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Irgendwo im Nirgendwo

 
 
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bamba
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 201



Beitrag01.12.2016 20:00
Irgendwo im Nirgendwo
von bamba
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Liebe Zoe,
wenn du 18 Jahre alt bist, also erst in rund fünf Jahren, sollst du diesen Brief bekommen, denn ich will dir nicht Worte hinterlassen, welche du noch nicht verstehen kannst, aus einer Realität in deine Kindheit treten, die nichts mit dir zu tun hat.
Ich schreibe in die Zukunft, werde nicht mehr gegenwärtig sein, wenn du dies liest, nicht antworten können auf Fragen, die sich aus diesen Zeilen ergeben.
Sicher kommt dir im Laufe der Zeit, von verschiedenen Seiten, einiges zu Ohren, wahrscheinlich berichten auch Medien über meine Geschichte.
Will dir Fragen beantworten, die ich mir vorstelle, dass du diese stellen könntest.

Schon seit vielen Monaten bin ich eine Geisel, irgendwo im Nirgendwo, in einer Gegend, deren Sprachen und Sitten ich nicht verstehe.
Mir geht es den Umständen entsprechend gut. Eine einsame Diät wurde mir auferlegt, keinen Alkohol, keinen Tabak, keine Liebe, wenig Bewegung, keine Nachrichten, niemanden mit dem ich reden kann und sehr viel Zeit um nachzudenken. Das Essen ist einfach, doch hungern muss ich nicht.

Mein gegenwärtiges Zuhause ist ein Schuppen, nicht viel größer als eine Besenkammer, in einem ummauerten Hof. Innerhalb diesem darf ich mich frei bewegen.
Der Boden ist festgestampfte Erde. Ein Bäumchen spendet Schatten, als es blühte, summte, durch den Widerhall der Enge, der ganze Hof. Kleine Vögel bevölkern manchmal meine Mini-Welt und picken nach Ameisen.
Was außerhalb der Mauern ist, kann ich nur erahnen.
Bei Morgendämmerung krähen Hähne in der Umgebung, Hunde bellen Tag und Nacht irgendwo. Fast nie höre ich ein Fahrzeug, nie ein Flugzeug, ab und zu hallten Schüsse aus der Ferne. Stimmen von Frauen, Männern, Kindern trägt der Wind selten her. Schwierig die Entfernungen und Richtungen einzuordnen.
Auch über meine Entführer weiß ich nichts, ob ein größerer Clan dahintersteckt oder eine lokale Gruppe, mit wem sie verhandelten, was sie forderten. Ich kann nur vermuten, weshalb sie nichts erreichten.

Meine Bewacher sind junge Männer, die sich gleichen, könnten Brüder und Cousins sein. Anfangs sah ich Furcht einflößendes Funkeln in ihren Augen. Gefoltert wurde ich nicht, doch gedemütigt, war für sie eine Trophäe, eine Beute, ein Symbol.  
Heute, nach so langer Zeit, sind sie mir vertraut, in ihren dunklen Gesichtern lese ich ratlose Neugier, keinen Hass, keine Verachtung.
Der Jüngste, fast noch ein Kind, macht Hausdienst, kehrt den Schuppen, schüttelt meine Decken aus, leert den Eimer, bringt mir die Mahlzeiten, Wasser, Waschzeugs, saubere Wäsche, kocht Tee, räumt auf. Für ihn bin ich ein Gast, nur habe ich keine Trinkgelder zu vergeben. Trotzdem scheint es ihm wichtig, dass mein Stall sauber ist, mein Aufenthalt so angenehm wie möglich.
Der Chef der Gruppe spricht etwas englisch, ist deutlich älter als die Anderen. Er kam fast jeden Tag vorbei, trank Tee mit mir im Hof. Er behandelt mich stets respektvoll, als stehe er in meiner Schuld. Meist brachte er eine Süßigkeit oder Früchte. Viel zu besprechen hatten wir nicht, saßen nur da und musterten uns etwas verlegen. Es wurde mir schnell klar, dass er nichts zu entscheiden hat, da gibt es höhere Chefs.

Gestern hat er keinen Tee mit mir getrunken, mit gesenktem Blick legte er ein Päckchen Marlboro und eine Flasche Whisky auf das Tischchen und ging, heute kam er gar nicht. Auch der Junge stellte nur schnell den Teller hin, leerte den Eimer, verschwand danach gleich, verweigerte mir seinen Blick. Von den Anderen sah ich einen auf dem Dach, von wo man den Hof überblicken kann, Normalerweise nicken sie zum Gruß, heute nicht.
Die Fotos in meinen Kameras und auf den Festplatten, Material von Monaten, könnten einen hohen Preis erzielen, erst recht wenn ich tot bin.

Man brachte mir, nach einigen Wochen, meine Reisetasche, sie lag im Wagen, doch fehlten die Geräte und Kameras.
Ich bat darum, mir den E-Reader zu geben, darin sind diverse Bücher gespeichert. Ein paar Klassiker der Literatur, auch neuere Romane, die ich irgendwann einmal lesen wollte. Jetzt hatte ich die Zeit dafür. In Phasen des Wartens, die meine Reisen, Projekte, mein Beruf mit sich brachten, las ich vorwiegend Krimis, auf anderes konnte ich mich selten einlassen.
War überrascht, als ich das Gerät tatsächlich bekam. Na ja, hat für die Leute hier den Wert einer leeren Bierdose, hier gibt es kein Internet, nicht einmal Strom. Zum Aufladen nimmt es einer mit. Dauerte manchmal Tage, bis ich es wieder bekam.
Meine letzten Monate sind von intensiven Leseerlebnissen geprägt, habe hier keinerlei Ablenkung. Fühlte sich zeitweise fast wie Glück an.

Als ich Nadja, deine Mama, kennen lernte, war ich schon regelmäßig unterwegs in Regionen mit unberechenbaren Risiken, denen ich nach reiste.
Davor schlug ich mich, mehr schlecht als recht, mit braven Foto-Reportagen und Aufträgen durch. Versuchte mein Glück auch als Paparazzi, das endete mit einer Klage und hoher Busse.
Es war Jens, dein späterer Patenonkel, der mich fragte, ob ich ihn in den Jemen begleiten würde, um Fotos für einen Artikel zu machen, den er für ein bekanntes Magazin recherchierte.

Kam in eine Welt jenseits der mir bekannten. Diese Reise war wie ein Rausch, nicht ungefährlich, doch wir waren jung. Ich entdeckte das Fotografieren ganz neu, wurde mir der Macht der Distanzierung bewusst. Mit den veröffentlichten Bildern gewann ich einen renommierten Preis. Der war meine Eintrittskarte für folgende Anfragen und Aufträge.
Nun hatte ich Erfolg, auch finanziell, verdiente reichlich. Einmal mit einem einzigen Foto so viel, wie zuvor nicht in einem Jahr. Das Bild ging um die Welt: Zwei tote Kinder in einer öligen Pfütze, wahrscheinlich Bruder und Schwester, von Splittern durchsiebt, die Hände lagen so, als wären sie Hand in Hand gestorben. Ich hatte die Rakete kommen sehen, aus sicherer Deckung, mich geärgert, dass ich zu langsam war, den Augenblick ihres Todes wollte ich einfangen.

An einigen Orten trifft man Heere von Menschen, die aus einer Misere, auf die eine oder andere Weise, ihren Profit schlagen, Fernsehteams, Journalisten, Vertreter von Sicherheitsfirmen und Hilfswerken, Politiker. Dann Einheimische, die ihre Dienste als Vermittler, Dolmetscher, Fahrer anbieten. Man begegnet sich in den Lobbys, Bars, Clubs, Restaurants der gesicherten Hotels und Zonen. Chaos enthemmt, ich feierte manchmal die ganze Nacht mit Leuten, die ich nicht kannte. Machte auch die eine oder andere Frauenbekanntschaft.

Ich will ehrlich zu dir sein, ich wollte nie ein Kind. Es war Nadja, sie wollte es, dich, mit mir. Als du auf der Welt warst, hatte ich Freude an dir, doch wurde mir das bald unheimlich. Vier Jahre versuchten wir eine Familie zu sein, aber ich war innerlich abwesend, oft auch äußerlich.

Du kennst den Namen meines älteren Bruders, Lars, viel mehr habe ich nie über ihn erzählt, obwohl ich oft an ihn denke. Mit unseren Eltern lebten wir in einem Haus mit Garten, etwas abgelegen. Es gab keine anderen Kinder in der Nähe, so waren wir zwei viel zusammen. Lars quälte mich manchmal, doch war er auch mein Freund und Beschützer. An einem Wintertag gerieten wir in einen Kampf, wie auch schon, in einem leerstehenden Gebäude, welches wir regelmäßig aufsuchten. Er drückte mein Gesicht in eine braune, stinkende Brühe, ich hasste ihn dafür. Konnte mich befreien, es kam zu einer Verfolgungsjagd. Wir kannten das Gebäude und seine Tücken. Da war eine Rampe, unter der ein Haufen kantiger Metallteile lagerte. Wenn da einer drauf fällt, sagten wir oft, dann ist er Hackbraten.
An diesem Tag fiel mein Bruder auf diesen Haufen, weil ich es wollte. Die Rampe war vereist, daran dachte ich, als ich sie ansteuerte. Er war 14 Jahre alt, ich 12. Habe sein Gesicht gesehen, als er begriff, was gerade passieren wird.
Meine Eltern erfuhren nicht genau, was vorgefallen war, doch lies es sich nicht verbergen, sie hatten beide Söhne verloren. Wir bildeten noch Jahre eine traurige Zweckgemeinschaft. Mutter bekam Depressionen, Vater verfiel dem Alkohol, nicht extrem, doch kostete es ihn seine Stelle. Bald zogen wir in eine kleine Wohnung, in der wir uns anschwiegen.

Letztes Jahr, im Urlaub in Italien, da habe ich dir eine kräftige Ohrfeige gegeben. Weißt du das noch? Ich tat es, weil ich mich schämte vor dir, mich durchschaut fühlte. Danach schämte ich mich noch mehr, doch gab es kein Zurück. Du wärest lieber mit Mama, ihrem Freund und dessen Tochter in den Urlaub gefahren, wir wussten es beide, ich hatte dir nichts zu bieten. Die wenigen Wochenenden, die du danach noch bei mir verbrachtest, waren eine Qual für mich, wohl auch für dich. Meine Entschuldigungen müssen hohl geklungen haben, weil ich hohl war.

Ich habe bei einem Anwalt Anweisungen deponiert, für allfällige Eventualitäten. Eine davon besagt, dass kein Lösegeld, aus meinem Vermögen, ausbezahlt werden darf.
Nicht einmal Nadja bekam eine Vollmacht, um das zu ändern. Sie wird, im Falle meines Ablebens, dein Erbe verwalten, bis du 25 bist, sollte dann noch etwas übrig sein, vielleicht willst du ja eine spezielle Ausbildung machen.
Ich sorge mich nicht mehr, liegt nichts in meiner Hand, wie bei den Geschichten, welche ich lese, las, in denen die Enden schon geschrieben sind.
Ich würde mit niemandem tauschen wollen, habe viel gesehen und einiges davon dokumentiert. Was mit den x-tausenden von Fotos passiert, geht mich nichts mehr an, doch sie existieren. Zum Beispiel von dem Tag, als ich für Gaddafi, in einer Tiefgarage, ein Kaninchenragout zubereitete. Danach lebte er nicht mehr lange. Wäre ein längere Geschichte und mein Papier ist alle.
Jetzt mache ich mich an den Whisky und die Zigaretten, die sind hier beleidigt, wenn ich so ein Geschenk verschmähe. Einen undankbaren Eindruck will ich nicht hinterlassen.

Mach’s gut,
Paps.

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Uwe Helmut Grave
Geschlecht:männlichOpa Schlumpf

Alter: 69
Beiträge: 1016
Wohnort: Wolfenbüttel


Beitrag02.12.2016 18:44

von Uwe Helmut Grave
Antworten mit Zitat

Verloren im Niemandsland, allein mit seinen Gedanken, ohne Aussicht auf Besserung der Situation. Spannender als jeder Entführungsthriller.

_________________
U.H.G. - Freude am Lesen
"Wie sind des Kaisers neue Kleider unvergleichlich!" - "Aber er hat ja gar nichts an!" (Hans Christian Andersen) - Die Welt ist anders(en) als sie es dir erzählen.
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Seraiya
Geschlecht:weiblichMondsüchtig


Beiträge: 924



Beitrag02.12.2016 19:35

von Seraiya
Antworten mit Zitat

Hallo Inko,



Leider kann ich die Texte augrund von Zeitmangel nicht so kommentieren, wie ich gerne würde und wie sie es verdienen.
Puh ... ich hätte am liebsten rasch wieder aufgehört zu lesen, musste mich regelrecht durchquälen bis zum Ende.
Der Text plätschert so vor sich hin, leer. Der Brief eines Vaters an seine Tochter, unter anderem mit Informationen gespickt, die die Tochter weiß:
Zitat:
wenn du 18 Jahre alt bist, also erst in rund fünf Jahren,    


Zitat:
Als ich Nadja, deine Mama, kennen lernte,    


Zitat:
Es war Jens, dein späterer Patenonkel,   


Die Namen hier sind überflüssig.

Es liest sich reumütig und erklärend, man empfindet so etwas wie Mitleid mit dem Vater und fragt sich, wie es zu seiner Geiselnahme kam. Er fasst sein Leben zusammen, wobei ich das Gefühl bekomme, dass er das mehr für sich selbst, als für die Tochter tut.
Zum Thema ...
Niemandsland, ok, der Vater agiert aus dem Niemandsland heraus, so, wie ich das sehe.
Doch was hier nicht sehe ist folgendes:
Zitat:
  bei der die zentrale Figur des Textes nach folgendem Motto handelt oder erlebt:

Alles, was man weiß, vergessen. Immer neu loslegen wie neu.

und dieses:
Zitat:
ausdrücklich erwünscht sind also inhaltlich anspruchsvolle, ungefügige und mehrschichtige Texte.    


Einzig der letzte Satz, dass er keinen undankbaren Eindruck hinterlassen möchte, lies mich länger über den Text nachdenken. Für mich gehört dieser Text in die Unterhaltungsliteratur. Keine Punkte.


LG,
Seraiya
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Babella
Geschlecht:weiblichKlammeraffe

Alter: 61
Beiträge: 889

Das goldene Aufbruchstück Der bronzene Roboter


Beitrag03.12.2016 16:06

von Babella
Antworten mit Zitat

Zu vieles scheint mir hier unstimmig. Diät ohne Alkohol, dann Whisky. Kein Blick nach außen möglich, aber "eine Gegend, deren Sprachen und Sitten ich nicht verstehe". Ein Brief, der aber an einigen Stellen vergessen lässt, dass es ein Brief ist. Würde ein Vater seiner Tochter so genau vom Inhalt seines Ebook-Readers berichten, statt sich für die Ohrfeige zu entschuldigen, deren Auslöser nicht erwähnt wird? Der Bruder, der bei einem Sturz auf Metallteile verstirbt - was hat der mit alldem zu tun? Und wo ist der Bezug zum Thema "Neu anfangen"? Hm.
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gold
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Beiträge: 4936
Wohnort: unter Wasser
DSFo-Sponsor


Beitrag03.12.2016 19:09

von gold
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Hallo Inko,

ich merke, dass ich Probleme habe, diesen Text, der den Charakter einer Reportage hat, ein weiteres Mal zu lesen. Er berührt mich zu sehr.
Er ist nicht anklagend und auch nicht beschöningend und macht dadurch so betroffen.
Sprachlich ist er im Vergleich zu manch anderem Text im Wettbewerb eher einfach gehalten. Aber ich denke, das ist so gewollt, stellt er ja einen Brief an die 18-jährige Tochter des Protagonisten dar.

Zur Umsetzung des Mottos:
Der Prota spult zurück, indem er die Vergangenheit Revue passieren lässt.
Ein Neubeginn kann geschehen. Dies bleibt aber offen. Gerade die Ungewissheit, das offene, zwar angedeutete Ende, lässt mich als Leser bei dem Protagonisten sein und die Geschichte weiterspinnen, was ich sehr gut finde.



Liebe Grüße
gold


_________________
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Es dauert lange, bis man jung wird. (Pablo Picasso)
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Constantine
Geschlecht:männlichBücherwurm


Beiträge: 3311

Goldener Sturmschaden Weltrettung in Bronze


Beitrag04.12.2016 02:13

von Constantine
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Bonjour,

Eine Geschichte in Briefform: Der Vater als Geisel schreibt seiner 13jährigen Tochter einen Brief, den sie fünf Jahre später erhalten soll, um ihr Fragen zu beantworten, die sie stellen könnte.
Für mich strotzt dieser Brief vor Unlogiken, das Verfasste ist unglaubwürdig und nicht ernst zu nehmen, und welche Fragen der Vater ihr beantworten möchte, bleibt mir leider auch schleierhaft. Wie dieser Brief nach seinem Tod zur Tocher gelangen soll, bliebt ein Geheimnis.

Beispiel 1:
Guy Incognito hat Folgendes geschrieben:
Ich schreibe in die Zukunft, werde nicht mehr gegenwärtig sein, wenn du dies liest, nicht antworten können auf Fragen, die sich aus diesen Zeilen ergeben.
Sicher kommt dir im Laufe der Zeit, von verschiedenen Seiten, einiges zu Ohren, wahrscheinlich berichten auch Medien über meine Geschichte.

Er ist Fotojournalist und wird die Geiselhaft nicht überleben, weil er angeordnet hat, dass man bei Lösegeldforderungen nicht bezahlen soll. Ok.
Ich denke, den Beruf ihres Vaters weiß die Tochter, schließlich haben sie nach der Trennung der Eltern laut Sorgerecht Kontakt.
Guy Incognito hat Folgendes geschrieben:
Letztes Jahr, im Urlaub in Italien, da habe ich dir eine kräftige Ohrfeige gegeben. Weißt du das noch? Ich tat es, weil ich mich schämte vor dir, mich durchschaut fühlte. Danach schämte ich mich noch mehr, doch gab es kein Zurück. Du wärest lieber mit Mama, ihrem Freund und dessen Tochter in den Urlaub gefahren, wir wussten es beide, ich hatte dir nichts zu bieten. Die wenigen Wochenenden, die du danach noch bei mir verbrachtest, waren eine Qual für mich, wohl auch für dich. Meine Entschuldigungen müssen hohl geklungen haben, weil ich hohl war.

Sie war mindestens Zwölf, als sie ihren Vater das letzte Mal sah. Dass ihr ihr Vater im Brief erklärt, was er beruflich macht, finde ich unlogisch.

Beispiel2:
Guy Incognito hat Folgendes geschrieben:
Schon seit vielen Monaten bin ich eine Geisel, irgendwo im Nirgendwo, in einer Gegend, deren Sprachen und Sitten ich nicht verstehe.
Mir geht es den Umständen entsprechend gut. Eine einsame Diät wurde mir auferlegt, keinen Alkohol, keinen Tabak, keine Liebe, wenig Bewegung, keine Nachrichten, niemanden mit dem ich reden kann und sehr viel Zeit um nachzudenken. Das Essen ist einfach, doch hungern muss ich nicht.

Ich glaube dem Vater nicht, dass er nicht weiß, in welchem Land er sich befindet und dass ihm das Land so fremd ist. Weitere Fehler: keinen Alkohol, keinen Tabak, niemand zum Reden und viel Zeit zum Nachdenken.
Guy Incognito hat Folgendes geschrieben:

[...]Der Chef der Gruppe spricht etwas englisch, ist deutlich älter als die Anderen. Er kam fast jeden Tag vorbei, trank Tee mit mir im Hof. Er behandelt mich stets respektvoll, als stehe er in meiner Schuld. Meist brachte er eine Süßigkeit oder Früchte. Viel zu besprechen hatten wir nicht, saßen nur da und musterten uns etwas verlegen. Es wurde mir schnell klar, dass er nichts zu entscheiden hat, da gibt es höhere Chefs.

Gestern hat er keinen Tee mit mir getrunken, mit gesenktem Blick legte er ein Päckchen Marlboro und eine Flasche Whisky auf das Tischchen und ging, heute kam er gar nicht.[...]

Well. Zigarretten, Whisky und (fast) täglich Gesellschaft.

Beispiel 3:
Mal schreibt der Vater, er lebt in einem Schuppen, nicht viel größer als eine Besenkammer, weiter unten ist der Schuppen dann ein Stall.


 ----

Guy Incognito hat Folgendes geschrieben:
Der Boden ist festgestampfte Erde. Ein Bäumchen spendet Schatten, als es blühte, summte, durch den Widerhall der Enge, der ganze Hof. Kleine Vögel bevölkern manchmal meine Mini-Welt und picken nach Ameisen.
Was außerhalb der Mauern ist, kann ich nur erahnen.
Bei Morgendämmerung krähen Hähne in der Umgebung, Hunde bellen Tag und Nacht irgendwo. Fast nie höre ich ein Fahrzeug, nie ein Flugzeug, ab und zu hallten Schüsse aus der Ferne. Stimmen von Frauen, Männern, Kindern trägt der Wind selten her. Schwierig die Entfernungen und Richtungen einzuordnen.

Was will ihr der Vater mit diesen Infos sagen?



Guy Incognito hat Folgendes geschrieben:
Man brachte mir, nach einigen Wochen, meine Reisetasche, sie lag im Wagen, doch fehlten die Geräte und Kameras.
Ich bat darum, mir den E-Reader zu geben, darin sind diverse Bücher gespeichert. Ein paar Klassiker der Literatur, auch neuere Romane, die ich irgendwann einmal lesen wollte. Jetzt hatte ich die Zeit dafür. In Phasen des Wartens, die meine Reisen, Projekte, mein Beruf mit sich brachten, las ich vorwiegend Krimis, auf anderes konnte ich mich selten einlassen.
War überrascht, als ich das Gerät tatsächlich bekam. Na ja, hat für die Leute hier den Wert einer leeren Bierdose, hier gibt es kein Internet, nicht einmal Strom. Zum Aufladen nimmt es einer mit. Dauerte manchmal Tage, bis ich es wieder bekam.
Meine letzten Monate sind von intensiven Leseerlebnissen geprägt, habe hier keinerlei Ablenkung. Fühlte sich zeitweise fast wie Glück an.

Anfangs meinte er, er hatte sehr viel Zeit zum Nachdenken. Hier schreibt er, womit er seine Zeit wirklich gefüllt hat: mit Lesen diverser Bücher auf seinem E-Reader.

----

Der Brief ist eigentlich ein einziges Ärgernis: führt den Leser an der Nase herum, führt die Tochter an der Nase herum, mit Unwahrheiten und Unlogiken gespickt, enthält der Brief dazu noch einiges aus dem beruflichen Werdegang und der Familiengeschichte des Vaters, und am Ende frage ich mich, was das alles soll?

Es tut mir leid, du hast es nicht in meine top Ten geschafft: zéro points.

Merci beaucoup,
Constantine
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Dmitrij
Geschlecht:männlichWortedrechsler

Alter: 50
Beiträge: 79
Wohnort: von der Zivilisation abgeschnitten in Wien-Umgebung


Beitrag05.12.2016 01:06
Re: Irgendwo im Nirgendwo
von Dmitrij
Antworten mit Zitat

Ich kann diesen Text sehr schwer bewerten. Einerseits erkenne ich das Skelett der Handlung, andererseits klingt die Geschichte für mich unglaubwürdig.

Ich glaube kaum, dass der Autor eigene Kinder hat oder ein einziges Mal in einem vorderasiatischen Dorf übernachtet hat. Um darüber zu schreiben, muss man auf der Strasse aufgewachsen sein, oder sehr tief in die Rolle eines risikofreudigen Journalisten schlüpfen, welcher sich davon nicht scheut auf die Fresse gehaut zu werden. Was du da beschreibst ist ein purer Luxus im Vergleich zu den Umständen in denen die asiatische Bevölkerung selbst ihr Dasein fristet.  Wenn man dort in einem Restaurant isst und im nachhinein keine Magenbeschwerden bekommt, kann man schon vom Glück reden. Allein der Geschmack des Wassers kann abstoßend sein. Ich denke mal wie oft wohl hat er sich in seiner Gefangenschaft duschen dürfen. Wie oft hat er seine Wäsche gewechselt. Wie viel Mücken und Flöhe haben ihn gestochen... Ich gebe deinem "Journalisten" 3 Punkte, weil du dich auf so ein Thema gewagt hast.

Weniger kann ich nicht geben, weil du ein schriftstellerisches Potenzial hast, weil du darüber schreibst, wovon die talentierte Plapperer sich scheuen und diese Eigenschaft wertet dich in meinen Augen auf. Hätte man diesen Wettbewerb nur für Jugendliche veranstaltet, wäre es für dich fairer gewesen. Hier aber wirst du mit anderen erfahrenen Schreibern verglichen. Also lass dich von meinen 4 Punkten nicht entmutigen.

Man muss lernen, sich mit dem Helden zu identifizieren. Es ist dort wahnsinnig heiß am Tag und kalt in der Nacht. Der harte Boden, die trockene Luft, die eingeschränkte Bewegungsfreiheit, die Ungewissheit, jeder Schlag der Tür könnte der letzte sein...
Das alles fehlt mir in deiner Geschichte.

Zitat:
krähen Hähne in der Umgebung, Hunde bellen Tag und Nacht


Es ist gut und schön, dass du die akustische Begleitung in deinen Text inkludierst. Es entführt aber den Leser nicht unbedingt in ein Kaff mitten im "muslimischen" Nirgendwo. Solche Lauten sind auch hier in Europäischen Dörfern üblich. Viel angebrachter, wäre zu erwähnen, dass seine "Mitbewohner" fünf Mal am Tag beten und dabei relativ laut, wie im Trance, ihre "Gebetslieder" singen.
"Üben üben üben" - es gibt keinen anderen Weg zum dankbaren Leser.

Liebe Grüße,
Dmitrij


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Selbst wenn du ein überzeugter Optimist bist, unterschätze niemals all die pessimistisch denkenden Menschen;-)
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hobbes
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Beitrag05.12.2016 22:31
Re: Irgendwo im Nirgendwo
von hobbes
Antworten mit Zitat

Normalerweise wäre ich spätestens nach dem ersten Absatz ausgestiegen. Dieser Satz hier ist ein prima Beispiel für das Warum:
Guy Incognito hat Folgendes geschrieben:
Will dir Fragen beantworten, die ich mir vorstelle, dass du diese stellen könntest.

Viel umständlicher kann man es wohl nicht mehr ausdrücken.

Dann sind da noch sprachliche Unsauberkeiten. Beispiel:
Zitat:
niemanden mit dem ich reden kann


Und hinter allem so ein Pathos. Das ist es vor allem, was mich vertreibt, das halte ich ganz schlecht aus. Und diesen selbstmitleidigen Typen, der so tut, als täte er sich gar nicht leid, den halte ich erst recht nicht aus.
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Oktoberkatze
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Ei 1 Ei 9


Beitrag06.12.2016 22:23

von Oktoberkatze
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Thema: seh ich gut umgesetzt
Motto: seh ich bei anderen Texten deutlicher umgesetzt
Inhalt: der Abschiedsbrief an die Tochter als Entschuldigung oder Rechtfertigungsversuch für die eigenen Fehler?
Fazit: berührender Text, gern gelesen, auch wenn es leider nicht für eine Punktvergabe ausgereicht hat


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Heidi
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Der goldene Durchblick


Beitrag07.12.2016 00:10

von Heidi
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Das ist eine gute Idee, aber richtig gepackt hat mich die Geschichte nicht. Der Anfang klingt vielversprechend und geheimnisvoll, ich erwartete eine Zukunftskurzgeschichte. Aber dann wird Länge mal Breite vom Tagesablauf im "Niemandsland" erzählt, wohin dein Erzähler von unbekannten Entführern, auf mysteriöse Weise verschleppt wurde. Hier fehlt mir so ein wenig eine Aussage (oder bin ich zu blöd dazu, um sie zu erkennen?), weil die Geschichte sprachlich/stilistisch nicht so umgesetzt wurde, dass sie ohne auskommen könnte.
Das Motto fehlt mir gänzlich. Paps wirkt nicht so, als würde er jeden Tag mit sich ringen und wieder von vorne loslegen wollen.
Keine Punkte.
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Lapidar
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Beiträge: 2701
Wohnort: in der Diaspora


Beitrag07.12.2016 21:03

von Lapidar
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Aufbruch eigentlich ins Niemandsland, das, was danach kommt.
Nur bin ich mir noch nicht so ganz schlüssig, wo das sich Wiederholdende ist.


_________________
"Dem Bruder des Schwagers seine Schwester und von der der Onkel dessen Nichte Bogenschützin Lapidar" Kiara
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tronde
Klammeraffe
T


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Das goldene Aufbruchstück Das silberne Niemandsland


T
Beitrag07.12.2016 23:48

von tronde
Antworten mit Zitat

Hallo!
Fast schon abgeklärter Abschiedsbrief. Niemandsland ok, das Motto finde ich nicht. Es geht ja eher ums Nicht-vergessen.
Sprachlich ok, aber für mich auch nicht herausragend.
Wohl keine Punkte.

Liebe Grüße
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V.K.B.
Geschlecht:männlich[Error C7: not in list]

Alter: 51
Beiträge: 6153
Wohnort: Nullraum
Das goldene Rampenlicht Das silberne Boot
Goldenes Licht Weltrettung in Silber


Beitrag08.12.2016 00:03

von V.K.B.
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Hallo Inko,
starke Geschichte, die unter die Haut geht. Leider fehlt allerdings das Motto mit dem alles vergessen und neu anfangen, das gibt leider Punktabzug. Aber Punkte vergebe ich trotzdem, denn die Geschichte hat mir gefallen und kommt sehr überzeugend rüber. Stark auch, dass du es nur bei dem Geschenk und dem Verhalten der Wachen belässt, auch wenn die Implikationen klar sind. Die brauchen ihn nicht mehr, letzte Zigaretten und Drinks vor der Exekution.

Ich frage mich nur, wie er in dieser Situation mit dem Anwalt reden konnte oder den Brief herausbekommt, aber egal.

Auch gefallen hat mir, dass die Geschichte sachlich bleibt und nicht in zuviel Mitleid ausartet. Der Gefangene hat seine Fehler und Verfehlungen, sieht sie inzwischen ein und reflektiert, war aber wahrscheinlich nicht unbedingt der sympathischste Mensch auf Erden. Sein Bereuen geht allerdings so weit, dass er sein Vermögen für die Zukunft seiner Tochter lassen will, statt es zu nutzen, um sich vielleicht das Leben zu retten.

Nach langer Überlegung, ewigen Vergleichen, alles vergessen und immer wieder von vorne beginnen wie neu, meine endgültige Wertung: 2 Punkte.


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Hang the cosmic muse!

Oh changelings, thou art so very wrong. T’is not banality that brings us downe. It's fantasy that kills …
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Michel
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Beitrag09.12.2016 21:18

von Michel
Antworten mit Zitat

Interessante Reihung, erst der Neuanfang, dann das Niemandsland. Gerader, distanzierter Text, der gut zur abschiedsschreibenden Figur passt und mich ebenfalls auf Distanz hält. Letzte Worte, schwer erträglich. Gefällt mir, obwohl er erschreckt. Weil er erschreckt.
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Literättin
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Beitrag10.12.2016 14:50

von Literättin
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Ein Brief, über den ich mich an Stelle der Tochter eher ärgern würde, als dass mich diese selbstgerechte Lebensbeichte des Vaters berühren würde. Er sitzt also da, der Held, entführt und gefangen und reuig und bereit, für seine Sünden mit seinem Leben zu bezahlen - so hat er es jedenfalls bei seinem Anwalt hinterlegt.

Bei mir kann er leider keine Sympathien abstauben der Vater, der mir in all seinen Haltungen zu viel ist: In seiner Whisky-Lässigkeit, in seiner Gefangenen-Eitelkeit, im vermeintlich bescheidenen Stolz auf seine Hinterlassenschaften (tausende von Fotos!) und in der vermeintlichen Ehrlichkeit seiner Beichten. Der Typ ist mir zu eitel: Kaninchenragout für Gaddafi, die lakonische Schilderung des Brudertodes als "Hackbraten", dem er selbstredend im Nebensatz vorher das Tauchen in stinkende Brühe verzeiht (was hat hier nun Gewicht für ihn?), die tragische Familiengeschichte insgesamt, der Alkohol und dann die Ohrfeige im Italienurlaub, die er auch noch zur brieflichen Selbstdarstellung nutzt ("Danach schämte ich mich noch mehr, aber es gab kein Zurück").

Mir bleibt da viel schales Gefühl übrig und wenig Tiefgang. Das Niemandsland ist zwar verarbeitet, doch der Neubeginn und das vergessen scheitern schon an der Oberfläche. Ich würde an Stelle der Tochter das Geld einstreichen und gut sein lassen, wenn ich es böse formulieren wollte wink.
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weltensegler
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Beiträge: 85
Wohnort: Nürnberg


Beitrag12.12.2016 11:46

von weltensegler
Antworten mit Zitat

Das Wort "gegenwärtig" stört mich, vor allem in einem Brief ans eigene Kind. Insgesamt ist der Text für mich nicht glaubwürdig, mag ich mir doch nicht vorstellen, das ein todgeweihter Vater seiner Tochter einen solchen Abschiedsbrief schreiben würde. Wenn doch, hielte ich ihn inhaltlich für literarisch nicht relevant, aber das klingt jetzt härter als es sollte. Ich fühle ihn leider nicht, diesen Mann. Das Thema sehe ich auch nicht gut umgesetzt, daher leider keine Punkte.
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rieka
Geschlecht:weiblichSucher und Seiteneinsteiger


Beiträge: 816



Beitrag12.12.2016 14:06

von rieka
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Ein Journalist in Geiselhaft. Er weiß noch nicht, ob er überleben wird, rechnet aktuell mit dem Schlimmsten, das abweichende Verhalten seiner Aufseher deutet darauf hin.
Der Protagonist spricht seine Tochter in sehr geschliffener, etwas formeller, steifer Sprache an, so, wie man es tut, wenn einem das Gegenüber zwar nah, aber auch etwas fremd ist. So wie dem Prota die Tochter ja auch fremd ist, wie sich dann später im Text auch zeigt. Gegen Ende wird die Sprache zu ihr hin etwas wärmer, persönlicher.
Hast du diesen Effekt gezielt so eingesetzt, oder ist dir das unabsichtlich passiert? Seine Art, sich zu äußern könnte auch eine Reaktion auf eine Selbst-Distanzierung aufgrund des monatelangen Drucks, unter dem der Prota steht, sein.  Wenn du das bewusst, gezielt, so geschrieben hast, dann alle Achtung. Und du schreibst aus dem realen Niemandsland , hast damit diesen Teil der Aufgabe erfüllt.
Was mich aber interessiert ist – WARUM kommt Prota auf die Idee, seiner ihm emotional fast fremden Tochter in die Zukunft hinein aus seiner jetzigen Situation einen solchen Brief zu schreiben. Was will er damit erreichen, ihr sagen? Und woher nimmt er die Sicherheit, dass seine Tochter in fünf Jahren den Brief erhält, dass seine Geiselnehmer, wenn sie mit ihm Schluss machen, den Brief noch versenden? Gut, sie ist ihm auf irgendeine Art schon wichtig, schließlich hat er für sie vorgesorgt. Riskiert weil er deswegen nicht zahlen kann, sein Leben.
Irgendwie ist der Wiederspruch drin. Irgendwas passt nicht.
Oder schreibt er den Brief nur für sich? Um eine Welt um und in sich entstehen zu lassen, um sich ein Gegenüber zu schaffen ? Um jetzt in der Not doch Nähe zu spüren, auf die er zuvor keinen Wert gelegt hat?
Oder lässt du, kluger Autor, den Prota diesen Brief schreiben, um eine Form zu finden, diese Geschichte dieses Journalisten zu erzählen?
Die Idee finde ich gut, du hast einen mitnehmenden Schreibstil, lebendig.  Die Einbettung der Geschichte des Journalisten in die Briefszene wirkt auf mich eher störrig, distanzierend.
Zu Punkten hat’s bei der Menge an guten Texten nicht ganz gereicht.
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holg
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Bronzenes Licht Der bronzene Roboter


Beitrag12.12.2016 18:16

von holg
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Das Geiselgefängnis, der Zustand zwischen Leben und Tod, ein letzter Brief vor der Hinrichtung aus dem Niemandsland zwischen beiden Zuständen.
Neuanfang? Vergessen? Eher nicht. Nichts wurde vergessen. Nichts wird neu begonnen. Der Brief ist ein einziges Erinnern.
Das ist schön gemacht, setzt aber meiner Meinung nach die zweite Vorgabe nur ungenügend um.


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Municat
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Beitrag12.12.2016 18:54

von Municat
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Lieber Unbekannter Autor smile

Du nimmst uns mit in eine ganz schön heftige Situation. Da sitzt ein Vater, der den begründeten Verdacht hat, dass er den nächsten Tag nicht mehr erleben wird - und schreibt einen Abschiedsbrief an seine Tochter. Mir gefällt, dass der Vater seine sympatischen und seine ätzenden Seiten hat. Keine Schwarz-Weiß-Malerei eben.

Natürlich leide ich mit ihm, natürlich mag ich die respektvolle Art, in der er über seine Entführer schreibt ... sie als Menschen sieht und nicht verurteilt. Er sorgt dafür, dass sein Vermögen nicht für ihn verwendet werden darf. Ich bewundere, dass er nicht in Selbstmitleid versinkt, sondern sein Leben in Gefangenschaft mit wachen Augen sieht und beschreibt. Aber ... da sind auch die anderen Seiten. Den "Unfall" mit seinem Bruder kann man noch unter "die komplette Tragweite konnte er mit 12 Jahren noch nicht erfassen" verbuchten, aber als er das Foto der toten Kriegskinder geschossen hat und sich nicht etwa darüber geärgert hat, dass er die beiden Leben nicht retten konnte, sondern vielmehr darüber, dass er zu spät kam, um den Moment des Todes mit seiner Kamera festzuhalten, war er erwachsen. Das schockiert mich. So wirklich ausdrücklich bereut er diese Aktion noch nicht mal an seinem veraussichtlichen Todestag. Der Text berührt definitiv.

Umsetzung der Vorgaben

Das Niemandsland ist hier wohl zum einen das namenlose Kriegsgebiet, das seine Opfer gleichermaßen unter Einheimischen und Kriegstouristen findet und zum anderen die Leere im Herzen des Vaters, der sein Kindheits-Trauma immer wieder mit neuen Adrenalin-Kicks zudeckt, bis er eben übertreibt

Die wiederkehrenden Neustarts ... da wird zum einen das Ende seiner "normalen" Kindheit angedeutet, dann das Ende seines "normalen" Berufslebens. Zuletzt dann natürlich die Hinweise auf sein finales Ende irgendwo im Nirgendwo.

Der Text ist vielschichtig, das Thema ist ernst. Die Abgrenzung zur Unterhaltungsliteratur ist also da.

Stilistisch gibt es ein paar Kleinigkeiten, die mir aufgefallen sind, aber nichts, was mich vom lesen abgehalten hätte. Ein paar Kommata zu viel, einige Stellen, an denen die Zeit nicht eingehalten wird (muss in einem Brief allerdings auch nicht unbedingt sein), ein oder zwei Formulierungen, die mich aus dem Text gerissen haben.

Die Bewertung nehme ich erst vor, wenn ich alle Texte kommentiert habe.


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Gräme dich nicht, weil der Rosenbusch Dornen hat, sondern freue dich, weil der Dornbusch Rosen trägt smile
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bamba
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 201



Beitrag13.12.2016 15:09

von bamba
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Mist, ich sehe Stellen, die ich anders formulieren will und Rechtschreibfehler und falsche Kommas...... Kopf an die Wand
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Tjana
Geschlecht:weiblichReißwolf

Alter: 63
Beiträge: 1786
Wohnort: Inne Peerle


Beitrag13.12.2016 19:42

von Tjana
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Eine bewegendes Erleben in einen Brief an die Tochter gesteckt. Tolle Idee!
Leider stocke ich an manchen Stellen über ein fehlendes Wort, über grundlos wechselnde Zeitformen, und frage mich, ob Inko zu wenig Zeit oder schon zu viele Zeichen hatte (ich habe nicht nachgezählt).
Niemandsland ist gut verwendet, Neu eher nicht. Hmmmmm


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Jenni
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Das goldene Aufbruchstück Die lange Johanne in Gold


Beitrag14.12.2016 14:09

von Jenni
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Der Brief eines Erführungsopfers an sein Kind. Er wolle Aufklärung schaffen, sie solle nicht aufwachsen, ohne ihren Vater zu kennen. Doch lernt sie ihn kennen, durch diesen Brief, der weder etwas über die Hintergründe der Entführung verrät, noch über die Person des Vaters. Er habe viel Zeit zum Nachdenken, schreibt er, und dennoch beschreibt er schlicht seinen Alltag in Gefangenschaft, keine Erkenntnisse, keine Ehrlichkeit im Sinne einer Selbstentblößung, keine individuellen Denkansätze.
Das Thema sehe ich umgesetzt - die Vorgabe kann ich kaum herausinterpretieren. Dabei hätte sich doch ein Brief dafür herrlich angeboten, für ein immer wieder neu beginnen Worte zu finden und vielleicht daraus eine Erkenntnis zu ziehen.

Überzeugt mich nicht.
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