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Dösen im Schatten


 
 
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bordo
Geschlecht:männlichWortedrechsler
B


Beiträge: 83



B
Beitrag04.10.2017 01:59
Dösen im Schatten
von bordo
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Müdigkeit übermannte ihn. Eine Szene, so oft gesehen, dass die Begeisterung ihn dabei nur mehr übersah statt überkam. Träge setzte er sich auf seine braune Ledertasche. Eine bloße Vorsichtsmaßnahme, die zu unterdrücken ihm noch nicht gelungen war, obwohl er stets versuchte, den Menschen mit Vertrauen zu begegnen.

Violette Kinder in Teufelskostüm schwirrten um seinen Kopf herum. Ihm war, als habe ihm jemand einen Schlag verpasst. Eine Wiese war vor ihm, unter ihm. Neben und über ihm auch eine Wiese. Überall dichtes Grün. Er überlegte, wo er sich befand. Er war gerade noch in der U-Bahn gewesen und nun bestand seine Welt aus hellgrün. Und sonst? Kein Ton, den er aufsaugen konnte. Nichts, aus dem er schließen konnte, dass sich außer ihm auch andere Lebewesen hier aufhielten. Abgesehen von den violetten Teufelskindern, die ihn mit einem Mal allein und noch verwirrter zurückgelassen hatten.
Dicke türkisfarbene Wolken schoben sich vor seine Nase. Er sprach sie an.
Er wollte von den Wolken erfahren, ob sie vielleicht wüssten, wie dieser Ort heiße.
Wider Erwarten blieb seine Frage ohne Antwort.
Er ging mit der Nase voran durch die Wolken und spürte kein kühles Feucht wie er angenommen hatte. Inmitten der Wolken erkannte er keinen Unterschied zu der Luft, die ihn davor umgeben hatte. Zu seinem Erstaunen glitzerte seine Nase jetzt türkis, im selben Türkis wie die Wolken. Er betastete sie. Sie war weich und glibberig und eine leise Vorahnung von Zerfall war auf ihr zu entdecken. Was hier geschah, wusste er nicht einzuordnen. Es passte einfach in keine vorhandene Kategorie. Einzig ein Begriff, der im Regelfall nur spaßig benutzt wurde, fiel ihm ein: Zauberei!
War das realistisch? Er hatte in Zeitungen schon von Menschen gelesen, die sich als Wunderheiler titulierten, was von ihm und den Journalisten, die darüber geschrieben hatten, stets als Ammenmärchen abgestempelt worden war. Endlich etwas Positives, das er diesem Zustand entlockt hatte. Der Glaube an Zauberei war durch dieses groteske Erlebnis, in dem er jetzt, ja, noch immer jetzt, feststeckte, in ihm wiederbelebt worden. Rosafarbene Schlümpfe, es waren vier, stürmten auf ihn zu und streckten ihn mit je vier raschen Schlägen nieder. Als er auf den Boden fiel, wünschte er sich weg, zurück in die vertraute Welt, die ihn zwar langweilte, wo der gewohnte Gang der Dinge ihn aber stets auf den sicheren Pfad des Alltags führte, wenn er Gefahr lief, sich zu viel zuzutrauen.


Als er die Augen aufschlug und sich umschaute, bemerkte er zu seinem Schrecken, dass seine U-Bahn nun schon in der Endstation wartete, um den gleichen Weg zurück zu nehmen. Er konnte nicht anders, als sich mit der flachen Hand auf den Kopf zu schlagen, um seinen Ärger zu kanalisieren.

Vom Schlaf erholt, fühlte er sich wach genug, um seine Umgebung abermals anhand ihres Aussehen zu bewerten.
Eine Frau saß neben ihm. Ihr braunes, glänzendes Haar kräuselte sich wild über ihren Schultern und er war vollkommen fasziniert.
Ihre blauen Augen hatten die selbe Farbe wie seine.
Aber ihre glitzerten.

Ihn traf Traurigkeit wie ein Stein, der sich von einer Klippe gelöst hatte und auf eine am Strand dösende Person fiel. Warum besaß er nicht den Mumm, eine fremde Frau anzusprechen?
Gab es dafür einen tieferen Grund, der in der Vergangenheit zu finden war oder war es nur eine angeborene Eigenschaft?

Er entsann sich, dass er geträumt hatte. Was genau, wusste er nicht. Doch, dass ihm jemand etwas Neues in sein Ich eingeflößt hatte, dessen war er sich bewusst.
Was, würde er noch versuchen herauszufinden. Und das galt für beide Dinge.
Plötzlich glaubte er daran, dass Menschen ihn mögen könnten. Er hatte zuvor schon oft in Ratgebern Sprüche gelesen, dass es für jeden Topf den passenden Deckel gebe und dass sich man sich nur klar machen müsse, dass man wie jeder gemocht werde – aber dass dieses Blabla nur Nonses war, davon war er seit jeher überzeugt gewesen. Bis er jetzt erlebte, wie viel Wärme von den anderen Menschen ausging. Ihre Liebe machte ihn glücklich. Als er entschied in der nächsten Sekunde, durch eine einzige Handlung, alles, woran er glaubte, umzureißen, biß er die Zähne zusammen und danach auf die Zunge, um die Angst, die aufloderte, als sie gerade ausgelöscht schien, zu ersticken.

Er fragte seine Sitznachbarin, was ihr Name sei. Als er ihn wiederholte – Alice – kostete er er es mit Genuss aus, wie seine Zunge beim C, Druck auf seine Vorderzähne ausübte.
Sie unterhielten sich über ihr Leben. Was sie machten, welche Ziele sie hatten und welche sie für unerreichbar hielten.
Sie sagte, dass es sicher schön wäre, zu unterrichten. Die Freude, der Kinder zu sehen, nachdem sie etwas richtig gemacht hatten.
Wenn sie wüsste! Und bevor sich in seinem ganzen Körper Hass auszubreiten begann, legte er so viel Liebe in seine Worte, dass seine Haare sich aufrichteten. Gerade, wie Soldaten es taten, nachdem sie auf Lauer gelegen waren und ihnen gesagt worden war, stramm zu stehen.
Er sagte, ja, genau. Deshalb habe er diesen Beruf gewählt.
Sie sah ihn an. Mit einem verschmitzten Lächeln, das ihm zeigte, dass sie ihn bei seiner Lüge ertappt hatte.
Sie arbeitete als Journalistin. Nachdem sie bereits in ihrer Schulzeit geschrieben hatte, für sich daheim kleine Artikel und für die Schülerzeitung, hatte sie nach ihrer Matura ein Praktikum beim Kurier gemacht. Jetzt veröffentlichte sie ihre, wie sie selbst sagte, immer leidenschaftsloser hingekritzelten Artikel beim Falter. Der Job machte ihr schon längst keinen Spaß mehr, aber aufhören wollte sie auch nicht.
Als sie so redeten, da verging die Zeit...
Passagiere stiegen aus und ein. In zwei Stationen könnte er aussteigen und nach Hause gehen.
Verschiedene Gerüche breiteten sich aus. Wenn wir in Äquivalenten sprechen möchten, war aus dem Stadion eines erfolglosen Fußballvereins eine Massentiervernichtungsfabrik geworden, in der die Schweine teilweise aufeinander lagen. Gerade noch eine fast verwaiste Bahn, in der die Menschen nun widerwillig gegeneinander gepresst wurden wie Gurken in Konservendosen. Und so stank es auch; nach Schweiß aus Bauarbeiterärmeln, nach den von Koks aufgeblähten Egos der Rechtsanwälte, dem Döner der Schüler, die mit diesem ihre Freizeit feierten und den Obdachlosen, die sich glücklich schätzen konnten, nach dem überstandenen Winter, Zuflucht vor der Hitze in der klimatisierten U-Bahn zu finden. Anders als einige ihrer Leidensgenossen, die in der Kälte der letzten Monate umgekommen waren.
Aus den Augenwinkeln hatte er sie gerade noch im Blick. Als ihr Fokus von der Leere zurück zu ihm kehrte, bemerkte er das mit Freude.
Sie nahm das Gespräch wieder auf. Ob er in letzter Zeit eine so volle U-Bahn erlebt habe. Er verneinte und erklärte, dass er normalerweise nur von der anderen Richtung bis zur übernächsten fahre.
- Und diesmal bist du eingenickt?
Mit leichtem Verzagen bewegte er seinen Kopf auf und ab, als ob ihn ein Schlag getroffen hätte.
Ihr forsches, vorschnelles Fragen verschreckte ihn, so dass sein Mut versickerte, in den zwei Fragen, die dem Menschenscheuen wie ein Sandsturm vorkamen.
Bist du eigentlich immer so still? Jetzt war er baff. Obwohl... Obwohl die Frage ihm nicht zum ersten Mal gestellt worden war. Es überraschte ihn trotz dessen, dass dieser Umstand für so viele Menschen interessant war. - Ne, nur wenn ich neben einer hübschen Frau sitze. Dann konzentriere ich mich voll darauf, mir ihre Erscheinung, ihren Duft einzuspeichern oder... äh... zu imprägnieren, sagte er, um sie mit einem Fremdwort zu beeindrucken, zu verwirren. Egal! Hauptsache von seiner Schweigsamkeit ablenken.
Sie zog als erstes eine Schnute, dann lachte sie.
Hahahahaaaaa! Hehehehhahahhuhuhahihihi...
Als sie lachte, starben in mir Vulkane, die meine Seele verätzten und mein Selbstvertrauen fraßen, seit ich fähig war, zu denken. Blumen mussten nicht auf meinem Herzen wachsen, damit ich nun blühte. Doch das taten sie. Blumen schnellten tief in mir drin in die Höhe und kitzelten meine Magenwand oder meinen Brustkorb. Die Bakterien wussten nichts beizutragen, außer sprachlos das Schauspiel zu bewundern. Schmetterlinge flatterten aus meiner Magengrube in die Freiheit. Ich brauchte sie nicht mehr, um die Liebe in meinem Herzen zu spinnen, zu tragen oder zu fangen oder wofür auch immer sie zuständig gewesen waren. Jetzt waren sie jedenfalls frei, weil ich raus geflogen waren, um die übrigen Fahrgäste aufzuheitern. Aus dem Verlies ausgebrochen, begann ich zu tanzen. Wer hätte es gedacht! Einer tanzte mit. Immer mehr tanzten mit, bis keiner mehr still saß und jeder abging. So hoch hüpfte, wie man konnte.


                                                                        *


Er lag in seinem Bett und dachte an den gestrigen Tag. Er hatte in der U-Bahn eine Frau getroffen, die ihm gefiel. Nachdem sie miteinander ins Gespräch gekommen waren, war er aufgesprungen und hatte mit seiner Tanzfreude alle Menschen in der U-Bahn angesteckt.
Was war aber danach passiert? Der Rest des Abends war dem Vergessen anheim gefallen.
Während er Zähne putzte, sah er sich im Spiegel an. Lange und prüfend. Er hatte sich immer für gutaussehend gehalten, aber bedauert, dass er nicht so anziehend auf Frauen wirkte, wie er es gern hätte.
Seine Fingernägel prallten gegen die Wand. Er las in der Zeitung, dass ein Fußballspieler um 220 Millionen Euro gekauft wurde. Hätte man lieber ihm geben sollen. Er nahm die Seite und trug seine darin eingewickelten Fingernägel zum Mistkübel, um sie dort rein zuwerfen.

Er umkurvte mit dem Fahrrad die Autos und manchmal warf er den Fahrern provozierende Blicke zu, wenn er schon an ihnen vorbeigefahren war. Die grün schimmernden Blätter der Bäume entlockten ihm ein Lächeln. Es war bald Sommer. Freibad, Parks und Open Air-Kinos warteten auf ihn.
Das Läuten der Schulglocke begrüßte ihn beim Eintreten. Gleichzeitig mit ihm wuselten ein paar Schüler aus der Unterstufe durch die Tür. Ein paar Sekunden verstrichen, als er in der Aula stehend, auf seine Handyuhr starrte. 8:01.
-Hey! Ihr seid zu spät, schrie er vier Jungen an, die zu seiner Wut nicht rannten, sondern schlurften.
-Sorry, Prof, murmelten vier müde Stimmen.
Schlimm! Nicht, dass sie zu spät waren, das... Egal!
Aber dass sie keinen Respekt vor Autoritäten zeigten, ärgerte ihn.









Ich hoffe, dass der Text nicht zu lang ist Eine kurze Meinung wäre nett, eine lange Analyse ist nicht unbedingt nötig.

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firstoffertio
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Beitrag19.10.2017 00:31

von firstoffertio
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Finde ich gar nicht schlecht.

Aber die letzten beiden Absätze bräuchte der Text nicht, oder? Was meinen andere?

Warum im Trash?
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bordo
Geschlecht:männlichWortedrechsler
B


Beiträge: 83



B
Beitrag19.10.2017 16:34

von bordo
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Danke für deine Rückmeldung.

Um deine Frage zu beantworten, warum ich den Text im Trash eingestellt habe: Formvollendet habe ich ihn noch nicht empfunden, als persönliche Bestleistung sehe ich ihn auch nicht unbedingt.  Auch in der Werkstatt liegt das Augenmerk auf dem Detail. Ich habe, muss ich sagen, zwischen Werkstatt und Trash geschwankt. Und mich letztlich für Trash entschieden, obwohl ich nicht wusste, in welche Richtung ein dafür geeigneter Text gehen sollte, ob inhaltlich oder textlich.
In der Werkstatt sollte man ja am Text arbeiten, was sicher lohnend ist, wenn man vorhat an einem Wettbewerb teilzunehmen bzw. ihn irgendwo einzuschicken. Was ich gesucht habe, war eher eine Standortbestimmung. Ich wollte mehrere Meinungen einholen, ob mein Text zu langweilig oder ob mein Stil gut ist, obwohl man sich natürlich nie sicher sein kann, ob der ausgewählte Text repräsentativ ist.

Schwer zu sagen, ob der Text, die letzten zwei Absätze bräuchte. Diese Szene würde auch ohne diese das Geschehen reflektierenden, eine neue Szene einleitenden Absätze auskommen, da hast du recht. Trotzdem, finde ich, beenden diese auch ohne Pointe den Text recht logisch und nachvollziehbar. Es ist ja auch ein Ausschnitt aus einem längeren Text, ob der längere Text diese Absätze bräuchte, weiß ich nicht.
Es mag aber sein, dass Leser die Absätze für das, was sie hier lesen, als unnötig empfinden, man kann sie aber als Einstieg in ein nächstes Kapitel lesen. Ich werde weitere Meinungen abwarten.
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