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Mein Sohn Elisabeth


 
 
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DorisSch
Geschlecht:weiblichErklärbär
D

Alter: 43
Beiträge: 4
Wohnort: Salzburg


D
Beitrag10.11.2018 16:54
Mein Sohn Elisabeth
von DorisSch
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Die ersten beiden Kapitel meines eBooks "Mein Sohn Elisabeth".
Herzlichen Dank für Euer Feedback!



Das Präpartale Panoptikum
Jetzt oder nie, so kam die Entscheidung zustande, der Menschheit eine Chance zu geben und im Glauben an das Gute ein Kind zu zeugen. Ja, manchmal sind die Entscheidungen so… manchmal auch anders. Und so ging es dann auch recht schnell. Nach nur zwei Wochen intensiven Bemühens begann es in meinem Bauch zu ziehen, und ich wusste: es war da – und bald darauf als kleines weißes Pünktchen auch im Ultraschall zu sehen, kaum vorstellbar, was alles einmal daraus wachsen würde.
Es folgten Wochen der Geheimniskrämerei – so ein kleines Ding ist ja doch sehr sensibel. Ich jedoch hatte niemals Zweifel, dass es es schaffen würde.
Die unübersehbare Anspannung meiner ansonsten so ruhigblütigen Ärztin beim ersten Untersuchungstermin war allerdings schon ein Vorgeschmack auf alles, was danach folgen würde. »Wenn man schwanger ist, beginnen die Sorgen«, so später ein gutmeinender Kollege und zweifacher Vater, »und sie hören nie mehr auf…« Naja, dachte ich, so dramatisch wird es schon nicht sein. Doch dann nahmen die Dinge ihren Lauf… und ich wurde eines Besseren belehrt. Es ist – so kann man es nur nennen – überaus dramatisch. Wir – mein ungeborenes Kind und ich – traten ein in einen uns bislang völlig unbekannten Kosmos. Staunend wie junge Tiere, die zum ersten Mal nach dem Winter aus ihrer Höhle ins Freie geschubst werden, beobachteten wir die Welt um uns herum, erschraken angesichts ihrer Vielfalt, dort eine Schnecke, da ein Marienkäfer, und lernten nach und nach nicht nur die schönen, sondern auch die gefährlichen Seiten dessen kennen, was wir später, als wir alles heil und gesund überstanden hatten, augenzwinkernd das Präpartale Panoptikum nannten. Ein Kuriositätenkabinett mit neunmonatigem Besuchsrecht. Der Eintritt begann für uns an jenem Tag, als die Welt von der Existenz des neuen Lebewesens erfuhr. Da war es in meinem Bauch ungefähr drei Monate alt…

Mein Sohn Elisabeth
Es ist nicht so, dass ich mir ein bestimmtes Geschlecht gewünscht hätte. Von Anfang an war mir klar: Mein Kind ist mein Kind, und was und wer auch immer es werden würde, ich würde es lieben und ehren und beschützen vor den kleinen und großen Monstern und Bösewichten und all den Ungerechtigkeiten des Lebens, so lange wie möglich, das heißt mindestens bis zur Krabbelgruppe und in ausgewählten Situationen auch noch darüber hinaus. Es dämmerte mir schön langsam, dass meine Indifferenz, was das Geschlecht anging, gewisse Auswirkungen auf mein ungeborenes Kind hatte, als es bei den Ultraschalluntersuchungen eine derartige Widerspenstigkeit entwickelte und sich in so absurde Positionen begab, aus denen es sich trotz Schüttelns und Rüttelns an meinem Unterleib keinen Zentimeter herausbewegen wollte, dass es zu einem Ding der Unmöglichkeit wurde, sein Geschlecht festzustellen. Sein Geschlecht? Das Geschlecht des Kindes. Neutrum.
Und auch mein Gefühl ließ mich völlig im Stich. Was für ein Gefühl? Na, das »Mädchen-oder-Junge-Gefühl«. Das Gefühl, das werdende Mütter angeblich haben, wie meine nette Bekannte mir beim Sonntagsspaziergang genüsslich und mit leicht triumphierendem Unterton erzählte: »Ich habe mir ein Mädchen gewünscht, und ein Mädchen ist es geworden.« Aha, dachte ich ehrfurchtsvoll, so funktioniert das also… Selbst meine Ärztin ließ sich zu der Aussage hinreißen, dass das »Gefühl« ja meistens stimme…
Aber so sehr ich auch in mein tiefstes Innerstes lauschte, ein wirklich überzeugendes »Gefühl«, aufgrund dessen ich irgendeine Aussage hätte wagen wollen, konnte ich beim besten Willen nicht zutage befördern.
Nun, als mein Kind in meinem Bauch noch keine drei Monate alt war, bekam es von einer der wenigen Wissenden seine ersten Söckchen geschenkt, in unverdächtigem Weiß-Braun gehalten, sehr klug, sehr süß, weiter so.
Und da war sie wieder – vierzehnte Woche –, die verhängnisvolle Frage, einmal gestellt für immer im Raum schwebend, gleich einer Schmeißfliege, die plötzlich auch noch Nachwuchs kriegt: »Was wird es denn?«
Schulterzucken. Noch zu früh. Kann man nicht sagen. Sofort die Relativierung: Es sei doch aber auch ganz egal, Hauptsache gesund. Wirklich, es sei völlig irrelevant. Aber dann musste ich versprechen, sofort Meldung zu erstatten, sobald das Geschlecht identifiziert sei. Ja, versprochen. Ich sah bereits Berge an Stramplern und Deckchen in hellblau oder aber auch rosarot vor mir auftauchen. Als nicht vorbelastete Erstgebärende dachte ich: Wird schon nicht so schlimm werden, es gibt ja auch noch andere Farben.
Und jetzt: Ein gebrauchter Kinderwagen steht zum Verkauf, er sei… ob man denn schon wisse, was es werde? – nein, noch zu früh… – dunkelblau mit weißen Applikationen. Gut! Dunkelblau ist doch wunderbar. Doch dann schleicht sich der leise Zweifel ein: Was, wenn die Leute automatisch davon ausgehen, dass er von einem Jungen bewohnt wird, obwohl da drin etwas ganz anderes liegt? Kann ich das verantworten? Ein Mädchen in einem dunkelblauen Kinderwagen?
Aber wie denn, ist jetzt dunkelblau auch schon eine Jungsfarbe? Ich meine, wenn schon hellblau von den Buben besetzt ist, kann doch nicht dunkelblau auch noch denen gehören! …  
Aus Spaß fange ich an, mir vorzustellen, dass ich mein Kind je nach Tageslaune rosa oder blau anziehen könnte. Und je nachdem würde ich behaupten, mein Kind sei ein Mädchen oder ein Junge, natürlich immer entgegengesetzt zur Farbe der Kleidung. Darf ich vorstellen: Mein Sohn Elisabeth.
Denn wir wissen ja, was das alles für Konsequenzen hat! Noch nicht gleich am Anfang, da erwartet man von Buben und Mädchen gleichermaßen, dass sie süß und vergnügt sind, zumindest wenn die Verwandten da sind, man will ja niemanden enttäuschen. Doch später!
Schmerzhaft erinnere ich mich an meine eigene Jugend... Bei meinem ersten Ferienjob durfte ich für etwa achttausend Schilling einen ganzen Monat lang Getränke in die endlosen Regale eines Supermarktes schlichten. Ich war sechzehn, und lediglich der Gedanke ans Geld und die Tatsache, dass ich eine Ausrede gefunden hatte, um nicht mit meinen Eltern auf Urlaub fahren zu müssen, hielten mich einigermaßen bei Laune. Aber bitte, ist es wichtig, welche Laune man beim Getränkeschlichten hat? Ernsthaft? Den Colaflaschen wird es wohl egal sein… doch dem Filialleiter nicht, der sich in Chefmanier der vor dem Regal hockenden Ferialpraktikantin, in dem Moment intensiv und hochkonzentriert mit unzähligen Packungen Tomatensaft beschäftigt, nähert und mit jovialem Grinsen ein: »Lächeln Sie doch mal bei der Arbeit, das macht Sie gleich viel hübscher!« von sich gibt. Widerstand ist zwecklos, dachte ich damals und lächelte höflich.
Und ich sage: Rosarot ist schuld daran. Und hellblau. Das sind die unheilvollen Zwillinge, zweieiig, aber doch unzertrennlich, die uns unser Leben lang verfolgen.
Alle wissen es. Das eine ohne das andere gibt es nicht. Wo rosarot ist, ist auch hellblau nicht weit. Prinzessinnen und Prinzen, Wölkchen und Zuckerwatte.
Und irgendwie schafft es die Fraktion »Hellblau«, von Ausnahmen abgesehen, irgendwann ernst genommen zu werden, aber die Fraktion »Rosarot« hat es damit deutlich schwerer. Auch das wissen alle. Wenn nicht aus eigener Erfahrung, dann vom Hörensagen.
Ich habe die stille Hoffnung, dass Elisabeth es schafft, immerhin bis zu seiner Geburt sein Geschlecht vor uns zu verheimlichen, sodass alle willigen Spender- und SchenkerInnen im Laufe der Schwangerschaft irgendwann kapitulieren und gezwungenermaßen zu neutralen Farben greifen. Es gibt wunderbare Farben. Eine Vielfalt. Man muss sich nur ein bisschen anstrengen.
Bei der Geburt werden sich dann auch alle einhellig freuen, der Vater, die Mutter, die Ärztin, die Hebamme, wenig später auch die Großeltern und noch etwas später alle anderen. Ein hübsches Kind. Aber was ist es denn nun? Ein Sohn. Name? Elisabeth.
Empörung am Wochenbett. Wie kann das sein? Das ist doch verboten. Man kann doch einen Jungen nicht Elisabeth nennen. Hat hier irgendjemand Junge gesagt?
Wenn nun Elisabeth lieber eine Tochter sein möchte als ein Sohn, oder wenn er eben lieber Elisabeth heißt als Thorsten, oder wenn sie abwechselnd ein Mädchen oder ein Junge sein will und eben genauso wenig Autos über Tische flitzen lassen, wie Puppen frisieren, sondern lieber Bücher anschauen oder Topfdeckelschlagzeug spielen möchte, wer bin ich dann als Elternteil, ihm Grenzen zu setzen?
Hauptsache, das Kind ist gesund. Das Kind. Neutrum.



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a.no-nym
Klammeraffe
A


Beiträge: 699



A
Beitrag12.11.2018 14:30

von a.no-nym
Antworten mit Zitat

Hallo Doris,
ich habe Deinen Text inzwischen mehrmals gelesen, sitze hier - und ringe mit mir. Einerseits schreibe ich das hier, weil ich mir vorstellen kann, wie sehr Du auf eine Rückmeldung wartest (für mich zumindest wäre es schwer auszuhalten, wenn tagelang keine Reaktion käme Wink ). Andererseits bin ich unsicher, was ich Dir schreiben soll, denn Dein Text hat bei mir so gar keinen "Nerv" getroffen. Das liegt aber sicher an mir und nicht an Deinem Text, insofern hilft es Dir nicht weiter. Auch bin ich selbst noch neu hier und von daher nicht die geeignetste Instanz für Kritik (!)...

Vorweg: Rechtschreibung, Grammatik, Zeichensetzung, Formulierungen - da bist Du sattelfest und das macht es angenehm, den Text zu lesen. Die inneren Widerstände sind (wie gesagt, bei mir) inhaltlicher Natur.

Ich versuche einmal, Dir in den Text zu schreiben, was mir beim Lesen durch den Kopf gegangen ist. Falls Dir das gar nichts bringt - bitte unbesehen ab in die Tonne damit.

Das Präpartale Panoptikum
Jetzt oder nie, so kam die Entscheidung zustande, der Menschheit eine Chance zu geben und im Glauben an das Gute ein Kind zu zeugen. Hier habe ich mich gefragt, wieso es angesichts der Tatsache, wie sehr unser schöner Planet bereits unter der Vielzahl der jetzigen Bevölkerung ächzt, "der Menschheit eine Chance" geben sollte... Das ist mir zu dramatisch. "Dem Leben eine Chance" - das ließe für meinen Geschmack ein Augenzwinkern erkennen, ohne zu dramatisieren Ja, manchmal sind die Entscheidungen so… manchmal auch anders. Das ist eine Selbstverständlichkeit, der ich keinen Satz widmen würde Und so ging es dann auch recht schnell. Nach nur zwei Wochen intensiven Bemühens begann es in meinem Bauch zu ziehen, und ich wusste: es war da – und bald darauf als kleines weißes Pünktchen auch im Ultraschall zu sehen, Hier würde mir ein Punkt (statt des Kommas) besser gefallen kaum vorstellbar, was alles einmal daraus wachsen würde.
Es folgten Wochen der Geheimniskrämerei – so ein kleines Ding ist ja doch sehr sensibel Diesen Satz musste ich ein paarmal lesen, bis ich begriffen hatte, dass mit "doch sehr sensibel" die Angst vor einer Fehlgeburt umschrieben ist. Ich stand total auf dem Schlauch . Ich jedoch hatte niemals Zweifel, dass es es Bei "es es" sträuben sich meine Leser-Nackenhaare. Vielleicht ließe sich das eleganter lösen? Z.B. "dass das Kind/mein Kind es schaffen würde"? schaffen würde.
Die unübersehbare Anspannung meiner ansonsten so ruhigblütigen Ärztin An dieser Stelle habe ich die Luft angehalten, denn wenn eine "ansonsten ruhigblütige" Ärztin  (für die so ein Ultraschall ja absolutes Alltagsgeschäft ist), plötzlich "unübersehbare Anspannung" nicht nur hat, sondern sogar zeigt, dann ist erfahrungsgemäß irgend etwas ganz und gar nicht in Ordnung. Ich rechnete also ab hier mit dem ganz großen Drama. Da ich auch vorher beim Lesen nicht geschnallt hatte, dass der Text wohl eher locker-flockig-humorvoll angelegt ist, hatte ich einen dicken Kloß im Hals   beim ersten Untersuchungstermin war allerdings schon ein Vorgeschmack auf alles, was danach folgen würde Und hier noch einmal die Bestätigung: Ganz großes Drama. Oje... Die Ärmsten... (dachte ich). »Wenn man schwanger ist, beginnen die Sorgen« nochmal Drama-Bestätigung, so später ein gutmeinender wohlmeinender?Kollege und zweifacher Vater, »und sie hören nie mehr auf…« Naja, dachte ich, so dramatisch wird es schon nicht sein. Doch dann nahmen die Dinge ihren Lauf und noch eine Drama-Ankündigung… und ich wurde eines Besseren belehrt und noch eine. Es ist – so kann man es nur nennen – überaus dramatisch.ohne Worte Wir – mein ungeborenes Kind und ich – traten ein in einen uns bislang völlig unbekannten Kosmos. Staunend wie junge Tiere, die zum ersten Mal nach dem Winter aus ihrer Höhle ins Freie geschubst werden, beobachteten wir die Welt um uns herum, erschraken angesichts ihrer Vielfalt, dort eine Schnecke, da ein Marienkäfer, und lernten nach und nach nicht nur die schönen, sondern auch die gefährlichen Seiten dessen kennen Jetzt bin ich völlig abgehängt und nur noch verwirrt. Hatte ich doch bisher Dinge wie das Entdecken von Marienkäfern immer nach der Geburt verortet?! Mir war gar nicht bewusst, dass der frühkindliche Förderwahn sich mittlerweile bis in den Uterus hinein erstreckt., was wir später, als wir alles heil und gesund überstanden hatten, augenzwinkernd das Präpartale Panoptikum nannten. Tatsächlich. Da ist nochmal die Bestätigung, dass es immer noch um die Zeit vor der Geburt geht. Marienkäfer und Schnecken. Ich bin fassungslos.Ein Kuriositätenkabinett mit neunmonatigem Besuchsrecht.Ein Besuchsrecht im Bauch? Der Eintritt begann für uns an jenem Tag, als die Welt von der Existenz des neuen Lebewesens erfuhr. Da war es in meinem Bauch ungefähr drei Monate alt… Also doch kein neunmonatiges Besuchsrecht, denn drei waren ja schon um...

Mein Sohn Elisabeth Aha. Endlich die Erklärung für die "unübersehbare Anspannung" der Ärztin. Ein intersexuelles Kind also. Ich bin gespannt, wie es weitergeht.
Es ist nicht so, dass ich mir ein bestimmtes Geschlecht gewünscht hätte. Von Anfang an war mir klar: Mein Kind ist mein Kind, und was und wer auch immer es werden würde, ich würde es lieben und ehren und beschützen vor den kleinen und großen Monstern und Bösewichten und all den Ungerechtigkeiten des Lebens, so lange wie möglich, das heißt mindestens bis zur Krabbelgruppe Huch. Das ist in meinen Augen aber ein ziemlich knapp bemessener Zeitraum, um den selbständigen Umgang mit Monstern, Bösewichtern und Ungerechtigkeiten sicher zu beherrschen ...    und in ausgewählten Situationen auch noch darüber hinaus Im Namen des Kindes macht sich vorsichtige Erleichterung breit. Es dämmerte mir schön das Wort würde ich weglassenlangsam, dass meine Indifferenz, was das Geschlecht anging, gewisse Auswirkungen auf mein ungeborenes Kind hatte, als es bei den Ultraschalluntersuchungen eine derartige Widerspenstigkeit entwickelte und sich in so absurde Positionen begab, aus denen es sich trotz Schüttelns und Rüttelns an meinem Unterleib Eine merkwürdige Methode keinen Zentimeter herausbewegen wollte, dass es zu einem Ding der Unmöglichkeit wurde, sein Geschlecht festzustellen. Sein Geschlecht? Das Geschlecht des Kindes. Neutrum.
Und auch mein Gefühl ließ mich völlig im Stich. Irgendwo in dieser Gegend dämmerte mir, dass ich da etwas grundsätzlich missverstanden hatte. Ab hier lese ich ungläubig weiter, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass jemand so hochdramatisch anhebt, nur um dann über rosa/hellblau zu philosophieren. Meine (wohlgenährten) Erwartungen gingen (siehe oben) in eine ganz andere Richtung. Was für ein Gefühl? Na, das »Mädchen-oder-Junge-Gefühl«. Das Gefühl, das werdende Mütter angeblich haben, wie meine nette Bekannte mir beim Sonntagsspaziergang genüsslich und mit leicht triumphierendem Unterton erzählte: »Ich habe mir ein Mädchen gewünscht, und ein Mädchen ist es geworden.« Aha, dachte ich ehrfurchtsvoll, so funktioniert das also… Selbst meine Ärztin ließ sich zu der Aussage hinreißen, dass das »Gefühl« ja meistens stimme… Aber so sehr ich auch in mein tiefstes Innerstes besser: tiefstes Inneres oder tiefstes streichen und Innerstes stehen lassen lauschte, ein wirklich überzeugendes »Gefühl«, aufgrund dessen ich irgendeine Aussage hätte wagen wollen, konnte ich beim besten Willen nicht zutage befördern.
Nun, als mein Kind in meinem Bauch noch keine drei Monate alt war, bekam es von einer der wenigen Wissenden seine ersten Söckchen geschenkt, in unverdächtigem Weiß-Braun gehalten, sehr klug, sehr süß, weiter so.
Und da war sie wieder – vierzehnte Woche –, die verhängnisvolle Drama Frage, einmal gestellt für immer im Raum schwebend noch mehr Drama, gleich einer Schmeißfliege, die plötzlich auch noch Nachwuchs kriegt: »Was wird es denn?«
Schulterzucken. Noch zu früh. Kann man nicht sagen. Sofort die Relativierung: Es sei doch aber auch ganz egal, Hauptsache gesund. Wirklich, es sei völlig irrelevant. Aber dann musste ich versprechen, sofort Meldung zu erstatten, sobald das Geschlecht identifiziert sei. Ja, versprochen. Spätestens hier drängt sich folgende Leser-Frage auf: Warum macht die Protagonistin ihrer Umwelt nicht eine klare Ansage: Nein, wir wissen nicht, was es wird und wir wollen es auch nicht wissen?! Ich sah bereits Berge an Stramplern und Deckchen in hellblau oder aber auch rosarot vor mir auftauchen. Als nicht vorbelastete Erstgebärende dachte ich: Wird schon nicht so schlimm werden, es gibt ja auch noch andere Farben.
Und jetzt: Ein gebrauchter Kinderwagen steht zum Verkauf, er sei… ob man denn schon wisse, was es werde? – nein, noch zu früh… – dunkelblau mit weißen Applikationen. Gut! Dunkelblau ist doch wunderbar. Doch dann schleicht sich der leise Zweifel ein: Was, wenn die Leute automatisch davon ausgehen, dass er von einem Jungen bewohnt wird, obwohl da drin etwas ganz anderes liegt? Kann ich das verantworten? Ein Mädchen in einem dunkelblauen Kinderwagen?
Aber wie denn, ist jetzt dunkelblau auch schon eine Jungsfarbe? Ich meine, wenn schon hellblau von den Buben besetzt ist, kann doch nicht dunkelblau auch noch denen gehören! …
Aus Spaß das heißt dann also, bis hier war der Text doch ernst gemeint? Ich bin noch einmal irritiert.fange ich an, mir vorzustellen, dass ich mein Kind je nach Tageslaune rosa oder blau anziehen könnte. Und je nachdem würde ich behaupten, mein Kind sei ein Mädchen oder ein Junge, natürlich immer entgegengesetzt zur Farbe der Kleidung. Darf ich vorstellen: Mein Sohn Elisabeth.
Denn wir wissen ja, was das alles für Konsequenzen hat! Noch nicht gleich am Anfang, da erwartet man von Buben und Mädchen gleichermaßen, dass sie süß und vergnügt sind, zumindest wenn die Verwandten da sind, man will ja niemanden enttäuschen. Dieses "wir" und "man" mehrt meine inneren Widerstände, denn aus meiner Sicht gibt es da weder ein "wir" noch ein "man" - es agiert und reagiert doch jeder anders?Doch später!
Schmerzhaft erinnere ich mich an meine eigene Jugend... Bei meinem ersten Ferienjob durfte ich für etwa achttausend Schilling einen ganzen Monat lang Getränke in die endlosen Regale eines Supermarktes schlichten. Ich war sechzehn, und lediglich der Gedanke ans Geld und die Tatsache, dass ich eine Ausrede gefunden hatte, um nicht mit meinen Eltern auf Urlaub fahren zu müssen, hielten mich einigermaßen bei Laune. Aber bitte, ist es wichtig, welche Laune man beim Getränkeschlichten hat? Ernsthaft? Den Colaflaschen wird es wohl egal sein… doch dem Filialleiter nicht, der sich in Chefmanier der vor dem Regal hockenden Ferialpraktikantin ein schönes  österreichisches Wort Wink, in dem Moment intensiv und hochkonzentriert mit unzähligen Packungen Tomatensaft beschäftigt, nähert sehr verschachteltund mit jovialem Grinsen ein: »Lächeln Sie doch mal bei der Arbeit, das macht Sie gleich viel hübscher!« von sich gibt. Widerstand ist zwecklos, dachte ich damals und lächelte höflich.
Und ich sage: Rosarot ist schuld daran. Und hellblau. Das sind die unheilvollen Zwillinge, zweieiig, aber doch unzertrennlich, die uns unser Leben lang verfolgen. Vom Supermarkt über die Farbenlehre zum Feminismus. Ich fühle mich schon wieder abgehängt. Das ging dann jetzt doch ein bisschen zu schnell, zumindest für meinen trägen Geist.
Alle wissen es. Das eine ohne das andere gibt es nicht. Wo rosarot ist, ist auch hellblau nicht weit. Prinzessinnen und Prinzen, Wölkchen und Zuckerwatte Bei diesen Assoziationsketten komme ich nicht mit. Rosa=Prinzessin und hellblau=Prinzen, bis dahin kann ich folgen. Aber rosa=Prinzessin=Wölkchen und hellblau=Prinzen=Zuckerwatte? Da stehe ich schon wieder auf dem Schlauch.
Und irgendwie schafft es die Fraktion »Hellblau«, von Ausnahmen abgesehen, irgendwann ernst genommen zu werden, aber die Fraktion »Rosarot« hat es damit deutlich schwerer. Auch das wissen alle. Wenn nicht aus eigener Erfahrung, dann vom Hörensagen. Hier verdichtet sich das ungute Gefühl, dass der Erzähler mir nichts erzählen, sondern mich belehren will. Das mag ich gar nicht. Ich bin ein großer Fan des Selber-Denkens. Erhobene Zeigefinger in der Literatur führen zuverlässig dazu, dass ich das Werk zuklappe und mich verweigere.
Ich habe die stille Hoffnung, dass Elisabeth es schafft, immerhin bis zu seiner Geburt sein Geschlecht vor uns zu verheimlichen, sodass alle willigen Spender- und SchenkerInnen im Laufe der Schwangerschaft irgendwann kapitulieren und gezwungenermaßen zu neutralen Farben greifen. oder man entlässt das arme Kind aus dieser schweren Verantwortung und übernimmt sie selbst. Es ist schließlich niemand verpflichtet, das Geschlecht des Kindes vorgeburtlich zu erfahren/bestimmen zu lassen. Oder hat sich da was geändert und ich hab es nicht mitbekommen? Es gibt wunderbare Farben. Eine Vielfalt. Man muss sich nur ein bisschen anstrengen.
Bei der Geburt werden sich dann auch alle einhellig freuen, der Vater, die Mutter, die Ärztin, die Hebamme, wenig später auch die Großeltern und noch etwas später alle anderen. Ein hübsches Kind. Aber was ist es denn nun? Ein Sohn. Name? Elisabeth.
Empörung am Wochenbett. Wie kann das sein? Das ist doch verboten. Man kann doch einen Jungen nicht Elisabeth nennen. Hat hier irgendjemand Junge gesagt?
Wenn nun Elisabeth lieber eine Tochter sein möchte als ein Sohn, oder wenn er eben lieber Elisabeth heißt als Thorsten, oder wenn sie abwechselnd ein Mädchen oder ein Junge sein will und eben genauso wenig Autos über Tische flitzen lassen, wie Puppen frisieren, sondern lieber Bücher anschauen oder Topfdeckelschlagzeug spielen möchte, wer bin ich dann als Elternteil, ihm Grenzen zu setzen?
Hauptsache, das Kind ist gesund. Das Kind. Neutrum.
Eigentlich, denke ich, ist in diesen paar Sätzen alles gesagt, was die Geschichte zu sagen hat. Es ist sogar sehr schön gesagt (!) Schnörkellos, unaufgeregt und ohne erhobenen Zeigefinger. Mehr hätte ich gar nicht gebraucht. Schon gar nicht so viel Drama.

Ich glaube, Deine Geschichte hat bei mir das versucht, was der Volksmund so schön als "offene Türen einrennen" beschreibt. In Kombination mit der Tatsache, dass unser Humor offenbar sehr unterschiedlich gelagert ist, ergibt sich dann das von mir beschriebene Bild. Leider. Es tut mir wirklich leid, denn an sich ist es in vielerlei Hinsicht gut und sorgfältig geschrieben. Es fehlt nur bei mir der Funkenflug...

Ich wünsche Deinem Buch alles Liebe - und ich hoffe sehr, dass sich hier noch fachkundige Menschen finden, die das ganz anders sehen als ich - und die es besser verstehen, Dir die guten Seiten zu spiegeln, die es ja zweifelsohne auch gibt.
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DorisSch
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Beitrag12.11.2018 16:00

von DorisSch
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Hallo a.no-nym!
Danke für deine ausführlichen Anmerkungen! Ich glaube, wir ticken tatsächlich sehr unterschiedlich im Denken (und wahrscheinlich auch im Schreiben).
Warst du schon einmal schwanger? Wink


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DorisSch
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Beitrag12.11.2018 16:31

von DorisSch
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Also, jetzt muss ich doch noch was dazu sagen. Ich finde, du hast vieles aus dem Kontext genommen bzw. missverstanden, was so natürlich nicht funktioniert. Man sollte die Sätze (oder Absätze) schon zu Ende lesen, bevor man sie be(oder besser ver)urteilt. Trotzdem danke für deine Mühe! Aber du hast recht, mir bringt die Kritik jetzt nicht wahnsinnig viel... sorry. Du hättest auch einfach sagen können: "Ich mag deinen Text überhaupt nicht!" Das ist kein Problem und spart viel Zeit! Smile

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a.no-nym
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Beitrag12.11.2018 16:54

von a.no-nym
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"Ich finde, du hast vieles aus dem Kontext genommen bzw. missverstanden, was so natürlich nicht funktioniert. Man sollte die Sätze (oder Absätze) schon zu Ende lesen, bevor man sie be(oder besser ver)urteilt"

Wenn das bei Dir so angekommen ist, dann möchte ich Dich dafür in aller Form um Entschuldigung bitten. Das war zu keiner Zeit meine Intention! Ich werde versuchen, daraus zu lernen - und sehe jetzt, dass ich den Fehler gemacht habe, mich inhaltlich mit dem Text auseinanderzusetzen, anstatt das strikt von der Textarbeit zu trennen. Ich übe noch. Embarassed Es tut mir sehr leid, dass es Dich getroffen hat!

"du hast recht, mir bringt die Kritik jetzt nicht wahnsinnig viel..."
Für andere Schreibende ist so ein tiefer Blick "direkt in den Kopf des Lesers" zuweilen hilfreich, weil er zeigt, dass nicht immer das ankommt, was eigentlich beabsichtigt war. Wenn das für Dich nix taugt, dann tust Du recht daran, es in die Tonne zu verfrachten - genau das hatte ich ja im Vorfeld bereits angeregt Smile
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Christof Lais Sperl
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Beitrag12.11.2018 16:57
Glauben...
von Christof Lais Sperl
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...an das Gute...einen Menschen zu zeugen? Pardon. Können nicht auch Böse und Dumme Menschen Kinder zeugen? Und wird jedes Kind auch gut? In diesem fast fehlerfreien Text gibt es zu viele Gemeinplätze, zu viele „irgendwie“ zu viele Binsen. Für welche Zielgruppe soll das sein? Für eine Heilpraktikerzeitung? Ich finde, wenn du gut schreiben möchtest, musst du erst einmal sehr viel Gutes lesen. Dann wird dir das gelingen. So aber bleibt dein Text glatt und fade. Was willst du uns sagen? Mache dir eine Mindmap.

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Kätzchen
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Beitrag12.11.2018 17:04

von Kätzchen
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Hi DorisSch,

dein Text war nett, unterhaltsam und kurzweilig. Für mich und meinen Humor jedenfalls Laughing
Schreibtechnisch ist sicher noch was rauszuholen, aber gerade solche Dinge wie Absätze, die Sache mit den drei Pünktchen, etc. kannst du eigentlich selbst gut nachlesen.
Ich möchte den Text auch nicht kleinlich zerdröseln, denn für mich ist er "fertig" und ich könnte mir vorstellen, diesen Ton in einem Elternratgeber zu finden, der ein bisschen
weg vom Mainstream geht.

Ich mag deine stark überzogenen Beispiele und ich habe oft geschmunzelt.
Ich hatte bei "Mein Sohn Elisabeth" zwar auch etwas mit ordentlich Tiefgang erwartet, aber dass es dann ein lockerer Ton war, mit einem Schmunzeln zwischen den Zeilen,
fand ich nicht ernüchternd, im Gegenteil, es war eine nette Abwechslung.

Ich habs gern und in einem Rutsch gelesen.
(Wie gesagt, Feinschliff und so, aber sonst!)


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DorisSch
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D
Beitrag12.11.2018 17:52

von DorisSch
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@Kätzchen
Genau das wollte ich mit dem Text erreichen. Kein Roman, keine Weltliteratur...
Danke für die nette Rückmeldung!

@Christof Lais Sperl: Die Zielgruppe sind werdende Eltern (v.a. Mamas) zw. 20 und 40 (in etwa). Es handelt sich um insgesamt vierzig kurze Texte zu allen möglichen Themen rund um das Kinderkriegen. Das hätte ich vielleicht in der Einleitung erwähnen sollen, aber ich dachte, ich stelle es einfach mal so in den Raum. Danke für den Hinweis.


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Muskat
Eselsohr


Beiträge: 343



Beitrag12.11.2018 17:57
...
von Muskat
Antworten mit Zitat

Hi,

Zitat:
Das Präpartale Panoptikum
Jetzt oder nie, so kam die Entscheidung zustande, der Menschheit eine Chance zu geben und im Glauben an das Gute ein Kind zu zeugen. Ja, manchmal sind die Entscheidungen so… manchmal auch anders. Und so ging es dann auch recht schnell. Nach nur zwei Wochen intensiven Bemühens begann es in meinem Bauch zu ziehen, und ich wusste: es war da – und bald darauf als kleines weißes Pünktchen auch im Ultraschall zu sehen, kaum vorstellbar, was alles einmal daraus wachsen würde.
Es folgten Wochen der Geheimniskrämerei – so ein kleines Ding ist ja doch sehr sensibel. Ich jedoch hatte niemals Zweifel, dass es es schaffen würde.
Die unübersehbare Anspannung meiner ansonsten so ruhigblütigen Ärztin beim ersten Untersuchungstermin war allerdings schon ein Vorgeschmack auf alles, was danach folgen würde. »Wenn man schwanger ist, beginnen die Sorgen«, so später ein gutmeinender Kollege und zweifacher Vater, »und sie hören nie mehr auf…« Naja, dachte ich, so dramatisch wird es schon nicht sein. Doch dann nahmen die Dinge ihren Lauf… und ich wurde eines Besseren belehrt. Es ist – so kann man es nur nennen – überaus dramatisch. Wir – mein ungeborenes Kind und ich – traten ein in einen uns bislang völlig unbekannten Kosmos. Staunend wie junge Tiere, die zum ersten Mal nach dem Winter aus ihrer Höhle ins Freie geschubst werden, beobachteten wir die Welt um uns herum, erschraken angesichts ihrer Vielfalt, dort eine Schnecke, da ein Marienkäfer, und lernten nach und nach nicht nur die schönen, sondern auch die gefährlichen Seiten dessen kennen, was wir später, als wir alles heil und gesund überstanden hatten, augenzwinkernd das Präpartale Panoptikum nannten. Ein Kuriositätenkabinett mit neunmonatigem Besuchsrecht. Der Eintritt begann für uns an jenem Tag, als die Welt von der Existenz des neuen Lebewesens erfuhr. Da war es in meinem Bauch ungefähr drei Monate alt…

Mein Sohn Elisabeth
Es ist nicht so, dass ich mir ein bestimmtes Geschlecht gewünscht hätte. Von Anfang an war mir klar: Mein Kind ist mein Kind, und was und wer auch immer es werden würde, ich würde es lieben und ehren und beschützen vor den kleinen und großen Monstern und Bösewichten und all den Ungerechtigkeiten des Lebens, so lange wie möglich, das heißt mindestens bis zur Krabbelgruppe und in ausgewählten Situationen auch noch darüber hinaus. Es dämmerte mir schön langsam, dass meine Indifferenz, was das Geschlecht anging, gewisse Auswirkungen auf mein ungeborenes Kind hatte, als es bei den Ultraschalluntersuchungen eine derartige Widerspenstigkeit entwickelte und sich in so absurde Positionen begab, aus denen es sich trotz Schüttelns und Rüttelns an meinem Unterleib keinen Zentimeter herausbewegen wollte, dass es zu einem Ding der Unmöglichkeit wurde, sein Geschlecht festzustellen. Sein Geschlecht? Das Geschlecht des Kindes. Neutrum.
Und auch mein Gefühl ließ mich völlig im Stich. Was für ein Gefühl? Na, das »Mädchen-oder-Junge-Gefühl«. Das Gefühl, das werdende Mütter angeblich haben, wie meine nette Bekannte mir beim Sonntagsspaziergang genüsslich und mit leicht triumphierendem Unterton erzählte: »Ich habe mir ein Mädchen gewünscht, und ein Mädchen ist es geworden.« Aha, dachte ich ehrfurchtsvoll, so funktioniert das also… Selbst meine Ärztin ließ sich zu der Aussage hinreißen, dass das »Gefühl« ja meistens stimme…
Aber so sehr ich auch in mein tiefstes Innerstes lauschte, ein wirklich überzeugendes »Gefühl«, aufgrund dessen ich irgendeine Aussage hätte wagen wollen, konnte ich beim besten Willen nicht zutage befördern.
Nun, als mein Kind in meinem Bauch noch keine drei Monate alt war, bekam es von einer der wenigen Wissenden seine ersten Söckchen geschenkt, in unverdächtigem Weiß-Braun gehalten, sehr klug, sehr süß, weiter so.


Sorry, aber hier bin ich ausgestiegen, weil ich bis dahin auf das Dramatische wartete, das nicht eintraf. Ich verstehe nicht, worüber die Ärztin sich sorgte und auch nicht, was die Schnecken und Marienkäfer für eine Rolle spielen? An der Stelle dachte ich, dass Mutter und Kind sie zusammen bestaunen, ist aber nicht so, wie ich später erfahre.

Ich muss dir leider auch sagen, dass du nicht meinen Humor triffst. Das ist ja auch nicht weiter schlimm, bestimmt finden sich Leser, die sich für deine Geschichte begeistern.

Weiterhin viel Erfolg!

Liebe Grüße
Muskat
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Ute Wille
Geschlecht:weiblichSchneckenpost
U

Alter: 54
Beiträge: 13
Wohnort: Hünfeld


U
Beitrag18.11.2018 20:51

von Ute Wille
Antworten mit Zitat

Hallo DorisSch und alle die hier unterwegs sind!

Obwohl neu hier im Forum, wage ich mal meine Gedanken laut werden zu lassen, weil mir dieser Thread nicht aus dem Kopf geht. Sowohl der Text, als auch die Reaktionen darauf.

Zuerst: Mir gefällt was du geschrieben hast DorisSch.

Man kann dem Schwangerschaftswahnsinn gut nachspüren, wenn man es selber erlebt hat. Dann passt das.

Eventuell gibt es im Rahmen der erwähnten 39 anderen Erzählungen einen Einstig in das hormongesteuerte Wirrwarr im Kopf einer Schwangeren. So aus dem Trockenen heraus ist die dramatische Gedankenkette, ausgelöst durch die "unübersehbare Anspannung" der Frauenärztin, nicht verständlich. Und ich kann die fragenden Reaktionen der Leser nachvollziehen.
Der extra empfindliche Gefühlsradar einer Schwangeren nimmt zwar jede Regung auf, aber mit der Bewertung hapert es, vor allem wenn es um das Kind geht. Doch so etwas wird einem selber erst hinterher klar, wenn alles, sprich die Geburt und ersten Monate, heil überstanden sind.

Dagegen wird mir der Schwangerschaftswahnsinn des Umfeldes viel zu wenig deutlich. Diese Verhaltenserscheinung der Mitmenschen, von dir als präpartales Panoptikum bezeichnet, macht sich am Beispiel der Geschlechterfrage bemerkbar.
Es scheint dem Umfeld unmöglich, sich einfach auf das Kind zu freuen. Vielmehr ist es wichtig welches Lager, blau oder rosa, verstärkt wird. Von der Antwort hängt eine ganze Menge Interesse und Sympathie für das ungeborene Kind ab. Dabei hatte es noch nicht einmal die Chance sich vorzustellen.
Daran ist nicht die werdende Mutter schuld, sondern alle um sie herum und das darf gerechterweise deutlich werden. Für einige Exemplare dieser "Mit-in-Erwartung-Seienden" sind Käfer viel zu harmlos.

Über die Krabbelgruppe bin ich allerdings auch gestolpert. Vielleicht widmest du der Erkenntnis "lebenslange Verantwortung" für das Kind zu haben einfach die 41. Geschichte.

Arbeite das "Schwanger-sein-Gefühlschaos" für Unerfahrene besser heraus und mach weiter.
Mir hat der Rückblick im Sinne von "Als ich einmal schwanger war..." Spaß gemacht.
Ute Wille


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Zum Glück kennt Phantasie keine Grenzen.
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Herdis
Geschlecht:weiblichLeseratte


Beiträge: 134
Wohnort: Nordhessen


Beitrag23.11.2018 20:28

von Herdis
Antworten mit Zitat

Hallo DorisSch,

zunächst einmal: Du schlägst einen lockeren Ton an, der sich recht flüssig lesen und dabei schmunzeln lässt.
Der Titel ist witzig gewählt, kann aber ohne Kontext auch ein anderes Thema erahnen/erwarten lassen.

Nein, ich hatte bisher leider noch nicht das Glück, Mutter zu werden. Daher bin ich wohl auch nicht Deine Zielgruppe und kann Deine Gedanken/Gefühle etc. auch nicht gegenprüfen (Ich wäre dann wohl eher die "Gegenseite" Wink ).
Aber wäre es nicht ein tolles Ergebnis Deines Werkes, wenn auch Nicht-werdende-Mütter in Deinen Text, Dein Gefühlschaos eintauchen könnten?

Was ich Dir in jedem Fall raten möchte, ist, Deinen Text auf zu lange Sätze hin zu überprüfen. Das fällt unter den hier bereits genannten Feinschliff. Und ich würde auch noch mal den von a.no-nym angemerkten Punkten Aufmerksamkeit schenken und Deinen Text daraufhin hinterfragen.

Ich bin übrigens extrem über den Vergleich mit der Schmeißfliege gestolpert.

Ja, AutorInnen können Löwenmütter (bzw. -väter Wink ) sein.  Jede/r hört gerne, dass ihr/sein Projektbaby von Haus aus perfekt ist (bzw. findet es perfekt).
Babys sind es von Natur aus. Punkt.
Texte sind es meist noch nicht. Punkt.
Aber beide wachsen, lernen, entwickeln sich weiter. Und mit ihnen die Löwenmütter (und -väter).
Dafür brauchen sie hin und wieder auch Hilfe. Manchmal auch von extern. Und dafür ist doch auch das Forum da,oder?

LG
Herdis


_________________
"Wenn ich nicht schreibe, fühle ich, wie meine Welt schrumpft. Ich empfinde, wie ich mein Feuer und meine Farben verliere." Anais Nin

Online frei erhältlich:
Herbsttag (Zwischendurchgeschichten, WIRmachenDRUCK.de, 978-3-9817672-9-2)
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agu
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Alter: 49
Beiträge: 2018
Wohnort: deep down in the Brandenburger woods


Beitrag26.11.2018 23:40

von agu
Antworten mit Zitat

Hallo Doris,

ich mag Deinen Text, den leichtfüßig-amüsanten Tonfall, der angenehm humorvoll ist und ohne erzwungene Schenkelklopfer auskommt. Der Titel ist übrigens großes Kino.
Auch mir ist Mutterschaft aus eigener Erfahrung unbekannt, aber ich kann trotzdem was damit anfangen smile.

Ich bin der Meinung, das könnte richtig gute Comedy werden, aber Du müsstest dafür noch ein bisschen schleifen. Ballast und überflüssige Schnörkel los werden, alles etwas straffen. Ganz generell würde ich sagen, den Text kann man locker um ein Viertel bis ein Drittel kürzen, das würde ihm gut tun. Der große Spannungsbogen und auch der Ton
Ein paar Beispiele (ich grase jetzt nicht alle Details ab, sondern ziehe nur hier und da exemplarisch etwas heraus):

1. Füllwörter und Adjektive loswerden
(kursiv = Vorschlag zum Streichen)
Die unübersehbare Anspannung meiner ansonsten so ruhigblütigen Ärztin beim ersten Untersuchungstermin war allerdings schon ein Vorgeschmack auf alles, was danach folgen würde.

oder

Es dämmerte mir schön langsam, dass meine Indifferenz, was das Geschlecht anging, gewisse Auswirkungen auf mein ungeborenes Kind hatte...


2. Satzlängen variieren
Per se habe ich kein Problem mit langen Sätzen - wenn sie nur ab und zu auftauchen. Dein Text würde davon profitieren, wenn Du stärker zwischen langen und kurzen Sätzen variierst. Überhaupt ist Kontrast das A und O bei einem dynamischen Text. Schwache vs. starke Verben, lange vs kurze Sätze, blumige Metaphern zwischen ansonsten kurz-knapp-pragmatischen Formulierungen, kontrastierende Bilder (die Schmeißfliege vs. all das puschlige Baby-Hellblau-und-Rosa finde ich richtig gut gelungen) etc.

Es dämmerte mir, dass meine Indifferenz, was das Geschlecht anging, gewisse Auswirkungen auf mein ungeborenes Kind hatte. Bei den Ultraschalluntersuchungen gab es sich widerspenstig. Rollte sich zu so absurden Positionen zusammen, dass kein Schütteln und Rütteln meines Unterleibs halfen. Es war unmöglich, sein Geschlecht festzustellen.


3. Überflüssige Füllsätze gleich ganz rausschmeißen
Übermäßige Bekräftigungen und Wiederholungen verstopfen nur den Textfluss. Im ersten Abschnitt zum Beispiel:

Naja, dachte ich, so dramatisch wird es schon nicht sein. Doch dann nahmen die Dinge ihren Lauf… und ich wurde eines Besseren belehrt. Es ist – so kann man es nur nennen...
Alles, was ab dem roten Text kommt, bis zur nächsten Überschrift ("Mein Sohn Elisabeth") könnte ersatzlos gestrichen werden, denn mit dem kurzen Satz "ich wurde eines Besseren belehrt" ist alles gesagt, das ist kurz und knackig, lässt Böses hoffen und schürt Erwartungen. Die ganzen Schleifen danach kleiden die gleiche Aussage nur noch mal in fünf andere blumige Metaphern, sind nicht spannend, weil nichts Neues kommt, verwässern nur.


Ansonsten wie gesagt, das Ding hat echt Potential.
Liebe Grüße,
Andrea


_________________
Meine Bücher:
Engelsbrut (2009 Sieben, 2011 LYX) | Engelsjagd (2010 Sieben) | Engelsdämmerung (2012 Sieben)
Die dunklen Farben des Lichts (2012, SP)
Purpurdämmern (2013, Ueberreuter)
Sonnenfänger (2013, Weltbild)
Kill Order (2013 Sieben)
Choice / als Chris Portman (2014, Rowohlt)
Wie man ein Löwenmäulchen zähmt / als Eva Lindbergh (2016, Droemer Knaur)
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