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Dieses Werk wurde für den kleinen Literaten nominiert Wildhundland [Roman - Anfang]


 
 
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sleepless_lives
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Beitrag10.05.2008 08:59
Wildhundland [Roman - Anfang]
von sleepless_lives
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Edit: 540 zusätzliche Wörter hier am Ende. Der neue Ausschnitt lässt sich auch beurteilen, ohne den ganzen Anfang gelesen zu haben.






Hallo miteinander,
hier ist ein Ausschnitt (Anfang) aus meinem zur Zeit in Entstehung befindlichen Roman (Spoiler: Die titelgebenden Akteure, die verwilderten Hunde, tauchen erst im zweiten Abschnitt auf, den ich zu einem späteren Zeitpunkt anhängen werde)



Wildhundland

»Schau dich nicht um!«, hatte sein Vater gesagt, damals als er ihn das letzte Mal gesehen hatte, bevor er nach Kalinenburg aufgebrochen war, und es bedeutete, komm nicht zurück, komm niemals zurück. Sei froh, dass du raus bist. Werd' was, mach was, find deinen Weg, geh, wohin du willst, aber komm nie zurück in die verdammte, gottverlassene, elende Gumbana. Und Jonas hatte sich daran gehalten, auch wenn es ihm schwer gefallen war, wissend, dass der Vater ganz auf sich allein gestellt war. All die Jahre hatte er sich daran gehalten. Bis jetzt. Und nun bezahlte er für seine Sentimentalität. Nun hatten sie ihn doch gekriegt. Der Lastwagen fuhr durch ein weiteres Schlagloch und Jonas hätte beinahe das Gleichgewicht verloren, obwohl er auf dem Boden der Ladefläche des Pritschenwagens saß, die Hände und die Füße mit einem einfachen Strick zusammengebunden, der Strick nicht anders als die, mit denen man Korn- oder Kartoffelsäcke zuband, der Lastwagen nicht anders als die, mit denen man die Säcke zum Markt fuhr, und er selbst und ein anderes erbärmliches Menschlein, das da auf der anderen Seite kauerte, nicht mehr als ein Ware unter anderen. Also konnten sie sich nun Automobile leisten, die Bauern Sodarwin.

Nicht dass der Wagen schneller vorankam als ein Pferdefuhrwerk auf den miserablen Straßen der Gumbana, Straßen, die diese Bezeichnung so wenig verdienten wie ein altgedientes Arbeitspferd Prügel, mehr langgestreckte Bänder von Schlaglöchern mit gelegentlich ebenen Flächen von plattgestampften Dreck dazwischen. Manchmal waren Teile zur Gänze weggeschwemmt von Schmelzwasserfluten oder spontanen Wildbächen nach Gewitterregen wie die klaffende Wunde im Belag, durch die der Fahrer den Wagen jetzt vorsichtig durchzumanövrieren versuchte, die den Wagen in einem bedrohlichen Winkel neigen ließ und Jonas endgültig das Gleichgewicht kostete. Er biss die Zähne zusammen, als er auf der Seite mit den Prellungen und Schürfwunden zu liegen kam. Seine zwei Bewacher grinsten, aber er hatte in der halben Stunde, die sie jetzt unterwegs waren, schon gelernt die Sodarwin-Handlanger und ihre Verspottungen zu ignorieren.

Er richtete sich mühsam wieder auf und lehnte sich erneut mit dem Rücken gegen die seitliche Bordwand. Er betrachtete seinen linken Arm, wo ihn das Schrot erwischt hatte. Das weiße Hemd, sein bestes, anbei bemerkt, war blutgetränkt und von Löchern zerrissen. Sie benutzten Schrotflinten, wenn sie auf 'Rekrutierung' waren, wie sie selbst es nannten – man wollte die Ware ja nicht unbrauchbar machen. Der Arm sah nicht gut aus, angeschwollen und rot wie er war, und Jonas war sich klar, dass die Schrotkörner raus mussten, aber auch, dass das niemand anderen als ihn selbst kümmern würde. Und ein scharfes Messer würde er wohl nicht so schnell wieder in die Hände kriegen. Dabei hätte er es beinahe geschafft, seinen Häschern zu entkommen, als sie in das Haus seines Vaters eindrangen und einer von ihnen so unvorsichtig war, direkt in die Küche zu gehen, wo Jonas auf ihn gewartet hatte mit ein bisschen militärischer Grundausbildung und einem großen Fleischermesser. Die anderen beiden hatten auf Jonas' Anweisung hin brav Knüppel und Flinte fallen lassen, als sie ihren 'Kollegen' erblickten, dieser bleich und mit schlotternden Knien, die Hände hinter dem Rücken mit Jonas' Gürtel zusammengebunden und einem Messer an der Kehle. Langsam zurückweichend war Jonas mit dem Mann durch den Hinterausgang von der Küche nach draußen gelangt, aber der vierte Mann, der dort wartete, hatte das Messer einfach nicht gesehen, wie er seinem Kollegen später lautstark beteuerte, und so hatte er geschossen, als Jonas strauchelte und sich an der Küchentür hatte abstützen müssen, weil seine wenig getragene Anzugshose, gekauft in buchstäblich fetteren Zeiten, zu rutschen anfing. Es zieht einen doch nichts so runter wie wenn die Dummen ausgerechnet wegen ihrer Dummheit die Oberhand behalten.

Nach diesem Erlebnis hatten auch die Sodarwin-Leute genug, besonders einer, der mit einer oberflächlichen Schnittwunde am Hals jetzt neben dem Fahrer saß, und sie hatten beschlossen, ihren Arbeitstag trotz der mageren Ausbeute von nur einer Rekrutierung zu beenden, zumal es schon auf Abend zuging und man noch eine ganze Strecke zu fahren hatte. Jonas' Mitgefangenen hatten sie unterwegs eingesammelt. Er hatte versucht, sich mit seinem Pferdewagen hinter ein paar Bäumen an der Straße zu verstecken, aber sie hatten ihn vorher schon bemerkt. Als sie weiterfuhren, sah Jonas, wie das Pferd auf die Straße zurückging und anfing am Straßenrand zu grasen. Es würde noch etwas warten, ob sein so unerwartet entschwundener Eigentümer vielleicht doch noch wieder auftauchen würde und so dies nicht eintrat, sich langsam auf den Weg nach Hause machen.

Die Stimmung der Sodarwin-Leute hatte sich nach ihrer Neuerwerbung zusehends gebessert und sie hatten eine Reihe von Milchmädchenrechnungen aufgestellt, die eine Vielzahl von ahnungslosen Bauern vorbeiziehen ließen, welche sie alle miteinander einsacken würden und welche sie zu reichen Menschen machen würden. Das war jedoch eher unwahrscheinlich, denn die Straße führte den See und das anschließende Sumpfgebiet im weiten Bogen vermeidend durch unbewohntes Gebiet, das im Licht der herbstlichen Spätnachmittagssonne so friedlich, idyllisch und überwältigend schön aussah, wie Jonas sich nicht erinnern konnte, es jemals zuvor gesehen zu haben. Die Laubbäume, meist vereinzelt stehend, manchmal in kleinen Waldstücken zusammengedrängt, hatten sich gelb-braun-rötlich verfärbt. Das Land, eher flach, nur leicht gewellt bis es zu den Bergen hin anstieg, war übersät von meterhohen Findlingen und wenigen isolierten steileren Hügeln, die sich anscheinend völlig grundlos aus der Ebene erhoben. Hier waren einmal Felder und Wiesen gewesen, bevor sie verödeten, weil niemand mehr da war, um sich um sie zu kümmern, das heißt, niemand außer dem Blutbusch, so genannt wegen seiner unzählig vielen roten Blüten im Sommer.

Der Blutbusch war keine heimische Pflanze, sondern aus irgendeinem Garten entkommen, vor langer Zeit, lange noch vor der Bauern Sodarwin, als es in der Gumbana noch eine Reihe wohlhabender Leute gab, die sich so was wie Gärten und Parks mit exotischen Pflanzen leisten konnten. Und reich waren sie gewesen, weil der einzige Weg in den Süden über einen Pass in der Gumbana führte, wollte man nicht durchs Gholtal gehen, was zugebenermaßen der bei weitem kürzere und auch wesentlich flachere Weg war, aber das Gholtal kam damals mit einer Klausel im nicht existierenden Durchschreitungsvertrag einher, unten im Kleingedruckten, die besagt hätte, wenn es sie gegeben hätte, das das Betreten auf eigene Gefahr geschähe und das Verlassen auf den eigenen zwei Beinen unwahrscheinlich sei.

Als eine Art ironische Randbemerkung der Geschichte wäre zu erwähnen, dass die Leute vom Gholtal bettelarm blieben während ihrer räuberischen Zeiten, bis sie sich es plötzlich anders überlegten und für eine gewisse nicht ganz unansehnliche Gebühr den Händlern Schutz vor sich selbst anbaten und dann schließlich dazu übergingen, einen proportional zur transportierten Ware berechneten Wegzoll lediglich für die Benutzung der (einzigen) Brücke über die Gholklamm zu erheben. Da sparte sich man das frühe Aufstehen am Morgen, nur um ein paar lausige Händler auszurauben/zu begleiten, nein, nun saß man vor dem Haus, grüßte freundlich und sah dem Geld zu, wie es vorbeizog und eine Teil davon unweigerlich an der Gholbrücke kleben blieb. Und im gleichen Maß wie es mit dem Gholtal bergauf ging, ging es mit der Gumbana bergab, was ausnahmsweise eine vorzügliche bildliche Beschreibung der involvierten komplexen wirtschaftlichen Vorgänge war, spielten doch zwei Bergpässe in den gegenläufigen Schicksalen der beiden Gegenden die entscheidende Rolle. Und dann was es aus mit den feinen Villen im südlichen Stil und den gepflegten Parks mit Wasserspielen und den gepflegten Gärten mit exotischen Pflanzen in der Gumbana und mit sorgfältiger Pflege ganz generell. Und der Blutbusch machte sich in diese Weise vernachlässigt auf den Weg und nahm sein Schicksal in die eigene Hand... oder Zweig oder was auch immer. Und er sollte Hilfe bekommen von unerwarteter Seite und unbeabsichtigter Weise, Hilfe von den Bauern Sodarwin.

123456Wie es weitergeht »




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Gast







Beitrag10.05.2008 12:32
Re: Wildhundland [Roman - Anfang]
von Gast
Antworten mit Zitat

Ein Genuß, endlich einmal wieder so etwas zu lesen! Obwohl mir die Einleitung – denn das ist dieser Abschnitt ja wohl – sehr lang erscheint. Ich würde gern schneller wissen, wie es weitergeht. Die ganzen Details interessieren mich jetzt am Anfang noch nicht wirklich. Vielleicht wäre das eine oder andere auch später noch unterzubringen, wenn die Handlung läuft?

Hier ein paar Sachen, die mir aufgefallen sind:

sleepless_lives hat Folgendes geschrieben:
nicht mehr als ein Ware unter anderen

da fehlt ein "e" bei "eine Ware".

sleepless_lives hat Folgendes geschrieben:
die den Wagen in einem bedrohlichen Winkel neigen ließ

Es muß heißen "sich neigen". Das ist reflexiv. Es kann zwar etwas "zur Neige gehen", aber ein Auto kann "sich" nur neigen.

sleepless_lives hat Folgendes geschrieben:
Seine zwei Bewacher grinsten

Ich würde schreiben "Seine beiden Bewacher", aber das ist sicherlich Geschmackssache.

sleepless_lives hat Folgendes geschrieben:
Verspottungen zu ignorieren.

Das Wort kenne ich nicht. "Spott" vielleicht oder "Demütigungen"?

sleepless_lives hat Folgendes geschrieben:
Es zieht einen doch nichts so runter wie wenn die Dummen ausgerechnet wegen ihrer Dummheit die Oberhand behalten.

Das finde ich an dieser Stelle – obwohl zutreffend – irgendwie unpassend. Würde ich streichen.

sleepless_lives hat Folgendes geschrieben:
Der Blutbusch war keine heimische Pflanze, sondern aus irgendeinem Garten entkommen, vor langer Zeit, lange noch vor der Bauern Sodarwin

"den Bauern Sodarwin"

sleepless_lives hat Folgendes geschrieben:
die besagt hätte, wenn es sie gegeben hätte, das das Betreten

"dass das Betreten"

sleepless_lives hat Folgendes geschrieben:
den Händlern Schutz vor sich selbst anbaten

"anboten"

sleepless_lives hat Folgendes geschrieben:
und nahm sein Schicksal in die eigene Hand... oder Zweig oder was auch immer.

Typisch Sleepless. Zum Schmunzeln. Wink

sleepless_lives hat Folgendes geschrieben:
Und er sollte Hilfe bekommen von unerwarteter Seite und unbeabsichtigter Weise, Hilfe von den Bauern Sodarwin.

"in unbeabsichtiger Weise" oder "auf unbeabsichtigte Weise" oder einfach nur "von jenen unbeabsichtigt".

Obligatorische Frage: Wie geht's weiter?

Liebe Grüße
Angela
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sleepless_lives
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Beitrag11.05.2008 07:49
Re: Wildhundland [Roman - Anfang]
von sleepless_lives
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo Angela,
vielen Dank für deine ausführliche Kritik.

Angela hat Folgendes geschrieben:
Ein Genuß, endlich einmal wieder so etwas zu lesen!
Smile  Bin ein Langsam-Schreiber und hab wenig Zeit. Keine gute Kombination.

Angela hat Folgendes geschrieben:

Obwohl mir die Einleitung – denn das ist dieser Abschnitt ja wohl – sehr lang erscheint. Ich würde gern schneller wissen, wie es weitergeht. Die ganzen Details interessieren mich jetzt am Anfang noch nicht wirklich. Vielleicht wäre das eine oder andere auch später noch unterzubringen, wenn die Handlung läuft?
Geht, fürcht ich, im nächsten Teil sogar noch ein bisschen weiter damit. Hab schon geschaut, was ich vielleicht später bringen könnte, aber das ist sehr limitiert. Leider kann ich nicht nur mal eben den Schauplatz erwähnen und jeder hat eine Vorstellung, denn die Gumbana gibt's nicht, ist eher zusammengebaut aus Gegenden, die ich kenne. Es könnte sie aber geben (hätte sie geben können), wenn östlich von Passau der Tien-Shan oder ein ähnliches Gebirge anfangen würde.  


Angela hat Folgendes geschrieben:

Hier ein paar Sachen, die mir aufgefallen sind:
  Danke für die Hinweise, habe daraufhin alles in meiner Version ausgebessert. außer den 'Verspottungen', die mir irgendwie sehr geläufig vorkommen. Mag Standarddeutsch Süd sein.

Besonders:
Angela hat Folgendes geschrieben:

sleepless_lives hat Folgendes geschrieben:
Es zieht einen doch nichts so runter wie wenn die Dummen ausgerechnet wegen ihrer Dummheit die Oberhand behalten.

Das finde ich an dieser Stelle – obwohl zutreffend – irgendwie unpassend. Würde ich streichen.
Der Satz ist mir jedes Mal beim Lesen aufgefallen, hab's aber nicht über mich gebracht, ihn zu streichen. Jetzt ist er raus. Faulkner hat mal bezüglich Liebelingssätzen, -passagen, -ideen im eigenen Schreiben gesagt: "Kill your darlings." Was nicht ins Gesamtbild passt, fliegt raus.

Angela hat Folgendes geschrieben:

sleepless_lives hat Folgendes geschrieben:
den Händlern Schutz vor sich selbst anbaten

"anboten"
Das ist ein bisschen peinlich, denn es war kein Tippfehler. Ich hab wirklich die Vergangenheitsformen von 'bieten' und 'bitten' verwechselt. Zu viel Englisch um mich herum...

Angela hat Folgendes geschrieben:

Obligatorische Frage: Wie geht's weiter?
Kommt schon, will natürlich nicht zu viel verraten. Mal sehen, wie das hier ankommt. Eventuell werd ich mich dann, um einen Dauerbrenner-Platz bewerben. Da wird man zwar weniger kommentiert, aber für mich selber wär's besser, wenn ich unter dem Druck stehen würde, regelmäßig was reinzustellen.
Vielleicht dies als Teaser: die eigentlich Geschichte fängt an, wenn Jonas auf dem Gut der Sodarwins versucht seinen unbegrenzten Frondienst zu überleben und das 'Pech' hat, sich in eine der Sodarwins zu verlieben.

Grüße,

- sleepless_lives


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MosesBob
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Beiträge: 18344

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Beitrag11.05.2008 08:33
Re: Wildhundland [Roman - Anfang]
von MosesBob
Antworten mit Zitat

Guten Morgen!

Angela hat ja schon ganze Arbeit geleistet. smile

Zusätzlich:

sleepless_lives hat Folgendes geschrieben:
Es zieht einen doch nichts so runter wie wenn die Dummen ausgerechnet wegen ihrer Dummheit die Oberhand behalten.

Der Satz wirkt tatsächlich etwas fehl am Platz. Kann aber auch an der ungünstigen Formulierung liegen. Wenn du an ihm festhalten möchtest, schlage ich folgende Variante vor: „Nichts zieht einen so runter wie die Dummen, wenn sie ausgerechnet wegen ihrer Dummheit die Oberhand behalten.“

sleepless_lives hat Folgendes geschrieben:
Die Stimmung der Sodarwin-Leute hatte sich nach ihrer Neuerwerbung zusehends gebessert und sie hatten eine Reihe von Milchmädchenrechnungen aufgestellt, die eine Vielzahl von ahnungslosen Bauern vorbeiziehen ließen, welche sie alle miteinander einsacken würden und welche sie zu reichen Menschen machen würden.

Vorschlag: „Die Stimmung der Sodarwin-Leute hatte sich nach ihrer Neuerwerbung zusehends gebessert und sie hatten eine Reihe von Milchmädchenrechnungen aufgestellt, die eine Vielzahl von ahnungslosen Bauern vorbeiziehen ließen, die sie alle miteinander einsacken und zu reichen Menschen machen würden.“

sleepless_lives hat Folgendes geschrieben:
Das war jedoch eher unwahrscheinlich, denn die Straße führte den See und das anschließende Sumpfgebiet im weiten Bogen vermeidend durch unbewohntes Gebiet, das im Licht der herbstlichen Spätnachmittagssonne so friedlich, idyllisch und überwältigend schön aussah, wie Jonas sich nicht erinnern konnte, es jemals zuvor gesehen zu haben.

Keine Ahnung, wie die Reform dazu steht, aber nach der alten Regelung muss diese Passage in Kommas stehen. Liest sich dann auf jeden Fall eindeutiger, flüssiger. Grammatikalisch ist es ja dasselbe wie dieser Satz, wo du die Kommata auch einschiebend verwendest:
sleepless_lives hat Folgendes geschrieben:
Die Laubbäume, meist vereinzelt stehend, manchmal in kleinen Waldstücken zusammengedrängt, hatten sich gelb-braun-rötlich verfärbt.



Fazit: Ich finde deine Langsatzstil hier wesentlich besser als bei der anderen Geschichte, die ich kommentiert hatte. Die Sätze sind übersichtlicher, weil ordentlicher koordiniert. Wie auch Angela, finde ich diesen Einstieg allerdings sehr langatmig. Auf der einen Seite denke ich mir, dass ein paar Dialoge die Story aufpeppeln würden. Auf der anderen Seite frage ich mich, warum du die Geschichte nicht mit der Szene beginnst, in der Jonas angeschossen wird. Das wäre ein packenderer Einstieg als dieser doch sehr ausgiebig geschilderte mit den detaillierten Landschaftsbeschreibungen und Beziehungskisten.

Beste Grüße,

Martin


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Ninchen
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Beitrag11.05.2008 08:40

von Ninchen
Antworten mit Zitat

Mir gefällt deine Schreibweise sehr gut, und ich habe deinen Text gerne gelesen. Dein kurzer Hinweis auf die Fortsetzung macht neugierig, und daher bin ich jetzt schon gespannt, wie es weitergeht.

Angela hat ja schon viele Korrekturvorschläge gemacht, daher von mir was Allgemeines:

Viele deiner Sätze sind unheimlich lang und enthalten viele Umschreibungen. Das macht das Lesen (zumindest für mich) oftmals etwas umständlich. Hier mal ein Beispiel:

Zitat:
Der Lastwagen fuhr durch ein weiteres Schlagloch und Jonas hätte beinahe das Gleichgewicht verloren, obwohl er auf dem Boden der Ladefläche des Pritschenwagens saß, die Hände und die Füße mit einem einfachen Strick zusammengebunden, der Strick nicht anders als die, mit denen man Korn- oder Kartoffelsäcke zuband, der Lastwagen nicht anders als die, mit denen man die Säcke zum Markt fuhr, und er selbst und ein anderes erbärmliches Menschlein, das da auf der anderen Seite kauerte, nicht mehr als ein Ware unter anderen


Vielleicht könntest du solche Sätze etwas kürzen oder in mehrere Sätze unterteilen....

Ansonsten bin ich jetzt gespannt, wie's weitergeht  Very Happy


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Rike
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Beitrag11.05.2008 11:48

von Rike
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Hallo sleepless,

Korrekturvorschläge hast du ja schon genug bekommen, also schildere ich dir mal meinen Gesamteindruck.

"Es funktioniert" würde mein Mallehrer jetzt sagen! Die Verknüpfung zwischen aktuellem Geschehen, Rückblende, Natur-, Umgebungs- und Sozialisationsbeschreibung gelingt dir ausgezeichnet und fließend.
Du trägst den Leser sicher durch die Geschichte, so dass er auch das sieht, was du ihm zeigst. Man hat das Gefühl, selbst in diesem wagen zu sitzen und durchgeschüttelt zu werden.

Deine Sprache finde ich zur Thematik sehr passend, wobei die Sätze an manchen Stellen wirklich etwas kürzer sein könnten. Manchmal würde es schon reichen, wenn du ein Komma durch einen Punkt ersetzt.

Besonders die bildhaften Naturbeschreibungen finde ich klasse. Sachlich aber nicht lehrbuchmäßig. Du schaffst lebhafte Bilder, ohne schwülstig zu werden. Einwandfrei!!!

Dein Protagonist und sein Erleben kommt auch authentisch rüber.

Bin auch auf die Fortsetzung gespannt!

 Very Happy Rike


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Ach, in meinem wilden Herzen nächtigt obdachlos die Unvergänglichkeit (R. M. Rilke)
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Merlinor
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Beitrag11.05.2008 12:20

von Merlinor
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Hallo Sleepless

Ich mag Deine Schreibe, habe bei diesem Text aber ein wenig das Problem, dass er sehr langsam in die Handlung führt.
Ähnlich wie MosesBob bin ich der Meinung, dass Du den Leser besser mit einer aktiven Szene locken solltest.
Die Geschichte, wie Jonas angeschossen wird, bietet sich hier doch förmlich an.

Zur Länge Deiner Sätze wurde ja schon einiges gesagt.
In manchen Fällen ist dies sicher ein wirkungsvolles Stilmittel und vom Sinn her gerechtfertigt.
Problematisch wird es meiner Meinung nach dann, wenn Du zwei in Wahrheit eigentlich unabhängige Sätze einfach durch ein Komma verbindest und so zu völlig unnötigen Satzungetümen kommst.

Herzlich  Smile  Smile  Smile

Merlinor
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Gast







Beitrag11.05.2008 13:53
Re: Wildhundland [Roman - Anfang]
von Gast
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sleepless_lives hat Folgendes geschrieben:
Danke für die Hinweise, habe daraufhin alles in meiner Version ausgebessert. außer den 'Verspottungen', die mir irgendwie sehr geläufig vorkommen. Mag Standarddeutsch Süd sein.

Du hast recht. Das Wort gibt es tatsächlich. Ich habe es im Duden nachgeschaut und war sehr erstaunt. "Das Verspotten" kannte ich und natürlich das Verb "verspotten", aber "die Verspottung" steht als Substantiv zu "verspotten" in meinem Duden, und ich kannte es nicht. Ich habe so lange in Süddeutschland gelebt und das dort kein einziges Mal gehört. Aber vielleicht war es zu sehr der Westen Süddeutschlands. Wink Das Wort kommt mir immer noch sehr fremd vor, aber es stimmt. Ich hätte nie gedacht, daß ich in meinem Alter noch mal ein Wort dazulerne. Vielen Dank!

Ansonsten möchte ich mich MosesBob und Merlinor anschließen. Die Szene, in der Jonas angeschossen wird, wäre vielleicht ein guter Einstieg.

Daß das Ganze auf eine Liebesgeschichte hinausläuft, gefällt mir natürlich sehr, und ich bin sehr gespannt, wie Du die Liebesgeschichte dann beschreibst. Wink

Liebe Grüße
Angela
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sleepless_lives
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Beitrag12.05.2008 15:58

von sleepless_lives
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Dank an alle für Lob und Kritik.

Zwei Punkte, die von mehreren von euch angesprochen wurden:

(1) Den Roman mit der Szene anfangen lassen, in der Jonas angeschossen wird.
Hmm, das ist wahr, das würde mit Sicherheit mehr Pepp reinbringen und man könnte es auch sicher ganz spannend hinkriegen, wenn man Sekunden bevor die Sodarwin-Handlanger in das Haus eindringen, einsetzt. Anderseits ist das eine Szene, die wohl den Leser, aber mich selbst überhaupt nicht interessiert. Ich will sie so nebensächlich wie möglich halten. Für Jonas ist es 'shit happens', obwohl es sein Leben radikal verändert. Wie der Moment, wenn man die Wohnungstür zuknallt und im selben Moment feststellt, dass man den Schlüssel innen vergessen hat. Obwohl man zehn Minuten davor noch gedacht hat, "Steck den Schlüssel gleich ein, beim Rausgehen vergisst du ihn sicher wieder." Nur dass bei Jonas die Motivationen und Folgen etwas gravierender sind.
Zudem habe ich mit dem bisherigen Anfang eins der 'Leitmotive' im ersten Abschnitt angeschnitten: die Herrschaft des Wirtschaftlichkeitsdenken, wo sich alles dem Prinzip der Nützlichkeit unterordnen muss (und später kollidiert das mit den 'Dingen', die sich dem Nutzen entziehen, die Gefühle der Menschen (ja, auch und besonders, die Liebe, bin ja Optimist), der Blutbusch und die Wildhunde).
Außerdem wird der Roman nichts sein für Leute, die nur auf Action stehen. Es wird auch später Passagen geben, die über Hintergründe berichten, scheinbar abschweifen, um am Ende alle Fäden zusammenzubringen. Soll ich also am Anfang dem Leser etwas vortäuschen, das nicht eintreten wird? Ich mein das als echte Frage, nicht als rhetorische. Sind enttäuschte Leser schlimmer oder besser als gar keine Leser? Die Verlage würden sich wahrscheinlich für die Enttäuschten entscheiden, denn dann hat der Kunde das Buch schon meist gekauft.  
Muss mir das nochmal durch den Kopf gehen lassen...

(2) Die langen Sätze
Da wir das schon ziemlich ausführlich in den Kommentaren zu Strandläufer diskutiert haben, erlaube ich mir, einfach nur darauf zu verweisen.

Nun noch im Einzelnen:

@MosesBob
MosesBob hat Folgendes geschrieben:

sleepless_lives hat Folgendes geschrieben:
Das war jedoch eher unwahrscheinlich, denn die Straße führte den See und das anschließende Sumpfgebiet im weiten Bogen vermeidend durch unbewohntes Gebiet, das im Licht der herbstlichen Spätnachmittagssonne so friedlich, idyllisch und überwältigend schön aussah, wie Jonas sich nicht erinnern konnte, es jemals zuvor gesehen zu haben.


Keine Ahnung, wie die Reform dazu steht, aber nach der alten Regelung muss diese Passage in Kommas stehen. Liest sich dann auf jeden Fall eindeutiger, flüssiger.

Hab's jetzt auch nicht nachgeschaut, ob's inzwischen optional ist, aber du hast auf jeden Fall recht, liest sich viel besser mit den Kommas und wenn man es sprechen würde, müsste man hier auch deutlich die Intonation ändern, um den Einschubcharakter deutlich zu machen.   

MosesBob hat Folgendes geschrieben:

Ich finde deine Langsatzstil hier wesentlich besser als bei der anderen Geschichte, die ich kommentiert hatte. Die Sätze sind übersichtlicher, weil ordentlicher koordiniert.

Bin auch im hohen Alter noch lernfähig  Rolling Eyes Im Ernst, ich lass jetzt nur noch Sätze stehen, deren Länge ich notfalls mit dem Messer verteidigen würde... oder so ähnlich. Das DSFo als Schreibschule. Smile  

@Ninchen
Danke für die freundlichen Worte. Hoffe, dass ich die Spannung halten oder steigen kann in den nächsten Teilen.  

@Rike
Rike hat Folgendes geschrieben:
Besonders die bildhaften Naturbeschreibungen finde ich klasse. Sachlich aber nicht lehrbuchmäßig. Du schaffst lebhafte Bilder, ohne schwülstig zu werden. Einwandfrei!!!

Freut mich natürlich besonders, denn wie man an manchen der anderen Kommentare sieht, muss ich um diesen Punkt ein bisschen kämpfen. Schützenhilfe sehr willkommen.

@Merlinor
siehe oben

@Angela
Angela hat Folgendes geschrieben:
Ich hätte nie gedacht, daß ich in meinem Alter noch mal ein Wort dazulerne. Vielen Dank!

Gern geschehen  Very Happy

Angela hat Folgendes geschrieben:
Daß das Ganze auf eine Liebesgeschichte hinausläuft, gefällt mir natürlich sehr, und ich bin sehr gespannt, wie Du die Liebesgeschichte dann beschreibst.

Das wird weder für meine Protagonisten noch für mich einfach werden...


Grüße,

- sleepless_lives


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Gast







Beitrag13.05.2008 16:28

von Gast
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Ich möchte noch einmal kurz einen Extrapunkt für den Titel vergeben, hatte ich oben vergessen. Ich finde, "Wildhundland" ist ein toller Titel. Macht wahnsinnig neugierig. Vielleicht, weil es exotisch wirkt, denn bei Wildhunden denkt man ja sofort an Australien, aber auch, weil es so viele Assoziationen mitschwingen läßt. Auch Menschen können wie wilde Hunde sein, schlimmer natürlich, denn Tiere sind ja nie von Natur aus bösartig, und ein Land, das von solchen "Wildhundmenschen" beherrscht wird, muß furchtbar sein. Man erwartet also einiges an Spannung bei diesem Titel. Vielleicht deshalb auch das Gefühl, es müßte eher mit Action losgehen und die Handlung müßte im Mittelpunkt stehen.

Du bist erfahren genug im Schreiben, Du weißt, daß Du eine gesunde Mischung finden mußt. Egal ob Handlung oder Hintergrundinformationen: Du mußt den Leser einfach fesseln, das ist das einzige, was zählt. Auch "Tell" kann fesseln, das haben wir in einem anderen Thread ja schon mal festgestellt. Wie gesagt: Auf die Mischung kommt es an.
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sleepless_lives
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Beitrag14.05.2008 16:02

von sleepless_lives
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Hier ist der zweite Teil, in dem die Wildhunde das erste Mal in Erscheinung treten, noch harmlos....


Wie um seiner Daseinsberechtigung in der Gumbana Nachdruck zu verleihen, wuchs der Blutbuschkeimling schnell zu seiner endgültigen Höhe von anderthalb bis zwei Meter heran mit langen, wenig verzweigten, stielartigen Trieben. Dann jedoch fing er an, sich zu verzweigen und verästeln, netzwerkartig in sehr pittoresken Windungen und Winkeln zu wachsen und die Stämme und Äste verholzten und wurden immer dicker, bis der Blutbusch mit seinen abertausenden von winzigen, robusten, wächsernen Blättern jeden erreichbaren Quadratzentimeter von Sonnenlicht abfangen konnte. Wenn der Blutbusch in der engen Nachbarschaft seiner Artgenossen sprießte, gab er seine seitlichen Blätter und Zweige auf, sie starben ab, und behielt nur die obere Schicht, vielleicht einen halben Meter dick, in der er sich mit seinen Nachbarn verschränkte. So bildeten die großen Ansammlungen von Blutbüschen, die nun überall vorherrschten, eine durchgehend geschlossene Fläche, ein starres grünes Meer. Unter diesem dichten Blätter-Äste-Dach mussten die anderen Pflanzen die Waffen strecken, und dort unten war das trockene Reich ewiger Dämmerung sein eigener Schattenkosmos aus Hohlräumen und seltsamen, zufällig entstandenen Pfaden zwischen den Buschstauden, die nirgendwo herkamen und nirgendwo hinführten, wo ein erwachsener Mensch nicht aufrecht stehen konnte, sondern zum Kriechgang auf allen Vieren verurteilt war, der so vielen der Kreaturen zu eigen war, mit denen er die dünne Oberflächenschicht der Erde teilte und auf die er doch normalerweise herabsah, wie zum Beispiel... sag es... den Wildhunden. Und als ob sich Jonas' Gedanken in die Wirklichkeit verlängert hätten, war das Heulen eines Hundes zu hören, fern-nah, irgendwo aus der unsichtbaren Unterschicht kommend; jemand sammelte seine Truppen.

Die beiden Bewacher zuckten zusammen und sie waren nicht abgebrüht genug, dass man ihnen ihre Angst nicht vom Gesicht ablesen konnte, so sehr sie sich auch darum bemühten. Die waren nicht von hier, dachte Jonas, die waren angeheuert, die hatten ihre eigene kleine Menschenjagdfirma, Lastwagen inklusive. Die Wildhunde würden den Wagen nicht angreifen, dazu waren sie viel zu schlau, die Biester, sie schlugen nur zu, wenn sie alle Vorteile auf ihrer Seite wussten. Seine Widersacher schienen das nicht zu wissen und Jonas würde es ihnen ganz sicher nicht mitteilen. Er betrachtete seinen Mitgefangen, einen schmächtigen Mann, Mitte Vierzig vielleicht, aber die Leute sahen hier meist älter aus als sie in Wirklichkeit waren; er saß regungslos da, seinem Gesicht nach innerlich zutiefst verzweifelt, doch nicht im Geringsten beeindruckt vom Heulen der Hunde. Ihre Blicke begegneten sich für einen flüchtigen Moment, aber keiner von beiden zeigte die geringste Regung. Warum auch, alle Tatsachen, Absichten und Machtverhältnisse waren mehr als klar und der Feind meiner Feinde da draußen würde nie mein Freund sein, zumindest nicht von seiner Seite aus.

Dann konnte Jonas sie sehen, zwei Hunde, auf einem Findling Ausschau haltend, ziemlich weit weg. Mein Gott, die Bastarde waren groß, kein Wunder, dass sie die Wölfe in die Gebirgsregionen verdrängt hatten. Jonas' Vater hatte immer gesagt, »Lieber eine ganze Nacht inmitten eines Wolfrudels, als fünf Minuten auf fünf Meter mit einem einzelnen Wildhund«, und er hatte es wissen müssen, er hatte hautnahe Begegnungen mit beiden erlebt und hatte zu den wenigen gehört, die ihre Geschichte später anderen hatten erzählen können. Die Wölfe mochten Menschen nicht besonders, aber sie gingen ihnen aus dem Weg, die Wildhunde jedoch hassten Menschen aus tiefster Seele - oder was auch immer sie an ihrer Stelle besaßen - und sie scheuten die Konfrontation nicht, sie hatten gute Gründe dafür. Sie kannten, was sie hassten, waren sie doch zumindest in erster Generation des Menschen treuster Freund gewesen, bevor die Wildnis ihre Kinder wieder zu sich genommen hatte. Sie hatten einen hohen Preis in Blut gezahlt am Anfang, damals als es nur wenige von ihnen gegeben hatte, denn die Bauern hatten sie gejagt und erschlagen, wo sie nur konnten. Das hatte sich geändert wie die Landschaft in der Gumbana und die Gejagten waren die Jäger geworden. Sie mussten sich sehr sicher wähnen, denn normalerweise bekam man sie nur dann zu Gesicht, wenn es zu spät war, wenn die Blutbüsche sich um einen herum alle gleichzeitig teilten und haarige Wesen mit Fangzähnen und Krallen ausspieen.

Ein paar Minuten später kam der Wagen zum Stehen, man hatte eine Weggabelung erreicht und wusste offensichtlich nicht, welchem Weg man folgen sollte. Der eine Bewacher fasste seine Schrotflinte mit festerem Griff, jetzt würde er wohl doch lieber etwas Effektiveres in der Hand haben. Natürlich konnte man mit einem etwas geübten Blick sofort sehen, dass die eine Straße viel öfter befahren wurde als die andere, aber man musste wohl in der Gumbana aufgewachsen sein, um die Zeichen zu sehen oder überhaupt auf die Idee zu kommen, nach ihnen Ausschau zu halten. Die vier Männer waren offenbar ahnungslos, eine handgezeichnete Karte wurde hervorgeholt, herumgereicht und diskutiert, wobei die Männer es tunlichst vermieden, den Wagen für mehr als ein paar Sekunden zu verlassen. Doch die Gabelung war nicht eingetragen, sollte überhaupt nicht da sein. Jonas' Mitgefangener schien nun doch beunruhigt zu sein, etwas ging ihn ihm vor und er senkte den Blick mit schmerzvoll verzerrtem Gesicht.

Der Mann mit der Flinte sah Jonas an: »Du weißt nicht etwa den Weg?«
»Selbst wenn, warum sollt ich's euch sagen?`«
»Wenn die Hunde uns kriegen, bist du genauso dran!«
»Darauf lass ich's ankommen.«
»Vielleicht lassen wir dich einfach ein paar Meter vorausgehen. Vor dem Wagen. Als Pfadfinder!« er grinste. »Wirst schon sehen dann.«
»Ja, gute Idee«, sagte Jonas ruhig, »Wenn die Hunde das Blut riechen und nicht mehr den Lastwagengestank... viel Spaß.«
Jonas war über sich selbst überrascht; dass er einen solchen Unsinn mit so viel Überzeugung von sich geben konnte. Die Wildhunde hatten sie längst ausgemacht und waren dem Wagen in sicherer Entfernung gefolgt, hatten ihn, als er anhielt, mit großem Radius umstellt. Im Sommer konnte man ihr Verhalten mitunter beobachten, wenn der Blutbusch voller Blütenstaub war und jede leiseste Berührung eine kleine Staubwolke in die Luft aufsteigen ließ.

Der Mann wurde ärgerlich und richtete die Flinte auf Jonas. »Vielleicht sollten wir uns dann jetzt gleich ganz von dir trennen.«
»Rechts!«, sagte der Mitgefangene, »es ist der rechte Weg, um Gottes Willen. Und nun fahrt schon.«
Er hatte recht, was würden sie schon gewinnen, wenn sie ein paar hundert Meter in die falsche Richtung fahren würden bis zum nächsten aufgegebenen Hof. Nichts würde das ändern. Aber die Männer glaubten, besonders schlau zu sein.
»Wenn der 'rechts' sagt, heißt das 'links'.« sagte der Fahrer, der sich aus seinem offenen Fenster herausgelehnt hatte. »Der hat uns bisher nur Scheiß erzählt.«
»Frepp dich selbst!« murmelte der Mitgefangene, den lokalen Ausdruck für 'ficken' benutzend.  
Und so fuhren sie links.

« Was vorher geschah123456Wie es weitergeht »



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Rheinsberg
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Beitrag14.05.2008 17:38

von Rheinsberg
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Ich lese mit Interesse, versuche aber noch vergeblich, den Text irgendwo einzusortieren. Es hört sich so etwas nach Fantsy an - aber dann auch wieder zu real.
Es bleibt spannend, wie es scheint.


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Beitrag14.05.2008 19:50

von Merlinor
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Himmel, und ich mag Deine Sprache! Ich, der überzeugte Verweigerer von Schachtelsätzen. (Außer in der "unendlichen Geschichte", Hehe)
Und da ich mich mittlerweile damit angefreundet habe, dass Du Deine Geschichte etwas langatmig erzählen willst, lese ich sie mit steigendem Interesse.

Herzlich   Very Happy  Very Happy   Very Happy

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sleepless_lives
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Beitrag15.05.2008 16:11

von sleepless_lives
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@Rheinsberg
Rheinsberg hat Folgendes geschrieben:
Ich lese mit Interesse
Freut mich.

Rheinsberg hat Folgendes geschrieben:
versuche aber noch vergeblich, den Text irgendwo einzusortieren. Es hört sich so etwas nach Fantsy an - aber dann auch wieder zu real.
Fantasy? Nee, aber vielleicht sollt ich das einfach behaupten und meine Leserschaft würde sich gewaltig vergrößern. Aber die wären dann doch sehr enttäuscht, wein kein einziger Zwerg darin vorkommt, auch kein ganz kleiner Very Happy , kein Troll, keine Elfen, Drachen, Hexen... warte, eine Hexe wird auftauchen, aber sie wird von den anderen nur so bezeichnet.
Vielleicht ist es, wenn man es überhaupt einordnen muss, 'magischer Realismus' oder eher die Umkehrung davon, nicht das Phantastische wird als real beschrieben, sondern das Reale als phantastisch. Wahrschienlich ist es einfach nur postmodern (im eigentlich Sinn).

@Merlinor
Merlinor hat Folgendes geschrieben:
Himmel, und ich mag Deine Sprache! Ich, der überzeugte Verweigerer von Schachtelsätzen.
Danke, puh, *den-Schweiß-von-der-Stirn-wisch*, ich hoffe, ich kann den Stil durchhalten, so dass du und andere Schachtelsatzverweigerer (schönes Wort) weiterhin dabei bleiben.

Merlinor hat Folgendes geschrieben:
(Außer in der "unendlichen Geschichte", Hehe)
Ist mir durchaus aufgefallen. Dachte schon du bist konvertiert Smile


Grüße,

- sleepless_lives


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Charlotte
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Beitrag15.05.2008 22:34

von Charlotte
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Hallo Sleepless,

ich habe Deinen Text mit Interesse gelesen. Dein Stil erinnert mich an jemand - vielleicht S. Lenz? Kann ich jetzt nicht sicher sagen, ist schon eine Weile her, daß ich ihn gelesen habe.
Der Text ist ein wenig monoton (ich schätze, Du willst das so), aber eben auf angenehme Weise, und man liest es gern, zumindest geht mir so.

Viele Grüße
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Leona
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Beitrag16.05.2008 09:50

von Leona
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Hallo Sleepless!

Dein Text gefällt mir außerordentlich gut, du beschreibst sehr schön. Ich kann mir die Umgebung bildlich vorstellen. Weiter so! Einige Sätze (aber das wurde ja auch schon angesprochen) sind etwas lang, doch trotzdem gefällt mir dein Schreibstil sehr.
Ich freue mich auf die Fortsetzung!

lg,
Leona
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sleepless_lives
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Beitrag17.05.2008 14:58

von sleepless_lives
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@Charlotte
Danke für das Interesse.

Charlotte hat Folgendes geschrieben:
Dein Stil erinnert mich an jemand - vielleicht S. Lenz?

Hmm, hab nie was von Siegfried Lenz gelesen (oder wenn, was in der Schule und ich hab's inzwischen vergessen). Aber vielleicht sollte ich dann mal was von ihm lesen. Mein Stil ist  sicherlich von den Schriftstellern beeinflusst, die ich am meiste mag, W. Faulkner, T. Mann, T. Pynchon, D. DeLillo und J. Saramago.

Charlotte hat Folgendes geschrieben:
Der Text ist ein wenig monoton (ich schätze, Du willst das so)
Wenn du damit meinst distanziert, ja, das ist Absicht. Es ist auch nicht nur einfach Schreibstil, sondern liegt zum Teil  an den Hauptpersonen und ihrem Leben in der fiktiven Gegend Gumbana: Wenn die Dinge dauerhaft schlecht stehen, das Leben zum Überleben wird und man oft schlimme Geschehnisse miterlebt, legen sich man meist ein dickes Fell zu. Falls du was anderes gemeint hast, muss ich noch überlegen, ob ich das wirklich so will.

@Leona
Danke für das Lob  Embarassed


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sleepless_lives
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Beitrag17.05.2008 18:11

von sleepless_lives
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Und hier ist der dritte Teil


Wie von Jonas erwartet, erreichten sie nach ein paar Minuten einen aufgegebenen Bauernhof, Gras wuchs zwischen den Steinen des gepflasterten Platzes vor dem zweistöckigen Wohnhaus, die Blutbüsche hatten sich, wo sie konnten, bis an die Häuser herangearbeitet, das Dach der Scheune begann zu zerfallen. Jonas bemerkte, dass alle Fensterläden im Erdgeschoß des Wohnhauses noch in erstaunlich gutem Zustand waren. Das gehörte zu den wenigen Dingen, die man nicht vernachlässigen konnte, wenn man überleben wollte und doch gleichzeitig den Eindruck erzeugen wollte, dass niemand zu Hause sei. Die Männer fluchten. Der Fahrer, offensichtlich der Boss, befahl den drei anderen im Haus nachzuschauen, was zu einer kleinen Auseinandersetzung führte, in deren Verlauf so ziemlich alle üblichen Schimpfwörter gegenseitig an Köpfe geschmissen wurden, denn die drei hatten nicht die geringste Lust, die relative Sicherheit des Wagens zu verlassen und auf einem aufgegebenen Bauernhof den Wildhunden zu erlauben, mit ihnen Katz und Maus zu spielen – die Wildhunde mögen diese unstatthafte Gleichsetzung entschuldigen. Schließlich setzte sich der Boss durch und die drei nahmen die zwei Flinten und einen Knüppel und gingen zur Tür des Wohnhauses und einer klopfte an die Tür, während die anderen beiden sich seitlich außerhalb des Blickfeldes einer die Türe öffnenden Person positionierten. Aber niemand öffnete. Dann versuchten sie, die Tür einzutreten, was ihnen schließlich gelang und sie verschwanden im Inneren, während der Fahrer begann, den Wagen zu wenden.

Der Mitgefangene war nun sichtlich beunruhigt und Jonas dämmerten die Zusammenhänge.
Mit leiser Stimme sagte er: »Hoffe, deine Leute haben sich verkrochen.«
Der Mann sah ihn an und versuchte, nicht überrascht zu wirken, aber die Sorge um Angehörige, die sich irgendwo dort auf dem Hof versteckt hielten, konnte er nicht unterdrücken, sein Gesicht sprach Bände, wenn man lesen konnte. Gut, dass die anderen es die ganze Zeit auf die Bedrohung durch die Wildhunde bezogen hatten.
»Wenn sie den Wagen gehört haben...« flüsterte er und für einen Moment übermannte ihn die Verzweiflung. »Meine Frau hat mich noch gewarnt. Nicht heute zum Markt. Aber wir brauchten doch... für die Kinder...«
Die Männer erschienen wieder.
»Niemand da!« rief der mit der Halswunde. »Aber jemand war da. Noch vor kurzem.«  
»Seht in der Scheune nach!« rief der Fahrer, »Meistens verstecken sie sich in der Scheune.«
Der Mitgefangene blickte Jonas an und sein Gesicht hellte sich ein wenig auf.
»Nun denn!« sagte er.
Jonas nickte.
Die drei Männer gingen sich ständig umsehend über den Platz zur Scheune.
Jonas sagte: »Jonas. Ingenieur.«
»Andreas. Bauer«, sagte sein Gegenüber, »Meinst du, dass...?«  
»Nee«, erwiderte Jonas, »der Fahrer wird nicht so blöd sein, auszusteigen und nachzusehen.«

Dann mussten sie aufhören zu sprechen, da der Fahrer den Wagen gewendet hatte und den Motor abgestellt hatte. Es wurde ruhig bis auf einen Schwarm von Regenbogenmarins, irgendwo in den Blutbüschen hinter der Scheune, die wie immer soviel Lärm machten, dass man sich wunderte, wie diese Vogelart es geschafft hatte, ihren Platz auf dem großen Evolutionskarussell zu behalten, wenn sie doch jederzeit all ihren Freßfeinden mitteilten, wo sie zu finden seien. Die Männer waren an einer der Ecken der Scheune angelangt. Das Haupttor an der Schmalseite war nur angelehnt und in der Längsseite eröffneten ein paar fehlende Bretter in der Wand eine weitere Eintritts- oder Fluchtmöglichkeit. Auf den restlichen beiden Seiten waren die Blutbüsche schon bis an die Wände der Scheune vorgedrungen und von dort flogen die Regenbogenmarins plötzlich auf und über die Scheune und über die Männer und den Platz und den Lastwagen und einfach alles da unten hinweg, nun in heller Aufregung, sich gegenseitig die eingebildete oder auch tatsächliche Gefahr bestätigend, die sie von ihrem vorigen Aufenthaltsort vertrieben hatte. Die Männer verständigten sich jetzt nur noch mit Zeichen und der mit dem Knüppel bedeutete dem einen mit Flinte zu dem Loch in der Wand zu gehen, welcher daraufhin erst einmal sicherstellte, dass die Enden seiner Hosenbeine ausreichend weit über  die Schäfte seiner robusten Schuhe hinausreichten, denn am Rande der Scheune wuchsen überall Zornnesseln, die anders als die mit ihnen verwandten Brennnesseln bei der Berührung mit der ungeschützten Haut erhebliche Schmerzen verursachten, die nur langsam über einen halben Tag abklangen.

»Die werden doch nicht wirklich so dumm sein«, murmelte Jonas unhörbar zu sich selbst. Einen Moment dachte er daran, sie zu warnen, doch dann dachte er, warum, die würden weiterhin andere zu Gefangenschaft und Tod verurteilen und die zurückgebliebenen Familien zu einem langsamen Sterben auf Raten, denn kaum einer von den kleinen überlebenden Höfen konnte sich den Verlust einer wesentlichen Arbeitskraft leisten. Jonas fiel auf, dass er nicht zuerst daran gedacht hatte, dass Kindern der Vater und Frauen der Mann weggenommen wurde, sondern an der Wegfall einer Arbeitskraft; die Gumbana hatte ihn im Verlauf eines einzelnen Tages schon wieder vergiftet. Natürlich, es würde nichts ändern, wenn diese Männer die Scheune betraten, andere würden sie ersetzen, genau genommen, waren diese schon die anderen, die wiederum andere ersetzt hatten. Es gab keinen Mangel an Männern, die Arbeit suchten und nicht allzu hohe moralische Ansprüche an diese stellten. Der Mann mit der Flinte war an dem Loch in der Scheunenwand angekommen. Er sah misstrauisch zu der Blutbuschfront hinüber, die hier bis auf etwa vier Meter an die Scheune heranreichte. Die anderen beiden hatten sich links und rechts vom Tor aufgestellt. Da die Männer sich nicht mehr gegenseitig sehen konnten, koordinierte der Fahrer vom Wagen aus die Aktion und der General auf seinem Hügel lehnte sich aus dem Fenster und gab das Zeichen zum Angriff.

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Charlotte
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Beitrag17.05.2008 20:26

von Charlotte
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Hallo sleepless,

"...es hilft nichts: immer führt da die helle, sandfarbene Straße am Fjord entlang, staubgepuderte Telegraphendrähte summen über den Klippen, zerschneiden das Ufer in dünne Scheiben; ein steinübersäter Hang fällt zur Straße ab; über dem Boden liegt ein bitterer Geruch von zähem Gewächs. Die Luft ist windlos. Und immer liegen drei Männer flach auf dem Hang mit ihren Waffen, und ein anderer Mann kauert auf dem Felsvorsprung, von dem aus er die gezackten, scharfkantigen Wände des Tunnels erkennen kann..."

Wie findest Du das? Ich habe das Buch, an das ich dachte, heraus gekramt: "Stadtgespräch" von Siegfried Lenz. Ich kann es Dir nur empfehlen.
Es ist nicht ganz der gleiche Stil, aber eine gewisse Affinität spüre ich schon. Du hast mich jetzt dazu gebracht, es noch einmal zu lesen, denn ich weiß noch, daß es mir - gerade wegen seinem gewissen monotonen Stil - gefiel.
Ich meine damit, daß der Text keine auffälligen Spitzen hat, sondern allein die Erzählstimme ist es, die einen mit sich fortträgt, langsam, und ohne Zwang auszuüben. So ging es mir bei S. Lenz.

Bisher hatte ich bei deinem Text auch dieses Gefühl, obwohl er jetzt allmählich eine vage Änderung erfährt, er gewinnt, habe ich gesehen, an pointierter Dramatik.

s.l. Charlotte
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Beitrag18.05.2008 06:03

von sleepless_lives
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Charlotte hat Folgendes geschrieben:
...es hilft nichts: immer führt da die helle, sandfarbene Straße am Fjord entlang, staubgepuderte Telegraphendrähte summen über den Klippen, zerschneiden das Ufer in dünne Scheiben; ein steinübersäter Hang fällt zur Straße ab; über dem Boden liegt ein bitterer Geruch von zähem Gewächs. Die Luft ist windlos. Und immer liegen drei Männer flach auf dem Hang mit ihren Waffen, und ein anderer Mann kauert auf dem Felsvorsprung, von dem aus er die gezackten, scharfkantigen Wände des Tunnels erkennen kann..."

Wie findest Du das? Ich habe das Buch, an das ich dachte, heraus gekramt: "Stadtgespräch" von Siegfried Lenz. Ich kann es Dir nur empfehlen.

Jetzt muss ich das in der Tat lesen. Der Stil gefällt mir außerordentlich gut, wie er da ein paar Bilder aneinanderfügt, nur mit Komma oder Semikolon getrennt Satzteile, man gleitet förmlich von einem zum nächsten, und dann hält er die Bewegung mit  dem ultrakurzen Satz "Die Luft ist windlos." an, wie um das Bewegungslose da zu betonen, wo man Bewegung am meisten erwartet hätte ('ist es nicht immer windig in Fjorden'). Und wie er es schafft in den paar Zeilen, die ganze Situation klar zu machen. Dafür brauchen andere eine halbe Seite.

Charlotte hat Folgendes geschrieben:
Es ist nicht ganz der gleiche Stil, aber eine gewisse Affinität spüre ich schon. Du hast mich jetzt dazu gebracht, es noch einmal zu lesen, denn ich weiß noch, daß es mir - gerade wegen seinem gewissen monotonen Stil - gefiel.
Ich meine damit, daß der Text keine auffälligen Spitzen hat, sondern allein die Erzählstimme ist es, die einen mit sich fortträgt, langsam, und ohne Zwang auszuüben. So ging es mir bei S. Lenz.

Ok, jetzt versteh ich, was du meinst. Ja, das ist wahrscheinlich die Art, wie ich schreiben will.

Charlotte hat Folgendes geschrieben:
Bisher hatte ich bei deinem Text auch dieses Gefühl, obwohl er jetzt allmählich eine vage Änderung erfährt, er gewinnt, habe ich gesehen, an pointierter Dramatik.

Ich glaube, es wird in 'Wildhundland' immer wie eine sanfte, sehr langsame  Wellenbewegung sein, wo etwas mehr pointierte Passagen wechseln mit Passagen, in denen, wie du das sehr treffend ausgedrückt hast, die Erzählstimme einen fortträgt.

Wenn du diese Art von Schreibstil magst und nichts gegen lange Sätze hast, würde ich dir anderseits empfehlen, mal was von José Saramago  zu lesen, wenn du ihn nicht vielleicht schon lange kennst.
 
 
José Saramago (Geschichte der Belagerung von Lissabon) hat Folgendes geschrieben:
Es war fast sieben Uhr abends, als Maria Sara eintraf. Raimundo Silva hatte bis um fünf geschrieben, aber nie so recht bei der Sache, unter Mühen bekam er zwei oder drei Zeilen zustande, und jedesmal wieder starrte er aus dem Fenster, schaute Wolken nach, eine Taube ließ sich da vor seinem Erkerfenster nieder und starrte ihn durch die Scheibe an, mit ihrem roten harten Auge, dabei ihr Kopf rasche und und zugleich fließende Bewegung machte, der Papierkorb, den er sich aus dem Arbeitszimmer geholt hatte, war randvoll mit zerfetzten Blättern, ein Werk der Vernichtung, falls das von nun an so weitergeht, besteht große Gefahr, daß die Geschichte hier ein Ende nimmt und die Portugiesen ewig vor dieser uneinnehmbaren Stadt festhängen, ohne den Mut, sie zu erobern, und ohne die Kraft, es zu unterlassen.

Der Vollständigkeit halber, Raimundo Silva ist kein Schriftsteller, sondern ein Korrektor, der bei einer Korrektur eines geschichtswissenschaftlichen Buches in einen Schlüsselsatz einfach ein 'nicht' einfügt. Und dann beginnt er, eine alternative Version der Geschichte der Belagerung von Lissabon zu schreiben. Irgendwie find ich das sehr passend zu der Situation von vielen hier im Forum.

Grüße,

- sleepless_lives.


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Leona
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Beitrag18.05.2008 11:23

von Leona
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Hallo Sleepless!

Dein Text gefällt mir, die wörtliche Rede lockert den Text schön auf.

Zitat:
Schließlich setzte sich der Boss durch und die drei nahmen die zwei Flinten und einen Knüppel und gingen zur Tür des Wohnhauses und einer klopfte an die Tür, während die anderen beiden sich seitlich außerhalb des Blickfeldes einer die Türe öffnenden Person positionierten.


Ich finde, der Satz wird durch zu viele "und"s verbunden. Es wirkt zu aneinandergesetzt. Setze doch sonst ein Komma oder eine andere Konjunktion.

Ich finde auch, dass der Text langsam an Spannung aufbaut, vorher bestand der Text viel aus Erklärungen und Beschreibungen (was mich nicht gestört hat).

Ich warte auch die Fortsetzung,smile
lg,
Leona
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Beitrag18.05.2008 15:47

von Charlotte
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Hallo sleepless,

Interessant, daß Du gerade ihn erwähnst, ich habe mir nämlich schon vorgenommen, endlich herauszufinden, was hinter seinem Evangelium nach Jesus Christus steckt, ich bin sehr gespannt. (Du kennst den kleinen Skandel um dieses Werk?)
Ja, natürlich ist er mir ein Begriff, ich habe zwar noch nicht viel von ihm gelesen, aber ich weiß, daß er 98 den Nobelpreis bekam. Er schreibt ein wenig surrelistisch und erinnert auch ein wenig an Kaffka, und den liebe ich ja auch.

Viele Grüße von
Charlotte
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