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Die Show


 
 
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Murnockerl
Geschlecht:weiblichEselsohr
M


Beiträge: 340



M
Beitrag27.11.2018 19:28
Die Show
von Murnockerl
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Da ich mit meinen Texten leider immer auf der längeren Seite bin, gibt es hier als meinen Einstand das erste Drittel einer Kurzgeschichte - also bitte nicht über das abrupte Ende wundern. Die Fortsetzung existiert bereits.
Ich freue mich auf eure Kritik Smile

Die Show

Die Malediven, denkt Sandy, noch bevor sie die Augen aufschlägt. Wie komisch, dass ihr gerade dieses Wort durch den Kopf geistert. Malediven. Weißer Sand, Palmen, Sonne. Gemeinsamer Urlaub.
Malediven, denkt sie und fühlt mit dem Wort den Nachgeschmack eines bösen Traums.
Die neblige Stadt vor ihrem Fenster hat so wenig von einem Strandurlaub, dass ihr gleich ein wenig leichter wird. Sie lässt das Bett ungemacht und schiebt die Sachen von gestern mit dem Fuß darunter. Kaffee aufbrühen, anziehen, Müsli – trocken oder mit Wasser? Die Bewegungen laufen steif und routiniert, während sie noch halb träumt. Träumt? Eher festhängt in der tintenschwarzen Vorstadtnacht, unter einer pieksigen Thujenhecke, allein im Dunkeln mit einem Igel, der sich anhört wie eine misslungene Kreuzung aus Darth Vader und dem Hund von Baskerville. Gemeinsamer Urlaub auf den Malediven? Dass sie nicht lacht!

„Die Milch ist aus.“
„Sag nicht Milch zu dem Soja-Scheiß.“
„Soja-Scheiß oder nicht, du hast gesagt, du kaufst welche.“
Sie sehen einander über Tischplatte hinweg an, einen Moment kampflustig, aber noch zu müde für den täglichen Einkaufsstreit.
„Du schaust echt fertig aus.“
Ihre Schwester schlurft kopfschüttelnd mit einer Tasse Kaffee davon und Sandy stützt den Kopf auf die Hand. Alles dreht sich.
Sie wirft einen Blick aus dem Fenster, wo zwei Kinder eine McDonalds-Tüte über den Gehsteig kicken. Sie schaltet ihr Handy ein. Es vibriert.
- Brunchen um 11?
Obwohl sie etwas dergleichen erwartet hat, trifft die Erleichterung den Kloß in ihrem Hals mit voller Wucht.
Ihr habt Nerven, denkt sie.
- Bin in 15 min da.

Ihre Freunde sitzen ganz in der Ecke, Sandy kann sie schon durchs blumendekorierte Fenster sehen. Darüber, blass und geisterhaft, die Spiegelung von ihr selbst; sie hat sich auf der Straße ein Dutzend Mal stehenbleiben und sich umsehen müssen.
Melissa hat den Kopf an Toms Schulter gelehnt, er liest Zeitung und raucht. Beide haben schon bestellt.
„Hast du gut geschlafen?“
„Nein“, sagt Sandy. „Ihr wisst ja, dass -“
„Bist du blöd? Doch nicht hier!“
Beim Essen reden sie über den Malediven-Urlaub, den Melissa und Tom noch immer mit ihr machen wollen – nicht darüber warum und mit welchem Geld –, und außerdem Toms Band, die Indie spielt und im Herbst auf Tournee gehen wird. Das Gespräch zieht sich wie Kaugummi mit üblem Geschmack.
Als sie nach dem Zahlen auf der Straße stehen, klopft Tom ihr auf die Schulter und sagt: „Du kriegst eine Tapferkeitsmedaille.“ Und Melissa drückt sie mit der Empfehlung, die Ohren steif zu halten.
„Was machen wir denn jetzt?“, fragt Sandy. Sie würde gerne mit zu ihnen kommen, aber die beiden gehen nicht nach Hause, sondern weiter, zu irgendwelchen Freunden, und da könnten sie ja sowieso nicht reden.
"Ach, weißt du -"
Am anderen Ende der Straße schiebt eine magere Frau im Sommerkleid einen Kinderwagen um die Ecke und verstummt stehen sie da, warten und rauchen, bis sie verschwunden ist.
„Weißt du“, beginnt Melissa wieder und drückt mit beiden Händen Sandys Rechte, wie bei einem Kind. „Wir bleiben ruhig und tun gar nichts. Du hast wahrscheinlich irgendeinen Sender rein gekriegt – einen komischen Sender, oder den Polizeifunk. In so einer Situation, da versteht man schon mal was falsch.“
„Wir warten einfach ab“, sagt Tom. „Was anderes kann man ja gar nicht machen.“
Sandy beißt sich auf die Lippen und nickt. Nicht, weil sie ihnen glaubt, aber Tom hat Recht: Was sollen sie schon machen?

Zu Hause legt sie sich ins Bett und zieht die Decke bis an die Nasenspitze. Obwohl sie müde ist, kann sie nicht schlafen. Stattdessen dreht sich an der Decke die letzte Nacht in Grau und Blau: Die Autoreifen, die auf dem Kiesweg knirschen, die Vorstadtluft, noch immer schwül und voll von Ligusterduft und dem Chlor eines Pools irgendwo hinter dichten, dunklen Hecken. Das Tappen von Turnschuhen auf Asphalt, als sie wie Schatten die Straße überqueren. Nicht zu schnell und nicht zu langsam; man soll sie noch für die Gäste irgendeiner Party halten können, die angetrunken und müde auf dem Heimweg sind.
Das Haus liegt ganz am Ende der Straße, wo die Siedlung in soldatische Reihen von Mais und Rüben übergeht. Als sie das Gartentor vorsichtig öffnen – das Quietschen qualvoll laut die Stille zerteilt – löst Sandy sich mit weichen Knien von den anderen beiden und kriecht unter die Thujen, die entlang des Zauns wolkig und schwarz über dem helleren Grau des Rasens hängen. Sie hat so etwas noch nie getan, trotzdem sitzt jeder Fingergriff, als sie das Funkgerät hervorzieht und flüstert: „Gamma auf Position. Over.“
Wie in einem Agentenfilm kommt sie sich vor. Und ein bisschen dumm, aber das macht nichts, weil ihr Kopf ohnehin zu schwammig ist von all der Angst, als dass sie einen Gedanken länger als ein paar Sekunden bei sich behalten kann.
„Hier Alpha, wir gehen rein. Over.“
Jetzt ist sie allein, hört nichts als ihr eigenes, flatterhaftes Atmen, und sieht nichts als das orange Muster, das die Straßenlaterne vor dem Haus durch die Thujenzweige wirft. Melissa und Tom haben das Imitat des Kellerschlüssels und niemand ist zu Hause. Eine Frage von Minuten, haben sie  ihr gesagt. Alles easy. Trotzdem läuft ein Band beängstigender Fragen durch Sandys Kopf.
Wenn jemand da ist?
Wenn ein Nachbar die Taschenlampen sieht?
Sie muss sich auf die Lippen beißen, um die beiden nicht sofort wieder anzufunken, bloß um zu erfahren, dass alles in Ordnung ist.
Als sie die Schritte hört, hat sie sich gerade so an ihre Lage gewöhnt. Sie kommen vom anderen Ende der Straße und nähern sich schnell; sehen kann sie von ihrem Versteck aus nichts. Thujennadeln pieksen in ihrem Kragen und reißen an ihrer Mütze, als sie mit angehaltenem Atem bis zum Zaun vorkriecht und durch die eisernen Schnörkel einen Blick nach draußen wirft.
„Hier Gamma. Da sind Schritte, aber niemand zu sehen. Beeilt euch da drinnen.“ Sie beißt sich auf die Lippen, als ihr der Gedanke kommt, dass, wer auch immer dort vorbeigegangen ist, womöglich ganz in der Nähe wartet und lauscht. „Over.“
Das Funkgerät ans Ohr gepresst, späht hinaus zu den dunklen Fenstern der Villa, in denen natürlich nichts zu sehen ist: Zum Glück.
„Könnt ihr mich hören? Gamma, over.“
Irgendwo bellt ein Hund. Ein Automotor hustet in der Ferne. Sandy hat die Hoffnung auf eine Antwort schon aufgegeben, als das Funkgerät in ihren Händen knackend zum Leben erwacht. Es rauscht und kratzt, sodass sie erst ängstlich die Hand auf den Lautsprecher drückt und mit der Stellschraube nach der richtigen Frequenz suchen muss. Schließlich glättet sich das Tongeknitter zu einer menschlichen Stimme. Erst denkt sie, es ist Tom, der sich meldet, aber der Klang ist völlig anders, selbst durch das Rauschen des Funkgeräts.
„Wie geht's, Gamma? Dreh dich besser nicht um.“
Erst jetzt fällt ihr auf, dass die Schritte wieder eingesetzt haben.

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hobbes
Geschlecht:weiblichTretbootliteratin & Verkaufsgenie

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Beiträge: 4294

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Beitrag27.11.2018 20:47

von hobbes
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Hallo Murnockerl,
ich habe nicht die leiseste Ahnung, was hier passiert (bzw. noch passieren wird). Aber ich würde es gern wissen smile Hast du die Forsetzungs-Checkbox schon entdeckt?

Zum Text mag ich noch nichts sagen, ohne das große Ganze zu kennen. Vielleicht nur so viel, dass ich es ziemlich problemlos bis ans Ende des Textes geschafft habe (was für mich hier im Forum nicht gerade der Normalfall ist).
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Murnockerl
Geschlecht:weiblichEselsohr
M


Beiträge: 340



M
Beitrag27.11.2018 21:03

von Murnockerl
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Hallo hobbes!

Freut mich natürlich sehr, dass du auch die Fortsetzung lesen möchtest smile Ich hatte eigentlich vor, ein paar Tage zu warten (um das Forum nicht gleich mit 3000 Wörtern zu überschwemmen, und außerdem, weil ich bisher nur bis hierher überarbeitet habe...), aber da ich natürlich neugierig auf deine Reaktion bin, werde ich mich möglichst bald ans Überarbeiten machen und die Fortsetzung dann vllt morgen oder übermorgen einstellen smile
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Herdis
Geschlecht:weiblichLeseratte


Beiträge: 134
Wohnort: Nordhessen


Beitrag27.11.2018 21:23

von Herdis
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Hallo Murnockerl,

kann mich hobbes da nur anschließen. Spannend.


Hier ein paar Kleinigkeiten, über die ich beim Lesen gestolpert bin und die Dir sicher beim Überarbeiten durchgerutscht sind:


"Sie sehen einander über ....... Tischplatte hinweg an,"

"Das Funkgerät ans Ohr gepresst, späht ....... hinaus zu den dunklen Fenstern der Villa"

ansonsten:

"ist: Zum Glück."
-Vielleicht besser . statt : .

"Am anderen Ende der Straße schiebt eine magere Frau im Sommerkleid einen Kinderwagen um die Ecke und verstummt stehen sie da, warten und rauchen, bis sie verschwunden ist."
-Vielleicht besser das "und" streichen und zwei Sätze draus machen. Spannung.

"Darüber, blass und geisterhaft, die Spiegelung von ihr selbst; sie hat sich auf der Straße ein Dutzend Mal stehenbleiben und sich umsehen müssen."

-Da ist m.E. ein "sich" zu viel drin (das zweite).
Dazu noch die Frage: Du willst sagen, dass sie sich verfolgt fühlt, richtig? Dann wäre vielleicht ein treffenderes Verb besser. "Umsehen" ist gefühlt umgangssprachlich und sagt für mich eher was von "ich will mich mal umsehen" aus. Vielleicht auch hier zwei Sätze draus machen.

Gerne mehr.

LG,
Herdis


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"Wenn ich nicht schreibe, fühle ich, wie meine Welt schrumpft. Ich empfinde, wie ich mein Feuer und meine Farben verliere." Anais Nin

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Lila Herz
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen
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Beiträge: 16
Wohnort: NRW


L
Beitrag27.11.2018 21:59

von Lila Herz
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Hallo murnockerl,

Also ich bin auch schon auf die Fortsetzung gespannt, die Geschichte weckt Spannung und Interesse.
Mir gefällt sehr gut, wie du Sprache und vergleiche einsetzt (zb der Darth Vader - Igel ist herrlich oder der soldatische Mais).

“Die neblige Stadt vor ihrem Fenster hat so wenig von einem Strandurlaub, dass ihr gleich ein wenig leicht”

Finde ich super den Kontrast,da man ja eigentlich wahrscheinlich lieber auf die Malediven will, wenn man in dieser Stadt ist und unterstreicht damit gut, dass irgendwas sehr unschönes vorgefallen ist.
Nur bei  dem Wort “neblig” stolperte ich etwas, da später jemand mit Sommerkleid kommt. Ich war durch den Nebel gedanklich im Herbst. Vielleicht würde “Dunst” oder “Smog” besser passen.

“Sie würde gerne mit zu ihnen kommen”

Ich glaube, hier müsste es “mit zu ihnen gehen” heißen, denn “kommen” würde ja bedeuten, dass die beiden schon zu Hause sind.

“Am anderen Ende der Straße schiebt eine magere Frau im Sommerkleid einen Kinderwagen um die Ecke und verstummt stehen sie da, warten und rauchen, bis sie”

Hier würde ich nach “Ecke” den ersten Satz beenden.

“ – das Quietschen qualvoll laut die Stille zerteilt –”

Ist die Satzstellung absichtlich so gewählt?

“löst Sandy sich mit weichen Knien von den anderen beiden”

Irgendwie ist mir nicht ganz klar, wer die anderen beiden sind. Die Freunde können es ja nicht mehr sein, sie ist ja jetzt zu Hause. Aber vielleicht stehe ich auch einfach gerade auf dem Schlauch.

Danach beschreibst du gut ihre Angst, und die Spannung steigt, was dort los ist und um welche “Show” (Titel) es sich handelt.

“Schließlich glättet sich das Tongeknitter zu einer menschlichen Stimme”

Sehr schöne Darstellung.

Ich freue mich schon auf die Fortsetzung smile
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Murnockerl
Geschlecht:weiblichEselsohr
M


Beiträge: 340



M
Beitrag27.11.2018 22:47

von Murnockerl
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Danke für eure Anmerkungen, das hilft mir sehr weiter smile

Zitat:
-Da ist m.E. ein "sich" zu viel drin (das zweite).
Dazu noch die Frage: Du willst sagen, dass sie sich verfolgt fühlt, richtig? Dann wäre vielleicht ein treffenderes Verb besser. "Umsehen" ist gefühlt umgangssprachlich und sagt für mich eher was von "ich will mich mal umsehen" aus. Vielleicht auch hier zwei Sätze draus machen.


Komisch, irgendwie hatte ich "umsehen" immer äquivalent mit "umblicken" bzw. "umschauen" im Kopf, aber jetzt, wo du es sagst, kommt mir die Verwendung auch merkwürdig vor Smile

Zitat:
Finde ich super den Kontrast,da man ja eigentlich wahrscheinlich lieber auf die Malediven will, wenn man in dieser Stadt ist und unterstreicht damit gut, dass irgendwas sehr unschönes vorgefallen ist.
Nur bei dem Wort “neblig” stolperte ich etwas, da später jemand mit Sommerkleid kommt. Ich war durch den Nebel gedanklich im Herbst. Vielleicht würde “Dunst” oder “Smog” besser passen.


Ich glaube, ich hatte mich damals noch nicht entschieden, welche Jahreszeit herrscht. Dunst oder Smog passt auf jeden Fall besser!
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Murnockerl
Geschlecht:weiblichEselsohr
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Beiträge: 340



M
Beitrag29.11.2018 22:20

von Murnockerl
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Vor Sandys Fenster verkrümelt sich der sonnige Julinachmittag in Wolken und schließlich duseliges Zwielicht. Ihre Schwester klopft an und zeigt großes Interesse an einigen der Dinge, die Sandy nicht eingekauft hat.
„Herrgott nochmal, tust du eigentlich irgendwas?“

Gegen halb neun vibriert ihr Telefon; sie lässt es zweimal fallen, bevor es ihr gelingt, den Bildschirm zu entsperren.
- Hallo, Sandra Edermann. Brichst du heute Nacht wieder bei fremden Leuten ein?
Ihr wird heiß und dann ganz kalt – wie schnell ein Mensch die Temperatur ändern kann.
- Oder gibst du lieber aus, was du gestern gestohlen hast?
Sandy tippt:
- Wer ist da???
und löscht die Nachricht wieder. Sie will es ja nicht wissen.
Wieder vibriert das Telefon. Wer auch immer ihr da schreibt, tut es gern und ausgiebig.
- Du musst nicht unbedingt ins Gefängnis.
Diesmal sind Fotos dabei: Abbilder der letzten Nacht, eingefroren in schneeigem Infrarot. Sandy beim Auto, Sandy am Weg zur Villa. Sandy, wie sie sich die Mütze überzieht, wie sie unter die Thujen kriecht. Immer nur sie.
- Rothengasse 3. 23 h. Komm nicht zu spät.
Sandy löscht die Bilder, so schnell sie auf ihrem Handy aufleuchten, nur die Nachricht lässt sie stehen. Sie würde das verdammte Telefon am liebsten aus dem Fenster schleudern.
- Was willst du von mir?
„Schauen wir am Abend einen Film?“
Ihre Schwester, versöhnlicher, aber immer noch mit angriffslustigem Funkeln in den Augen, steckt den Kopf zur Tür herein. Sie hat das Haar in ein Handtuch gewickelt und Peelingpaste auf dem Gesicht wie eine dicke blaue Schicht Sommerhimmel. Ein Sommerhimmel, der Risse bildet und auseinanderfällt.
„Bin verabredet, sorry.“
Die Schwester zieht die Augenbrauen hoch und lässt einen Regen vertrockneter blauer Klümpchen auf den Teppich niedergehen.
„Geht's dir nicht gut? Du bist so richtig bleich.“
Sandy schüttelt den Kopf. Sie kann die Tränen zurückhalten, bis ihre Schwester gegangen ist. Vibrieren.
- Dauert nicht lang.
Mit zitternden Händen sucht sie in ihren Kontakten nach Melissa.

Der Ruhende Jägersmann schläft nicht, und er denkt auch nicht nach. Soweit man es aus seinem Gesicht entnehmen kann, herrscht in seinem Schädel verführerische Ruhe, die sich in einem sanften, dümmlichen Lächeln auf seinen Jadelippen niederschlägt. Auf seinen Knien liegt ein blechernes Gewehr, zu seiner Rechten hechelt ein Hund mit kitschig roten Rubinaugen und zu seiner Linken schläft zusammengerollt ein Reh – oder ist vielleicht auch einfach tot. Das linke Bein des Jägers ist übergeschlagen, sodass sein Fuß mit der edelsteinernen Spitze wie ein Faustkeil in Richtung des Betrachters zeigt. Ein Detail, das Sandy erst jetzt, so viele Stunden später, zur Gänze deutlich wird.
In diesem Augenblick ruht der Jägersmann in einem Safe in Toms Wohnung, gegen deren dunkle Fenster sie die letzten fünfzehn Minuten vergeblich Kieselsteine geworfen hat - unterbrochen nur von den kurzen Pausen, um an der Eingangstür Sturm zu läuten.
Mit der Fußspitze voraus könnte ihn gut jemandem über den Schädel ziehen, denkt Sandy, während sie im Natriumgelb der Straßenlaternen die Rothengasse hinuntergeht. Als Kunstwerk allerdings … aber sie will nicht urteilen über den Geschmack reicher Käufer. Vielleicht ist ja etwas Folkloristisches, etwas Urtümliches an ihm, das Kunstliebhaber auf irgendeine Weise berührt.
Ein alter Mann mit Hund wirft ihr von der anderen Straßenseite verstohlene Blicke zu; sie wischt sich mit dem Ärmel Rotz und Tränen vom Gesicht.
Den reichen Leuten mit ihrem skurrilen Geschmack, die den Kunstraub in Auftrag gegeben haben, denen kann sie ja verzeihen. Aber Tom und Melissa, die alles angezettelt haben, die mit dem Versprechen eines großzügigen Anteils vor Sandys Nase gewedelt haben, die Schuld sind, dass man sie nun erpresst und verdammt nochmal nicht einmal ans Telefon gehen können, die verabscheut sie im Augenblick mit voller Leidenschaft.
Die Nummer 3 ist eine Bruchbude mit rissigen grauen Wänden, efeuüberwuchertem Rasen und Löchern im Dach - so etwas in der Art hat sie erwartet. Ein rostiges Schloss hält die Flügel des Gartentors zusammen, sodass sie wohl oder übel über den halb eingetretenen Zaun steigen muss. Im Falle einer Flucht nicht gut – dafür bieten die überbordenden Himbeersträucher zu beiden Seiten des Hauses Deckung.
Unter der Jacke kann sie die Rundung des Pfefferspray spüren; verstohlen lässt sie ihre Hand darüber streifen. Als sie das Handy aus der Tasche zieht, ist es fünf vor zehn. Die Nachricht kommt fast im selben Augenblick:
- Ein Fenster auf der Rückseite ist offen.
Ins Gefängnis kann sie auf keinen Fall. Tom und Melissa vielleicht, denkt sie verstohlen. Tom und Melissa, die mit der Einbrecherei angefangen haben, bei denen ist doch vieles schon verloren. Aber nicht sie, nicht jetzt. Sandy wiederholt es wie ein Mantra, während ihre Turnschuhe im Efeu hängen bleiben und sie das Haus umschleicht, als wäre es ein gefährliches Tier.
Das Fenster auf der Rückseite öffnet sich in staubige Dunkelheit; fleckige blaue Vorhänge und Spinnweben glimmen dem Strahl ihrer Stirnlampe entgegen. Die dicke Schmutzschicht am Boden ist von Fußspuren verwirbelt, mindestens drei oder vier, und alle führen sie vom Fenster weg.
Sandy muss sich kurz an die Hausmauer lehnen, weil die Welt wieder beginnt, in Kreisen um sie zu schlingern.
- Treffen wiruns draußen.
Sie tippt zu schnell und wartet, das Handy in der Hand, während ihr das Blut wie ein Sturzbach in den Ohren rauscht. In den Büschen hustet ein Igel. Obwohl sie das Geräusch inzwischen kennt, fährt es ihr in die Knochen wie in der letzten Nacht. Der hustende Igel. Dann die Stimme am Funkgerät.
„Man kann dich gut sehen unter dem Gebüsch. Ja, dich. Mach den Mund wieder zu, du brauchst nichts zu sagen. Ich weiß ja ohnehin, wer du bist und was du da machst.“
Sie fragt sich, ob es nur ein Erpresser ist oder mehrere. Und ob wieder jemand da draußen ist, sie beobachtet und fotographiert.
- Wir können alles aushandeln. Aber ich komme nicht rein.
Fünfzehn Minuten nach zehn hält sie es nicht mehr aus. Sie wählt die fremde Nummer, aber es klingelt nur zweimal, dann hat der Erpresser aufgelegt. Alles in ihr schreit danach, zu gehen, aber sie kann einfach nicht.

Unter dem Fenster steht ein Eimer. Wenn sie darauf steht, ist es lächerlich einfach , ins Haus zu kommen - sie muss sich nicht einmal am Fensterbrett abstemmen. Und zurück, denkt sie, ist es nur ein Sprung, so oder so.
Der vormalige Besitzer des Ruhenden Jägersmann ist Diplomat, oder auch Geschäftsmann, irgendetwas in der Art – Hauptsache vermögend. Sie versucht sich an seinen exotischen Namen zu erinnern, während sie durch das Fenster steigt und ihr Staub in den Nacken rieselt. Nemo Stainer – nein, Kainer.
Ihre Schritte hallen in dem leeren, kalten Zimmer.
„Hallo?“, fragt sie in die Dunkelheit hinein.
Er hat die Figurine als Hochzeitsgeschenk erhalten und trotz lukrativer Angebote diverser Sammler alle Kaufangebote ausgeschlagen.
„Ist da wer?“
Der Gang vor dem Zimmer ist leer bis auf zwei Stühle, die wie in einem stillen Kampf mit verkeilten Beinen in einander liegen. Die Tapete hängt in langen, modrigen Streifen von Wänden und Decke; Sandy zuckt zurück als ein Blatt davon ihre Haare streift. Vibrieren. Sie zieht das Telefon mit der linken Hand heraus, weil die Recht beim Pfefferspray in ihrer Jackentasche besser aufgehoben ist.
- Untergeschoss.
Er meint die Tür zum Keller, die auf der anderen Seite des Ganges schief in den Angeln hängt. Sie schwingt quietschend auf, als Sandy mit dem Fuß danach stößt. Tatsächlich brennt irgendwo dort unten Licht und malt einen schimmernden Pfad die Treppe herauf.
„Okay, dann … komm ich jetzt also runter.“
Was war die genaue Summe, die der Sammler Melissa und Tom für den Diebstahl bezahlt? Was war ihr Anteil? Es will ihr nicht mehr einfallen und aus Wut darüber treten ihr wieder Tränen in die Augen. Warum nur ist sie so verdammt vergesslich?!
Die Treppe ist rutschig und riecht nach Schimmel. Auf der zweiten Stufe kann sie keinen harmlosen Gedanken mehr finden, der sich in ihren Kopf zurück zerren ließe. Auf der dritten sieht sie wie von außen sich selbst auf der Stiege stehen und es ist ein so grotesker Anblick, dass sie stehen bleibt.
Scheiß auf Vorstrafe und Gefängnis. Keinen Schritt geht sie mehr weiter.
In dem Augenblick erlischt das Licht und eine Tür schlägt zu. Nicht die zur Kellertreppe, Gott sei Dank, aber irgendwo ganz in der Nähe.
Im Schein ihrer Stirnlampe springt sie die Stufen hoch und hastet durch den Gang zurück. Vor Eile stößt sie sich das Schienbein an den Stühlen, aber alles was sie spürt ist ein dumpfer Schlag und ein Kribbeln, als ob ihr ganzer Körper eingeschlafen ist. Die Tür zu dem leeren Zimmer ist zu und abgeschlossen; sie wackelt zwar, als Sandy daran rüttelt, aber ohne Brechstange nützt ihr das nicht viel. Wahllos reißt sie die nächste Türe auf – Gerümpel, das sich bis zum Fenster staut. Die Tür dahinter – verschlossen. Eben will sie wieder in das vollgestopfte Zimmer zurück – um sich irgendwie zu dem Fenster durchzukämpfen und von dort hinaus – als etwas rumpelnd zu Boden fällt. Es bleibt nicht liegen, sondern schleift über den Boden. Und dann: Schritte.
„Geh weg!“
Ihre Knie fühlen sich an wie Gummi, trotzdem schafft sie es irgendwie den Gang zurück, probiert die Türen links und rechts – alle verschlossen, bis auf die zum Keller. Die Haustüre hat auf Augenhöhe wenigstens ein kleines Fenster aus gelbem Glas, durch das ein bisschen Licht von der Straße fällt. Sandy schlägt dagegen, schluchzt und schreit. Sie kann nicht zurückschauen, kann sich vor Angst nicht rühren, will gar nicht wissen, ob sie erst einen Augenblick hier steht oder Stunden. Dass die Schritte aufgehört haben, dass niemand im Gang steht, schert sie nun nicht mehr.

Als Melissa eine halbe Ewigkeit später knackend die Tür aufschließt und mit der frischen Nachtluft die normalen Geräusche von der Straße ins Haus lässt, wirkt sie sehr verschämt und kleinlaut – vielleicht ist es aber auch der Pfefferspray, dem sie nicht zur Gänze hat ausweichen können.
„Alles gut, alles gut! Dir passiert nichts!“ Sie hustet und würgt. „Sandy, Schatz, es ist ja nicht echt.“
Tom hinter ihr lächelt schief.
„Scheiße aber auch, du hättest nicht gleich versuchen müssen, uns umzubringen!“

„Normalerweise mache ich das nicht. Aber deine Nachricht hatte … wie soll ich sagen, das gewisse Etwas.“
Sie sitzen sich gegenüber, einen Kleinen Schwarzen und einen Sojalatte zwischen sich, und er spricht in sanftem Plauderton, der vortrefflich zu dem sonnigen, kleinen Cafe und so gar nicht zu dieser Stimme passt, vor der es sie in jeder Faser ihres Körpers ekelt. Er ist klein gewachsen, vielleicht fünfundzwanzig, mit Brille und struppigem braunem Haar.
„Du kannst mir nicht erzählen, dass dir die Sache nicht von Anfang an komisch vorgekommen ist. 'Der ruhende Jägersmann' – billiger Kitsch vom Flohmarkt. Und dann erst der Name des angeblichen Dipomaten! Mich wundert wirklich, wie erstaunt du bist.“
Sie hält den Blick auf ihren Latte gerichtet, während er spricht. Zwischen ihren Händen ist er heiß wie ein Vulkan.
„Deine Freunde haben dir ja schon gesagt, dass die Sache für dich damit beendet ist. Du bekommst den versprochenen Anteil und brauchst dir keine Gedanken mehr zu machen.“
Als er Freunde sagt, zuckt sie zusammen; er lächelt schmallippig und hält es ganz eindeutig für Angst.
„Ich habe kein Interesse, dir nachzustellen. Keinem der Modelle. Es ist alles bloß für die Kunst.“
Sandy nimmt einen Schluck und positioniert den Latte so, dass er sein Gesicht bis über die Nasenspitze verschluckt.
„Du bist ein kranker Scheißkerl. Ein reicher kranker Scheißkerl.“
Er betrachtet sie durch seine runden Brillengläser und zu ihrem Ärger ist in seinem Blick ein wenig Enttäuschung. Die verdammte Normalität, die ihm anhängt, macht alles so viel schlimmer.
„Du bekommst das Geld für deine Schwester, und das völlig straffrei. Ist das nicht gut? Ist das nicht besser, als dafür einbrechen zu gehen?“
Sandy schweigt, wie zu dem meisten, das er ihr zu sagen hat. Sie kann ihn nicht verklagen, sie kann ihm nicht einmal das Geld an den Kopf werfen, das Melissa und Tom ihr in einem Umschlag unter der Tür durchgeschoben haben. Er hat ja Recht, sie braucht es dringend.
Ohne die andauernden Kopfschmerzen, wäre sie gar nicht hier. Oder die Übelkeit. Die weichen Knie, jedesmal, wenn jemand eine Nachricht schickt … Zumindest den Grund will sie verstehen.
„Kann ich es jetzt sehen?“
„Gut.“ Er räuspert sich, als ob sie einen Vortrag von ihm wollte. Dann langt er in die Aktentasche und reicht ihr ein Bündel Papier, sauber geheftet und eng bedruckt.
„Eine psychologische Arbeit?“
„Ich sagte doch, Kunst“, erwidert er schnippisch. „Du bist nur eines von vier Modellen, also bilde dir nicht zu viel ein. Im Vergleich zu den anderen hast du echt viel geheult und bist nicht einmal bis ganz in den Keller hinunter. Aber du hast mir trotzdem ein wenig Anschauungsmaterial geliefert, falls dich das tröstet. Und ich habe große Pläne damit.“
Sie ignoriert sein Geschwätz und wendet sich stattdessen dem Papierstoß zu. Das Titelblatt ist edel gestaltet, mit geschwungener Schrift und seinem vollen Namen ganz oben drauf. Sandy blättert wortlos weiter, liest die erste Zeile, den ersten Absatz, wendet die Seite und hangelt sich von Satz zu Satz. Sie verschluckt sich an ihrem Latte. Hustet. Erst leise und aufgekratzt, dann immer ausgelassener, muss sie lachen.

Die Namen der Toten – Aufzeichnungen des Horrors von Edgar B. August ist praktisch ein Erfolg, wie er vorherzusehen war. Wenn Edgar abends durch die Straßen schlendert, gibt es keinen Winkel, den seine Fantasie nicht besser ausgeleuchtet hätte als das goldene Abendlicht, keinen Ort, dem die Beschreibung in seinem Epos nicht noch trefflicher stünde als die Wirklichkeit selbst. Er hat sein ganzes Herzblut, sein Talent und zwei Jahre seines Lebens in dieses Buch gesteckt – aber das alleine tun ja viele. Ein wahrer Künstler dagegen bietet mehr. Ein wahrer Künstler muss die Wirklicheit in seine Geschichte holen.
Niemals hätte Edgar ohne seine Feldstudien die Szene im Geisterhaus so beklemmend zu Papier bringen können. Niemals hätte er der Angst seiner Heldin so wunderbare Flügel verliehen. Niemals hätte Die Namen der Toten ein so köstliches Meisterwerk tiefenpsychologischer Betrachtungen werden können.
Wenn, ja, wenn nur Modell Nummer 4 nicht wäre!
Als er ihr gutgläubig sein Werk gezeigt hat, hat er natürlich nicht ahnen können, wie sehr sie sich nach Rache sehnt.
Er hat nicht gewusst, zur Anstiftung welch einer gewaltigen Verschwörung gegen ihn sie fähig ist. Alleine ihr ist es zu verdanken, dass Die Namen der Toten nur praktisch ein Erfolg geworden ist, und das ist bitter.

Wenn Edgar nach dem Schreiben an seinem neuesten Roman – einem Epos über Künstlerleben an und für sich – auf Amazon nach den Verkäufen und sieht und sich durch die spärlichen Rezensionen klickt, denkt er an sie: Ihre Ignoranz, und ihr gemeines Lachen damals.
Einer von fünf Sternen. Für ihre Rache, da ist er sich sicher, hat sie Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt.

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hobbes
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Beitrag30.11.2018 00:23

von hobbes
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Oh, Nachschub.

Leider mag ich Pointengeschichten im Normalfall eher nicht so. Also die Pointe der Pointengeschichte. Und leider geht mir das auch hier so.

Was mir schon beim ersten Teil aufgefallen ist und was sich auch beim zweiten wiederholt: Ich habe ziemliche Probleme damit, die wörtliche Rede zuzuordnen. Wer spricht?, die Frage hat sich mir beim Lesen ziemlich häufig gestellt.
Zum Beispiel ist mir immer noch nicht klar, wer von den Schwestern jetzt eigentlich ein Problem mit dem Einkaufen hat. Bzw. generell ein Problem mit dem Leben. Ich vermute, es ist die namenlose Schwester, diese Vermutung stützt sich darauf, dass Sandy das Geld für sie braucht.
Weiteres Beispiel hierzu: die Kopfschmerzen, die Übelkeit, die Vergesslichkeit - wem sind die zuzuordnen? Der Schwester, weil sie irgendwie krank ist? Sandy, weil sie sich Sorgen macht und generell ein bisschen tüddelig ist?

Auch sonst habe ich noch nicht alles kapiert. Ich frage mich gerade, ob das überhaupt sein muss, manchen Text liest man ja durchaus mehrmals, bis alles oder zumindest einiges angekommen ist. Aber in diesem Fall finde ich, du könntest es der Leserin an der einen oder anderen Stelle durchaus leichter machen. Zum Beispiel die Szene, als sie aus dem Haus flüchten will. Warum nimmt sie nicht den gleichen Weg, frage ich mich beim ersten Lesen, beim zweiten bemerke ich den Verweis auf das leere Zimmer und verstehe, es geht nicht. Trotzdem verstehe ich auch dann noch nicht alles, wer ist denn jetzt fürs Rumpeln, fürs Schleifen und die Schritte zuständig? War da gar niemand? Was macht der Typ denn jetzt, falls er noch im Haus ist? Den Laptop aufklappen und schreiben? Dass er nicht mehr im Haus ist, macht ja eigentlich auch keinen Sinn, dann bekommt er doch gar nicht das, was er wollte?
Dieses „Geh weg!“ übrigens ein Beispiel dafür, dass ich mich frage, wer gerade spricht. Sandy? Aber mei, sagt man in so einer Situation tatsächlich "geh weg"? Finde ich jetzt eher merkwürdig.

Und dass Melissa dann die Tür aufschließt - das hat mich auch verwirrt. Ich dachte - warum auch immer - dass Sandy nun wieder vor Melissas Tür steht. Vermutlich habe ich diese Vermutung gemacht, weil Sandy ein paar Sätze zuvor erfolglos an Melissas Tür geklingelt hat.

Ach ja:
Zitat:
- Rothengasse 3. 23 h. Komm nicht zu spät.

Zitat:
Als sie das Handy aus der Tasche zieht, ist es fünf vor zehn.

?

Zitat:
Zwischen ihren Händen ist er heiß wie ein Vulkan.

Vielleicht haben andere Leute andere Assoziationen, aber ich muss sofort an das hier denken und das verdirbt leider total die Stimmung.

Zitat:
Natriumgelb der Straßenlaternen

Natriumgelb? Passt für mich jetzt auch nicht in diesen Text.

Sandy verstehe ich auch nicht so ganz. Also was für ein Mensch sie ist. Eine toughe Frau, die alles für ihre Schwester tut? Ein verschrecktes, armes Ding, das sich von zwei mehr oder weniger Fremden (noch so eine ungeklärte Frage, das Verhältnis zwischen Tom+Melissa und Sandy) für dumm verkaufen lässt? Jemand ganz "normales", der halt irgendwie in die Sache hineingerutscht ist?
Ich hege die leise Befürchtung, dass du die Geschichte um die Pointe herum geschrieben hast, nicht um die Person.
Das ist vermutlich immer so bei Pointengeschichten und vermutlich mit ein Grund, warum ich kein Fan ebenjener bin. Weil es halt hauptsächlich um die Pointe geht.

Das hört sich jetzt vielleicht alles ganz fürchterlich niederschmetternd an, aber hey, ich habe es trotz einiger Hä?s recht problemlos bis zum Ende geschafft.
Ich mag das Skurrile an diesem Text, den ruhenden Jägersmann und dass eine, die Sandy heißt, zur Einbrecherin bzw. zur Helfershelferin wird. Auch die Vorstellung, wie sie mit ihrem Funkgerät unter der Hecke hockt, während nebenan die Igel husten, das ist tatsächlich ein bisschen eine Gangsterfilmparodie.
Jetzt habe ich noch mal die Kategorien nachgesehen unter denen du die Geschichte eingestellt hattest. Das Ende nämlich, diese Beschreibung von Edgar B. Augusts grandioser Selbstüberschätzung, das klingt auch nach Parodie und ich glaube, das könnte auch so ein Punkt sein, der mich verwirrt, dass ich mich frage, was will dieser Text eigentlich sein? Für einen Thriller finde ich das nämlich eigentlich schon wieder zu komisch.

Ah ja, was ich auch noch mag: Dialoge wie der mit der Soja-Milch (selbst wenn ich nicht zuordnen kann, wer da gerade spricht).
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Murnockerl
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Beitrag30.11.2018 09:06

von Murnockerl
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Vielen Dank für dein Feedback! So schlimm niederschmetternd finde ich es jetzt gar nicht (möglicherweise, weil ich selbst einige - bisher unbestätigte - Zweifel an der Geschichte hatte). Außerdem bin ich ja hier, um zu erfahren, wie meine Texte auf andere Menschen wirken.

Dass die wörtliche Rede öfters schwer zuordenbar ist, war mir z.B. nicht klar, ist aber durchaus verständlich, nachdem ich mir die betreffenden Stellen nochmal durchgeschaut habe. Daran werde ich arbeiten. Und ebenso an der Verständlichkeit des Textes im Allgemeinen (hier hatte ich auch im Vorhinein schon Zweifel, wollte aber gleichzeitig auch nicht zu viel erklären - für mich ist es beim Schreiben immer noch sehr schwierig einzuschätzen, wieviel von dem, was ich mir denke, dann durch den Text auch tatsächlich beim Publikum ankommt).

Was die Pointe angeht - ist dein Problem eher, dass du Pointen generell nicht magst, oder hättest du mit dieser auch im Falle, dass du ein Fan von Pointen-Geschichten wärst, ein Problem? Also was Plausibilität, Vorhersehbarkeit und das "Passen" in die Geschichte angeht?
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hobbes
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Beitrag30.11.2018 14:41

von hobbes
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Murnockerl hat Folgendes geschrieben:
Was die Pointe angeht - ist dein Problem eher, dass du Pointen generell nicht magst, oder hättest du mit dieser auch im Falle, dass du ein Fan von Pointen-Geschichten wärst, ein Problem? Also was Plausibilität, Vorhersehbarkeit und das "Passen" in die Geschichte angeht?

Ersteres. Von daher kann ich dir zweiteres eigentlich gar nicht beantworten. Ich probiere es trotzdem mal.
Bei Pointen, die ich nicht vorhersehe, habe ich oft das Gefühl, der Text stelle sich über die Leserin, so in Richtung, Na, das hättest du jetzt aber nicht gedacht, was? Vorhersehbare Pointen sind natürlich noch viel schlechter, weil der Text ja meist nur auf die Pointe abzielt und wenn man die vorher schon errät, nun ja, *gähn*.
Auf diese, deine Pointe kam ich nun wirklich nicht, aber hier stört mich weniger der oben genannte Punkt, mehr, dass ich mich frage, was der Text will. Oder auch: von mir will. Soll ich lachen? Angst haben? Mitfiebern? Rätseln?
Damit meine ich vor allem diesen Gegensatz zwischen "normale Thrillergeschichte" und "Parodie/Satire."
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Murnockerl
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Beitrag30.11.2018 17:26

von Murnockerl
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Danke, das ergibt für mich Sinn. Tatsächlich habe ich die Geschichte - wie du sagst - mehr um eine Idee herum geschrieben und dann nach einem passenden Ende gesucht, ohne wirklich auf eine "Genre"-Kontinuität zu achten.
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