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ArtFaulII
Wortedrechsler


Beiträge: 95
Wohnort: Baumhaus


Beitrag07.07.2016 16:14

von ArtFaulII
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Verschoben

Ich verlasse das Büro siebzehn Minuten später als gewöhnlich. Siebzehn Minuten und die Dämmerung ist der Nacht gewichen, der Imbiss hat den Rollladen heruntergelassen, die Lichter in den Lagerhallen sind gelöscht und meine Bahn ist abgefahren.
Ein leichter Nieselregen verfängt sich im Licht der Straßenlaternen. Ich suche Schutz unter den Dachvorsprüngen und laufe vorbei an Absperrbändern, einem ehemaligen Massagestudio, einem Wettbüro. Eine Luftstoß fährt unter meinen Rock, als ich aus dem Häuserschatten trete. Der Bahndamm gegenüber ist mit Unkraut überwuchert. Büsche grenzen eine Straße ab, die im Dämmerlicht der Unterführung verschwindet.
Ich überquere die Hauptstraße, folge dem Weg, der langsam absinkt, während langsam Betonwände um mich wachsen. Ein Luftzug raschelt in den gefangenen Laubgerippen und wedelt sauren Gestank auf. Das Knallen meiner Absätze hallt verzerrt von den Wänden wider. Die Decke beginnt dumpf zu vibrieren, ein Zug donnert über mich hinweg. Ich gehe schneller und verschränke die Arme vor der Brust, die Tasche rutscht von meiner Schulter. Eine Lampe flackert, Schatten tauchen aus dem Nichts neben mir auf, huschen über die Wände und verstecken sich wieder. Sie tanzen im Liniengewirr der Graffitti. Um mich herum hallen ihre Schritte, aus jeder Ecke, sie sind überall. Das Rascheln wie geflüsterte Worte.
Sie lauschen meinem Atem.
Plötzlich ein Brummen in den Wänden, die Schatten sausen davon, schrumpfen zusammen, zwei Scheinwerfer jagen in den Tunnel.
Dann bremsen sie ab.
Beobachten.
Neben mir tuckert ein Motor. Ich senke den Blick, umklammere die Handtasche, gehe schneller. Nicht hinsehen.
Eine Fensterscheibe wird surrend heruntergelassen.
Einfach weitergehen.
Ein Rauschen betäubt meine Ohren. Nicht hinsehen.
Dann schwillt das Brummen wieder an, das Auto beschleunigt, fährt vorbei. Die Schatten kehren zurück, strecken sich immer länger bis zur Tunnelöffnung und lösen sich gestaltlos im Nachthimmel auf.
Die Wände senken sich, öffnen den Blick auf einen Anwohnerparkplatz. Dahinter, in den Fenstern der Familienwohnhäuser, brennen warme Lichter. In den Büschen raunt der Wind, kühle Tropfen rieseln auf meine Haut.
ch schließe die Augen und sauge die Luft ein.
Jemand packt mich am Arm.
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ArtFaulII
Wortedrechsler


Beiträge: 95
Wohnort: Baumhaus


Beitrag07.07.2016 16:19

von ArtFaulII
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Dies ist, mit etwas mehr Distanz zur eigentlichen Intention des Textes geschrieben, die neue Version!
Eine durch Muskat inspirierte radikale Kürzung, abgeschwächt durch die typische Autorenliebe zu einigen Formulierungen. Embarassed

Wie wirkt dieser Text? Hat sich durch die Kürzungen etwas verändert?
Wird die Stimmung weiterhin transportiert?
Werden Bilder erzeugt und kann man sich in die Lage der Protagonistin versetzen?

Liebe Grüße,
Arty
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Muskat
Eselsohr


Beiträge: 343



Beitrag07.07.2016 18:24
Verschoben
von Muskat
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Hallo ArtFaull,

die zwei "langsam" stören mich noch.

Bei den Betonwänden brauchst du es nicht, meine ich, denn das Verb wachsen sagt aus, dass sie nicht plötzlich in die Höhe schnellen.

Beim Weg könntest du "sacht" statt "langsam" nehmen.

Ansonsten mag ich die Überarbeitung.
Nun solten andere darüber befinden und die beiden Versionen vergleichen.

Liebe Grüße

Muskat
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Kaja_Fantasy
Geschlecht:weiblichLeseratte

Alter: 23
Beiträge: 182
Wohnort: Mein literarisches Wohnflugzeug


Beitrag08.07.2016 16:29

von Kaja_Fantasy
Antworten mit Zitat

Insgesamt mag ich die Geschichte sehr, ist gut geschrieben und OBWOHL ich die ganze Zeit im Kopf hatte, ach, die wird bestimmt vergewaltigt oder ausgeraubt fand ich das Ende super gelungen.
Die ganz neue, stark gekürzte Version hat mir allerdings überhaupt nicht gefallen, da fehlt einfach zu viel. Da wäre es hilfreich, wenn du selbst sagst, was du denn besser fandest, die anderen Änderungen waren ja eher kleinerer Natur.
Ich gehe hier jetzt nochmal auf die vorherige Version ein.
ArtFaulII hat Folgendes geschrieben:
Es ist 19:17, als ich die Bürotür hinter mir zuziehe. Das Schloss klackt zweimal, den Schlüssel verstaue ich in meiner Handtasche. Zur Sicherheit rüttel ich noch einmal prüfend an der Klinke. Im Treppenhaus springt das Neonlicht an. Vier Sekunden verzögert, wie immer.
Es ist 19:23, als ich auf der Straße stehe. Siebzehn Minuten später als sonst. Siebzehn Minuten und die Dämmerung ist der Nacht gewichen, der Imbiss hat den Rollladen heruntergelassen, die Lichter in den Lagerhallen sind gelöscht und meine Bahn ist abgefahren. Siebzehn Minuten und ich fühle mich wie aus meiner eigenen Zeit gefallen.
Die nächste Bahn fährt erst in einer knappen Stunde. Die Zeit kann ich genauso gut nutzen und ein Stück zu Fuß gehen. Meine Haltestelle ist links, ich drehe mich nach rechts. Zwanzig Minuten bis zur nächsten Station.
Im Licht der Straßenlaternen verfängt sich ein leichter Nieselregen. Ich suche Schutz unter den Dachvorsprüngen und laufe vorbei an Absperrbändern, einem ehemaligen Massagestudio, einem Wettbüro. Die Straßenschlucht öffnet sich zu einer Kreuzung mit einer Hauptstraße, hinter der eine Trasse für den Güterverkehr verläuft. Ein Windstoß fährt unter meinen Rock, als ich aus dem Häuserschatten trete. Ich halte ihn mit einer Hand fest und klappe mit der anderen den Mantelkragen hoch. Von links und rechts rasen Autos mit aufgeblendeten Unter dem Wort kann ich mir irgendwie nichts vorstellen Scheinwerfen vorbei. Ich warte. Auf dem Bahndamm gegenüber biegen sich Gräser und Unkraut im Wind. Dazwischen grenzen Büsche eine Straße ab, die im Orangelicht der Unterführung verschwindet.

Die Ampel springt um. Ich überquere die Hauptstraße, folge dem Weg, der langsam absinkt, während sich neben mir vollgeschmierte Betonwände aus den Büschen heben. Sie wachsen hoch, verschmelzen über mir zu einer Decke und ihre Schatten unter mir zu einem Boden. Runde, orangefarbene Die Farbe könnte man evtl. weglassen, die weiß man ja schon Lampen glotzen mich an. Eine flackert. Ein Luftzug trägt das leise Rauschen der Straße in den Tunnel und raschelt in den gefangenen Laubgerippen Die sind mir etwas zu poetisch, schlichte "liegengebliebene Blätter" oder so würden mir eher zusagen . Meine Absätze knallen auf den Beton und hallen verzerrt von den Wänden wider. Das wurde schon angemerkt Sauerer Gestank hängt in der trockenen Luft und sammelt sich in dunklen Pfützen am Boden. Mein Bild war da, dass der Gestank aus den Pfützen kommt (und dementsprechend dort am stärksten ist), wenn da wirklich Pfützen sind, wäre die Luft aber nicht trocken Mein Schatten taucht neben mir auf, dick und kurz, huscht an mir vorbei, wird länger und dünner und blasser, ein Neuer erscheint, sie umkreisen mich wie Uhrzeiger. Zehn Minuten bis zur nächsten Station. Die Wände beginnen dumpf zu vibrieren, ein Zug donnert über mich hinweg. Die Räder stoßen in die Lücken, In welche Lücken? Ich weiß ja nicht, wie genau ein Zug funktioniert, aber da kann ich mir nichts drunter vorstellen rhythmisch klackend. Ich gehe schneller und verschränke die Arme vor der Brust, die Tasche rutscht baumelnd in meine Ellbeuge. Da wurde auch schon was angemerkt, das "baumelnd" sollte m.E. auf jeden Fall weg Die Lampe flackert, Schatten tauchen aus dem Nichts neben mir auf, huschen über die Wände und verstecken sich wieder da, wo ich sie nicht sehen kann. Wenn sie versteckt sind ist es klar, dass sie sie nicht sehen kann Sie tanzen im Liniengewirr der Graffitti. Um mich herum hallen ihre Schritte, aus jeder Ecke, sie sind überall. Das Rascheln wie geflüsterte Worte. Die zwei Sätze finde ich etwas verwirrend, das wurde auch schon angemerkt, in jedem Fall machen Schatten ja keine Geräusche, vielleicht so, dass die Schattengestalten sich mit den Geräuschen von draußen zu Personen verdichten? Einen ähnlichen Satz vor den beiden eingefügt, dann wäre das für mich viel klarer und man hätte gleich noch einen schönen Kontrast von wegen Personen und atmen. Nur Atmen tun sie nicht. Mein Atem ist der einzige, den ich höre, dahinter ein Brummen in den Wänden, plötzlich sausen die Schatten davon, schrumpfen zusammen, zwei Scheinwerfer jagen in den Tunnel. Dann bremsen sie ab. Beobachten. Neben mir tuckert ein Motor. Ich senke den Blick, umklammere die Handtasche, gehe schneller. Nicht hinsehen. Eine Fensterscheibe wird surrend heruntergelassen. Einfach weitergehen. Rauschen, aus dem nur ein leises Piepen dringt, mein Herzpochen, mein Atem. Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Entweder du lässt das auch weg oder du fügst das von vorher "klackklack" und so wieder ein (ich wäre für letzteres). Nicht hinsehen. Dann Hier finde ich das dann sehr unschön, ich habe allerdings gerade auch keine Idee, wie man das besser machen könnte schwillt das Brummen wieder an, das Auto beschleunigt, fährt vorbei. Die Schatten kehren zurück, werden länger und länger, reichen bis zur Tunnelöffnung und lösen sich gestaltlos im Nachthimmel auf. Die Wände senken sich, öffnen den Blick auf einen Anwohnerparkplatz. Dahinter, in den Fenstern der Familienwohnhäuser, brennen warme Lichter. Der Boden steigt wieder an. In den Büschen raunt der Wind. Der kühle Nieselregen legt sich in einem sanften Film Ich fand den vorherigen "Schleier" besser, "Film" ist für mich sehr negativ konnotiert auf meine Haut. Ich fröstel, schließe die Augen und sauge die Luft ein. Jemand packt mich am Arm. Augen leuchten im Orangelicht auf. Hinter ihm, im Baumschatten, das Auto, die Lichter gelöscht, der Motor noch warm, eine Tür steht offen… Definitiv das ursprüngliche Ende!


_________________
"Ist das eine Truhe mit Beinen???"
(Aus: "Rincewind der Zauberer", Sammelband, von: Terry Pratchett)

Arthur lolled.
(Aus: "The hitchhiker´s guide to the galaxy", von: Douglas Adams)

Plan E? Was zum Teufel war Plan E?
(Aus: "Lockwood & Co, Die seufzende Wendeltreppe")
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ArtFaulII
Wortedrechsler


Beiträge: 95
Wohnort: Baumhaus


Beitrag11.07.2016 17:29

von ArtFaulII
Antworten mit Zitat

Hallo!

@Muskat: danke, das zweite "langsam" hat sich bei der Überarbeitung wohl dazwischen gemogelt!

@Kaja: vielen Dank für deine Antwort und die Verbesserungen! Es ist schön, auch noch einmal eine andere Perspektive zu hören!

Stimmt, das mit dem Orange ist doppelt, ich wollte eigentlich stattdessen das "Orangelicht" rausnehmen, weil sich viele daran gestört hatten. Obwohl ich "orangefarben" als Wort immer noch für verunglückt halte.

Kaja hat Folgendes geschrieben:
In welche Lücken? Ich weiß ja nicht, wie genau ein Zug funktioniert, aber da kann ich mir nichts drunter vorstellen


Damit meinte ich die Dehnungsfugen, die in den Schienen eingearbeitet sind, damit sie sich unter Ausdehnung bei Hitze nicht verformen. Diese kleinen Lücken verursachen das klackende Geräusch, wenn ein Zug vorbei fährt.

Kaja hat Folgendes geschrieben:
Die zwei Sätze finde ich etwas verwirrend, das wurde auch schon angemerkt, in jedem Fall machen Schatten ja keine Geräusche, vielleicht so, dass die Schattengestalten sich mit den Geräuschen von draußen zu Personen verdichten? Einen ähnlichen Satz vor den beiden eingefügt, dann wäre das für mich viel klarer und man hätte gleich noch einen schönen Kontrast von wegen Personen und atmen.


Ja, das mit den Schatten hatte nicht so gut funktioniert, das muss ich noch besser ausarbeiten!

Kaja hat Folgendes geschrieben:
Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Entweder du lässt das auch weg oder du fügst das von vorher "klackklack" und so wieder ein (ich wäre für letzteres).


Damit wärst du glaube ich eine der wenigen, denen diese experimentellen Einschübe gefallen hat!

Kaja hat Folgendes geschrieben:
Definitiv das ursprüngliche Ende!


Ja, das sehe ich eigentlich auch so…


Also die Kürzung ist definitiv weiter weg von der ursprünglichen Intention des Textes: die Anspannung einer Frau darzustellen, die so etwas Alltägliches tut, wie nach hause zu gehen - nur diesmal 17 Minuten später. Und während eigentlich nichts passiert, die ganze Zeit eine gewisse Nervosität, Fantasie, die durchgeht und immer die Ungewissheit: gibt es hier eine reale Bedrohung? Oder bilde ich mir das nur ein?
Die mit dem ursprünglichen Ende ja bis zum Schluss nicht aufgelöst wird.

Deswegen werde ich auch beim ursprünglichen Ende "Jemand packte mich am Arm." erst einmal bleiben.

Die Kürzung fand ich dennoch eine spannende Methode zu sehen, worauf es genau in diesem Text denn ankommt - denn die Originalversion war vielen zu lang, zu langweilig, es passiert nichts, gespickt mit Beschreibungen, die Handlung und Atmosphäre nicht zuträglich waren.
Die neue Version ist nun definitiv kurzweiliger! Aber auch besser? Oder fehlt etwas Konkretes?
Lieber den Weg vor dem Tunnel kürzen und dafür das Schattenspiel, den Übergang von Realität zu Fantasie besser darstellen? Oder ist das zu langweilig?
Wie kann man, ausgehend vom gestrippten Text, wieder zurück zur ursprünglichen Intention finden und diese besser darstellen?

Fühlen sich die Frauen im Forum vielleicht eher vom Text angesprochen? Könnt ihr die Situation besser nachvollziehen als die Männer hier frage ich mich gerade nebenbei?
Und: ist diese Anspannung/Ungewissheit für euch gut getroffen? Findet ihr euch da wieder?

Dieser Text ist ausdrücklich zum Experimentieren gedacht!
Ich freue mich über alle Rückmeldungen und Vorschläge, je unterschiedlicher, desto besser!


Liebe Grüße,
Arty
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ArtFaulII
Wortedrechsler


Beiträge: 95
Wohnort: Baumhaus


Beitrag02.05.2017 20:58

von ArtFaulII
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Mit einem Klacken ziehe ich die Bürotür hinter mir ins Schloss. Ich schließe die Augen und atme langsam aus. Spüre nur den kühlen Metallknauf in meiner Hand und ein feines Summen in den Ohren, bis die Neonröhre endlich anspringt. Meine Handtasche ist vom Gewicht der Ordner mit den Quartalsabrechnungen in meine Ellbeuge gerutscht, ich rücke sie wieder auf meine Schulter und gehe zum Treppenhaus. Ein Blick auf die Uhr, 19:17. Nur siebzehn Minuten später als an jedem anderen Abend.

Ich verlasse das Bürogebäude. Stocke. Für einen Augenblick bin ich orientierungslos. Ich habe Dämmerung erwartet, Kunden, die im blassen Licht vom Imbiss gegenüber eine letzte Zigarette rauchen, ein paar verstreute Menschen, die das Büro verlassen und sich auf den Heimweg machen.
Aber heute bin ich siebzehn Minuten später, und die Dämmerung ist einer blaukalten Nacht gewichen, die Straße menschenleer. Der Imbiss hat seinen Rolladen heruntergelassen, in den Lagerhäusern sind alle Lichter gelöscht. Die Bahn, in der ich jetzt sitzen sollte, schläfrig von der Wärme und dem sanften Ruckeln, die Tasche neben mir, den Kopf an die Scheibe gelehnt, ist längst abgefahren. Fröstelnd ziehe ich meinen Mantel enger.
Ein leichter Nieselregen verfängt sich im Licht der Straßenlaternen. Ich halte mich schutzsuchend unter den Dachvorsprüngen von leerstehenden Schaufenstern und einem kleinen Wettbüro, als ich mich auf den Weg zur nächsten Bahn mache. Am Ende der Straße trete ich aus dem Häuserschatten auf eine Kreuzung, ein Windstoß fährt unter meinen Rock. Mit einer Hand halte ich ihn fest, während von links und rechts Autos mit aufgeblendeten Scheinwerfern vorbeirasen.
Aus der Bahnunterführung gegenüber strömt ein oranger Lichtschein.
Ich überquere die Straße und folge dem Weg. Die Büsche, die neben der Straße aufgepflanzt sind, dämpfen jedes Geräusch von außen. Sie werden dichter, je näher ich der Unterführung komme. Der Weg senkt sich langsam in den Untergrund. Neben mir tauchen Betonwände auf, die höher wachsen, bis der Tunnel mich verschluckt. Meine Absätze knallen bei jedem Schritt und hallen verzerrt von den Wänden zurück. Die Luft riecht abgestanden mit dem Gestank von altem Urin. In meinen Augenwinkeln bewegt sich etwas, ich fahre herum. Nur mein Schatten. Von den runden Deckenleuchten getrieben kriecht er die Wand empor, streckt sich, schrumpft zusammen, taucht hinter mir erneut auf, jetzt sind es zwei. Sie verschmelzen zu einem grau wabernden Schemen mit verzerrten Gliedern, er beginnt zu zittern, vibrieren, ein dumpfes Geräusch schwillt tosend an, ein Zug donnert über mich hinweg, rhythmisch klackend und verschwindet wieder. Das Blut rauscht in meinen Ohren. Ich gehe schneller.
Ein neues Geräusch. Ein Brummen. Zwei Scheinwerfer jagen in den Tunnel, dann bremsen sie ab. Neben mir tuckert ein Motor. Ich umklammere meine Tasche fester, den Blick auf den Boden geheftet. Mein Herz hämmert.
Surrend wird eine Fensterscheibe heruntergelassen.
Kalter Schweiß an meinen Händen. Nicht hinsehen.
Dann wird der Motor wieder lauter, das Auto beschleunigt, fährt vorbei.
Ich stoße die Luft aus, die ich angehalten hatte, ohne es zu merken. Die Schatten erreichen das Ende des Tunnels und lösen sich im Nachthimmel auf.
Der Weg steigt langsam an zu einem Anwohnerparkplatz. Dahinter, in den Fenstern der Familienwohnhäuser, brennen warme Lichter.
Ich sauge die kalte Luft ein.
Jemand packt mich am Arm.





(Als Spoiler gesetzt für all diejenigen, die den Text für sich sprechen lassen wollen ohne die diffusen Ausreden des Autoren, warum er sich was wie zurechtgeschrieben hat:)

Ich wollte etwas weiter experimentieren, wie man die relativ simple Idee des Textes besser transportieren kann. Mir ist beim erneuten durchlesen der alten Versionen leider wieder allzu deutlich aufgefallen, wie hölzern und langweilig diese doch wirken. Hiermit wollte ich einen neuen Ansatz ausprobieren, indem ich näher an der Hauptfigur schreibe und zumindest am Anfang ein größeres Identifikationspotenzial für den Leser biete.
Zudem wollte ich den Punkt des Verschobenseins aus dem normalen Tagesablauf stärker betonen und das Geschwurbel von den Schatten im Tunnel ein bisschen zusammenkürzen.
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