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Abifiz Eselsohr
Beiträge: 236 Wohnort: Deutschland, in Nähe von Marburg seit 2007
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30.01.2017 01:39 Verrat, wie lautet dein Name? von Abifiz
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Hallo, tapfere Erkunder des Sinnes und der Prägnanz,
seid gegrüßt zu nächtlicher Stunde.
Die FAZ hat am 27. Januar einen Feuilleton-Artikel mit dem Titel "Verrat, wie lautet dein Name?" von Ilija Trojanow veröffentlicht, der mir regelrecht in die Glieder gefahren ist.
(Der digitale Link führt leider zu einer kostenpflichtigen FAZplus-Seite. Wer hier das entsprechende digitale Abo schon abgeschlossen hat, ist fein aus dem Schneider. Ansonsten läßt sich der Artikel auch kostenlos durch ein zweiwöchiges digitales Probe-Abo lesen, welches gratis angeboten wird, aber meines Wissens zum "opt-out" verpflichtet, wenn an einer Beibehaltung kein Interesse besteht. Hier jener Link: http://plus.faz.net/evr-editions/2017-01-27/42147/313936.html)
Der Artikel beschreibt den erschütternden Verrat, den Trojanow durch seinen bulgarischen Übersetzer erlitten hat.
Der Schriftsteller ist ein gebürtiger Bulgare, der in Deutschland lebt und auf Deutsch seine Bücher verfaßt. Er hat sich sehr intensiv und häufig der schmerzlichen kommunistischen Vergangenheit seines Landes zugewandt, besonders der ubiquitären Alltags-Durchleuchtung und Zersetzung durch die dortige Stasi. Jetzt hat er mit seinem Roman "Macht und Widerstand" genau diese Pein thematisiert.
Nun muß er entdecken, daß präzise sein eigener bulgarischer Übersetzer ein bösartiger Stasi-Informant gewesen ist, und daß dieser "bewährte" Schriftsteller-Verräter -- der sich als Freund und Anhänger des Autors ausgab -- den Roman gezielt falsch und unter der Auslassung wichtiger Text -Passagen im Auftrag eines noch wirksamen informellen Stasi-Netzes "übersetzt" hat.
Jäh kam über Trojanow das ganze Grauen der Verrats-Jahre wieder, und er wähnte sich in einem Gefängnis, aus welchem es niemals eine Befreiung geben würde.
Es wäre mir sehr, sehr viel Wert, wenn wir hier über diesen abgründigen Artikel und über die existentielle Tragik und das unfaßbare Grauen eines Verrates innerhalb der eigenen Biographie ausführlich sprechen würden.
Ich lade dazu ein.
Herzlich
Abifiz
_________________ Meine sehr kluge Signatur befindet sich noch in der Herstellungsphase. Falls keine gravierenden Inkompatibilitätsprobleme auftauchen werden, rechne ich mit ihrer Lieferung für das 1. Quartal 2034. Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen. |
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Eris Ado Klammeraffe
Beiträge: 745
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30.01.2017 07:40
von Eris Ado
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Hier gibt es ein Interview mit Trojanow zu dem Thema:
https://www.ndr.de/kultur/Uebersetzer-verfaelscht-Macht-und-Widerstand,journal698.html
So verstörend finde ich das nicht. Es gab im "Ostblock" eine Vielzahl an Leuten, die von Freunden und auch vom eigenen Ehepartner bespitzelt wurden. Für diese Leute ist sicher eine Welt zusammengebrochen als sie davon erfuhren.
Angesichts dessen ist es minderschwer, wenn jemand erfährt, dass sein Übersetzer früher bei der Stasi war.
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kioto Eselsohr
Alter: 71 Beiträge: 442 Wohnort: Rendsburg
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30.01.2017 18:23 Bisschen zu pathetisch? von kioto
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Hallo Abifiz,
Deine etwas pathetische Übertreibung nimmt dem Thema Sachlichkeit und Relevanz. In der DDR waren 100.000de in der Stasi und im Umfeld davon beschäftigt. Alle sind mehr oder weniger lautlos in die Normalität der BRD diffundiert und haben ihre Plätze in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft gefunden, manche sogar sehr passend wie z.B. in der Stiftung zur Verfolgung von Hassmails. Der Name fällt mir gerade nicht ein.
Auch dadurch ist Überwachung, Zensur und politische Desinformation mittlerweile in der BRD viel normaler geworden, als es früher denkbar war.
Trojanow ist ein Einzelschicksal, das er leider mit vielen anderen teilt.
Gerade Schriftsteller und Journalisten, die sich natürlich alle für liberal und unverdächtig halten, sollten diese Gesamtlinie unserer Politik nicht bedenkenlos mittragen sondern daran denken, dass sie vielleicht auch mal auf der anderen Seite stehen könnten.
Gruß Werner
_________________ Stanislav Lem: Literatur versucht, gewöhnliche Dinge ungewöhnlich zu beschreiben, man erfährt fast alles über fast nichts.
Phantastik beschreibt ungewöhnliche Dinge (leider m.M.) meist gewöhnlich, man erfährt fast nicht über fast alles.
Gruß, Werner am NO-Kanal |
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Abifiz Eselsohr
Beiträge: 236 Wohnort: Deutschland, in Nähe von Marburg seit 2007
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02.02.2017 13:51
von Abifiz
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Hallo Kyoto,
hallo Eris.
Ich habe nicht sofort geantwortet, um etwas Abstand zu gewinnen.
Ich finde überhaupt nicht gelungen, daß Ihr den langen Artikel nicht gelesen
habt und über meinen Beitrag hastig hinweggeflogen seid.
Der Titel ist der Titel des Artikels.
Irgendeine Spur von Pathos finde ich in meinem Beitrag nicht. Die zutiefst erschütterte Reaktion von mir hat buchstäblich so stattgefunden, wie ich sie wiedergegeben habe.
Das Thema ist nicht die Entdeckung, daß der Übersetzer bei der Stasi war.
Das Thema habe ich in meinem Beitrag sehr knapp, aber eindeutig beschrieben.
Es geht ums Heute. Es geht um den Verrat von Innen: Jemand schreibt sich von der Seele nach jahrelangen Recherchen die Abrechnung mit der bulgarischen Stasi, und die bulgarische Stasi schreibt das Buch um, bemächtigt sich seiner. Es geht um einen in die Wirklichkeit des Tageslichtes durchbrechender Alptraum, der sich zunächst als unüberwindbar behauptet. Es geht um die Kraft der Poesie gegen die Wucht des Verrates. Im Hier und Jetzt. Im Eigenen. Im Durchdauernden.
Der Artikel sollte nach Möglichkeit auch von anderen Forenten gelesen werden. Ich darf es ja nicht scannen und einbringen.
Die Bedeutung des Verrates (die ich keineswegs aufs Politische eingeengt habe, sondern auf die einzelne Biographien erstreckt) wird heutzutage in einer ethisch betäubten Gesellschaft kaum noch erfaßt.
(Ganz nebenbei: Die stalinistische Bedrückung und das von ihr bewirkte Ergrauen in Bulgarien ist nicht mit der in DDR gleichsetzbar.)
Abifiz
_________________ Meine sehr kluge Signatur befindet sich noch in der Herstellungsphase. Falls keine gravierenden Inkompatibilitätsprobleme auftauchen werden, rechne ich mit ihrer Lieferung für das 1. Quartal 2034. Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen. |
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kioto Eselsohr
Alter: 71 Beiträge: 442 Wohnort: Rendsburg
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02.02.2017 19:03
von kioto
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Hallo Abifiz,
Deine Empörung über den Fall ist ja gerechtfertigt. Aber man muss auch folgendes beachten. Das in Bulgarien die alten Machtstukturen weiter leben, ist doch allgemein bekannt. Ein systemkritische Buch hätte nicht vor Ort und nur in engem Kontakt mit dem Übersetzer bearbeitet werden sollen. Dazu kommt, dass jeder Übersetzer seine persönliche Meinungslage sogar unbewußt mit einfließen lässt. Deshalb hätte die Übersetzung kontrolliert werden sollen.
Das in diesem Fall der Übersetzer ein Freund war? ist traurig.
Im Übrigen wir immer und überall ge- und verfälscht. Das fängt bei jedem Zeitungsartikel an (Man beachte den Unterschied zwischen der meist reißerischen Überschrift und dem wirklichen Gehalt) und geht weiter über die Bildauswahl zum Artikel, die natürlich auch gewählt wird, um die gewünschte Meinung zu transportieren. Statistiken über Arbeitslosigkeit und Verbrechen, Geschäftsberichte und Werbung, alles muss mit dem nötigen Mißtrauen betrachtet werden.
Gruß Werner
_________________ Stanislav Lem: Literatur versucht, gewöhnliche Dinge ungewöhnlich zu beschreiben, man erfährt fast alles über fast nichts.
Phantastik beschreibt ungewöhnliche Dinge (leider m.M.) meist gewöhnlich, man erfährt fast nicht über fast alles.
Gruß, Werner am NO-Kanal |
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