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Valentin
Geschlecht:männlichLeseratte

Alter: 39
Beiträge: 177



Beitrag29.05.2018 07:14
23429547
von Valentin
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Hallo Zusammen,

nach einer zweiwöchigen Unterbrechung - Umzug & Renovierung - fand ich es schwierig wieder in den guten "Schreibtrot" zukommen.
Zum Üben habe ich mich einer Idee gewidmet, die mir seit Längerem nachgestellt hat. Als ich sie niederschrieb, verwandelte sie sich zu etwas Neuem, Größerem - für mich zu beängstigt groß. Dafür reichen meine Schreibfähigkeiten nicht aus.
Es hat jedoch Spaß gemacht etwas zu schreiben, das sich in eine ganz andere Richtung entwickelt hat als geplant. Vielleicht mache ich daraus eine Sammlung loser zusammenhängender Kurzgeschichten. Mal sehen, wohin mich die Geschichte trägt.

Was sagt ihr zum Text?

Beste Grüße
Calvin



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Linus zog den Zeigefinger in einer Schleife über die Front des Aquariums.
Die Fische folgten der Geste, wie ein Orchester dem Dirigenten. Angeführt wurde der Schwarm von einem schwarzen Skalar mit Flossen wie verschlissene Segel.
Sollte er seinem Zuschauer zeigen, dass er sie nicht mit dem Finger lenkte? Sollte er ihm vorführen, wozu er im Stande war? Würde es ihn entzücken, zu sehen, wozu auch er demnächst fähig wäre? Zuvor wollte Linus sich einen Eindruck über das Ausgangsmaterial verschaffen.
Im Wartezimmer der Kinderklinik bestaunte ein schmächtiger Junge die Fische im Aquarium. Die Hände hatte er zwischen die Beine geschoben, die ausgestreckt und über den Schienbeinen überschlagen vor ihm lagen. Die linke Schulter hielt er hochgezogen, als wolle er den Kopf stützen, der bedrohlich schief hing. Der Blick war glasig, wie der einer Puppe.
Linus lächelte. Die Jahre als Leiter der Chronosome-Labs hatten ihn gelehrt, dass eine kranke Hülle auf einen reichen Geist schließen ließ. Was er wohl sehen würde? Er kniete vor dem Jungen und legte ihm eine Hand auf den Kopf, ohne dass dieser reagierte. Mit den Fingern der anderen umfasste er den Anhänger, der um seinen Hals baumelte, dann schnappte er mit seinem Geist zu, drang in den Verstand des Kindes ein.
Darin existierte eine fremdartige Welt voller Kontraste. In der Luft schwebten Burger und Cola-Flaschen neben nackten Frauen ohne Gesichtern und mathematischen Formeln. Wirbelstürme in Neonfarben – Pink, Grün, Blau - zogen durch die Landschaft. Wie aufgewühlte Gefühle hinterließen sie eine Schneise der Verwüstung. Am Himmel schwamm der schwarze Skalar - zigfach vergrößert, beäugte er den Neuankömmling.
Die Farben waren übersättigt und Linus wusste, wenn er den Verstand verließ, würde ihm seine Welt ein Stück gedämpfter erscheinen, wie ein von der Sonne ausgebleichtes Bild.
Im Wartezimmer erwachten die Augen des Jungen zum Leben. Die Pupillen schlichen zur Seite, hefteten sich auf das Gesicht des Forschungsleiters. Die Iris franste aus, als klatsche ein Tropfen veilchenfarbener Wasserfarbe auf Papier.
Linus stieß einen Schrei aus. Wie eine seismische Migränewelle mit dem Epizentrum hinter dem linken Auge, rollte Schmerz durch seinen Schädel. Der Augapfel schwoll an, drohte heraus zu ploppen. Er presste die Hand darauf und hastete zum Ausgang.
Fünfzig Meter entfernt schwebte eine schwarze Kugel in der Luft. In ihr schwamm ein siamesischer Kampffisch. Die Kiemen waren nach vorne geklappt und die blauroten Flossen zitterten, zum Bersten gespannt.
Etwas stimmte nicht. Noch in keiner anderen Gedankenwelt hatte Samaya die Kampfhaltung eingenommen. Er musste sich beeilen. Ohne den Fisch würde er auf ewig im Verstand des Jungen gefangen bleiben.
Der Boden um ihn herum vibrierte und klaffte auf wie ein Wunde. Tentakel schlängelten heraus und saugten sich an seinen Beinen fest. Die Farben verblassten. Die Wirbelstürme lösten sich auf. Die irrwitzigen Formen, die in der Luft geschwebt hatten, vielen zu Boden und durch ihn hindurch. Ein Kescher fischte den zappelenden Skalar aus dem Himmel. Zurück blieb leere Prärie.
Wie ein Sandsturm in der Wüste rollte aus der Ferne Finsternis heran. Angeführt wurde sie von etwas Rohem, dass sich darin verbarg.
Linus sah es nicht, aber er spürte das Verlangen, den Hunger. Eine primitive Angst erfasste ihn. Mit den Genen vererbt von den Höhlenmenschen, die sich in finsterer Nacht um ein sterbendes Feuer drängten, während an den Rändern des Lichtscheins ein ausgehungertes Raubtier auf seine Chance lauerte. Warm und feucht lief es sein Bein hinab.
Und dann begann das Ziehen.
Ein Stich durch die Schädeldecke, gefolgt von Druck. Als hätte ein Kind eine Caprisonne angestochen, und sauge den Saft aus.
Linus verdrehte die Augen, bis nur noch das Weiße zu sehen war. Seine Lider flatterten. Unvermittelt ebbte der Schmerz ab. Zurückblieb das leichte Pochen eines abklingenden Katers.
In dem Meer aus Finsternis, das ihn umgab, leuchteten Inseln aus Licht auf. Wie auf einer Theaterbühne spielten sich darin kurze Szenen ab, dargeboten von Schauspielern durchscheinend wie Hologramme.
Linus erkannte sie als seine Erinnerungen.
Hier seine Hand, wie sie den achtstelligen Zahlencode zu den Laboren eintippt – die PMID Nummer des Artikels, der ihn auf die richtige Fährte gebracht hatte. Dort sein Einstellungsgespräch beim Zentrum für Epigenetik – wo er allen Fehlschlägen zum Trotz lernte, dass das Gen isoliert werden konnte.
Kerzengleich flackerten die Lichtinseln von Zeit zu Zeit auf, dann glänzte es feucht in der Finsternis, wo das Verlangen umherschlich. Der Körper deformierte sich unermüdlich, wie ein Eimer voll Aale, die sich umeinander schlängelten. Einzelne Aale lösten sich aus dem Reigen, sahen ihn an - züngelten ihn an. In wahnwitziger Geschwindigkeit leuchteten neue Erinnerungen auf. Das Verlangen huschte von einer zur nächsten, schien ausgehungert und zugleich wählerisch, wie ein All-Inclusive Tourist vor dem reichhaltigen Buffet. Unvermittelt ebbte das Tempo ab. Alle Inseln erloschen, bis auf eine.
Ein überfüllter Basar in Indien. Menschen drängen sich durch die Gassen, schachern um Preise, lachen, genießen das Leben. Zwischen ihnen ein Tourist. Sein Kopf schnellt von einer Attraktion zur nächsten, verliert dabei den Überblick und rempelt eine Inderin an. Er entschuldigt sich, doch sie eilt davon.
Linus hatte vergessen, wie voll es damals war. Amita hatte ihm nicht nur sein Geld geraubt. Begierig starrte er auf das Schauspiel, wollte ein zweites Mal seine Frau zum ersten Mal kennenlernen.
Doch die Szene beschleunigte, als überspringe ein gelangweilter Zuschauer die Werbung, dann fror das Bild ein.
Amita sitz auf dem Dielenboden des Kinderzimmers. Das Gesicht schmerzverzerrt.
Das hatte er nicht vergessen, würde es nie vergessen. Er wollte zu ihr, wollte sie in den Armen wiegen, sie trösten, wie er es nach den Fehlgeburten getan hatte.
Aus der Finsternis drang ein Klicken - als klopfe jemand ungeduldig mit dem Fingernagel auf den Tisch – gefolgt von drei raschen Schritten. Eine neue Insel leuchtete auf.
Linus tobt im Labor, schreit Mitarbeiter an, wirft sie raus und die Petrischalen ihnen hinter. Sie zerschellen an der Tür, die ins Schloss fällt. Dann sackt er zusammen und flennt. Er greift zur Scherbe neben ihm.
Das war der Tiefpunkt gewesen. Er hatte alles gegeben, doch das Ziel nicht erreicht. Die Natur wehrte sich gegen seine Eingriffe. Die Fehlgeburten waren ein deutliches Zeichen. Kurz erschien ihm die Scherbe als ein verlockend einfacher Weg, aber der einfache Weg hatte ihn nie interessiert. So hatte er den Traum eines normalen Kindes aufgegeben.
In der Finsternis schnüffelte das Verlangen. Die Szene verblasste und eine neue leuchtete auf.
Amita liegt im Krankenbett. Um die Augen und den Mund zeichnen sich Falten ab. Das Gesicht ist gerötet vor Anstrengung. Das Haar klebt ihr an der Stirn. Sie weint und ihren Armen schreit ein Säugling.
Linus‘ Herz galoppierte. Tiara.
In der Finsternis schmatze es.
Amita verblasst. Tiara bleibt zurück. Sie sitzt auf ihrer Windel und sieht sich verloren um. Ihre Augenbrauen, die durch einen leichten Flaum verbunden sind, ziehen sich zusammen, wie Wolken vor dem Gewitter.
Linus streckte die Hand aus, wollte sie berühren, doch plötzlich veränderte sie sich. In Zeitraffer sah er seine Tochter erneut heranwachsen.
Aus dem Baby in Windeln wird eine weinende vierjährige mit aufgeschürften Knien, wird eine siebenjährige mit einer zerrissenen Schultüte, wird eine elfjährige, die vom Pferd stürzt, wird eine vierzehnjährige mit verschmiertem Kajal, wird eine mürrische siebzehnjährige, wie er sie heute am Frühstückstisch zum Abschied geküsst hatte.
Dann geschieht das Unmögliche. Der Film läuft weiter.
Tiara wächst nicht mehr, doch ihre Züge verlieren das Kindliche, tauschen es gegen die Eleganz einer Frau ein. Vor ihr manifestiert eine Theke. Der Geruch von Kino liegt in der Luft. Auf den Popcorn Eimern prangt ein grüner Schriftzug auf schwarzem Hintergrund The Tommyknockers. Neben ihr erscheint ein junger Mann in schwarzer Lederjacke. Er legt eine Hand auf ihre Hüfte. Sie sieht mit einem Lächeln zu ihm und rückt näher. Die Hand gleitet herunter, knetet ihren Hintern.
Linus ignorierte das Pochen, ignorierte das Saugen. Wer war der Lüstling? Er strampelte, doch die Tentakel ließen nicht los. Er griff in seine mentale Trickkiste und fand sie geplündert. Das konnte nicht sein. Er warf einen Blick über die Schulter zur schwarzen Kugel.
Samaya war erblasst. Das schillernde Blau war verschwunden, ersetzt durch ein fahles Weiß, durch das sich einzelne rote Striemen zogen, die jedoch auch ausbleichten.
Galle brannte die Speiseröhre hoch. Er würgte, doch nichts kam heraus. Die Augen tränten. Was konnte er tun? Alle Fähigkeiten, die er sich über die Jahre angeeignet hatte, waren weg. Dann fiel ihm ein Trick ein, den er nicht hatte lernen müssen, sondern von Geburt an beherrscht hatte. Die Gabe, die ihn als Außenseiter gebrandmarkt hatte. Er starrte dem Kerl in den Rücken. Zunächst passierte nichts, doch schließlich reagierte er.
Langsam dreht der Lüstling in Lederjacke den Kopf, sieht über die Schulter.
In dem Gesicht erkannte Linus Züge des Jungen aus dem Wartezimmer und mehr. Der Mund war unverkennbar seiner, ebenso die Nase.
Der Lüstling schenkt ihm ein breites Grinsen, wie ein Hollywoodstar auf dem roten Teppich. Dann packt er Tiara im Nacken, drückt ihr einen Kuss auf die Lippen und schleudert sie zu den Boden.
Linus rannte los und fiel unvermittelt hin. Er starrte die Tentakel um seine Knöchel an, griff erneut auf die Gabe zurück und stellte fest, dass auch sie schwand. Er drückte die Zeigefinger in die Schläfen. Das Bild pumpte heftig. Er wusste, dass er sich überanstrengte und es von den Pupillen kam, die sich weiteten und zusammenzogen. Früher hatte es seine Mitschüler verjagt und nun verjagte es die Tentakel. Er rappelte sich auf und rannte zu Tiara.
Der Lüstling hatte sich über sie gebeugt und ihr das T-Shirt vom Leib gerissen.
Linus drängte nach vorne.
Aus dem Nichts manifestierte ein Körper.
Er rempelte ihn um.
»Hey«, blaffte dieser und hielt Linus fest.
Die Stimme kam ihm vertraut vor und als er sich umdrehte, um die Hand abzuschütteln, die seine Schulter gepackt hielt, blickte er in sein eigenes Gesicht.
Sein Klon grinste ihn an. »Relax, wir dürfen alle mal.«
Ohne einen Gedanken schlug Linus auf ihn ein, schickte ihn auf den Boden, trat demonstrativ auf ihn, als er über ihn hinweg schritt.
Zwei weitere Doppelgänger erschienen. Schulter an Schulter versperrten sie ihm den Weg.
Linus verfiel in einen Trab, dann in einen Spurt. Er zielte auf die Schwachstelle, wo die Schultern sich berührten, und reckte die eigene Schulter vor. Kurz vor dem Aufprall schloss er die Augen.
Erstaunlicherweise schoss der Schmerz das Schienbein hoch und im nächsten Moment knallte er auf den Boden.
Und dann begann das Lachen.
Linus rappelte sich auf, schenkte den beiden keine weitere Beachtung, sondern drehte sich zu Tiara und erblickte seine persönliche Hydra.
Vier Doppelgänger versperrten ihm den Weg und dahinter standen bereits die nächsten acht.
Linus spuckte aus. Er krallte, riss, biss, klammerte, stieß, fluchte.
Die geschlagenen Klone lagen am Boden. Blut floß aus ihnen, wie aus jedem Sterblichen, doch sie krümmten sich nicht vor Schmerzen, sondern vor Lachen. Das Gelächter endete ebenso wenig, wie die Reihen an Gegnern.
Schließlich schwanden Linus‘ Kräfte und er fiel auf die Knie.
Die Leiber glitten zur Seite, bildeten ein Spalier, gaben den Blick frei, auf ein Bild, das er nicht sehen wollte.
Tiara lag nackt auf einem Steinblock. Über ihr kauerte der Lüstling wie ein Sukkubus.
Linus erkannt das Gesicht augenblicklich, auch wenn es ihn zuletzt vor mehr als dreißig Jahren aus dem Spiegel angeschaut hatte. Er erkannte seine Nase, seinen Mund und die Narbe am Kinn, die er sich als zwölfjährige beim Versuch einen three-sixty auf dem Skateboard zu machen, zugezogen hatte. Und gleichzeitig erschien ihm sein jüngeres Ich fremd. Die Pickel fehlten, ebenso wie die Aknenarben und die Muttermale. Und vor allem leuchteten die Augen in einem exotischen Farbton.
Der Lüstling knetete Tiaras Brust, zwirbelte an der Brustwarze und sie schnurrte genüsslich.
Etwas brach in Linus. Er senkte den Blick. Ein Vater sollte seine Tochter nicht so sehen. Unsichtbare Finger legten sich auf sein Kinn, drückten es nach oben und zogen die Lider auseinander.
Die Hand des Lüstlings liebkoste Tiara’s nackte Brust, strich zunächst über die eine und dann über die andere und verharrte schließlich zwischen beiden. Dabei beachtete er Tiara nicht, sondern starrte gierig Linus an, als labe er sich an seinem Entsetzen. Die Narbe am Kinn verheilte. Sein jüngeres Ich war makellos und grinste ihn an. Er stemmte den Arm im rechten Winkel auf. Wie ein Presslufthammer hämmerte er auf Tiaras Brustkorb. Die Hand verschwamm in der Bewegung. Tiara strampelte mit den Füßen, packte den Arm, schnitt mit ihren Fingernägeln in sein Fleisch, aber er ließ nicht ab. Als würde man mit dem Fuß durch eine zugefrorene Pfütze brechen und sich die Socken nass machen, brach die Hand durch Tiaras Brustkorb – zuerst ein trockenes Knack gefolgt von einem feuchten Pflatsch.
Instinktiv riss Linus den Arm hoch, um die Atome im Lüstling zu kochen, doch die Gabe war verschwunden. Er sah lediglich die rheumatischen Finger eines Greises.
Etwas quetschte sein Gehirn, wie ein Kind, das auf die fast leere Caprisonne drückt und gierig am Strohhalm saugt, um auch an die letzten Reste zu kommen.
Linus brach zusammen.


***

Denir erhob sich vom Boden des Wartezimmers und streckte seinen neuen Körper. Er war froh den Ketten des degenerierten Kinderkörpers entflohen zu sein. Es mussten Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte vergangen sein, seitdem Arsen ihn überlistet hatte. Die Gedanken, die er absorbiert hatte, bewiesen es, denn er verstand sie nicht. Was bedeutete DNA-Methylierung? Was hatte Linus mit den Kindern getan? Und was hatte es mit der schwarzen Kugel auf sich, zu der er fliehen wollte?
Denir beugte sich zu der ausgemergelten Gestalt des Klinikleiters herunter. Auf dessen Brust eine winzige Version der Kugel ruhte. In der schwarzen Murmel war ein weißer Kampffisch eingelassen, der mit dem Bauch nach oben schwamm.
Wie hatte Linus geschafft, was nur er und Arsen konnten? Hatte der Anhänger ihm die Fähigkeit verliehen? Er entschied sich, ihn mitzunehmen.
Die Silberkette schnitt durch den Hals des Laborleiters, trennte den Kopf ab. Der Körper war ausgedörrt wie eine Wüste und zerfiel zu Staub.
Er musste sich orientieren, sich in der Welt zurechtfinden und einen Plan schmieden, um sich an Arsen zu rächen. Aber vor allem, interessierte ihn, was es mit Tiara auf sich hatte. Was hatte Linus mit ihr getan?
Denir schritt zur Tür und tippte den Zahlencode in das Schloss ein. 23429547


-----Besten Dank fürs Lesen--------



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Dschungelraabe
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D

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D
Beitrag31.05.2018 11:17

von Dschungelraabe
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Moinsen Calvin,

Dein Text ließt abwechslungsreich, du hast ab und an gute Vergleiche (Caprisonne), und gestaltest deinen Text lebhaft mit schönen Bildern.
 
Ausschlaggebend für meine Nachricht an dich war aber der Skalar im Aquarium, da ich ebenfalls mehrere davon habe und züchte und mir daher genau vorstellen kann, wie die imposanten Fische einer Geste folgen.
 
Ansonsten musste ich mich sehr konzentrieren, um bei deiner Geschichte dabei zu bleiben. Sie driftet ab der Mitte irgendwie ab, und wurde mir zu wirr.

Liebe Grüße smile
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Murmel
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Beiträge: 6380
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Beitrag31.05.2018 13:29

von Murmel
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Du schreibst nicht schlecht, ich konnte deinen Text gut lesen, aber du verlierst mich als du dich in diesen Visionen verloren hast. Die sind eindeutig zu langen, denn sie stoppen den Fluss der Geschichte, sind auch zu wirr, um in sich Interesse zu erzeugen, außer Leser mag das, ich dagegen warte ständig auf die Weiterentwicklung der Geschichte.

Hoffe, du kannst damit etwas anfangen.


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Fedor
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Beitrag31.05.2018 13:42

von Fedor
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Hallo Calvin,

der Text ist zu dicht mit Psychologischen, unvermittelt auftauchenden Personen und Entwicklungen bepackt. So, als wäre das Stück Größerem entnommen. Ohne das Davor und Danach erscheint es, als würde der Autor privat lange Verdrängtes im Wort verarbeiten. Was den unwissenden Leser emotional unberührt – mich gar gleichgültig – und somit das Lesen abbrechen lässt.
Dabei birgt der gedankliche Ansatz sicherlich mehr. Aus ihm läßt sich eine größere Geschichte entwickeln. Sollte der Autor eine solche anpacken wollen, so hätte er auf folgendes zu achten:
1. "Sollte er seinem Zuschauer zeigen..." Welchem?
2. "...drang in den Verstand des Kindes ein." Kaum machbar, da der Verstand das Vermögen ist, Begriffe zu bilden und diese zu Urteilen zu verbinden.
3. Umstellungen in den Sätzen: Gesichtslose nackte Frauen schwebten..., Auch wenn es ihn zuletzt...
4. Artikel bei Mehrzahl weglassen: Farben wäre..., Pupillen schlichen..., Irrwitzige in der Luft hängende Formen...
5. Sparsamer mit Pronomen und Verben: Nase, Mund und die Narbe am Kinn...

Schönen Tag! Und frohes Schaffen!
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Valentin
Geschlecht:männlichLeseratte

Alter: 39
Beiträge: 177



Beitrag01.06.2018 17:41

von Valentin
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Liebe Murmel, Lieber Dschungelrabe, lieber Fedor,

Danke, dass ihr euch die Zeit genommen habt mir zu schreiben. Es hilft mir meine Schreibe und die Wirkung auf den Leser besser zu verstehen.

Zum Beispiel gefällt mir die Mitte (der Teil mit den Erinnerungen) am Besten, gleichzeitig ist es der Teil, der von euch als wirr und weniger interessant eingestuft wird.
Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich mir ausmale, wie es weitergehen und zusammenhängen könnte mit den anderen Teilen, die roh auf Papier oder in Gedanken existieren und eventuell irgendwann eine Sammlung an lose zusammenhängenden Geschichten ergibt. Dem Leser bringt es aber nichts. Das ist  tolles Feedback. Danke dafür.

Eine Frage habe ich noch: Wie fandet ihr den Titel? Wenn ich auf einen Titel stoße, den ich nicht verstehe forsche (google) ich meist. Tut ihr das eher mit einem Schulterzucken ab?

@Fedor - da du dir die Mühe gemacht hast einzelne Verbesserungen vorzuschlagen, möchte ich entsprechend auch einzeln darauf eingehen.

Zitat:

1. "Sollte er seinem Zuschauer zeigen..." Welchem?  --> Zuschauer bezieht sich auf den Jungen im Wartezimmer. In der ersten Version stand die Beschreibung des Jungen vor diesem Satz, damit war er wohl verständlicher. Ich bin auch darüber gestolpert, wollte aber wissen, wie es andere empfinden. War also doch was dran am Bauchgefühl. Smile
2. "...drang in den Verstand des Kindes ein." Kaum machbar, da der Verstand das Vermögen ist, Begriffe zu bilden und diese zu Urteilen zu verbinden. --> Es ist eine Fantasy-Geschichte, da geht alles. Die Idee kam durch das Patenkind meiner Frau, das zu Besuch war und den Finger auf die Scheibe des Aquariums gedrückt und hin und her geschmiert hat. Als ich meinte: "Schau, die Fische folgen deinem Finger", hat sich die Kleine umgedreht und meinte "Nein, ich mach das mit meinen Gedanken." Shocked Mehr autobiografisches hat das ganze nicht.
3. Umstellungen in den Sätzen: Gesichtslose nackte Frauen schwebten..., Auch wenn es ihn zuletzt... --> Danke, das gefällt mir und mit deiner Zustimmung, werde ich das übernehmen.
4. Artikel bei Mehrzahl weglassen: Farben wäre..., Pupillen schlichen..., Irrwitzige in der Luft hängende Formen...  --> Die Pupillen schlichen zur Seite, hefteten sich auf das Gesicht des Forschungsleiters.  oder Die Farben waren übersättigt und Linus wusste, wenn er den Verstand verließ, würde ihm seine Welt ein Stück gedämpfter erscheinen, wie ein von der Sonne ausgebleichtes Bild. Ohne die Artikel fehlt meinen Ohren etwas, hört sich falsch an. [EDIT]: Dein Hinweis hat mich weitergebracht. Du meinst wohl den Nullartikel. Der bezieht sich aber auf den unbestimmten Artikel. Somit haben mich meine Ohren nicht getrogen.
5. Sparsamer mit Pronomen und Verben: Nase, Mund und die Narbe am Kinn... --> oh ja, das merke ich auch, dass ich mit den Werkzeugen nicht umgehen kann. vor allem die Reflexivpronomen - übel.


Beste Grüße
Calvin

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Jenni
Geschlecht:weiblichBücherwurm


Beiträge: 3310

Das goldene Aufbruchstück Die lange Johanne in Gold


Beitrag01.06.2018 21:14

von Jenni
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Ich mag das. Ich bin genau deine Zielgruppe, vermute ich (Biologin mit einem Faible für Science Fiction Romane und Filme, wenn sie glaubhaft wissenschaftlich fundiert wirken). Wir gefällt dein Stil, du erzählst sehr bildhaft und spannend, wie ich finde. Ich konnte dir zwar nicht die ganze Zeit folgen (wo es um die Visionen und Fische ging), jedoch glaubte ich dir, dass es später Sinn machen wird, und wurde diesbezüglich nicht enttäuscht. Wäre das der Beginn von etwas, würde ich der Sache definitiv eine Chance geben.
Den Titel habe ich gegoogelt, weil du darauf zu sprechen kamst, und ja, sehr sinnig. smile

Vielsprechend. Willkommen im Forum. Ich bin gespannt auf mehr.
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Murmel
Geschlecht:weiblichSchlichter und Stänker

Alter: 68
Beiträge: 6380
Wohnort: USA
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Beitrag02.06.2018 14:05

von Murmel
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Ich hatte deinen Titel nicht gegoogelt, weil ich erwarte, dass mir der Titel irgendwann im Text klar wird, nicht unbedingt im angebotenen Textausschnitt, halt später im Manuskript. Aber jetzt habe ich es. Aha.

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Valentin
Geschlecht:männlichLeseratte

Alter: 39
Beiträge: 177



Beitrag03.06.2018 17:25

von Valentin
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Hallo Jenni,

freut mich, dass dich Geschichte und Stil ansprechen.

Ja, die Visionen scheinen mit mir durchgegangen zu sein - aber in den nächsten Geschichten sollen sie aufgegriffen werden.
Wahrscheinlich trägt der Wechsel der Zeitformen zu der Verwirrung bei. Visionen/Erinnerungen (Gegenwart) und was Linus erlebt (Vergangenheit) wollte ich zeitlich trennen. Zum Schluss dringt Linus in die Vision ein, in der seine Tochter getötet wird und es wird in der Vergangenheitsform erzählt. Da waren die Ambitionen wohl  größer als die handwerklichen Fähigkeiten. hmm Eventuell wäre es geschickter gewesen, es andersherum zu machen.

Einen gewissen Grad an Fundierung strebe ich schon an, aber es wird kein Hard-Science Fiction werden, dafür lese ich zu wenig davon.

Wo das alles hinführen wird, kann ich dir nicht sagen. Es ist für mich ein Geschichtenpuzzle (und vor allem eine Schreibübung). Die einzelnen Kurzgeschichten werden aufeinander referenzieren und somit ein kohärentes Bild zeichnen, in dem es aber Lücken geben soll, damit der Leser sie selber ausfüllen kann, durch solche Hinweise wie den Titel, der nicht direkt in der Geschichte erklärt wird.

In der nächsten Geschichte wird es darum gehen, wie Denir in dem Kinderkörper gefangen wurde.

Beste Grüße
Calvin


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Valentin
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Alter: 39
Beiträge: 177



Beitrag03.06.2018 17:33

von Valentin
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Hallo Murmel,

danke für die Antwort.
Ich verstehe die Erwartung und ich denke, dass die meisten Leser erwarten, dass der Titel im Text erklärt wird.
Wobei ich bei dieser und den dazugehörigen Kurzgeschichten diese Erwartung gewollt nicht erfüllen, sondern den Titel als Puzzleteil nutzen werde Smile

Beste Grüße
Calvin


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Nils Oelfke
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Beiträge: 56
Wohnort: Jever


Beitrag11.06.2018 21:59

von Nils Oelfke
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Hallo Calvin,

mir hat der Text echt gut gefallen, gerade nach dem zweiten Mal lesen, denn beim ersten Mal lesen war ich ein wenig verwirrt, weil die Zeiten wechseln, es mehrere Personen gibt und ich viel im Unklaren gelassen werde (das ist auch gut so), welcher Arbeit Linus nachgeht, usw.

Was mir nicht gut gefällt ist die Quantität an Vergleichen, die meiner Meinung nach die Vergleiche abschwächt, weil es sehr viele werden. Außerdem sind die Vergleiche für mich teilweise zu abstrakt, sodass ich das Lesen unterbrechen muss, um die Brücke zwischen Vergleich und Textzusammenhang zu schlagen. Ich finde es besser, wenn ich für einen Augenblick in einer Metapher bleiben kann. Kommt eine neue, muss ich die alte verwerfen, es sei denn, die Metaphern lassen sich ineinander integrieren.

In den Kommenateren gab es Kritik für den Mittelteil. Ich finde den Mittelteil und das Ende am Besten. Gerade die Versionen lassen mich eine persönliche, emotionale Bindung zu Linus aufbauen. Ich leide mit ihm, dass er seine Tochter so ansehen muss, früher scheinbar keine Kinder hat bekommen können, usw. In diesem Mittelteil ist die ganze Zeit Spannung, weil es ein Konflikt ist. Linus will sich wehren, kann aber nicht und muss dann sich auch noch sowas anschauen. Den Mord den er sieht, muss er mit anschauen. Das ist stark, weil Mord ein gesellschaftliches Thema ist, also emotionale Reaktionen verursacht.

Was mir noch gut an den Visionen gefällt: Sie verraten etwas über Linus, aber nicht alles.



Viel habe ich erst beim zweiten Mal lesen verstanden. Deshalb solltest du daran arbeiten, dass der Text klarer wird. Zum Beispiel hat Samaya eine Rolle, aber Samaya wird so wenig gezeigt, dass ich, wenn sie kam, nicht wusste, wer das ist- erst beim zweiten Mal lesen gechekt.

Vielleicht wäre es besser, wenn er nicht gegen eigene Klone, sondern gegen Klone des Bösewichts kämpfen müsste?


Ich glaube, dass, wenn du die Elemente in dem Text reduzierst (weniger Personen, Konzentration auf einzelne Handlungen, nur das Außergewöhliche zeigen, was wichtig ist und den Rest später bringen), die Szene verständlicher wird.
Spannend ist sie auf jeden Fall, sofern man anfangs weiterliest, weil es anfangs echt verwirrend ist.


Freue mich auf weitere Geschichten.
Liebe Grüße Nils
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Valentin
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Beiträge: 177



Beitrag18.06.2018 14:37

von Valentin
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Hallo Nils,

bitte entschuldige die verspätete Antwort auf deine unterstützende Nachricht. Es freut mich, dass du die Hinweise erkannt hast - ein Lichtschimmer für meinen übermächtigen Zweifler, der vor Verachtung auf die Adjektiv in diesem Absatz schaut.

Die letzten Wochen habe ich das Forum gemieden, da es mich zunehmend demotiviert. Die Qualität der Text lässt mich eins ums andere erkennen, wie weit ich davon entfernt bin, ähnlich Gutes zu produzieren. Das depressive Tal scheint unüberwindbar, doch ebenso lechzt das Ego nach Anerkennung - wieso würde ich es sonst schreiben?

Trotzdem oder vor allem: Vielen Dank für deine Tipps. Es freut mich, dass es doch jemanden gibt, der den Sinn in den Visionen/Erinnerungen sieht. Für mich waren es die spannensten Teile der Geschichte.

Erwarte kein Update der Geschichte in der nächsten Zeit. Ich möchte mich um den Roman kümmern, zu dem ich seit unserem Umzug keinen Zugang mehr finde.

Für die Überarbeitung - die auf jeden Fall kommen wird - überlege ich, die Tempowechsel weg zu lassen. Eingebaut habe ich sie, um den Leser die Geschichte ähnlich erfahren zu lassen, wie ich sie schreibe. Irgendwann kommt der Moment, ab dem ich unbewusst ins Präsens wechsle. Bei dieser Geschichte waren es die Erinnerungen in den Lichtinseln. Nur zum Schluss habe ich den Kritiker eingreifen lassen, um zu verdeutlichen, dass Linus in die Lichtinsel eindringt, womit aus dem Präsens ein Präteritum wird.

Verknüpfungen werde ich deutlicher darstellen, wie z.B. das der Kampffisch Samaya heißt und Linus ihn braucht, um aus der Gedankenwelt zu fliehen.

Beste Grüße
Calvin


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Nils Oelfke
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Alter: 24
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Wohnort: Jever


Beitrag19.06.2018 20:41

von Nils Oelfke
Antworten mit Zitat

Hallo Calvin,

schön, dass die meine Kritik geholfen hat. Ich wünsche dir viel Erfolg bei deinem Roman und freue mich auf eine Fortsetzung/ Überarbeitung, welche irgendwann kommen mag.

Liebe Grüße
Nils
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Valentin
Geschlecht:männlichLeseratte

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Beiträge: 177



Beitrag03.07.2018 11:22

von Valentin
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Hallo Zusammen,

ich habe die Geschichte nochmals ausgegraben, um daran die Drei-Akt-Struktur im Kleinen zu üben. In der Hoffnung sie dann besser auf das Große - meinen Thriller, der nichts mit dieser Geschichte zu tun hat- übertragen zu können.

Hilfreich fand ich dabei den Blog helping writers become authors. Für Interessierte hier die Links zu drei Infografiken, die die Struktur zusammenfassen.
Akt 1
Akt 2
Akt 3

Exakt konnte ich die Prozentzahlen nicht einhalten. Zur besseren Nachvollziehbarkeit der Struktur habe ich im Post nach dem Inciting Event, 1st Plot Point usw. eine Leerzeile eingefügt.

Um die Geschichte in diese Struktur zu gießen, musste ein paar Änderungen vorgenommen werden. Im gleichen Zug versuchte ich eure Anmerkungen umzusetzen, damit die Geschichte nachvollziehbarer wird.

Anbei auch eine Mobi-Version für Kindle-Nutzer - inkl. Cover. *Die ersten Gehversuche*

@Fedor: Halt dein linkes Auge fest, vor der Flut an Pronomen . Wink

-------------------------------------------------------------- PMID 23429547 -----------------------------------------------------------------

Linus sammelte Kuriositäten der menschlichen Art.
Das neueste Sammelstück hatten seine Mitarbeiter in einem Prager Waisenhaus erstanden. Nun saß das Kind im Körper eines Greises vor dem Aquarium in Linus‘ Behandlungszimmer. Der Proband war nicht größer als ein Siebenjähriger, doch der Schädel kahl und das Gesicht faltig, wie bei einem Siebzigjährigen. Ein Auge blind, das andere kurz davor, dafür die Haut dünn und durchsichtig. Die Beine und Arme klapprig und deformiert. Vom Hals abwärts war er gelähmt.
Linus hatte noch nie einen Progeriekranken. Er sah erstaunliches Potenzial. Die Jahre als Leiter der Chronosome-Labs hatten ihn eins gelehrt: Eine kranke Hülle beherbergt einen reichen Geist. Schade, dass der namenlose Junge stumm blieb und es keine Papiere zu seiner Herkunft gab. Erste Gen-Tests auf Progerie fielen gar negativ aus. Es handelte sich offenbar um eine unbekannte Form. Um so besser.
Linus schritt zu dem Aquarium, auf das der Proband wie vernarrt starrte, und zog den Zeigefinger in einer Schleife über die Front.
Die Fische folgten der Geste, wie ein Orchester dem Dirigenten. Angeführt wurde der Schwarm von einem schwarzen Skalar mit Flossen wie verschlissene Segel.
Sollte er dem Probanden zeigen, dass er sie gar nicht mit dem Finger lenkte? Sollte er ihm vorführen, wozu er mit seinem Geist im Stande war? Würde es ihn entzücken, zu sehen, wozu er demnächst ebenfalls fähig wäre?
Linus lächelte den Jungen an, ohne eine Reaktion auszulösen. Nun gut, es gab andere Wege, mehr zu erfahren. Er zog den Anhänger unter dem Hemd hervor.
An der silbernen Kette baumelte eine schwarze Murmel. Darin eingelassen war das Bild eines siamesischen Kampffisches. Geschwungene Flossen schimmerten in Lavendel und Rubinrot. Manish hatte er sein Totem getauft, nach dem indischen Meister des Verstandes. Ein vorzüglicher Name, wie er fand, schließlich half es ihm, zwischen Gedankenwelten zu wandeln.
Vor dem Probanden ging Linus in die Hocke. Was verbarg sich wohl hinter der hohen Stirn? Er legte eine Hand auf den mit Adern übersäten Schädel, ohne eine Reaktion beim Jungen auszulösen, und schloss die Finger der anderen um das Totem. Dann schnappte er mit seinem Geist zu, drang in den Verstand des Kindes ein.

Darin existierte eine fremdartige Welt voller Kontraste. Gesichtslose nackte Frauen schwebten neben mathematischen Formeln und einem Kruzifix. Wirbelstürme in Karmesinrot, Schwefelgelb und Methylenblau zogen durch die Landschaft. Wie aufgewühlte Gefühle hinterließen sie eine Schneise der Verwüstung. Am Himmel schwamm der schwarze Skalar - zigfach vergrößert, beäugte er den Neuankömmling.
Die Farben waren übersättigt und Linus wusste, wenn er den Verstand verließ, würde ihm seine Welt verblasst erscheinen, wie ein von der Sonne ausgebleichtes Foto. Ein Blick über die Schulter zeigte ihm das altbekannte Bild.
Manish war zum Leben erwacht und schwamm durch tintendunkles Wasser, das von nichts zusammengehalten wurde, außer der Tendenz die Oberflächenspannung zu minimieren. Wie im Weltall hatte es die Form mit der kleinsten Oberfläche zum Volumen gebildet. Eine Kugel von der Größe eines Fußballs schwebte in der Luft.
Linus verstand nicht, wieso das Wasser so reagierte. Aber ebenso wenig verstand er, weshalb sein Totem stets dreißig Meter hinter ihm blieb. Egal wie er eilte, es hielt den Abstand konstant. Außer er näherte sich, dann verharrte es an Ort und Stelle. Es genügte, die Hand in die eiskalte Kugel zu strecken, um in seinen Körper zurückzugelangen.
Auf der Suche nach Indizien, für die Herkunft des Probanden, schlenderte er durch dessen Gedankenwelt. Aus dem Nichts manifestierten Objekte. Zu Füßen legten sich regennasse Pflastersteine, in denen das Licht von altertümlichen Gaslampen reflektierte. Hufgetrappel erklang und eine Kutsche raste vorbei. Ein Mann lehnte aus einem Fenster, hielt seinen Zylinder fest und schrie. »Wann lernst du es endlich, Arsen? Du wirst mich niemals erwischen.« Hinter der Kutsche rannte ein hochgewachsener Mann mit einem imposanten Säbel hinterher. Im Rennen noch löste er sich auf, als wäre er nichts weiter als lose Farbpartikel, die von einer Windböe erfasst wurden.
War das eine Szene aus einem Film, den der Proband gesehen hatte? Identifizierte er sich mit dem Mann mit Säbel? »Arsen«, sagte Linus. Kein untypischer Name für den ehemaligen Ostblock.
Unvermittelt erzitterte der Boden. Manish klappte seine Kiefer nach vorne. Die blauroten Flossen zitterten, zum Bersten gespannt.
Etwas stimmte nicht. In keiner anderen Gedankenwelt hatte Manish bisher die Kampfhaltung eingenommen.
Im Wartezimmer erwachten die Augen des Jungen zum Leben. Die verhornten Pupillen schlichen zur Seite, hefteten sich auf das Gesicht des Forschungsleiters. Die Iris franste aus, als klatsche ein Tropfen veilchenfarbener Wasserfarbe auf Papier.

Linus stieß einen Schrei aus. Wie eine seismische Migränewelle mit dem Epizentrum hinter dem linken Auge, rollte Schmerz durch seinen Schädel. Der Augapfel schwoll an, drohte heraus zu ploppen. Er presste die Hand darauf und hastete zu Manish.
Die Welt schwankte. Die Farben verblassten und mit ihnen verschwanden die Wirbelstürme. Selbst die irrwitzigen Formen in der Luft vielen zu Boden und durch ihn hindurch. Ein Kescher fischte den zappelenden Skalar aus dem Himmel. Zurückblieb leere Prärie.
Er verstand nicht, was passierte. Etwas Ähnliches hatte er noch in keiner anderen Gedankenwelt erlebt. Woher kamen die Schmerzen? Er rutschte aus, schlug längs hin. Beim Hochstemmen gab der Boden nach und klaffte auf wie eine Wunde, aus der Tentakel krochen.
Linus keuchte, suchte Halt im Geröll, das ständig wegrutschte, und robbte davon.
Die Tentakel folgten ihm, schlossen sich um die Füße, schlängelten unter der Hose über nackte Haut und saugten sich fest.
Linus streckte den Arm nach Manish aus, doch das Totem war mehr als eine Körperlänge außerhalb seiner Reichweite.
Manish schwamm aufgeregt in der Kugel. Immer wieder stieß er gegen die Wasseroberfläche, setzte zurück, zuckte mit den Flossen und schoss abermals auf die Oberfläche zu, als würde er gegen einen Artgenossen kämpfen.
Wie ein Sandsturm in der Wüste rollte aus der Richtung, die Manish attackierte, Finsternis heran. Angeführt wurde sie von etwas Rohem, das sich darin verbarg.
Linus erahnte das Wesen nur, aber er spürte glasklar das Verlangen, das davon ausging. Eine primitive Angst packte ihn. Mit den Genen vererbt von den Höhlenmenschen, die sich in finsterer Nacht um ein sterbendes Feuer drängten, während an den Rändern des Lichtscheins ein ausgehungertes Raubtier auf seine Chance lauerte. Warm und feucht lief es sein Bein hinab.

Und dann begann das Ziehen.
Ein Stich durch die Schädeldecke, gefolgt von Druck. Als hätte ein Kind eine Caprisonne angestochen, und sauge den Saft aus.
Muskeln verkrampften. Augen rollten nach oben, Lider flatterten. Speichel schäumte vor Linus‘ Lippen. So unvermittelt, wie er gekommen war, ebbte der Schmerz ab. Zurückblieb das leichte Pochen eines abklingenden Katers. Linus zitterte, rang um Atem.
In dem Meer aus Finsternis, das ihn umgab, leuchteten Inseln aus Licht auf. Wie auf einer Theaterbühne spielten sich darin kurze Szenen ab, dargeboten von Schauspielern durchscheinend wie Hologramme.
Eine Hand tippte einen achtstelligen Zahlencode in ein Tastenfeld.
Linus erkannte die PMID Nummer des Artikels, der ihn einst auf die richtige Fährte für seine Forschung gebracht hatte und den er als Code für die Chronosome-Labs nutzte.
Eine neue Lichtinsel; ein Backsteingebäude, von unten beleuchtet wie eine Burg bei Nacht.
Das Zentrum für Epigenetik, wo er allen Fehlschlägen zum Trotz lernte, das Gen zu isolieren.
Wieso sah er seine Erinnerungen in der Gedankenwelt des Probanden?
In wahnwitziger Geschwindigkeit leuchteten neue Lichtinseln auf. Von Zeit zu Zeit flackerten sie kerzengleich. Dann glänzte es feucht in der Finsternis, wo das Wesen umherschlich. Der Körper deformierte sich unermüdlich, wie ein Eimer voll Aale, die sich umeinander schlängelten. Einzelne Aale lösten sich aus dem Reigen und musterten ihn gierig. Unvermittelt ebbte das Tempo ab. Alle Inseln erloschen – außer einer.
Ein Kleinkind in Windeln saß in der Finsternis. Die Augenbrauen, durch leichten Flaum verbunden, zogen sich zusammen, wie Wolken vor dem Gewitter.
Tiara. Linus‘ Herz galoppierte beim Anblick seiner Tochter. Wieso erschien sie hier? Hatte der Proband die Rollen vertauscht? Durchsuchte er Linus‘ Gedanken? Falls ja, dann durfte er auf keinen Fall mehr über Tiara erfahren.
Die Mädchen heulte los und in der Finsternis schmatze das Wesen, als kaue es auf einem saftigen Stück Fleisch.

Linus ignorierte die Schmerzen, ignorierte das Pochen, ignorierte das Saugen. Er strampelte und zerrte an den Tentakeln, doch gegen die Saugnäpfe hatte er keine Chance mit reiner Muskelkraft. Er griff in seine mentale Trickkiste, um die Tentakel in Luft aufzulösen, sie zu verbrennen, oder gar für die eigenen Zwecke einzuspannen, doch die Kiste war geplündert.
Wie konnte das sein? Er warf einen Blick über die Schulter.
Manish war erblasst. Das Lavendelblau war einem fahlen Weiß gewichen, durch das sich einzelne rote Striemen zogen, die ebenfalls ausbleichten.
Galle brannte die Speiseröhre hoch. Er würgte, doch nichts kam heraus. Die Augen tränten. Er drückte die Finger der freien Hand gegen die Nasenwurzel. Was konnte er ausrichten? Alle Fähigkeiten, die er sich über die Jahre angeeignet hatte, waren auf einen Schlag weg. Wie sollte er sich wehren? Dann fiel ihm ein Trick ein, den er nicht hatte lernen müssen, sondern von Geburt an beherrscht hatte. Die Gabe, die ihn als Außenseiter brandmarkte.
Er starrte die Tentakel an, doch nichts geschah. War auch diese Fähigkeit verloren? Er drückte die Zeigefinger in die Schläfen. Das Bild pumpte, wie eine Kamera, die den Fokus nicht fand. Er wusste, dass es von den Pupillen kam, die sich weiteten und zusammenzogen. Er presste stärker, als könne er damit die Gabe verstärken. Früher hatte es die Mitschüler verjagt und nun verjagte es die Tentakel. Sofort rappelte er sich auf, bevor sie wieder nach ihm griffen, und rannte zu seiner Tochter.
In der Lichtinsel verwandelte sich Tiara. In Zeitraffer wuchs sie auf. Aus dem Baby in Windeln wurde eine weinende Vierjährige mit aufgeschürften Knien, wurde eine Siebenjährige mit einer zerrissenen Schultüte, eine Elfjährige, die vom Pferd stürzt, eine Vierzehnjährige mit verschmiertem Kajal und schließlich eine mürrische siebzehnjährige, wie er sie heute am Frühstückstisch zum Abschied geküsst hatte. Dann geschah das Unmögliche. Der Film lief weiter.
Tiara’s Züge tauschten das Kindliche gegen die Eleganz einer Frau. Vor ihr manifestierte eine Theke. Der Geruch von Kino lag in der Luft. Auf Popcorneimern prangte ein grüner Schriftzug auf schwarzem Hintergrund The Tommyknockers - Premiere - 13. September 2020. Neben ihr erschien ein junger Mann in brauner Lederjacke. Er legte eine Hand um ihre Hüfte. Sie sah mit einem Lächeln zu ihm und rückte näher. Die Hand glitt herunter, knetete ihren Hintern.

Entfernt kam ihm die Szene bekannt vor. Als er mit seiner Frau die Premiere besucht hatte, waren sie bereits älter gewesen als das Pärchen vor ihm. Tiara hingegen war noch ein Kleinkind. Die Zeiten passten nicht zusammen. Linus war sich sicher, dass eine erwachsene Version seiner Tochter da stand. Doch wer war der Lüstling?
Als hätte der Jüngling Linus‘ Gedanken gelesen, drehte er sich zur Seite, zeigte das Profil, vergrub die Finger in Tiara’s Haaren, drückte ihr einen Kuss auf die Lippen und schleuderte sie zu Boden.
Ihm fiel etwas Vertrautes in den Zügen des Lüstlings auf, doch er ignorierte es, drängte nach vorne.
Aus dem Nichts manifestierte eine Gestalt, als hätte die Finsternis sich verdichtet und einen Körper geschaffen. Von einem Moment auf den anderen stand er einfach da.
Linus konnte ihm nicht mehr ausweichen und rempelte ihn an.
»Hey«, blaffte dieser und hielt ihn fest.
Die Stimme kam ihm vertraut vor und als er sich umdrehte, um die Hand abzuschütteln, die seine Schulter festhielt, sah er in sein eigenes Gesicht.
Sein Doppelgänger grinste ihn an. »Relax, wir dürfen alle mal.«
War es eine Manifestation seiner Psyche, die ihn aufhalten wollte? Aber wieso? Egal. Tiara brauchte ihn. Linus zerrte an der Hand und befreite sich.
Als er wieder nach vorne sah, erblickte er zwei weitere Doppelgänger. Schulter an Schulter versperrten sie den Weg.
Er hatte sich immer auf seine mentale Stärke verlassen. Er hatte nie aufgegeben. Nicht auf dem Schulhof, nicht im Studium, nicht in der Forschung. Egal wie viele Experimente scheiterten, er forschte weiter. Er tat, was nötig war. Wieso wandte sein Wille sich jetzt gegen ihn?
Linus nahm Anlauf, zielte auf die Schwachstelle, wo die Schultern sich berührten. Kurz vor dem Aufprall schloss er die Augen.
Erstaunlicherweise schoss der Schmerz das Schienbein hoch, und im nächsten Moment knallte er auf den Boden.
Lachen! Überall.
Linus rappelte sich auf, schenkte den beiden keine weitere Beachtung, sondern drehte sich zu Tiara und erblickte seine persönliche Hydra.

Reihen von Doppelgängern standen um ihn herum, versperrten ihm den Weg und lachten ihn aus.
Plötzlich fühlte er sich wieder wie der Neunjährige auf dem Schulhof und wie damals ging es mit ihm durch.
»Was hast du dann getan?«, fragte ein Doppelgänger.
Linus war auf den Anführer der Clique losgerannt, wie er jetzt auf den Klon zu rannte, hatte ihn umgeworfen, wie den Klon, und hatte seine Gabe angewandt, damit der Anführer sich selbst verprügelte, anders als beim Klon, auf den er nun eigenhändig einschlug.
Blut spritze aus der Nase und dem Mund. Der Doppelgänger verschluckte sich daran und lachte guttural. »Du weißt nicht, was ich durchgemacht habe. Du weißt nicht, wie einsam es hier war. Du weißt nicht, wie lange er mich eingesperrt hatte.«
Linus hielt inne. Was ging hier vor? Wo von redete er?
Die Umstehenden stachelten ihn an, weiter zu zuschlagen.
Doch er ließ den Doppelgänger los, der sich unter Lachkrämpfen am Boden wälzte.
Die Übrigen sahen enttäuscht aus. Einer nach dem anderen stellten sie Fragen.
»Was hast du mit den Kindern getan?«
»Weiß deine Frau davon?«
»Weiß sie, was du sie hast ausbrüten lassen?«
Was sollten die Fragen? Wenn die Doppelgänger Manifestation seiner eigenen Psyche waren, müssten sie dann die Antworten nicht kennen? Spielte der Proband mit ihm? Halfen die Fragen ihm, Linus‘ Gedankenwust zu sortieren, wie ein Puzzler, der zunächst die Randstückchen sucht? Er war nicht gewillt, zu helfen, wusste jedoch, dass er keine Chance hatte sich den Gedankengängen zu entziehen, sobald eine Frage gestellt wurde.
»Wie viele Fehlgeburten hatte sie?«
Die Fragen trafen ins Schwarze, als hätte der Proband einen sechsten Sinn für schmerzhafte Erinnerungen. Vor dem inneren Auge sah Linus seine Frau im Bad auf dem Boden sitzen, heulend nach einer weiteren Fehlgeburt, seine Frau in der Badewanne mit einer Rasierklinge im Arm, sein Zusammenbruch im Labor, der Entschluss der Natur auf die Sprünge zu helfen, die Anpassung, die Empfängnis – STOPP, denk nicht weiter.
Die Doppelgänger, die verstummt waren, als würden sie seinen Gedanken lauschen, schubsten ihn herum und warfen ihm Fragen an den Kopf.
»Was bedeutet DNA-Methylierung?«
»Was hast du mit ihr gemacht?«
»Wie kommst du in meine Gedanken?«
»Sag schon.«
»Wieso kann ich den Fisch nicht anfassen?«
Linus sah hinter sich, wo Manish wild die Hände attackierte, die versuchte ihn zu greifen, doch einfroren, sobald sie das Wasser berührten.
Da kam ihm die Idee und er rannte los.
Die Doppelgänger fielen über ihn her, als hätte sie gewusst, was er vor hatte.
Er krallte, riss, biss, spukte, fluchte, schlug auf die Klone ein. Mit jedem Schlag erstarkten sie, krümmten sich vor Lachen auf dem Boden. Irgendwann schienen die Fausthiebe ihm mehr weh zu schaden als ihnen. Linus hielt inne und fiel auf die Knie.
Die Leiber glitten zur Seite, bildeten ein Spalier, gaben den Blick frei, auf ein Bild, das er nicht sehen wollte.
Tiara lag nackt auf einem Steinblock. Über ihr kauerte der Lüstling wie ein Sukkubus.

Linus erkannt das Gesicht augenblicklich, obwohl es ihn zuletzt vor mehr als vierzig Jahren aus dem Spiegel angeschaut hatte. Der Jüngling besaß seine Nase, Mund und sogar die Narbe am Kinn, die er sich als Zwölfjähriger beim Versuch einen three-sixty auf dem Skateboard zu stehen, zugezogen hatte. Gleichzeitig fehlten jedoch die Pickel, ebenso wie die Aknenarben und die Muttermale. Und vor allem leuchteten die Augen in einem exotischen Farbton – veilchenfarben.
Der Lüstling knetete Tiaras Brust, zwirbelte an der Brustwarze und sie schnurrte genüsslich.
Etwas brach in Linus. Er senkte den Blick. Ein Vater sollte seine Tochter nicht so sehen. Unsichtbare Finger legten sich auf sein Kinn, drückten es nach oben und zogen die Lider auseinander.
Die Hand des Lüstlings liebkoste Tiara’s nackte Brust, strich zunächst über die eine und dann die andere und verharrte schließlich zwischen beiden. Dabei beachtete er Tiara nicht, sondern starrte gierig Linus an, als labe er sich an seinem Entsetzen.
Die Narbe am Kinn verheilte. Sein Jüngeres Ich grinste ihn makellos an und stemmte den Arm im rechten Winkel auf. Wie ein Presslufthammer hämmerte er auf Tiaras Brustkorb. Die Hand verschwamm in der Bewegung. Tiara strampelte mit den Füßen, packte den Arm, schnitt mit ihren Fingernägeln in sein Fleisch, aber er ließ nicht ab. Als würde man mit dem Fuß durch eine zugefrorene Pfütze brechen und sich die Socken nass machen, brach der Arm durch Tiaras Brustkorb – zuerst ein trockenes Knack gefolgt von einem feuchten Pflatsch.
Instinktiv riss er den Arm empor. Nichts passierte. Seine Fähigkeiten waren verloren. Etwas quetschte sein Gehirn, wie ein Kind, das auf die fast leere Caprisonne drückt und gierig am Strohhalm saugt, um auch an die letzten Reste zu kommen.
Linus brach zusammen.

  *

Denir erhob sich vom Boden des Wartezimmers und streckte die neuen Gliedmaßen. Linus‘ Körper war alt, die Knie knackten, aber Götter, welches Vergnügen es war zu Stehen. Er klatschte in die Hände, machte die ersten zögerlichen Schritte und lachte, froh darüber den Ketten des degenerierten Kinderkörpers entflohen zu sein.
An seinem Hals sah er baumelnd eine schwarze Kugel. Darin eingelassen war ein fahler Kampffisch, der auf dem Rücken schwamm.
Hatte Linus dieses Werkzeug genutzt, um in seinen Verstand einzudringen? Denir fuhr mit dem Daumen darüber. Wenn, dann war die Macht erloschen. Er spürte nichts mehr davon. Wie auch immer - er war frei.
Es war ein perfider Schachzug von Arsen gewesen, ihn in den gelähmten Jungen zu sperren. Über die Jahre hatte Denir den Körper ausgezehrt, ihn daran gehindert zu wachsen, alle Ressourcen genutzt, um das Leben unnatürlich in die Länge zuziehen und sich dabei unweigerlich der Außenwelt beraubt. Die Augen waren erblindet, die Ohren taub geworden. Die Welt war an ihm vorbeigezogen, wie an einem Toten. Der Wechsel in Linus‘ Körper hatte die letzten Kraftreserven des Kinderkörpers aufgezehrt. Ausgedörrt wie eine Mumie hing er im Stuhl.
Wie viele Jahre hatte er in diesem Gefängnis verbracht? Denir verpasste der Mumie eine Ohrfeige und spuckte sie an. »Pulsa DiNura«, fluchte er auf aramäisch.
Anschließend schritt er zur Tür. Wie hatte sich die Welt verändert, seit Arsen ihn auf der Flucht aus Whitechapel eingekerkert hatte. In Linus‘ Gedanken hatte er fantastische Dinge gesehen. Er hatte nicht unterscheiden können zwischen Fantasterei und Erinnerungen. Er musste mit eigenen Augen sehen, was davon real war.
Er tippte den Zahlencode in das Schloss ein: 23429547.


---------------------------------------------------------BESTEN DANK FÜR'S LESEN------------------------------------------------------------


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Valentin
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Beitrag25.07.2018 08:02

von Valentin
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Hallo Zusammen,

ich muss jetzt einfach mal nachfragen. Knapp 700 Views, aber kein Kommentar zur neuen Version?

Zu Lahm? Zu Lang für einen Forenbeitrag? Keinen Kommentar wert? Ein Hinweis wäre toll.

Beste Grüße
Calvin


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Murmel
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Beitrag27.07.2018 00:30

von Murmel
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Immer mit der Ruhe. Hier kommt noch was. lol2

Gut, der Text ist nun verständlicher geworden, insofern, dass man versteht, was passiert und warum. Aber der Mittelteil ist immer noch erdrückend lange, um die Hälfte etwa. Da zwei Drittel etwa (dein 2. Akt) im Fantasieland spielen, fällt es mir schwer, eine echte Handlung zu erleben. Die Akt Struktur verlangt eine Leitfigur, die handelt. Die ein Ziel zu erreichen sucht, daran gehindert wird, und entweder siegt oder scheitert.

Dies finde ich nicht gegeben, und daher bleibt mir der Zugang weiterhin verwehrt. Aber das ist nur meine Meinung, nichts weiter.


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Valentin
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Beitrag27.07.2018 14:57

von Valentin
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Hallo Murmel,

vielen Dank für dein Feedback. Der innere Zweifler schweigt endlich und ich kann in Ruhe weiterarbeiten.

Freut mich, dass es verständlicher wurde. Anscheinend eins meiner großen Probleme.

Bzgl. der Aktstruktur muss ich noch nachdenken. Ich dachte, dass ich die aufgeführten Punkte beherzigt hätte:

* Leitfigur - Linus, ...
* Ziel - der im Geist des Kindes nach dessen Herkunft/ Infos forscht
* daran gehindert wird - plötzlich verkehrt sich die Rolle und seine Gedanken werden durchforscht - Sein Ziel ändert sich: Er will verhindert, dass man erfährt was mit seiner Tochter ist bzw. will fliehen.
* entweder siegt oder scheitert - Linus stirbt.

BG
Calvin


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Beitrag27.07.2018 19:08

von Murmel
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Das wäre, wenn nicht Denir mit im Spiel wäre.

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Valentin
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Beitrag14.08.2018 11:11

von Valentin
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Zitat:
Das wäre, wenn nicht Denir mit im Spiel wäre.
Verstehe. Danke für den Hinweise.
Ich konnte einfach nicht anders, als ihn mit rein zu bringen. Macht als einzelne Kurzgeschichte keinen Sinn, doch es ist Teil einer größeren Geschichte, bestehend aus mehreren "Kurzgeschichten" Smile


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