A


Beiträge: 699



A
Beitrag18.12.2018 02:39

von a.no-nym
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Moin!

Bevor die Idee mit dem "-rich" sich durchsetzt: Die Endung ist stark männlich vorbelastet! Confused Heinrich, Erich, Friedrich, Enterich, Gänserich, Täuberich, Knöterich, Wegerich...

Zurück zum Thema: Bevor wir großflächig mit viel Energie und Leidenschaft versuchen, bestehende Probleme durch Herumschrauben und Behelfskonstruktionen an der Sprache zu lösen - gibt es denn eine Antwort auf folgende Frage?

Ist das tatsächlich vorhandene Maß an Gleichstellung/Gleichberechtigung in jenen Ländern größer, in denen die Sprache von vornherein neutral ist - sprich: in denen die Sprache kein generisches Maskulinum oder vergleichbare Konstrukte kennt?

Wenn ja, ließe sich das als Hinweis deuten, dass das, was uns hierzulande zur Herstellung von Gleichstellung/Gleichberechtigung fehlt, sprachlich bedingt oder zumindest sprachlich mit-bedingt sein könnte. Das spräche dann für den Versuch, die Sprache zu verändern.

Wenn Länder mit neutralen Sprachen (und ansonsten vergleichbarer Entwicklung) in puncto Gleichstellung/Gleichberechtigung  nicht weiter sind als wir, könnte das ein Hinweis darauf sein, dass fehlende Gleichstellung/Gleichberechtigung andere Ursachen hat. Was wiederum dafür sprechen könnte, die Sprache aus Mangel an Beweisen aus der Untersuchungshaft zu entlassen - und sich vermehrt anderen Dingen zuzuwenden: der Fahndung nach den wahren Schuldigen - um diese dingfest zu machen und wirksam bekämpfen zu können.

Wenn ich es richtig verstanden habe, fällt das gesamte, hierzulande gut beackerte Gender-Sprach-Feld in anderen Ländern weg, weil deren Sprache das gar nicht hergibt. Oder? Trotzdem ist bei uns das generische Maskulinum verdächtig (bzw. bereits angeklagt), als mieses, fieses Unterdrückungsinstrumentarium für das Patriarchat entwickelt worden zu sein und hinterhältig (oder auch ganz offen) als solches zu fungieren? Hm. So richtig leuchtet mir das noch nicht ein. Zumindest bisher habe ich fehlende Gleichberechtigung nicht als primär oder überproportional im deutschen Sprachraum zu verortendes Phänomen wahrgenommen.

Nachdenkliche Grüße
a.
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nebenfluss
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Beitrag18.12.2018 15:00

von nebenfluss
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a.no-nym hat Folgendes geschrieben:

Ist das tatsächlich vorhandene Maß an Gleichstellung/Gleichberechtigung in jenen Ländern größer, in denen die Sprache von vornherein neutral ist - sprich: in denen die Sprache kein generisches Maskulinum oder vergleichbare Konstrukte kennt?
a.

Dies wurde aus meiner Sicht bereits in der ersten "Karnation" dieses Fadens von Murmel verneint:
Murmel hat Folgendes geschrieben:
Schaut doch einfach mal über den Tellerrand.

Wie halten das Länder, in denen es keine Gender gibt? Gibt es totale Gleichheit im englischen Sprachraum? Müsste doch, nach der Theorie.
Gibt es extreme Ungleichheit in Ländern, die nicht gendern?  Also keine Pilotin in Italien oder in Frankreich? Glaubt ihr wirklich, dass spanische Frauen in technischen Berufen weniger Chancen haben, weil dort nicht gegendert wird?

Da in diesen Ländern die Frauen dieselben Chancenungleichheit haben wie in Deutschland, lässt es den Schluss zu, dass Gendern ein hilfloser Aktionismus ist und eventuell sogar typisch deutsch, denn in Deutschland muss alles durch ein Regelwerk reguliert werden.

Meine Meinung.

Quelle


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nebenfluss
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Beitrag18.12.2018 15:36

von nebenfluss
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Auch ich denke, dieser „Vorvollzug“ ist mehr Ausdruck eines ideologischen Wunschdenkens, weshalb er im Kern eine Behauptung ohne wissenschaftliche Evaluierung bleibt. Es wäre interessant, ob es dazu Studien gibt, das weiß ich nicht.

Ich kehre mal zurück zu dem Ausgangspost des Fadens, also dem Pro & Kontra der AutorInnen Uschtrin und Eschbach in der Federwelt, mit Fokus auf der Pro-Argumentation:
Sandra Uschtrin hat Folgendes geschrieben:
Feministinnen [...] verdanken wir es, dass Frauen ohne Erlaubnis des Ehemannes ein eigenes Bankkonto eröffnen (ab 1962) oder arbeiten gehen dürfen (seit 1977). Oder auch: dass das Namens­recht geändert wurde, Vergewaltigung in der Ehe straf­bar ist (seit 1997), Frauen Fußball spielen dürfen ...
Die feministische Sprachkritik hat diese Entwicklung begleitet. Die Aufsätze von Senta Trömel-Plötz und Luise F. Pusch waren wegweisend. Das „Fräulein“ verschwand. 2005 wurde „Bundeskanzlerin“ zum Wort des Jahres.

Uschtrin behauptet also (bis jetzt!) keine wirklichkeits-schaffende Funktion von Sprache, sondern nur eine „Begleitung“ der sich entwickelnden Wirklichkeit – am Beispiel:
„Fräulein“ bezeichnete ja ursprünglich einen sozusagen bemitleidenswerten Zustand zwischen Mädchen und Frau – unverheiratet halt, und deshalb entweder auf Ehetauglichkeit zu prüfen oder zur Nicht-Ernstnahme per Verniedlichung freigegeben.
Die erstrittenen Rechte bezogen sich aber auch auf unverheiratete Frauen. Ein Ehering war nun nicht  mehr notwendig, um als „vollwertig“/erwachsen wahrgenommen zu werden.  
Die Diskreditierung des Wortes „Fräulein“ vollzog sich also bestenfalls analog, aus meiner Erinnerung eher im Nachgang zu der Erkenntnis eines Anachronismus.

Es gäbe weitere Beispiele, wie – themenbezogen – die Sprache im Gendersinne angepasst wurde. Einen Menschen in Berufsausbildung nennt kaum noch jemand „Lehrling“ (-ling männlich konnotiert wie -rich), sondern geschlechtsneutral eine/n Auszubildende/n. Diese Entwicklung erfasst mittlerweile die Hochschulen - „Studierende“ statt „Studenten“. Auch diese Überlegung fällt in eine Zeit, in der Frauen und Männer an Hochschulen bereits nahezu paritätisch vertreten sind.

Auch das Wort „Bundeskanzlerin“ wurde natürlich nur deshalb Wort des Jahres 2005, weil 2005 die erste Bundeskanzlerin gewählt wurde, also ebenfalls Nachvollzug.

Uschtrin sieht da aber auch Versäumnisse und will noch weiter Zurückliegendes nachvollziehen, wenn sie  fordert:
Sandra Uschtrin hat Folgendes geschrieben:
Sprechen wir von den Vätern und Müttern des Grundgesetzes!

Sie verweist zu Recht auf Elisabeth Selbert (wen's genauer interessiert: *klick*). Auch dieser Vorschlag ein themenbezogener, der eben angesichts der offensichtlichen historischen Richtigkeit im Nachhinein plausibel wirkt.

Kurz darauf folgt dann aber die reine Behauptung.
Aus dem hier:
Sandra Uschtrin hat Folgendes geschrieben:
Studien – für die es nun Geld gab – belegten, dass Frauen gedanklich deutlich weniger ein­bezogen werden, wenn wir das generische Maskulinum verwenden.

wird irgendwie das hier:
Sandra Uschtrin hat Folgendes geschrieben:
Sprache beeinflusst unser Denken und Handeln.

(Hervorhebung von mir)

Kein einziger Nachweis dieser These ist erfolgt, und doch leitet Uschtrin daraus ab, Autoren und Autorinnen hätten künftig in Textbeispielen aus  Protagonisten Protagonistinnen zu machen:
Sandra Uschtrin hat Folgendes geschrieben:
Was aber, wenn Anke rät, die Figur in einem Textbeispiel von „Paul“ in „Paula“ umzubenennen, und der Autor, die Autorin dann „Nein!“ sagt? Und das bei allen Textstellen. Und dafür die Freiheit der Kunst ins Feld führt. Dann darf er das. Dann kann sie das tun. Aber dann dürfen wir auch sagen: Okay, lieber Autor, liebe Autorin, dann schreib den Artikel für deinen Blog.

Ein Themenbezug findet wohlweislich(?) nicht statt. Ob Paula in dem Textbeispiel Bagger fährt oder Soziologie studiert, ist offenbar egal. Ob sie Fußball spielt oder gerade ein Kind bekommt, ebenso. Um den Wirklichkeitsbezug der Inhalte geht es bei alldem nicht, sondern – wie Andreas Eschbach in seiner „Antwort“ darlegt - um Ideologie. Wie immer, wenn Sprache „vorvollzogen“ werden soll.
Wer sich dem wegen Bagatellen wie Kunstfreiheit (oder Wirklichkeitsbezug) nicht unterwerfen mag, kann halt die Plattform nicht nutzen, sondern darf(!) zugucken, wie das Textbeispiel auf dem eigenen Blog versauert.
Was Autorinnen und Autoren aus solchen Ratschlägen lernen sollen?!
("Anke rät" = Wenn du dem Ratschlag nicht folgst, verpiss dich?)


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Poolshark
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Beitrag18.12.2018 16:14

von Poolshark
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Vergleiche mit anderen Ländern finde ich schwierig, weil die Geschichte und die Kultur eine ganz andere ist.

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Aneurysm
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Beitrag18.12.2018 17:09

von Aneurysm
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Ausgehend von a.no-nyms Frage kann man die Befürworter des Genderns vielleicht in zwei Kategorien einteilen. Die einen sind wie Sandra Uschtrin der Meinung, dass das Genussystem der deutschen Sprache an sich ungerecht ist:
Sandra Uschtrin hat Folgendes geschrieben:
Was macht das generische Maskulinum? Es wirkt wie eine Burka, die Frauen und ihre Leistungen unsichtbar macht. Weg damit!

Die anderen halten das Genussystem an sich nicht für ungerecht, glauben aber, dass das Gendern andere Ungerechtigkeiten beseitigt, indem es klassische Geschlechterrollen aufbricht.

Für mich ist bisher nicht klar geworden, welchen der beiden Standpunkte die Befürworter des Genderns hier vertreten. An der ersten Position verstehe ich nicht, was genau am Genussystem ungerecht sein soll. Die Vorstellung, dass eine grammatische Struktur in unserem Unterbewusstsein ungerecht ist, erscheint mir von Anfang an abwegig, und Sandra Uschtrin liefert keine Gründe für ihre Behauptung. Die zweite Position würde ich genau dann unterstützen, wenn es überzeugende Belege für den erhofften Effekt des Genderns gibt. Die kenne ich nicht.

Meine Frage an die Befürworter des Genderns ist also: Welche der beiden Positionen vertretet ihr, und wie begründet ihr sie? Oder vertretet ihr eine dritte Position, die ich nicht genannt habe?
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Poolshark
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Beitrag20.12.2018 16:40

von Poolshark
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Ich bin nicht direkt Befürworterin, aber auch nicht so richtig Gegnerin, solange mir keine bessere Lösung einfällt. Ich sehe schon, dass unsere Sprache immer noch alte Machtverhältnisse und Ungleichgewichte abbildet. Dass neue, künstlich installierte Ausdrucksformen diese Gegebenheiten grundlegend verändern, moderne Realitäten ausreichend abbilden und den Ruf nach Chancengleichheit unterstützen, ist für mich fraglich. Das kann aber nicht heißen, dass man sich nicht weiter bemühen und Gedanken machen sollte.

Mein Hauptproblem am Gendern ist das, was ich schon ein paar Posts vorher erwähnt hatte. Mir wäre eine Selbstverständlichkeit lieber, mit der ein Arzt in der Vorstellung Mann und Frau sein kann oder besser noch: Wo diese Auszeichnung als männlich oder weiblich gar nicht mehr nötig ist, weil es (in den meisten Fällen) schlichtweg unerheblich ist und weil wir in einem Zeitalter leben, wo sich viele Menschen mit diesen Kategorien gar nicht mehr identifizieren können oder wollen.
Außerdem: Obwohl es so gängig ist, finde ich es grundsätzlich seltsam, dass man Männer und Frauen überhaupt gesondert anreden muss, als wären wir Mitglieder unterschiedlicher Spezies. Mir ist klar, dass das in einer Kultur, die jahrhundertelang von Männern dominiert wurde, vermutlich nötig ist, Frauen in Ansprachen explizit zu adressieren, um genau die Selbstverständlichkeit, die ich mir wünsche irgendwann zu etablieren. Eigenartig finde ich das aber schon. Vielleicht bin ich aber auch nur zu ungeduldig mit der Welt. Gleichberechtigung ist ein Prozess.


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Literättin
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Beitrag20.12.2018 18:10

von Literättin
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Ich habe zwar keinen Bedarf mich einer Kategorie zuzuordnen mit meiner selbstverständlichen Befürwortung dessen, was von uns in den Achtzigern noch nicht neudeutsch gendern genannt wurde (ich weiß gar nicht, wie wir es nannten), aber wie gesagt, für mich ist es so selbstverständlich, wie ich es in etwa bei Wikipedia zum Thema gererischem Maskulinum (nicht Genussystem) zusammengefasst finde (darin enthalten auch ganz kurz die Herleitung der Notwendigkeit, selbstredend, ohne "Belege", sprich Quellenangaben wissenschaftlicher Feld-, Wald- und Wiesenstudien,  historischer Forschungsergebnisse neurologischer, biologischer, soziologischer usw Art, Abhandlungen, oder ganze Inhalte linguistischer Bibliotheksbestände, also schlicht ohne die Erfindung des Rades per Belege noch einmal neu aufzurollen.)

Generisches Maskulinum

Woraus ich hier mal kurz zitiere:

Zitat:
Im Deutschen hat das generische Maskulinum insbesondere bei Berufsbezeichnungen und bei Nomina Agentis seit den 1980er Jahren an Gebrauch verloren. Hintergrund ist eine unter anderem von der feministischen Linguistik formulierte Kritik an seiner Missverständlichkeit und an der Möglichkeit, dass bei seiner Verwendung weibliche Referenten „nicht mitgedacht“ und damit systematisch ausgeblendet* werden.[2]


Gefettet von mir.

Ich kann natürlich nicht sagen, ob es sich bei entsprechendem Artikel, mangels der Beweisführung nicht letztlich doch um Fake News handelt, allerdings decken sich die Angaben in etwa mit dem, was mir seit den Achtzigern wie gesagt erfahrungsgemäß bekannt vorkommt. Was vielleicht auch noch einmal mein Erstaunen über das "noch nicht abgefrühstückt sein" als Streitthema erklärt, die Sache mit den Achtzigern, die auch bei Wiki Erwähnung findet.

*Die Erfahrung sprachlich systematischer Ausblendung dürfte sich logischer Weise vorwiegend auf Seiten der Frauen (und Transidenten, bzw. Transgendern) finden lassen, sofern man sie, die Erfahrung, denn mangels Beleg für gültig erklären kann. Männern dürfte diese Erfahrung aus dem eigenen Leben unbekannt sein; und vielleicht von daher als etwas, das einfach nicht vorhanden ist, nur sehr bedingt nachvollziehbar.


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Im günstigsten Fall führt literarisches Schreiben und lesen zu Erkenntnis.
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kioto
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Beitrag20.12.2018 18:39

von kioto
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Poolshark hat Folgendes geschrieben:
Vergleiche mit anderen Ländern finde ich schwierig, weil die Geschichte und die Kultur eine ganz andere ist.


Wieso schwierig? Sind in Englisch nicht fast alle Berufsbezeichnungen und vieles andere schon seit Jahrhunderten gegendert und sächlich?
Haben die Englisch sprechenden Gesellschaften deshalb einen nennenswerten Vorsprung vor uns in der Gendergerechtigkeit erreicht? Ich bin kein Fachmann, aber ich glaube eigentlich nicht.


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Phantastik beschreibt ungewöhnliche Dinge (leider m.M.) meist gewöhnlich, man erfährt fast nicht über fast alles.

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Poolshark
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Beitrag20.12.2018 23:54

von Poolshark
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kioto hat Folgendes geschrieben:
Poolshark hat Folgendes geschrieben:
Vergleiche mit anderen Ländern finde ich schwierig, weil die Geschichte und die Kultur eine ganz andere ist.


Wieso schwierig? Sind in Englisch nicht fast alle Berufsbezeichnungen und vieles andere schon seit Jahrhunderten gegendert und sächlich?
Haben die Englisch sprechenden Gesellschaften deshalb einen nennenswerten Vorsprung vor uns in der Gendergerechtigkeit erreicht? Ich bin kein Fachmann, aber ich glaube eigentlich nicht.

Ich glaube, es gibt Missverständnisse beim Wort "gendern". Das liegt wohl vor allem daran, dass es total unterschiedlich benutzt wird und auch ich diesen Begriff so achtlos verwendet habe. Für mich ist gendern das Vergeschlechtlichen von Wörtern, also: Bundeskanzler -> Bundeskanzlerin (Feminisierung). Und auch die beliebten Sternchen: "Liebe Kolleg*innen" etc. Manche benutzen den Begriff des Genderns für das Finden einer geschlechtsneutralen Version für personenbezogene Bezeichnungen jenseits des generischen Maskulinums (Neutralisierung), Beispiel: Studierende statt Studenten. Der Begriff Gendern bezieht beide Bemühungen mit ein, so, wie ich das verstehe. Für mich sind das allerdings unterschiedliche Konzepte, mit unterschiedlichen Problematiken. Im Englischen wird eher neutralisiert als feminisiert. Das ist aber nur ein Teil der Medaille "Gendern", schon allein deshalb ist (für mich persönlich) ein direkter Vergleich, so über's Knie gebrochen, wenig hilfreich.

Eine Ausführung meines Standpunkts zum Thema "Sind Vergleiche grundsätzlich sinnvoll?":

Sicher sind Vergleichsstudien interessant, wenn es um das Thema geht, ob Gendern (was auch immer man damit meint) sinnvoll ist. Aber 1:1 übertragbar sind verschiedene Entwicklungen in so komplexen kulturellen, gesellschaftlichen Strukturen doch nicht. Zu viele Faktoren spielen in die Vorstellungen davon, was Mann und was Frau ist mit rein. Gendern allein kann so eine Umwälzung gar nicht schaffen. Wenn man diesen Maßstab anlegt, wäre das zu viel verlangt und auch noch zu voreilig, denn historisch betrachtet machen wir uns um die realitätsbildende Wirkung von Sprache noch nicht allzu lange Gedanken.

Nehmen wir mal das unbequemere Beispiels eines Vergleichs: Italien. Dort finde ich den Kontrast zu Deutschland sehr viel deutlicher. In der italienischen Sprache haben alle Berufsbezeichnungen die männliche Form. Und ich würde behaupten, in Italien hält sich die klassische patriarchalisch-katholische Rollenverteilung und die Machokultur sehr viel wackerer als bei uns. Wenn es also um Gleichberechtigung und Respekt geht, starten wir in Deutschland und Italien von ganz anderen Ausgangspunkten, meine ich.

Wenn man derartige Direkt-Vergleiche trotzdem ziehen will, kann man bei Italien bleiben. Da gibt es nämlich sehr viel größere Widerstände gegen alle Formen des Genderns als bei uns. Beziehungsmorde von Männern mit gekränktem Ego an Frauen, die sie verschmäht haben, sind dort ebenfalls besonders hoch. Sicher gibt es zwischen beiden Gegebenheiten indirekte Zusammenhänge, aber ich würde nicht behaupten, dass das eine das andere direkt bedingt oder mit einer Akzeptanz des Genderns der Frieden zwischen italienischen Männern und Frauen einkehren würde. Daran, und da sind wir uns dann doch vermutlich einig, konnten in England bislang auch die "geschlechtsneutralen" Bezeichnungen nichts ändern. Wenn Menschen von "nurses" sprechen, haben die meisten Leute immer noch Frauen in Krankenschwesteruniformen im Kopf.

Für mich sind Überlegungen rund ums Gendern und alle Aspekte der Sprachentwicklung ein wichtiges Thema, wenn es um Gleichberechtigung und die Daseinsberechtigung von Frauen in der Welt geht, aber es ist nur ein Teil eines großes Puzzles. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass es viele Befürworter gibt, die ernsthaft was anderes behaupten würden.


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nebenfluss
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Beitrag21.12.2018 01:17

von nebenfluss
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Ich habe zufällig die Erklärung von Zeit-online zum Gender-Umgang auf ihrem Angebot wiedergefunden. Witzig, wie man nachmal findet, indem man gar nicht (bzw. etwas ganz anderes) sucht.

Poolshark hat ja gerade auf die begriffliche Unschärfe hingewiesen. So ist zwar dieser Text mit der Überschrift "Warum wir nicht gendern" überschrieben, wie/ob Sprache Geschlechtergerichtigkeit herstellen kann, darüber macht sich Meike Dülffer aber schon (na ja, ein paar) Gedanken:
https://blog.zeit.de/glashaus/2018/02/07/gendern-schreibweise-geschlecht-maenner-frauen-ansprache/


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Dr. Fusselpulli
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Beitrag21.12.2018 13:59

von Dr. Fusselpulli
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"Am Gendern sollt ihr sie erkennen"

Ich denke der tatsächliche Nutzen am "Gendern" liegt nicht darin tatsächlich Sexismus zu bekämpfen oder Gleichberechtigung herzustellen, sondern darin einen moralischen Wert in die Gesellschaft zu tragen um damit Anhänger für einen politischen Prozess zu generieren.
Es ist ein Symbol für eine Idee und dient als solches als Wiedererkennungswert einer Organisationsstrucktur zur Durchsetzung einer moralischen Idee.

Die Idee ist, dass gesellschaftliche Geschlechtsunterschiede schlecht sind, und gesellschaftliche Geschlechtsgleichheit gut ist.
Gendern entspricht der Idee, dass ein "Gleichgewicht" in der Sprache und damit auch im Denken hergestellt werde, und damit Geschlechtsunterschiede in der Gesellschaft ausgeglichen würden.
Gendern wird damit selbst zum Symbol für gesellschaftliche Geschlechtsunterschiede. Wer es macht, ist gut und gegen diese Unterschiede, wer es nicht macht ist schlecht und für die Unterschiede, so der moralische Wert.

Symbolik gibt dem Menschen eine Orientierung in der Welt, und einen Wiedererkennungswert über den sich Menschen in Gruppen Organisieren und damit politische Macht entfalten können. Organisationsstrukturen bedürfen keiner Hierarchie, sie funktionieren hauptsächlich über die Sprache generalisierter Symbole.
Das kann die Art sich zu kleiden sein, die Musik die gehört wird, die Art wie Leute eine Frisur tragen, oder aber auch, wie sie sprechen und schreiben. Insgesamt der Habitus eines Menschen.
Über diesen wird auch der Wertehabitus, die moralische Ausrichtung bestimmt und besonders auch übertragen und organisiert.

Gendern ist also ein Symbol zur Organisation einer Moralidee.
Und das ist der Grund, warum diese Idee auch so heftig diskutiert wird, da die Diskussion nicht den Regeln der Wahrheitsfindung entspricht (was ist Wirklichkeit, was ist nicht Wirklichkeit), sondern den Regeln der Moral (Was ist gut und was ist schlecht), und darüber hinaus auch Menschen nach dieser Kathegorie sortiert.
Es geht um Gruppenzugehörigkeit, Tribalismus.
Es ist der gleiche Mechanismus über den auch Ideologien und damit auch Religionen funktionieren. Und dort wo Leute über ihre Weltanschauungen diskutieren läuft es selten friedlich ab. Es ist also kein Wunder, dass in diesem Thread teilweise so heftig disktiert wird, und warum das Thema so viel Gesprächsbedarf erzeugt.

Diesen Mechanismus empfinde ich als bedenklich. Darüber hinaus zweifel ich an, dass gesellschaftliche Geschlechtsunterschiede per se schlecht sind, denn ich halte die Gleichheit der Geschlechter für einen Mythos.
Der Unterschied der Geschlechter ist maßgeblich für das funktionieren unserer Gesellschaft, denn nur diesem Unterschied ist es überhaupt geschuldet, dass wir uns als Menschen fortpflanzen und damit überhaupt existieren können.
Männliche und weibliche Sexualität steht nicht gleich, nicht spiegelbildlich zueinander, sondern asymetrisch. Diese Asymetrie alleine sorgt meiner Ansicht nach für einen Großteil der gesellschaftlichen Geschlechtsunterschiede, und wurde auch übergreifend von allen menschlichen Kulturen aufgegriffen, und in verschiedenen Formen in Moralwerte und Symbolik übertragen, und dadurch in die Gesellschaft getragen und durch diese verstärkt.

Dort wo wir ernsthaft versuchen gesellschaftliche Geschlechtsunterschiede auflösen zu wollen, werden wir mit der steigenden Unfähigkeit zur geschlechtlichen Paarbindung konfrontiert werden, sowie dem steigendem Unvermögen uns weiterhin fortpflanzen und unseren Nachwuchs auf das Leben in der Welt vorbereiten zu können.
Eine solche Gesellschaft erscheint auf Dauer nicht überlebensfähig und ist mit hohem individuellem Leid verbunden. Zum Beispiel individuelle Einsamkeit oder gesellschaftliche Demografieprobleme.

Der Kampf um Gleichberechtigung ist irreführend. Es gibt (zumindest in Deutschland) kein Recht, das Frauen benachteiligt. Von der Rechtsfrage her, gibt es trotzdem keine Gleichberechtigung, denn es gibt einige Gesetze die Männer benachteiligen. Mir fällt dazu zum Beispiel die im Grundgesetz verankerte Wehrpflicht ein, oder die Tatsache, dass nach dem Strafgesetzbuch eine exibitionistische Handlung nur von Männern begangen werden kann.
Das bedeutet nicht, dass es Chancengleicheit zwischen den Geschlechtern gibt, wenn die Gleichberechtigung in Deutschland also kein Problem mehr darstellt, dann die Geschlechtergerechtigkeit.
Das ist allerdings äußerst kompliziert, denn daran sind bereits viele Philosophen mehr oder weniger gescheitert, diese Frage hinreichend zu beantworten. Was ist Gerechtigkeit?
Wie kann Gerechtigkeit in einer Welt der Ungleichheit existieren und wenn wir eine Gerechtigkeit der Gleichheit anstreben, dann ist Diversität die Quelle der Ungerechtigkeit. Gleichheit oder Vielfalt?
Was ist Gerechtigkeit und wie funktioniert sie?

Die Frage bleibt natürlich offen, ob die entstandenen kulturellen Formen der symbolischen Geschlechtsunterschiede und dessen Moralwerte jenen der biologischen Geschlechtsunterschiede angemessen sind, und wie wir das eine besser mit dem Anderen in Einklang bringen können. Aber das ist ein äußerst komplexes und schwer zu erforschendes Thema, denn der Mensch lässt sich nicht isoliert von seiner Kultur oder Biologie untersuchen. Die Natur kennt keine Gerechtigkeit.
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Poolshark
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Beitrag21.12.2018 15:13

von Poolshark
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Genau wegen solcher potenziell auftretender Vorwürfe der "Gleichmachung" benutze ich lieber den Begriff Chancengleichheit, wenn es um das Thema Sexismus geht. Mir persönlich geht es nicht darum, dass wir alle gleich sein sollen, sondern dass wir die Unterschiede der Individuen und ihrer Geschlechteridentitäten respektieren lernen und niemanden in seiner persönlichen, beruflichen, wirtschaftlichen Freiheit einschränken. Für mich ist das eine Frage von Gerechtigkeit, ja. Aber man kann diese Idee auch mit Wirtschaftlichkeit und Effizienz begründen. Bestimmten Menschengruppen Chancen zu verwehren, ist eine Einschränkung des kollektiven kognitiven Menschheitspotenzials und eine Verleugnung unserer Wirklichkeit. Wie viele Männer würden lieber zu Hause bleiben und sich um die Kinder kümmern, wären sehr viel bessere Eltern, als die Frau, die sich lieber beruflich verwirklichen würde und den Frust dann an ihrer Familie auslässt, weil sie sich in ihrer Mutterrolle und den damit verbundenen Erwartungen gefangen fühlt? Wie viele Frauen würden Höchstleistungen in der Forschung bringen, wenn sie nicht ständig gegen Vorurteile und Schlimmeres kämpfen müssten? Hätten wir die großen Fragen der Menschheit längst gelöst, wenn allen Menschen gleiche Bildungs- und Berufschancen freistünden? Vermutlich nicht, aber ich denke, wir wären ein ganzes Stück weiter.

In der Bewegung des modernen Feminismus schwingt manchmal ein Verneinen der klassischen Weiblichkeit mit, eine Scham der Häuslichkeit, der Mütterlichkeit und der Sanftheit. Frauen müssen tough sein und sich auf eine klassisch männlich-dominante Weise behaupten. Und wehe, wenn nicht. Daher kommt vielleicht deine Befürchtung der Gleichmachung. Für mich ist das kein Feminismus, sondern Frauenhass. Die Feministen, die ich kenne, würden dem zustimmen.

Und was das Argument einer unnatürlichen, politisierten Moralidee angeht: Geschlechteridentitäten sind alles andere als in Stein gemeißelt. Das sieht man schon allein daran, dass sich Rollenbilder abhängig von der Kultur, der religiösen Prägung und dem Zeitalter verändern. Deshalb sollten wir nicht so tun, als hätte jemand darum gebeten, den Regen zukünftig von unten nach oben fallen zu lassen. Es gibt immer noch arge Probleme, mit denen Frauen und Männer aufgrund vorgestanzter Rollenerwartungen zu kämpfen haben, und diese Probleme sollte man nicht bagatellisieren.

Dr. Fusselpulli hat Folgendes geschrieben:
Dort wo wir ernsthaft versuchen gesellschaftliche Geschlechtsunterschiede auflösen zu wollen, werden wir mit der steigenden Unfähigkeit zur geschlechtlichen Paarbindung konfrontiert werden, sowie dem steigendem Unvermögen uns weiterhin fortpflanzen und unseren Nachwuchs auf das Leben in der Welt vorbereiten zu können.
Eine solche Gesellschaft erscheint auf Dauer nicht überlebensfähig und ist mit hohem individuellem Leid verbunden.

Das Problem mit der mangelnden Bindungsfähigkeit sehe ich auch, würde aber nicht die Umwürfe in den klassischen Geschlechterrollen dafür verantwortlich machen, zumindest nicht als alleinige Ursache. Ich empfinde den Kapitalismus, der uns zueinander in Konkurrenz stellt und die Medien, die unrealistische Erwartungen an unsere Partner und unsere Lebensentwürfe nähren, als sehr viel destruktiver als die Verwirrungen, die durch Änderungen in der klassischen Rollenverteilung entstehen könnten. Ja, derartige Rollen können vielen Menschen Halt geben, den sie jetzt verlieren. Aber nur, wenn Menschen lernen, ihr Leben ohne vorgegebene Förmchen zu leben, kann man darauf hoffen, wirklich autonome, selbstbewusste Bürger zu "schaffen". Auch glaube ich, dass der Frust durch zu enge Korsetts für Männer und Frauen psychisch belasteten Nachwuchs produziert, der die Welt nicht friedlicher macht.

Apropos Friedlichkeit: In jeder Bewegung, die gesellschaftliche Umwürfe anstrebt, den Status Quo anzweifelt und die Macht der herrschenden gesellschaftlichen Klasse infrage stellt, wird es ungemütlich. Daran würde ich nicht den Wert einer politischen Bewegung messen. Nach der Argumentation könnte man auch den Abolismus kritisieren.
Ich persönlich denke zwar auch, dass der klassische Kampf-Feminismus in 99% der Fälle ausgedient hat und wir lernen sollten, einander zu verstehen, statt zu Feindbildern zu erklären, bin aber nicht so naiv, dass ich annehme oder verlange, dass gesellschaftliche Veränderungen deshalb immer friedlich und einvernehmlich stattfinden werden.

Zitat:
Die Natur kennt keine Gerechtigkeit.

Auch hier würde ich widersprechen. Menschen sind Natur, und Menschen kennen Gerechtigkeit. Selbst Tiere haben ein Verständnis von Gerechtigkeit.
Aber da stimme ich dann wieder mit dir überein: Was Gerechtigkeit ist, ist eine schwierig zu klärende Frage.


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kioto
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Beitrag21.12.2018 15:24

von kioto
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Poolshark hat Folgendes geschrieben:
Für mich sind Überlegungen rund ums Gendern und alle Aspekte der Sprachentwicklung ein wichtiges Thema, wenn es um Gleichberechtigung und die Daseinsberechtigung von Frauen in der Welt geht, aber es ist nur ein Teil eines großes Puzzles. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass es viele Befürworter gibt, die ernsthaft was anderes behaupten würden.


Natürlich ist trotz gesetzlicher Gleichberechtigung nicht alles Ok. Ob aber Gendern wirklich die geeignete Methode ist, um wirkliche oder gefühlte Stolpersteine aus dem Weg zu räumen?
Ich habe manchmal das Gefühl, dass in einigen Dingen das Augenmaß verloren wird. Wenn für Kinder (warum nicht auch für Erwachsene?) Unisexkleidung eingeführt wird, wenn in Kindergärten Spielzeuge als rollenprägend verteufelt werden, im Extremfall Mädchen nur mit Autos und Jungen mit Puppen spielen sollen, um die Entstehung von Rollenbildern zu verhindern, dann werden immer mehr Persönlichkeitsrechte eingeschränkt.
Denn es ist in meinen Augen ein Unterschied, ob ich fordere, jeder muss die gleichen Chancen haben, Beruf X zu ergreifen (Fokus auf das Individuum) oder ob ich fordere, im Beruf X müssen 50% Frauen beschäftigt sein und wenn das nicht so ist, müssen gesellschaftpolitisch korrigierende Maßnahmen eingeleitet werden. Hier besteht die Gefahr, Persönlichkeitsrechte einzuschränken. Ich erinnere mich da an eine Talkshow, in der eine Feministin ziemlich arrogant und abschätzig mit einer anderen Teilnehmerin umging, deren Lebensmodell eher Hausfrau und Mutter war. Oder der Identitären-Erkennungs-Erlass (Mädchen mit Kleid und/oder Zöpfen deuten auf verdächtige Familien) unserer Familienministerin.
Der extreme Feminismus, der sozusagen die Umkehrung der Gesellschaft fordert, führt, um beim Beispiel Literatur zu bleiben, zu skurrilen Ergebnissen.
Ich wollte ein Buch eine  US amerikanischen SF Autorin kaufen, das mir vom Thema zusagte. Es hatte in USA viele Preise eingeheimst.
Zum Glück für die Leser (nicht für die Autoren Embarassed ) gibt es ja den Amazon Preview. In einem sieben Seiten langen Vorwort wies der Übersetzer auf die Probleme hin, die er hatte, das Buch, das im englischen konsequent in weiblicher Form geschrieben worden war, ins deutsche zu Übersetzen.
Der weitere Text zeigte dann Formulierungen wie "die männliche Offizierin" oder "die grimmige Wirtin mit schwarzem Bart".
Ich glaube nicht, dass ich mich an so etwas gewöhnen könnte.


_________________
Stanislav Lem: Literatur versucht, gewöhnliche Dinge ungewöhnlich zu beschreiben, man erfährt fast alles über fast nichts.
Phantastik beschreibt ungewöhnliche Dinge (leider m.M.) meist gewöhnlich, man erfährt fast nicht über fast alles.

Gruß, Werner am NO-Kanal
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Dr. Fusselpulli
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Beitrag21.12.2018 15:34

von Dr. Fusselpulli
Antworten mit Zitat

Poolshark hat Folgendes geschrieben:
Mir persönlich geht es nicht darum, dass wir alle gleich sein sollen, sondern dass wir die Unterschiede der Individuen und ihrer Geschlechteridentitäten respektieren lernen und niemanden in seiner persönlichen, beruflichen, wirtschaftlichen Freiheit einschränken. Für mich ist das eine Frage von Gerechtigkeit, ja.


Da bin ich mit dir einer Meinung. Aber wann ist dieser punkt erreicht. Wenn es unterschiede der Geschlechter gibt, die sich auch in den Interessen wiederspiegeln. Woher wissen wir, welche Unterschiede der Gesellschaft, und welche Unterschiede der Biologie geschuldet sind?
Sprich, wir werden unterschiede sehen, auch wenn wir eine theoretische Chancengleichheit hätten.
Jene Unterschiede bilden dann wiederum das Argument, dass Chancengleichheit nicht existiere, weil ja Unterschiede in der Gesellschaft sichtbar seien.

Poolshark hat Folgendes geschrieben:

Bestimmten Menschengruppen Chancen zu verwehren, ist eine Einschränkung des kollektiven kognitiven Menschheitspotenzials und eine Verleugnung unserer Wirklichkeit.


Auch da bin ich mit dir vollkommen einer Meinung. Aber es ist schwer zu sehen, was nun die Ursachen sind. Wir alle sehen die Welt nur durch unseren subjektiven Blick.
Die Annahme beobachtete Ungleichheit entspränge aus der Ausgrenzung anderer Gruppen liegt der annahme zugrunde, es gäbe im Grunde keine Ungleichheit zwischen den Gruppen, und diese seien kulturell geschaffen.

Poolshark hat Folgendes geschrieben:

Wie viele Männer würden lieber zu Hause bleiben und sich um die Kinder kümmern, wären sehr viel bessere Eltern, als die Frau, die sich lieber beruflich verwirklichen würde und den Frust dann an ihrer Familie auslässt, weil sie sich in ihrer Mutterrolle und den damit verbundenen Erwartungen gefangen fühlt? Wie viele Frauen würden Höchstleistungen in der Forschung bringen, wenn sie nicht ständig gegen Vorurteile und Schlimmeres kämpfen müssten? Hätten wir die großen Fragen der Menschheit längst gelöst, wenn allen Menschen gleiche Bildungs- und Berufschancen freistünden? Vermutlich nicht, aber ich denke, wir wären ein ganzes Stück weiter.


Da bin ich mir nicht so sicher. Hier spielen zu viele Faktoren mit, Wunsch heißt nicht gleich Befähigung und sagt nichts darüber aus, wie groß der Wunsch der einzlenen Person überhaupt ist und ob der Wunsch überhaupt besteht. Ich zweifel das mal an.

Poolshark hat Folgendes geschrieben:

Und was das Argument einer unnatürlichen, politisierten Moralidee angeht: Geschlechteridentitäten sind alles andere als in Stein gemeißelt. Das sieht man schon allein daran, dass sich Rollenbilder abhängig von der Kultur, der religiösen Prägung und dem Zeitalter verändern. Deshalb sollten wir nicht so tun, als hätte jemand darum gebeten, den Regen zukünftig von unten nach oben fallen zu lassen. Es gibt immer noch arge Probleme, mit denen Frauen und Männer aufgrund vorgestanzter Rollenerwartungen zu kämpfen haben, und diese Probleme sollte man nicht bagatellisieren.


Auch dem wiederspreche ich. Die Symbole und die Moralwerte die die Gesellschaft aus den biologischen existierenden Unterschieden geformt hat unterscheiden sich. Aber in ihren Gemeinsamkeiten liegt auch der Kern der existierenden biologischen Unterschiede begründet.
Die beobachtbaren kulturellen Geschlechtsunterschiede sind Wirkung einer gemeinsamen schwer erfassbaren Ursache.

Poolshark hat Folgendes geschrieben:

Das Problem mit der mangelnden Bindungsfähigkeit sehe ich auch, würde aber nicht die Umwürfe in den klassischen Geschlechterrollen dafür verantwortlich machen, zumindest nicht als alleinige Ursache. Ich empfinde den Kapitalismus, der uns zueinander in Konkurrenz stellt und die Medien, die unrealistische Erwartungen an unsere Partner und unsere Lebensentwürfe nähren, als sehr viel destruktiver als die Verwirrungen, die durch Änderungen in der klassischen Rollenverteilung entstehen könnten. Ja, derartige Rollen können vielen Menschen Halt geben, den sie jetzt verlieren. Aber nur, wenn Menschen lernen, ihr Leben ohne vorgegebene Förmchen zu leben, kann man darauf hoffen, wirklich autonome, selbstbewusste Bürger zu "schaffen". Auch glaube ich, dass der Frust durch zu enge Korsetts für Männer und Frauen psychisch belasteten Nachwuchs produziert, der die Welt nicht friedlicher macht.


Das halte ich für gänzlich fehlinterpretiert.


Poolshark hat Folgendes geschrieben:

Apropos Friedlichkeit: In jeder Bewegung, die gesellschaftliche Umwürfe anstrebt, den Status Quo anzweifelt und die Macht der herrschenden gesellschaftlichen Klasse infrage stellt, wird es ungemütlich. Daran würde ich nicht den Wert einer politischen Bewegung messen. Nach der Argumentation könnte man auch den Abolismus kritisieren.


Vollkommen richtig. Der Motor der Veränderung, und damit die Lösung existierender Probleme, liegt im Konflikt. Und Konflikte sind per se eine streitbare und heftige, zuweilen auch äußerst gewaltsame Angelegenheit.
Das ist Bestandteil davon, wie Moral und gesellschaftlicher Wandel funktioniert.
Ich sehe den Konflikt nicht als per se destruktiv an.
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Poolshark
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Beitrag21.12.2018 15:36

von Poolshark
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@kioto: Ja, die Umsetzung glückt nicht immer, und in jeder Bewegung gibt es Hardliner, die den Gedanken sozialer Gerechtigkeit auch gern als Dogma und verbale Keule, die sie anderen überziehen können, zweckentfremden. Ich find's schade, dass das die Bemühungen als ganzes oft in Misskredit bringt. Für mich ist das alles nur Teil eines Entwicklungsprozesses, mit all den Fehltritten, die dazugehören.

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Poolshark
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Beitrag21.12.2018 15:55

von Poolshark
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Dr. Fusselpulli hat Folgendes geschrieben:
Poolshark hat Folgendes geschrieben:
Mir persönlich geht es nicht darum, dass wir alle gleich sein sollen, sondern dass wir die Unterschiede der Individuen und ihrer Geschlechteridentitäten respektieren lernen und niemanden in seiner persönlichen, beruflichen, wirtschaftlichen Freiheit einschränken. Für mich ist das eine Frage von Gerechtigkeit, ja.

Da bin ich mit dir einer Meinung. Aber wann ist dieser punkt erreicht. Wenn es unterschiede der Geschlechter gibt, die sich auch in den Interessen wiederspiegeln. Woher wissen wir, welche Unterschiede der Gesellschaft, und welche Unterschiede der Biologie geschuldet sind?

Indem wir auf Bedürfnisse hören. In diesem und anderen Threads zu dem Thema wurde von Frauen einiges über Erfahrungen und mitunter unerfüllte Bedürfnisse geschrieben. Wenn eine Frau in die Forschung gehen will, soll sie die gleichen Bildungs- und Berufsoptionen haben wie ein Mann. Will sich ein Mann auf die Kindererziehung konzentrieren, soll er die Möglichkeiten dazu haben ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen oder weniger männlich zu fühlen. Kann sich jemand nicht in diesem binären Geschlechtersystem einfinden, soll das auch in Ordnung sein. Es gibt diese Bedürfnisse. Natürlich kann man darüber diskutieren, wo diese Bedürfnisse herkommen. Ist ja auch eine spannende, wenn auch vermutlich nicht abschließend oder allumfassend zu klärende Frage. Aber ich denke, man tut gut daran, seine Mitmenschen ernstzunehmen. Nicht jede Frau will Mutter sein, nicht jeder Mann das Alphamännchen. Warum sollte man das infrage stellen?

Zitat:
Aber es ist schwer zu sehen, was nun die Ursachen sind. Wir alle sehen die Welt nur durch unseren subjektiven Blick.
Die Annahme beobachtete Ungleichheit entspränge aus der Ausgrenzung anderer Gruppen liegt der annahme zugrunde, es gäbe im Grunde keine Ungleichheit zwischen den Gruppen, und diese seien kulturell geschaffen.

Ich habe das weiter oben schon ausgeführt, dass ich die Unterschiede eher zwischen Individuen und nicht zwischen vermeintlich homogenen Gruppen sehe. Für mich gibt es kein "Alle Frauen" und "Alle Männer", deshalb ist es für mich wenig attraktiv, in diesen Kategorien auch nur zu denken. Auch die moderne Forschung kann keine wirklichen Trennlinien zwischen den Gruppen männlich und weiblich ziehen.

Als Frau kann ich dir nur sagen, dass ich die Grenzen, was für Jungs und für Mädchen in dieser Gesellschaft an Interessen und Verhaltensweisen vorgesehen ist, schon in sehr jungen Jahren als sehr einengend und unfair empfunden habe. Damit bin ich bei Weitem nicht allein. Die Tatsache, dass es den Ruf nach Chancengleichheit gibt, sollte einem zumindest zu denken geben. Das heißt nicht, dass dieser Ruf auch seltsame, übergriffige Formen annehmen kann, aber ein gewisses Grundvertrauen in die Bedürfnisse seiner (zahllosen) Mitmenschen sollte zumindest ein nicht ganz unwichtiger Richtungsweiser bei der Klärung der Frage ein, ob eine Veränderung notwendig ist.


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nebenfluss
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Beitrag21.12.2018 18:09

von nebenfluss
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Poolshark hat Folgendes geschrieben:
Will sich ein Mann auf die Kindererziehung konzentrieren, soll er die Möglichkeiten dazu haben ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen oder weniger männlich zu fühlen.

An dieser Stelle versagt meine utopische Fantasie.
Menschen, die ihren Willen in die Tat umsetzen wollen, müssen dies natürlich auch gegen widerstrebende Interessen anderer vertreten/verteidigen.
Nehmen wir - fiktiv - an, mein alternder Vater wollte, dass ich seinen Handwerksbetrieb übernehme. Ich aber sage: Nee, du, wir wollen Kinder und für die will ich ganz und gar da sein. Natürlich entsteht da Konflikt und Rechtfertigungszwang.
Ist mein Vater dann beleidigt abgezogen, kommt vielleicht meine Frau und sagt: Nein, du musst schon auch arbeiten gehen, sonst können wir unseren Lebensstandard nicht halten. Es gibt ja die Ganztages-KiTa, und die können wir uns dann auch leisten. Nächster Konflikt, nächste Rechtfertigung.
Wie soll man das ändern? Und sich männlich fühlen?
Okay, im Beispiel fühlte ich mich vielleicht gerade deshalb männlich, weil ich die Konflikte ausgehalten und meine Bedüfnisse durchgesetzt habe. Aber aus der Kindererziehung selbst kann ich doch kein Gefühl von Männlichkeit schöpfen. Dazu müsste Kindererziehung ja eine explizit männliche Domäne werden, und das wäre ja nur eine Umkehr der klassischen Verhältnisse, und für die individuelle Freiheit wäre nichts gewonnen.


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Murmel
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Beitrag21.12.2018 18:47

von Murmel
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kioto hat Folgendes geschrieben:
Poolshark hat Folgendes geschrieben:
Für mich sind Überlegungen rund ums Gendern und alle Aspekte der Sprachentwicklung ein wichtiges Thema, wenn es um Gleichberechtigung und die Daseinsberechtigung von Frauen in der Welt geht, aber es ist nur ein Teil eines großes Puzzles. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass es viele Befürworter gibt, die ernsthaft was anderes behaupten würden.


Natürlich ist trotz gesetzlicher Gleichberechtigung nicht alles Ok. Ob aber Gendern wirklich die geeignete Methode ist, um wirkliche oder gefühlte Stolpersteine aus dem Weg zu räumen?


Ich bleibe dabei, wie ja in meinem alten Post, der zitiert wurde, dass würde Gendern tatsächlich die Probleme aus der Welt schaffen, es in Sprachen, wo es keine Gender in Berufsbezeichnungen gibt, diese nicht vorkommen.

Es gibt sie aber trotzdem.

Gendern ist Aktionismus in meinen Augen. Für mich steht die Freiheit der Wahl im Vordergrund. Wenn ein Mann die Kinder erziehen und zu Hause bleiben will, dann muss er die Freiheit dazu haben. Wenn eine Frau Dienst an der Waffe tun will, dann soll sie es tun dürfen. Das erreiche ich aber nicht durch Gendern.


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Eliane
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Beitrag21.12.2018 19:10

von Eliane
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nebenfluss hat Folgendes geschrieben:
Aber aus der Kindererziehung selbst kann ich doch kein Gefühl von Männlichkeit schöpfen. Dazu müsste Kindererziehung ja eine explizit männliche Domäne werden, und das wäre ja nur eine Umkehr der klassischen Verhältnisse, und für die individuelle Freiheit wäre nichts gewonnen.


Meinem Empfinden nach geht es doch nicht darum (oder besser: sollte es nicht darum gehen), die Verhältnisse umzukehren, sondern vielmehr, Tätigkeiten/Berufe/... von ihrer Zuordnung als spezifisch männlich/spezifisch weiblich zu befreien. Damit würden alle Geschlechter mehr Freiheiten gewinnen - das ist für mich der Kernpunkt an der ganzen Diskussion über Feminismus und Chancengleichheit: Frei entscheiden zu können, was man tun möchte, unabhängig vom eigenen Geschlecht und davon, ob diese Tätigkeit jetzt von der Gesellschaft als geschlechtstypisch gesehen wird oder nicht.

Beispiel: Wenn ich wissenschaftlich arbeite, definiere ich mich über diese Tätigkeit weder als Mann noch als Frau, sondern als ein Mensch, der sich mit Forschungsergebnissen anderer auseinandersetzt, eigene Experimente designt und sie durchführt, Daten präsentiert und diskutiert. Welchem Geschlecht ich angehöre, ist dafür vollkommen irrelevant, was zählt, ist mein logisches Denken, meine analytischen Fähigkeiten, mein Know-How im Labor.

Wenn ich mich zuhause um meine Kinder kümmere, dann definiere ich mich darüber, dass ich Verantwortung für ihr Wohlergehen und ihre Erziehung trage, dass ich für sie da bin, mich um sie kümmere. All das sind Tätigkeiten, die (genauso wie berufliche Tätigkeiten) mein Mann ebenso gut übernehmen kann wie ich. Das Einzige, was er nicht kann, ist Schwangerwerden und Stillen. Und damit hat sich's auch schon mit den biologischen Unterschieden. Soll heißen: In dem Augenblick, in dem ich mit der Kindererziehung beschäftigt bin, spielt mein Geschlecht ebensowenig eine Rolle wie im Beruf, sondern auch hier definiere ich mich über das Tun - nur dass das hier erheblich schwerer ist als im Job, weil es gesellschaftlich viel stärker geschlechtsspezifisch vorbelastet ist.

Der Knackpunkt an der ganzen Sache ist für mich, dss ich mich durch keine meiner Tätigkeiten explizit als Frau oder als Mann fühle. Dass ich mich als Frau definiere, beruht auf ganz anderen Faktoren, und über die mache ich mir nicht laufend Gedanken, wieso auch (da ich nun mal in der glücklichen Lage bin, mich ohne Weiteres mit meinem biologischen Geschlecht zu identifizieren bzw. diesen Identifikationsprozess seit langer Zeit abgeschlossen zu haben)? Wenn ich am Arbeiten bin, egal ob zuhause oder im Labor, denke ich doch darüber nicht mal nach. Ihr etwa?

Und um den Bogen zum Gendern zurück zu schlagen: Ich glaube schon, dass es gerade in puncto Berufswahl oder auch Entscheidung für/gegen Elternzeit eine massive Rolle spielt, ob man die Möglichkeit für das eigene Geschlecht gegeben sieht, ob sie in der Sprache sichtbar ist oder nicht. Siehe mein Beispiel mit dem Sprechstundenhelfer ein paar Seiten früher. Ich kann mich nur für einen Beruf entscheiden, von dem ich weiß, dass er existiert und für mich eine Option darstellt.
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Poolshark
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Beitrag21.12.2018 22:46

von Poolshark
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nebenfluss hat Folgendes geschrieben:
Okay, im Beispiel fühlte ich mich vielleicht gerade deshalb männlich, weil ich die Konflikte ausgehalten und meine Bedüfnisse durchgesetzt habe. Aber aus der Kindererziehung selbst kann ich doch kein Gefühl von Männlichkeit schöpfen. Dazu müsste Kindererziehung ja eine explizit männliche Domäne werden, und das wäre ja nur eine Umkehr der klassischen Verhältnisse, und für die individuelle Freiheit wäre nichts gewonnen.

Das habe ich missverständlich ausgedrückt. Seine Männlichkeit (wie immer man die jetzt für sich definiert oder genauer gesagt: definiert bekommen hat) zieht man vielleicht nicht unbedingt aus der Kindererziehung. Ich weiß auch nicht, ob das eine gute Idee ist, seine ganze Identität an eine einzige Sache zu hängen. Und auch bestimmte Tätigkeiten als explizit maskulin und feminin zu definieren, ist doch genau das, was man mit dem Gendern zu ändern versucht. Was ich meinte, war, dass ein Mann nicht den Respekt und seine männliche Identität verlieren sollte, wenn er etwas tut, dass als traditionell weiblich gilt. Das dauert sicher noch eine Weile, bis wir Menschen im Allgemeinen nicht so aburteilen, aber utopisch finde ich das nicht. (Liegt vielleicht daran, dass ich im liberalen Berlin lebe).

Murmel hat Folgendes geschrieben:
Ich bleibe dabei, wie ja in meinem alten Post, der zitiert wurde, dass würde Gendern tatsächlich die Probleme aus der Welt schaffen, es in Sprachen, wo es keine Gender in Berufsbezeichnungen gibt, diese nicht vorkommen.

Dazu habe ich mich ein paar Posts weiter oben sehr ausführlich ausgelassen. Direkte Vergleiche zwischen verschiedenen Sprachen und Kulturkreisen halte ich für wenig sinnvoll. Dazu gibt es in gesellschaftlichen Entwicklungen einfach zu viele Variablen.
Murmel hat Folgendes geschrieben:
Gendern ist Aktionismus in meinen Augen. Für mich steht die Freiheit der Wahl im Vordergrund. Wenn ein Mann die Kinder erziehen und zu Hause bleiben will, dann muss er die Freiheit dazu haben. Wenn eine Frau Dienst an der Waffe tun will, dann soll sie es tun dürfen. Das erreiche ich aber nicht durch Gendern.

Ich glaube, Gendern könnte das Zünglein an der Waage sein. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.


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Dr. Fusselpulli
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Beitrag21.12.2018 23:34

von Dr. Fusselpulli
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Poolshark hat Folgendes geschrieben:

Indem wir auf Bedürfnisse hören. In diesem und anderen Threads zu dem Thema wurde von Frauen einiges über Erfahrungen und mitunter unerfüllte Bedürfnisse geschrieben. Wenn eine Frau in die Forschung gehen will, soll sie die gleichen Bildungs- und Berufsoptionen haben wie ein Mann. Will sich ein Mann auf die Kindererziehung konzentrieren, soll er die Möglichkeiten dazu haben ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen oder weniger männlich zu fühlen. Kann sich jemand nicht in diesem binären Geschlechtersystem einfinden, soll das auch in Ordnung sein. Es gibt diese Bedürfnisse. Natürlich kann man darüber diskutieren, wo diese Bedürfnisse herkommen. Ist ja auch eine spannende, wenn auch vermutlich nicht abschließend oder allumfassend zu klärende Frage. Aber ich denke, man tut gut daran, seine Mitmenschen ernstzunehmen. Nicht jede Frau will Mutter sein, nicht jeder Mann das Alphamännchen. Warum sollte man das infrage stellen?


Ich bin bei dir, und denke, dass jeder dass machen sollte, was ihm am besten gefällt. Gleichzeitig spielen aber auch befähigung und gesellschaftliche Nachfrage eine wichtige Rolle.
Wenn ich das bedürfnis habe, ein erfolgreicher englischsprachiger Author zu sein, dann fehlen mir als nicht englischer Muttersprachler dazu zum einen die Fähigkeiten, zum Anderen ist die Nachfrage nicht so hoch, dass jeder ein einfolgreicher Author sein könnte.
Wer die Fähigkeit hat und Willens ist eine nachgefragte Tätigkeit auszuüben, der soll das machen. Das wiederspricht auch keinen marktwirtschaftlichen Regeln.
Wer willens ist eine Tätigkeit auszüben, aber nicht die Fähigkeiten dazu hat, oder damit eine Nachfrage befriedigt, der soll diese Tätigkeit in seiner eigenen Verantwortung ebenfalls ausüben.
Aber, selbst wenn wir dieser Maxime folgen, werden wir Gesellschaftliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen im Durchschnitt feststellen, und diese Unterschiede haben eine Wechselwirkung darauf wie sich Rollenbilder entwickeln.

Poolshark hat Folgendes geschrieben:

Ich habe das weiter oben schon ausgeführt, dass ich die Unterschiede eher zwischen Individuen und nicht zwischen vermeintlich homogenen Gruppen sehe. Für mich gibt es kein "Alle Frauen" und "Alle Männer", deshalb ist es für mich wenig attraktiv, in diesen Kategorien auch nur zu denken. Auch die moderne Forschung kann keine wirklichen Trennlinien zwischen den Gruppen männlich und weiblich ziehen.


Auch da gebe ich dir recht, individuelle Unterschiede überwiegen gruppenbezogene Unterschiede bei weitem, weshalb wir generell zuerst auf das Individuum schauen sollten, sofern wir es können.
Rückschlüsse von einer Gesamtmenge auf das Individuum zu schließen halte ich ohnehin für schwierig. Hier empfehle ich das Buch "Alle, nicht Jeder" von Elisabeth Noelle-Neumann und Thomas Petersen.
Das Argument ist mir also gut bekannt. Mir geht es nicht um die Individualperspektive sondern um die Gesellschaftsperspektive.
Ich nehme an, dass dir dieser unterschied auch gut bewusst ist, anders kann ich mir sonst diesen Wiederspruch nicht erklären:

Poolshark hat Folgendes geschrieben:

Für mich gibt es kein "Alle Frauen" und "Alle Männer", deshalb ist es für mich wenig attraktiv, in diesen Kategorien auch nur zu denken. [15 wörter später]
Als Frau kann ich dir nur sagen [...]

Du sagst mir, dass du in dieser Kathegorie nicht denken möchtest, und nimmst dich dann selbst in die Kathegorie um ein Argument zu begründen.

Mensch als Idividuen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Kathegorie auszuschließen halte ich, so wie du auch, nicht für angebracht.
Dennoch halte ich Rollenbilder, auch geschlechtliche Rollenbilder in der Gesellschaft sinnvoll und wichtig, solange aus diesen kein normativer Zwang erwächst.
Es ist aber schwierig zu sagen, wo die Grenzen sind.
Denn "die Freiheit des einen hört da auf, wo die Freiheit des anderen anfängt" ist ein nobler aber Wirklichkeitsfremder Gedanke.
Denn wo fängt Freiheit an und wo hört sie auf?

Poolshark hat Folgendes geschrieben:

Was ich meinte, war, dass ein Mann nicht den Respekt und seine männliche Identität verlieren sollte, wenn er etwas tut, dass als traditionell weiblich gilt.

Der Meinung bin ich auch. Nur weil dieser oder jener eine bestimmte Tätigkeit ausführt, eine bestimmte Frisur oder Kleindung trägt, ändert es nichts an seinem Geschlecht, und ist dieser in seiner Identität selbstbewusst gefestigt, dann weiß er dieses auch.
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nebenfluss
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Beitrag22.12.2018 01:17

von nebenfluss
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Hallo Poolshark,

deine Antwort an mich ändert für mich nichts.
Ich verstehe dich so, dass du am liebsten die sozialen Geschlechterrollen vollständig abschaffen würdest. Gleichzeitig willst du sie aber als identitätsstiftende Referenzen aufrecht erhalten, in meinen Augen die Quadratur des Kreises.
Nein, es bliebe - abseits der biologischen Unterschiede - nichts mehr übrig, woran man eine Geschlechts(!)identität aufhängen könnte. Dann laufen wir alle als soziale Neutren durch die Gegend, nur mit verschiedenen primären Geschlechtsmerkmalen. 'Männlich' oder 'weiblich' spielt dann nur noch im direkten Kontext der Fortpflanzung eine Rolle, außerhalb dessen wären diese Begriffe nicht mehr gestattet, denn das würde ja zu einer Erneuerung der Geschlechterrollen führen.
Kann man anstreben; nur die Meinung, man müsse sich dadurch nicht weniger 'als Mann' oder 'als Frau' fühlen, passte für mich nicht dazu - sondern  sowohl Männer wie Frauen sollen sich einfach als Menschen definieren. Bleibt ja vielleicht noch genug anderes zur Identitätsfindung übrig - Begabungen, Interessen, erlernter Beruf, politische Gesinnung, sexuelle Orientierung etc.

EDIT @Eliane:
Habe ich gelesen, und sehe darin gar keinen Widerspruch zu dem, was ich meine.


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