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Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Antiquariat -> Zehntausend 12/2017
Dein Grab beginnt bereits

 
 
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Nihil
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Moderator
Alter: 34
Beiträge: 6039



Beitrag27.12.2017 20:00
Dein Grab beginnt bereits
von Nihil
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Dein Grab beginnt bereits

mit dem Ortsschild und
du hörst JIROOV* nicht

auf die Ruhe in Dir
zu zerschweigen

*Man sagt Jiroov, wenn man noch Plattdeutsch kann; alle anderen lesen, wenn sie nach der Bundesstraße 70 die erste Ausfahrt im Kreisverkehr nehmen

Ihrhove
Landkreis Leer


in serifenloser DIN-Schrift von der Ortstafel ab. Dann hat man, auch wenn man es nicht glauben möchte, nicht nur eine Grenze überschritten. Die zur Gemeinde Westoverledingen einmal, aber auch die des guten Geschmacks des Öfteren. War zur Weihnachtszeit wieder mal hier und hab die Familie besucht. Das Dorf ist tot. Und schon auf dieser ersten Straße bröckeln einem die Fassaden entgegen. Aus dem Aldi wurde erst ein Kasino, in das nie jemand ging, aus dem dann ein Friseursalon namens Hair Force One wurde, in den nie jemand ging, aus dem dann eine Diskothek wurde, die man nur die Russendisko nannte, in die aber kein Russe je ging, weil auch sonst nie jemand dort hin ging. Tja.  Das Dorf ist tot. Wat sull man da maaken? Nix, vermutlich. Ach so, soll ich die plattdeutschen Einschübe eigentlich direkt übersetzen oder stört das zu sehr? Weiß gerade nicht so wirklich, wie viel davon noch auftauchen wird.  Könnt ihr ja spätestens bis zum Ende des Textes Bescheid sagen.
Irgendwann gab es aber auch nochmal ne andere Disco hier und sicher auch noch heute, und die hieß Fetenscheune oder sowas in der Richtung. In dem Schuppen wühlten jedenfalls nicht nur die Ihrhoveraner, sondern auch die Rhauderfehner und Leeraner Dorfjugenden herum und schossen sich n bisschen tot mit Alkohol. Eh, Sööaan (Sören), gehste Scheunen am Freitach? Auf jedsten Alder, muss mal wieder abdancen. Du bist letzte Woche doch schon soo heftig eskaliert, ey, war soo geil. Naja. Ob's wirklich immer so schlimm war mit den Leuten oder ob ich übertreibe oder meine Erinnerung noch durch das ein oder andere Schul-Mobbing-Echo verfälscht ist … kümmert mich diese paar Jahre später nicht mehr.
Damals hätte ich gerne so eine Art Kraft entwickelt. Nicht so ne blöde Muckibudenpower natürlich. Auch  nichts Übersinnliches, hab ich Angst vor, und man kann ja auch nicht sicher wissen, ob man seine Kraft dann überhaupt noch selbst wahrnehmen kann, wenn sie die eigenen Sinne ebenfalls übersteigt, was ja durchaus möglich wäre. Vielleicht wäre eher sowas wie, ach ich weiß nicht. Fiktionale Kräfte oder so. Mit der Macht, alle Mauern zu durchbrechen, mit der Beschränkung, dass es sich dabei nur um jede vierte Wand handeln darf. Weil zu viel Macht ist ja langweilig.
In einer dunklen und stürmischen Nacht kommt Raik de Vries auf dem Weg nach Hause vom Weg ab. Als ein Blitz in einem abgelegenen Forschungslabor einschlägt und seine genetische Struktur mit der seines getreuen Mountainbikes verschmilzt. Fortan lassen ihn weder Wind noch Gegenwind erzittern. Dieser Streiter für Liebe & Gerechtigkeit ist seit diesem Tage nur noch bekannt als der Bike Boy von Krummhörn.
Wenn ich da an die kackenge Bahnhofsbrücke denke, auf der man ja eigentlich bequem mit dem Fahrrad rüberfahren könnte, auch wenn ich verstehen kann, dass nicht jedem diese wacklige Angelegenheit gefällt. Es windet schließlich gar sehr in unserm baumlosen Flachland und Regen kommt auch häufiger vor. Dann fährt man da nur auf so Metallgitter rüber, das schnell mal rutschig werden kann, und wenn dann die Güterzüge an einem vorbeijagen, ist sogar mir schon mulmig geworden. Völlig unmöglich wird der Übergang zur andern Seite, wenn man selbst AUF dem Fahrrad rüberfährt, auf halber Strecke aber sich ein Rentner entscheidet, von der anderen Seite der quasi Einbahnstraße sein Rad zu SCHIEBEN, als wenn er mich mit meinem radioaktivfarbenen Regenponcho nicht gesehen hätte, ein Rentner sich entscheidet, sein Fahrrad über die Brücke zu schieben, sodass ich auf halbem Wege absteigen muss, ER aber MICH noch anpöbelt, dass ich mit meinem Vorderreifen seinen Gepäckträger gestreift habe. Gott.
Oder lieber ein Glossar mit ostfriesischen Begriffen am Ende. Braucht ihr das wirklich?
Hmm.
Meine Fresse, jetzt bin ich doch echt an der Einfahrt meiner Eltern vorbeigefahren. Passiert mir sonst nur auf der Autobahn, wenn ich zu laut mit nem Song mitgröle, wo kann man denn jetzt eben umdrehen, ach da. Augen auf den Straßenverkehr, sag ich da nur. Selbst dieser Weg nach Hause,den ich tausendmal gefahren bin, sieht so gleich aus, so langweilig, dass ich ihn aus meinem Hirn radiert habe. Das Dorf ist tot. Vielleicht darf ja auch als Superkraft gelten, ungesehen, unbesehen, aus Ihrhove wieder rauszufahren. Aber zu meinen Eltern will ich ja schon. Zieh ich halt noch n paar Kurven im Kopf.
Vielleicht mal ein Themenwechsel ohne Überleitung? Das darf man doch mal machen. Also:
Die Bahnhofsstraße ist ein einziges, stinkendes Elend voller Wohnung gewordener Jauchegruben. Da gibt’s Straßen, da fliegt der Spieß höchstselbst wie ein muffiges Gespenst von der Wäscheleine. Völlig verblichene Window-Color-Bilder im Fenster. Eine verkitschte Miniaturmühle auf dem Millimeterschnittrasen. Und hinter all dem die Ansicht: Sull man leever all so bleeven, as dat is. Man weet doch nooit wat man wedder kriggt.
Gespenstisch, ja. Früher hat man die Hochzeitsnachtlaken ja wirklich nach draußen gehängt, um die Unschuld der aufgefickten Braut zu dokumentieren. Ja ach du lieber Ekel, sag ich da nur. Also nicht vor dem Blut natürlich, sondern vor diesem unverfrorenen Durchbruch einer so intimen Grenze. Ich meine, was für eine zwanghafte Entblößung. Intimere Grenzen kann man ja gar nicht einreißen. Kommen Sie, kommen Sie nur ins Vorgartenmuseum – Vorbeitritt kostenlos. Wie sie sehen, blutet auch unsere liebe Elske, wie es sich für ein normales Mädchen in ihrem Alter gehört. Sie hat ja erst bei der Heirat und so weiter. Ganz normal. Das Blut ist in einem schönen und gesunden Rot gehalten. Auch die Menge ist normal, wie Sie sehen. Es ist also alles in bester Ordnung! Natürlik ook mit de lüttje Steert van hör Mann Onno, wat sük ja van sülvst versteit. Meine Augenlider haben hier schon manche museale Grenze gezogen.
Da bleibt nur noch sich vorzustellen, wie das blanke Glas der Fenster sich den Spezialisten hier ansieht mit seiner Pomadentolle und seiner Stadtklamotte, der ja wohl glaubt, dass er n Bietje wat Beeteres ist. Ich schaue zurück und erkenne dahinter eine unheimliche Präsenz. Es wird eine dieser Frauen sein, die kurz darauf, nachdem sie beim neugierigen Gaffen ein wenig zu auffällig an der Gardine gepopelt hat, mit Pelzmuff und dieser so typischen Art Wollqualle auf dem Kopf in der Tür erscheinen und vorgeben, sich den Zustand ihres Gärtchens zu betrachten.  Mit einem schnell übergezogenen Lackschuh reibt pickt klopft sie an der obersten Stufe des Treppenaufgangs herum, hält sich dabei am Türrahmen fest, um nicht umzufallen, schaut aber mit verkniffenen Seitenblicken zu mir rüber, schiebt die Brille hoch und ich schaue frech zurück.
Ich sage: Moin moin und sie sagt es auch und wir sind dann irgendwie beide ganz glücklich.

Hätte fast Lust, das unkommentiert da so stehen zu lassen. hab den Gedanken aber gedunkt. Jeder Bewusstseinsstrom wird ja doch irgendwie archiviert im Unterbewussten, und wer weiß, wer das alles mal liest. Was später alles technisch möglich sein könnte mit Hirnaufschneiden und Erinnerungen nachgucken.  Ich führ den Gedanken auch nicht weiter, sonst überschreite ich hier wirklich noch die eine letzte Grenze, die nicht überschritten werden darf. Muss ich nicht erklären, oder? Nee, glaub nicht, dass ich das muss.

Die Schimpflust und Engstirnigkeit der Ostfriesen kann Raik „Döntje“ de Vries nicht länger dulden. Als eine Gruppe gemischtgegenderter alter Menschen aus Dummheit und Boshaftigkeit seinen Sturz von der Bahnhofsbrücke verschuldet, wendet sich Raik an Jan Rasmus, den Gott der Nordsee, der seine Gebete erhört und seine gebrochenen Gebeine an Land spült. Er sendet ihn durch den Zeitenstrom, wo er gemeinsam mit vier anderen Auserwählten, pf, fick mich, kein Bock auf Gefährten, Navi, Listen,  Listen, Listen, QUIETSCH, QUIETSCH, an der nächsten Ausfahrt biegen Sie rechts ab,sag mir nicht, was ich zu tun habe!,  QUIETSCH, Gott, diese beschissenen Scheibenwischer. Also. Wo unser Held Raik ganz alleine, ohne Sidekicks und solchen Schnickschnack, durch die ostfriesische Steppe reitet, nämlich auf seiner schön singenden Kuh Hilde, und den Kampf aufnimmt, das meerwerdende Volk der Altvorderen zurückzudrängen. Gemäß dem Motto: Schwarzbunt statt grauweiß! weist Raik die Alten in die Schrankentechnik ein und zeigt ihnen, wie sie sie gefahrlos hoch- und absenken können. Er zeigt ihnen schöne Flecken unserer Erde, mithilfe von Hilde, auf deren Haut alle Länder dieser Welt passen, die sich nur mit Zeigefinger, Daumen und einer wischenden Hand vergrößern, verkleinern und weiterscrollen lassen. Sie werden dann staunen und sagen: Ahh, und Ohh! Die Schuppen, die ihnen von den Augen fallen, wachsen ihnen an der Hüfte nach und sie schwimmen von der weiten Welt noch meerjungfräulich unberührt in den Sonnenuntergang, der sich hier, außerhalb Ostfrieslands, sogar wolkenlos betrachten lässt,und sich in den schönen Gezeiten spiegelt oder natürlich sie verenden qualvoll an irgendeiner Müllkippe von Strand, weil sie sich mit dem Magnetfeld der Erde noch nicht so gut ausgekannt haben und wegen des Klimawandels die Strömungen außerdem völlig falsch temperiert sind, gurgeln sich, erstickend, tot, erdrückt vom eigenen Gewicht, bevor sie aufquellen, dicker werden und dicker, platzen und als widerlich stinkende Plastikbombe Dreck, Müll und Gedärme in der näheren Umgebung verteilen und dem aus wirtschaftlicher Hinsicht noch platter als sie gedrückten Ostfriesland auch noch seines Tourismuszweiges berauben. Auf einem Fels in der Bucht steht Hilde und singt ein trauriges Stück von Arvo Pärt und was noch auf ihrer Playlist steht.

Irgendeine Pointe of No Return musste ja noch kommen.
Wegen dem Plattdeutschen und anderen Bezügen mach ich jetzt nichts mehr. Hab ja nichts weiter gehört.

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RememberDecember59
Geschlecht:weiblichKlammeraffe


Beiträge: 507
Wohnort: Franken


Beitrag08.01.2018 20:02

von RememberDecember59
Antworten mit Zitat

Liebe/r Verfasser/in,
ich fand den Text unterhaltsam und witzig und das unterhaltsam ist hier nicht als Beleidigung oder Abgrenzung zum großen E gemeint. Obwohl, als so richtig tiefgründig habe ich ihn auch nicht empfunden. Laughing Hm, die Beurteilung fällt mir hier ein bisschen schwer.
Gedächtnisbilder habe ich vor mir gesehen, von einer Leere ausgelöst – hm, meintest du das „leere“, tote Dorf? Ich würde es schon gelten lassen, irgendwie. Aber das Motto sehe ich leider wirklich nicht. Mal sehen, ob das noch für Punkte reicht.

***

Nach dem Lesen und Kommentieren der anderen Texte habe ich mich leider dazu entschieden, keine Punkte zu geben.


_________________
Bartimäus: "...-was ist das?"
Kobold: "Hätte mich das jemand anders gefragt, o Herr, der ihr Schrecklich und Unübertrefflich seid, hätte ich ihn einen Dummkopf genannt, bei Euch jedoch ist diese Frage ein Zeichen jener entwaffnenden Schlichtheit, welche der Born aller Tugend ist. ..."

Bartimäus I (Jonathan Stroud)
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lebefroh
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L

Alter: 43
Beiträge: 364
Wohnort: Berlin
Der bronzene Durchblick


L
Beitrag09.01.2018 15:30

von lebefroh
Antworten mit Zitat

Jo, ganz lustig. Amüsant, gut zu lesen, weiß nicht, was ich davon halten soll. Gut, dass ich noch ein paar Punkte übrig habe Smile
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Municat
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 56
Beiträge: 353
Wohnort: Zwischen München und Ingolstadt


Beitrag10.01.2018 12:27

von Municat
Antworten mit Zitat

Lieber Autor smile

Herrlich skuril ist er, Dein Text, schräg und kantig. Lustigerweise sehe ich hier beide stilistischen Varianten, die der Wettbewerb zulässt: Den Bewusstseinsstrom eines (scheinbar) neutralen Beobachters. Wirklich neutral ist er natürlich nicht ... wie denn auch, wenn er an den Ort seiner Kindheit zurück kommt. Aber er glaubt, dass er neutral ist. Ist ja auch sein Bewusstseins-Strom. Da darf er denken, was er will. Der Text steckt voller kleiner Spitzfindigkeiten und Details. Ich bin überzeugt davon, dass ich ihn x mal lesen kann und immer wieder neue Akzente finde.

Die Kommunikation des Protas mit dem Leser erinnert mich an meine Lieblings-AG *ggg*. Und nein: ich brauche weder Erklärungen, noch ein Glossar. Ich nehme das Platt, wie es ist.

Zitat:
und seine genetische Struktur mit der seines getreuen Mountainbikes verschmilzt.
was für eine Idee! Herrlich.

Zitat:
auf halber Strecke aber sich ein Rentner entscheidet, von der anderen Seite der quasi Einbahnstraße sein Rad zu SCHIEBEN, als wenn er mich mit meinem radioaktivfarbenen Regenponcho nicht gesehen hätte, ein Rentner sich entscheidet, sein Fahrrad über die Brücke zu schieben,
willst DU hier zeigen, dass seine Gedanken stottern, oder ist das ein Versehen?

Zitat:
und wer weiß, er das alles mal liest.
wer das liest ... oder?

Zitat:
eine Gruppe gemischtgegenderter alter Menschen
Herrlich!

Gefällt mir, das Ding! Punkte vergebe ich erst, wenn ich alle Texte kommentiert habe.

ediTier
10 Punkte von mir smile


_________________
Gräme dich nicht, weil der Rosenbusch Dornen hat, sondern freue dich, weil der Dornbusch Rosen trägt smile
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hobbes
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Beitrag10.01.2018 21:53

von hobbes
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Ein unterhaltsamer Bewusstseinsstrom. Dass es das auch gibt. Respekt. Ja, doch, das unterhält mich, sehr sogar und diese treffenden Bilder, Window-Color und so, ich will andauernd nicken und erwische mich beim Lächeln, dann aber denke ich, hm, hm, ist es nicht unfassbar überheblich, jetzt zu lächeln.

Also, ich mag den Text. Er wird es vermutlich trotzdem nicht in meine obersten Punktränge schaffen, dafür ist er mir dann dummerweise zu unterhaltsam oder anders gesagt, die Pointe of No Return, die fehlt mir dann irgendwie doch, etwas, was mich abseits der Unterhaltung noch tiefer berührt, dafür ist der Prota vielleicht auch zu unberührt oder tut so, zu abgehoben eben, auf seiner ichBinWasBesseresAlsIhr-Wolke, die zwar, ich sag das böse Wort noch mal, sehr unterhaltsam ist, aber eben auch ziemlich weit da oben.

Die Idee, den Titel gleich mit in den Text Strom einzubauen, mag ich übrigens auch.

Punkte-Edit: 6
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firstoffertio
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Beitrag10.01.2018 23:23

von firstoffertio
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Das ist mal ein Bewusstseinsstrom, der Spaß macht. Zu lesen, meine ich.
Das hat so eine Art Galgenhumor. Nennt man das so? Auf jeden Fall Humor. Ich muss jedenfalls öfters schmunzeln, und das macht Spaß.
Mir gefällt auch, dass ich mit einbezogen werde als (potentieller)Leser.
Und damit wird hier der Bewusstseinsstrom auch eindeutig eingesetzt als Mittel, und macht mir nicht vor, er sei einfach so passiert. Er verläuft während des beim Schreibens.
Gut gemacht, finde ich.
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Lorraine
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Beitrag11.01.2018 11:17

von Lorraine
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Also, das Schuppenröcken aufm Hüftspeck werd ich nun nicht los und Raik "Döntje", der Friese, mit seiner Gedankengarnrolle, das kriege ich alles nie wieder aus dem Bewusstsein gelöscht, ausser vielleicht, es trifft mich der Blitz durch die Wollqualle love ... weisst du, du hast alle meine dumpfsinnigen Erwartungen an den sog. SoC plattgeschrieben, dabei ist alles ein trostgepflasterter Weg zur inneren Steppe, sie blühe! Wiederkäuen werd ich, was hängen geblieben sein wird, wenn ich weitere Texte kommentiere und mir sagen, auch das noch auf die Kuhhaut, und was die Bezüge angeht: Kopfkissen, Nackenrolle, Kuscheldecke, reicht schon. Hildes Heim wird meine Steppe sein, danke für die kurvenreiche Fahrt, da kehre ich doch gern am Fusse meiner Treppe, ein Hoch auf den Staubwirbel.

*EditZu-Satz
Du bist immer noch mein liebster Text.

Zitat:
Ich führ den Gedanken auch nicht weiter, sonst überschreite ich hier wirklich noch die eine letzte Grenze, die nicht überschritten werden darf. Muss ich nicht erklären, oder? Nee, glaub nicht, dass ich das muss.
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Literättin
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Beitrag12.01.2018 14:49

von Literättin
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Eine Art friesische Lokalzeitungskolumne. Mal spaßig, mal kritisch, beäugt ein periodischer Wiederheimkehrer seine alte Heimat. Das geschieht hier etwas langatmig und weitschweifig und ist mir sprachlich zu umgangssprachlich und literarisch zu ungestaltet. Ganz nett. Aber es will nicht so richtig bei mir einhaken oder etwas hängen bleiben. Angesichts des Titels frage ich mich aber doch, ob ich nicht irgend etwas auch völlig übersehen habe?

_________________
when I cannot sing my heart
I can only speak my mind
- John Lennon -

Christ wird nicht derjenige, der meint, dass "es Gott gibt", sondern derjenige, der begonnen hat zu glauben, dass Gott die Liebe ist.
- Tomás Halík -

Im günstigsten Fall führt literarisches Schreiben und lesen zu Erkenntnis.
- Marlene Streeruwitz - (Danke Rübenach für diesen Tipp.)
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Heidi
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Beitrag12.01.2018 22:54

von Heidi
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Der Anfang von deinem Text liest sich vielversprechend. Ich dachte tatsächlich: Jetzt kommt der Knaller. Die Geschichte, die sich wie selbstständig nach oben manövriert, in meine persönliche Top Ten. Im weiteren Verlauf wurde ich dann aber enttäuscht, weil mir dieser Strom aus Gedanken so gelangweilt vorkommt. Klar, das liegt mitunter am Thema. An diesem elenden Kaff, in das der Denker hier zurückkehrt (warum auch immer, manchmal muss man das, ich weiß). Ich kann mich ausgesprochen gut reindenken in diese Gedanken, weil mir das so vertraut ist, unglaublich vertraut, all die Dinge, die hier angesprochen werden, kenne ich; in meiner Heimatgemeinde gibt es etwa vierhundert Einwohner weniger als in Ihrhove, deshalb.
Trotzdem: Das ist mir zu viel Blabla, es gibt kaum Brüche, die mich innehalten lassen, die mich dazu bringen, mir eigene Gedanken zu machen. Möglicherweise liegt das vielleicht auch an mangelnden Bildern, zu viel Erinnerungen, zu wenig Aktuelles. Ich kanns dir nicht sagen. Außer vielleicht die direkte Ansprache des Lesers: Ich finde, die schadet so eine einem Bewusstseinsstrom, weil sich dadurch Distanz zum Denker/zur Denkerin aufbaut. Ich stecke nicht in seinen/ihren Gedanken drin. Es wird mir etwas erzählt.
Das Einzige, was mich stolper hat lassen war der lyrische Einstieg, den ich sehr mag, aber danach kommt die große Leere (in diesem Fall leider nicht positiv gemeint).

Die plattdeutschen Einschübe gefallen mir allerdings. Auch die Ironie, die in den letzten Sätzen spricht und zwischendrin natürlich auch. Trotzdem ist es ein braver Text. Einmal mit dem Mixer durch, das täte ihm gut.  

Vermutlich sind mir die positiven Aspekte (in meinem Lesen) zu wenig. Mit ganz viel Glück bleibt aber noch was Pünktchenartiges übrig für dich. Als Belohnung für den Einstieg. Mal sehen.

Leider, keine Punkte für dich. Aber vielleicht tröstet es dich, dass ich dich gleich kurz nach knapp nach den Zehnen in meiner Liste stehen habe. Wegen dem Einstieg. "Materiell" bringt dich das nicht weiter, aber vom Gefühl her vielleicht?
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finis
Klammeraffe
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Beiträge: 577
Wohnort: zurück
Die lange Johanne in Bronze


F
Beitrag16.01.2018 00:05

von finis
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Guten Abend,

Und da dachte ich: Mensch, endlich mal ein Text, den ich per Google Streetview verfolgen kann und muss feststellen, dass es das für die B70 nicht gibt. Herbe Enttäuschung. Dafür kann man sich die Ostfriesische Landschaftliche Brandkasse anschauen. Auch hübsch. Dabei habe ich ganz nebenbei gelernt, wo der Verwaltungssitz der Gemeinde Leer ist. Außerdem gibt es in der Dieselstraße Ihrhoves ein Lokal namens Limit, in dem Sascha Bolte November 2017 ein paar schnieke Videos gemacht hat. Also, meine Allgemeinbildung habe ich durch diesen Text schon mal ausbauen können.

Kommen wir aber zum (Klar)Text (sehr optimistisch von mir um die Uhrzeit. Mal sehen, wie klar das wird. Text könnte klappen).
Vorweg: Mir ist das ja irgendwie sympathisch, bzw. mir ist dieses Ich sehr sympathisch, das sehr ehrlich, etwas lakonisch vielleicht und frei Schnauze da erzählt. (Sogar so sympathisch, dass ich beim Kommentieren ins Labern gerate. Beweisstück A s.o.).
Sehr interessant finde ich dabei das Text-Bewusstsein. Das Ich, das sich von Anfang an selbst kommentiert und als Textbestandteil versteht und als solcher mit den Lesern kommuniziert, bzw. eben gerade nicht, denn hätte ich um eine Übersetzung der Platteinschübe form- und fristgerechnet gleich zu Textbeginn gebeten, hätte ich sie wohl trotzdem nicht bekommen. Dieser per Definition einseitige Kommunikationskanal wird dabei von dem Ich so behandelt als wäre er gerade das nicht, sondern als wäre eine beidseitige Interaktion möglich und das finde ich als Textprämisse sehr spannend. Die Idee mit dem Unterbewusstseinsprotokoll ist natürlich herrlich, aber eben auch herrlich umgesetzt.
Ganz ehrlich, ich habe mich weggeschmissen beim Lesen. E-rnsthaft. Und ich finde es erstaunlich, was Du da alles untergebracht hast. Außerdem finde ich es beachtlich, dass Du diesen Text ohne das Hilfsmittel einer äußeren Handlung, sondern auf einer ausschließlich inneren Handlung aufgebaut hast.
Und das wirkt so natürlich, da kann man die Person schon vor sich sehen, aber gleichzeitig steckt da eben wahnsinnig viel dahinter: Die ganze Stadt-Land-Flucht-Kiste, Traditionen, Privat/intimsphäre, die Superhelden (jede vierte Wand. Das ist so genial.) und damit verknüpft das Bedürfnis hervorzustechen, besondere Kräfte zu haben, sich eben abzuheben von dem "normalen", von der Dorfmentalität. Gerade weil das Ich ohnehin schon ausgesondert wurde (Mobbing), bekommt der Wunsch nochmal eine neue Dimension.
Und diese unzähligen Bezüge - klar, eigentlich müsste Intertextualität ein Muss sein in so einem Gedankenstrom, ich meine: wer denkt denn nicht ab und zu mal Geklautes? - sind wirklich schön eingearbeitet. Mein Favorit ist im Augenblick die Handy-Kuh, aber frag mich in drei Tagen nochmal, dann habe ich meine Meinung geändert.
Achja. Habe ich schon gesagt, wie gut die Idee ist, einen Text über Leer zu schreiben beim Thema Leere? Zitatbezug sehe ich vor allem in dem "toten" Ort, dem grundsätzlichen Alleinsein des Helden und dem Meer. Eventuell Arvo Pärt: Silencio. Etwas lose vielleicht, für mich reicht's.

Kritik muss ich mir noch überlegen. Hm, vielleicht: Arvo Pärt singen? Na, viel Erfolg dabei. Aber Hilde kriegt das schon hin.
Die Pointe of no Return war vielleicht ein Tick zu viel - andererseits auch wieder schön.
Weiß nicht. Mal schauen. Vielleicht finde ich noch was.

LG
finis

Edit.: Ha. Kritikpunkt gefunden. Eine Nacht drüber schlafen hilft in manchen Fällen wohl tatsächlich: Der Titel. Also. Auf eine gewisse Art und Weise hat das natürlich etwas. Und ist eine schöne Ausdeutung. Aber: ich brauche die hier nicht. Das steht da schon drin, das musst Du nicht ausbuchstabieren. Und es will stilistisch nicht so recht passen. Das klingt fast so, als hättest Du Dich erst warmschreiben müssen. Wobei ich auch nicht wüsste wie man soetwas adäquat übertitelt... Gerade das "zerschweigen". Das ist schön, gar keine Frage, aber passt es da hin? Daran habe ich ehrlich gesagt meine Zweifel.

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!


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"Mir fehlt ein Wort." (Kurt Tucholsky)
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V.K.B.
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Das goldene Rampenlicht Das silberne Boot
Goldenes Licht Weltrettung in Silber


Beitrag16.01.2018 23:45

von V.K.B.
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Moin Moin, Inko

Zitat:
Regenponcho
Dat heißt doch Friesennerz, nee?

Würde jetzt gerne auf platt antworten, dummerweise kann ich die Sprache nur verstehen (als Kind mal von meiner Oma gelernt, die hat oft Platt geschnackt aber meine hochdeutschen Antworten verstanden) und nicht sprechen. Eigentlich, trotz allem, was du so olmndadich beschreibst, schade drum. Jedenfalls sehr lebendig, der Gedankenstrom, auch wenn es ums Grab geht. Und die Kraft mit dem Wand einreißen, jedenfalls jede vierte, hast du ja auch schon, bei den ganzen Leseransprachen. Netter Lampshade.

So, jetzt mal Stille und Gedankenbild. Son Schiet aber ook – find ich nich wirklich. Gedankenbilder sind zu Hauf drin, schöne wie abstruse wie eklige, aber etwas explizit Fehlendes, das sie auslöst? Okay, das Leben im Ort. Oder das nicht-Leben. Lass ich nochmal durchgehen. Stille? Wo das. Wenn da die ganze Zeit diese absolut fantastisch kuhle Hilde rumkrakeelt? Nee, Stille is nich. Datt gibt Punktabzug, sorry.

Aber im Großen und Ganzen hat mir der Text gefallen. Punkte aber erst, wenn ich alles gelesen habe.

Wees ma n bitten onnich,
Veith

Edit: Schade! Das ist mein Honorable Mention Text, nämlich leider einer, für den ich keine Punkte mehr habe, aber gern noch welche gegeben hätte. Platz 11 eben. Sorry, tut mir leid.


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Hang the cosmic muse!

Oh changelings, thou art so very wrong. T’is not banality that brings us downe. It's fantasy that kills …
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Schlomo
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Wohnort: Waldperlach


Beitrag17.01.2018 01:12

von Schlomo
Antworten mit Zitat

Die Art von Humor gefällt mir!

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#no13
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Jenni
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Beiträge: 3310

Das goldene Aufbruchstück Die lange Johanne in Gold


Beitrag17.01.2018 23:38

von Jenni
Antworten mit Zitat

Nun, wie das mit der Anonymität so ist, wenn man eine Fremdsprache verwendet, die hier nur einer kann. Überhaupt klingt der Text eben wie von einem gewissen mir bekannten Ostfriesen gesprochen. Oder "gedacht".

Egal, bzw. ich tue mein bestes, dass es egal ist.

Da hast du jetzt also das Gedankenkonstrukt von jemandem aufgebaut, der diesen Text schreibt und sich erinnert die letzten Tage in der Heimat verbracht zu haben und der Bewusstseinsstrom verlagert sich in gewisser Weise dorthin, in diese Zeit, diesen Ort, und das übergangslos und sehr kunstvoll, dennoch legitimieren sich durch diese Vermischung selbst diese unvermittelten Ansprachen des zukünftigen Lesers, da kann man nichts sagen. ("Jeder Bewusstseinsstrom wird ja doch irgendwie archiviert im Unterbewussten, und wer weiß, er das alles mal liest." - du bist ein Gauner!) Sprich, die Form gefällt mir sehr gut. Auch das Assoziative, die Verbindungen von den Orten und deren Bedeutung, Legenden, Erinnerungen.
Gleichzeitig nervt mich irgendwas an diesem Text, etwas an der Einstellung des Erzählers, so etwas Distanziertes gegenüber seiner Heimat und Vergangenheit, nicht auf eine Weise, sich tatsächlich davon distanziert zu haben, sondern gerade das Gegenteil, mit aller Verletzlichkeit darin zu stecken, mit nichts abgeschlossen zu haben und sich als Schutzfunktion zu distanzieren. Da ist so gar nichts versöhnliches, es ist darin so entfernt von einer wirklich ehrlichen Auseinandersetzung. Das ist traurig, aber in gewisser Weise auch arrogant (Arroganz ist ja meist eine Schutzfunktion), und das spiegelt sich auch wieder in der Haltung gegenüber dem Leser. Ich (als Leserin) fühle mich ebenfalls auf Distanz gehalten und das trotz dieser sehr persönlichen (und darin ja auch sehr gut umgesetzten) Form der Darstellung. Klingt das jetzt paradox? Und liegt das an mir oder am Text. Vielleicht geht es aber gerade um diesen Konflikt, und es ist sogar noch ehrlicher. Und das Zurückfallen in ein früheres Ich an früheren Orten (z.B.: die Kleinlichkeit, die auf den Erzähler abfärbt, wie sehr ihn doch betrifft, wovon er sich zu distanzieren sucht), das ist doch sehr realistisch.

Schon einer der Texte, die mich mehr beschäftigt haben als andere. Jetzt kann ich nicht mehr sagen top oder flopp. Sondern: Punkte aber nicht alle.
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anderswolf
Geschlecht:männlichReißwolf


Beiträge: 1069



Beitrag20.01.2018 01:06

von anderswolf
Antworten mit Zitat

Zunächst irritiert die Struktur, man denkt: "Oh, ein Gedicht?", dann aber löst sich die pseudolyrische Struktur in gewohnten Text auf, und es stellt sich fast schon der Eindruck einer akuten Entschleunigung ein, fast, als falle man aus Warp 3 auf Impulsantrieb zurück. Tatsächlich fühlt sich das ja genau so an, wenn man aus einem (wodurch auch immer) beschleunigten Leben wieder zurück in die einst heimatliche Provinz zurückkehrt.
Der Ton ist flapsig, humorig, unterhaltend, fast so, als lausche man einem Comedian bei einem Auftritt, dann aber unterläuft der Text die Erwartung der Lesenden, indem er sich selbst als Text identifiziert und gleichzeitig die Vierte Wand zum Publikum hin durchbricht. Das ist ein Wagnis, zahlt sich aber aus, auch wenn die Abgrenzung des Gedankenstroms zum Ich-Erzähler durchlässig ist. In diesem Text, der aber nicht nur immer wieder von Grenzen und Grenzüberschreitungen handelt

[Ortsschild, Geschmacksgrenze, Vierte Wand (erstes Mal), eskalierender Sören, das die Sinne Übersteigen der fiktionalen Kraft, Vierte Wand (zweites Mal, für den verständigen Leser als Kalauer getarnt), Gen-Bik-Verschmelzung, alles auf dieser Brücke, selbst das Touchieren des Gepäckträgers, das Vorbeifahren, das superkräftemäßige Wieder-raus-Fahren, der Themenwechsel ohne Überleitung, der Abflug von der Wäscheleine, das Raushängen der Entjungerungslaken (und da ist sowohl die Entjungferung, als auch das Raushängen gemeint, von dem als solches auch benannten Durchbruch einer intimen Grenze ganz zu schweigen), der Vorbeitritt, der Blick durch das Glas (beidseitig), das Heraustreten aus dem Haus, technische Durchbrüche wie Hirnaufschneiden, das Überschreiten der letzten Grenze (wenn auch nur angedroht), Sturz von der Bahnhofsbrücke, Zeitensprung (und dank Navi auch gleich noch ein geschickt eingefädelter Flashback, danke, was hab ich gelacht), der Navi-Flashback selbst, das Quietschen, das den Erzählstrom im Gedankenstrom unterbricht (und somit klärt, dass es eben doch ein Gedankenstrom und kein Erzählstrom ist), das dem-Navi-Widersprechen, das Schuppenregen, das Aufbrechen der Verwandelten, überhaupt die Verwandlung als Überschreiten der Beschreibung  über die halbreale Fiktion und Satire in die gesellschaftskritische Fantasy-Dystopie, platzende Plastikbomben, Pointe of no return] - Aufzählung (eigentlich nur der Überschreitungen) ohne Gewähr auf Richtigkeit oder Vollständigkeit -,

sondern formal die Grenze des literarischen Textes durch die Publikumsansprache ja eh schon überschritten hat, ist das aber auch stimmig. Im "Ich führ den Gedanken auch nicht weiter …"-Satz scheint sich der Text auch noch selbst dafür zu kritisieren oder zumindest auf die Schippe zu nehmen und räumt damit auch diesen Kritikpunkt ab. Das ist sehr geschickt gemacht.

Ebenso geschickt ist die Leere versteckt, die eigentlich zu den Vorgaben des Wettbewerbs gehört, mir aber komplett entgangen ist hier (wenn man mal vom Ortsschild absieht). Vielleicht ist es das Fehlen von Leben in Ihrhove, vielleicht das Fehlen von Heimat. Greifbar ist da auf jeden Fall nix (und so richtig ein Erinnerungsbild kommt da auch nicht auf), und das erschwert leider die Bewertung. Denn entweder ist das hier grandios oder aber eigentlich nur nicht ordnungsgemäß disqualifiziert worden, weil es so ansonsten grandios ist.
Hmm.
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crim
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Beitrag20.01.2018 10:59

von crim
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Pointe of No Return. Aua. Aua. Mag ich ja besonders, wenn der Humor auch mal vor Blödheit weh tut. Das ist alles sehr gut salopp erzählt und witzig. Weit oben.
Lg crim
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d.frank
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Beitrag20.01.2018 17:49

von d.frank
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Ich mag diese Geschichte, die keine ist und sich selbst gern auf´s Korn nimmt.
Sie behandelt mehrere, voneinander unabhängige Themen und führt sie am Ende trotzdem irgendwie zusammen. Das mag stellenweise konstruiert aussehen, aber es ist im Text in sich logisch und es zentriert meinen Blick als Leser auf verschiedenste Klüfte und lässt mich darüber nachdenken, an welchen Strand ich gespült werden möchte. Das Schreiben, den Autor in einem Text abhandeln, ist immer eine Herausforderung, die nur sehr selten glückt, hier mag ich es, weil es sich selbst nicht zu ernst nimmt und weil es Theorie, Metaphern und Wirklichkeit gekonnt nebeneinander aufstellt. Der Text spielt mit Traditionen und Moderne, hinterfragt und seziert, stellt letztendlich aber nichts in den Vordergrund oder gibt ihm den Vorzug. Die heilige Kuh wird durchs tote Dorf gejagt und rüttelt die eingeschworene Gemeinschaft auf, nur um sie dann in einer anders gelagerten Einsamkeit zurückzulassen. Stille und Lärm, Leere und Überflutung, Politik und  die Menschlichkeit eines Einzelnen und zwischendrin eine Mitte, alles immer eine Frage der Mitte, sagt mir der Text, und ich stimme ihm zu, weil ich nichts weiter gehört habe. Insofern steht der Schlusssatz nicht nur als Kapitulation vor sich selbst, erschreckenderweise relativiert er ausgerechnet in seiner flapsigen Weise den Zynismus der Stimme. Gemessen daran, dass der Text seinen ganz eigenen Weg innerhalb der Aufgabenstellung geht, müsste man ihn eigentlich außer Konkurrenz bewerten, weil er es wagt zu scheitern und weil er sich in mehrerlei Hinsicht einer Strömung entgegenstellt, über den Tellerrand hinausblickt. Inwieweit sich das auf meine Rangliste auswirkt, muss ich noch überdenken.


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*Arthur Schopenhauer
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Michel
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Das bronzene Bühnenlicht Das goldene Niemandsland
Der silberne Durchblick Der silberne Spiegel - Prosa
Silberne Neonzeit


Beitrag20.01.2018 18:10

von Michel
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Weggezogener besucht die Eltern in Ostfriesland und mokiert sich über das tote Dorf. Lockerer SoC in Form einer Unterhaltung mit einem imaginären Zuhörer. Aber wo genau ist das Fehlen von etwas, das die Erinnerung weckt? Überlese ich das nur?
Pluspunkt für Originalität einzelner Szenen (die Rentner auf der Brücke), Minuspunkt für Misanthropie, die mich nicht mitnimmt. Vielleicht war ich zu selten dort.
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Angst
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Beiträge: 1571



A
Beitrag20.01.2018 18:58

von Angst
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Wow! Eine Stimme! Eine echte Stimme! Eine witzige, intelligente, rüpelhafte noch dazu!
Erfrischend, wenn auch erratisch. (Zelda-Referenz? Bitte? Haha.)
Und gegen Ende fast ein bisschen zu Meta. („Hätte fast Lust, das unkommentiert da so stehen zu lassen.“)
Aber egal. Das Teil lebt, und das ist mir viel wert.
Auch viele Punkte. Wahrscheinlich.

8 Punkte.


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München: Deutscher Taschenbuch Verlag, S. 48.
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Tjana
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Wohnort: Inne Peerle


Beitrag20.01.2018 21:15

von Tjana
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Humorige (Bike Boy von Krummhörn) Ostfrieslandgeschichte.
Aber viel mehr dann auch nicht, sorry.
Driftet ab in schräge Fantasien über Scheinidylle, die Leere bleibt nur geahnt.


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Wir sehnen uns nicht nach bestimmten Plätzen zurück, sondern nach Gefühlen, die sie ins uns auslösen
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d.frank
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Alter: 44
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Beitrag21.01.2018 02:18

von d.frank
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Ich habe mich vielleicht unüberlegt und voreingenommen, teilweise widerwillig, aber doch aus Prinzip dazu entschlossen, diesem Text alle die Punkte zu geben, die mir hier zur Verfügung gestellt wurden, weil:

Es der einzige Text im Wettbewerb ist, der es schafft, mit Humor gegen die Leere anzugehen. Weil er den Ernst trotzdem zu Wort kommen lässt und ihn gekonnt versteckt und vielleicht auch, weil ich in all den Tragödien endlich mal etwas zu lachen brauchte?
Ich weiß es nicht und möchte es auch nicht weiter zerschweigen.
Aber wenigstens zu den Vorgaben muss ich ja noch was sagen. Ok, ähm, es gibt Texte, die hier sicher näher dran sind, aber wenn ich sie finden will, finde ich die Leere, klar, in der zynisch betrachteten Ödnis der Gegend, aber auch im Erzähler selbst, der die eigene Kindheit auf dem Flachland und damit seinen Ursprung als leer betrachtet, sich einerseits für etwas Besseres hält, aber andererseits auch keine andere Idee hat, als mit seinem Mountain Bike zu verschmelzen und als Bike Boy für Liebe und Gerechtigkeit zu sorgen. Laughing
Die Köpfe der Alten sind leer, aber der des Erzählers scheint angefüllt mit leeren Triaden, die ihn vom Wesentlichen abzulenken scheinen, nämlich davon, dass auch er ein Mal alt wird, dass auch er oder auch seine Generation das ganz eigene rote Bettlaken aus dem Fenster hängt, um es der Welt zu zeigen.
Ich lese da so viel im Text, wer weiß, ob das alles überhaupt drin steckt.. Embarassed
Egal, ich lese es eben heraus und deshalb vergebe ich auch meine Punkte.


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poetnick
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Beitrag21.01.2018 12:11

von poetnick
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Ja, ein neutraler ‚Kommentar‘ um werten zu können; die Tiefenfülle des Materials ließ mir
keine andere Wahl.

Beste Grüße - Poetnick


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schweigend lauschte er der Stille
und kam sprachlos heraus
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nebenfluss
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Beitrag21.01.2018 12:46

von nebenfluss
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Hallo Nihil,

ich habe gerade Angst vor der Macht meiner Kritik und sorge mich um meine Urteilsfähigkeit. Deshalb an dieser Stelle kein inhaltlicher Kommentar.

Danke für deine Teilnahme am Wettbewerb.


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