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Corydoras
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Beiträge: 751
Wohnort: Niederösterreich


Beitrag22.01.2017 22:08

von Corydoras
Antworten mit Zitat

Logan hat Folgendes geschrieben:

KAPITEL 5 (Der Markt und das Mädchen)


Sind das eigentlich offizielle Kapitelnamen oder nur Kurzfassungen, die dir zur Orientierung dienen?

Zitat:
Für das Frühlingsfest waren die Stadtbewohner aus ihren Verstecken geströmt, noch bevor die Sonne vollständig untergegangen war. Die Privilegierten unter den Marktbesuchern hatten ihre Köpfe wie Beduinen mit farbigem Sonnentuch eingewickelt.


Du scheinst wirklich ein großer Fan des Plusquamperfekts zu sein. Laughing
Es liest sich nicht schön und es passt hier auch wirklich nicht hin, denn all diese Dinge passieren genau "jetzt", sie sind ja Kulisse. Würd ich komplett ins Imperfekt umwandeln, dann klingts auch gleich viel besser.

Zitat:
Sie feilschten von ihren Dienern begleitet und kauften Nahrungsmittel, Wasser und Artefakte von den Händlern.


Würde ich umstellen: Von ihren Dienern begleitet feilschten sie...
Oder noch schöner: In Begleitung ihrer Diener feilschten sie....

Ich glaube generell warum dein Text auf mich ungelenk wirkt ist die Tatsache, dass du fast alle Sätze mit dem Subjekt beginnst. Jongliere da ein bisschen mehr herum, sonst klingt es beinahe wie ein Schulaufsatz.

Zitat:
Rays Elektromotorrad entriegelte sich automatisch, ein Ungetüm mit primitiven Akkus und breiten Reifen.


Ich nehme an alles nach dem Komma bezieht sich auf das Motorrad. So funktioniert der Satz aber nicht, weil es rein grammatikalisch ein Einschub zu "automatisch" ist, da musst du umstellen.

Zitat:
Ray sah in Lumpen gehüllte Bettler


Bitte sage nie "POV sah" oder "POV hörte" oder ähnliches... du schreibst aus der Sicht des POV, daher ist alles, was du schreibst, ein Ergebnis seiner persönlichen Sinneswahrnehmung.

Zitat:
und Diebe, einige von ihnen waren von der Sonne geblendet worden, andere waren verbrannt und verstümmelt. Alle waren bis auf die Knochen ausgehungert und prügelten sich um abgenagte Knochen, die eindeutig nicht von Tieren stammten.


Hilfsverben, Passiv und Plusquamperfekt. hmm

Zitat:
Gerade als Ray an einem Stand vorbeiging, an dem Elektroschrott aus den Ruinen kiloweise verkauft wurde, hielt er inne.


"An einem Stand mit Elektroschrott hielt er inne." Spar dir den Vergleich. Wenn er stehenbleibt, ist klar, dass er sich vorher fortbewegt hat.

Zitat:
„Diebin! Diebin!“,


Ich glaube nicht, dass jemand in so einer Situation noch politisch korrekt ruft. Laughing

Zitat:
hörte er einen Ruf


Das haben wir schon besprochen.

Stells doch um:
"Dieb! Dieb!" Der Ruf kam immer näher.

Zitat:
Etwas rempelte Ray an und fiel wimmernd zu Boden.
Eine junge Frau mit zerschlissenen Kleidern lag vor ihm im Staub. Sie war so dünn, dass ihre Knochen schmerzhaft hervorstachen. Mit einer Hand hielt sie sich die blutende Schläfe, mit der anderen umklammerte sie fest eine grosse Dose voller Bohnen.


Der Absatz funktioniert für mich gar nicht. Das "etwas" ist unschön, die nüchterne Beschreibung danach wirkt fad.
Vermutlich liegt es auch hier daran: Jeder Satz beginnt mit dem Subjekt.

Zitat:
Ein massiger Mann stand schnaufend vor ihnen, nachdem er eine Gruppe von Marktbesuchern grob zur Seite geschoben hatte. Er trug eine Händlerrobe und goldene Ringe. Sein rechter Arm, ein Meisterwerk mechanischer Handwerkskunst, klickte bei jeder Bewegung.


Wieder genau das gleiche: Subjekt, unnötiges PQP, in die Länge gezogener Vergleich.
"Mit einem bedrohlichen Schnaufen schob sich ein massiger Mann durch die Marktbesucher. Bei jeder Bewegung klickte seine mechanische Armprothese." (Ich nehme an es geht hier um eine Prothese, oder?)

Zitat:
„Du widerliche Diebin!“, brüllte er, wütende Speicheltropfen troffen von seinen Lippen. „Damit wirst du mit deinem Blut bezahlen, Mädchen!“


Was ist denn wütender Speichel? Shocked
Dieses übertrieben Aggressive gefällt mir persönlich nicht, aber vermutlich passt es zu deiner Welt.

Zitat:
In blinder Panik kroch das Mädchen über den Boden, versuchte von ihm wegzukommen.


Den zweiten Teil kannst du weglassen, weil das klar ist. Der erste gefällt mir ganz gut. Vermutlich weil es einer der wenigen Sätze ist, der nicht mit dem Subjekt beginnt. Very Happy

Zitat:
Während der feiste Händler mehr und mehr Steine warf, fingen auch andere an.


"Weitere Menschen folgten dem Beispiel des Händlers."

Zitat:
Innerhalb von wenigen Augenblicken hatte sich ein wütender Mob um das Mädchen gebildet.


Schön langsam nervt mich das überflüssige PQP ein wenig, muss ich ganz ehrlich sagen. :/

Zitat:
Ray zuckte zusammen, als sie ein Brocken hart am Bein erwischte. Das Geräusch von Stein auf Knochen.


"Ein Brocken erwischte sie hart am Bein. Das Geräusch von Stein auf Knochen ließ Ray zusammenzucken."

Zitat:
„Lass sie sofort los Junge! Lass sie liegen!“, schrie der Händler ihn an.


Zitat:
Ray bemerkte, wie


siehe oben

Zitat:
Mit einem Arm zog Ray das halb bewusstlose Mädchen mit und stiess mit dem anderen das Motorrad durch die brodelnde Menge.


Das halte ich rein körperlich für nicht möglich. Selbst ein noch so zierliches Mädchen wiegt knappe 50kg. Schlaff runterhängend sind das verdammt schwere 50kg, die du da unter einen Arm klemmst. Das Motorrad am anderen Arm hat auch ein ordentliches Gewicht. Und dann ist da noch die Menge, die Ray doch eigentlich aufhalten möchte.

Zitat:
Die Leute kreischten ihn in allen möglichen Sprachen an, Nägel kratzten auf seinem Panzer.


Was für ein Panzer denn? Oder wird das früher schon erläutert?

Zitat:
Als ihm der fette Händler den Weg versperrte, trat ihm Ray so heftig auf die Füsse, dass er das Knacken durch den Stiefel spüren konnte.


Du hast verdammt viele als/während Vergleiche drin. Die lesen sich zumeist auch nicht schön. Erzähl es hintereinander. Das wirkt besser.

"Der fette Händler versperrte ihm den Weg. Ray trat ihm so heftig..."

Zitat:
Sie waren dem Ausgang schon sehr nahe, als Ray hinter sich Schüsse hörte.


Und gleich ein Vergleich hinten nach. Plus eine Sinneswarnehmung des POV

"Ray wähnte sich schon beim sicheren Ausgang, da ertönten Schüsse in seinem Rücken."

oder:

" Gleich haben wir es geschafft!
Schüsse in seinem Rücken zerstörten jäh seine Gedanken."

oder, oder....

Zitat:
Die beiden Stadtgardisten waren zu nahe. Ray sah, wie sie losrannten. Er hatte zu viel Zeit verloren.


Ein fades Hilfsverb, eine Sinneswarnehmung, ein unnötiges PQP,

So, und ab jetzt bin ich faul und markiere farblich:

Zitat:
Das Mädchen war immer noch benommen, Blut tropfte aus ihrem zerschundenen Gesicht.
„Setzt dich nach vorne“, sagte Ray und schwang sich in den Sattel.
„Halt!“ Die Wachen legten die Waffen an. „Steigen sie Sie sofort von der Maschine!“
Ray duckte den Kopf weg und aktivierte den Motor. Es knallte zwei Mal. Links von Neben ihnen spritzte der Sand auf.
Ray gab überhastet Gas. Die zweite Salve traf das Heck des Motorrads und Ray spürte einen kurzen, scharfen Stoss im Rücken.
Sie krachten in einen Marktstand. Faustgrosse, mit bunter Limonade gefüllte Kugeln rollten über den Boden wie grosse Glasperlen. Ray schüttelte energisch eine Plane ab, die sie heruntergerissen hatten.
 Die Strasse verwandelte sich augenblicklich in ein Chaos, als dutzende von abgemagerten Marktbesuchern den Kugeln nachrannten und sie flink unter ihren Roben verschwinden liessen. Ray sah, wie die beiden Männer von der Stadtwache sich mühsam durch die Leute kämpften.
Er griff nach einem grossen Behälter, in dem noch mehr der Kugeln lagen, und schüttete sie in die Menge.
Ohne sich umzudrehen fuhr Ray los und liess die wütenden rufe Rufe der Stadtgardisten hinter sich.

Ray war so schnell gefahren wie er konnte und als er beim alten Krankenhaus ankam, glühte der Rumpf seines Motorrads fast.
Er merkte wie leicht ihr Körper war, als er die Diebin anhob und durch die Tür trug. Viele der rostigen Feldbetten waren umgeworfen, Bettpfannen und Messgeräte lagen zertrampelt am Boden und die Türen der Schränke waren weit aufgerissen. Es roch nach Tod.
„Hallo, ist hier jemand?“, rief Ray. „Kann mich jemand hören?“
Niemand konnte es.
Ray legte sie vorsichtig auf eines der noch stehenden Betten und zündete eine Kerze an. Ihr Körper war mit tiefen Schrammen übersäht und ihre zerlumpten Kleider hatten sich mit Blut vollgesogen. Er wusch die Wunden mit seiner Trinkflasche so gut er konnte und begann sie zu verbinden.
Als er merkte, dass ihr Atem immer flacher wurde, brach er mit zitternden Händen einen der noch verschlossenen Schränke auf und kam mit einer Ampulle Adrenalin zurück.
„Nein“, sagte sie leise. „Lass mich.“
„Ich muss es tun, sonst wirst du sterben“, sagte Ray. Er zog das Adrenalin auf und griff nach ihrem Arm. „Halt still.“
„Nein“, sie legte ihre Hand an sein Gesicht. „Es ist gut so, lass mich...“ Ihr Atem rasselte schwer, doch sie sah in unverwandt an.
Ray spürte ihr Blut auf seiner Wange. Er sah, wie sie ihn warm anlächelte, als wäre er es, der im Sterben lag. Er hielt inne.
Langsam und zitternd schob sie die Dose mit den Bohnen, die sie die ganze Zeit umklammert hatte, zu ihm. Sie griff nach seinen Fingern. „Hier KOMMA nimm sie.“
„Ich kann nicht...“, stotterte Ray.
„Nimm sie...“, hauchte sie kaum noch hörbar und legte ihre Hand wieder an seine Wange. „Ich danke dir...ich danke dir so sehr...ich...“
Ihre Hand löste sich von seinem Gesicht und fiel in ihren Schoss. Ihre Augen erloschen.
Vergeblich versuchte er sich gegen die Emotionen zu wehren. Zuerst erfasste ihn tiefen Kummer, ein Teil von ihm wollte sich neben sie hinlegen und sterben, dann erfasste ihn Wut, und er schrie so laut er konnte. Er trat so heftig gegen eines der Betten, dass es quer durch den Raum flog und scheppernd gegen einen Schrank krachte. Ray rutschte an einer Wand zu Boden und blieb sitzen.
Während er in die Leere starrte, wanderte seine Hand zu dem kleinen Fläschchen um seinen Hals. Er hielt es fest. „...Narren, die Blind den Weg der Hoffnung gehen...“, wiederholte er immer wieder wie ein Mantra. „...Narren, die Blind den Weg der Hoffnung gehen...“
Als die ersten Sterne durch eines der Fenster schienen kehrte sein Mut zurück, und er erinnerte sich an die Aufgabe, die er zu erledigen hatte. Er deckte das tote Mädchen zu und ging hinaus.
Bevor er losfuhr, verstaute Ray die Dose sorgsam in seinem Rucksack.



Alles in allem: viele Hilfsverben, Vergleiche, Plusquamperfekt, Sinneswahrnehmungen des POV Charakters und Sätze, die mit dem Subjekt beginnen. Mir fehlt die Variation, das liest sich im Moment recht langweilig.

Die Emotion am Ende ist mir eindeutig zu heftig. Er kannte das Mädchen doch gar nicht?

Sorry, falls es hart ist, aber ich gebe wenn dann nur ehrliche und konkrete Kritik. Ich finde es jedenfalls cool, wie hart du dran arbeitest und so vieles probierst. smile


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Beitrag22.01.2017 22:30

von nothingisreal
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Stimmt. Sie PQPs han ich zwar wahrgenommmen, aber irgendwie nur einmal angekreidet. Ich würd die soweit wie möglich rausnehmen.

@Corydoras: Ich mag deine Verbesserungsart. Da lernt man immer wieder etwas dazu.


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Corydoras
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Beitrag22.01.2017 22:41

von Corydoras
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Ich finde das übrigens sehr lustig. Ich habe deinen Beitrag erst gelesen, nachdem ich meinen geschrieben habe.
Im großen und ganzen habe ich ein Korrektorat (Rechtschreibung, Grammatik, Satzbau) gemacht und du eher ein Lektorat (innere Logik)

Hey, lass uns eine Lektoratskanzlei aufmachen! Laughing

Danke für das Lob. Sowas hab ich noch nie gehört, das ist wirklich nett zu hören. smile

@Logan: Lass dich nicht unterkriegen, gell? Das Szenario finde ich immer noch interessant.


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Beitrag22.01.2017 22:54

von nothingisreal
Antworten mit Zitat

Ich kann das meistens gar nicht, was du gemacht hast. Ich sehe nur die ganzen Logikfehler und emotionalen Unstimmigkeiten etc.

Lektoratskanzlei. Laughing Das stell ich mir sehr lustig vor. Die armen Autoren tun mir jetzt schon Leid, wir würden die in Depressionen treiben.


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Logan
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Beitrag24.01.2017 03:24

von Logan
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Liebe Lektoratskanzlei Wink

Erstmals danke, dass Ihr Euch beide wieder so viel Zeit genommen habt. Natürlich ergänzt Ihr Euch ideal, und ich bin froh, davon profitieren zu können.

Primär bin ich froh, dass ich die ersten Kritiken (abgesehen von den Hilfsverben) in etwa umsetzen konnte. Die heftigen Infodumps, Perspektivenfehler und unnötig lange Beschreibungen sind weg.

@NIR
Du hast ein gutes Auge für räumliche zusammenhänge.
Motorrad und Panzer wurden erwähnt, den Rest habe ich geändert. Das mit den "Knochen, die eindeutig nicht von Tieren stammten" habe ich gelassen.

Die Szene mit den Steinewerfern habe ich auf dein Anraten stark abgeändert.

Generell soll das fünfte Kapitel die Grausamkeit, den Hunger und die Brutalität einer sterbenden Erde zeigen. Das wollte ich hinüberbringen. Die ersten Kapitel in der Kirche waren zum Kontrast sehr liebevoll.

Die Regeln zu den Auslassungspunkten habe ich studiert, danke für den Tipp.

@Corydoras

Ich bin natürlich nicht entmutigt. Eure Kritik ist Gold wert für mich. Ich hoffe, Ihr seht auch die einen oder anderen positiven Punkte an meiner Schreibe.

Die Titel sind Arbeitstitel zu meiner Orientierung. Ansonsten mag ich Titel nicht.

Ich habe das mit den Hilfsverben, Vergleiche, Plusquamperfekt, überflüssigen Wahrnehmungen Charakters und Sätze, die mit dem Subjekt beginnen so gut es ging angepasst und unten bereits umgesetzt. Besonders das mit dem Subjekt lässt sich nicht all zu oft ändern.

Generell habe ich mein Kritikblatt angepasst. Ich hatte wirklich verdammt viel PQP, war natürlich blind dafür.

Falls ich einem von Euch mal was helfen kann, stehe ich übrigens gerne zur Verfügung.

Wie geht es jetzt eigentlich weiter? Ihr habt mir jetzt so viel geholfen, dass ich mein Einstands-Stadium wohl bald überstrapaziert habe. Ich kann ja nicht ewig Kapitel posten und muss das gelernte ja auch erst mal umsetzen.


KAPITEL 5 (Der Markt)
Ray trat aus dem schattigen Hauptportal in die Hitze und den Gestank des Marktplatzes hinaus. Obschon die Sonne immer noch am Himmel stand, wimmelte es auf dem Platz nur so vor Menschen. Die Privilegierten unter den Marktbesuchern hatten ihre Köpfe mit farbigen Tüchern eingewickelt. Sie feilschten mit den Händlern um Nahrungsmittel, Wasser und Artefakte. Diener trugen die eingekauften Waren fort.
Rays Elektromotorrad, ein Ungetüm mit primitiven Akkus und breiten Reifen, entriegelte sich automatisch. Er löste es aus seiner Ladestation und schob es in Richtung Marktausgang.  
Zwischen den Marktständen hockten zahllose Bettler, viele blind, andere verbrannt oder verstümmelt. Bis auf die Knochen ausgehungert prügelten sich einige um abgenagte Knochen, die eindeutig nicht von Tieren stammten.
An einem Stand mit Elektroschrott hielt Ray inne. „Dieb! Haltet den Dieb!“, rief jemand ganz in der Nähe.
Eine junge Frau rempelte Ray an, stolperte und fiel vor seinen Füssen in den Staub. Blutend umklammerte sie verzweifelt eine Dose mit Bohnen. Er wollte ihr aufhelfen.
„Habe ich dich!“ Ein massiger Mann schob sich durch die Menge und blieb schnaufend vor ihnen stehen. Er trug eine Händlerrobe und goldene Ringe. Sein mechanischer Arm klickte bei jeder Bewegung.
„Du Diebin!“, brüllte er wütend. Speichel troff von seinen Lippen. „Damit wirst du mit deinem Blut bezahlen, Mädchen!“
Er las einen Stein auf und warf ihn. In blinder Panik kroch das Mädchen über den Boden. Immer mehr Marktbewohner taten es dem Händler gleich und fingen an Steine zu werfen. Schnell bildeten sie einen Kreis um Ray und das Mädchen.
Hart erwischte sie ein Brocken am Bein. Das Geräusch von Stein auf Knochen liess Ray zusammenzucken. Ein gellender Schmerzensschrei, dann wurde sie leiser. Ray brüllte die Steinwerfer an und wollte ihnen das Schussfeld verstellen. Ein weiterer Stein traf ihren Rücken, ihren Bauch. Er versuchte, das Mädchen auf die Beine zu ziehen.
„Lass sie los! Lass sie liegen! Sie muss mit ihrem Blut bezahlen!“
Die Steine flogen auch auf ihn zu, und er hob abwehrend die Arme.
Zwei Stadtwachen lösten sich vom Tumult alarmiert aus dem Schatten der Lauben, ihre Waffen im Anschlag.
Ray kannte die Strafe der Stadtwache für Diebstahl. Das Mädchen mit sich ziehend, brach Ray durch den Ring aus Menschen. Sie schrien ihn in allen möglichen Sprachen an, Nägel kratzten auf seinem Panzer. Ray ignorierte sie, sorgte dafür, dass er in Bewegung blieb. Der fette Händler versuchte, ihm den Weg zu versperren. Ray trat ihm so heftig auf den Fuss, dass er das Knacken durch die Stiefel spürte.
Ray konnte den Ausgang schon sehen, da fielen Schüsse hinter ihnen. Er drehte sich um. Die beiden Stadtgardisten näherten sich zügig.
„Setzt dich nach vorne“, sagte Ray und schwang sich in den Sattel. Die Augen des Mädchens flatterten benommen, die Dose hatte sie immer noch an sich gedrückt. Sie reagierte nicht, und er zog sie vor sich auf die Maschine.
„Halt!“ Die Wachen legten die Waffen an. „Steigen Sie sofort von der Maschine!“
Das Motorrad sprang an, Ray duckte sich. Es knallte zwei Mal. Sand spritzte neben ihnen auf, und die Marktbewohner sprangen erschrocken davon.
Überhastet gab Ray Gas. Die zweite Salve traf das Heck des Motorrads, und er spürte einen kurzen, scharfen Stoss im Rücken.
Sie krachten in einen Marktstand und faustgrosse, mit bunter Limonade gefüllte Kugeln rollten über den Boden wie grosse Glasperlen. Ray schüttelte energisch eine heruntergerissene Plane ab.
Augenblicklich verwandelte sich die Strasse in ein Chaos. Duzende von abgemagerten Marktbesuchern rannten den Kugeln nach und liessen sie flink unter ihren Roben verschwinden. Die beiden Männer von der Stadtwache kämpften sich mühsam durch die Leute.
Ray griff nach einem grossen Behälter, in dem noch mehr der Kugeln lagen und schüttete sie in die Menge.
Ohne sich umzudrehen, fuhr Ray los und liess die wütenden Rufe der Stadtgardisten hinter sich.

Der Rumpf von Rays Maschine glühte fast, als sie endlich beim alten Krankenhaus ankamen.
Er trug sie durch die Tür. Viele der rostigen Feldbetten lagen umgeworfen in den Räumen, Bettpfannen und Messgeräte lagen zertrampelt am Boden und die Türen der Schränke waren aufgebrochen. Es roch nach Tod.
„Hallo, ist hier jemand?“, rief Ray. „Kann mich jemand hören?“
Ray legte sie vorsichtig auf eines der noch stehenden Betten und zündete eine Kerze an. Tiefe Schrammen überzogen ihren ganzen Körper, ihre Kleidung war mit Blut vollgesogen. Zu seinem Erstaunen hielt sie die Dose immer noch fest umklammert.
Er wusch die Wunden mit dem restlichen Wasser aus seiner Trinkflasche und begann sie zu verbinden. Ihre Atmung schwächte sich ab, und er brach mit zitternden Händen einen der noch verschlossenen Schränke auf. Er kam mit einer Ampulle Adrenalin zurück.
„Nein“, sagte sie leise. „Lass mich.“
„Ich muss es tun, sonst wirst du sterben“, sagte Ray. Er zog das Adrenalin auf und griff nach ihrem Arm. „Halt still.“
„Nein“, sie legte ihre Hand an sein Gesicht. „Es ist gut so, lass mich ...“ Ihr Atem rasselte schwer, doch sie sah in unverwandt an.
Ray spürte ihr warmes Blut auf seiner Wange. Sie lächelte ihn mitfühlend an, als wollte sie ihn trösten. Er hielt inne.
Langsam und zitternd schob sie die Dose mit den Bohnen zu ihm. Sie griff nach seinen Fingern. „Hier, nimm du sie.“
„Nein ... “, stotterte Ray.
„Nimm sie“, hauchte sie kaum noch hörbar und legte ihre Hand wieder an seine Wange. „Ich danke Dir ... ich danke Dir so sehr ... “
Ihre Hand löste sich von seinem Gesicht und fiel in ihren Schoss. Ihre Augen erloschen.
Vergeblich versuchte er, sich gegen die Emotionen zu wehren. Er trat so heftig gegen eines der Betten, dass es quer durch den Raum flog und scheppernd gegen einen Schrank krachte. Schliesslich rutschte Ray an einer Wand zu Boden und blieb erschöpft sitzen. Er verbarg sein Gesicht in seinen Händen und starrte in die Dunkelheit. Langsam wanderte eine Hand zu dem kleinen Fläschchen um seinen Hals. „ ... Narren, die blind den Weg der Hoffnung gehen ... “, sagte er leise. „ ... Narren, die blind den Weg der Hoffnung gehen ... “
Erst als ersten Sterne bereits durch die zerschlagenen Scheiben schienen, kehrte sein Mut zurück. Er erinnerte sich an die Aufgabe, die er zu erledigen hatte. Er dachte an das Signal.
Ray deckte das tote Mädchen zu und ging hinaus. Bevor er losfuhr verstaute er die blutverschmierte Dose sorgfältig in seinem Rucksack.


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William Somerset
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nothingisreal
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Beitrag25.01.2017 23:26

von nothingisreal
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Hallo Logan,

ich finde, es ist besser geschrieben. Ich gehe jetzt nicht mehr auf Einzelheiten ein. Geh weiter so vor. Jetzt weißt du ja ungefähr, worauf du achten sollst.  
Eine Sache ist mir jedoch sehr wichtig. Das fiel mir im vorherigen Text nicht auf, weil mir viele andere Sachen aufgefallen waren. Jetzt sticht es jedoch heraus: Die fehlenden Gedanken. Ein Beispiel:


Zitat:
Eine junge Frau rempelte Ray an, stolperte und fiel vor seinen Füssen in den Staub. Blutend umklammerte sie verzweifelt eine Dose mit Bohnen. Er wollte ihr aufhelfen.
„Habe ich dich!“ Ein massiger Mann schob sich durch die Menge und blieb schnaufend vor ihnen stehen. Er trug eine Händlerrobe und goldene Ringe. Sein mechanischer Arm klickte bei jeder Bewegung.
„Du Diebin!“, brüllte er wütend. Speichel troff von seinen Lippen. „Damit wirst du mit deinem Blut bezahlen, Mädchen!“
Er las einen Stein auf und warf ihn. In blinder Panik kroch das Mädchen über den Boden. Immer mehr Marktbewohner taten es dem Händler gleich und fingen an Steine zu werfen. Schnell bildeten sie einen Kreis um Ray und das Mädchen.
Hart erwischte sie ein Brocken am Bein. Das Geräusch von Stein auf Knochen liess Ray zusammenzucken. Ein gellender Schmerzensschrei, dann wurde sie leiser. Ray brüllte die Steinwerfer an und wollte ihnen das Schussfeld verstellen. Ein weiterer Stein traf ihren Rücken, ihren Bauch. Er versuchte, das Mädchen auf die Beine zu ziehen.
„Lass sie los! Lass sie liegen! Sie muss mit ihrem Blut bezahlen!“
Die Steine flogen auch auf ihn zu, und er hob abwehrend die Arme.


In dieser Schlüsselsequenz, die uns sehr viel über Ray erzählt, gibt es maximal drei Momente, in denen wir ungefähr eine Ahnung haben, was er denkt. Wobei alle drei keine echten Gedanken sind. Dabei sind sie hier extrem wichtig.
(Übrigens: Blutend empfinde ich hier komisch. Kann nicht sagen, woran es genau liegt, aber es wirkt falsch.)
Ich mach jetzt mal ein Beispiel, was ich meine:

Zitat:
Eine junge Frau rempelte Ray an, stolperte und fiel vor seinen Füssen in den Staub. Blutend umklammerte sie verzweifelt eine Dose mit Bohnen. Wenn er ihr nicht half, würde sie sterben. Das durfte er nicht zulassen. Er machte einen Schritt auf sie zu - Er wollte ihr aufhelfen.
„Habe ich dich!“ Ein massiger Mann schob sich durch die Menge und blieb schnaufend vor ihnen stehen. Ray wich zurück. Er kannte diese Sorte Händler, sie glaubten, nur weil sie sich goldene Ringe und mechanische Arme leisten können, würden sie etwas Besseres sein. Er trug eine Händlerrobe und goldene Ringe. Sein mechanischer Arm klickte bei jeder Bewegung.
„Du Diebin!“, brüllte er wütend. Speichel troff von seinen Lippen. „Damit wirst du mit deinem Blut bezahlen, Mädchen!“
Er las einen Stein auf und warf ihn. Verdammter Mist, genau wie befürchtet.  In blinder Panik kroch das Mädchen über den Boden. Immer mehr Marktbewohner taten es dem Händler gleich und fingen an Steine zu werfen. Welche Möglichkeiten hatte er? Um sie herum bildete sich bereits ein Kreis. Er würde nicht das Mädchen, sich und das Motorrad hier rausbringen können. Schnell bildeten sie einen Kreis um Ray und das Mädchen.
Hart erwischte sie ein Brocken am Bein. Das Geräusch von Stein auf Knochen liess Ray zusammenzucken. Ein gellender Schmerzensschrei, dann wurde sie leiser. Er hatte keine Wahl. Diese Unmenschen würden sie hier steinigen, wegen ein paar verdammten Bohnen, und Stunden später würden nur noch Knochen von ihr übrig bleiben. Ray brüllte die Steinwerfer an und wollte ihnen das Schussfeld verstellen. Ein weiterer Stein traf ihren Rücken, ihren Bauch. Das arme Mädchen. Er versuchte, das Mädchen auf die Beine zu ziehen.
„Lass sie los! Lass sie liegen! Sie muss mit ihrem Blut bezahlen!“
Nichts dergleichen würde er tun.
Die Steine flogen auch auf ihn zu, und er hob abwehrend die Arme. Sollen sie doch. Sein Panzer würde ihn schützen, und die paar blauen Flecken und Prellungen würde er verkraften, wenn es bedeutete, ihr das Leben zu retten.


Das ist nicht gut. Ich wollte dir nur zeigen, was ich meine. Ich habs an manchen Stellen übertrieben, aber - zumindest ich - will wissen, was der Prota denkt, sonst hört es sich nach einem Bericht an.

LG NIR


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Corydoras
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Beitrag25.01.2017 23:42

von Corydoras
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Mir gings so ähnlich. Prinzipiell stilistisch isses jetzt natürlich wesentlich besser. ABER - du hast da jetzt einen Bericht. Keine Emotionen und auch die Sätze sind alle irgendwie gleich kurz. Bring da noch Variation rein.

Aber das oben angeführte hast du super umgesetzt. Daumen hoch²


@NIR: Sorry, ich hoffe du gestattest:

nothingisreal hat Folgendes geschrieben:
Er kannte diese Sorte Händler, sie glaubten, nur weil sie sich goldene Ringe und mechanische Arme leisten können, würden wären sie etwas Besseres sein


 Laughing


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nothingisreal
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Beitrag25.01.2017 23:50

von nothingisreal
Antworten mit Zitat

Corydoras hat Folgendes geschrieben:
Mir gings so ähnlich. Prinzipiell stilistisch isses jetzt natürlich wesentlich besser. ABER - du hast da jetzt einen Bericht. Keine Emotionen und auch die Sätze sind alle irgendwie gleich kurz. Bring da noch Variation rein.

Aber das oben angeführte hast du super umgesetzt. Daumen hoch²


@NIR: Sorry, ich hoffe du gestattest:

nothingisreal hat Folgendes geschrieben:
Er kannte diese Sorte Händler, sie glaubten, nur weil sie sich goldene Ringe und mechanische Arme leisten können, würden wären sie etwas Besseres sein


 Laughing


 Laughing Klar. Danke.


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