|
|
Autor |
Nachricht |
Elian Wortedrechsler
Alter: 32 Beiträge: 72
|
23.02.2015 05:43 Wir hinterlassen Werke, um sehen zu können, wie wir uns entwickelt haben von Elian
|
|
|
Wir hinterlassen Werke, um sehen zu können, wie oder ob wir uns entwickelt haben.
Lest mal alte Texte von euch, während ihr Musik hört, die euch heute gefällt und damals gefallen hat. Merkt ihr, was sich verändert hat an euch?
Gerade bin ich etwas wackelig, ich hoffe das stört euch nicht und glaubt nicht, dass ich schreibe um zum Konsum legaler/illegaler Drogen aufzurufen. Ich höre ein kate-Bush-Album, dass ich früher mochte und heute noch mag, und lese in einem alten Philosophie-Forum Texte durch, die ich vor acht Jahren geschrieben habe (mit einem längst deaktivierten Account). Es kommt mir vor, als wenn ich unfreundlich durch die Worte hetze wie ein schnöseliger, genervter Banker... Entschuldigung! Entschuldigung! würde ich ihnen zurufen... und alles wird schneller... na egal...
Also ich höre Kate Bush wie damals, als ich die Texte da schrieb. Irgendwas ist identisch und irgendwas hat sich verändert. Das ist so interessant. Was wären wir nur ohne Aufzeichnungen früherer Äußerungen?
Es ist toll festzustellen, dass ich jetzt viel mehr Stil habe, viel reifer und stabiler und skeptischer und zurückhaltender bin als früher. Haha, was war ich aufdringlich, pampig, gehetzt. Ich klinge da wie ein Mädchen, dass sich in Nietzsche verliebt hat und zum ersten Mal sich traut, den Eltern die Meinung zu sagen. Es ist toll, irgendwo draufzeigen zu können, wenn man versucht, den Anderen glauben zu machen, dass man früher so anders gewesen ist. So naiv, so einfach gestrickt, und so pampig optimistisch.
Würdet Ihr Euch anders wahrnehmen, wenn ihr nicht wüsstet, was ihr früher geschrieben habt?
Ach ich bin so froh, dass ich euch das fragen kann. So ein Forum, so ein Internet ist schon was gutes!! :)
Oh, wie ich gerade merke, sollte ich euch lieber warnen, Musik anzuhören, die euch an eine damalige Liebe erinnert, während ihr Texte aus der Zeit lest. Es ist total schrecklich sinnlos, dass sich eine tolle Gegenwart in eine Vergangenheit verwandelt. Alles woran man sich erinnert, lacht uns höhnisch aus wie ein Autofahrer, der uns eine Weile mitgenommen hat und uns dann mitten in der Pampa rausgesetzt hat und weitergedüst ist. Wie kann man nur derart gehässig sein?
Wir stehen unserer vergangenen Jugend gegenüber wie ein Kind seiner ersten Liebe, es traut sich nicht zu sagen: bleib bei mir, ich brauche dich.
"Jetzt küss ihn doch!", sagen die lieben Freunde und die Mutter, die um mich herumstehen, ich hab eine Träne im Auge, ich fühle mich so unendlich geliebt und jetzt würde ich mich trauen, ihm zu sagen, dass ich ihn liebe, aber jetzt geht es nicht mehr. Jetzt ist nur die Musik von damals hier.
Das ist so ein seltsames Gefühl, man glaubt, dass man immer noch der selbe wie früher ist, aber man weiß, dass das nicht stimmen kann.
Ich bin total aufgeregt, aber meine Eltern und Freunde sind nicht hier, um mich zu beschützen vor meiner Hysterie und Verwirrung.
Das wäre niemals passiert, wenn ich nicht die alten Texte gelesen hätte...
Es ist gut, dass es sowas gibt. Es tut gut zu wissen, inwieweit man sich verändert hat. Vielleicht ist das nicht so gut für Leute, die sich geistig und körperlich auf dem Abstieg befinden. Vielleicht ist es ihnen aber auch ein Trost, dass sie sich mit ihren frühen Texten trösten können: "ich habe mich entwickelt, das bedeutet: ich habe gelebt. Was will ich mehr? Ich bin frei..."
So wie man einem Künstler nicht unterstellen kann, dass das, was er sagt, ernst gemeint ist bzw. dass es seine eigene Meinung ist, dürfen wir das anderen Leute auch nicht unterstellen! So wie der Künstler mit Gedanken, mit Inszenierungen, Stilen und Haltungen experimentiert, soll das auch jeder andere Mensch machen dürfen. So wie ein Musiker sich an verschiedenen Genre ausprobiert um herauszufinden, was ihm liegt, womit er am meisten Erfolg hat, und noch als professioneller, etablierter Musiker sich immer an neuen Dingen ausprobieren darf. Alles was man tut und von sich und der Welt hält, ist erstmal nicht mehr als ein Test - und vielleicht nie mehr als nur ein Test.
|
|
Nach oben |
|
|
Mardii Stiefmütterle
Alter: 64 Beiträge: 1774
|
23.02.2015 19:03
von Mardii
|
|
|
Elian hat Folgendes geschrieben: | Würdet Ihr Euch anders wahrnehmen, wenn ihr nicht wüsstet, was ihr früher geschrieben habt? |
Man muss dazu stehen was man gesagt oder geschrieben hat. Zumindest sollte man sich in der Lage befinden, das zu können. Das ist ein harter Anspruch und ich gebe zu, schon manches bereut zu haben, was ich sagte oder schrieb. Aber ich versuche diesem Annspruch ständig nahe zu kommen.
_________________ `bin ein herzen´s gutes stück blech was halt gerne ein edelmetall wäre´
Ridickully |
|
Nach oben |
|
|
Mogmeier Grobspalter
Moderator Alter: 50 Beiträge: 2661 Wohnort: Reutlingen
|
23.02.2015 20:25
von Mogmeier
|
|
|
Hallo Elian,
deine Frage …
Zitat: | Würdet Ihr Euch anders wahrnehmen, wenn ihr nicht wüsstet, was ihr früher geschrieben habt? |
… finde ich interessant, obwohl sie, so vom Kausalen her betrachtet, etwas unglücklich formuliert worden ist. Denn so wie die Frage steht (wenn man nicht wüsste, was man früher geschrieben hat) kann man nicht definierend klarstellen, ob man sich deswegen nun anders verhalten sollte als wenn man es wissen würde. Weil: Von allen gegebenen bzw. in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten ist stets nur eine als „das Reale“ wahrzunehmen.
Man kann sich also nur in einer Wirklichkeit aufhalten. – Aber egal. Worauf die Frage abzielt ist eigentlich klar. Dabei kann man allerdings nur spekulieren, möchte man meiner vorangestellten Aussage bzgl. deiner Frage entgegentreten.
Interessant wird es, wenn man sämtliche Variablen dabei mit einbezieht, die die Schreibarbeit bzw. deren Entwicklung/Werdegang beeinflussen.
Was die Entwicklung betrifft, könnte man meinen, dass diese mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gegeben ist, wenn man davon ausgeht, dass man nicht weiß, was man früher geschrieben hat. Das wäre im ersten Moment ziemlich gleichbedeutend mit „noch nie etwas geschrieben“. Ziemlich nur deshalb, weil in der Aussage feststeht, dass man aber nun doch etwas geschrieben hat, es aber bloß nicht weiß.
Gegeben sei also, dass nur die Erinnerung an das eigene Geschriebene fehlt, das aber nicht beinhaltet, dass auch die erlernten Techniken und Motivationen abhandengekommen sind. Deshalb möchte ich deine Frage mit 'nem spekulierenden NEIN beantworten, obwohl ich denke, dass man hier und da noch weiter philosophieren könnte (auch oder vor allem bzgl. des Threadthemas).
LG Mog
_________________ »Nichtstun ist besser, als mit viel Mühe nichts schaffen.«
Laotse |
|
Nach oben |
|
|
Babella Klammeraffe
Alter: 61 Beiträge: 884
|
23.02.2015 20:57
von Babella
|
|
|
Mardii hat Folgendes geschrieben: | Man muss dazu stehen was man gesagt oder geschrieben hat. Zumindest sollte man sich in der Lage befinden, das zu können. Das ist ein harter Anspruch und ich gebe zu, schon manches bereut zu haben, was ich sagte oder schrieb. Aber ich versuche diesem Annspruch ständig nahe zu kommen. |
Das verstehe ich nicht. Warum kann man nicht sagen: Das sehe ich heute nicht mehr so, das bereue ich sehr, das war ein Fehler?
Unerfahrenheit ist kein Verbrechen. Was genau heißt das, "dazu stehen"? Ich weigere mich, ein Leben lang mit meinen Fehlern hausieren zu gehen. Wen interessieren die denn auch? Ich will auch keine alten, schlechten Texte von mir lesen und mich winden. Wozu?
Was mir frühere Aufzeichnungen sagen, ist manchmal: Wow, das hast du mal geschrieben? Und manchmal: Weia, wech damit. Oder auch: Gut, dass das vorbei ist. Oder: Schade, dass das vorbei ist.
Und: So denkt man, wenn man jung ist und keine Ahnung hat. Man sollte einfach nicht zu hart urteilen, wenn jemand dummes Zeug sagt und schreibt ...
|
|
Nach oben |
|
|
Magpie Reißwolf
Alter: 48 Beiträge: 1263 Wohnort: NRW
|
24.02.2015 11:39
von Magpie
|
|
|
Es ist durchaus interessant.
Abgesehen von den Anfängerfehlern, hat sich meine Schreibe auch verändert.
Ich bin von dem eher diplomatischen ("ich bin nett, tu mir nichts") zu einem mehr direkteren Ton mit deutlich mehr Sarkasmus gelangt.
Demnach würde, was Meinung und Einstellung betrifft, vielmehr mein früheres Ich vor meinem jetzigen zurück schrecken und sich entschuldigen.
Ja, vielleicht ist das das Alter, man ist weniger zu Kompromissen bereit und seine Meinung hat sich mehr gefestigt.
Ich stimme Babella allerdings zu. Man muss zu seinen Fehlern stehen. Aber nicht, indem man versucht, sie noch immer zu rechtfertigen, sondern indem man erklärt: ich weiß es heute besser. Es war falsch.
|
|
Nach oben |
|
|
Mardii Stiefmütterle
Alter: 64 Beiträge: 1774
|
24.02.2015 19:30
von Mardii
|
|
|
Babella hat Folgendes geschrieben: | Das verstehe ich nicht. Warum kann man nicht sagen: Das sehe ich heute nicht mehr so, das bereue ich sehr, das war ein Fehler? |
Das Verhalten in Gegenwart und Zukunft ergibt sich aus dem Vergangenen. Ich sehe da Kontinuität. Es sagt nichts darüber aus, wie sehr man bereut.
_________________ `bin ein herzen´s gutes stück blech was halt gerne ein edelmetall wäre´
Ridickully |
|
Nach oben |
|
|
Babella Klammeraffe
Alter: 61 Beiträge: 884
|
24.02.2015 21:52
von Babella
|
|
|
Mardii hat Folgendes geschrieben: | Das Verhalten in Gegenwart und Zukunft ergibt sich aus dem Vergangenen. Ich sehe da Kontinuität. Es sagt nichts darüber aus, wie sehr man bereut. |
Und ich fühle mich frei, etwas, was ich früher gedacht oder getan habe, abzulegen und einen neuen Weg einzuschlagen, der mir besser erscheint.
Das Schreiben hilft mir beim Ablegen - und es hilft mir zu erkennen, ob das Ablegen wirklich gelungen ist.
Natürlich kann man über Freiheit und Determiniertheit lange diskutieren. Das kann man nicht mit ein, zwei Sätzen erledigen.
|
|
Nach oben |
|
|
Slaavik Klammeraffe
Beiträge: 509
|
25.02.2015 00:50 Re: Wir hinterlassen Werke, um sehen zu können, wie wir uns entwickelt haben von Slaavik
|
|
|
Elian hat Folgendes geschrieben: | Wir hinterlassen Werke, um sehen zu können, wie oder ob wir uns entwickelt haben. |
Nein, ich tue dies nicht.
Elian hat Folgendes geschrieben: |
Lest mal alte Texte von euch, während ihr Musik hört, die euch heute gefällt und damals gefallen hat. Merkt ihr, was sich verändert hat an euch? |
Da haben wir doch schon einen Knackpunkt. Wer sagt denn, dass einem die Musik die einem damals gefallen hat, auch heute noch gefällt? Und wieso sollte dazu überhaupt Musik nötig sein? Und wieso "an mir"? Dass ich mich im Laufe meines Lebens geändert habe, weiß ich auch so. Dazu benötige keine alten Texte. Was ich da erkennen kann, ist dass ich mich doch erheblich verbessert habe mit der Zeit. Aber sagt dies etwas über meine Persönlichkeit aus? Oder darüber wie sie sich inzwischen verändert hat? Ich denke nicht. Also nicht immer von sich, auf Andere schließen.
_________________ I don't care what model it was. No vacuum cleaner should give a human being a double polaroid.
Bonvolu alsendi la pordiston? Lausajne estas rano en mia bideo! And I think we all know what that means.
I'm not sure the flashlight is gonna kill that tank. |
|
Nach oben |
|
|
Mardii Stiefmütterle
Alter: 64 Beiträge: 1774
|
25.02.2015 17:26
von Mardii
|
|
|
Babella hat Folgendes geschrieben: |
Das Schreiben hilft mir beim Ablegen - und es hilft mir zu erkennen, ob das Ablegen wirklich gelungen ist. |
Was meinst du mit ablegen? Legt man irgendetwas ab, indem man es aufschreibt, zB schlechte Gewohnheiten oder einen Aberglauben?
Wenn ich ein Statement ablege, weiß ich, dass es Teil einer Kommunikation ist und von jemand anderem wahrgenommen wird. So sehe ich auch früher von mir Geschriebenes als Teil meiner Person, meines geistigen Fortbestands. Das klingt jetzt vielleicht etwas verschroben. Eine Art Ablage wie im Büro für Geschriebenes ist das miteinander Reden für mich nicht, es hat etwas mehr.
Aber ich glaube, ich verstehe was du meinst, du meinst Erleichterung.
_________________ `bin ein herzen´s gutes stück blech was halt gerne ein edelmetall wäre´
Ridickully |
|
Nach oben |
|
|
Babella Klammeraffe
Alter: 61 Beiträge: 884
|
25.02.2015 22:38
von Babella
|
|
|
Stimmt, Ablegen hat natürlich allerlei Bedeutungen. Ich verstand es in meinem Post so wie man Kleider ablegt, die nicht mehr passen oder nicht mehr gefallen. So kann man auch Gewohnheiten ablegen oder eben auch Vorstellungen, Glaubenssätze, Ziele ... die nicht mehr passen und zu denen ich auch nicht mehr stehe.
Das Schreiben kann dies fixieren, beurkunden, bestätigen, und ja: Das erleichtert auch.
|
|
Nach oben |
|
|
Gast
|
24.10.2017 20:48
von Gast
|
|
|
[Edit: Seit ich wieder im Forum poste, hapert es an Ausdauer beim Überarbeiten. Löschen dünkt mich hilfreich, möge der Thread in Frieden ruhen.]
|
|
Nach oben |
|
|
|
|
Seite 1 von 1 |
|
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben. Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten. Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten. Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen. Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht teilnehmen. In diesem Forum darfst Du Ereignisse posten Du kannst Dateien in diesem Forum nicht posten Du kannst Dateien in diesem Forum nicht herunterladen
|
Ähnliche Beiträge |
Thema |
Autor |
Forum |
Antworten |
Verfasst am |
|
Feedback Wie wirkt diese Landschaftsbeschreibu... von BerndHH |
BerndHH |
Feedback |
27 |
26.03.2024 07:11 |
|
Roter Teppich & Check-In Wir haben sie nicht gezählt, von Veritas |
Veritas |
Roter Teppich & Check-In |
2 |
10.03.2024 00:43 |
|
Agenten, Verlage und Verleger Wie weit darf ich 30 Seiten Leseprobe... von MiaMariaMia |
MiaMariaMia |
Agenten, Verlage und Verleger |
6 |
29.02.2024 15:30 |
|
Literaturtheorie / Kulturwissenschaft / Künstliche Intelligenz / Philosophie des Schreibens Wie viel Autory darf / soll / muss in... von Charlie Brokenwood |
Charlie Brokenwood |
Literaturtheorie / Kulturwissenschaft / Künstliche Intelligenz / Philosophie des Schreibens |
10 |
27.02.2024 15:30 |
|
Rund ums Buch, Diskussionen, Lesegewohnheiten, Vorlieben Bücher, die man gelesen haben muss von Nina |
Nina |
Rund ums Buch, Diskussionen, Lesegewohnheiten, Vorlieben |
40 |
25.02.2024 19:12 |
Empfehlung | Empfehlung | Empfehlung | Empfehlung | Empfehlung | Empfehlung | Empfehlung | Empfehlung | Empfehlung | Empfehlung |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|