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Fingers Reisen Erklärbär
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Beiträge: 3
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F 03.12.2018 19:35 Fragment: Die Tramperin von Fingers Reisen
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Die Rückleuchten der vor ihr fahrenden Autos waren rote Rechtecke in der Dämmerung und ab und an zog ein paar beißend weißer Scheinwerfer vorbei an einer Reihe Kleinwagen, die geblendet auf die rechte Spur taumelten. Die gelb reflektierenden Schallschutz-Wände formten die Autobahn zu einer Rinne, mit Tupfern von Rot, Weiß und dem Grauschwarz der Dunkelheit wie ein Mondrian in stetiger Gegenbewegung. Sarah war müde. Sie fühlte, dass sie heute besonders viele Klienten gehabt hatte und dass die Fälle noch schwerer wogen als üblich. Zu Hause warteten ihre Kinder auf das Abendessen und sie würde kochen müssen. Es war Spätherbst. Es wurde jetzt wieder früh dunkel. Sarah hasste den Winter.
Die Autofahrt nach Hause war normalerweise ein Höhepunkt ihres Tages, weil sie für eine halbe Stunde niemand brauchte. Manchmal hörte sie Radio oder Musik, meistens aber war es still im Auto und Sarah genoß die Stille. Heute konnte sie die Stille nicht wertschätzen. Die Erwartung des Gefühls der Verantwortung, das sie zu Hause umso mehr umgab, erfüllte sie mit tiefer Erschöpfung. Manchmal und nun mit einer Häufigkeit, die sie verunsicherte, sehnte sie sich nach früheren Jahren, in denen sie frei gewesen war: die Jahre des Studiums, die ersten Arbeitsjahre, auch die Jahre, bevor der Vater der Kinder die Familie verlassen hatte. Die Jahre als die Kinder klein gewesen waren: vielleicht die schönsten ihres Lebens. Sie vermied es, über die Zukunft nachzudenken, denn es war wohl so, dass die Zukunft nicht sehr viel für sie bereit hielt, abgesehen von dem Stolz oder dem Schmerz, die Kinder das Haus verlassen zu sehen und einer kleinen Rente, die nicht zu den Reisen reichen würde, die sie gern gemacht hätte. Der Tankanzeiger war im Begriff, in den roten Bereich zu pendeln und da sie zur nächsten Tankstelle abseits der Autobahn einen Umweg hätte fahren müssen und die Kinder auf das Abendessen warteten, fuhr sie auf die Raststätte, obwohl es teurer war und eigentlich zu teuer.
Als Sarah zum Bezahlen den betonierten Platz zwischen den Zapfsäulen und dem Kundenbereich überquerte, fühlte sie, dass sie beobachtet wurde. Eine junge Frau lächelte ihr über eine Werbetafel hinweg freundlich zu. Während Sarah an der Kasse stand und auf ihr Rückgeld wartete, ärgerte sie sich, dass sie das Lächeln nicht erwidert hatte. Es hatte sie überrascht und aus Gedanken aufgeschreckt. Sie fühlte sich schuldig, obwohl es dazu keinen Grund gab. Als sich die automatischen Türen hinter ihr zusammen schoben, stand die junge Frau plötzlich neben ihr.
“Entschuldigung”, sagte sie mit dem gleichen offenen Lächeln. “Fahren Sie in die Stadt?”
Sarah blieb stehen. “Hä?”, sagte sie. Dann räusperte sie sich, versuchte diesmal zu lächeln und sagte: “Wie bitte?”, obwohl sie die andere eigentlich verstanden hatte.
“Fahren Sie in die Stadt?”, fragte die junge Frau lachend. Sie war schlank, eigentlich eher dünn, und hatte einen großen Rucksack auf dem Rücken. Sarah verstand. Nun lächelte sie ehrlich.
“Trampst du?”, fragte sie.
Die junge Frau nickte.
“Fahre ich, ja. Wo musst du hin?”
Die junge Frau zuckte die Achseln. “Irgendwo eigentlich. Bahnhof wär gut. Ich nehme dann die Straßenbahn.”
“Bahnhof ist kein Problem”, sagte Sarah, obwohl es ziemlich fernab der Route lag.
“Vielen Dank”, sagte die junge Frau und strahlte.
Auf dem Weg zum Auto dachte Sarah daran, dass die Kinder aufs Abendessen warteten. Sie wunderte sich über sich selbst, aber dann bemerkte sie, dass es ihr Freude bereitete, die junge Frau mitzunehmen. “Spring rein”, sagte sie zwinkernd.
Die junge Frau lächelte und ließ sich geschmeidig auf den Beifahrersitz gleiten. Sie war vielleicht zwanzig, vielleicht älter. Eher älter, dachte Sarah. Ihr blondes Haar war hochgesteckt. Als sie sich anschnallte, sah Sarah große Löcher an den Knien ihrer schwarzen Hose. Aber die waren dort wohl mit Absicht. Sie war hübsch.
“Fährst du nach Hause?”, fragte die junge Frau, als sie auf der Autobahn waren, umgeben von roten und weißen Lichtern.
“Ja”, sagte Sarah. Dann fügte sie hinzu: “Zu meinen Kindern.”
“Schön”, sagte die junge Frau lächelnd.
“Ja”, sagte Sarah. “Ja”, wiederholte sie und dann lachte sie fröhlich.
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Klemens_Fitte Spreu
Alter: 41 Beiträge: 2939 Wohnort: zuckerstudio waldbrunn
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03.12.2018 21:24
von Klemens_Fitte
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Hier hätte ich nach dem ersten Absatz beinahe schon aufgehört zu lesen – Kleinwagen, die geblendet taumeln, beißend weiße Scheinwerfer, das ist für den Einstieg schon ein wenig heftig – aber: ich bin drangeblieben, und es wird wesentlich angenehmer zu lesen.
Ein echter Funke sprang nicht über, da fehlt mir noch etwas, das diesen Text auszeichnen oder mehr als ein "Hab's gelesen" hinterlassen könnte. Bei "Fragment" denke ich natürlich daran, dass es noch andere Teile geben könnte, mehr oder weniger lose damit verbunden oder drumherum angeordnet – für sich selbst stehend … ja, hm. Kann man sicher machen. Lesbar ist es jedenfalls, von den ersten Sätzen (aus meiner Sicht) abgesehen. Soll es denn für sich stehen? Oder ist es Fragment in Fragmentarischem?
_________________ 100% Fitte
»Es ist illusionär, Schreiben als etwas anderes zu sehen als den Versuch zur extremen Individualisierung.« (Karl Heinz Bohrer) |
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Fingers Reisen Erklärbär
F
Beiträge: 3
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Lila Herz Gänsefüßchen
L
Beiträge: 16 Wohnort: NRW
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L 03.12.2018 23:47
von Lila Herz
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Hallo Fingers reisen,
Beim Lesen des ersten Absatzes ging es mir so, dass ich die beiden ersten Sätze etwas umständlich fand, aber sobald dann die kürzeren Sätze anfingen, war der Text flüssig zu lesen.
Ich finde die Atmosphäre im zweiten Absatz gut beschrieben, dieses Gefühl, während der Autofahrt endlich Mal Ruhe haben zu wollen, aber von den Sorgen erdrückt zu werden.
Ein paar Gedanken:
“Die Erwartung des Gefühls der Verantwortung, das sie zu Hause umso mehr umgab, erfüllte sie mit tiefer Erschöpfung.”
Den Anfang des Satzes find ich etwas kompliziert formuliert.
“obwohl es teurer war und eigentlich zu teuer.”
Ich persönlich fände es so schöner: obwohl es teurer war. Eigentlich zu teuer.
“Sie war vielleicht zwanzig, vielleicht älter”
Ich würde das erste “vielleicht” streichen.
Am Ende wird mir nicht ganz klar, wieso das Auftauchen der Tramperin einen so großen Einfluss auf sarahs Gefühle hat. Auf einmal ist sie glücklich, als Ende einer abgeschlossenen Geschichte reicht das für mich irgendwie nicht. Für mich ist es eher, als würden Sarah und die Tramperin als Personen eingeführt für eine längere Geschichte, für die beim lesen deines Textes das Interesse bei mir auch geweckt wurde.
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Fingers Reisen Erklärbär
F
Beiträge: 3
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MoL Quelle
Beiträge: 1838 Wohnort: NRW
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09.12.2018 00:52
von MoL
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Hallo und willkommen Fingers Reisen!
Ich habe Dein kleines Fragment gern gelesen.
Nun meine Kritik:
1. Absatz: zu viel gewollte Poesie (z.B. "mit Tupfern von Rot, Weiß und dem Grauschwarz der Dunkelheit wie ein Mondrian in stetiger Gegenbewegung)
2. Absatz: Infodumping (z.B. "weil sie für eine halbe Stunde niemand brauchte.")
3. Absatz: Joa
4. Absatz: zu viel erklärt/"gezeigt" (z.B. "“Spring rein”, sagte sie zwinkernd.")
Mein Tipp: Finde Deinen eigenen Stil und versuche nicht krampfhaft, irgendetwas gerecht zu werden, das nicht zu Dir passt.
Mir gefällt Deine Idee und in Deinem Stil - versteckt unter dem ganzen anderen Zeug - sehe ich eine Frische, die mir gefällt!
_________________ NEU - NEU - NEU
gemeinsam mit Leveret Pale:
"Menschen und andere seltsame Wesen"
----------------------------------
Hexenherz-Trilogie: "Eisiger Zorn", "Glühender Hass" & "Goldener Tod", Acabus Verlag 2017, 2019, 2020.
"Die Tote in der Tränenburg", Alea Libris 2019.
"Der Zorn des Schattenkönigs", Legionarion Verlag 2021. |
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gold Papiertiger
Beiträge: 4943 Wohnort: unter Wasser
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09.12.2018 09:07
von gold
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Hallo, Fingers Reisen,
sag mal, woher weißt du, was ich denke und tue? Nein, du kannst mich doch nicht meinen, da ich Rumpelstilzchen heiß.
Spaß beiseite:
die erste Szene finde ich auch immer beschreibenswert, weil sie irgendwie gruselig ist. Meine Voruser haben dir ja schon Verbesserungsvorschläge gemacht.
Was mir noch wichtig ist, ist anzumerken, dass ich in den Text noch etwas Spannung einbauen würde.
Liebe Grüße
gold
_________________ es sind die Krähen
die zetern
in wogenden Zedern
Make Tofu Not War (Goshka Macuga)
Es dauert lange, bis man jung wird. (Pablo Picasso) |
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Pickman Plottdrossel
Beiträge: 2294 Wohnort: Zwischen Prodesse und Delectare
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09.12.2018 12:11
von Pickman
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Liebe Fingers Reisen,
das liest sich doch ganz gut.
Kritik zeigt oft, wo es etwas zu verbessern gibt. Ich würde aber nicht jede Kritik ungefiltert übernehmen.
Eine Anhalterin, also eine bis dato völlig unbekannte Person, im Auto, also in einem recht privaten Raum und bei Unterschreitung der sonst üblichen Distanz zwischen zwei einander fremden Personen, mitzunehmen, baut eine Spannung auf, die zumindest mich zum Weiterlesen reizt.
Es ist aus meiner Sicht auch nicht nötig, alles haarklein zu erklären. Mir reicht es vollauf, dass die Anhalterin Sarahs Stimmung verändert. Warum sie das tut, weiß Sarah, an der die Erzählstimme ziemlich nah dran ist, wahrscheinlich selbst nicht. Ist es die Abwechslung? Eine ihr selbst bis dahin verborgene homoerotische Neigung? Vielleicht werden wir es erfahren, vielleicht aber auch nicht.
Liebe Grüße
Pickman
_________________ Tempus fugit. |
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reißwolf Leseratte
Beiträge: 138
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10.12.2018 14:32 Re: Fragment: Die Tramperin von reißwolf
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Der Text hat mich im hohen Bogen rausgeworfen, schade. An welcher Stelle? Im ersten Satz. Dieser Satz ähnelt einem Stacheldrahtverhau vor der Tür. Man geht dann eher nicht rein.
Ich schreibe mal hinein, welche Irritationen mein armes Hirn beim Erstlesen durchleiden musste, um den Satz zu durchlaufen:
Fingers Reisen hat Folgendes geschrieben: | Die Rückleuchten der vor ihr fahrenden Autos (wenn man die Rücklichter sieht, sind die Autos doch immer vor einem, oder?) waren rote Rechtecke (das sind Rücklichter doch mehr oder weniger immer - na ja, bis auf die runden. Oder sind hier auch die runden Rücklichter Rechtecke? Oder nur die ohnehin rechteckigen? Falls ja, warum will mir der Text das explizit mitteilen?) in der Dämmerung und ab und an (Oh, es geht noch weiter. Habe auf einen Punkt gehofft) zog ein paar (Hä? ach so, Schreibfehler. Muss heißen "zogen ein paar")beißend weißer (Hä? "zogen ein paar weißer"? Ach so, Schreibfehler. Soll wohl heißen: weiße. Ja, so ergibt es Sinn: "zogen ein paar weiße") Scheinwerfer (Oder doch nicht? Vielleicht liegt der Schreibfehler auch in der Kleinschreibung von Paar. Dann würde es heißen: "zog ein Paar weißer Scheinwerfer")vorbei an einer Reihe Kleinwagen, (uff, immer noch kein Punkt) die geblendet (geblendete Kleinwagen - hm.) auf die rechte Spur taumelten (taumelnde Kleinwagen: Doppel-hm). (Da ist er endlich, der Punkt. Nee, das will ich aber nicht weiterlesen ...) |
Obwohl ich jetzt wohl verstehe, was der Satz in etwa sagen will, hab ich dennoch kein Bild. Person, weiblich, fährt in der Dämmerung. Vor ihr rote Scheinwerfer, manchmal ein paar weiße (oder ein Paar weißer) Scheinwerfer, die an Kleinwagen vorbeifahren. In welcher Richtung? Kommen sie der Frau entgegen? Und wo stehen dann die Kleinwagen? Oder fahren auch diese, haben aber keine weißen Scheinwerfer? Konfus.
Viel Spaß beim Umsetzen oder Verwerfen!
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Orschi Wortedrechsler
Beiträge: 70 Wohnort: Baden (bei Karlsruhe/Rhein)
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12.12.2018 21:22
von Orschi
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Zitat: | Obwohl ich jetzt wohl verstehe, was der Satz in etwa sagen will, hab ich dennoch kein Bild |
Die endlosen schwarzgrauen Schachtelsätze mit ihren weitschweifenden rosagelben Punktebemalung, die immer dann, wenn man meint, ansatzweise einen blaugrün melierten Durchblick zu erhaschen, im Bodennebel der allgemeinen Verlaberung entschwinden wie Eichhörnchen, die übrigens verwandt mit den Steppenelefanten sind, die Maikäfer auf Bäume treibend ....
Warum schreibt man nicht einfach, was Sache ist oder was passiert, wenn denn je etwas passiert. Fragezeichen.
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malu_vs Wortedrechsler
M Alter: 43 Beiträge: 72 Wohnort: Hessen
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M 13.12.2018 07:47 in der Kürze liegt die Würze von malu_vs
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HI,
Ich habe zwei Anläufe gebraucht um den Textzu lesen. Die ersten beiden Sätze erschlagen durch ihre schiere Länge. Danach wird es besser, aber hin und wieder mogelt sich ein weitererMonstersatz dazwischen.
Im zweiten Absatz kommt drei mal hintereinander Stille, Versuche dies zu vermeiden.
Mit dem Hauptcharakter konnte ich mich gut identifizieren, bis zu dem Moment als ich das Gefühl bekam, dass sie die großen Kinder anstrengender findet als die Kleinen. Liegt aber wohl an meiner persönlichen umgekehrten Erfahrung .
Wenn du deine Monstersätze mit ein paar Punkten versiehst und noch mal einstellst lese ich es gerne erneut und schaue noch mal detailierter drüber.
_________________ Malu Volksky |
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