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Die Typenwalze [Auszug]


 
 
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Klemens_Fitte
Geschlecht:männlichSpreu

Alter: 41
Beiträge: 2932
Wohnort: zuckerstudio waldbrunn


Beitrag31.07.2017 21:05
Die Typenwalze [Auszug]
von Klemens_Fitte
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

[…]

Stattdessen hatte sich das Leben mit seinen Anforderungen in den letzten Zügen deines Studiums immer dichter an deine Wohnung gedrängt, war mit jedem ungeöffneten Brief und jeder ungeöffneten Mail, mit jedem ignorierten und unter Herzrasen aus- und überstandenen Telefon- und Türklingeln mehr und mehr durch die Ritzen deines Schneckenhauses, deiner urbanen Eremitenbehausung gesickert; hatten sich Tage, an denen du die Zimmerdecke betrachtet und dir mit den Fingerkuppen die Muster der Raufasertapete eingeprägt hattest, mit Nächten abgewechselt, in denen du Buch um Buch aus dem Regal genommen und auf deinem Schreibtisch gestapelt hattest, mit dem Kugelschreiber Notizen, Namen, Jahreszahlen, die Inhalte von Fußnoten und Quellenangaben, eigene Anmerkungen und Überlegungen und Erkenntnisse auf ein leeres Blatt Papier übertragen hattest, bis das Papier mit Zeile um Zeile deiner unleserlichen Handschrift gefüllt gewesen war und du zunächst die Zwischenräume zwischen den Zeilen angefüllt und dann wieder von oben begonnen hattest, Zeile um Zeile mit Zeile um Zeile zu überschreiben, bis du am nächsten Tag nur noch ein pechschwarzes Dickicht vorgefunden hattest, in dem jeder neue Gedanke nicht nur den vorangegangenen, sondern auch sich selbst unkenntlich gemacht hatte – ähnlich der wortlosen und somit unbeschreiblichen Schwärze, in die du meist kurz nach dem Morgengrauen gefallen warst, wenn sich die Zeilen auf dem Notizblatt ineinander und übereinander geschoben, wenn sich die Worte überlagert und gegenseitig ausgelöscht hatten, wenn die Zeilen auf deinem Laptopmonitor oder auf den vergilbten Seiten der Nachschlagewerke, der Chroniken und Ausstellungskataloge ihre Ordnung verloren und Risse und Brüche bekommen hatten, bei jedem Blinzeln mehr und mehr durcheinander geraten waren und sich aus den Schränken, aus den Kartons und Kisten hinter deinem Schreibtisch das vertraute Insektensummen einer jahre- oder jahrzehntelangen Vernachlässigung gelöst hatte und mit einem Mal, gleich einer ebenso irritierenden wie wärmenden Decke über deinen Rücken zu deinen Schultern gekrochen war, womöglich ein Überbleibsel kindlicher Sommertage, an denen du dich auf die Suche nach Geschichten gemacht hattest, nach Abenteuern, deren Geheimnis du deinen Eltern voraus haben würdest, und in der gestauten Hitze eines Dachbodens oder Werkzeugschuppens schwarzglänzende Knäuel von Schmeißfliegen aufgeschreckt hattest: dieses Geräusch, das auch ungeöffnete Schreiben von sich geben, wenn man sie zu dicht und zu hoch aufeinander stapelt und zu lange ignoriert, wenn die Fasern unter ihrem eigenen Gewicht beginnen, aneinander zu schaben, wenn die schwarzglänzenden Druckbuchstaben ihre Gliedmaßen und Fühler ausstrecken und sich aus der rigiden Ordnung einer hypothetischen Aussage lösen, einer Aussage, die alles bedeuten und besagen kann, von der Mahnung über die Vertragsstrafe zur Ankündigung oder Durchführung rechtlicher Schritte alles bedeuten und besagen kann, solange sie ungelesen bleibt – bis jedes dieser ungeöffneten und zu dicht und zu hoch gestapelten und zu lange ignorierten Schreiben ein undurchschaubares und Gänsehaut verursachendes Innen- und Eigenleben besitzt, ein ineinander und übereinander kriechendes und krabbelndes Gewimmel schwarzer Flecken und Punkte, dessen Summen dich Morgen für Morgen in einen – wovon eigentlich? – erschöpften und unruhigen Schlaf begleitet hatte, in Träume oder vielmehr Nichtträume, aus deren Leere und Schwärze nicht einmal ein Albdruck zu rekonstruieren gewesen war oder die Begegnung mit Figuren, die du im Traum für deine Eltern hättest halten und denen du die Verkündung eines familiären Unglücks oder Schicksalsschlags hättest in den Mund legen können – jene Art von Traum, die jeden deiner Besuche im Haus der Eltern, jede Nacht in deinem ehemaligen Zimmer ausgefüllt und problematisch gemacht hatte, als eine Abfolge ebenso tragischer wie absurder Geschehnisse, in denen immer andere Personen deines wachen Lebens in die Rolle des gerade Verstorbenen, des gerade zum Mörder Gewordenen oder des unabsichtlichen oder inzestuösen Beischläfers gefallen waren – oder die in deiner beengten, durch die Mechanismen von Traumwahrheit und -verfälschung verfremdeten Wohnung hätten stehen und deine Kleidung, dein Geschirr oder deine Bücher kommentarlos und ungerührt in Kartons hätten packen können, als Teil eines immer wieder von Neuem erträumten Aus- und Umzugs in noch nie dagewesene Wohnungen, die sich in dir als nachts ent- und mit dem Aufwachen verworfene Varianten erträumt hatten: Erdgeschosswohnungen mit Zugang zu einer Gartenlaube, in deren Innern Schwärme von Insekten lebten und Unkraut über einen improvisierten Schanktisch und über mit Plastik bezogene Couch- und Gartenmöbel wucherte, über Pappteller und Plastikbecher, über Salatschüsseln, über Buchstabengirlanden und Luftschlangen und die sonstigen Überreste längst vergessener Familienfeiern; Mansarden mit Türen, hinter denen unentdeckte Geheimnisse warteten, Räume, die in keinem Grundriss auftauchten und die seit der Fertigstellung des Hauses unbemerkt und unbetreten geblieben waren, Zimmer, die durch ein tellergroßes Loch im Boden den Blick ins Treppenhaus freigaben, auf das Kommen und Gehen der übrigen Bewohner oder in einen weiträumigen, von Säulen getragenen Saal, über dessen Marmorboden ameisengroße Menschen eilten und der sich bei näherer Betrachtung, beim Lauschen auf das Durcheinander von Stimmen und Lautsprecherdurchsagen, von hellen Schritten und dem schrillen, deiner Vorstellung oder der Erinnerung an Filme entsprungenen Pfeifen ankommender oder abfahrender Dampflokomotiven als historische Bahnhofshalle entpuppte; oder Atelierwohnungen mit eigenem Aufzug, der nicht ins Foyer, sondern tief unter die Erde führte, in ein Reich aus Höhlen und Grotten, aus Minenschächten und Bergbaustollen, wo sich die Kreidezeichnungen an den Wänden im flackernden Schein von Glühbirnen oder Öllampen als naive Höhlenmalereien zu erkennen gaben, die in fortlaufenden Episoden die Geschichte eines immer anonymer und disparater werdenden Soziallebens erzählten, von der Frühzeit bis zur Errichtung dieses Hauses, dieses Monuments der Individualisierung, dessen Stockwerke sich über Schicht um Schicht aus geborenen und gegangenen Generationen auftürmten und schließlich in deiner gemieteten Einsamkeit ihren Abschluss fanden, kurz: Wohnungen, die du dir über Jahre hinweg und Nacht für Nacht bis zum ruckartigen und enttäuschten Erwachen in allen merkwürdigen und sagenhaften – denn tatsächlich hätten all diese Wohnungen Teil einer phantastischen Erzählung sein müssen, verwunschene Stätten inmitten einer urbanen Umgebung, in denen jeder Türspalt, jeder Riss in einer Wand oder Mauer und jede Ritze im Dielenboden den Blick hinter die Wirklichkeit freigab – in allen surrealen und mythologischen und eben: traumhaften Details ausgemalt hattest, als Kulissen oder vielmehr als eigenständige Protagonisten lebendiger und bildhafter Träume, die in den letzten Zügen deines Studiums unwiderruflich in der Leere und Schwärze deiner Nächte verschwunden waren und in deiner Erinnerung nur noch als skurrile Vorboten der tatsächlichen Aus- und Umzüge bestanden hatten; der Fluchten, der Nacht-und-Nebel-Aktionen, die du nach dem Ende deines Studiums unternommen hattest, immer dann, wenn du deinen Lebensstandard nicht mehr hattest halten können; oder als jener Rest eines kurzzeitigen Identitätsverlusts, den man erleidet, wenn man mitten in der Nacht aufschreckt und nicht mehr weiß, wo man sich befindet.

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matze3004
Geschlecht:männlichGänsefüßchen
M

Alter: 39
Beiträge: 46
Wohnort: Hannover


M
Beitrag31.07.2017 21:26

von matze3004
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Wow! Das nenne ich mal experimentell. Oder ist es Kunst? Aber auf jeden Fall Begabung, die nur leider ungemein anstrengt, sie zu lesen.

Ich bin wirklich ein absoluter Niemand im Schreiben. Ein Niveau, welches hier im Forum vermutlich nicht mal die unteren Ränge erreichen würde.

Daher nimm meine Kritik Bitte nicht zu genau.

Ich weiß gar nicht, wann genau ich abgebrochen und nur noch den Schluss gelesen habe, verzweifelt auf der Suche nach einem Satzende.

Das ist schier unglaublich anstrengend zu lesen. Und ich nehme doch mal an, dass alles, so wie es steht, beabsichtigt war, oder?
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Jenny
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 39
Beiträge: 314
Wohnort: Ein Dorf nahe Mariazell, Niederösterreich


Beitrag31.07.2017 21:35

von Jenny
Antworten mit Zitat

Abgesehen davon, dass es fürs Auge schwierig war, diesem großen, breiten Block zu folgen (vielleicht hätte ich es mir in ein kleineres Format kopieren sollen), fand ich den Text toll zu lesen.

Aber auch bedrückend, weil es mich an mein eigenes Studium und die Zeit danach erinnert hat - und ich da nicht gern dran erinnert werde.

Ansonsten war die Überleitung zwischen den einzelnen Gedankenteilen sehr gut gemacht und da ich selbst gern mal in der Du-Perspektive schreibe und mir laaaaange Sätze in ähnlichem Stil nicht sehr fremd sind (als junge Frau habe ich ganz ähnlich geschrieben), fand ich es auch leicht verständlich und flüssig durchzulesen.

Danke fürs Posten!
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Ansch
Geschlecht:weiblichWortedrechsler
A


Beiträge: 71
Wohnort: Düsseldorf


A
Beitrag01.08.2017 07:46

von Ansch
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Mir ging es da ganz anders, der kompakte Block mit den ellenlangen Sätzen hat mir den Spaß am Lesen genommen, konnte den Text nicht mal durchhalten.
Was ist gegen Absätze und anständige Zeilenabstände zu sagen?
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Ansch
Geschlecht:weiblichWortedrechsler
A


Beiträge: 71
Wohnort: Düsseldorf


A
Beitrag01.08.2017 07:48

von Ansch
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P.S Leerzeilen und Abstände kann man auch an Schreibmaschinen einstellen!
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Klemens_Fitte
Geschlecht:männlichSpreu

Alter: 41
Beiträge: 2932
Wohnort: zuckerstudio waldbrunn


Beitrag01.08.2017 08:01

von Klemens_Fitte
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo matze3004 und Jenny,

zunächst einmal vielen Dank für euer Einlassen auf den Text und eure prompten Rückmeldungen – habe mich sehr darüber gefreut.

Zur äußeren Form: ja, da bin ich leider dem Layout des Forums mehr oder weniger unterworfen. Ich habe recht lange mit den diversen Formatierungsmöglichkeiten gespielt, um den Text halbwegs lesbar zu präsentieren, aber das DSFo ist, was längere Absätze angeht, nicht gerade gnädig. Ich denke schon, dass der Text im klassischen Buchformat, mit einer geringeren Laufweite der Zeilen und einem größeren Durchschuss deutlich angenehmer zu lesen ist, aber da könnte ich höchstens anbieten, zusätzlich zum Ursprungstext noch ein PDF einzustellen.

matze3004 hat Folgendes geschrieben:
Wow! Das nenne ich mal experimentell. Oder ist es Kunst? Aber auf jeden Fall Begabung, die nur leider ungemein anstrengt, sie zu lesen.


Die Fragen kann ich dir auch nicht beantworten, zumindest habe ich den Text nicht mit dem Vorsatz geschrieben, jetzt mal was Experimentelles oder gar Kunst zu machen. Er ist ja Teil eines umfangreicheren Manuskripts – ich glaube, ca. Seite 100 von derzeit 174  – da hat sich das einfach so ergeben; und klar, im Manuskript gibt es auch wesentlich kürzere Sätze (wenngleich auch, zugegeben, noch längere).

matze3004 hat Folgendes geschrieben:
Ich weiß gar nicht, wann genau ich abgebrochen und nur noch den Schluss gelesen habe, verzweifelt auf der Suche nach einem Satzende.

Das ist schier unglaublich anstrengend zu lesen. Und ich nehme doch mal an, dass alles, so wie es steht, beabsichtigt war, oder?


Dass der Leser irgendwann abbricht, ist natürlich ein Risiko, das ich sehenden Auges eingehen muss, insbesondere beim Bildschirmlesen. Beabsichtigt – ja, schon. Mir geht es nicht darum, den Leser zu quälen oder zu glauben, ein guter Text müsse anstrengen – aber das, was ich zu sagen habe, hat nun einmal diese Form gefunden, und die passt mir grade ganz gut. Ich habe vor dem Einstellen hier ein wenig herumexperimentiert, ob sich zwecks besserer Lesbarkeit doch irgendwo Absätze einbauen lassen, aber das hätte mir den Text zu sehr verändert.

Jenny hat Folgendes geschrieben:
Abgesehen davon, dass es fürs Auge schwierig war, diesem großen, breiten Block zu folgen (vielleicht hätte ich es mir in ein kleineres Format kopieren sollen), fand ich den Text toll zu lesen.


Dankeschön.

Jenny hat Folgendes geschrieben:
Aber auch bedrückend, weil es mich an mein eigenes Studium und die Zeit danach erinnert hat - und ich da nicht gern dran erinnert werde.


Auch das freut mich – also, jetzt weniger, dass ich dich an etwas erinnert habe, an das du nicht gern erinnert wirst … aber ist ja schon die Reaktion, die ich auslösen wollte. Und danke für leicht verständlich und flüssig durchzulesen.

LG Inko
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Klemens_Fitte
Geschlecht:männlichSpreu

Alter: 41
Beiträge: 2932
Wohnort: zuckerstudio waldbrunn


Beitrag01.08.2017 08:07

von Klemens_Fitte
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo Ansch, sorry, hab deinen Kommentar zu spät gesehen.

Ansch hat Folgendes geschrieben:
Mir ging es da ganz anders, der kompakte Block mit den ellenlangen Sätzen hat mir den Spaß am Lesen genommen, konnte den Text nicht mal durchhalten.


Tut mir leid, aber wie gesagt: damit muss ich ja rechnen, wenn ich einen solchen Text einstelle.

Ansch hat Folgendes geschrieben:
Was ist gegen Absätze und anständige Zeilenabstände zu sagen?


Ansch hat Folgendes geschrieben:
P.S Leerzeilen und Abstände kann man auch an Schreibmaschinen einstellen!


Stimmt, aber nun wurde der Text ja nicht per Schreibmaschine geschrieben, sondern über die Formatierungsmöglichkeiten des DSFo dargestellt. Und da gibt's – zumindest soweit ich weiß – keine Möglichkeit, den Durchschuss zu vergrößern. Leerzeilen möchte ich in einen fortlaufenden Satz ungern einbauen, das käme mir merkwürdig vor.

LG Inko


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100% Fitte

»Es ist illusionär, Schreiben als etwas anderes zu sehen als den Versuch zur extremen Individualisierung.« (Karl Heinz Bohrer)
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ArtFaulII
Wortedrechsler


Beiträge: 95
Wohnort: Baumhaus


Beitrag01.08.2017 17:55

von ArtFaulII
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Hallo Inko,

mir hat dein kurzer Ausschnitt sehr gut gefallen. Ich verstehe, warum du den gesamten Absatz in einen einzigen Satz gepackt hast, ich finde, dass dies die Atemlosigkeit und empfundene Hilflosigkeit des Protagonisten (lyrischen Dus?) im Strom der unaufhaltsam fortschreitenden und ungenutzten Zeit gut rüberbringt. Und dafür, dass es ein so langer Satz ist, lässt er sich sehr flüssig und verständlich lesen, Kompliment.

Besonders gut gefallen hat es mir, wie langsam aufgebaut wird, dass die schwarzen Zeichen und Buchstaben ein Eigenleben entwickeln, was in dem summenden Schmeißfliegenbuchstabenhaufen in den ungeöffneten Briefen gipfelt (zumindest ist dieses Bild beim Lesen bei mir entstanden).
Außerdem diese traumartige Bilder entstehen lassende Sequenz:
Zitat:
verwunschene Stätten inmitten einer urbanen Umgebung, in denen jeder Türspalt, jeder Riss in einer Wand oder Mauer und jede Ritze im Dielenboden den Blick hinter die Wirklichkeit freigab


Aufgefallen ist mir, dass alles in der Vorvergangenheit beschrieben ist, sodass ich nicht ausmachen kann, in welcher Zeit sich das Du aktuell befindet - gleichzeitig wird dadurch aber der letzte "Satz" herausgestellt, was, obwohl hier eine allgemeine Aussage getroffen anstatt dass eine konkrete Handlung beschrieben wird, wie ein Aufschrecken wirkt.

Was mich verwundert ist, dass du schreibst, der Ausschnitt sei Teil eines größeren Projekts, da er mir eher wie eine allgemein gehaltene Beschreibung eines Gefühls vorkam, die in sich abgeschlossen ist. Wie fügt sich denn der Text in dein Gesamtvorhaben ein bzw. worum geht es da, wenn man fragen darf?

Insgesamt finde ich deine hier vorgestellte Art zu schreiben (bis auf Kleinigkeiten, auf denen ich gar nicht herumreiten will) sehr vielversprechend und wünsche dir noch viel Spaß und Erfolg damit!

Liebe Grüße,
Arty
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Klemens_Fitte
Geschlecht:männlichSpreu

Alter: 41
Beiträge: 2932
Wohnort: zuckerstudio waldbrunn


Beitrag02.08.2017 07:32

von Klemens_Fitte
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo ArtFaulII.

ArtFaulII hat Folgendes geschrieben:
mir hat dein kurzer Ausschnitt sehr gut gefallen. Ich verstehe, warum du den gesamten Absatz in einen einzigen Satz gepackt hast, ich finde, dass dies die Atemlosigkeit und empfundene Hilflosigkeit des Protagonisten (lyrischen Dus?) im Strom der unaufhaltsam fortschreitenden und ungenutzten Zeit gut rüberbringt. Und dafür, dass es ein so langer Satz ist, lässt er sich sehr flüssig und verständlich lesen, Kompliment.


Das freut mich natürlich sehr.

ArtFaulII hat Folgendes geschrieben:
Besonders gut gefallen hat es mir, wie langsam aufgebaut wird, dass die schwarzen Zeichen und Buchstaben ein Eigenleben entwickeln, was in dem summenden Schmeißfliegenbuchstabenhaufen in den ungeöffneten Briefen gipfelt (zumindest ist dieses Bild beim Lesen bei mir entstanden).


Das ist das Bild, das ich beim Leser erzeugen wollte, insofern: schön, dass es bei dir funktioniert hat.

ArtFaulII hat Folgendes geschrieben:
Aufgefallen ist mir, dass alles in der Vorvergangenheit beschrieben ist, sodass ich nicht ausmachen kann, in welcher Zeit sich das Du aktuell befindet - gleichzeitig wird dadurch aber der letzte "Satz" herausgestellt, was, obwohl hier eine allgemeine Aussage getroffen anstatt dass eine konkrete Handlung beschrieben wird, wie ein Aufschrecken wirkt.


Richtig, der gesamte Abschnitt beschreibt die Situation der Du-Person einige Jahre vor dem Jetzt (das natürlich im restlichen Manuskript der Bezugspunkt ist), daher die Vorvergangenheit. Was den letzten Satz angeht, ist das ziemlich genau die Lesart, die ich erzielen wollte: allgemeine Aussage auf der einen Seite und konkrete Handlung auf der anderen, denn der Satz beendet das Kapitel und im nächsten wacht die Du-Person im Dunkel eines fremden Wohnzimmers auf und muss sich erst mal orientieren.

ArtFaulII hat Folgendes geschrieben:
Was mich verwundert ist, dass du schreibst, der Ausschnitt sei Teil eines größeren Projekts, da er mir eher wie eine allgemein gehaltene Beschreibung eines Gefühls vorkam, die in sich abgeschlossen ist. Wie fügt sich denn der Text in dein Gesamtvorhaben ein bzw. worum geht es da, wenn man fragen darf?


Mit der Frage bringst du mich ein wenig in die Bredouille – nicht unbedingt deshalb, weil ich nichts darüber sagen möchte, aber ich habe festgestellt, dass sich mein Vorhaben in der Beschreibung immer sehr viel verkopfter anhört, als es eigentlich ist.
Ich versuch's mal. Zunächst zur Einordnung: Der Satz, der diesem vorausgeht, hat eine Länge von knapp 1800 Wörtern und führt von der Beschäftigung der Du-Person mit Büchern über Studium und das vergebliche Schreiben der Magisterarbeit – weniger eine Rückblende als vielmehr ein Gedankenstrom, in den die Du-Person möglicherweise schon unzählige Male gefallen ist; daher auch das Atem- und Hilflose, wenn man merkt, dass man in den Strudel des eigenen Denkens gerät. Solche Stellen gibt es im Manuskript immer wieder mal, und letzten Endes geht es – unter anderem – um die Frage, was Erzählen ist und ob man sich selbst erzählen kann? Keine Ahnung, ob es das trifft.

ArtFaulII hat Folgendes geschrieben:
Insgesamt finde ich deine hier vorgestellte Art zu schreiben (bis auf Kleinigkeiten, auf denen ich gar nicht herumreiten will) sehr vielversprechend und wünsche dir noch viel Spaß und Erfolg damit!


Vielen Dank.

LG Inko


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Aranka
Geschlecht:weiblichBücherwurm
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Beiträge: 3106
Wohnort: Umkreis Mönchengladbach
Lezepo 2017 Pokapro und Lezepo 2014



A
Beitrag02.08.2017 09:20

von Aranka
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Hallo Inko,

welch ein Text! Gleich die ersten vier Zeilen übten einen "Sog" aus, der mich in den Text zog. Dennoch musste ich an den äußeren Bedingungen der Dsfo Formatierung scheitern und erst mal aufhören.

Nachdem ich die Lese-Barrieren der ständigen Zeilensuche durch einen größeren Bildschirm gelöst hatte, ließ mich der Text mit seiner eigenen "Satz-Magie", seinen intensiven Bildern und Gedankenkreisen nicht mehr los, holte mich mitten hinein in ein "übereinanderkriechendes und krabbelndes Gewimmel schwarzer Flecken und Punkte" und ließ mich das Summen "wirklich" hören. Ich folgte in Träume und Nichtträume, in die bedrückende Stimmung unterschiedlicher Zimmer und Behausungen.

Ich habe schon lange keinen Text dieser "Sog-Wirkung" mehr gelesen und mich ihm auch voll Vertrauen überlassen können. Kein Störgefühl, kein Längegefühl. Da kann einer schreiben!

Die kurze Info zum Gesamtprojekt, die du in einer Antwort gibst, klingt für mich interessant und macht mich schon neugierig. Würde das Buch, wenn es denn eines geben wird, gerne lesen.

Schön, dass ich das hier lesen konnte.

Liebe Grüße. Aranka
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Klemens_Fitte
Geschlecht:männlichSpreu

Alter: 41
Beiträge: 2932
Wohnort: zuckerstudio waldbrunn


Beitrag02.08.2017 18:27

von Klemens_Fitte
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo Aranka,

schön, dass du diesem sicher etwas sperrig präsentierten Text eine zweite Chance gegeben hast und dich auf den "Sog" der Worte und Bilder einlassen konntest.

Aranka hat Folgendes geschrieben:
Ich habe schon lange keinen Text dieser "Sog-Wirkung" mehr gelesen und mich ihm auch voll Vertrauen überlassen können. Kein Störgefühl, kein Längegefühl. Da kann einer schreiben!


Das ist eine Rückmeldung, die man als Autor gern mitnimmt. Wann und wie daraus einmal ein Buch wird, steht natürlich noch in den Sternen.

Danke fürs Lesen und Kommentieren.

LG Inko


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Abari
Geschlecht:männlichAlla breve

Alter: 43
Beiträge: 1838
Wohnort: ich-jetzt-hier
Der bronzene Durchblick


Beitrag02.08.2017 20:36

von Abari
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Hallo Inko,

mir ging es ähnlich wie Aranka. Ich musste erstmal aufhören zu lesen, weil es mich einfach angestrengt hat. Also ein zweiter Anlauf ein paar Tage später.

Und da bin ich dann "durchgekommen". Als ich dann erstmal drin war in diesem Rauschen der Bilder, diesem ewigen Umkreisen der schwarzen Lettern, dem atemlosen Flimmern des Studiums - da ging es. Aber ich muss zugeben, dass es nicht leicht war und mich etliche Kraft gekostet hat, nicht abzudriften und mich in den Assoziationsketten zu verlieren, die es auslöste. Der Text gönnt keine Ruhe, keine Pause, kein Innehalten, was ich persönlich als angenehmer empfinden würde. Ich kann nur davor stehen und dieses mächtige Strömen auf mich wirken lassen, mich vollkommen leer machen (lassen) und die Bilder unkommentiert aufnehmen. Von daher ein höchst kontemplativer Text. Die Typenwalze beginnt sich vor mir zu drehen und wird zu einer Art Gebetsmühle, an deren Ende Befreiung stehen könnte.

Aber anscheinend fordert der Text diese Mühsal von mir. Du als Autor forderst sie. Und das finde ich geschickt.
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traumLos
Eselsohr


Beiträge: 380

Pokapro 2017


Beitrag02.08.2017 22:01

von traumLos
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Über E muss nicht diskutiert werden. Ein Text, der seine Form und noch wichtiger,  denn darum geht es,  seine Sprache gefunden hat.  

Die natürlich der Schriftsteller geschaffen hat. Aber es wirkt, als hätte dieser Text nach dieser Sprache verlangt. Nicht in einem seltsamen esoterischen Sinn, sondern in der Arbeit am Text entwickelt.  Den Text in Form und Sprache passend gemacht.

Inwieweit ein Inko angesichts des Titels notwendig war, wird die Diskussion vielleicht noch ergeben.
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Herr N.
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 293
Wohnort: Augsburg


Beitrag02.08.2017 22:06

von Herr N.
Antworten mit Zitat

es ist wie ein vorschlaghammer, der nicht heftig, nein, der langsam, mit aller ruhe, wie sie der eines eremiten gleicht  - der ja nicht viel braucht - auf den kopf hinab schwebt, bis eine erste delle entsteht, und alles im zugehörigen ergebnis, wenn auch nicht erst ersichtlich, aber später im verhalten, oder den dann stattfindenden zitternden bewegungen, ausdruck findet.
ein text, der ein brett sein kann und doch ein stein ist und deshalb mit hilfe eines steinhauers abgebaut werden muss.
aber das muss nicht schlimm sein. ich habe ihn gerne gelesen. allerdings ist auch mir, wie nämlich dem protagonisten, noch etwas unklar, wo er sich (also: alles) eigentlich befindet und was der grund all des durcheinanders ist.
chapeu und ich drücke die daumen! ich weiß, wie schwer es ist, auf diesem grat zu laufen - zwischen stil und verständnis.
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Klemens_Fitte
Geschlecht:männlichSpreu

Alter: 41
Beiträge: 2932
Wohnort: zuckerstudio waldbrunn


Beitrag03.08.2017 07:21

von Klemens_Fitte
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo Abari, traumLos und Herr N.,

da kam ja gestern Abend noch Einiges zusammen, was mich natürlich freut.

Abari hat Folgendes geschrieben:
mir ging es ähnlich wie Aranka. Ich musste erstmal aufhören zu lesen, weil es mich einfach angestrengt hat. Also ein zweiter Anlauf ein paar Tage später.


Schön, dass auch du dem Text eine zweite Chance gegeben hast.

Abari hat Folgendes geschrieben:
Und da bin ich dann "durchgekommen". Als ich dann erstmal drin war in diesem Rauschen der Bilder, diesem ewigen Umkreisen der schwarzen Lettern, dem atemlosen Flimmern des Studiums - da ging es. Aber ich muss zugeben, dass es nicht leicht war und mich etliche Kraft gekostet hat, nicht abzudriften und mich in den Assoziationsketten zu verlieren, die es auslöste.


Ich sehe ein wichtiges Merkmal von Texten darin, dass sie den Leser nicht gängeln, ihn sozusagen an die Leine legen und durch die Worte und Sätze des jeweiligen Autors führen, sondern ihn auch immer wieder in eigene Gedanken und Vorstellungen abdriften lassen – zumindest geht es mir oft so: Es wird etwas in mir angestoßen oder ausgelöst, und wenn ich wieder zum Text zurückkehre, muss ich oft nochmals ansetzen, um die Spur wieder aufzunehmen. Ich halte das nicht für einen Makel, sondern für eine Chance, mehr zu erzählen, als einem beim Schreiben bewusst ist.

Abari hat Folgendes geschrieben:
Der Text gönnt keine Ruhe, keine Pause, kein Innehalten, was ich persönlich als angenehmer empfinden würde.


Der Text kommt natürlich sehr kompakt und atemlos daher – ich denke, im Kontext des Manuskripts wird das aber abgemildert, es kommt schon zu Pausen oder zum Innehalten, etwa nach dem letzten Satz, der das Kapitelende darstellt. In diesem Auszug ist das natürlich nicht zu sehen.

Abari hat Folgendes geschrieben:
Ich kann nur davor stehen und dieses mächtige Strömen auf mich wirken lassen, mich vollkommen leer machen (lassen) und die Bilder unkommentiert aufnehmen. Von daher ein höchst kontemplativer Text. Die Typenwalze beginnt sich vor mir zu drehen und wird zu einer Art Gebetsmühle, an deren Ende Befreiung stehen könnte.


Das ist ein schönes Bild, das ich für mich sicher mitnehmen werde.

Abari hat Folgendes geschrieben:
Aber anscheinend fordert der Text diese Mühsal von mir. Du als Autor forderst sie. Und das finde ich geschickt.


Es gehört nicht zu meinen Überzeugungen, dass Literatur anstrengend sein muss; erst recht nicht, dass ein Text dadurch Literatur wird, dass er anstrengt. Ich denke auch – aber okay, ich kenne diesen Auszug mittlerweile natürlich extrem gut – dass man, wenn man sich auf diesen Sog der Worte eingelassen hat, sich durch diesen Text treiben lassen kann. Und es wird ja nichts Kryptisches erzählt, es gibt keine mehrfach verschachtelte Symbolik, sondern ich habe versucht, das, wovon ich schreiben wollte, in der mir möglichen Klarheit zu schreiben.

*

traumLos hat Folgendes geschrieben:
Über E muss nicht diskutiert werden. Ein Text, der seine Form und noch wichtiger, denn darum geht es, seine Sprache gefunden hat.

Die natürlich der Schriftsteller geschaffen hat. Aber es wirkt, als hätte dieser Text nach dieser Sprache verlangt. Nicht in einem seltsamen esoterischen Sinn, sondern in der Arbeit am Text entwickelt. Den Text in Form und Sprache passend gemacht.


Die Diskussion über E beginnt schon damit, dass jeder etwas anderes darunter versteht. Ich hoffe, wir müssen sie nicht hier im Faden führen.

Dass der Text seine Sprache gefunden hat – zumindest hatte er Gelegenheit dazu, würde ich sagen, hat er sich doch in unzähligen Überarbeitungen und in Folge der vorangegangenen hundert Seiten dorthin entwickelt.

*

Herr N. hat Folgendes geschrieben:
es ist wie ein vorschlaghammer, der nicht heftig, nein, der langsam, mit aller ruhe, wie sie der eines eremiten gleicht - der ja nicht viel braucht - auf den kopf hinab schwebt, bis eine erste delle entsteht, und alles im zugehörigen ergebnis, wenn auch nicht erst ersichtlich, aber später im verhalten, oder den dann stattfindenden zitternden bewegungen, ausdruck findet.
ein text, der ein brett sein kann und doch ein stein ist und deshalb mit hilfe eines steinhauers abgebaut werden muss.


Oben schrieb ich ja vom Auslösen oder Anstoßen – anscheinend hat die Lektüre bei dir einen interessanten Gedankengang ausgelöst, und das freut mich natürlich ungemein.

Herr N. hat Folgendes geschrieben:
aber das muss nicht schlimm sein. ich habe ihn gerne gelesen. allerdings ist auch mir, wie nämlich dem protagonisten, noch etwas unklar, wo er sich (also: alles) eigentlich befindet und was der grund all des durcheinanders ist.


Das ist auch anhand dieses Auszugs, fürchte ich, nicht zu beurteilen. Wobei im Kontext des gesamten Manuskripts – dieser Auszug entspricht den Seiten 107-112 von bislang 174 – zumindest die Du-Person, und somit hoffentlich auch der Leser, schon ein etwas konkreteres Bild davon hat, wo sie sich befindet und wie und warum sie dort hingekommen ist.

Herr N. hat Folgendes geschrieben:
chapeu und ich drücke die daumen! ich weiß, wie schwer es ist, auf diesem grat zu laufen - zwischen stil und verständnis.


Ich persönlich würde Stil nicht über Verständlichkeit stellen, weiß aber auch, dass es unmöglich ist, den Rezeptionsvorgang im jeweiligen Leser vorauszusagen. Von daher: Danke für das Lob und das Daumendrücken.

Euch allen danke fürs Lesen und Kommentieren.

LG Inko


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rieka
Geschlecht:weiblichSucher und Seiteneinsteiger


Beiträge: 816



Beitrag03.08.2017 09:59

von rieka
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Nur kurz überflogen, aus Zeitmangel, wie immer. Aber.

Mutig. Damit meine ich nicht deine Art des Schreibens, die Formatierung und deine Formulierungen – die finde ich interessant und wie Andere schon sagten, gekonnt, unendlich weit entfernt von meinen eigenen Fähigkeiten – nein, damit meine ich dein dich bewusstes Einlassen auf diese Gedankengänge, das Auseinanderdröseln und wieder Zusammenbauen dieser inneren und bei weitem nicht einfachen und vielleicht auch nicht ungefährlichen Erlebensprozesse, die, wie ich es wahrnehme, sowohl Zerbrechlichkeit, an Harakiri grenzenden Wagemut, als auch Sicherheit und Überlegenheit gleichzeitig ausstrahlen.
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Klemens_Fitte
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Beitrag03.08.2017 17:31

von Klemens_Fitte
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Hallo rieka,

ich picke mir mal einen Teil deines Kommentars heraus, über den ich mich besonders gefreut habe.

rieka hat Folgendes geschrieben:
[…] das Auseinanderdröseln und wieder Zusammenbauen dieser inneren und bei weitem nicht einfachen und vielleicht auch nicht ungefährlichen Erlebensprozesse, die, wie ich es wahrnehme, sowohl Zerbrechlichkeit, an Harakiri grenzenden Wagemut, als auch Sicherheit und Überlegenheit gleichzeitig ausstrahlen.


Beim Schreiben steht mir oft ein Zitat Hans Henny Jahnns zum Fluss ohne Ufer vor Augen: er sei dort bis an die Grenze der ihm erreichbaren Wahrheit gegangen und habe die Unerschrockenheit, die die völlige Einsamkeit gebe, eingesetzt.

Ich möchte mich jetzt sicher nicht mit Jahnn vergleichen, aber möglicherweise ist das Manuskript, aus dem dieser Auszug stammt, der Versuch, dieses Diktum inhaltlich umzusetzen – indem ich meine Figur in eine einsame Situation bringe und ihr somit, mangels Ablenkung, sowohl die Möglichkeit gebe als auch sie dazu zwinge, sich selbst konsequent und rücksichtslos offenzulegen – aber auch sprachlich, indem ich versuche, Gedanken und Bewusstseinsprozesse verständlich darzustellen, ohne sie zu simplifizieren. Und irgendwie fand ich dieses Bemühen in deinem Kommentar widergespiegelt. Danke dafür.

LG Inko
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rieka
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Beiträge: 816



Beitrag06.08.2017 13:24

von rieka
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Inkognito hat Folgendes geschrieben:
   
Beim Schreiben steht mir oft ein Zitat Hans Henny Jahnns zum Fluss ohne Ufer vor Augen: er sei dort bis an die Grenze der ihm erreichbaren Wahrheit gegangen und habe die Unerschrockenheit, die die völlige Einsamkeit gebe, eingesetzt.  


Noch ein Buch, das auf meine >Noch zu lesen Liste< kommt. Danke für den Tipp. Es ist nun das zweite Mal, dass der Titel erwähnt wird. Im letzten Wettbewerb wies ein Teilnehmer auch schon darauf hin. Die Beschreibung klingt vielversprechend.
Damit habe ich jetzt mal eben nebenbei deine Inco-Zeit verlängert. Laughing
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Klemens_Fitte
Geschlecht:männlichSpreu

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Beitrag06.08.2017 17:23

von Klemens_Fitte
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rieka hat Folgendes geschrieben:
Inkognito hat Folgendes geschrieben:
   
Beim Schreiben steht mir oft ein Zitat Hans Henny Jahnns zum Fluss ohne Ufer vor Augen: er sei dort bis an die Grenze der ihm erreichbaren Wahrheit gegangen und habe die Unerschrockenheit, die die völlige Einsamkeit gebe, eingesetzt.  


Noch ein Buch, das auf meine >Noch zu lesen Liste< kommt. Danke für den Tipp. Es ist nun das zweite Mal, dass der Titel erwähnt wird. Im letzten Wettbewerb wies ein Teilnehmer auch schon darauf hin. Die Beschreibung klingt vielversprechend.
Damit habe ich jetzt mal eben nebenbei deine Inco-Zeit verlängert. Laughing


Hallo rieka,

ja, ich war zunächst einigermaßen irritiert, als ich den Titel unter den Beiträgen beim letzten Pokapro fand. Ohne zu viel versprechen zu wollen: Meiner Ansicht nach ist Der Fluss ohne Ufer eins der größten Werke der Weltliteratur. Und das sage ich, obwohl ich für die Lektüre fast zwei Jahre gebraucht habe.

Ich bin mir nicht sicher, wie wasserdicht oder porös mein Inko (inzwischen) ist, aber trotzdem mal danke fürs Auffrischen.

LG Inko


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»Es ist illusionär, Schreiben als etwas anderes zu sehen als den Versuch zur extremen Individualisierung.« (Karl Heinz Bohrer)
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Seraiya
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Beitrag07.08.2017 12:59

von Seraiya
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Huhu Inko smile


Das ist in dieser Formatierung für mich sehr schwer zu lesen. Bist du so lieb und hängst eine PDF an?


LG,
Seraiya
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Klemens_Fitte
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Beitrag07.08.2017 13:25

von Klemens_Fitte
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Hallo Seraiya.

Seraiya hat Folgendes geschrieben:
Das ist in dieser Formatierung für mich sehr schwer zu lesen. Bist du so lieb und hängst eine PDF an?


Ich bin auch immer noch nicht zufrieden mit der Formatierung, also gibt es extra für dich (und alle anderen, die eventuell noch von der Präsentation des Textes abgeschreckt sind) hier im Ausgangspost nicht nur ein, sondern gleich zwei PDFs – weil ich anscheinend zu dusselig bin, um eine einzelne Datei anzuhängen – im Normseitenformat, was das Ganze hoffentlich ein wenig lesbarer macht.

LG Inko
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Heidi
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Der goldene Durchblick


Beitrag08.08.2017 13:45

von Heidi
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Hallo Inkognito,

du einen Text geschrieben, der sich mir (erst mal) verweigert, der von mir ein gewisses Loslassen verlangt, der mit jedem neuen Lesen neue Facetten für mich freigibt, der mich fordert, herausfordert, an dem ich mich reiben kann, der niemals langweilig wird, der Zeit braucht, der

Nun, in einem Rutsch gelesen – so ganz ohne innehalten, denn so verstehe ich diesen Text vordergründig, so in einem Stück, als Ganzes, nicht den Fokus aufs Detail gelegt, also, wie ein Bild, das ich in seiner Gesamtheit anschaue, nicht nur die linke untere Ecke; nun, so lese ich auch deinen Text und weil ich ihn so lese, also nicht erst versuche alles zu ergreifen, alles zu verstehen, was die einzelnen Worte in einem Zusammenhang bedeuten könnten, entsteht ein intensives Gefühl, das ich nur bildhaft beschreiben kann:
Ein Bach, der ruhig fließt, vielleicht auch eher der Ursprung eines Baches, der später breiter wird und nachher noch mal breiter wird und mit der „Verbreitung“ wird das Plätschern intensiver, verstärkt sich zum Ende hin, um schließlich mit den letzten Zeilen ruhig auszuklingen. Vielleicht wie das Finale einer Sinfonie: es ist alles mit drin, was vorher da war und zum Schluss ein sanftes Verhallen, mit Nachhall (nicht, dass ich mich mit Sinfonien auskenne, ist nur eine laienhafte Darstellung meines Empfindens dazu).
Dieses Bachplätschern erlebe ich als mit Melancholie getränkt, die aber nicht in eine depressive Stimmung gleitet, sondern sich als eine Traurigkeit zeigt, die in sich den Widerspruch der Zuversicht trägt – das alles, wie gesagt, ist eine rein subjektive Wahrnehmung meinerseits.

Hier der Höhepunkt, an der Stelle, wo ich ihn als einen solchen empfinde:

Inkognito hat Folgendes geschrieben:
[…] Wohnungen, die du dir über Jahre hinweg und Nacht für Nacht bis zum ruckartigen und enttäuschten Erwachen in allen merkwürdigen und sagenhaften – denn tatsächlich hätten all diese Wohnungen Teil einer phantastischen Erzählung sein müssen, verwunschene Stätten inmitten einer urbanen Umgebung, in denen jeder Türspalt, jeder Riss in einer Wand oder Mauer und jede Ritze im Dielenboden den Blick hinter die Wirklichkeit freigab – in allen surrealen und mythologischen und eben: traumhaften Details ausgemalt hattest, als Kulissen oder vielmehr als eigenständige Protagonisten lebendiger und bildhafter Träume, die in den letzten Zügen deines Studiums unwiderruflich in der Leere und Schwärze deiner Nächte verschwunden waren und in deiner Erinnerung nur noch als skurrile Vorboten der tatsächlichen Aus- und Umzüge bestanden hatten […]


Besonders gefällt mir hierbei der Blick hinter die Wirklichkeit.

Hier das leise Ausklingen, meinem Empfinden nach:

Inkognito hat Folgendes geschrieben:
[…]
der Fluchten, der Nacht-und-Nebel-Aktionen, die du nach dem Ende deines Studiums unternommen hattest, immer dann, wenn du deinen Lebensstandard nicht mehr hattest halten können; oder als jener Rest eines kurzzeitigen Identitätsverlusts, den man erleidet, wenn man mitten in der Nacht aufschreckt und nicht mehr weiß, wo man sich befindet. […]


Bisher habe ich erst einen Text hier im Forum gelesen, bei dem ich, in meinem Lesen, ähnlich durchgegangen bin, also mit purer Empfindung, wenn ich es mal platt ausdrücken darf - nur auf andere Weise, mit anderen, hervorgerufenen Wahrnehmungen. Dieser Text zeigt durch Worte das Bild einer Magma-Substanz; die Worte an sich verlieren (für mich) an Bedeutung - denn sie sind Träger dafür, die Substanz erlebbar zu machen - obwohl sie in der näheren Betrachtung weitere Dimensionen eröffnen können, je nach Ausdauer und Belieben des Lesers.

Du sagst, es handelt sich um den Auszug eines Romans. Ich denke einen ganzen Roman in diesem Stil, also nur ein Satz über ein-, zweihundert Seiten, würde mir wohl mit der Zeit etwas viel werden, aber als Stimmung, als Ausdrucksmittel deiner Figur im Zwischenraum einer Handlung - und versteh mich nicht falsch, ich würde hier natürlich keine spannungsgeladene, actionreiche Geschichte mit detailliertem Setting erwarten, sondern vielmehr ein Annähern an die Figur auf verschiedenen Ebenen, außerhalb einer "nur-Stimmung" -, könnte ich mir das gut vorstellen, so als Lesestoff. Momentan ist es aber schwer zu sagen, ob mich der Roman als Ganzes gefangen nehmen könnte. Möglicherweise sehe ich gerade „nur“ die linke untere Ecke einer Gesamtheit oder das Detail in der Mitte. Und insgesamt ist Gesamt besser.


Liebe Grüße
Heidi
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