Die Gruppendynamik einer Preisjury

[Abifiz]

Einen schönen guten Morgen.


Im "Merkur" vom Oktober schreibt Dirk Knipphals einen köstlichen längeren Insider-Artikel über das Binnenleben und die Gruppendynamik von Literaturjurys.

Einige der Betrachtungen sind mit spitzer aber nicht griesgrämiger Feder entworfene wunderbare Einblicke in den "Strudel" der Gruppenkräfte, die sich dort unweigerlich entfalten.

So ist allein die Liste der zu überprüfenden Texte "...für jedes Mitglied des Literaturbetriebs ... umrankt von einem Geflecht von Loyalitäten, von Zu- und Abneigungen, von Vorannahmen, welche Literatur ausgezeichnet werden müsse und welche Literatur nicht – das alles schwingt im Hintergrund dieser Liste für jedes einzelne Jury-Mitglied mit; und sie wissen, dass sie nicht genau wissen, welche Hintergründe für die anderen Mitglieder mitschwingen."

Später heißt es:
"Außerdem ist es nicht nur ein Gebot der Höflichkeit, sondern auch eines der eigenen Rückversicherung, sich innerhalb der Jury durch Gesten und Freundlichkeiten zuallererst der gegenseitigen Wertschätzung zu versichern. Wenn man seiner Mitjurorin freundlich einen Kaffee einschenkt oder wenn man mit dem Jury-Kollegen noch schnell ein paar Bemerkungen über das Wetter austauscht, dann wird dabei unausgesprochen mitkommuniziert: Es mag sein, dass wir uns gleich furchtbar streiten werden, aber im Grunde schätzen wir uns doch."

"...man wäre sehr naiv, nähme man an, dass sich das bessere Argument oder die bessere Qualität von sich aus durchsetzen würde. Es geht immer auch um die Tagesform, mit der es gelingt, den eigenen Punkten Ausdruck zu verleihen."

Der Verfasser beschreibt  den riesigen Unterschied zum Vorgehen im berühmten Lumet-Film "Die zwölf Geschworene": Hier treffen, im Unterschied zum Lumet-Film, sieben hochmotivierte Überzeugungstäter aufeinander, jeder mit eigenen Vorstellungen, was ungefähr herauskommen sollte. Die intersubjektiven psychosozialen Dynamiken, die sich daraus ergeben, sind nun keinesfalls Abfallprodukte oder Begleiterscheinungen der Entscheidungsarbeit. Sie sind die Entscheidungsarbeit. Man fühlt sich dabei gelegentlich herumgeworfen wie in schwerer See.

Aber lest selber: "Man wächst mit dem Essay..."

https://www.merkur-zeitschrift.de/2016/09/20/ueber-literaturjurys/


Herzlich
Abifiz

[spinat.ist.was.anderes]

"[...] ein paar Mal habe ich gedacht, wie schade es ist, dass diese Gespräche nicht öffentlich, ja noch nicht einmal aufgezeichnet werden."

Ja, das ist es!

[Willebroer]

[Rübenach]

also beim bachmannpreis funktioniert das doch ganz gut.

[Willebroer]

Würde ich auch sagen. Da herrschte aber auch nicht immer eitle Zufriedenheit. Es macht sicher viel aus, wenn die Autoren dabei sind und alle wissen, worüber geredet wird. Eine gute Gesprächsleitung tut ihr übriges. Und volle drei Tage streiten (oder sind es noch mehr?), das hält kaum einer aus - im Gegensatz zu einer halben Stunde Lit. Quart.