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Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Antiquariat -> Zehntausend 12/2017
Windblütig

 
 
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poetnick
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 62
Beiträge: 834
Wohnort: nach wie vor


Beitrag27.12.2017 20:00
Windblütig
von poetnick
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.

Windblütig

Angekommen wo
Drift die Strände versetzt,
altes Kinderspiel:
springen wir  
dem Klopfen der Herzen zugleich?



Tito tot, vorher noch Bein amputiert („Bild“).

Gastarbeiter zückt Messer im Abteil – „Du Hitler?“...“Du Partisan?“...lachen, Hahaha. Salami wird geteilt. Jugoslawien durchquert. Ljubljana – Zagreb – Belgrad – Skopje
TakTak, TakTak, TakaTak

Vater war hier nie. Ich halte lieber die Klappe, Mai 1980.

Mit Milchbart im Tiger - Unternehmen ‚Frühlingserwachen‘, März ´45, Panzerdivision. „Du hörst es nur Prasseln und Hämmern, 2cm-Geschosse, dann Treffer durch PaK, der Ivan hat die Ketten zerschossen, raus! Budapest war schon in Sicht.“

Sitze in Fahrtrichtung, lausche.
Zugabteile wären noch Klangräume, die den Takten des Lebens etwas hinzufügen könnten. Im Großraumwagen verlaufen die Begegnungen passager. Gestaffelte Sitzrichtung für freie Blickkorridore. Die ewig flache Symphonie des Schienenstranges der, bespielt von Hochgeschwindigkeitsrädern, nur noch ganz entfernt das Schwingen, die Reibung eines Resonanzkörpers spürbar werden lässt; womit die Bewegung zum Ziel zu einer Illusion des Zeitstrahls ohne Antrieb und Anstrengung gerät.
Reiserauschen an Bord des ICE - ein Teilchenbeschleuniger, doch wo ist ein Vis a Vis für das Tete a Tete der Kollisionen?
Tonkabohne als Dessertbesatz im Bordbistro, Exotik kehrt über den Gaumen ein...“Our next stop is Mannheim“...so nice!

TakTak, TakTak, TakaTak, das Material, die Seele des Zuges, pulsiert im schleppenden Crescendo des Hellas-Express, ‚Reststrecke‘ Thessaloniki – Athen, durch Zentralmakedonien, in die Ebenen Thessaliens.
Mit Schorsch (Georg) und anderen Interrailern aus Platzmangel im Gepäckwagen. „Absolute Härte Alter, fast wie bei Kerouac.“ Jacks hybride Spätsaat unterwegs, die gut gedüngt, einen keimenden Blick aus ihrem Folientunnel wagt.  

Sterne, von den alten Griechen zu Bildern montiert, an den Himmel geheftet, dass es wirklich auch der letzten Banause das Maul aufsperrt.
 Maya liebt die alten Mythen. Die eitle Kassiopeia, Perseus, der ihre fahle Tochter Andromeda vor dem Meeresungeheuer rettet. Flucht mittels Flügelschuhen. Christos, gestenreich beim Vermitteln der Himmelsgeschichte. „Yes, yes a winged pair of shoes.“ „Really, what a thrilling story!“
„Da oben steht schon alles geschrieben, was je stattfinden wird.“
 Unsere Gesichter ganz nah, Haare im Fahrtwind suchen die Berührung, mal peitschend, mal streichelnd, der Geruch von Zypressen geht diese unauslöschliche Verbindung mit ihrer Gestalt ein.
Die Rosenwangige, Unverbildete und der Tapps mit der Sternkarte im Kopf am offenen Fenster zum Kosmos. In der Ferne zieht das Massiv des Olymp vorbei. Ihr Aquamarinauge spricht in dieser Nacht. Die Gewässer, die Seen Finnlands haben eine Emissärin entsandt; die Bühne steht. Keine absichtliche Berührung! - zu zart, zu filigran das Ganze, meldete der Regisseur dem vibrierenden Körper.
Die Köpfe draußen.  
Das TakTak, TakTak, TakaTak des Zuges klingt hier gehoben, metallischer, der Dichte des Augenblicks angemessen.
Schorsch und Kathi, die Dunkeläugige, zwischen Gepäckstücken, befinden sich in innigem Endkampf, packen aus, finden einander. Sein Blick streift mich: „Und, wie sieht es aus, Alter – haste ´ne Schnitte, heute Nacht?“

Our next stop is Frankfurt... kein Umsteigen. Richtung stimmt.

Goebbels-Schnauze; März: ’45: „Pardon wird nicht mehr gegeben!“

„Wenn der Russe heute angreift, haut er durch bis zum Atlantik!“
 Die Eckbank knarrt, Vater scharrt während des Menetekelns mit den Schuhen, als wenn er gleich loslaufen müsste.
„Bei hoher Schussfrequenz ist die Luft in der Büchse so beißend, du weißt nicht, ob es schon irgendwo brennt – kaum Sicht, darum sitzt eben der Funker mit drin, Morsezeichen für den ehernen Sarg...kurz, lang, kurz, lang: Na ja, über kurz oder lang bist du  am Arsch.“ Lacht.
Ein Zug ‚Ernte 23‘ füllt seine Lungen.

Odysseus zog sich den Zorn Poseidons zu. Telemachos, der prächtige Bengel, begann im Alter von 20 Jahren mit der Suche nach seinem Vater.
Athene an seiner Seite vermittelt die Befreiung aus Kalypsos sieben Jahre währender, herrischer Liebschaft.

Keine Träne mehrt den Ozean,
mehr als dieser kann sie doch bewegen.


„Dieses Sentimentale, am Wasser gebautes Schwelgen und Schwellen, entleert den Sack, nur über eine höher gelegte Drainage. Warum nicht gleich ehrlich zur Sache kommen?“ Ach Schorsch, halt einfach mal die Fresse! Er hatte diesen Wilhelm Reich mit im Gepäck.

„We stay on our parents, first I like travelling round the world, bevor I will start some studies;  maybe next stop - Finland. Hahaha.“
 Backpacker-Englisch
Christos, do the Greeks still believe in Zeus?
No, not anybody, but: Bedeutsam weist der Lockenhäuptige im funzeligen Licht Richtung Olymp, „He is still there...“. Schweigen, suchende Blicke, sein Hemd beginnt sich peristaltisch, schneller werdend, zu heben und zu senken, Christos droht zu kippen. Lachen, Hahaha.
Der Grieche an sich hat schon Humor.
Leben in Gleitzeit. Pro Wagen zwei rote Hämmer – die einzige Möglichkeit ein Fenster zu öffnen.  
TakTak, TakTak, TakaTak - das ist der rhythmische Vortrag von Stille. Die Zwischenräume sind entscheidend. Dem ICE geht jede Taktung ab. Verliert sich im Rauschen von Air-Condition und Restreibung der Gleitlager. Es ist dieser Einklang, der jegliche Empfindung nivelliert; die Abwesenheit eines beständigen Widerhalls von irgendetwas.
Stille vernimmt sich im Pulsieren, dem ewigen Moment vor dem nächsten Impuls. Das hier ist einfach der schläfrige Betriebston rhythmischer Leere.
Am Ende fällst du in sie hinein, als sei alles nur ein Traum.

TakTak, TakTak, TakaTak

„Der Russe war richtig von den Socken. Damit hat er März `45 nicht mehr gerechnet. Denen ging der Arsch auf Grundeis.
 Die Türme von Budapest im Visier, dann Rückzugsbefehl, weiß der Geier warum.“

„Meinst du Platon oder Homer haben nicht gevögelt?
Alter, das ist nur dieser verklemmte Romantiker in dir. In dem Moment, wo du mit der Frau mal ´ne richtige Nummer schiebst, lässt du als Erster den ganzen geistigen Schwellkörper im Regal stecken.“
 Schorsch erfasst alle Lebensäußerungen unter dem Primat orgastischer Potenz. Dieses klebrige Konstrukt von Wilhelm Reich, als Referenzgröße für den triebhaften Tramp.
Die Mittelmeerzypresse - ein Zwitterwesen, das Ausformungen beiderlei Geschlechts hervorbringt. Ihre Blüten ganz unscheinbar, kein Insekt wird durch optische oder andere Reize stimuliert. Sie ist windblütig.
Wäre doch die Lösung gewesen! Die Evolution hat sich verrannt – in uns. Kaum vorstellbar jedenfalls, dass ein Windblütler einen Fortpflazungskonkurrenten erschlägt.  

Nach Frankfurt erstmal pinkeln, warte ab bis alle auf ihren Plätzen sind. Ist einiges Pack  in den Zügen unterwegs. Der öffentliche Raum, eigentlich eine No-go-Area. Sobald es  brenzlig wird, würgt jeder sein letztes bisschen Courage herunter, wie einen Fetzen Papier, der eine geheime Inschrift trägt.
Schorsch. Triumphierend, breitbeinig auf den Materialkisten. Im Eck des offenen Fensters hält er seinen zuvor geschäftigen Lümmel in die Landschaft. Schifft ins goldstaubige Makedonien, den blanken Hintern in Balance haltend. „Hey Alter, hier kannst du dir vom Fahrtwind einen blasen lassen, wenigstens das!“ Kathi, die Dunkeläugige, gluckst zustimmend im Schutz ihrer Laube aus Gepäckstücken und Schlafsäcken.
Ach, Makedonien zwischen Olymp und Thermaischen Golf, die Strecke nach Piräus, Nachtfahrt. Dieses Setting aus Sternen, Bergsilhouetten, fernen Küstenlichtern. Da streuen die Gestirne noch ihre Geschichten aufs Land.
 Von hier aus befuhren die alten Griechen ihr kleines Meer, erdachten sich die ganze Welt, erträumten in Okeanos den Weltenstrom. Der Joint kreist im Postwagen. Bisschen Gras noch; auch der Cannabis ist windblütig.
Maya, dieser Name tatsächlich eine Anrufung für die Illusionen eines Betäubten? Ich konnte nicht mehr von ihrem Anblick lassen.

„Ei vesi seulassa pysy.“ * Ein konspirativer Hauch, streift die Ohrmuschel, ein Rauschen, fast wie das zaghafte Branden des Thermaischen Golfs in warmer Nacht.
 Es ist genau dieser Augenblick, der alles behält und in sich trägt, doch was hat sie denn gemeint?
 Wellen brechen sich nur schüchtern an den Gestaden Makedoniens.
Der Hellas-Express folgt seinem Rhythmus durch Thessalien Richtung Piräus.
Von da ab weiter auf Schmalspur über den Peloponnes.
Maya zieht es zu den Inseln der Sporaden.

TakTak, TakTak, TakaTak

„Fünf Jahre, mit Gefangenschaft. Konnten uns bis Österreich zum Ami durchschlagen, das Ende der Odyssee! Hat mich die ganze Jugend gekostet. Die Waffen haben wir erst am 9. Mai übergeben.“
Seine Augen fixieren ferne Ereignisse, wie durch ein Scherenfernrohr. Die Jugend darin; in ruhigen Stunden spürt er noch ihren faustischen Griff und das Herz verjüngt sich ungewollt.

Es schäumten krause Meere an die Küste meiner Jugend,
doch träumte sich durch die Gezeiten ein Fußabdruck im Sand.


„Wo sehen wir uns wieder?“ Kalamata?, OK – wir warten dort auf Euch!

 „Wovon träumst du eigentlich Nachts? Die Perle kannst Du vergessen. Hättest mehr bringen müssen, als den mythischen Budenzauber. Flügelschuhe, ja klar – die hat sie jetzt an den Füßen!“

„Hiiiiernochjemandzugestiegenbitte!“
Norddeutsche Tiefebene, die letzte Etappe, Lübeck – Travemünde.
Nachtfahrt mit der Fähre nach Helsinki.
Die Ostsee, ein Aquamarin.



* Das Wasser hält sich nicht im Sieb.

.

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lebefroh
Geschlecht:weiblichEselsohr
L

Alter: 43
Beiträge: 364
Wohnort: Berlin
Der bronzene Durchblick


L
Beitrag07.01.2018 23:48

von lebefroh
Antworten mit Zitat

Der Titel gefällt, der Text ist leider nicht meins.
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Municat
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 56
Beiträge: 353
Wohnort: Zwischen München und Ingolstadt


Beitrag08.01.2018 12:12

von Municat
Antworten mit Zitat

Lieber Autor smile

Du schaffst es von der ersten Zeile an, mich in die Geschichte zu ziehen, obwohl - oder vielleicht gerade weil - es einige Absätze lang dauert, bis ich das Wesen der Geschichte verstehe oder zu verstehen glaube.

Dein Prota sitzt in einem modernen ICE, fährt innerhalb Deutschlands von Mannheim an die norddeutsche Küste, liest Zeitung und vermisst das stetige Klackern, das Züge früher von sich gegeben haben (hier haben wir die Leere und zugleich auch die Stille aus dem Dickinson-Gedicht). Er denkt an das Geräusch, das ihm nun fehlt und erinnert sich dadurch an frühere Zugfahrten und die Dinge, die er dabei erlebt hat. Zwischendurch wandern seine Erinnerungen auch zu seinem Vater, der wohl intensive Erinnerungen an den zweiten Weltkrieg mit sich herumträgt. Der Prota lässt seine Gedanken schweifen und kommt irgendwann zu dem  Schluss, dass die Welt weit weniger brutal wäre, wenn der Mensch sich alleine aus sich selbt - also windblütig - fortpflanzen könnte, weil dann triebgesteuerte Machtspielchen nicht nötig wären.

Die Bilder, die in den Gedanken Deines Protas entstehen, sehe ich sehr intensiv. Die Art, wie Du die Dinge beschreibst, wie Du über den Gedankenstrom Deines Protas Mythologie, Geschichte und Bagpacker-Feeling verschmelzen lässt, erinnert mich an ein expressionistisches Ölgemälde.

Zitat:
Zugabteile wären noch Klangräume, die den Takten des Lebens etwas hinzufügen könnten.
Diesen Satz liebe ich!

Zitat:
Kaum vorstellbar jedenfalls, dass ein Windblütler einen Fortpflazungskonkurrenten erschlägt.
höchstens einen Konkurrenten, der ihm seinen Platz ... und damit das lebensnotwenige Sonnenlicht oder den wurzeltechnischen Zugang zum Grundwasser ... streitig macht.

Deine Geschichte mag ich wirklich sehr (* auch wenn ich die Fußnote noch nicht zuordnen kann). Gehört bisher zu meinen Favoriten. Punkte vergebe ich aber erst, wenn ich alle Texte kommentiert habe.

ediTier
7 Punkte von mir smile


_________________
Gräme dich nicht, weil der Rosenbusch Dornen hat, sondern freue dich, weil der Dornbusch Rosen trägt smile
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poetnick
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 62
Beiträge: 834
Wohnort: nach wie vor


Beitrag08.01.2018 20:22

von poetnick
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.

Tak,Tak,TakaTak...

Gute Fahrt!

.


_________________
Wortlos ging er hinein,
schweigend lauschte er der Stille
und kam sprachlos heraus
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d.frank
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D

Alter: 44
Beiträge: 1125
Wohnort: berlin


D
Beitrag09.01.2018 00:38

von d.frank
Antworten mit Zitat

Kann man bei zwei gelesenen Texten schon von einem Favoriten sprechen?
Ich tue es lieber nicht, aber ich möchte meine warme Bewunderung für diesen Text aussprechen. Er ist irgendwie hochaktuell und dabei trotzdem alten Werten verschrieben. Teilweise hat seine gewollte Unverständlichkeit oder übertriebene Wortspielerei mich stocken lassen, aber im Gesamtbild hat er mich tragen können und ich bin froh, dass mich die mitunter schwer verdaulichen Konstruktionen aus bedeutungsbehangenen Substantiven nicht endgültig vergrault haben.

Ok, also, wie hatte ich das noch mal aufgezogen?

1. Gesamtbild und Nachhall:
Hallt nach, hallt auf jeden Fall nach, genauso wie die Sehnsucht, die er beschreibt, die Sehnsucht nach dem Heimkommen.
Ein Zug wie ein zu Hause, ein Mikrokosmos der Heimatlosen. Ich habe überhaupt keine Ahnung von griechischer Mythologie und ich befürchte, nur anhand ihres Vorkommens im Text auf den Autor schließen zu wollen, aber sie steht für mich hier vor allem für den Blick zu den Sternen, in dem wir hoffen, unseren Ursprung zu finden. Ein Auswuchs unserer Zeit wird hier am Grunde betrachtet. Ich mag es, ich hoffe, ich deute es richtig und ich werde ihm auf jeden Fall Punkte geben.

2. Vorgaben und Inhalt
Hier bin ich ein bisschen unschlüssig und tendiere zum Bewusstseinsstrom. Ob der jetzt konsequent bedient wurde, keine Ahnung, aber das muss ja auch gar nicht sein, solange eben größtenteils "gedacht" wird und das tut der Denkende ja. Die Leere sehe ich im Kleinen wie im Großen und in vielen winzigen Dingen. In der Leerstelle, die der Protagonist versucht, durch Erinnerung zu füllen, in der Beziehung zu seinem Reisebegleiter, wörtlich und wortsymbolisch im Text, in der Frage nach unserem Dasein, in den Motiven travelnder Backpacker, die Leere, die unausgesprochene Gedanken hinterlassen.
Und auch dieses Zitat, das ich bei der Bewertung des ersten Textes völlig vergessen habe, finde ich beinahe zärtlich und wohlwollend abgeändert immer wieder zwischen den Zeilen, ohne dass es aufgesetzt wirken möchte.


3. Interpretation:
Ich glaube, die muss ich gar nicht mehr bringen. Der Text interpretiert sich über die Leere und seine verschiedenen Ebenen, die ich weiter oben ja schon angesprochen habe.


4. Lieblingssätze / Szenen:
Zitat:
Keine absichtliche Berührung! - zu zart, zu filigran das Ganze, meldete der Regisseur dem vibrierenden Körper.


Zitat:
Es ist dieser Einklang, der jegliche Empfindung nivelliert; die Abwesenheit eines beständigen Widerhalls von irgendetwas.
Stille vernimmt sich im Pulsieren, dem ewigen Moment vor dem nächsten Impuls. Das hier ist einfach der schläfrige Betriebston rhythmischer Leere.
Am Ende fällst du in sie hinein, als sei alles nur ein Traum.

Zitat:
Sobald es brenzlig wird, würgt jeder sein letztes bisschen Courage herunter, wie einen Fetzen Papier, der eine geheime Inschrift trägt.

Zitat:
Dieses Setting aus Sternen, Bergsilhouetten, fernen Küstenlichtern. Da streuen die Gestirne noch ihre Geschichten aufs Land.


Hier höre ich dann mal auf, weil das sonst wie Lobhudelei aussehen würde.


Wenn ich meckern möchte:
Dann über die schon genannten Wortkeulen, die mich anfänglich fast erschlagen haben und vielleicht über die eingeschobenen Vaterszenen. Mit denen bin ich ebenfalls nur sehr schwer warm geworden, weil ich sie auch jetzt noch nicht klar genug deklariert kriege. Briefe? Ausgesponnende Erinnerungen?





War da noch was? Ich weiß es jetzt nicht mehr und ich kann auch gar nicht mehr denken, also muss das bis hier erst mal reichen.


_________________
Die Wahrheit ist keine Hure, die sich denen an den Hals wirft, welche ihrer nicht begehren: Vielmehr ist sie eine so spröde Schöne, daß selbst wer ihr alles opfert noch nicht ihrer Gunst gewiß sein darf.
*Arthur Schopenhauer
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Literättin
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Beitrag09.01.2018 11:48

von Literättin
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Gedächtnisbilder - Leere.

Ein Bewusstseinsstrom, gespickt mit Gedächtnisbildern aus eigener Reise-Erinnerung und den vom Vater erzählten Erinnnerungen, ausgelöst, durch das Fehlen des getakteten Fahrgeräusches des ICE, der so benannten "Seele" im Material des Zuges - und an dieser Stelle scheitert dieser durchaus dichte, interessante und von seiner Erzählstimme auf langen Strecken gelungene Text.

Er scheitert - in meinen Augen - an diesen beiden Dingen, einem solchen Satz, der auf diese Seele des Zuges weist: "nur noch ganz entfernt das Schwingen, die Reibung eines Resonanzkörpers spürbar werden lässt; womit die Bewegung zum Ziel zu einer Illusion des Zeitstrahls ohne Antrieb und Anstrengung gerät", und der (vielleicht unfreiwillig) entstehenden Schlussfolgerung, all die anderen angeführten Zugfahrten seien von daher bereits seelenvoller, lebendiger, aufgeladen mit Sinn, Ziel und Bedeutung was in dieser Kombination in meinem Kopf quasi "ungute Lichtbögen" überspringen und entstehen lässt.

Oder hier:
Zitat:
Zugabteile wären noch Klangräume, die den Takten des Lebens etwas hinzufügen könnten. Im Großraumwagen verlaufen die Begegnungen passager. Gestaffelte Sitzrichtung für freie Blickkorridore. Die ewig flache Symphonie des Schienenstranges der, bespielt von Hochgeschwindigkeitsrädern, nur noch ganz entfernt das Schwingen, die Reibung eines Resonanzkörpers spürbar werden lässt


Als sei das im anderen "Material" grundsätzlich und in den hier gezogenen "Vergleichen" wünschenswerter in seiner Auswirkung auf genau was?

Ich entdecke eine Tendenz zur verqueren Verklärung, wo z.B. die Zugfahrt durch Jugoslawien 1980 zwar politisch angehaucht wird, durch den kurz ins Bild gehaltenen Tod des Diktators und den kleinen reduzierten Dialog, der darauf hinweist, dass ein deutscher Tourist im freundschaftlich-stichelnder Zeitkritik doch gemeinsam reisen, während der beobachtende Erzähler "besser die Klappe hält" und ich entdecke eine verquere Romantisierung in eben dem oben zitierten Seelen-Satz.

Diese "Seele" fehle dem ICE, konstatiert der Text und ungefähr im selben Augenblick springt mir der Lichtbogen zum im Text nicht vorkommenden Takt der Transportzüge der Reichsbahn in die Vernichtungslager.

Dass da die Erinnerung des Vaters, die eine fürchterliche ist, auch noch zur Verklärung neigt, ist erkennbar an seinen einerseits recht klischeehaft-derben Aussprüchen:

Zitat:
„Wenn der Russe heute angreift, haut er durch bis zum Atlantik!“
 Die Eckbank knarrt, Vater scharrt während des Menetekelns mit den Schuhen, als wenn er gleich loslaufen müsste.
„Bei hoher Schussfrequenz ist die Luft in der Büchse so beißend, du weißt nicht, ob es schon irgendwo brennt – kaum Sicht, darum sitzt eben der Funker mit drin, Morsezeichen für den ehernen Sarg...kurz, lang, kurz, lang: Na ja, über kurz oder lang bist du  am Arsch.“ Lacht.
 Ein Zug ‚Ernte 23‘ füllt seine Lungen.


Oder:
Zitat:
„Der Russe war richtig von den Socken. Damit hat er März `45 nicht mehr gerechnet. Denen ging der Arsch auf Grundeis.
  Die Türme von Budapest im Visier, dann Rückzugsbefehl, weiß der Geier warum.“
die da zwar kritisch im Text eingearbeitet sind, zudem mit Sätzen wie diesem
Zitat:
Goebbels-Schnauze; März: ’45: „Pardon wird nicht mehr gegeben!“


Dennoch bleibt diese Tendenz zur Romantisierung wie ein Dunst über diesem Text.

Auch die Reiseerinnerung des Interrailers tragen diese Tendenz in sich, dass selbst kritisch beleuchtetes gleichzeitig verklärt zu werden scheint.

Jedenfalls schleicht sich mir immer wieder beim lesen diese innere Irritation ein, die zwischen "ja, schon eigentlich" und "Nein, das geht so nicht" schwankt.

So ist da einerseits von "unverbildet" die Rede:

Zitat:
Unsere Gesichter ganz nah, Haare im Fahrtwind suchen die Berührung, mal peitschend, mal streichelnd, der Geruch von Zypressen geht diese unauslöschliche Verbindung mit ihrer Gestalt ein.
 Die Rosenwangige, Unverbildete und der Tapps mit der Sternkarte im Kopf am offenen Fenster zum Kosmos. In der Ferne zieht das Massiv des Olymp vorbei.


Gleichzeitig wirkt diese Passage so bildungsbürgerlich wie auch diese:

Zitat:
Odysseus zog sich den Zorn Poseidons zu. Telemachos, der prächtige Bengel, begann im Alter von 20 Jahren mit der Suche nach seinem Vater.
 Athene an seiner Seite vermittelt die Befreiung aus Kalypsos sieben Jahre währender, herrischer Liebschaft.


Und dazwischen befindet sich ein ganz missglücktes Konglommerat aus Romantik und "Endkampf", dass - meiner Ansicht nach - einfach grausig ist:

Zitat:
Das TakTak, TakTak, TakaTak des Zuges klingt hier gehoben, metallischer, der Dichte des Augenblicks angemessen.
 Schorsch und Kathi, die Dunkeläugige, zwischen Gepäckstücken, befinden sich in innigem Endkampf, packen aus, finden einander. Sein Blick streift mich: „Und, wie sieht es aus, Alter – haste ´ne Schnitte, heute Nacht?“


Das Ganze könnte ja wirklich kritisch sein, kritisiert und verklärt aber stets im selben Atemzug. Auch dies könnte ja ein Textansatz sein, diese Wertungsunsicherheit heute zum Thema zu machen, aber wenn es so ist, so ist es zumindest in meinen Augen nicht gelungen. Dazu ist der ganze Text zu unklar, zu vollgestopft mit "Reiseabenteuer", Krieg und Bildungsbürgersehnsüchten, die in dieser Kombination bei mir einen schalen Geschmack hinterlassen:

Zitat:
Ach, Makedonien zwischen Olymp und Thermaischen Golf, die Strecke nach Piräus, Nachtfahrt. Dieses Setting aus Sternen, Bergsilhouetten, fernen Küstenlichtern. Da streuen die Gestirne noch ihre Geschichten aufs Land.
  Von hier aus befuhren die alten Griechen ihr kleines Meer, erdachten sich die ganze Welt, erträumten in Okeanos den Weltenstrom. Der Joint kreist im Postwagen. Bisschen Gras noch; auch der Cannabis ist windblütig.
 Maya, dieser Name tatsächlich eine Anrufung für die Illusionen eines Betäubten? Ich konnte nicht mehr von ihrem Anblick lassen.


Und die romantische Reise geht weiter am Ende des Textes, in Frieden sogar mit dem Krieg des Vaters. In meinen kann das so einfach nicht funktionieren. Obwohl die Aufgabe rein technisch gelungen erfüllt ist und der Text auch sprachlich und in seiner Bauart zu den anspruchsvolleren zu zählen ist.


_________________
when I cannot sing my heart
I can only speak my mind
- John Lennon -

Christ wird nicht derjenige, der meint, dass "es Gott gibt", sondern derjenige, der begonnen hat zu glauben, dass Gott die Liebe ist.
- Tomás Halík -

Im günstigsten Fall führt literarisches Schreiben und lesen zu Erkenntnis.
- Marlene Streeruwitz - (Danke Rübenach für diesen Tipp.)
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holg
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Beitrag09.01.2018 16:55

von holg
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Erinnerungen an Zugfahrten mischen sich untereinander und mit den Erinnerungen des Vaters, der im Krieg war.

Zitat:
TakTak, TakTak, TakaTak - das ist der rhythmische Vortrag von Stille. Die Zwischenräume sind entscheidend. Dem ICE geht jede Taktung ab. Verliert sich im Rauschen von Air-Condition und Restreibung der Gleitlager.


Was mir gefällt: Dieses fragmentarische (war ein anderer Wettbewerb hier). Die verschiedenen Ebenen, die meist sehr deutlich zu trennen sind, aber an einzelnen Stellen unscharf ineinander laufen. Die konsequente Nicht-erklärung dessen, was ich lese. Die Selbstverständlichkeit, mit der erzählt wird.

Wo ich zweifle: Diese Weltkriegsgeschichte will sich nicht fügen. Als Erinnerungs-Pop-up, hervorgerufen durch die Abwesenheit von [was genau?] kommt es sehr früh.

5 Punkte.


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hobbes
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Beitrag11.01.2018 14:54

von hobbes
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Der Text Prota und ich finden leider keine gemeinsame Wellenlänge. Das ist ein bisschen so wie mit den Leuten, die man eigentlich nett und interessant findet, aber es bleibt dann doch immer eine gewisse (vermeintlich?) unüberbrückbare Distanz. Weil der andere eine ganz andere Sprache hat, so dass ich zum einen nicht verstehe, also rein inhaltlich/thematisch, zum anderen aber auch nicht verstehe, so hinter den Worten, was er mir eigentlich sagen will. Weil er sich für ganz andere Dinge beigeistert/interessiert als ich und ich einfach nicht kapiere, warum, wieso, weshalb (er sich begeistert/interessiert).

Dazwischen dann allerdings immer so ein Fetzen, der dann doch bei mir ankommt, bei dem ich denke, ich sollte mich mehr anstrengen, es noch einmal versuchen, aber am Ende bleibt es dann doch hauptsächlich eins, nämlich anstregend.
Lieber Text, ich wünsche dir, dass du geneigtere Leserinnen als mich finden wirst.
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RememberDecember59
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Beitrag11.01.2018 16:32

von RememberDecember59
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Liebe/r Verfasser/in,
ich musste mich anfangs ein bisschen durch den Text kämpfen. Das war es aber absolut wert, denn je öfter ich ihn lese, desto mehr kommt bei mir an und desto besser gefällt er mir. Die Sprache finde ich manchmal etwas umständlich, dafür vermittelt der Text wirklich stimmungsvolle Gedächtnisbilder. Thema und Motto sind getroffen und ich glaube, dass das Punkte geben wird.

***

Nach dem Lesen und Kommentieren der anderen Texte habe ich mich dazu entschieden, 4 Punkte zu geben.


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Bartimäus: "...-was ist das?"
Kobold: "Hätte mich das jemand anders gefragt, o Herr, der ihr Schrecklich und Unübertrefflich seid, hätte ich ihn einen Dummkopf genannt, bei Euch jedoch ist diese Frage ein Zeichen jener entwaffnenden Schlichtheit, welche der Born aller Tugend ist. ..."

Bartimäus I (Jonathan Stroud)
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Jenni
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Beiträge: 3310

Das goldene Aufbruchstück Die lange Johanne in Gold


Beitrag14.01.2018 14:13

von Jenni
Antworten mit Zitat

Dieser Text setzt für mich am besten die Erzählstrategie des Bewusstseinsstroms um. Der ganze Text ist ein gekonntes Geflecht aus Gehörtem, Gesehenem, Erinnertem, Assoziationen, eigenen und fremden Gedanken die sich vermischen und weitere Erinnerungen hervorrufen, das ist großartig gemacht.
Primär lese ich von einer Zugreise, aber eine Zwischenreise, eine Weiterreise von einem neuen Ort zum anderen, ein Moment von vielen. Erinnerungen an Begegnungen unterwegs und in Griechenland, was offenbar die letzte Station der Reise war, aber immer auch vermischt mit und beeinflusst durch Erzählungen Anderer.
Bislang kann ich noch nicht das durch die Themenstellung geforderte und durch Leere ausgelöste Gedächtnisbild identifizieren. Weil ich da keine Leere spüre, sondern eher das Gegenteil, eine Überfülle an Eindrücken und Wahrnehmungen und Erlebnissen, die kaum in eine Ordnung zu bringen sind und (noch) nicht verarbeitet werden können, vom Erzähler nicht und auch nicht von mir als Leserin. Aber dann steige ich vielleicht nur nicht durch, lasse vielleicht ich mich ablenken - dem Text traue ich das zu.
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Angst
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A
Beitrag14.01.2018 14:44

von Angst
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Hmmmmm. Eigentlich sollte ich diesen Beitrag gut finden.
Backpacker-Szene. Kerouac. Da hast du mich. Theoretisch.
Aber ein grundsätzliches Problem stösst mich von diesem Text ab.
Da ist dieses Gefühl des Erzwungenen. Des Prätentiösen.
(Ich mag diesen Begriff überhaupt nicht, aber hier passt es, leider, finde ich.)
Einige Sätze gehen nicht auf. "Erotik kehrt über den Gaumen ein", zum Beispiel. Wieso so sperrig?
Auch das hier ist seltsam affektiert: "Bedeutsam weist der Lockenhäuptige im funzeligen Licht Richtung Olymp".
Das ist einer der Texte, den ich unbedingt noch einmal lesen muss.
Aber im Moment finde ich keinen Zugang zu den hier beschriebenen Eindrücken.

0 Punkte, sorry.


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»Das Paradox ist die Leidenschaft des Gedankens.«
— Søren Kierkegaard, Philosophische Brosamen,
München: Deutscher Taschenbuch Verlag, S. 48.
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Eredor
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Goldene Harfe Pokapro III & Lezepo I


Traumtagebuch
Beitrag15.01.2018 16:53

von Eredor
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Ich finde ja ein Überstrapazieren mythologischer Bezüge in der Literatur so out. Wieso macht man das? Um literarischer zu wirken? Um sich Geschichten zu bedienen, die man selbst nicht geschrieben hat? Das ist kein Angriff, ich frage mich das wirklich. Weil mich das nie besonders interessiert hat, und ich die Mythologie überhaupt nicht außergewöhnlich finde, sondern nur unnötig kompliziert. Viel Namen um Nichts, und das gerade heute, wo sie so gar nicht mehr in unsere Zeit passt. Du merkst, mich macht das regelrecht zornig, weil ich dem Text gerne viele Punkte gegeben hätte. Er schafff Atmosphäre. Oder er versucht es, weil diese tolle, eigenwillige, montagenhafte Sprache immer wieder von diesen blöden mythologischen Bezügen zerstört wird - da helfen auch die Äußerungen und Wertungen der Protagonisten nichts.. Schade, eigentlich. Ich hätte mir sehr gewünscht, dass du auf deine eigene Sprachwelt, deine eigenen Geschichten vertraut hättest. Dann wäre daraus vermutlich ein Text geworden, dem ich 12 Punkte gegeben hätte. Aber so...für mich untragbar. Nichts für ungut.

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"vielleicht ist der mensch das was man in den/ ersten sekunden in ihm sieht/ die umwege könnte man sich sparen/ auch bei sich selbst"
- Lütfiye Güzel
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Nihil
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Moderator
Alter: 34
Beiträge: 6039



Beitrag15.01.2018 22:24

von Nihil
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Auch einer der Texte, die Punkte bekommen müssen, auch wenn sich dieser - gerade gegen Ende - schon sehr gern selbst reden (in Gedanken vorgelesen?) hört. Interessant wird, ist und bleibt der Text durch die eigenwilligen Verbindungen zwischen neutraler Perspektive, die sich in Tatsachenbekundungen und den Dialogen vor allem darstellt, aber auch der Bwsstr.-Technik, die verschiedenste Themen, die dem/n Erzähler/n (?) während der Zugfahrt durchs Hirn düsen, miteinander verbindet.

Manchmal kommt's mir leider schon ein wenig kluggeschissen vor, was einem hier so mitgeteilt wird, Da hätte es bessere Methoden gegeben, klug zu sein, ohne gar so prahlerisch zu wirken. Aber so wild ist's dann (für mich) letztlich auch wieder nicht.
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Heidi
Geschlecht:weiblichReißwolf


Beiträge: 1425
Wohnort: Hamburg
Der goldene Durchblick


Beitrag16.01.2018 13:43

von Heidi
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Ich lese hier weder einen Bewusstseinsstrom noch einen Text mit personalem Erzähler, dafür reise ich mit einem Ich-Erzähler durch Europa und lasse mir erklären, was er entdeckt, welche Gespräche er führt und wie er diese Dinge dann mit Erinnerungen an seinen Vater verknüpft (zumindest verstehe ich gewisse Abschnitte so). Das alles ist sprachlich sehr ausgereift, ich lese hier einen "entwickelten Stil", aber insgesamt handelt es sich um eine Geschichte, die zwar perfekt konstruiert wurde, aber nicht um Gedanken, die nach dem Lesen ein konkretes Bild von Leere ergeben.
Das Motto wurde im Text mehr oder weniger in einem Abschnitt abgeabeitet, wird aber weder durch Rhythmus noch durch Wortspielereien oder sonst irgend etwas Ausgefallenes spürbar.
Ein guter Text, der die Atmosphäre auf Achse gekonnt wiedergibt, mit interessanten Figuren und einer ausgereiften Sprache, der aber meiner Meinung nach weder Thema noch Motto transportiert, wodurch am Ende kein "Gedanken"-Bild übrig bleibt, was hauptsächlich an der Art des Erzählens liegt.

Eigentlich hatte ich für dich drei Punkte vorgesehen. Wegen der Sprache, wegen der Atmosphäre. Jetzt habe ich mich aber spontan dazu entschlossen, die an einen anderen Text zu vergeben.
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Schlomo
Geschlecht:männlichEselsohr

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Wohnort: Waldperlach


Beitrag16.01.2018 23:35

von Schlomo
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Das bringt einen Erinnerungsflash an die 80er Jahre. Das steckt mehr drin, als ich erwartet hatte. Gekonnt! Durchdacht! Ich mag die Sprache, die mich zum Stolpern bringt. Es kommen Erinnerungen an meinen Onkel aus Jugoslawien auf, an Geschichten, die in der Familie nur angedeutet, aber nie erzählt wurden. An seinen Kampf als Partisan gegen die Nazis, an die KZs, an die eintätowierten Nummern, und daran, wie Bedeutungslos das alles mit der Zeit wird.

Geniale Geschichte!


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#no13
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V.K.B.
Geschlecht:männlich[Error C7: not in list]

Alter: 51
Beiträge: 6155
Wohnort: Nullraum
Das goldene Rampenlicht Das silberne Boot
Goldenes Licht Weltrettung in Silber


Beitrag17.01.2018 03:44

von V.K.B.
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Hallo Inko,

Sorry, ich habe gerade zuviel um die Ohren und komme dieses Jahr nicht wirklich dazu, alle Texte so zu kommentieren, wie ich gerne würde (sind ja auch recht viele diesmal). Deshalb muss dieser Kurzkommentar reichen, bitte nicht enttäuscht sein.

Eine doppelte Europareise sozusagen, in verschiedenen Generationen, und so unterschiedlich. Hat was, besonders in der Gegenüberstellung. Vorgaben sind umgesetzt, Motto der Stille fehlt ein bisschen. Aber trotzdem interessanter Text, gerne gelesen und vielleicht bei den Punkten dabei.

Aber die vergebe ich erst, wenn ich alles gelesen habe.


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Oh changelings, thou art so very wrong. T’is not banality that brings us downe. It's fantasy that kills …
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Michel
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Der silberne Durchblick Der silberne Spiegel - Prosa
Silberne Neonzeit


Beitrag19.01.2018 22:28

von Michel
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Rückblende in der Rückblende! Der zu stille ICE, das Taktak der Interrailzeit und ein wesentlich lauteres Taktak in Papas WWII-Monologen. Ich habe eine ganze Zeit gebraucht, um einen Weg in den Text zu finden, obwohl ich fast alle Elemente selbst schon kennengelernt habe. Vorgabe eingehalten: Das Fehlen eines Taktak löst Erinnerungen aus. Der schwanzfixierte Mitreisende bleibt hängen, stört mich aber beim Lesen, als säße er tatsächlich neben mir.
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anderswolf
Geschlecht:männlichReißwolf


Beiträge: 1069



Beitrag19.01.2018 23:59

von anderswolf
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Eindeutig ein Höhepunkt des Wettbewerbs, wenngleich eigentlich ein eher unglaubwürdiger Gedankenstrom, denn wer denkt schon druckreif in poetischen Sätzen (nicht auszuschließen, dass es solche gibt, eindeutig sind das editierte Gedanken*, weil dadurch große Lücken). Der Rest ist aber große Kunst: die Verschränkung dreier Reisen, reflektiert in teils lyrischen Erinnerungsbildern, verwoben im Rhythmus des TakTak TakTak TakaTak.
Wo das Fehlen des TakTak TakTak TakaTak im ICE nach Norden fast obszön das Ohr anstößt, weil es keine Unterströmung vorgibt, an der die Gedanken entlangwandern können, reist der nach Norden fahrende Erleber in memoriam und Interrail gen Süden, wo noch nie ein Vater '45 gewesen war: über den von Tito amputierten Balkan Richtung Griechenland, wo nicht nur die ihre uralten Geschichten erzählenden Sterne warten, sondern auch die Erinnerung an das Fehlen des Vaters, der eben nicht (!/[        ]) im Lande war, wo die Windblütler sich gewaltfrei unter den Gestirnen paaren (so ähnlich). Und so hält sich auch die Erinnerung an kein Sieb und geht weiter zurück an die Erinnerungen des Vaters, denn wie Telemachos den Spuren des Königs von Ithaka folgt, tappst letztlich auch der ICEler dem Erzeuger hinterher und dessen eigener Odyssee aus russischer Gefangenschaft über Wien in die Heimat. Wie ein Zug durch die Nacht rauschen also TakTak TakTak TakaTak die Erinnerungen durch die Leere des Unpräsenten. Da wird so vieles angerissen, umgerissen, mitgerissen, dass Nuancen fast unterzugehen drohen, und doch halten sie sich an der Oberfläche, alles steht gleichberechtigt und selbstbewusst nebeneinander. Da ziehen sich bspw. die Flügelschuhe des Perseus durch den ganzen Text, die auch der Vater noch im Erinnern trägt, wenn er auf der Eckbank sitzt, und auch der Liebende auf seinem rasendschnellen Weg zur aquamarinäugigen Maya, die ja selbst per Homonym zur Mutter des Hermes wird.
Da ist viel drin im Text, das zu entdecken lohnt und gerne würde man sich weiter mit Analyse beschäftigen, allein es gibt noch andere Texte zu bewerten.
Hohe Punkte, ob es das Höchstmaß gibt, hängt davon ab, ob mich ein anderer Text mehr überzeugt**, zumal der wenig authentische Gedankenstrom ja einen Malus darstellen könnte.

* Anderswo in diesem Wettbewerb steht, Erinnerungen seien immer editiert. Glück gehabt.
** Nö.
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finis
Klammeraffe
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Beiträge: 577
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Die lange Johanne in Bronze


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Beitrag20.01.2018 01:27

von finis
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Hallo,

"Fast wie bei Kerouac", in der Tat. Vor kurzem habe ich mit zwei Personen unabhängig voneinander ein Gespräch über EU und Nachkriegszeit geführt - und dann kommt da dieser Text.

Darf ich sagen, dass ich das genial finde? Du konstruierst hier drei Zeitebenen, die gleichzeitig verlaufen und sich gegenseitig ergänzen und konterkarieren. Dadurch zeichnen sich mehrere Entwicklungen ab: Politisch-historische, persönliche, kulturell-literarische. Der Titel ist dazu sehr geschickt gewählt. Windblütig, dabei werden sowohl die optisch sich aufdrängenden Eindrücke erfasst, als auch die Assoziationen und die daraus entstehenden Reflexionen. Das ist eine wirklich schöne Metapher für den Denk-schweif-prozess.

Ein paar Mal bin ich bei dem Vokabular, das Du verwendest, etwas stutzig geworden "Pack", "Endkampf"; sicher, Gedanken kann man nicht zensieren, aber ich bin mir gerade bei den beiden nicht sicher, ob sie wirklich so adäquat sind.

Die Vorgaben finde ich hier auch wieder - ich finde die Idee sehr schön, die Gedankenbilder gerade an die Abwesenheit des Zuggeräusches zu koppeln.

Ein Text, zu dem ich immer wieder gerne zurückkomme und mit dem ich mich eigentlich noch viel länger beschäftigen müsste, um ihm gerecht zu werden.

LG
finis


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nebenfluss
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Beiträge: 5994
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Beitrag21.01.2018 12:56

von nebenfluss
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Ich habe gerade Angst vor der Macht meiner Kritik und sorge mich um meine Urteilsfähigkeit. Deshalb an dieser Stelle kein inhaltlicher Kommentar.

Danke für deine Teilnahme am Wettbewerb.


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d.frank
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Alter: 44
Beiträge: 1125
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D
Beitrag21.01.2018 13:34

von d.frank
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Zugegeben, ich war etwas voreilig. Aber trotzdem rangiert dieser Text immer noch bei denen, die mir in Erinnerung bleiben werden. Ich mag seine Zärtlichkeit (total blödes Wort, aber es passt einfach), seine Sehnsucht, die Verszeilen und das Thema, das er bearbeitet.

_________________
Die Wahrheit ist keine Hure, die sich denen an den Hals wirft, welche ihrer nicht begehren: Vielmehr ist sie eine so spröde Schöne, daß selbst wer ihr alles opfert noch nicht ihrer Gunst gewiß sein darf.
*Arthur Schopenhauer
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poetnick
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 62
Beiträge: 834
Wohnort: nach wie vor


Beitrag22.01.2018 00:53

von poetnick
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Hallo liebe Zug(g)ereisten,

ganz herzlichen Dank für die vielen, tiefen Gedanken und Gefühle zu diesem Text! Und - wo vergeben, natürlich auch für die Punkte.
Ich werde mich morgen daran setzen Euch jeweils auf die hinterlassen Gedanken zu antworten. Ob nun 'Ohrfeige' oder Anerkennung,
freue ich mich über den Widerhall, der jenseits von Leere ist. Aber nicht ohne Lehre bleibt. Verstecken

Liebe Grüsse - Poetnick


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Wortlos ging er hinein,
schweigend lauschte er der Stille
und kam sprachlos heraus
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