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Die Typenwalze [Auszug]


 
 
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Klemens_Fitte
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Beitrag09.08.2018 14:26

von Klemens_Fitte
Antworten mit Zitat

Natürlich bin ich an Einschätzungen interessiert, sonst hätte ich den Auszug nicht eingestellt, und natürlich auch von dir, ich wüsste nicht, wieso nicht?

d.frank hat Folgendes geschrieben:
Ich weiß nicht, ob er gewinnen würde, wenn man ihn an manchen Stellen doch kürzen würde?
Natürlich sind die Wiederholungen, die Spiralen von dir mit Absicht gesetzt, aber ich finde, es gibt schon Stellen, an denen es sie nicht unbedingt bräuchte, an denen sie eher ablenkend wirken.


Das kann durchaus sein. Und ich bin ja ganz froh darum, dass das hier schwarz auf weiß festgehalten ist, so kann ich beim finalen Überarbeiten darauf zurückgreifen. Momenten sieht Überarbeiten bei mir ausschließlich so aus, dass ich Dinge hinzufüge, nicht kürze – aber in der Schlussphase kann das durchaus anders aussehen.
Jetzt ist: ich schau mir das am Ende an natürlich keine Reaktion, von der man als Kommentierender viel hat, deshalb gehe ich auf einzelne Stelle noch ein wenig ein/äußere meine Überlegungen dazu.

d.frank hat Folgendes geschrieben:
Die Vorstellung einer völlig lichtlosen Stadt ist interessant. Ich habe darüber mal mit Bekannten gesprochen, die auf dem Dorf groß geworden sind, die sagten, dass es dort irgendwann eben stockdunkel wäre und man sich das als Stadtbewohner kaum vorstellen kann.  Diese Ruhe, das völlige Fehlen von irgendetwas, das der gestresste Städter sich manchmal als Ausweg vorstellt, wenn ihm die Hektik und das Treiben an den Nerven zerren, kann sich also spätestens in der Dunkelheit in einen Alptraum verwandeln. Das städtische Nachtleben, das niemals schläft, zwingst du hier dazu, sich mit sich selbst zu befassen. Das ist ja nur ein Ausschnitt und der macht natürlich neugierig darauf, wie du zum Beispiel das Pendant dazu angehst.


Interessant, dass du diese Stadt so liest, also eine mit – eigentlich – einem Nachtleben, eine Stadt, die niemals schläft, immer in Bewegung ist; und klar, das ist wahrscheinlich die Lesart, die man automatisch hat, wenn man nur diesen Ausschnitt kennt, aber mir wird das jetzt erst klar.
Es heißt an einer früheren – sehr viel früheren, circa 400 Seiten zuvor – Stelle über diese Stadt:
Zitat:
eine jener Städte, die von den Jungen bewohnt und von den Alten vergessen war, eine Stadt ohne Geschichte oder mit einer, die lediglich in mündlichen Erzählungen von denen tradiert wurde, die zurückgeblieben waren; in Erzählungen, die von der Sinn- und Wertlosigkeit alles Beständigen handelten und die aus allen Fenster- und Türöffnungen drangen, als leises Summen durch die Gassen gingen und über den Plätzen standen, die dazu führten, dass man Mauern verwittern und Zäune verroten ließ, dass man Zerfallenes nur notdürftig ausbesserte, weil man sich noch an die Hoffnung der Ab- oder Durchreise klammerte, noch an das Weiterziehen und Weggehen glaubte, weil man sich nicht eingestand, dass man längst zu den Zurückgebliebenen zählte, zu den hoffnungs- und perspektivlosen Bewohnern einer Stadt, aus der die Sehnsucht alles Leben zog, lediglich verpfändete Tage zurückließ, Illusionen, Aufdrucke und Schriftzüge auf T-Shirts, die die Realität längst Lügen strafte, weil keiner ihrer Besitzer je in Kalifornien gewesen war oder bei einem Footballspiel der Oakland Raiders, auf einem Surfbrett gestanden hatte oder im Publikum eines Konzerts der Smashing Pumpkins, weil die Gegenstände, mit denen sie sich Tag für Tag umgaben, längst einem eigenen Kosmos angehörten, in ihrer eigenen Sprache miteinander kommunizierten, Dinge erzählten, von denen ihre Besitzer nichts wussten, aus denen sie nur das Übermächtige der Ferne und die Angst vor dem Zurückbleiben heraushörten, und so waren die Fundamente dieser Stadt auf den Sand des kommenden Tages, des kommenden Monats, des kommenden Jahres gebaut, der ebenso unmerklich wie unaufhaltsam unter ihnen verrann

da ist mE deutlich, dass die Stadt auch ungeachtet dieser nächtlichen Finsternis und des zunehmenden Verbarrikadierens ihrer Bewohner keine ist, der man ein aktives Nachtleben bescheinigen würde.
Aber klar: aus diesem Auszug ist das nicht herauszulesen.

d.frank hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
diese Nacht für Nacht erneuerte Schwärze die Türen und Fenster der Häuser verschluckt und nichts als leere Öffnungen hinterlassen habe, Löcher, durch die man in Räume blicke, aus denen jegliche Spur ihrer einstigen Bewohner getilgt worden sei,


Das ist ein starkes Bild! Auch, wenn ich mich frage, ob es ohne die Bewohner stärker sei. Dass du die Schwärze Türen und Fenster verschlucken lässt, anstatt einfach nur Löcher zu hinterlassen, das muss man erst mal wirken lassen. Die angehängten Bewohner zerstören es irgendwie, weil dieses Bild viel üblicher ist.


Hm, da bin ich noch unsicher. Ich meine, letztendlich geht es ja um einen üblichen Vorgang.

d.frank hat Folgendes geschrieben:
Überhaupt würde ich mir an einigen Stellen vielleicht doch ein Satzzeichen wünschen, einfach, um etwas zu gewichten in diesem Strom.


Satzzeichen im Sinne von: mach doch mal n Punkt? Das würde an der Stelle meinem Vorhaben/Versuch widersprechen, und um ein Gewichten geht es mir ja eher nicht.

d.frank hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
dass man längst vom selben Prozess der Austilgung befallen sei,


Ich weiß nicht, ob mir dieses Wort hier gefällt. Es klingt so berechnend und für mich steht die Schwärze an dieser Stelle eher für etwas Gegebenes.


Stimmt, "austilgen" ist ein eher aktiver oder gar bewusster Vorgang. Muss ich drüber nachdenken, ob das an dieser Stelle passt oder nicht.

d.frank hat Folgendes geschrieben:
Hier zum Beispiel würde ich kürzen:
Zitat:
die aus den Namen von Straßen und Plätzen bestehe, den Namen von Kirchen, Cafés, Restaurants oder Lebensmittelgeschäften, die man nie aufgeschrieben habe, ebenso wenig wie die Namen ihrer Besitzer oder Bewohner,


Ok ein Besitzer ist etwas anderes als ein Bewohner, aber, ich weiß nicht, braucht es das? An dieser Stelle jedenfalls?


Das ist eine Rückmeldung, die ich schon öfter bekam; der im Text verwendeten Sprache ist oft daran gelegen, Dinge möglichst präzise zu fassen bzw. eigentlich auch vernachlässigbare Unterscheidungen noch zu benennen. Gut möglich, dass das in der finalen Überarbeitung noch minimiert wird.

d.frank hat Folgendes geschrieben:
Auch hier:
Zitat:
all die gerahmten, die vergilbten Fotografien, die Urkunden, die Briefe und die Tagebücher, jedes noch so unbedeutende Schriftstück, jede Notiz, jeden Schmierzettel, die Uhren und Kerzenhalter, die Schmuckschatullen, all die Krüge und Ziergläser, die Bücher und die Möbelstücke,


Ich finde auch, durch die Wahl der Gegenstände bekommt man hier ein sehr altes Bild - ist das beabsichtigt?


Ja.

d.frank hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
oder nicht einmal ihnen, denn wer könne schon zugleich Mensch sein und die Last des eigenen Menschseins tragen, die Last der eigenen Vergangenheit, dieser sogenannten Menschwerdung, die einem Schicht um Schicht über den Kopf wachse und längst schon größer und mächtiger scheine, als man selbst je gewesen sei,


Hier finde ich einen Widerspruch. Einerseits legen die Bewohner ihre Vergangenheit an, andererseits lassen sie zu, davon dann erstickt zu werden. Da fehlt mir das Verdrängen in dieser Betrachtung. Oder ist es die Schwärze und weil das nur ein Ausschnitt ist, habe ich sie noch nicht als solche erkennen können?


Da verstehe ich nicht ganz, was du meinst.

d.frank hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
dann blicke man in eine Kammer, in einen Flur, auf Kartons und Kisten, auf Regale oder in Schubladen und Truhen und finde darin nichts als die Unbegreiflichkeit und Endgültigkeit der eigenen Existenz, ein Anblick, der so überwältigend sei, dass es einem unmöglich scheine, sich jemals wieder davon zu lösen, weil man in diesem Moment nichts weiter sei als eine winzige Gestalt, die vor einem weißen Bergmassiv stehe, vor einer immensen Wand aus Eis, Schnee und Felsgestein, die sich in Schicht um Schicht des Menschen auftürmte, der man einmal gewesen sei, als den man sich selbst gesehen und verstanden habe


Ich weiß nicht, ob ich diesen Sprung so unbedingt mitgehen kann: Von den Truhen den Kisten zum Bergmassiv. Das bekommt für mich hier etwas zu Fantastisches, nicht in dem Sinne, dass das Fantastische hier keinen Platz hätte, sondern eher, dass die abrupte Assoziation so sprichwörtlich groß ist.


Eine abrupte Assoziation – ja, definitiv. Das Bergmassiv wird schon zuvor – 400 Seiten zuvor – im Zusammenhang mit der Kammer und der Kommode erwähnt, und auch da war der Sprung zu dieser Fotografie ein sehr abrupter, aber das halte ich für eine recht "normale" Traumbewegung.

d.frank hat Folgendes geschrieben:
Vielleicht, wenn das hier ein bisschen früher kommt?

Zitat:
und schließlich zur Kommode, wo er die Schwarzweißaufnahme des Bergmassivs vermutete, die ihm in diesem Moment in aller Deutlichkeit vor Augen stand, ohne dass er hätte sagen können, ob und, falls ja, wo er sie schon einmal gesehen hatte,


Nein, es geht ja gerade darum, dass eine vermeintliche Aussage dann in ein vermeintliches Objekt – der Vergleich mit dem Bergmassiv in die Fotografie vom Bergmassiv – übergeführt wird, auch das wieder ein Mechanismus, der mE vielen Traumbewegungen/-erzählungen eigen ist.

d.frank hat Folgendes geschrieben:
Ich habe im Folgenden auch Probleme, die Sprecher zuzuordnen, aber da habe ich wahrscheinlich nur den Faden verloren. wink


Nein, ich halte das für verständlich, wenn immer nur von "er" und "ihm" die Rede ist. Finde ich aber auch nicht tragisch.

d.frank hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
womöglich nicht unrechtmäßiger, aber doch in moralisch zweifelhafter Weise angeeignet habe


womöglich - das kleine Wort zusammen mit dem Wort nicht und dem Adjektiv überbläht hier die Aussage, auch wenn das natürlich so richtig ist. Hmm, schwierig, wahrscheinlich nicht anders zu lösen.


Ja, das "womöglich" – ich hab grade mal nachgeguckt, es kommt im Manuskript bislang 241 mal vor; das ist womöglich zu viel.

d.frank hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
in diesem ebenso unvorhersehbaren wie unvermeidlichen Auflösen die einzige Begrenzung, der tatsächliche Grund ihres Eingeschlossenseins, oder nicht nur ihres momentanen Eingeschlossenseins, sondern vielmehr


Ich hatte bisher nicht den Eindruck, dass dieses Auflösen wirklich unvorhersehbar sein. Oder meinst du hier die Bewohner? Ist es letztendlich nur der Archivar, der diese Schwärze sieht? Das Fette ist die erste Stelle im Text, die auf mich unbeholfen wirkt.


Ich meine tatsächlich das Auflösen, von dem direkt zuvor die Rede ist:
Zitat:
und was an dieser Situation, diesem wie zufälligen Zusammentreffen fragwürdig sei, das könne sich notwendigerweise nur im Beisein ihrer Gastgeberin auflösen lassen

Es kann aber durchaus sein, dass das anhand dieses Auszugs nicht so herauszulesen/zu verkürzt ist, weil die Frage, wie er in diese Situation kam, was es mit diesem Zusammentreffen/dem Ort selbst auf sich hat, durch das Vorangegangene (das hier weggeschnitten ist) präsenter ist.

d.frank hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
eine Erschütterung, als würde ihm der Boden unter den Füßen entzogen,


Das mag ich auch nicht so. Es ist zwar bezeichnend, aber eben auch abgenutzt.


Abgenutzt – ja, stimmt. Ist aber auch eine sehr gewöhnliche Bewegung, glaube ich, die hier beschrieben wird. Dieser Ruck, den man manchmal wahrnimmt, wenn man an der Grenze zwischen Schlafen und Wachen pendelt.

d.frank hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
bis er sich fragte, aus wessen Augen er auf sich blickte, und in dieser Frage lag ein derart unvermitteltes und heftiges Grauen, dass du aus deinem Traum aufschreckst und ins Dunkel greifst,


Das ist unheimlich stark! Unheimlich im Wortsinn, dass es beängstigend ist, wie hier etwas dargestellt wird, das man gerne vergisst oder nicht wahrhaben will, und wie es sich dabei aufhebt und dann dieser Moment, wo man es ganz direkt spürt, und dann wechselst du in die direkte Ansprache. Das wirkt auf mich wie Hilferuf und Anklage gleichzeitig, auch wie ein Draufblicken, das das vorherige Draufblicken verstärkt. Ob der Traum das dann aber trägt, das weiß ich an dieser Stelle noch nicht, auch wenn er natürlich auch hier folgerichtig ist.


Da bin ich mir auch unsicher, ob ich dich verstehe. Die Du-Ansprache ist die reguläre Erzählperspektive des Textes, und dass an dieser Stelle zu ihr zurückgewechselt wird, liegt schlicht im Aufwachen des "Du".

Danke jedenfalls für deine sehr ausführliche und interessante Rückmeldung.


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d.frank
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D
Beitrag09.08.2018 15:56

von d.frank
Antworten mit Zitat

Ach jetzt sehe ich das erst als Traum! Shocked
Entweder liegt es daran, dass ich eben nicht alle Auszüge gelesen habe oder daran, dass mir die Gattung des Textes noch nicht klar ist.
Ich habe das eigenständig gelesen, als Surrealismus.

Zitat:
da ist mE deutlich, dass die Stadt auch ungeachtet dieser nächtlichen Finsternis und des zunehmenden Verbarrikadierens ihrer Bewohner keine ist, der man ein aktives Nachtleben bescheinigen würde.


Also eine Kleinstadt, eine Geisterstadt?
Ich kriege das noch nicht so ganz sortiert, weil ich Stadt automatisch mit Metropole gleichsetze, wahrscheinlich, weil ich in einer lebe und weil ich weiß, dass du auch in einer lebst. Von daher habe ich hier wohl mehr hineingelesen, als ich mir eigentlich erlaubt haben hätte sollen.

Zitat:
Satzzeichen im Sinne von: mach doch mal n Punkt?


 Laughing ...nein, so einfach nicht!
Es war einfach eine der einzigen Stellen (was für eine Wortkombination), an der ein kurzes Aufatmen mir passend erschien.

Zitat:

d.frank hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
oder nicht einmal ihnen, denn wer könne schon zugleich Mensch sein und die Last des eigenen Menschseins tragen, die Last der eigenen Vergangenheit, dieser sogenannten Menschwerdung, die einem Schicht um Schicht über den Kopf wachse und längst schon größer und mächtiger scheine, als man selbst je gewesen sei,

Hier finde ich einen Widerspruch. Einerseits legen die Bewohner ihre Vergangenheit an, andererseits lassen sie zu, davon dann erstickt zu werden. Da fehlt mir das Verdrängen in dieser Betrachtung. Oder ist es die Schwärze und weil das nur ein Ausschnitt ist, habe ich sie noch nicht als solche erkennen können?


Zitat:
Da verstehe ich nicht ganz, was du meinst.


Ich versuche das mal zu präzisieren.
Es wird ja gesagt, dass die Leute ihren Besitz auftürmen, weil sie nicht vergessen wollen. Das ist also ein beabsichtigter Vorgang. Gleichzeitig werden sie von der Last erschlagen. Stellt sich also die Frage, warum sie dieses Zeug horten, wenn sie doch eigentlich wissen, dass es sie erdrückt?
Aber das ist ja ein Widerspruch, der an dieser Stelle nicht aufgelöst werden muss?

Zitat:
Es kann aber durchaus sein, dass das anhand dieses Auszugs nicht so herauszulesen/zu verkürzt ist, weil die Frage, wie er in diese Situation kam, was es mit diesem Zusammentreffen/dem Ort selbst auf sich hat, durch das Vorangegangene (das hier weggeschnitten ist) präsenter ist.


Darauf verlasse ich mich jetzt einfach mal, damit ich mich nicht mit meinem Unverstand auseinander setzen muss. wink
Allgemein waren meine Anmerkungen auch viel mehr intuitive Gedanken zum Text, als ein analytisches Hinterfragen seiner Berechtigung.


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Die Wahrheit ist keine Hure, die sich denen an den Hals wirft, welche ihrer nicht begehren: Vielmehr ist sie eine so spröde Schöne, daß selbst wer ihr alles opfert noch nicht ihrer Gunst gewiß sein darf.
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Klemens_Fitte
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Beitrag09.08.2018 18:30

von Klemens_Fitte
Antworten mit Zitat

d.frank hat Folgendes geschrieben:
Ach jetzt sehe ich das erst als Traum! Shocked
Entweder liegt es daran, dass ich eben nicht alle Auszüge gelesen habe oder daran, dass mir die Gattung des Textes noch nicht klar ist.
Ich habe das eigenständig gelesen, als Surrealismus.


Klar, das fordert der Auszug ja heraus, diese Lesart.
Im Kontext des Manuskripts, denke ich, ist schon klar, dass das hier nur ein Traum sein kann, bzw. eben nicht die Wiedergabe eines Traums, sondern eher eine Erzählung, die man sich nach dem Aufwachen aus dem Fragmentarischen und Heterogenen eines tatsächlichen Traums konstruiert. Bzw. nicht nur ein Traum, sondern ein Gedankengang, der irgendwann in einen Traum übergeht, wobei die Grenze zwischen beidem nicht exakt zu ziehen ist.

d.frank hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
da ist mE deutlich, dass die Stadt auch ungeachtet dieser nächtlichen Finsternis und des zunehmenden Verbarrikadierens ihrer Bewohner keine ist, der man ein aktives Nachtleben bescheinigen würde.


Also eine Kleinstadt, eine Geisterstadt?


Ja, etwas in der Art. Eine Stadt in einem fremden Land, die von Zeit und Geschichte vergessen ist.

d.frank hat Folgendes geschrieben:
Ich kriege das noch nicht so ganz sortiert, weil ich Stadt automatisch mit Metropole gleichsetze, wahrscheinlich, weil ich in einer lebe und weil ich weiß, dass du auch in einer lebst. Von daher habe ich hier wohl mehr hineingelesen, als ich mir eigentlich erlaubt haben hätte sollen.


Nein, ich denke, die Lesart lässt der Auszug zu – mir war das halt vorher nicht bewusst, weil ich eben das Manuskript kenne.

d.frank hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Satzzeichen im Sinne von: mach doch mal n Punkt?


 Laughing ...nein, so einfach nicht!
Es war einfach eine der einzigen Stellen (was für eine Wortkombination), an der ein kurzes Aufatmen mir passend erschien.


Okay, verstehe.

d.frank hat Folgendes geschrieben:
Zitat:

d.frank hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
oder nicht einmal ihnen, denn wer könne schon zugleich Mensch sein und die Last des eigenen Menschseins tragen, die Last der eigenen Vergangenheit, dieser sogenannten Menschwerdung, die einem Schicht um Schicht über den Kopf wachse und längst schon größer und mächtiger scheine, als man selbst je gewesen sei,

Hier finde ich einen Widerspruch. Einerseits legen die Bewohner ihre Vergangenheit an, andererseits lassen sie zu, davon dann erstickt zu werden. Da fehlt mir das Verdrängen in dieser Betrachtung. Oder ist es die Schwärze und weil das nur ein Ausschnitt ist, habe ich sie noch nicht als solche erkennen können?


Zitat:
Da verstehe ich nicht ganz, was du meinst.


Ich versuche das mal zu präzisieren.
Es wird ja gesagt, dass die Leute ihren Besitz auftürmen, weil sie nicht vergessen wollen. Das ist also ein beabsichtigter Vorgang. Gleichzeitig werden sie von der Last erschlagen. Stellt sich also die Frage, warum sie dieses Zeug horten, wenn sie doch eigentlich wissen, dass es sie erdrückt?


Nun, warum tun wir Dinge, die uns schaden, die uns belasten? Warum kommen wir bspw. nicht von einem Selbstbild los, das wir nicht ertragen? Ich finde diese Art widersprüchlichen/widersinnigen Verhaltens ziemlich menschlich.

d.frank hat Folgendes geschrieben:
Allgemein waren meine Anmerkungen auch viel mehr intuitive Gedanken zum Text, als ein analytisches Hinterfragen seiner Berechtigung.


Ich meine zu wissen, dass es nicht leicht fällt, sich zu diesem Text zu äußern, wenn man nur einen Bruchteil des Ganzen kennt und das, was zu sehen ist, auch noch derart fragmentiert erscheint.
Insofern kann ich ja nur dankbar sein, wenn jemand sich darauf einlässt. Und ich kann mit deinen intuitiven Gedanken viel anfangen.


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Klemens_Fitte
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Beitrag30.11.2018 10:44

von Klemens_Fitte
Antworten mit Zitat

[…]

… Aufnahmen von Gesprächen, die er mit Kindern und Jugendlichen, mutmaßlichen Missbrauchsopfern geführt und die er aufgezeichnet hatte, um anschließend seine Gutachten daraus zu erstellen, auf der Grundlage unzähliger und stundenlanger Sitzungen, die du über Wochen und Monate penibel genau transkribiert hattest, um davon deine Miete bezahlen zu können. Jedes Äh, jedes Stottern, Husten, jedes Zögern, jede Pause und jedes Neuansetzen hattest du in ein fixes System von Buchstaben und Zeichen übertragen, jede einzelne dieser tonlosen und immergleichen Fragen, aus deren Antworten sich womöglich ein Koordinatensystem von Glaubwürdigkeit und Unglaubwürdigkeit erstellen ließ: in welchem Zimmer man sich währenddessen aufgehalten habe, zu welcher Tageszeit, an welchem Wochentag, in welchem Jahr; wie das Zimmer eingerichtet gewesen sei, ob es Teil einer Wohnung oder eines Einfamilienhauses gewesen sei und in welcher Straße die Wohnung oder das Haus gelegen habe; ob es die linke oder die rechte Hand gewesen sei, der linke oder der rechte Arm, die Schulter oder das Bein, ob man festgehalten worden sei oder sich habe bewegen können, ob man sich bewegt habe oder ob man regungslos geblieben sei, ob man eine Hose mit Reißverschluss oder eine mit Knöpfen getragen habe, in einer endlosen und ermüdenden Abfolge von Frage und Antwort, die du wieder und wieder zurückgespult und angehört hattest, in der du in Sekundenschritten hin und her gesprungen warst, vor und zurück, bis sie sich schwarz auf weiß dargestellt hatte, in Worte und Satzzeichen übersetzt war, und in der jeder emotionale Ausbruch, jeder Versuch, ein Empfinden oder ein Bewusstsein, die zunehmende oder plötzliche Verschattung oder Verödung des eigenen Erlebens, eine seelische Verletzung oder das Problem von Verantwortung und Schuld in Worte zu fassen, zugunsten der Frage übergangen worden war, ob sich ein Möbelstück am Fenster oder an der Tür befunden habe, an der Wand oder frei im Zimmer, ob man zuvor oder danach ferngesehen oder ein Buch angeschaut habe, ob die Zimmertür offengestanden habe oder ob sie geschlossen gewesen sei, wieder und wieder und bis zum Erbrechen, bis dir das anfangs unerträgliche Schweigen zur weniger quälenden Alternative geworden war, weil es sich schneller und müheloser, sauberer transkribieren ließ, mit einem einzelnen, zuvor festgelegten Tastenkürzel nämlich, und bis du irgendwann akzeptiert hattest, dass seelische Narben keine beweisbare Realität konstituierten; bis du begonnen hattest, deinen eigenen Erinnerungen und dem, was sich dir bis dato als die Summe deiner Identität, deines Selbstverständnisses dargestellt hatte, zu misstrauen; bis sich ein irritierender Pfeifton in deine Erinnerungen gestohlen hatte, ein langgezogenes Geräusch, das ununterbrochen in den Winkeln deines Gedächtnisses oder irgendwo im Grenzbereich des Wahrnehmbaren oszillierte, und bis jede Szene, jedes Bild, das aus deiner Kindheit, deiner Pubertät und Adoleszenz in dir zurückgeblieben war, Löcher und Lücken bekommen, sich mit Leerstellen gefüllt hatte, mit Auslassungszeichen, offenen Fragen, auf die du nur zögerliche und unzureichende, einander widersprechende Antworten hattest finden können, Aussagen, in deren Leerstellen jederzeit und für die Dauer deines Zweifelns alles Unaussprechliche hatte eindringen können, und tatsächlich war es dir damals so vorgekommen, als würde dir dein Selbstbild unter den Augen in unzählige Einzelansichten zerspringen, weil du längst damit begonnen hattest, jedes Gespräch, jede dieser zufälligen oder forcierten Begegnungen in Bars oder auf Unipartys, jede flüchtige Bekanntschaft insgeheim zu protokollieren, jede Berührung – ob an einem Tresen, bei einem Abendessen oder Kinobesuch oder in einem dieser nachtblinden Momente in fremden Betten – in ein Raster von linken und rechten Händen, von Davor und Danach, von Aufforderung, Begehren, Widerstand oder Nachgeben einzutragen, als ließe sich damit das Unbegreifliche von Körperlichkeit und Nähe in ein System logisch kodierter Zeichen übersetzen und als könnte ein solches System die sinnstiftende Funktion einer Lüge einnehmen, einer Narration, die man sein Leben lang mehr oder weniger unhinterfragt hingenommen oder die man bereitwillig geglaubt hatte; die man mit Beginn der eigenen Bewusstwerdung in sein Leben gepflanzt hatte, die man hatte wachsen sehen, sich in unzählige Erfahrungen und Begegnungen verästeln, und deren Stamm sich mit einem Mal als ein morsches und von Larven zerfressenes Gebilde entpuppte – und womöglich misstraust du deshalb augenblicklich der Schilderung, die das Diktiergerät in diesem Moment abspielt: weil du nicht mehr daran glaubst, ein Leben lasse sich als eine lückenlose und konsistente Abfolge von Ereignissen erzählen.


Teil 1 von 3?

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firstoffertio
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Beitrag30.11.2018 22:30

von firstoffertio
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Wer er am Anfang, dann das Du sind, wird nicht klar, aber ich nehme mal jemand als Du, der diesen Transskribierjob hat, und dann im Laufe dessen die gleichen Fragen, die Du immer wieder hört, an sich selber stellt, und bei beidem, und den Antworten, fast verrückt wird.

Das Ende hier erinnert mich irgendwie an Tristram Shandy.

Zitat:
weil du nicht mehr daran glaubst, ein Leben lasse sich als eine lückenlose und konsistente Abfolge von Ereignissen erzählen.
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Klemens_Fitte
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Beitrag01.12.2018 10:04

von Klemens_Fitte
Antworten mit Zitat

Über den Kommentar hatte ich mich schon gestern Abend gefreut, da war aber der Kopf schon zu müde zum Antworten gewesen.

firstoffertio hat Folgendes geschrieben:
Wer er am Anfang, dann das Du sind, wird nicht klar, aber ich nehme mal jemand als Du, der diesen Transskribierjob hat, und dann im Laufe dessen die gleichen Fragen, die Du immer wieder hört, an sich selber stellt, und bei beidem, und den Antworten, fast verrückt wird.


Ja, das ist leider wieder das Problem des Ausschnitthaften. Im Grunde hast du aber das Wichtigste erfasst. Er ist jemand, der diese Aufnahmen gemacht hat, und Du hat sie transkribiert. Im zweiten Teil wird Er ein wenig konkreter, glaube ich.

firstoffertio hat Folgendes geschrieben:
Das Ende hier erinnert mich irgendwie an Tristram Shandy.


Lustig, dass du das erwähnst. In das Buch hatte ich letztens mal einen Blick geworfen, als ich nach früher experimenteller Prosa gesucht habe. Sollte ich je wieder zum Leser werden, steht es auf der Liste.


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Lorraine
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Beitrag01.12.2018 13:04
Du-rch das Auge des schreibenden Ich
von Lorraine
Antworten mit Zitat

Hallo Klemens,
ich freue mich, dass du mal wieder von der Typenwalze hören lässt. Wollte versuchen, ein paar Gedanken dazulassen. Damit ich die aber überhaupt abschicke, lasse ich weg, was ich über die Metaphorik der Ton-Aufzeichnungen und ihrer Transkription hätte schreiben wollen, wenn ich es denn könnte. Also eher Ungeordnetes, ich übe.

Mittels des Du (hier eine Form des schreibenden Ich) bin ich als Leserin gleichermassen angesprochen (oder werde ansprechbar gemacht) und bin ein wenig der sich selbst lesende Teil des schreibenden Ich, teile die Distanz, die das schreibende Ich einnimmt, indem es Erlebtes, Gehörtes, Erlesenes zum Du hinverschiebt.

Nimmt man diesen Ausschnitt für sich (was mir zugegebendermassen gar nicht so leicht fällt), dann, würde ich sagen, merkt man gerade hier sehr schnell, dass die Erzählbewegung sich so nah am Du orientiert, wie es nur ein schreibendes Ich vermag, das zu sich spricht, indem es Erinnerung und nachträgliches Erleben von Erinnerung in einer sich fortbewegenden Gegenwart aufspaltet und wieder zusammenführt.
Es liest sich selbst, während es schreibt und wohl auch danach. Als Leserin bin ich knapp daneben oder dahinter und sehe, wie sich jemand selbst liest, komme dabei vom Weg ab, wann immer ich es zulasse:
Was schwierig scheint und vielleicht ist, an der Lektüre, mag die Rückkehr zum, die Konzentration auf den Text sein. Für mich aber ist diese Schwierigkeit der Beweis einer Qualität: Ich kann mich der Wirkung des Textes gerade deshalb nicht entziehen, weil er mich auf Abwege und in Buchten der eigenen Erinnerung zwingt. Wenn er es dann schafft, mich zurückzubringen, mich zur erneuten Konzentration auf das, was dasteht, zu bewegen, dann hast du gewonnen. (Mich, als Leserin.)

Ich denke, du hast dieses Stück Text (sieht aus wie ein buchstabengemustertes Stoff-Quadrat …) da abgeschnitten, wo am unteren Rand sichtbar wird, wie dieses Du gegenwärtig mit dem Abspielen/-hören eines Diktiergerätes beschäftigt ist und somit eine Abgrenzung zum Hören/Transkribieren in der Vergangenheit klar gestellt ist:

Beginn des Ausgeschnittenen hat Folgendes geschrieben:
die er aufgezeichnet hatte, um anschließend seine Gutachten daraus zu erstellen, auf der Grundlage unzähliger und stundenlanger Sitzungen, die du über Wochen und Monate penibel genau transkribiert hattest, um davon deine Miete bezahlen zu können.


Unteres Ende hat Folgendes geschrieben:
– und womöglich misstraust du deshalb augenblicklich der Schilderung, die das Diktiergerät in diesem Moment abspielt:


Ein Ausschnitt ist das auch, der, finde ich, ganz gut lesbar macht, bzw. mich erkennen lässt, was nicht nur dem Du passiert (ist), als es diesen Transkriptionsjob machte
Zitat:
[…] bis du begonnen hattest, deinen eigenen Erinnerungen und dem, was sich dir bis dato als die Summe deiner Identität, deines Selbstverständnisses dargestellt hatte, zu misstrauen; bis sich ein irritierender Pfeifton in deine Erinnerungen gestohlen hatte, ein langgezogenes Geräusch, das ununterbrochen in den Winkeln deines Gedächtnisses oder irgendwo im Grenzbereich des Wahrnehmbaren oszillierte,[...]

... sondern auch, was beim Lesen (hier, aber auch woanders) passieren kann: dass ich nämlich beginne, (eigene) Erinnerung, Wahrnehmung oder mein Selbstverständnis infrage zu stellen.

Man könnte jetzt sagen, klar, macht jede/r, der schreibt – tut es zwangsläufig – aber inzwischen (nicht nur nach langer Zeit des Lesens im DSFo) halte ich das nicht mehr für so selbstverständlich.


Teil 1 von 3 hat Folgendes geschrieben:
[...]ein System logisch kodierter Zeichen [...] und als könnte ein solches System die sinnstiftende Funktion einer Lüge einnehmen, einer Narration, die man sein Leben lang mehr oder weniger unhinterfragt hingenommen oder die man bereitwillig geglaubt hatte; [...]

Du rührst da an etwas, was ich für entscheidend halte, wenn es um einen der Knackpunkte geht, die beim Schreiben eine entscheidende Rolle spielen, wenn's ans Eingemachte geht (oder um Scheuklappen).

Das war nun ein Versuch, mich irgendwie einzuklinken in diesen Faden, auch, weil ich glaube, dass hier etwas stattfindet, was Seltenheitswert hat.
Grüsse von hier,
L.
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Klemens_Fitte
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Beitrag02.12.2018 10:42
Re: Du-rch das Auge des schreibenden Ich
von Klemens_Fitte
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Hallo du,

wie sehr ich mich gefreut habe, dich hier zu lesen, weißt du hoffentlich. Natürlich interessiert mich auch "die Metaphorik der Ton-Aufzeichnungen und ihrer Transkription", vor allem, weil ich ja immer noch um die gleichen Themen kreise, aber ich finde auch hier schon sehr viel Lesens- und Bedenkenswertes.

Lorraine hat Folgendes geschrieben:
Mittels des Du (hier eine Form des schreibenden Ich) bin ich als Leserin gleichermassen angesprochen (oder werde ansprechbar gemacht) und bin ein wenig der sich selbst lesende Teil des schreibenden Ich, teile die Distanz, die das schreibende Ich einnimmt, indem es Erlebtes, Gehörtes, Erlesenes zum Du hinverschiebt.


Es ist für mich natürlich schwer bis unmöglich zu sagen, wie es einem Leser damit geht, aber ich halte das für eine durchaus treffende Beschreibung meines eigenen Verhältnisses zum Text; dessen, was es mir überhaupt erst ermöglicht hat, ihn so weit zu führen, weil die Grundfrage beim Schreiben (für mich) immer darin besteht, wie ich mich selbst zum Geschriebenen positioniere (und somit wiederum vom Geschriebenen positioniert werde). Und dahingehend ist es schon etwas, über das ich mich nur wundern kann, wenn aus einem ursprünglichen "dir"
Der sich selbst zitiert hat Folgendes geschrieben:
Die ihn zuletzt noch gesehen hatten, könnten dir erzählen

mehr und mehr ein durchaus eigenständiges Du wurde, mit einem Profil, einer Persönlichkeit oder Biografie, die ich an mich heranrücken oder von mir wegschieben kann.

Lorraine hat Folgendes geschrieben:
Nimmt man diesen Ausschnitt für sich (was mir zugegebendermassen gar nicht so leicht fällt), dann, würde ich sagen, merkt man gerade hier sehr schnell, dass die Erzählbewegung sich so nah am Du orientiert, wie es nur ein schreibendes Ich vermag, das zu sich spricht, indem es Erinnerung und nachträgliches Erleben von Erinnerung in einer sich fortbewegenden Gegenwart aufspaltet und wieder zusammenführt.
Es liest sich selbst, während es schreibt und wohl auch danach. Als Leserin bin ich knapp daneben oder dahinter und sehe, wie sich jemand selbst liest, komme dabei vom Weg ab, wann immer ich es zulasse:


Interessant finde ich, dass dieses Schreiben mir noch gar nicht so präsent ist; was aber, denke ich, daran liegt, dass es der Punkt ist, in dem die offenen Fäden des Textes unweigerlich zusammenlaufen werden.

Lorraine hat Folgendes geschrieben:
Was schwierig scheint und vielleicht ist, an der Lektüre, mag die Rückkehr zum, die Konzentration auf den Text sein. Für mich aber ist diese Schwierigkeit der Beweis einer Qualität: Ich kann mich der Wirkung des Textes gerade deshalb nicht entziehen, weil er mich auf Abwege und in Buchten der eigenen Erinnerung zwingt. Wenn er es dann schafft, mich zurückzubringen, mich zur erneuten Konzentration auf das, was dasteht, zu bewegen, dann hast du gewonnen. (Mich, als Leserin.)


Ich hatte es kürzlich an anderer Stelle darüber: es scheint eine Eigenheit meiner Texte zu sein, dass ich die "Figuren" oder "Erzähler" darin in die Situation einer scheinbaren Zeitlosigkeit versetze – was an Handlung bleibt, ist entweder bereits geschehen oder entfaltet sich in einer derartigen Langsamkeit, dass die Gefahr, etwas zu verpassen, minimal ist.
Das erlaubt den Figuren/Erzählern einerseits, beliebig vor-, zurück- und nachzudenken, und dem Leser, immer wieder abzuschweifen und an einem Punkt wieder einzusteigen, an dem sich die Grundkonstellation nicht geändert hat und ein Zurückblättern nicht zwingend ist.
Ich glaube, letzten Endes bildet das meine eigene Lesebewegung ab.

Lorraine hat Folgendes geschrieben:
Ich denke, du hast dieses Stück Text (sieht aus wie ein buchstabengemustertes Stoff-Quadrat …) da abgeschnitten, wo am unteren Rand sichtbar wird, wie dieses Du gegenwärtig mit dem Abspielen/-hören eines Diktiergerätes beschäftigt ist und somit eine Abgrenzung zum Hören/Transkribieren in der Vergangenheit klar gestellt ist:

Beginn des Ausgeschnittenen hat Folgendes geschrieben:
die er aufgezeichnet hatte, um anschließend seine Gutachten daraus zu erstellen, auf der Grundlage unzähliger und stundenlanger Sitzungen, die du über Wochen und Monate penibel genau transkribiert hattest, um davon deine Miete bezahlen zu können.


Unteres Ende hat Folgendes geschrieben:
– und womöglich misstraust du deshalb augenblicklich der Schilderung, die das Diktiergerät in diesem Moment abspielt:


Ich würde mir zumindest wünschen, dass die grammatischen Strukturen des Textes klar genug sind, um einer Überprüfung – falls man sich als Leser doch mal nach der Kontinuität oder der eigenen Positionierung fragt – standzuhalten.

Lorraine hat Folgendes geschrieben:
Ein Ausschnitt ist das auch, der, finde ich, ganz gut lesbar macht, bzw. mich erkennen lässt, was nicht nur dem Du passiert (ist), als es diesen Transkriptionsjob machte
Zitat:
[…] bis du begonnen hattest, deinen eigenen Erinnerungen und dem, was sich dir bis dato als die Summe deiner Identität, deines Selbstverständnisses dargestellt hatte, zu misstrauen; bis sich ein irritierender Pfeifton in deine Erinnerungen gestohlen hatte, ein langgezogenes Geräusch, das ununterbrochen in den Winkeln deines Gedächtnisses oder irgendwo im Grenzbereich des Wahrnehmbaren oszillierte,[...]

... sondern auch, was beim Lesen (hier, aber auch woanders) passieren kann: dass ich nämlich beginne, (eigene) Erinnerung, Wahrnehmung oder mein Selbstverständnis infrage zu stellen.


Das nehme ich als Rückmeldung gerne mit. Um die Frage, wie wir uns unser Leben bzw. uns selbst erzählen, wo wir Verbindungen herstellen, Prioritäten setzen, ein Narrativ erzeugen, letztendlich: die Erzählung führen, kreist ja im Grunde das gesamte Manuskript; und auch darum, wie beeinflussbar diese Erzählung ist, wenn sie mit dem Lesen oder Zuhören konfrontiert wird.

Der Text kennt dich ja bereits als Leserin, aber ich finde es schön, dass du dich jetzt auch in den Faden eingeklinkt hast.

Grüße nach da,
K.


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Klemens_Fitte
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Beitrag02.12.2018 19:07

von Klemens_Fitte
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[…]

… und womöglich, wirst du dir sagen, sei dieser Versuch, sein »Das war ich nicht« nicht unähnlich deinem eigenen Empfinden gewesen, nachdem du am Ende dieser Transkriptionen, am Ende von Satz um Satz, am Ende dieser Abfolge von Frage und Antwort, die nicht nur fremde, sondern auch deine eigenen Erinnerungen immer weiter hinterfragt, ausgehöhlt und untergraben hätten, ins Haus deiner Eltern gegangen seist und die Fotoalben, die Ordner aus den Regalen gezogen habest, auf der Suche nach etwas, das du selbst nicht hättest benennen können, ein Weiß-Gott-Was, an dessen Stelle du immer nur auf das viel zu gewöhnliche, das viel zu banale Immergleiche gestoßen seist, eine geradezu erbärmliche und unerträgliche Normalität, eine glatte und makellose Oberfläche, in der sich nichts von dir, von deiner fortschreitenden oder urplötzlichen Entwurzelung oder Erschütterung habe verankern lassen. Morgens, mittags und abends hattest du am Esstisch deiner Eltern gesessen, auf dem von jeher dir zugewiesenen Platz auf der Eckbank, unter dem großformatigen Aquarell, das eine grüne, weitläufige Landschaft zeigte, ein weißes Pferd, das einen Bach durchquerte, ein Überbleibsel jener Phase, in der deine Malerei unter Freunden und Bekannten, in deiner Familie noch als harmloser und unbedenklicher Zeitvertreib gegolten hatte, als du noch sorglos und unbeschwert, fernab jeder Einsicht oder Erkenntnis Pferde oder Katzen gemalt hattest, Landschaften, auf denen keine Schatten lagen oder wenn, dann nur solche, die der Einhaltung von Perspektive, von Körperlichkeit und Lichtstimmung dienten; eine Phase, als sich deine Porträts noch an einer unverfänglichen Äußerlichkeit orientierten und man jedes deiner zu Weihnachten oder zu Ostern, zu Geburtstagen oder zum Muttertag angefertigten Bilder an diverse Wände gehängt und jede einzelne deiner Kritzeleien in Aktenordnern gesammelt hatte, in Kartons, die du jetzt wieder geöffnet und ausgeräumt hattest, immer nur halbgare Anfänge und Entwürfe findend, Zeichnungen und Malereien, die nichts über dich auszusagen wussten oder über den Zeitpunkt ihrer Entstehung, die von jedem beliebigen Menschen mit einem Hauch Begabung oder Übung hätten angefertigt werden können, von mäßig talentierten Kunsthandwerkern oder Hobbymalern, weil sie nichts Abgründiges an sich hatten, weil sie lediglich deinen eigenen Makel widerspiegelten, eine flache und banale Person zu sein – eine Person, die ihre eigenen Unzulänglichkeiten hinter dem vereinnahmenden Charakter und Verhalten ihrer Mitmenschen versteckte, hinter dem des diplomierten Psychologen beispielsweise, den diese Person irgendwann für die Dauer eines Herbstwochenendes mit zu ihren Eltern brachte und als ihren sogenannten Lebensgefährten präsentierte, und mit dem sie sich dann am elterlichen Esstisch oder im Gasthof Krone, im Ausflugslokal Zur Mühle in frisch einstudierten Gesten der Zuneigung erging oder sie mit einem stummen und undeutbaren Lächeln über sich ergehen ließ, wie sie Nachfragen oder Scherze über Kinder und Hochzeiten, über Zukunftspläne über sich ergehen ließ, in der Hoffnung, ihrem eigenen Täuschungsmanöver früher oder später auf den Leim zu gehen, so weit womöglich, dass sie schließlich nicht mehr unmerklich zusammenzucken würde, wenn er beim gemeinsamen Frühstück oder Abendessen die Hand auf ihren Oberschenkel legte oder während einem dieser Spaziergänge entlang verschwiegener Seeufer den Arm um sie, damit sie beide wie eine schlechte Kopie ihrer Eltern in deren Spur den See umrunden konnten; oder so weit, dass sie ungezwungen, gedankenlos oder gedankenbefreit in ihrem ehemaligen Zimmer mit ihm schlafen konnte, in einem Zimmer ähnlich denen, deren Einrichtung er sich für gewöhnlich in einer endlosen und unermüdlichen Abfolge von Frage und Antwort beschreiben ließ, festgehalten in Aufnahmen, die konzentrisch um den Moment einer erzwungenen oder hingenommenen Berührung kreisten und jetzt vom Stöhnen ihres ehemaligen Bettes untermalt werden könnten, von ihrem Flüstern, in dem sich Intimitäten mit der gleichen Aufrichtigkeit sagen ließen wie »Schlaf gut«, oder vom Knistern, wenn sie mit einer sachlichen Geste ein Taschentuch oder ein Stück Küchenkrepp zwischen ihre Schenkel und über den Fleck auf dem Spannbettlaken führen könnte, um schließlich neben ihm liegen zu können, sein Atmen und seinen Geruch, seine Wärme und die Berührung seiner Haut ertragen zu können, ohne sich vorstellen zu müssen, wie sie sich von ihm löste, wie sie aufstand, ans Fenster trat, es öffnete und den gesamten Müll ihres Selbst nach und nach in die Nacht hinauswarf, all diesen über Jahrzehnte angesammelten Krempel, für den sie keine Verwendung mehr hatte, den sie nicht mehr brauchte, weil sie jetzt jemanden hatte, einen sogenannten Mann an ihrer sogenannten Seite, für den sie die ganzen Irrwege ihrer Menschwerdung loswerden und leugnen würde, das Zeug, das sich in Aktenordnern und Kisten stapelte, in Kartons, in ihrem Kopf und in ihrer Brust, auf ihrer Haut, in längst abgestorbenen Zellen und in Schicht um Schicht von Verfälschung, von denen sie sich jetzt endlich befreien konnte, sich nach und nach und immer weiter entblättern konnte, bis zu dem Punkt, an dem sie alle Individualität verloren hatte, nur noch eine Gliederpuppe war, leicht genug, um von einem Gedanken, einer unvermittelten Vorstellung erfasst und aus dem Fenster getragen zu werden, von einem Satz, der sie die Straße hinunterführte, durchs Dorf, entlang der Stätten einer Kindheit, mit der sie nichts mehr verband, vorbei am Spielplatz, an der Bushaltestelle, am leerstehenden Schulgebäude, in dessen Mehrzweckhalle sie auf der Bühne gestanden hatte, vorbei an Häusern, die sie neu beschreiben und zu den Orten einer neuen alten Erzählung hätte machen können, aber der Satz, der sie aus dem Dorf hinauszog und über die Felder führte, begnügte sich damit, all das im Ungefähren und in der Bedeutungslosigkeit zu belassen, in einem Raum oder in einer Sphäre, auf einer Spur, für die es keine Worte mehr gab oder brauchte, sondern lediglich diese Strecke, diesen Pfad, schmal und beiderseits von den Sträuchern eines wild wuchernden Gedächtnisses bedrängt, von giftgrünem Blattwerk, aus dem sie im Vorbeigehen die Vogelbeeren loser Erinnerungen pflücken könnte, sie sich einverleiben, bis sich ihr der Magen umdrehen würde – wie früher, als sie noch geglaubt hatte, Vogelbeeren seien giftig, als sie noch auf die Aussagen und das Wissen ihrer Mutter vertraut hatte und nicht auf das, was in Büchern oder Wikipediaartikeln stand, als sie noch Sonntag für Sonntag an der Seite ihrer Mutter durch den Wald gegangen war und sich vorgestellt hatte, wie das wäre: ein Tod, den man schmecken könnte, sich einverleiben, und dann war sie zusammen mit ihrer Mutter um eine Biegung des Weges gegangen und hatte gesehen, dass ihr Vater, der ihnen stets um wenige Meter voraus gewesen war, ein paar Handvoll weißer Beeren von einem Knallerbsenstrauch gepflückt und auf dem Weg ausgestreut hatte, damit sie mit beiden Füßen hineinspringen und das Platzen der Beeren sie aus ihren Gedanken reißen konnte, damit sie für eine kurze Zeitspanne wieder ein Kind sein konnte und nicht jemand, der sich Gedanken machte – ein Spiel, das sie und ihr Vater häufig spielten, in den verschiedensten Variationen, indem er ihr Schneebeeren in den Weg streute oder ihr hinter einer Biegung auflauerte und im richtigen Moment an einem schneebeladenen Ast zog, der über den Weg hing; oder indem er, wenn er abends von der Arbeit kam, unter dem Sturz ihrer Zimmertür stand und das Licht mehrfach an- und ausknipste; indem er mit den Fingern dicht vor ihrer Nase schnippte oder unvermittelt ihre Handgelenke fasste und das Buch, in dem sie gerade las, mit einem lauten Knall zuklappte, bis sie seine Anwesenheit eines Blickes würdigte, damit er für die Dauer dieser Abendstunden oder des beginnenden Wochenendes den seit jeher ihm zustehenden Platz in ihrem Leben einnehmen konnte, ihrer Aufmerksamkeit sicher sein konnte, denn womöglich spielte er diese Spiele auch, weil er die Gefährlichkeit ihres Denkens erkannt hatte oder um das Risiko wusste, das in diesem zeitweiligen haltlosen Versinken lag


Teil 2 von 3?

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Beitrag02.12.2018 23:33

von firstoffertio
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Das ist sehr anstrengend. Was auch an der Formatierung hier liegen mag. Auf einmal wird aus dem du sie, mit der Person. So lese ich's.

Also er im vorigem Teil war der Junge vom zweiten Teil? Nun sind wir bei der Transskribiererin und ihren Erinnerungen?

Und irgendwo spukt ein Autor herum hinter allen.
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Klemens_Fitte
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Beitrag03.12.2018 10:08

von Klemens_Fitte
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firstoffertio hat Folgendes geschrieben:
Das ist sehr anstrengend. Was auch an der Formatierung hier liegen mag.


Die Formatierung mag ihren Teil beitragen – ich fürchte aber, dass ich mit diesem letzten Auszug den Bogen zwischen dem, was an Vorwissen aus dem Gesamtmanuskript nötig ist und dem, was der Auszug als in sich geschlossener Text zu leisten vermag, endgültig überspannt habe.
Da wäre auch eine Erklärung meinerseits, was es jetzt im Kontext des Manuskripts mit Du, Er, Sie etc. auf sich hat, nichts weiter als die ebenso scheinheilige wie unbefreidigende Versicherung, das würde im großen Ganzen schon Sinn ergeben.

firstoffertio hat Folgendes geschrieben:
Auf einmal wird aus dem du sie, mit der Person. So lese ich's.


Genau. Du macht sich in diesem Moment zur Figur, erfindet sich ein Leben und evtl. dazu passende Erinnerungen, und das spiegelt sich in der Erzählhaltung, die von der Du- zur personalen Perspektive wechselt.

firstoffertio hat Folgendes geschrieben:
Also er im vorigem Teil war der Junge vom zweiten Teil?


Ich bin mir jetzt nicht sicher, welchen Jungen und welchen zweiten Teil du meinst …




Insgesamt scheint das hier – mittlerweile? – zu unübersichtlich und unleserlich zu sein; es ist halt so, dass ich ab und an vor mir selbst rechtfertigen muss, so viel Zeit in diesem Forum zu verbringen, und das funktioniert am einfachsten, indem ich einen eigenen Text poste. Bis es dann eben nicht mehr funktioniert.


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d.frank
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Beitrag03.12.2018 12:48

von d.frank
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Mir fiel das diesmal gar nicht so schwer. Mag daran liegen, dass der zweite Text sich nicht so sehr in schwebenden Erinnerungen und Fragespielen verliert, sondern etwas direkt aufgreift, ein gelebtes Leben.
Dadurch, dass ein Er zunächst auf sich selbst, dann auf ein Gegenüber blickt, hält sich der Eindruck des Transkribierens.
Das ist alles sehr nüchtern. Es wird versucht, wie mir scheint, einen Kompromiss zu finden, irgendetwas, das über den Pragmatismus hinausgeht und dann an sich selbst erstickt. Augenblicklich wünscht man dem endgültig Erzählenden irgendeine Erkenntnis, eine Form von purem Glück, weil es sich anfühlt, als trachte er danach, seine Sachlichkeit abzustreifen, als suche er die Sorglosigkeit eines Kindes in der Weisheit eines gelebten Lebens. Das kann nicht funktionieren und ich spüre das Ersticken.


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Klemens_Fitte
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Beitrag03.12.2018 13:43

von Klemens_Fitte
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d.frank hat Folgendes geschrieben:
Mir fiel das diesmal gar nicht so schwer. Mag daran liegen, dass der zweite Text sich nicht so sehr in schwebenden Erinnerungen und Fragespielen verliert, sondern etwas direkt aufgreift, ein gelebtes Leben.


Freut mich, wenn es dir diesmal leichter fiel, einen Zugang zum Text zu bekommen – oder zumindest nicht so schwer. Mir ist bewusst, dass gerade ein solcher Text, in dem die Zeiten und Perspektiven, die Realitätsebenen usw. derart munter wechseln, von einer regelmäßigen Rückbindung an Konkretes abhängig ist.

d.frank hat Folgendes geschrieben:
Dadurch, dass ein Er zunächst auf sich selbst, dann auf ein Gegenüber blickt, hält sich der Eindruck des Transkribierens.


Bei diesem Satz bin ich etwas unsicher, wo du ihn bzw. sein Blicken auf sich und das Gegenüber verortest; vielleicht kannst du mir die Stelle zitieren?

d.frank hat Folgendes geschrieben:
Das ist alles sehr nüchtern. Es wird versucht, wie mir scheint, einen Kompromiss zu finden, irgendetwas, das über den Pragmatismus hinausgeht und dann an sich selbst erstickt.


Ich hoffe, dass nüchtern und pragmatisch nicht empfindungslos oder apathisch meint, denn so sehe ich den Text eigentlich nicht (bzw. würde ich mir Gedanken machen, wenn er so gesehen würde).

d.frank hat Folgendes geschrieben:
Augenblicklich wünscht man dem endgültig Erzählenden irgendeine Erkenntnis, eine Form von purem Glück, weil es sich anfühlt, als trachte er danach, seine Sachlichkeit abzustreifen, als suche er die Sorglosigkeit eines Kindes in der Weisheit eines gelebten Lebens. Das kann nicht funktionieren und ich spüre das Ersticken.


Auch hier tue ich mich etwas schwer, mir das als Folie über den Text zu legen, und ich frage mich, wo du diesen "endgültig Erzählenden" siehst – weil es mir schon darum geht, dass man die Du-Perspektive als eine Variante der Ich-Perspektive liest, ein Selbstgespräch oder Selbst-Aufschreiben bzw. ein Selbsterzählen eines im Text verortbaren Ich; wenn man stattdessen aber einen Erzähler sieht, der sozusagen als Puppenspieler die Fäden von Du, Er, Sie etc. in der Hand hält und selbst im Hintergrund bleibt, dann müsste ich mir wohl anschauen, welche Stellen konkret für diesen Eindruck verantwortlich sind.


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Beitrag03.12.2018 22:24

von firstoffertio
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Zitat:
Ich bin mir jetzt nicht sicher, welchen Jungen und welchen zweiten Teil du meinst …


Das war jetzt wohl ein Missverständnis. Ich dachte, du beziehst das hier:

Zitat:
Im zweiten Teil wird Er ein wenig konkreter, glaube ich.


auf den zweiten hier eingestellten Auszug, und las nun das Kind dort als Junge.

Oh oh.
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Klemens_Fitte
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Beitrag03.12.2018 22:31

von Klemens_Fitte
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firstoffertio hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Ich bin mir jetzt nicht sicher, welchen Jungen und welchen zweiten Teil du meinst …


Das war jetzt wohl ein Missverständnis. Ich dachte, du beziehst das hier:

Zitat:
Im zweiten Teil wird Er ein wenig konkreter, glaube ich.


auf den zweiten hier eingestellten Auszug, und las nun das Kind dort als Junge.

Oh oh.


Ah, verstehe. Ja, das war tatsächlich ein Missverständnis. Er ist in dem Fall der diplomierte Psychologe. Das Kind ist Du, bzw. ihre Version einer Kindheit.

Zitat:
weil sie lediglich deinen eigenen Makel widerspiegelten, eine flache und banale Person zu sein


Hier ist der Sprung von Du zu Sie, und alles, was danach geschildert wird

Zitat:
als sie noch Sonntag für Sonntag an der Seite ihrer Mutter durch den Wald gegangen war


bezieht sich auf die (Erinnerungs)Figur, zu der Du sich macht.


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Beitrag04.12.2018 18:09

von Klemens_Fitte
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[…]

– aber auch das war eine Erinnerung, die keine Relevanz mehr besaß, die sie zurückgelassen hatte, hatte zurücklassen können, weil sie ab sofort nicht mehr auf sie oder auf ihn angewiesen war, weil sie ab sofort nie mehr allein mit ihrem Denken sein würde, weil sie jetzt jemanden hatte, dem sie einen ständigen Platz darin einräumen würde, und weil sie am nächsten Morgen, am Ende dieser Vorstellung – denn tatsächlich dachte sie sich stets als eine Schauspielerin, als Teil einer Vorstellung, die einem fremden Drehbuch folgte – lächelnd und als wäre sie soeben aus einem Traum erwacht neben einem Mann liegen würde, der ihr in unbedachten Momenten sagte, dass er sie liebte, womöglich, weil er nichts anderes zu sagen wusste, weil er sich die eigentliche Aussage nicht eingestehen wollte oder keine Worte dafür fand: dass er sie festhielt, weil er sich an ihr die Zähne ausbiss; dass es ein beinahe professionelles Interesse war, das ihn in ihrem Anziehungsbereich hielt, die Tatsache, dass er sich auf sie keinen Reim machen konnte, auf ihr Verhalten, ihr Pendeln zwischen Nähe und Distanz, Anziehung und Abstoßung, zwischen Unnahbarkeit und schonungsloser Offenheit, oder dass er diese Begriffe längst gefasst und zu einer Kette aufgefädelt hatte, Pendeln, Nähe, Distanz, Anziehung, Abstoßung, an deren Ende ebenso schlüssig wie banal eine Borderlinediagnose stand, und dass er sich gleichzeitig taub machte gegen diese innere, in jedem Winkel seiner Psychologenseele vernehmbare Stimme, sich weiterhin keinen Reim auf ihre Geschichten machen wollte, auf ihre Kindheitserinnerungen oder ihre Träume, die sie ihm bisweilen erzählte, womöglich, weil er ein Mann war, dem man solche Dinge anvertraute, dessen Wesen auf eine unerklärliche Weise dazu aufforderte – wie du ihm auch vom sogenannten überraschenden Tod deiner Mutter geschrieben hast, nicht per SMS oder Mail, nicht auf Skype oder WhatsApp, sondern in einem handgeschriebenen Brief, den du erst gestern auf dem Weg hierher in den Postbriefkasten am Ortsausgang geworfen hast und in dem du ihm nichts von deinem Fund oder deinem Vorhaben verrätst, um ihm gar nicht die Möglichkeit zu geben, darauf zu reagieren, dich in euer erstes Gespräch seit Monaten zu verwickeln, denn auch so kostet es dich einige Mühe, ihn aus deinen Gedanken zu drängen, während du die Aufnahme anhörst, dir dabei seine Stimme vorstellst, wie sie nachhakt, Fragen stellt, in ruhigem und klarem Ton, eine Stimme, die du schon immer gemocht hast, tatsächlich gemocht, womöglich mehr als den Menschen, zu dem sie gehörte; eine Stimme, die dich dazu gebracht hatte, dich zu berühren, wenn er dir am Telefon »Blinde« von Hervé Guibert vorgelesen hatte oder Batailles »Das Blau des Himmels«, stundenlang, weil du überreizt gewesen warst und nicht hattest schlafen können, eine nachgerade himmelschreiend absurde Situation, dich von dieser Stimme treiben zu lassen, die für gewöhnlich im Zustand völliger Sachlichkeit nach der Machart eines Hosenstalls oder dem exakten Ablauf eines körperlichen Übergriffs fragte und die sich jetzt durch die Zeilen, zwischen den Sätzen und Szenen eines Romans bewegt hatte, sicher und gewandt, über die im Telefonhörer knisternden Seiten eines Buchs, das du ebenfalls als übergriffig empfunden hattest – und womöglich war genau das entscheidend gewesen: dass du dich nur in der Konfrontation mit etwas hattest verlieren und vergessen können, das viel wahrer und brutaler, viel rücksichtsloser als jede deiner eigenen Überlegungen war, das sich deines Denkens bemächtigte, ohne um Erlaubnis zu bitten, mehr noch, ohne dich überhaupt wahrzunehmen – bis deine Hand den Weg zwischen deine Schenkel gesucht und er dich gefragt hatte, ob alles in Ordnung sei, als das erste Mal ein Stöhnen oder Seufzen den Weg durch die Lücke deiner Zähne, durch deine Lippen und ins Telefon gefunden hatte, ein Vorgang, der sich in den folgenden Wochen und Monaten regelmäßig wiederholte, zu einer Art Sucht für dich wurde, womöglich auch für ihn, warum sonst hätte er dir stundenlang, Nacht für Nacht Bataille vorlesen sollen, Milan Kundera oder Anaïs Nin, manchmal bis zum Morgengrauen, bis du dich vergessen und verausgabt hattest, bis du blöde geworden und eingeschlafen warst, nicht ohne zuvor noch die Tiefe deiner Erschöpfung oder Verblödung in Lippenbekenntnissen von Verliebtheit oder gar Liebe auszuloten, in Sätzen, deren Waghalsigkeit sich am Grad deiner geistigen Leere oder Unaufmerksamkeit bemessen hatte; in Lippenbekenntnissen, die früher oder später in einer Art Beziehung hatten eskalieren müssen, in einem Besuch bei deinen Eltern, in gemeinsamen Essen im Gasthof Krone oder im Ausflugslokal Zur Mühle, in Gesprächen über Pläne, die nicht deine eigenen gewesen waren und vor denen du letzten Endes in die Isolation deiner Wohnung geflüchtet warst, zurück in eine Einsamkeit, die sich noch tiefer und trostloser ausgenommen hatte als zuvor.


Teil 3 von 3

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Beitrag05.12.2018 22:17

von firstoffertio
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Ich bin ja gespannt, von wann aus das erzählt wird, was also vor dieser ausführlichen Rückschau alles passiert sein wird.
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Beitrag06.12.2018 09:11

von Klemens_Fitte
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Tja … darauf könnte es eine sehr knappe oder eine sehr ausführliche Antwort geben Laughing
Wenn mich nicht alles täuscht, wird das Jetzt, von dem aus sich alle Rück- und Vorausblenden entspinnen, im Manuskript auf Seite 65 etabliert, und bis dato – Seite 661, Stand heute – hat alles, was an tatsächlicher Handlung im Jetzt geschieht, einen geschätzten Umfang von zwei Dutzend Seiten; der Rest besteht aus Dingen, die geschehen sind oder geschehen könnten, die erzählt wurden oder erzählt werden könnten, die geträumt oder in den Endlossätzen innerer Gedankenrede gedacht werden.


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Beitrag06.12.2018 23:03

von firstoffertio
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Bis auf die 661 Seiten hatte ich schon so gedacht. Trotzdem finde ich den Ausgangspunkt der Betrachtungen wichtig, wenn er auch nur kurz zur Sprache kommt. Wink
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Beitrag09.12.2018 09:55

von Klemens_Fitte
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firstoffertio hat Folgendes geschrieben:
Bis auf die 661 Seiten hatte ich schon so gedacht. Trotzdem finde ich den Ausgangspunkt der Betrachtungen wichtig, wenn er auch nur kurz zur Sprache kommt. Wink


Klar, in diesem ganzen Netz aus Vor- und Rückbezüglichkeiten, Ausbuchtungen, Abschweifungen, Träumen, erfundener oder erdachter Narration sollte dem Leser schon bewusst sein, wo der Ankerpunkt all des Erzählten liegt. Allerdings verteilten sich die (geschätzten) zwei Dutzend Seiten über das gesamte Manuskript, es wird also immer wieder auf den Status Quo verwiesen; und der ändert sich auch nicht dramatisch, das Risiko ist also eher gering, etwas zu verpassen.


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Beitrag09.12.2018 13:22

von d.frank
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Hallo Klemens

Zitat:
Bei diesem Satz bin ich etwas unsicher, wo du ihn bzw. sein Blicken auf sich und das Gegenüber verortest; vielleicht kannst du mir die Stelle zitieren?


Dafür müsste ich den ganzen Text zitieren.
In meinem Lesen blickt ein Erzähler, ein Psychologe, auf sich selbst, auf Personen, mit denen er Umgang hat. Es gibt die Du Ansprache, ein Zwiegespräch mit sich selbst und dann die Wendung zu Betrachtungen, der Außenwelt, dem fantasierten Inneren Nahestehender.
Kann aber sein, dass mir etwas fehlt oder dass ich nicht aufmerksam genug gelesen habe.

Zitat:
Ich hoffe, dass nüchtern und pragmatisch nicht empfindungslos oder apathisch meint, denn so sehe ich den Text eigentlich nicht (bzw. würde ich mir Gedanken machen, wenn er so gesehen würde).


Hmmm. Siehst du Leidenschaft? Es wirkt schon sehr nüchtern, sezierend, ich denke, das ist bedingt, durch deinen Anspruch, jeden Gedanken immer bis zum Ende zu denken, da bleibt nicht viel im Unklaren, es entsteht auch ein Gefühl der Resignation, jedenfalls bei mir, wenn ich etwas fühle bei diesem Text, dann das. Das muss aber nicht schlecht sein!

Zitat:
Auch hier tue ich mich etwas schwer, mir das als Folie über den Text zu legen, und ich frage mich, wo du diesen "endgültig Erzählenden" siehst – weil es mir schon darum geht, dass man die Du-Perspektive als eine Variante der Ich-Perspektive liest, ein Selbstgespräch oder Selbst-Aufschreiben bzw. ein Selbsterzählen eines im Text verortbaren Ich; wenn man stattdessen aber einen Erzähler sieht, der sozusagen als Puppenspieler die Fäden von Du, Er, Sie etc. in der Hand hält und selbst im Hintergrund bleibt, dann müsste ich mir wohl anschauen, welche Stellen konkret für diesen Eindruck verantwortlich sind.


Nein, wie weiter oben schon erwähnt, sehe ich das Selbstgespräch und trotzdem ist es ein Gespräch, auf dessen einer Waagschale ein Erzähler sitzt.

PS: Wann geht es weiter? wink


_________________
Die Wahrheit ist keine Hure, die sich denen an den Hals wirft, welche ihrer nicht begehren: Vielmehr ist sie eine so spröde Schöne, daß selbst wer ihr alles opfert noch nicht ihrer Gunst gewiß sein darf.
*Arthur Schopenhauer
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Klemens_Fitte
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Beitrag09.12.2018 15:14

von Klemens_Fitte
Antworten mit Zitat

d.frank hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Bei diesem Satz bin ich etwas unsicher, wo du ihn bzw. sein Blicken auf sich und das Gegenüber verortest; vielleicht kannst du mir die Stelle zitieren?


Dafür müsste ich den ganzen Text zitieren.
In meinem Lesen blickt ein Erzähler, ein Psychologe, auf sich selbst, auf Personen, mit denen er Umgang hat. Es gibt die Du Ansprache, ein Zwiegespräch mit sich selbst und dann die Wendung zu Betrachtungen, der Außenwelt, dem fantasierten Inneren Nahestehender.
Kann aber sein, dass mir etwas fehlt oder dass ich nicht aufmerksam genug gelesen habe.


Ich habe jetzt – für meine Verhältnisse – recht lange über die Mechanismen und Bedingtheiten des Lesens im Forum nachgedacht, darüber, dass sich die Person des Autors/der Autorin, sobald wir es nicht mehr mit einem klar fiktionalen und aus einer klar personalen Perspektive erzählten Text zu tun haben, immer deutlicher zwischen Text und Leser schiebt, weil er/sie ja da ist, ansprechbar, sichtbar in dem, was er/sie (von sich) präsentiert.
Nur: bevor ich anfing, diesen Kommentar zu schreiben, habe ich mir noch einmal alle hier eingestellten Teile durchgelesen, und tatsächlich, es gibt kaum etwas bis nichts, das deiner Sichtweise auf den Text widersprechen würde. Da würde es auch wenig bringen, ellenlang auszuführen, wie es sich im Manuskript verhält – die Ausschnitte hier stehen, wie sie stehen, für sich, und die Sicht- und Leseweisen, die sie erlauben, folgen aus meiner Auswahl, auch wenn ich die nicht bewusst getroffen habe.

d.frank hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Ich hoffe, dass nüchtern und pragmatisch nicht empfindungslos oder apathisch meint, denn so sehe ich den Text eigentlich nicht (bzw. würde ich mir Gedanken machen, wenn er so gesehen würde).


Hmmm. Siehst du Leidenschaft? Es wirkt schon sehr nüchtern, sezierend, ich denke, das ist bedingt, durch deinen Anspruch, jeden Gedanken immer bis zum Ende zu denken, da bleibt nicht viel im Unklaren, es entsteht auch ein Gefühl der Resignation, jedenfalls bei mir, wenn ich etwas fühle bei diesem Text, dann das. Das muss aber nicht schlecht sein!


Ich weiß zwar nicht, ob ich es als "Leidenschaft" bezeichnen würde, aber ich sehe durchaus eine stark emotionale Komponente in dieser Auseinandersetzung mit sich selbst, die Du im Text wieder und wieder durchläuft.
Wobei ich dazusagen muss: für mich ist Emotionalität keine Gegenpol zur Klarheit. Eher ist für mich Schonungslosigkeit, die das Durchdenken eines Satzes bis zum (bitteren) Ende fordert, das Sezieren des eigenen Selbst oder der eigenen Biografie, des eigenen Selbstbilds, der Gegenpol zu Apathie oder Resignation. Aber auch das ist nur mein Blick auf den Text.

d.frank hat Folgendes geschrieben:
PS: Wann geht es weiter? wink


Ich denke nicht, dass ich in absehbarer Zeit noch weitere Teile einstellen werde. Der Faden selbst ist ja schon sehr komplex, die eingestellten Ausschnitte sehr disparat und womöglich von Anfang an nicht geeignet, das Manuskript zu repräsentieren.
Nur: gut möglich, dass sich meine Meinung in ein paar Monaten wieder ändert.


_________________
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