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Diese Werke sind ihren Autoren besonders wichtig Imagine - Stell dir vor …


 
 
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FranzFink
Geschlecht:männlichSchneckenpost

Alter: 77
Beiträge: 9
Wohnort: Salzburg


Beitrag23.05.2017 08:29
Imagine - Stell dir vor …
von FranzFink
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ich hörte diesen Song in den Innenhöfen von Sankt Peter. Es kam mir vor, als ob die Musik direkt aus den Wänden des Mönchsbergs kommen würde. Ich war gerade bei Pater Engelbert an der Pforte gewesen, um mir den obligaten Sonntagsfünfer und eine Kante Brot abzuholen. Früher hätte ich mich geschämt, jetzt war alles anders. Ich brauchte nicht mehr betteln, musste mich nicht erniedrigen, es bedurfte keines weiteren Wortes. Ich war bekannt. Dennoch war es nicht Alltag.
Wieder so ein vermaledeiter Sonntag. Ein Tag, an dem sich alle anderen freuten und im feinen Gewand durch den Festspielbezirk flanierten. Kein guter Tag für Leute wie mich. Unsereins fiel an solchen Tagen mehr auf als sonst. Ich kam mir schäbig vor, obwohl ich frisch rasiert war und das Hemd aus dem Fundus Pater Engelberts nach Lavendel roch. Ich wurde den Verdacht nicht los, dass es mir alle ansehen könnten, wie es mir gerade geht. Ich muss diesen Tag über die Bühne bringen, dachte ich, schließlich lebe ich in Salzburg und es ist Festspielzeit. Ich summte vor mich hin Imagine all the people Living life in peace … mein Gehör steuerte mich in Richtung Jedermannbühne auf dem Domplatz.

Ich will nicht sagen, dass ich keine Perspektive gehabt hätte. Oh nein, ich hatte Pläne. Dass ich momentan neben der Spur stand, war meiner Meinung nach nur dem unglücklichen Zustand geschuldet, dass meine Abhängigkeit in Sachen Alkohol gerade in die Hochphase überging. Ich hatte den Überblick verloren, aber ich glaubte noch, jederzeit aufhören und aussteigen zu können, wenn ich nur wollte. Meine Freunde hießen Jim Beam und Johnnie Walker. Ich war überzeugt, dass ich mit ihnen meinen geistigen Horizont erweitern und mich auf dieser imaginären Welle des Glücks festhalten könnte – bis – ja, bis der Tod uns scheidet. In nüchternen Momenten, wie an diesem Sonntag mit John Lennon im Ohr, spürte ich: Dieser Zug war abgefahren. Ich saß inmitten vieler kleiner Geister, die mir vorgaukelten, dass dies der wunderbarste Ort des Lebens sei. Manchmal sträubte ich mich, glaubte ihren Versprechungen nicht mehr und wollte aussteigen, aber ich schaffte es nicht. Es war wie in meinen Albträumen mit den Glocken. Diese Träume begannen mit harmlos leisen Glöckchen, die mich zum Mitspielen überredeten. Kurz danach mutierten sie zu dröhnenden Glocken. Ich war ihr Klöppel und konnte nicht mehr aufhören zu schwingen.

Insgeheim hoffte ich auf ein Wunder, auf einen Impuls von Außen. Weit hinten in meinem Hirnkasten regte sich eine leise Ahnung, hauchte mir wie es gehen könnte. Ich stand unter den Dombögen und lauschte mit allen Sinnen. Imagine all the people living for today … vorne, mitten auf der Jedermannbühne, stand eine weiße Tafel mit projizierten Texten: Imagine – Stell dir vor! Imagine there’s no heaven … darunter ein Gospelsong: Oh When the Saints, go Marching In …
vieles sprach für ein normales Konzert, aber es war kein prominenter Künstler zu sehen. Nein, John Lennon war nicht da, die Kinder waren die Stars. Die ganze Woche hatte ich gerätselt, was die vielen Plakate bedeuten könnten: „Palette 80“ stand da in bunten Lettern.
Ich mischte mich unter die Zuschauer  und sang trotz Reibeisenstimme spontan mit. Singende Menschen wurden zum vokalen Klangkörper. Es war großartig. Auch wenn Imagine kein lauter Song war, klang es doch wie ein rauschendes Bekenntnis: Imagine – Stell dir vor, all die Menschen, sie teilen sich die Welt, einfach so. Es war ein Erlebnis, den Kindern mit ihren fröhlich bunten Halstüchern zuzusehen, wie sie mit voller Inbrunst und strahlenden Augen diesen Song interpretierten. Es schien, als könnte ein buntgemischter Kinderchor die Welt verändern. John Lennons große Vision „Imagine“ bekam eine spielerische Note durch diese Stimmen. Das Lied ist schlicht in seiner Aussage, hat keine geheimen, Symbole. So leicht zu verstehen und so schwer umzusetzen. Es erzählt nicht nur, es fordert uns auf, etwas zu tun: „Stell dir vor …“ Wenigstens das. Und das ist gar nicht so schwer: „It‘s easy if you try.“
Kein Himmel, keine Hölle. Keine Ländergrenzen, keine Kriege, keine Religionen – nichts wofür man töten oder sterben würde. Keine Besitzgier, keine Obdachlosen, keine Angst – und vielleicht deshalb auch: kein Hunger in der Welt.
Das konnte ich mir nur schwer vorstellen: I wonder if you can … weil es mein jetziges Leben betrifft und nicht die Entscheidungen von denen da oben ...



_________________
Abhängigkeit ist eine Krankheit, die einem sagt, dass man sie nicht hat. Einem selbst und allen anderen.
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Rainer Prem
Geschlecht:männlichReißwolf
R

Alter: 66
Beiträge: 1271
Wohnort: Wiesbaden


R
Beitrag24.05.2017 13:50

von Rainer Prem
Antworten mit Zitat

Hallo,

ein sehr gut geschriebener Text, der zum Nachdenken anregt. Was jetzt kommt, ist Jammern auf sehr hohem Niveau.

Eigentlich ein bisschen zu gutes Deutsch, denn ich glaube dir den (vermutlich obdachlosen) Alkoholiker eigentlich nicht. Ich würde auf jeden Fall die längeren Sätze noch einmal überdenken und vereinfachen.

Ich würde mir noch wünschen, dass der Hinweis auf Salzburg früher kommt, damit solche exotischen Begriffe wie "Sonntagsfünfer" eher nachvollziehbar (wenn auch für einen Piefke nicht verständlicher) werden.

Der Begriff "Palette 80" steht auch ein bisschen hilflos in der Gegend. Ich habe nicht mehr als eine vage Ahnung, was damit gemeint ist.

Grüße
Rainer
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Constantine
Geschlecht:männlichBücherwurm


Beiträge: 3311

Goldener Sturmschaden Weltrettung in Bronze


Beitrag28.05.2017 14:05

von Constantine
Antworten mit Zitat

Hallo FranzFink,

danke für diesen schönen Text, der nicht nur einen meiner Lieblingssongs thematisiert, sondern du ihn mit deinem Protagonisten zwischen Idealismus - Lennons Song - und Realismus - die Lebensumstände deines Protagonisten und seine Selbstreflexion - stellst. Am Ende bleibt Bitterkeit, weil nicht einmal das Sich-Vorstellen, welches so leicht klingt, für ihn möglich ist. Der Zug ist für ihn abgefahren und allein aus eigener Kraft kann er dieses besungene Ideal nicht erreichen.

Dazu bekommt dein Text noch eine "erschütternde" Note, berücksichtigt man, dass dein Text 1980 (ich vermute Frühling/Sommer) spielt, dem Todesjahr John Lennons, an welchem er im Dezember ermordet worden ist.

Einige schöne Ebenen, die es in deiner Geschichte zu entdecken gilt.

Zuerst störte mich, dass du mir den Song und die Bedeutung des Songs für deinen Protagonisten zu sehr erklärst und übersetzt in deinen Text einfließen lässt, aber ich erklärte es mir damit, dass es auch Leser gibt, die den Song vielleicht nicht kennen und auch nicht unbedingt das Englische sofort verstehen, wodurch du es auch diesen Lesern möglich machst, deinen Text gleich und leicht zu verstehen.

Sehr gerne gelesen.

LG,
Constantine
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Poolshark
Geschlecht:weiblichKlammeraffe

Alter: 42
Beiträge: 827
NaNoWriMo: 8384
Wohnort: Berlin


Beitrag28.05.2017 17:09

von Poolshark
Antworten mit Zitat

Hallo Franz,

die Stimmung, die du erzeugst, gefällt mir und obwohl ich Texte, die bis zum Rand angefüllt sind mit inneren Monologen immer schwierig finde, hältst du mich doch bis zum Ende bei der Stange. Meine einzigen Kritikpunkte ähneln denen von Constantine. Du erklärst mir einen Tick zu viel. Gerade zum Ende fühle ich mich als Leserin ein bisschen zu sehr an die Hand genommen. Den Song kennt wohl jeder, denke ich, und auch die damit verbundene Ernüchterung, wenn man sich tatsächlich vorstellt, dass die Dinge anders sein könnten. Ich denke, dass alle Menschen, die mit einem reflektierenden Auge in die Welt sehen, sehr vertraut mit diesem Gefühl sind. Deshalb ist mir "der enttäuschte Idealist, der in Anbetracht der bösen Welt, davor kapituliert" ein bisschen zu unoriginell als Thema, bzw. als Moral von der Geschicht'. Und das vor allem deshalb, weil dir der Einblick in deinen Protagonisten ansonsten so gut gelungen ist.
Ich persönlich finde, dass einen das Lesen von Texten immer Einblick in etwas geben sollte, das auf eine vertraute Art und Weise neu ist. Das gelingt dir mit dem Einfühlen in die Parallelwelt in der dein Protagonist da lebt, aber nicht mit dem "naiven Idealismus" und dem darauf folgenden Fatalismus, mit dem du uns da alleinlässt.

Hier noch ein paar kleinere Anmerkungen:

Zitat:
Meine Freunde hießen Jim Beam und Johnnie Walker.

Ziemlich abgegriffener Ausdruck, den sich Kneipenproleten durchaus auch auf T-Shirts drucken lassen. Das beißt sich sehr stark mit dem Rest Textes und mit der Originalität des Albtraumbildes mit den Glocken, denen dein Protagonist als Klöppel dient. Sehr eindrucksvoll.

Zitat:
Singende Menschen wurden zum vokalen Klangkörper.

Das Bild wirkt ein bisschen schief auf mich. Klangkörper sind eher passiv. Der Klangkörper einer Gitarre verstärkt zum Beispiel nur die Schwingungen der Saiten. Singende Menschen sind eher aktiv und das Gebäude würde in diesem Zusammenhang eher zum Klangkörper.

Zitat:
Oh When the Saints, go Marching In …

Ich glaub in der englischen Sprache ist die Sache mit der Groß- und Kleinschreibung in Titeln beliebig, aber das Go sieht man meist auch großgeschrieben.

Zitat:
Ich mischte mich unter die Zuschauer  und ...

Da hat sich ein zusätzlichen Leerzeichen reingeschummelt.

Alles in Allem ein interessanter Text, aber wie du ihn beendest, fand ich auf eine wenig originelle und wenig künstlerische Art und Weise ernüchternd.


_________________
"But in the end, stories are about one person saying to another: This is the way it feels to me. Can you understand what I'm saying? Does it also feel this way to you?"
-Sir Kazuo Ishiguro
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