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Xasziia
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Beitrag02.02.2008 14:32

von Xasziia
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Danke Brynhilda,
du motivierst mich immer wieder, weiterzuschreiben.
Hier ein kleiner Teil:

Der Sand gab knirschend unter meinen Füßen nach. Er quietschte leise, so fein war er. Nach mehreren Schritten hielt ich es nicht mehr aus. Eilig zog ich meine Schuhe und Socken aus und vergrub meine Zehen in dem nasskalten Sand. Mein Hund sprang aufgeregt um mich herum, aber ausnahmsweise schenkte ich ihr keine Beachtung. Genüsslich streckte ich mein Gesicht dem Meer entgegen. Auf und ab. Das Rauschen erfüllte meine Gedanken, beruhigend und aufregend zugleich. Magisch angezogen, trugen mich meine Füße zum Wasser. Es war eisig. Die Kälte ließ sie kalt werden. Ich schloss entspannt die Augen und hörte dem Rhythmus zu. Sanft und verlockend umspülte die See meine Gelenke und ließ den Schmerz erfrieren. Ich spürte nichts mehr außer der beißenden Kälte, die für mich Erlösung war. Ich atmete tief ein, um die salzige Luft in mich aufzunehmen. Schließlich ging ich los. Ich holte den Ball hinaus und ließ meinen Hund laufen. Und ich lief ihr hinterher. Rannte mit ihr über den Strand unter dem grauen Himmel entlang. Glück erfüllte mich und ließ mich leicht werden. Löschte meine Gedanken aus, die mich beschwerten. Ich knickte um, spürte es nicht, lief weiter. War kurz ein glückliches, elfjähriges Mädchen, ohne Sorgen und vollkommen frei. Schließlich ließ ich mich in den Sand fallen und schloss die Augen. Das Glücksgefühl erfüllte mich immer noch und die Realität ließ mich noch einen Moment ausruhen. Wie immer, wenn ich das Meer sah, begann ich über das nachzudenken, was es verbarg. Ich atmete zum Rhythmus des Rauschens und ließ meinen Gedanken freien Lauf.
Etwas musste doch in dieser unendlichen Weite sein? Etwas Unfassbares, Unvorstellbares. Ein anderes Leben, andere Wesen. Die See war so gewaltig und geheimnisvoll. Eine Verführerin, schwach und stark zugleich. Mich faszinierte das Meer. Für mich war es das Einzige, über das die Menschen noch keine Macht hatten. Ja, sie benutzten die See, aber sie konnten nicht bestimmen, ob eine Überfahrt gelang oder nicht. Eine gigantische Macht, die zugleich sanft und friedlich, angriffslustig und brutal sein konnte. Früher hatte ich vor ihr Angst gehabt. Nie wollte ich ins Meer. Jetzt war ich am Glücklichsten im Wasser. Dort war ich schmerzfrei, konnte machen, was ich wollte. Schwerelos sein. Ich liebte es. Im Ozean war ich unbedeutend, aber er ließ mich sein, was ich wollte. Es waren die einzigen Momente, wo ich erahnen konnte, wie es war, richtig zu leben.

LG Xasziia


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Leona
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Beitrag02.02.2008 19:24

von Leona
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Hallo Xa!
Gefällt mir wieder sehr gut!

Zitat:
Die Kälte ließ sie kalt werden

Schreib doch: Die Kälte ließ alles Gefühl aus ihnen fließen. Das fiel mir gerade so dazu ein...

Wunderbarer Text smile Die Gefühle und Gedanken beschreibst du wieder sehr schön!
Weiter so!
lg,
Leona
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Xasziia
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Beitrag02.02.2008 20:32

von Xasziia
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Leona hat Folgendes geschrieben:
Hallo Xa!


Zitat:
Die Kälte ließ sie kalt werden

Schreib doch: Die Kälte ließ alles Gefühl aus ihnen fließen. Das fiel mir gerade so dazu ein...


ok, dieser Satz ist peinlich. Danke, dass du mich darauf hingewiesen hast.
LG Xasziia


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Beitrag12.02.2008 18:35
Und noch ein neuer teil...
von Xasziia
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So, nach einer kleinen Pause, hier wieder ein neuer Teil für meine treuen Leser.
Ein Danke hier nocheinmal an alle die sich immer noch die Mühe machen, oder gemacht haben und ein besonders großes nochmal an Brynhilda, weil sie die Geschichte verschoben hat.
So, hier ist er. Ich persönlich finde ihn, wieder einmal, mittelprächtig. Aber es ist auch nicht sonderlich viel.

Gereizt klappte ich das Buch zu. Ich hasste tragische Geschichte. Warum hat der Autor ihn bitte sterben lassen? Er hätte genauso gut überleben können und die zwei hätten glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage leben können. Aber nein, auf möglichst spektakuläre Art und Weise musste er natürlich sterben. Als gäbe es nicht schon genug traurige Geschichten auf dieser Welt. Wenn man über die alle schreiben würde, dann wären die Menschen froh auch mal eine vollkommen kitschige und klischeelastige Geschichte zu lesen. Ich seufzte und holte wieder ein neues Buch. Mein Blick glitt nach draußen. Dunkelheit hatte das Licht vertrieben und Sterne funkelten am Himmel. Kleine Gesichter im Universum des Lebens und nur die Hellsten sind für uns sichtbar. Was dachte ich da schon wieder.
Ich betrachtete das Buch in meinen Händen. Auch dieses würde wieder Überraschungen für mich bereithalten. Überraschungen, die ich nicht wollte. Die mich wieder verärgern oder erfreuen würden. Das leise Klackern der Tastatur zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Mein Bruder schrieb wieder an seinem Referat. Warum schreib ich nicht eigentlich auch? Die Geschichte, die ich in Deutsch angefangen hatte. Sie wartete immer noch unvollendet in meinem Deutschheft. Warum ließ ich nicht einmal Menschen leben, wie ich es wollte. Sie Abenteuer bestehen lassen, die ich nicht erleben konnte und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich selbst zu finden. Ich lächelte. Ja, warum nicht? Ich verbrachte sowieso viel Zeit im Haus, dann konnte ich sie auch sinnvoll nutzen. Eilig holte ich einen Block und einen Stift. Wie weit hatte ich noch einmal geschrieben? War es wichtig? Warum schrieb ich nicht einfach los? Langsam zog ich die erste Linie.
Ich aß missmutig mein Frühstück…
Begeistert huschte der Stift über das Papier. Jedes Wort ließ mich leichter werden, einen Teil meiner Sorgen verschwinden. Seite um Seite füllte sich und ich vergaß alles um mich herum. Ich hatte etwas gefunden, was mich heilte. Endlich wurden meine Träume wahr. Ich hatte meinen Frieden im einfachen Aufschreiben von Wünschen gefunden. Mir reichte allein die Vorstellung, die in meinem Kopf war, um mich fliegen zu lassen. Ich konnte endlich die Person sein, die ich wollte, sie machen lassen, was ich tun würde, ihr die Augen öffnen für all die Wunder der Fantasie. Ich entfloh meinem Ich. Ließ meine Hülle weit hinter mir und folgte meiner Fantasie in  die Unendlichkeit. Ich ging zu den Sternen, wo meine Träume mich bestimmt am Hellsten scheinen lassen würden.


LG Xasziia


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Beitrag12.02.2008 19:50

von Leona
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Hallo Xa!
Sehr guter Text. Gefällt mir wie sonst.

Zitat:
Ich seufzte und holte wieder ein neues Buch.

Wieder? Das klingt so, als ob sie ein Buch gelesen hat, ein neues geholt hat, dieses das durchgelesen und dann noch ein Buch geholt hat. Schreib doch: ... und holte mir ein neues Buch
Du schreibst auch, dass du das Buch zuklappst, aber du packst es nicht weg. Leg es doch auf den alten Teppich, den kleinen Nachttisch, werf es auch die zerknitterte Bettdecke... Dabei kannst du dem Leser gleich ein bisschen den Raum beschreiben.

Zitat:
Ich aß missmutig mein Frühstück…

Schreibt sie das? Dann schreib es doch in kursiver Schrift, um es zu verdeutlichen. Ich bin drüber gestolpert.

Sehr schöner Text, wieder die schönen Gedanken. Besonders gefällt mir der Abschnitt mit dem Schreiben der Geschichte. Wenn ich schreibe, vergesse ich auch oft die Zeit. Das Telefon oder mein Magen holen mich dann zurück smile
lg,
Leona
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Xasziia
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Beitrag12.02.2008 20:11

von Xasziia
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Danke Leona, du bist wirklich unermüdlich!
Freut mich, dass dir der Teil gefällt. Und wie immer hast du die Schwachstellen  aufgedeckt. Ich werde es schleunigst verbessern.
Hdl
Anja


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Xasziia
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Beitrag06.03.2008 15:06

von Xasziia
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So, hier ein weiterer Teil, falls es noch jemanden interessiert.

Ich blickte aus dem Fenster. Regen. Seufzend stand ich auf und nahm meinen Ranzen. Es war viertel vor Acht.
 „Fahr vorsichtig, Mausi, und pass auf dich auf. Viel Glück bei Englisch.“ „Mach ich. Bis nachher. Tschüss.“
Die Tür fiel hinter mir ins Schloss und ich holte mein Fahrrad und fuhr los. Es waren keine richtigen Tropfen, mehr so ein Sprühregen, der sogar die geschützten Stellen erreichte. Meine Hose wurde klamm innerhalb weniger Minuten und ich spürte, wie die Feuchtigkeit weiter zu meinen Knien vordrang. Ich hatte das Gefühl, meine Gelenke saugten sich voll mit Wasser und Kälte. Es fing an zu brennen. Kaltes Feuer breitete sich aus. Ich fuhr schneller, versuchte meine Gedanken auf die bevorstehende Arbeit zu lenken. Feuerzeug, was heißt Feuerzeug? Falsch. Es brannte. Ich schüttelte langsam den Kopf und suchte nach einer schönen Erinnerung in meinen Gedanken. Aber ich fand nichts. Schöne Momente, fröhliche Erlebnisse, es war ausgelöscht. Fand ich eine Erinnerung, zerrann sie mir, kaum versuchte ich mich daran festzuhalten. Der Schmerz sperrte sie ein, ließ sie in das Unerreichbare rücken. Gleich bist du im Warmen, fahr einfach weiter, Luzia, sprach ich mir selbst zu. Ich trat fester in die Pedale. Nur noch diese Straße, dann bin ich da. Meine Sicht verschleierte sich durch den sanften Vorhang aus Regenfäden. Wie ein Spinnennetz umgab mich das Wasser, erreichte mich überall und hielt mich fest. Ich fuhr noch schneller, kämpfte dagegen an und raste schließlich erleichtert durch das Schultor. Hastig schloss ich mein Fahrrad an, packte meine Tasche und eilte zu unserem Trakt. Meine Füße schmerzten und mein Knie brannten, aber ich versuchte es zu ignorieren. Konzentrier dich auf das Gehen. Ein Fuß vor den anderen. Ich versuchte einfach zu vergessen, mir einzureden, da wäre nichts.
 Meine Lehrerin schloss gerade den Raum auf, als ich eintraf. „Luz, Luz! Hast du gelernt? Kannst du Englisch?“ Melanie schoss auf mich zu, kaum dass sie mich gesehen hatte. „Ja, ich hab gelernt und du? Sauwetter heute, was?“ Ich grinste ihr entgegen. Sie nickte und begann mich auszufragen, während ich in die Klasse drängte. Wärme umfing mich und ich ließ mich erlöst auf meinem Platz nieder. Melanie fragte mich etwas und ich antwortete geistesabwesend. Langsam streckte ich meine Beine aus und stöhnte leise, als der Schmerz durch meine Beine fuhr. „Ist was, Luz?“ Erschrocken zuckte ich zusammen. „Nein, alles in Ordnung.“, versuchte ich es mit einem etwas gequälten Lächeln. „Kommt bitte zur Ruhe und zieht dir Tische auseinander.“, tönte die Stimme meiner Lehrerin durch den Raum. Ich stand auf, ohne auf ihre fragende Miene weiter einzugehen und räumte meinen Stuhl und meine Sachen an das andere Ende des Tisches.
„Krieg ich auch ein Kaugummi, Lena?“ „Kann ich auch?“ Meine Klassenkameraden scharten sich um Lena, die eine Maxipackung Wrigleys auf dem Tisch liegen hatte. Kaugummi sollte angeblich helfen, sich zu konzentrieren. Keine Ahnung, welcher Lehrer uns das erzählt hatte. Es war auch egal. Ich glaubte daran nicht, aber da ich mich nicht ausschließen wollte, folgte ich Melanie. Wir warteten bis die meisten ein Kaugummi hatten, dann fragte ich Lena ebenfalls. „Ich hab leider keins mehr, tut mir Leid.“, meinte sie schulterzuckend und drehte sich weg. „Ist nicht schlimm.“, antwortete ich ihrem Rücken und ging wieder auf meinen Platz zurück. Als ich nochmal zu ihr herübersah, gab sie gerade Kevin ein Kaugummi.
„So, seid jetzt bitte ruhig. Wer jetzt noch redet, bekommt eine Sechs.“, meinte unsere Lehrerin und begann die Arbeiten auszuteilen.
„Viel Glück!“, flüsterte ich Melanie über den Tisch zu und lächelte ihr zu. Sie nickte nervös und begann dann hastig in ihrer Federtasche zu kramen.
„Ihr könnt die Arbeiten jetzt umdrehen. Um Neun ist Abgabe.“

Ich nahm meinen Füller und begann mir die Aufgaben durchzulesen. Ruhig begann ich schließlich, zu arbeiten. Englisch konnte ich. Englisch hatte ich gelernt. Ich richtete all meine Gedanken auf dieses Thema. Durch meine Konzentration waren die Schmerzen in den Hintergrund getreten. Die feuchte Hose wurde allmählich wieder trocken durch meine Körperwärme, aber meine Knie brannten unverändert weiter. Nach einiger Zeit blickte ich auf. Halb neun. Ich lag gut in der Zeit. Ich beugte mich wieder über das Blatt und las mir die nächste Aufgabe durch. Plötzlich verschwand das Brennen in meinem Knien. Überrascht hielt ich inne und wartete. Das war noch nie passiert. Behutsam drehte ich mein Bein, beugte es und spannte es an, aber nichts passierte, außer dass mir meine Lehrerin einen warnenden Blick zuwarf.
Was war das? Ein Kribbeln setzte ein in meiner Hüfte. Nicht schmerzhaft, aber unangenehm. Langsam streckte ich das Bein und versuchte mich dann wieder der Arbeit zuzuwenden. Eine Weile arbeitete ich, aber ich war nicht mehr so gelassen wie zuvor. Das Kribbeln erfasste mein Bein und wurde stärker. Jetzt hatte es mein Knie erreicht. Unruhig versuchte ich mein Bein zu entspannen. Arbeite weiter, Luzia. Ich versuchte mich auf meine Arbeit zu konzentrieren und schrieb weiter. Das Kribbeln nahm zu und jetzt setzte wieder das Brennen ein. Ich konnte nicht mehr denken. Die Mauer aus Schmerzen war wieder in meinen Gedanken und ich legte den Stift aus der Hand. Sollte ich fragen, ob ich raus kann? Nein, das kann ich nicht machen. Jetzt prickelte mein ganzes Bein und ich musste vor Schmerz leise keuchen. Melanie blickte auf und sah mich irritiert an. Ich grinste verkrampft und nahm den Stift wieder in die Hand. Ich hatte das Gefühl, mein Bein stände kurz vor einer Explosion.
Fahrig setzte ich meinen Füller wieder auf und schrieb einen weiteren Satz, aber ich konnte meine Gedanken nicht ordnen. Ich begann mein Knie zu massieren und dehnte den Fuß, aber es hörte nicht auf. Von der Hüfte hinab, schmerzte jetzt alles und ich konnte nur mit Mühe an mich halten, sonst wäre ich aufgesprungen und aus dem Raum gelaufen. Doch plötzlich hörte es auf. Ich spürte gar nichts mehr. Nichts. Vorbei. Mein anderes Bein schmerzte nach wie vor unnachgiebig, währen ich beim anderen jetzt gar nichts mehr spürte. Halb erleichtert, halb verunsichert pikste ich in meinen Oberschenkel. Und spürte nichts. Jegliches Gefühl war verschwunden. Und es kam die Angst. Die Erleichterung war verschwunden, nur noch Angst und Schmerz erfüllten mich noch.
Entsetzt kniff ich mich selbst und verdrehte die Haut. Aber ich spürte nichts. Das konnte nicht sein. Mein Verlangen aufzuspringen wurde immer größer. Was war das? Panisch trommelte ich jetzt auf mein Bein ein und rutschte auf meinem Platz hin und her.
„Luzia…“, ermahnte mich meine Lehrerin. Tränen sammelten sich und wollten hinter der sorgsam erbauten Mauer hervorbrechen. Was war mit meinem Bein? Warum spürte ich nichts mehr? Mein Blick fiel auf die Uhr. Viertel vor neun. Verstört versuchte ich mich wieder zu beruhigen. Hoffnungslos. Meine vernünftige Seite mahnte mich zur Ruhe, aber die Angst überlagerte alle anderen Dinge. Ich hatte Angst davor nicht mehr laufen zu können. Angst, dass ich nie wieder vollständig fühlen würde. Verzweifelt stach ich erneut in mein Bein. Normalerweise hätte ich zumindest empört Aua gesagt, aber ich spürte nicht das Geringste.
Zehn vor. Der Sekundenzeiger rückte unaufhaltsam vorwärts.
Denk nicht daran, Luzia. Es wird alles wieder gut. Arbeite!
Ich umklammerte meinen Stift, als wäre er meine einzige Waffe. Schreib! Ich begann die Wörter förmlich in das Papier zu ritzen- ein verzweifelter Versuch die Angst verschwinden zu lassen. „Noch fünf Minuten.“ Unachtsam schrieb ich vor mich hin. Ich wusste, dass diese Arbeit für mich gelaufen war. Aber sie war bedeutungslos. Eine Arbeit konnte man ausgleichen, ein Körperteil nicht. Die Schule bedeutete nicht das Leben, sie war zweitrangig.
Konnte ich laufen, wenn ich kein Gefühl mehr besaß? Würde es sich auch noch auf das zweite Bein ausbreiten?
„Kommt jetzt bitte zum Ende.“ Ich kritzelte einen letzten Satz hin und suchte die Blätter aufgewühlt zusammen. Unsere Lehrerin sammelte die Arbeiten ein. Es war die längste Zeit, die ich jemals warten musste. Jeder Schritt war in Zeitlupe, bei jedem Tisch blieb sie zu lange stehen.
„Und wie ist es gelaufen?“, hörte ich Melanie durch die Mauer der Angst sagen. War es wirklich Melanie? Ich nickte wortlos, aus Angst mich durch meine Stimme zu verraten. Da, schon wieder. Ich hatte Angst.
Plötzlich durchfuhr mich ein stechender Schmerz. Eine Bombe hätte mich nicht unvorbereiteter treffen können. Schmerzerfüllt stöhnte ich auf und krümmte mich zusammen. Das war selbst für meine Verhältnisse zu viel. Und plötzlich spürte ich mein Bein wieder. Der Schmerz war wieder da, doppelt so bohrend wie davor. Ich wimmerte leise und meine Sicht verschleierte sich vor Qualen. „Was ist, Luzia?“ Das war Melanie. Ich schüttelte den Kopf und umklammerte mein Bein. „Aua…“. Mehr brachte ich nicht hervor.
„Was ist mit ihr?“ Meine Lehrerin war auf mich aufmerksam geworden. Ich beugte mich über mein Bein und wiegte mich stumm weinend hin und her. Lass es abklingen! Mach, dass es vorüber ist, bitte! Hilf mir! Bitte! Ich schluchzte leise auf. „Luzia, hörst du mich?“ Jemand fasste mich am Arm. Ich reagierte nicht. Niemand konnte mir helfen. Niemand. Mein Bein krampfte sich zusammen und ein fruchtbares Zerren kam zu dem erbarmungslosen Brennen. Ich stöhnte unterdrückt. Was habe ich getan? Sag mir, womit habe ich das verdient?

LG Xasziia


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Rheinsberg
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Beitrag06.03.2008 16:42

von Rheinsberg
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Tolle Beschreibung der Schmerzen. Sehr nachfühlbar.

Ich könnte allenfalls Kleinigkeiten kritisieren.

Zitat:
Die Tür fiel hinter mir ins Schloss und ich holte mein Fahrrad und fuhr los.

Zweimal "und" - was hältst du von: "Die Tür fiel hinter mir ins Schloss. Ich holte mein Fahrrad und fuhr los."

Zitat:
Ich schüttelte langsam den Kopf und suchte nach einer schönen Erinnerung in meinen Gedanken. Aber ich fand nichts. Schöne Momente, fröhliche Erlebnisse, es war ausgelöscht.


Das "es" passt nicht - ich denke, du müsstest den Plural nehmen.

Zitat:
„Nein, alles in Ordnung.“, versuchte ich es mit einem etwas gequälten Lächeln. „Kommt bitte zur Ruhe und zieht dir Tische auseinander.“, tönte die Stimme meiner Lehrerin durch den Raum. Ich stand auf, ohne auf ihre fragende Miene weiter einzugehen und räumte meinen Stuhl und meine Sachen an das andere Ende des Tisches.

"... ihre fragende Miene" bezieht sich doch auf Melanie, so wie hier die Satzfolge ist, scheint es sich aber auf die Lehrerin zu beziehen.


Zitat:
Ein Kribbeln setzte ein in meiner Hüfte.

In meiner Hüfte begann es zu kribbeln?
Im folgenden Absatz verwendest du dann vielfach das Wort "kribbeln" - vielleicht könntest du dir ein Synonym suchen und die Wiederholungen vermeiden.

Zitat:
Mein anderes Bein schmerzte nach wie vor unnachgiebig, währen ich beim anderen jetzt gar nichts mehr spürte.

Ich denke, da musst du mit "rechtes" und "linkes" Bein arbeiten.



Zitat:
Ich kritzelte einen letzten Satz hin und suchte die Blätter aufgewühlt zusammen.

Das "aufgewühlt" passt hier nicht ganz, weil es sich ja eigentlich nicht auf das Zusammensuchen bezieht.


Ich würde aber weiterlesen. Du kannst gut erzählen.


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Beitrag06.03.2008 16:53

von Gast
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Zitat:
Wir warteten bis die meisten ein Kaugummi hatten, dann fragte ich Lena ebenfalls. „Ich hab leider keins mehr, tut mir Leid.“, meinte sie schulterzuckend und drehte sich weg. „Ist nicht schlimm.“, antwortete ich ihrem Rücken und ging wieder auf meinen Platz zurück. Als ich nochmal zu ihr herübersah, gab sie gerade Kevin ein Kaugummi.
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Beitrag06.03.2008 17:07

von Leona
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Hallo Xa,
wie die vorherigen Teile finde ich diesen Textabschnitt sehr schön! Weiter so! Rheinsberg war ja sehr fleißig, mehr habe ich auch nicht gefunden smile
lg,
Leona
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Xasziia
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Beitrag06.03.2008 17:53

von Xasziia
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Danke für die vielen Antworten,
Rheinsberg, vielen Dank für die Mühe, die du dir gemacht hast, das wird sofort übertragen. Ich weiß, dass ich das Wort kribbeln oft benutzt habe, aber ich finde "prickeln", als Synonym z.B. nur bedingt passend. Aber ich werde mir noch mal gedanken machen smile
Freut mich, dass ihr mitlest, Leona und Maddin Wink
LG Xasziia


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Beitrag10.03.2008 22:34

von Gabi
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Hallo Xa, bin auch wieder voll dabei.
Einfach nur Top, wie du die Gefühle, die Schmerzen und Luzias Wahrnehmungen beschreibst. Daumen hoch

Etwas ist mir noch aufgefallen. Aber nur klitzekleine Kleinigkeiten.

Zitat:
„Nein, alles in Ordnung.“, versuchte ich es mit einem etwas gequälten Lächeln. „Kommt bitte zur Ruhe und zieht dir Tische auseinander.“, tönte die Stimme meiner Lehrerin durch den Raum. Ich stand auf, ohne auf ihre fragende Miene weiter einzugehen und räumte meinen Stuhl und meine Sachen an das andere Ende des Tisches.


Die Punkte musst du weglassen.
Außerdem wäre es nicht schlecht wenn du die Gedanken kursiv setzt und ein bisschen mehr Absätze einbringst.
Ansonsten freue ich mich auf mehr!

L.G.
Gabi


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Beitrag10.03.2008 22:39

von Xasziia
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Hui, das ging aber fix Gabi!
Danke für dein Kommentar.
Wörtliche Rede scheine ich nie so ganz gefressen zu haben. Darf man diese Punkte wirklich nicht setzen?
Hmm, das wär mir neu.
Aber danke für den Hinweis und für das Lesen  Wink
LG Xa


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Gabi
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Beitrag11.03.2008 00:01

von Gabi
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Zitat:
Darf man diese Punkte wirklich nicht setzen?
Hmm, das wär mir neu.


Nö! Weglassen, auf jeden Fall! Wink Ausnahmen sind natürlich Frage- und Ausrufezeichen.

L.G.
Gabi


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Beitrag27.03.2008 17:42

von Gast
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Gehts hier weiter?  Razz
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Ralphie
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Beitrag27.03.2008 17:56

von Ralphie
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Also, ich finde es sehr gut. Schau dir mal bitte in meiner Werkstatt an, was ich über die drei Auslassungspunkte geschrieben habe.  Very Happy
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Xasziia
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Beitrag27.03.2008 18:22

von Xasziia
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Es kommt demnächst ein neuer Teil, Maddin. Hab nur gerade weder die Nerven noch die Zeit dazu, wie du weißt Rolling Eyes
Ralphie, es freut mich, dass du es gern gelesen hast. Ich würde mir das mit den Auslassungspunkten gern nochmal anschauen, nur leider finde ich die passende Lektion gerade überhaupt nicht. Hast du sie beschriftet, oder ist sie unter den ersten, die keine Überschrift haben?
LG Xasziia


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Edgar Allan Poe (1809 bis 1849) - Zum 200. Geburtstag
Beitrag07.04.2008 14:37

von Brynhilda
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Xasziia hat Folgendes geschrieben:
Es kommt demnächst ein neuer Teil...


Das freut mich auch sehr!
Ich lese immer wieder mal deinen Thread durch und hoffe, daß es bald weiter geht.

Liebe Grüße,
Ilka
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Beitrag08.04.2008 10:34

von Xasziia
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Es freut mich zu hören, dass soviele die Geschichte lesen und ich arbeite auch schon an einem neuen Teil. Allerdings habe ich momentan ein bisschen viel um die Ohren und da kommt diese Geschichte ein bisschen zu kurz.
LG Anja


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Beitrag26.04.2008 21:28

von Xasziia
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So, nach längerer Zeit ein neuer Teil. Ich arbeite auch schon an den folgenden, aber mein Terminplan ist recht straff und meine Kreativität ziemlich begrenzt  Crying or Very sad
Ehrlich gesagt, ich habe schon mal deutlich einfacher schreiben können und bestimmt war es auch mal gelungener, aber ich bin froh, überhaupt irgendetwas auf Papier zu bringen. Also seid nicht zu hart. Wink

An das Folgende konnte ich mich nur noch bruchstückhaft erinnern. Ich wurde von meiner Mutter abgeholt und schluckte eine Schmerztablette. Der Schmerz ließ nach und kehrte wieder zu seinem normalen Druck zurück. Als nächstes lag ich auf dem Sofa, den Blick auf unseren Garten gerichtet. „Hier ist deine Wärmflasche, mein Schatz. Geht es besser?“
Meine Mutter setzte sich neben mich und strich mir über den Kopf. Ich nickte und platzierte die Wärmflasche auf meinen Knien. Schweigen.
„Möchtest du darüber reden?“, fing sie schließlich an. Das würde ich selbst gern wissen. „Es war anders als sonst. Mein Bein fing plötzlich an zu kribbeln und wurde dann taub“ Ich erzählte ihr alles, während die Wärme meine Knie durchflutete. Meine Mutter nahm mich in den Arm und hörte schweigend zu.
Als ich schloss, meinte sie: „Ich habe bei Herrn Pollmann angerufen. Wir haben morgen einen Termin. Um zwölf. Eher ging es leider nicht“ „Er wird mir auch nicht helfen können“, murmelte ich. „Ach Luzia. Ich weiß auch nicht, was wir noch machen können. Die Tropfen haben dir doch bisher geholfen. Du konntest besser schlafen und die Schmerzen sind weniger geworden. Aber du musst auch etwas tun, damit es dir besser geht. Ich hab dich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen, wie du deine Entspannungsübungen machst. Ich glaube wirklich, dass dir das helfen würde, aber dafür bist du zuständig!“
Wortlos drehte ich mich auf den Bauch und barg den Kopf in ihrem Schoß. Das konnte doch nicht wahr sein. Jetzt war ich auch noch an diesem ganzen Theater Schuld. Ich wünschte mir das doch nicht! Ich hasste es! Was konnte ich dafür? Was hatte ich verdammt nochmal getan, dass ich das verdient hatte? Die Tränen kehrten zurück.
Meine Mutter strich mir tröstend durch die Haare, schwieg aber. Sie meinte es nur gut, und ich konnte sie verstehen. Seit fünf Jahren klagte ich über diese Schmerzen und von dem Geld, was bisher in meine Behandlungen geflossen war, hätte man wahrscheinlich halb Afrika ernähren können. Trotzdem ging es mir nicht besser und im Durchschnitt führten wir pro Woche fünf Gespräche, bei denen ich immer vollkommen in Tränen aufgelöst war. Ich war ein schlechtes Geschäft für meine Krankenkasse. Und ein gutes für die Ärzte.

LG Anja


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Edgar Allan Poe (1809 bis 1849) - Zum 200. Geburtstag
Beitrag27.04.2008 22:16

von Brynhilda
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Ich freue mich über die Fortsetzung.
Ansonsten ist alles gesagt.

Großartig geschrieben.

Liebe Grüße,
Ilka
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Beitrag04.05.2008 19:58

von Xasziia
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Hier der nächste Teil. Nichts Großes, aber immerhin etwas smile
Viel Spaß!

Die Begrüßung war nicht mehr und nicht weniger herzlich als beim letzten Mal. Ich hatte immer noch Probleme mit der Tür, aber immerhin war ich dieses Mal vorbereitet auf das, was kommen konnte.  
„Wir haben uns ja jetzt lange nicht mehr gesehen, Luzia. Wie geht es dir?“ Innerlich seufzte ich.
 „Es ging mir schon einmal besser“
Die absolut diplomatischste Antwort. Es verriet nichts über meine Laune oder meinen Zustand. Perfekt. Wäre da nicht der Haken gewesen, dass ich eigentlich hier war, um ehrlich zu sein. Nicht denken, Luzia. Einfach nur antworten.
 Frau Hildbarg nickte und notierte sich wieder einen halben Roman.
„Hast du etwas auf dem Herzen, das du mir erzählen möchtest?“ Immer doch. Ich kenne Sie ja so gut.
Mein Herz wog mehrere Tonnen, aber erzählen wollte ich ihr bestimmt Nichts.
Warum tat sie plötzlich so interessiert? Es war ihr doch egal, wie es mir ging. Ich führte ein verhältnismäßig einfaches Leben. Da gab es viel schlimmere Fälle.
 
Langsam schüttelte ich den Kopf.
 „Nun, dann würde ich gerne eine Übung mit dir machen. Jedes Kind, das zu mir kommt, bekommt seine eigene Schachtel, in der die Bilder und Zeichnungen aufbewahrt werden. Ich geb dir gleich so eine Schachtel, die basteln wir dann gemeinsam zusammen. Und deine erste Aufgabe wird sein, deine Familie und dich als Tier darzustellen“
Sie hörte sich an, als würde sie mit einer Fünfjährigen sprechen. Skeptisch folgte ich ihr und betrachtete die Pappe, die sie mir hinhielt. Das konnte doch nicht wahr sein. Erwartete sie ernsthaft, dass die Krankenkasse eine Bastelstunde bezahlte?
 Was bitteschön sollte es mir nützen, wenn ich malte?
Das konnte ich auch im Kunstunterricht.
 Und was war mit dem Zusammenbasteln?
 Anstatt sich zu mit zu gesellen, drehte sie sich um und fing an zu schreiben. Einen Moment starrte ich wütend auf den hageren Rücken, dann setzte ich mich wortlos hin und begann ein Namensschild zu malen.
Striche, Herzchen, Blätter und natürlich mein Name. Sie würde dann in die Ecke zu all den anderen Kisten gestellt werden. Mit all den anderen Namen. Einige der Schachteln waren randvoll und abgenutzt. Dieselbe kindliche Handschrift wie bei mir. Was war ihnen zugestoßen, dass sie hier gelandet waren?
Was hatte in ihnen Verzweiflung geweckt? Und was ließ sie diesen furchtbaren Mensch aushalten?
Für mich war dies keine Lösung, das hatte ich schon vom ersten Moment an gewusst. Natürlich half es, mir alles von der Seele zu reden, aber ich musste mich bei einer Person wohlfühlen, um zu erzählen. Oft hatte ich Angst, den Menschen auf die Nerven zu gehen und so erzählte ich lieber zu wenig, als zu viel. Erst wenn man mich ermutigte und wirkliches Interesse zeigte, erzählte ich. Ohne mir darüber Gedanken zu machen, was derjenige darüber dachte. Ich erzählte gern und viel, aber meistens hörte ich zu und schwieg. Zu viel wurde einem im Mund verdreht, an zu viel musste man denken, wenn man den Mund aufmachte.


Meine Familie als Tiere darstellen. Was war mein Bruder? Er redete viel und war rechthaberisch. Ein Papagei. Mein Vater? Definitiv ein Bär. Und meine Mutter? Ich überlegte länger, bis ich mich schließlich für eine Katze entschied. Sie sorgt für mich, ist aber sehr unabhängig. Und sie hat Überlebenswillen.
Den Gedanken an mich schob ich beiseite.
Seltsamerweise entspannte mich das Malen. Es herrschte Schweigen, während ich meine Striche zog. Jeder arbeitete für sich. Sie war wahrscheinlich schon mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Vielleicht dachte sie über die neue Farbe ihrer Vorhänge nach, die sie sich von dieser Stunde kaufen würde. Rosé oder doch lieber Lachs.
Luzia, werde nicht ungerecht, ermahnte meine bessere Hälfte mich. Ich warf Frau Hildbarg einen kurzen Blick zu, als sie plötzlich sprach. Telefon. Aha.
Was erwartete ich? Dass sie ihr Telefon nur für mich ausstellte? Wohl kaum.

Nach weiteren zehn Minuten legte sie auf.
 „Die Zeit ist leider schon um, Luzia. Wir sehen uns nächste Woche, ja? Komm gut nach Hause“
Ein kurzes Lächeln gepaart mit einem kraftlosen Händedruck. Und schon wurde die weiße Tür vor meiner Nase zugeknallt. Seufzend setzte ich mich auf einen der Stühle und schnürte meine Schuhe. Qualität von Schuhkay Comfort. Bequemlichkeit, volle Punktzahl. Modisches Aussehen, letzter Platz. Ich hasste meine Schuhe. So wie ich alles an mir hasste.   


LG Anja


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„Homo homini lupus est“
T. Hobbes
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