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Diese Werke sind ihren Autoren besonders wichtig Diese lärmende Zeit


 
 
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Schnarrinator
Geschlecht:männlichWortedrechsler
S

Alter: 25
Beiträge: 51
Wohnort: Osnabrück


S
Beitrag13.04.2018 14:52
Diese lärmende Zeit
von Schnarrinator
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo,
momentan mache ich ein FSJ. Bald fahre ich auf eines der verpflichtenden Seminare, auf dem ich als Morgenimplus diesen Text vortragen möchte.
Es wäre schön, schon vorab ein paar Eindrücke zu erhalten, um sicher zu gehen , dass der Inhalt den ich vermitteln möchte, auch so rüberkommt, wie er soll.
Vorab erstmal danke fürs Lesen smile

Diese lärmende Zeit

An manchen Tagen habe ich das Gefühl zu ertrinken. Hilfesuchend treibe ich auf offener See, versuche mich an eine rettende Boje zu klammern und werde dann doch zurück in den abwärts-reißenden Strudel aus Scheinheiligkeit, Ressentiments und Hass gezogen.  

Tagtäglich versuche ich unserer lärmenden Zeit, den hysterischen Schreien, Denunzierungen und Untergangstiraden zu entfliehen. Dann werde ich still, ziehe mich ganz in mich zurück – in eine Gedankenwelt, in der Männer mit Jagdkrawatten in ihren Holzhütten bleiben und nicht polemisch aus der rechten Ecke des Bundestags pöbeln; in der ein Junge nach einem langen Schultag nach Hause kommt, um mit seinen Freunden zu spielen und nicht, um von den Wellen der Ablehnung als aufgedunsene Wasserleiche an den Strand gespült zu werden.

Ich verdränge nicht oder versuche die Probleme klein zu reden – das wäre pietätlos und feige – sondern nehme bewusst Abstand von dem grausamen Fatalismus unserer Zeit, der Gewissheit, Ohnmächtig angesichts dessen zu sein, was um mich herum geschieht, und um nicht daran zu zerbrechen.

In Amsterdam steht auf der Haupteinkaufsstraße ein kleine Kirche, die mit ihrer altertümlichen Fassade, unscheinbar wie ein alter buckliger Mann, von zwei Sandsteinriesen eingeklemmt wird. Tritt man über die Schwelle, dann eröffnet sich einem eine Welt der Stille. Der Trubel und die Hektik bleiben wie ein ungebetener, dämonischer Gast auf der Straße.
Schlagartig wird einem bewusst, wie wenig man braucht, um glücklich zu sein. Nur Ruhe und die kühle, erdige Luft der Kirche.
An diesem Ort schrumpft alles in sich zusammen und Probleme, die sonst übermächtig und unüberwindbar scheinen, werden so bedeutungslos, wie Regentropfen, die in einen unendlichen Ozean fallen.

Bilder von rigiden Politikern, die sich als Messias des archaischen deutschen Nationalstaats idealisieren, während die mit Pappschildern behängte Masse in frenetischen Beifall ausbricht;
ein Fleischermesser, das in der heißen Sommersonne aufblitzt, an die Kehle eines Journalisten drückt und sich kurz darauf rot färbt;
eine alte Frau, die auf einer Demonstration gegen die „Ehe für alle“ Homosexuelle mit zwei-köpfigen Kälbern vergleicht;
Obdachlose, die in ihren eigenen Exkrementen liegend, die Hand nach Kleingeld und Zigaretten ausstrecken und kurz darauf angezündet werden;
ein Lastwagen, der in eine Menschenmenge rast;
ein Innenminister, der die Religionsfreiheit am liebsten abschaffen und zur guten alten Zeit zurück möchte.

Über all dem liegt ein Nebel aus Stille und Ruhe, zu überwältigend ist das das Gefühl der Abgeschiedenheit in dieser kleinen Kathedrale der Einsamkeit. Nirgends ist man der Realität so fern, wie an diesem Ort.

Und dann verlässt man die Kirche und die Wirklichkeit zieht einen zurück in ihren klammernden Griff. Die Ruhe weicht der Hektik und die Bilder kommen zurück.

Wir können den Lärm der Zeit nicht ersticken, noch können wir uns seinem Sog vollständig entziehen. „Hofft auf eine bessere Zukunft“, sagen die, die resignieren und aufgegeben habe.
Denn Hoffnung ist ein trauriger Clown, der sein vom Ritalin zuckendes Lächeln im Spiegel zeigt, während ihm die weiße Schminke und der Schweiß in die Augen laufen.
Eine Illusion, die eine heile Zukunft verspricht, eine Utopie, auf der man sich ausruhen kann.


Wir können unsere Gesellschaft nicht alleine verändern.
Auch wenn wir noch so sehr versuchen das Dogma der Individualität mit teurem Kaffee, der unsere Initialen trägt, mit Instagram, Kleidung oder exotischen Reisen aufrecht zuhalten, sind wir alleine dennoch so unbedeutend, wie ein einzelnes Sandkorn am unendlichen Strand der Zeit.
Irgendwann werden wir tot sein und dann ist all das nichts mehr wert.  
Veränderungen werden immer von ambivalenten Gefühlen begleitet. Sie herbeiführen zu wollen ist genauso menschlich, wie die Angst vor ihr. Das diese Gefühle in der Waage bleiben, ist oberstes Gebot. Und nichts was bestand hat, lässt sich unmittelbar erreichen. Wir brauchen einen langen Atem, um das umzusetzen, was nötig ist, damit unsere Zukunft nicht zu der Dystopie wird, die uns Untergangsapostel tagtäglich prophezeien.  

Also lasst uns zusammenstehen. Lasst uns unsere Stimme erheben, gegen alle, die die Moral und den Anstand mit Füßen treten und vergessen haben, was es bedeutet Mensch zu sein.
Lasst uns Hass und Verachtung mit Toleranz und Güte aufwiegen.
Narzissmus und Egozentrik durch Nächstenliebe und Empathie ersetzen.
Lasst uns diese Welt zu einem Ort machen, in der jeder seinen Platz findet und glücklich seien kann.
Tolstoi sagt: „Wenn du glücklich seien willst, dann sei es“. Sein eigenes Glück zu finden und es zu einem Zustand der Permanenz zu machen, ist, was ich uns allen wünsche.
Wir haben die Möglichkeit diese Utopie Wirklichkeit werde zu lassen.
Also lasst uns die Ärmel hoch krempeln, uns an die Arbeit machen und Spuren im Sand hinterlassen, dann können wir, wenn wir alt und senil an einem Tropf hängen, sagen, dass etwas von uns übrig bleibt, dass wir unser Leben etwas größerem gewidmet haben, als uns selbst.



_________________
Read for hours a day. Write four hours a day. If you cannot find the time for that, you cannot expect to become a good writer - Stephen King
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zomb23
Gänsefüßchen
Z


Beiträge: 36



Z
Beitrag13.04.2018 16:52

von zomb23
Antworten mit Zitat

Hi Schnarrinator,

Ich finde den Schreibstil gut. An einigen Stellen für meinen Geschmack etwas zu viel Pathos aber das ist ja vermutlich gewollt.

Mich stört allerdings die Negativität des Textes. Ich verstehe schon: Alles ist schlecht, keiner kümmert sich, wir packen das an.

Der "Alles ist schlecht"-Teil ist zu übertrieben in meinen Augen und am Ende wirkt es eher demotivierend. Auch die Zukunftsaussicht im letzten Satz, dass man später senil am Tropf hängt macht traurig anstatt zu motivieren.

Ich fände es gut, auch etwas positiveres zu hören. Es ist ein größerer Anreiz eine Welt neu zu gestalten in der man dann auch gerne noch ein paar Jährchen lebt, als "Spuren im Sand zu hinterlassen" von denen man dann als seniler Opa seinen Enkeln erzählt (zumal Spuren im Sand auch nicht das beste Bild ist, weil die vermutlich nicht all zu lange zu sehen sind).

Also, ein bisschen weniger Pathos, ein bisschen weniger "wir gegenden Rest der Welt", ein bisschen weniger "Kampf gegen Windmühlen". Dafür ein bisschen mehr Optimismus, das Bewusstsein, dass es auch Gutes gibt und der Stein für eine "Wende" vielleicht schon im Rollen ist. Vielleicht auf andere Projekte eingehen, die schon begonnen haben zu "kämpfen" und dabei Erfolg hatten.
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Mardii
Stiefmütterle

Alter: 64
Beiträge: 1774



Beitrag13.04.2018 17:25

von Mardii
Antworten mit Zitat

Hallo Schnarrinator,

so für mich selbst gelesen erscheint mir der Text sehr sprunghaft. Zuerst klingt er wie ein Stück Prosa, dann, ab der Hälfte verfällt er in den Ton einer Rede, Ansprache. Mit verschiedenen Betonungen vorgetragen, kann ich mir vorstellen, dass er eine überzeugende Wirkung haben kann.
Sprunghaft vor allem in der Darstellung der Kirche und der Politiker. Dabei kann dieser Wechsel zwischen den verschiedenen Themen eine interessante Wirkung haben. Es kommt wie gesagt auf den Vortrag an.

Du hast den Text unter anderem in die Kategorien Aphorismus und Allegorie eingeordnet. Beide kann ich in dem Text nicht finden.
Unter Aphorismus versteht man einen kurzen Sinnspruch, eine Lebensweisheit. Z.B.: In unserem Zeitalter sind nur unnötige Dinge unbedingt nötig. Oskar Wilde.
Unter Allegorie versteht man z.B. die Darstellung der Justitia mit verbundenen Augen und Schwert und Waage in den Händen.

Vielleicht wirkt es doch besser wenn du dich an eine literarische Form hälst, vielleicht wird es dadurch aber auch langweilig. Versuche mal Rückmeldungen nach einem Vortrag zu bekommen.

LG Mardii


_________________
`bin ein herzen´s gutes stück blech was halt gerne ein edelmetall wäre´
Ridickully
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RememberDecember59
Geschlecht:weiblichKlammeraffe


Beiträge: 507
Wohnort: Franken


Beitrag14.04.2018 17:09

von RememberDecember59
Antworten mit Zitat

Lieber Schnarrinator,
der Text sprüht nur so vor jugendlichem Pathos. smile Vor 10 Jahren habe ich ganz ähnlich geschrieben, allerdings habe ich dafür regelmäßig eins von meinem Deutschlehrer auf den Deckel bekommen. Laughing
Ich will dir das nicht ausreden (denn meinen Deutschlehrer habe ich damals dafür gehasst, dass er es bei mir versucht hat, auch wenn ich ihn mittlerweile verstehe), aber darauf hinweisen, dass das für manche etwas zu viel sein könnte. Schwer zu sagen, weil ich dein Publikum ja nicht kenne.
 
Was ich für einen Vortrag etwas problematisch finde, sind die vielen Metaphern und Vergleiche. Ich sehe die Gefahr, dass die Zuhörer da nicht immer gut folgen können und am Ende des Satzes gar nicht mehr wissen, wie er angefangen hat bzw. worum es gerade eigentlich ging. Vor allem, wenn der Satz dann noch lang ist, so wie z.B. hier:
Zitat:
Dann werde ich still, ziehe mich ganz in mich zurück – in eine Gedankenwelt, in der Männer mit Jagdkrawatten in ihren Holzhütten bleiben und nicht polemisch aus der rechten Ecke des Bundestags pöbeln; in der ein Junge nach einem langen Schultag nach Hause kommt, um mit seinen Freunden zu spielen und nicht, um von den Wellen der Ablehnung als aufgedunsene Wasserleiche an den Strand gespült zu werden.

Es hängt sicher auch von deinen Fähigkeiten als Redner ab, ob dein Publikum am Ende, wo er das Bild der Wasserleiche im Kopf hat, noch weiß, dass es dir gerade eigentlich um deinen Rückzug geht. Aber auch von diesem Beispiel abgesehen, vermittelt der Text zwar sehr viele bildhafte Eindrücke, aber die Botschaft, um die es dir wahrscheinlich geht, kann darin schnell untergehen. Beim Lesen hat man das Problem nicht, aber das Publikum hat den Text nicht vor sich liegen, das solltest du nicht vergessen. Ein weiteres Beispiel, wo ich mir nicht sicher bin, ob die Zuhörer dir folgen werden, ist diese Stelle hier:
Zitat:
Wir können den Lärm der Zeit nicht ersticken, noch können wir uns seinem Sog vollständig entziehen. „Hofft auf eine bessere Zukunft“, sagen die, die resignieren und aufgegeben habe.
Denn Hoffnung ist ein trauriger Clown, der sein vom Ritalin zuckendes Lächeln im Spiegel zeigt, während ihm die weiße Schminke und der Schweiß in die Augen laufen.
Eine Illusion, die eine heile Zukunft verspricht, eine Utopie, auf der man sich ausruhen kann.

Das funktioniert in geschriebener Form, aber ob der Clown bei den Zuhörern am Ende noch als Bild für Hoffnung in Erinnerung ist oder eher zur Verwirrung führt, weiß ich nicht so recht. Wie gesagt, das hängt sowohl von dir als auch dem Publikum ab. Ich wäre etwas sparsamer mit Stilmitteln, weil ich glaube, dass einfach formulierte Botschaften leichter ihren Weg ins Bewusstsein finden.

Inhaltlich finde ich den Vortrag nicht sehr berauschend, um ehrlich zu sein. Denn er bleibt meiner Meinung nach recht unkonkret. Es geht um Moral im Allgemeinen, aber mir wird da ein bisschen viel in einen Topf geworfen. Auch am Ende, als es darum geht, was man denn jetzt tun müsste. Ich würde eher versuchen, die Zuhörer da zu packen, wo sie selbst jeden Tag Erfahrungen machen, damit das Thema für sie greifbarer ist.
Was mich außerdem irgendwie gestört hat, ist, dass der Redner am Anfang selbst noch davon spricht, dass er sich von der Welt zurückzieht. Und später dann ruft er aber andere zum Aktivwerden auf und spricht davon, dass Resignation nichts bringt. Das finde ich rhetorisch nicht sehr geschickt.

Mir ist klar, dass der Vortrag nur ein kleiner Impuls sein soll, aber dafür erscheint mir das Ganze als fast ein bisschen too much. Ich kann wie gesagt schlecht einschätzen, wie das ankommen wird, deshalb musst du selbst entscheiden, wie du das am Ende machst. Aber ich persönlich glaube, einen Gang runterzuschalten, sowohl stilistisch als auch inhaltlich, würde nicht schaden.

Soweit meine bescheidene Meinung dazu. Ich hoffe, du kannst mit meinen Anmerkungen was anfangen. smile


_________________
Bartimäus: "...-was ist das?"
Kobold: "Hätte mich das jemand anders gefragt, o Herr, der ihr Schrecklich und Unübertrefflich seid, hätte ich ihn einen Dummkopf genannt, bei Euch jedoch ist diese Frage ein Zeichen jener entwaffnenden Schlichtheit, welche der Born aller Tugend ist. ..."

Bartimäus I (Jonathan Stroud)
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