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Teil 28 Die Wurzeln


 
 
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teccla
Geschlecht:weiblichLeseratte

Alter: 66
Beiträge: 160
Wohnort: Costa Blanca


Was suchst Du in Madagaskar?
Beitrag24.05.2008 11:11
Teil 28 Die Wurzeln
von teccla
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Als Rondro zu mir auf den Parkplatz kam, berichtete sie mir aufgeregt, wir sollen zum Präfekten kommen, er wird uns mit einer Visumverlängerung über 3 Monate (pro forma) helfen. Und zum nächsten Termin mit dem "Blocker-Beamten" soll der Vizegouverneur mitkommen, damit dieser Beamte keine weiteren Schwierigkeiten machen wird.
Auf dem Heimweg vom Verwaltungsgebäude kam mir ein Spruch in den Sinn, den meine Mutti immer sagte: "Immer wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her"

Wer muss nicht mit Rückschlägen fertig werden? Da glaubten wir, den richtigen Weg zu gehen, hatten Vertrauen und doch ging nichts voran. Türen waren verschlossen.
Dieser Weg führte mich hierher. War es eine Sackgasse?
Hatte mein Glück mich verlassen? In welche Richtung ging es weiter? Wohin sollte ich jetzt gehen? Immer neue Hindernisse bauten sich auf. Doch jedes Mal, wenn ich aufgeben wollte, begegnete mir ein Mensch, der half. Passierte etwas oder traf ein Ereignis ein, das mir neue Hoffnung gab.
Ich hatte das Gefühl, jemand leitet mich durch ein Parcours aus Hindernissen. Immer wenn ich nicht mehr aufstehen wollte, reichte er mir die Hand und öffnete eine andere Tür.

Der Druck wurde größer. Unser Geld würde nicht reichen. Wir hatten über die ganze Zeit trotzdem Miete für die Geschäftsräume zu zahlen. Die Autos waren noch immer nicht verkauft. Viele Leute sahen sich die Fahrzeuge an, interessierten sich, doch zum Verkauf kam es nicht.
Ich war überzeugt, es war einfach nur wichtig, die kommenden Wochen zu überstehen. Wenn endlich die Autos verkauft werden, hätten wir Land in Sicht und könnten wieder durch atmen. Ich spürte auch die Gewissheit, alles wird gut.

Sebastian und ich hatten kein Geld. Von Gunter und Jan bekamen wir nichts.
Morgens wachten wir auf und hatten Hunger.
Meine täglichen Zigaretten teilte ich mir ein. Wir schlugen uns durch. Mit Brochette’s (kleine Fleischspieße) wurde man auch satt und eine Cola teilten wir uns. Ein Baguette kostete nur 1000 FMG (ca. 15 Cent).
Außerdem war es lustig unter Madagassen auf Holzbänken zu sitzen und zu essen. Es schmeckte. Und sie lachten mit uns, wenn wir unsere paar madagassischen Wörter an den Mann brachten. Ich war ein Sprachgenie, konnte ich doch mit vier Sprachen in einem Satz um Zigaretten bitten. Ein Kauderwelsch aus Englisch – Deutsch – Französisch - Madagassisch, aber sie verstanden mich. Nicht zu letzt weil ich auf die Zigaretten zeigte.

Saßen wir mit den Familien zusammen am Holztisch auf der Straße, konnten wir beobachten, wie die Alten verehrt wurden.
Man griff erst zu, wenn der Älteste zugelangt hatte. Es war nicht nur Anstand. Es war nicht nur, weil "man es eben so macht". Nein, es war Respekt und Hochachtung. Erhob ein alter Mensch das Wort, schwiegen die anderen. Gespräche verstummten. Es gab weniger alte Menschen als in Deutschland, doch diese wurden respektiert und geachtet.
Ich fragte Rondro, „Warum?“ Sie sah mich erstaunt an und meinte: "Es sind meine Vorfahren, meine Ahnen. Ich würde meine Wurzeln treten."
"Ich würde meine Wurzeln treten" über diese einfachen, unbeholfenen Worte musste ich lange nachdenken. Ich sah vor meinem inneren Auge die Pflegestation meines Vaters. Ich sah die Rentner in Deutschland und die Reportagen aus Altenheimen, die Bundestagsdebatten zur Rentenproblematik. „Ich würde meine Wurzeln treten."

Respekt und Hochachtung wurde nicht nur durch höfliches Verhalten gezeigt, auch die Körpersprache musste man verstehen lernen. Einige Beispiele, die man hier als "Weißer" täglich beobachten konnte.
Ging jemand an dir vorbei, so zog er im Gehen die Körperhälfte, die dir zugewandt war, herunter, als würde er etwas aufheben wollen. Der Arm zeigte nach unten, die Hand war dabei flach ausgestreckt, mit der Außenseite zu dir.
Oder es gab dir jemand etwas, der dir Respekt zollt. So reichte er es mit der rechten Hand, wobei die linke an seinen rechten Arm greift. Es sah aus, als würde die linke Hand den rechten Arm stützen wollen, als wäre das, was er dir geben wollte, sehr schwer.
In Deutschland sagten wir, wenn man mit jemandem spricht, er dir nicht in die Augen schaut, es sei ein Hinweis auf Falschheit. Hier war es ein Ausdruck von Hochachtung, wenn dein Gegenüber den Blick senkte und dir im Gespräch nicht in die Augen schaute, dir nicht ins Gesicht sah.

Ein anderes Indiz für Respekt war das Verkreuzen der Arme. Sie standen vor dir, die Arme verschränkt. Wir würden diese Haltung als Zeichen sehen "Ich bin verschlossen." Nein, hier war es die Haltung eines Kindes gegenüber dem Lehrer, anerzogene Grundhaltung. Auch bei Erwachsenen gegenüber einer Respektsperson konnte man dies sehr häufig beobachten.
Ein weiterer Unterschied war der Händedruck. In Deutschland gilt es als dynamisch und selbstsicher, einen festen Händedruck zu haben. Hier war es unhöflich und respektlos.

Ich löste meine angesparten Bausparverträge auf. Doch das Geld ließ auf sich warten. Meiner Freundin schickte ich die Unterlagen, um den Lohnsteuerjahresausgleich beim deutschen Finanzamt abzugeben. Cindy schickte mir Geld nach Madagaskar, streckte mir etwas vor. Sebastian und ich konnten aufatmen.

Endlich kamen ernsthafte Interessenten für den Opel. Dieses Auto wollten wir eigentlich selbst fahren. Aber für die Transporter fand sich kein Käufer. Also verhandelten wir um den Opel. Es war lustig mit den Leuten, sehr nette Madagassen. Das Handeln machte mir Spaß. Anfangsangebot waren 14 Mio FMG, mehr als 16 Mio FMG wollten sie auf keinen Fall bezahlen. Ich erlangte den Preis von 18 Mio FMG und war zufrieden. Nun musste ich lernen den VW T2 zu fahren und ein zu parken.
Der Autokauf zog sich über eine Woche hin. Die Kaufverträge mussten beim Rathaus beglaubigt werden. Wieder unzählige Papiere auch vom TÜV und der Zulassungsstelle.
Der Mann vom TÜV übersah den "Schein", den Jan in die Papiere gelegt hatte und machte Schwierigkeiten ohne Ende. Der Opel hatte "frischen" deutschen TÜV. Aber er bemängelte die Bremsen.
Dazu muss man erläutern, wie der Bremstest in Madagaskar aussah:
Auf der Straße fuhr man ein Stück und musste dann bremsen. Dabei erkannte der Fachmann die den Zustand der Bremsen.
Jan war am Durchdrehen. Computerbelege vom Bremstest in Deutschland kannte man hier nicht und zeigten keine Wirkung.

Dieser Beamte wurde zwei Jahre später wegen Korruption verurteilt und musste eine Haftstrafe von einigen Jahren antreten. Die neue Regierung setzte Zeichen.

Ich musste Abschied nehmen vom Opel. So viele schöne Erinnerungen. An die Avus, an Berlin, an Jan, an Deutschland.
Gunter sagte treffend: „Besser du nimmst vom Opel Abschied, als dass wir von Madagaskar Abschied nehmen müssen.“
Stimmte auch wieder.

Vor der Übergabe fuhr ich den Opel noch mal in die "Waschanlage": Fünf Arbeiter, die putzten. Der Opel wurde richtig schön sauber und lachte mich strahlend an.
Die Autokäufer brachte das Geld. Rondro hatte die vom Rathaus beglaubigten Kaufverträge. Es wurde ernst. Vor mir lagen 18.000.000 FMG (ca. 2600 Euro). Ich zählte nach und brachte den Stapel kurzer Hand in ein anderes Zimmer. Versteckte es im Katzenkorb. Man konnte ja nie wissen.
Als alle gegangen waren. Gab es einen kurzen Wortwechsel mit Jan. Er baute die Musikanlage ab und den Fernseher und fuhr wutentbrannt mit dem VW-Transporter davon. Sebastian und ich fuhren mit dem Taxi ans Meer in ein Beachlokal zum Essen.
Wir trafen dort Gunter. Die Stimmung war gelöst, es wurde viel gelacht.
Sebastian und ich gingen hinunter zum Wasser, um zu sehen, wie warm es war. Eine Welle erwischte uns. Wir wurden pitschnass.
Ich fühlte mich irgendwie erleichtert, von Traurigkeit keine Spur.
Vielleicht musste das alles erst passieren, damit es endlich losgehen konnte. Ich denke, wir wurden geführt und das zu unserem Besten.

Zeiten, in denen nichts richtig voran geht, können Phasen des Kraft tankens sein, aber ebenso kann es sein, dass erst bestimmte Dinge passieren müssen oder bestimmte Situationen einer Klärung bedürfen, bevor "die Handbremse gelöst und der erste Gang eingelegt wird".

Mit Jan wurde nur noch geschäftlich geredet, nicht mehr privat. Tagsüber, wenn die Mädels da waren, tat er so, als sei alles in bester Ordnung. Selbst Rondro wußte nicht, dass er schon lange nicht mehr bei mir wohnte.

"Es ist schon okay, es tut gleichmäßig weh. Es ist Sonnenzeit. Und der Mensch heißt Mensch, weil er irrt und weil er kämpft, und weil er hofft und liebt, weil er mitfühlt und vergibt, und weil er lacht, und weil er lebt, du fehlst..." (Herbert Grönemeyer)



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