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rieka Sucher und Seiteneinsteiger
Beiträge: 816
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06.05.2018 19:00 Sie werden kommen. von rieka
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Hinter den waagerecht gestellten Lamellen der Holzläden sind Türe und Fenster weit geöffnet. Die Hitze des Tages entweicht dem Raum mühsam, wie Atem aus einem kranken Körper. Wäre nicht der anlandende Wind, der sich mit tiefhängenden Wolkenfetzen ein rasantes Spiel liefert, salzige, von vertrocknetem Thymian- und Lavendel aromatisierte Nachtfeuchte von der Bucht herüber treibt, bliebe die stickige Luft im Raum eingenistet. Wie die Schwere in seinem Denken. Seine Hand ist in eine Lamellenfuge verkrallt, weiß die spitzen Knöchel. Das rissige Holz zwickt seine daran gepresste Stirn. Eine Zikade schrillt mit unbarmherziger Aufdringlichkeit hinter der Kommode.
Die Bucht wirkt verborgen, sie ist umhüllt von aufsteigenden Bergen. Das Meer scheint still, zeigt in der Dunkelheit Farbe und Aussehen von schwarzblauem, mit bröckeligen, silbrigen Rändern zersplittertem Schiefer; eine unnatürlich ruhige Plattform vor dem aufgeregten Wolkenspiel.
Seine Augen tasten die Straße entlang, die, sich um die den Ort einrahmenden Felshänge windend, am Hafen entlang allmählich ansteigend, am Gasthaus vorbei in die Pyrenäen mäandert. Ihre wenigen, schwach leuchtenden Laternen lassen die sie heftig umkämpfenden Myriaden nachtaktiver Insekten nur ahnen. Unten am Hafen schimmert Licht. Ein Fischer hat sich verspätet. Nun arbeitet seine Familie hektisch, um die Ausfahrt zu beschleunigen. In der Nachbarschaft winselt der am Tag dauerbellende Hund.
„Sie werden kommen.“ Dieser Satz hallt hohl in ihm wie in einem Tunnel. „Sie werden kommen.“
Er hat Briefe geschrieben, um Hilfe gebeten. Er hat wenig Geld und das französische Ausreisevisum wurde ihm verweigert. Ohne dieses sitzt er hier fest. Ohne dieses kommt er nicht bis Portugal. Nur von dort aus kann er weiter nach Amerika. Erst dann ist er sicher.
„Sie werden kommen.“ Die Worte schneiden in seine Eingeweide, als seien sie ein zweischneidiges Schwert. „Sie werden mich ganz gewiss unterstützen, sie werden mich nicht im Stich lassen.“
„Du solltest dich durch die Berge davon machen.“
„Wie soll ich mich davon machen? Ich bin nicht vertraut mit den Pyrenäen. Ich bin nicht vertraut mit dem Untergrund in Spanien. So schwerfällig, wie ich durch die Landschaft stolpere, würde mich die Guardia Civil schon an der Grenze fassen. - - Doch, doch, sie werden mir helfen.“
„Sicher, sie werden kommen. Die Frage ist nur, wer zuerst kommt.“
Am Nachmittag hatte dieses Gespräch stattgefunden. „Sie werden kommen.“ Wie bedrückend dieser Satz sich jetzt anfühlt.
In der Ecke hinter der Kommode schrillt die Zikade. Die Packung auf der Ablage kann er nicht sehen, aber er weiß, dass sie da ist. Morphium hilft gegen so vieles, es betäubt Schmerzen und Kummer und macht ganz still.
Unter ihm schlängelt sich die Hauptstraße im schwachen Laternenschein durch die kleine Hafenstadt an der französisch-spanischen Grenze. Hier und da ein erleuchtetes Fenster. Am nördlichen Küstenrand blitzt der Lichtstrahl eines Kraftfahrzeugs auf. Mit nagelndem Motor kämpft es sich die Hauptstraße empor, am Treppeneinstieg zum Gasthaus verlangsamt es. Es fährt vorbei. Seine Rücklichter verblassen. Hunde bellen.
Enttäuschung und Erleichterung verschmelzen in unerträglichem Konglomerat. Die Zikade regt sich hinter den Tabletten, zirpt, beschwört ewigen Gleichklang.
Seine Augen glänzen fiebrig, als der Wagen zurückkommt.
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d.frank Reißwolf
D Alter: 44 Beiträge: 1129 Wohnort: berlin
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D 13.05.2018 23:17
von d.frank
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Gefällt mir ganz gut!
Nicht nur, dass ich mich wirklich in der verlangten Atmosphäre wiederfinde, auch die Aufspaltung des Wortes, wie sie in den Vorgaben angestoßen war.
Un-Gewissheit, ausgehend von ein und demselben Ereignis, auf das hier gewartet wird. Enttäuschung und Erleichterung verschmelzen zu einem widersprüchlichen Gefühl. Gewissheit und Ungewissheit.
Viele Beiträge beschäftigen sich mit aktuellen politischen Themen, ausgehend von der alleinstehenden Vorsilbe. Für mich gehört der hier zu einem der Besseren, auch wenn mich die Verwendung typischer Wörter:
mäandert, Myriaden, Konglomerat, deren gehäuftes Auftreten in einem so kurzen Text auf mich den unfreiwilligen Eindruck von Protz gemacht hat, weniger zufrieden stimmt und mir hier auch der Text hinterm Text ein bisschen fehlt, die Komprimierung auf das vom Wort ausgelöste Gefühl hat mir gefallen.
_________________ Die Wahrheit ist keine Hure, die sich denen an den Hals wirft, welche ihrer nicht begehren: Vielmehr ist sie eine so spröde Schöne, daß selbst wer ihr alles opfert noch nicht ihrer Gunst gewiß sein darf.
*Arthur Schopenhauer |
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V.K.B. [Error C7: not in list]
Alter: 51 Beiträge: 6154 Wohnort: Nullraum
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14.05.2018 00:29
von V.K.B.
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Vorweg: Ich interpretiere Un-Gewissheit als zweideutig, einmal eine Ungewissheit (nicht wissen, was kommt oder los ist) und eine Un-Gewissheit wie Un-Ding (oder wie cummings das "un" in seinen Gedichten benutzt hat), also eine schlimme Gewissheit.
Hallo Inko,
schön geschrieben, gefällt mir.
Die Ungewissheit (wer wird kommen?) sehe ich, aber keine Un-Gewissheit, denn dein Prota rechnet ja noch damit, dass ihm geholfen wird, oder hofft das zumindest. Die vorgegebene Szene ist da.
_________________ Hang the cosmic muse!
Oh changelings, thou art so very wrong. T’is not banality that brings us downe. It's fantasy that kills … |
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lebefroh Eselsohr
L Alter: 43 Beiträge: 364 Wohnort: Berlin
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L 14.05.2018 12:18
von lebefroh
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Ich finde, das ist gut geschrieben, die nächtliche Atmosphäre und die Gefühle des Protagonisten werden klar transportiert. Allerdings ist mir die Geschichte für mehr Punkte etwas zu offensichtlich.
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Michel Bücherwurm
Alter: 52 Beiträge: 3373 Wohnort: bei Freiburg
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14.05.2018 14:29
von Michel
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Flüchtling in Südfrankreich, nahe den Pyrenäen. Zeit wohl drittes Reich, darauf deutet die Fluchtroute über Portugal hin. Unklar, ob die Behörden (Gestapo o.ä.) oder seine Helfer zuerst eintreffen. Ungewissheit: Welches Auto? Vorgaben umgesetzt. Dichte Geschichte. Gestolpert bei der Zikade hinter den Tabletten.
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hobbes Tretbootliteratin & Verkaufsgenie
Moderatorin
Beiträge: 4297
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14.05.2018 19:37
von hobbes
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Oh, oh. Der Alptraum eines jeden PoKaProisten: Ein anderer hat das gleiche Kleid an schreibt über das gleiche Thema. Eigentlich erstaunlich, dass das doch eher selten passiert.
Aber zum Thema, also zum Text. Hm, schwierig. Eigentlich mag ich den Text. Bzw. die Figur. Ich mag die Verlorenheit, die von ihr ausgeht, die hast du gut eingefangen, ganz ohne Holzhammer.
Was ich nicht so mag: Zu viele Beschreibungen. Gerade der erste Absatz trieft davon und mir ist das für diese Menge Text definitiv zu viel. Zu viel Beschreibung ohne "Mehrwert."
Dazu passt jetzt auch der titelgebende Satz, der wiederholt sich für mich nämlich auch mindestens einmal zu oft.
Edit: Vier Punkte. Warum, weiß ich jetzt auch nicht.
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Heidi Reißwolf
Beiträge: 1425 Wohnort: Hamburg
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15.05.2018 11:44 Re: Sie werden kommen. von Heidi
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Die Geschichte ist sehr detailliert ausgeformt, wodurch in mir ein altmeisterliches Bild entsteht. Zu detailliert für meinen Geschmack, ich werde förmlich erschlagen, von all den Eigenschaften, die mir durch Text entgegenkommen.
Postkartenprosa hat Folgendes geschrieben: | Hinter den waagerecht gestellten Lamellen der Holzläden sind Türe und Fenster weit geöffnet. Die Hitze des Tages entweicht dem Raum mühsam, wie Atem aus einem kranken Körper. Wäre nicht der anlandende Wind, der sich mit tiefhängenden Wolkenfetzen ein rasantes Spiel liefert, salzige, von vertrocknetem Thymian- und Lavendel aromatisierte Nachtfeuchte von der Bucht herüber treibt, bliebe die stickige Luft im Raum eingenistet. Wie die Schwere in seinem Denken. Seine Hand ist in eine Lamellenfuge verkrallt, weiß die spitzen Knöchel. Das rissige Holz zwickt seine daran gepresste Stirn. Eine Zikade schrillt mit unbarmherziger Aufdringlichkeit hinter der Kommode. |
Hier nur mal die Anfangs-Details im Detail markiert.
Dann kommt der Dialog, die Angst eines "Ausgestoßenen" - so lese ich diese Dialog-Szene. Ein spannendes Thema, aber für meinen Geschmack nicht subtil genug im Ausdruck. Das im Titel bereits bekannt gegebene: Sie werden kommen, wirkt wenig ausgereift. Es wabert als Gesagtes über dem Text, ich erlebe es nicht aus dem Text heraus.
Das Hundegebell, und anderes vorgegebenes Getüdel, empfinde ich wie einen Fremdkörper, der noch miteingearbeitet werden musste. Genauso geht es mir, wenn ich den Text insgesamt - auch mit der "Anfangsmalerei" - als Einheit zu betrachten versuche.
Erst hast du malerisch ein Setting entworfen, darunter dann den Dialog gesetzt, der den Inhalt transportieren soll und zum Schluss dann das Eben-noch-zu-erfüllende für den Wettbewerb. Es entsteht deshalb keine wirkliche Einheit. So als hättest du erst oben einen Streifen rosa gemalt, dann einen Streifen grün, dann einen Streifen blau. Ein szenisches untereinander, keine ineinander verwebten Szenenfäden. Fällt auseinander.
Was mir gefällt: Die Idee das Setting in die Pyrenäen zu verfrachten und das Wort mäandert.
Bin nicht überzeugt. Obwohl Emotion aus dem Geschriebenen spricht - aber eben fast ausschließlich durch beschreibende Details.
Punkte gibt es leider keine.
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Constantine Bücherwurm
Beiträge: 3311
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15.05.2018 15:44
von Constantine
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just points
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firstoffertio Show-don't-Tellefant
Beiträge: 5854 Wohnort: Irland
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15.05.2018 21:09
von firstoffertio
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Hier gefällt mir die Beschreibung der Umgebung am Anfang.
Ab "Sie werden kommen" ist mir die Geschichte zu sehr auf das hin gebaut. Da steige ich recht schnell aus.
Ungewissheit ist vorhanden.
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d.frank Reißwolf
D Alter: 44 Beiträge: 1129 Wohnort: berlin
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Jenni Bücherwurm
Beiträge: 3310
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18.05.2018 11:17
von Jenni
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Wie „Sie kommen immer nachts“ (mit einem ähnlichen Titel noch dazu) eine Flüchtlingsgeschichte, wie könnte man da nicht vergleichen; dort eine offensichtlich zeitaktuelle Geschichte, hier eine, von der ich auf Grund des Settings annehme, dass sie während des dritten Reiches spielt, obwohl sie zeitlich nicht definitiv verortet ist - und gerade darin eigentlich wieder interessant, weil die Assoziation zu heutigen Flüchtlingsgeschichten nahe genug liegt, dass man von einem Verweis und vielleicht sogar gerade der Thematisierung dieser Zeitlosigkeit ausgehen kann, à la alles ist schon mal oder schon viele Male passiert, und dennoch passiert es wieder.
Zum Thema Un-Gewissheit, „sie kommen“, unklar ist nur wer, ob Hilfe oder Verdammnis, das ist schon gut umgesetzt. Die Vorgabe ist korrekt eingebaut. Sprachlich gefällt mir dieser Text gut, ja im Grunde setzt er sich darin auch mit der Atmosphäre aus der Vorgabe auseinander.
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Literättin Reißwolf
Alter: 58 Beiträge: 1836 Wohnort: im Diesseits
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18.05.2018 13:46
von Literättin
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Spielt das Thema Un-Gewissheit die zentrale Rolle? So gewiss, wie der Protagonist behauptet, dass sie kämen, so ungewiss ist es letztlich und nicht nur das, sondern auch wer dann kommt: die ihn verfolgen, oder die ihm helfen, das bleibt offen. In der Tat das zentrale Thema, die Un-Gewissheit.
Eröffnet oder schließt die vorgegebene Szene den Text und bleibt ihr Charakter erhalten? Die vorgegebene Szene ist gekonnt am Schluss platziert und die ganze Geschichte wirkt nicht einmal drumherum erzählt, sonder sie fügt sich so natürlich ein, als wäre sie gar nicht Vorgabe gewesen. Der Charakter der vorgegebenen Szene wird hier deutlich hervor gebracht.
Gesamteindruck - Sprachlich atmosphärisch in fast klassischer Roman-Erzählweise holpert es hier und da ein wenig, wirken die Sätze leicht bemüht konstruiert (die salzfeuchte Luft, die eingenistet bliebe, wäre nicht der Satzanfang ...; die in die Pyrenäen mäandernde Straße, die quasi mit einem Blick des Protagionisten beginnt) und es fällt das ein oder andere Wort stilistisch leicht heraus - wirkt die in den Lamellen verkrallte Hand etwas zu dramatisch, sticht der am Tag dauerbellende Hund fast flapsig hervor. Dennoch eine rund erzählte, spannende und unaufdringlich stimmungsvolle Geschichte und obwohl nicht geklärt wird, wovor der Verfolgte fliehen muss, so ahnt man es doch und ist auf seiner Seite, fiebert mit, hofft mit, dass in dem zurückkehrenden Wagen nicht die Häscher sitzen. Gerne gelesen.
_________________ when I cannot sing my heart
I can only speak my mind
- John Lennon -
Christ wird nicht derjenige, der meint, dass "es Gott gibt", sondern derjenige, der begonnen hat zu glauben, dass Gott die Liebe ist.
- Tomás Halík -
Im günstigsten Fall führt literarisches Schreiben und lesen zu Erkenntnis.
- Marlene Streeruwitz - (Danke Rübenach für diesen Tipp.) |
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VwieMargarita Wortedrechsler
V Alter: 40 Beiträge: 56 Wohnort: Remarque-Stadt
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V 18.05.2018 21:24
von VwieMargarita
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Die Beschreibung am Anfang ist sehr schön, man wähnt sich auf einer warmen Insel. Leider erfährt man nicht so schnell worum es geht.
_________________ "Sobald du dir vertraust, sobald weißt du zu leben".
J.W.v.G |
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Tjana Reißwolf
Alter: 63 Beiträge: 1786 Wohnort: Inne Peerle
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19.05.2018 19:43
von Tjana
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Ein Verfolgter hofft, der Guardia Civil zu entkommen.
Weil er sich nicht auskennt, erscheint er mir nicht als Einheimischer. Warum wird er dann verfolgt?
Vorgaben gut eingeflochten.
Die Zikaden finde ich gut. Für mich deuten sie eine andere Ungewissheit an: das Morphium und ob er es nehmen wird.
_________________ Wir sehnen uns nicht nach bestimmten Plätzen zurück, sondern nach Gefühlen, die sie ins uns auslösen
In der Mitte von Schwierigkeiten liegen die Möglichkeiten (Albert Einstein) |
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traumLos Eselsohr
Beiträge: 380
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20.05.2018 07:03
von traumLos
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Hallo, ich weiß nicht wer.
Wie in jedem Wettbewerb gibt es auch in diesem den Text dem Punkte gebühren. Es sind nur keine mehr verfügbar..
Eine stimmige Geschichte, die existenzielle Un-Gewissheit. Die Enttäuschung und Erleichterung zum Schluss heben diese noch einmal hervor. Der Wagen kehrt zurück. Keine Hoffnung, sondern die Furcht das Schrödingers Pendel zu anderen Seite ausschlägt.
Die behauptete Gewissheit, sie werden kommen, das scheinbar sachliche Gespräch über die Möglichkeiten. Die zeitliche Einbindung, in meinem Lesen die 30er Jahre.
Mit einem großen leider 0 Punkte
_________________ Meine Beiträge geben nur meine Meinung wieder. Jede Einbeziehung realer oder fiktiver Personen wäre nur ein Angebot. Zwinkersmiley |
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rieka Sucher und Seiteneinsteiger
Beiträge: 816
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20.05.2018 20:11
von rieka
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Nachdem sich mir zu einer rührseligen Geschichte um eine auf ihren vermeintlich zum Mörder gewordenen Sohn wartenden Mutter partout keine Bilder einstellten, fiel mir Portbou und Walter Benjamin ein. Das lief dann.
Den Titel „Das Warten des W.B.“ traute ich mich nicht zu nehmen, weil ich nicht weiß, worauf zu achten ist, wenn man ein reales Geschehen aufgreift.
Beim Schreiben der Geschichte begann ich bei Google nachzuschlagen, um die Situation im September 1940 genauer zu verstehen und erfuhr zu dem schon Bekannten noch einmal eine Menge, u.a. den unten angefügten Satz. Die Regeln zur Grenzüberschreitung sollen damals fast täglich geändert worden sein. Kann man alles nachlesen. Diesem Satz fand ich, den möchte ich hier eingeben:
Zitat: | Knapp sechs Wochen vor seinem Selbstmord schrieb Walter Benjamin an Theodor W. Adorno:
"Die völlige Ungewissheit über das, was der nächste Tag, was die nächste Stunde bringt, beherrscht seit vielen Wochen meine Existenz. Ich bin verurteilt, jede Zeitung wie eine an mich ergangene Zustellung zu lesen. Und aus jeder Radiosendung die Stimme des Unglücksboten herauszuhören." |
Eigentlich war ich mir durchgängig unsicher, wieweit ich um eine solche reale Situation herumfantasieren darf/kann. Und welchen Wert dies in einem solchen Wettbewerb hat.
Ich bin gespannt.
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Malaga Klammeraffe
Beiträge: 826
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21.05.2018 13:30
von Malaga
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Thema auf jeden Fall erfüllt. Inhaltlich habe ich gegrübelt: Flüchtling? Aber dazu ein Ausreisevisum? Passt wiederum nicht.
Die Sprache empfinde ich als bemüht schön, wobei ich finde, dass der Eindruck von Anstrengung den von Schönheit überwiegt.
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Akiragirl Dünnhäuterin
Alter: 33 Beiträge: 3632 Wohnort: Leipzig
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21.05.2018 18:54
von Akiragirl
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„Sie werden kommen“ belegt bei mir Platz 3 beim diesjährigen Wettbewerb und somit 8 Punkte.
Mir gefällt die Atmosphäre, die du hier aufbaust, ausgesprochen gut. Auch finde ich es schön, Texte mit historischem Hintergrund zu lesen, die ihre Botschaft nicht zu sehr in den Vordergrund rücken und stattdessen nah an den Figuren bleiben. Einige der Sprachbilder sind wirklich außerordentlich gut gelungen, besonders das Meer als schwarzblauer, mit bröckeligen, silbrigen Rändern zersplitterter Schiefer.
Was mich hier allerdings gestört hat, waren die vielen Partizip-Konstruktionen und extremen Verschachtelungen. Krassestes Beispiel:
Zitat: | Seine Augen tasten die Straße entlang, die, sich um die den Ort einrahmenden Felshänge windend, am Hafen entlang allmählich ansteigend, am Gasthaus vorbei in die Pyrenäen mäandert. |
Ich bin ja auch für "mutige" Sprache und nicht jeder Satz muss kurz sein, aber das empfinde ich einfach als schlechten Stil.
Abgesehen davon aber definitiv einer der stärkeren Texte des Wettbewerbs und mit erkennbarer Liebe zur Sprache verfasst.
LG
Anne
_________________ "Man bereut nicht, was man getan hat, sondern das, was man nicht getan hat." (Mark Aurel) |
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Eliane Klammeraffe
Beiträge: 823
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21.05.2018 23:04
von Eliane
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Den Einstieg finde ich unglaublich stark. Dieses Bild, diese Atmosphäre:
Zitat: | Hinter den waagerecht gestellten Lamellen der Holzläden sind Türe und Fenster weit geöffnet. Die Hitze des Tages entweicht dem Raum mühsam, wie Atem aus einem kranken Körper. Wäre nicht der anlandende Wind, der sich mit tiefhängenden Wolkenfetzen ein rasantes Spiel liefert, salzige, von vertrocknetem Thymian- und Lavendel aromatisierte Nachtfeuchte von der Bucht herüber treibt, bliebe die stickige Luft im Raum eingenistet. Wie die Schwere in seinem Denken. |
Danach verliert der Text mich. Ab der Stelle, wo das Holz "zwickt", passen die Bilder nicht mehr, zumindest für mich. Und ich finde nicht wirklich zum Kern der Geschichte, erahne eher als zu verstehen. Klar, das Warten auf Hilfe - wer kommt zuerst, die Verfolger oder die Hilfe? Aber mir erschließt sich nicht, um wen es geht, wann die Geschichte spielt, warum der Protagonist fliehen muss.
Im letzten Satz bricht die Perspektive. "Fiebrig glänzende Augen" ist Außenansicht.
Einhaltung der Vorgaben:
Szene: ja
Thema: ja
5 Punkte.
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Amarenakirsche Eselsohr
Alter: 30 Beiträge: 394 Wohnort: tief im Westen
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22.05.2018 08:22
von Amarenakirsche
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Auch dieser Text ist einer derjenigen, der es knapp nicht in die Bepunkteten geschafft hat.
Das kann leider daran liegen, dass es einen ähnlichen gab, der mich mehr angesprochen hat, aber auch insgesamt konntest du bei mir nicht so richtig Spannung aufbauen.
Zitat: | Enttäuschung und Erleichterung verschmelzen in unerträglichem Konglomerat. |
Manche Sätze, wie der hier, wirkten auf mich irgendwie "gewollt eloquent", was mich zwischendurch aus der Handlung geworfen hat.
Deswegen leider keine Punkte, sorry.
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Aneurysm Eselsohr
Beiträge: 462
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23.05.2018 23:20
von Aneurysm
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Warum der Protagonist vor der spanischen Polizei flieht, auf wessen Hilfe er hofft und und mit wem er am Nachmittag geprochen hat – für mich bleiben diese Fragen auch nach mehrfachem Lesen unbeantwortet. Ich kann mich nur daran klammern, was ich über ihn weiß: Dass er in einer spanischen Küstenstadt aus dem Fenster schaut, dass er nach Amerika will und am Ende das Kommen und Gehen eines Autos beobachtet, dessen Insassen diejenigen sind, die kommen werden. Die Frage ist, wer ist zuerst gekommen – die Polizei oder seine Helfer?
Was die Machart dieses Textes angeht, bin ich zwiegespalten. Zum einen liegt der Schreibstil klar über dem Durchschnitt bei der Postkartenprosa, zum anderen ist er mir manchmal zu dick aufgetragen. Eigentlich gefällt mir die sinnliche Beschreibung am Anfang, aber dann frage ich mich, ob sie zu viel Raum einnimmt. Der Text enthält einige starke Bilder, aber auch Abgedroschenes wie das hier:
Zitat: | Die Worte schneiden in seine Eingeweide, als seien sie ein zweischneidiges Schwert. |
Jedenfalls, es gibt drei Punkte von mir.
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Terhoven Eselsohr
Beiträge: 401
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24.05.2018 21:50
von Terhoven
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Hallo Inko. Ich kann nicht ohne Stichpunktzettel
Gesamteindruck: Erinnert mich Remarque. Jemand wartet verzweifelt auf die Ausreise. Ich habe mitgefiebert.
Umsetzung der Regeln:
Thema Un-Gewissheit -- Oh ja, Kommen sie oder nicht und wenn ja, wer kommt zuerst.
Autoszene -- Gut platziert
Unklarheiten/Textliches:
Ich frage mich, was er hat. Ich hab nur Morphium entdeckt, ist er auch anderweitig körperlich erkrankt?
Der erste Satz ist mir zu sperrig. waagerecht gestellt kann doch eigentlich raus oder ist das zwingend notwendig?
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