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Teil 20 Anna


 
 
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teccla
Geschlecht:weiblichLeseratte

Alter: 66
Beiträge: 160
Wohnort: Costa Blanca


Was suchst Du in Madagaskar?
Beitrag19.04.2008 13:39
Teil 20 Anna
von teccla
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

In den kommenden Tagen war Jan überaus nett und gut gelaunt. Ich registrierte kleine nette Gesten, ein Lächeln, eine Albernheit. Optimistisch ging ich darauf ein.
Alles wird gut, dachte ich mir.
Es war vielleicht nur Existenzangst oder Ungewissheit, Angst, ob wir es schaffen.
Ich war nun voller Zuversicht, dass unsere Beziehung die Probe bestanden hatte und wir unsere Kräfte vereint einsetzen würden. Gemeinsam geht alles besser. Wenn wir uns nicht gegenseitig belasten, sondern helfen, würden wir diese Krise bald vergessen haben.

Es war Ende Februar 2003.
Am Morgen nach einer zärtlichen Nacht, in der die Liebe uns verführte. In der sie uns zuflüsterte, sie sei noch immer da.
An diesem Morgen, an dem ich freudestrahlend aufstand, Kaffee aufsetzte und lächelnd Vorbereitungen für den Tag traf.
An diesem Morgen suchte ich nach einer leeren Diskette. Nichts ahnend setzte ich mich an den Rechner, schaute auf diverse Disketten, ob ich die darauf abgespeicherten Dateien löschen könnte. Eine der Disketten schien geeignet zu sein. Es war nur eine kleine Datei enthalten. Ich öffnete sie und mein Herz begann zu rasen.
Meine Welt wankte.

Es war eine Mail an eine „Anna“ in Berlin. Jan bedankte sich für die Zeit „bei und mit ihr“. Er gestand ihr seine Gefühle. Er wäre gern geblieben. Doch er war sich nicht sicher, ob sie eine Zukunft hätten. Immer wieder las ich diese Zeilen, versuchte mich zu konzentrieren. Versuchte zu begreifen, was ich da lese.
Mein Herz klopfte mir im Hals.
Was waren seine Worte überhaupt wert?
Konnte ich mich noch auf diesen Mann verlassen?
Wo lebte ich? Mit wem lebte ich?
In welchem Film war ich hier gelandet?
War ich die ganze Zeit blind?
Welches Spiel spielte er?
Ich konnte mich nicht konzentrieren, war nicht in der Lage, Antworten zu finden.
Ich zitterte. Ein Gefühl, als würde ich in einen Abgrund stürzen. Etwas zog mir die Beine weg. Freier Fall.
In diesem Augenblick kam Jan herein. Ich beobachtete ihn, seine Gestik, Mimik.
Konnte ich ihm vertrauen?
Wer war er?

Das Datum der Mail war zwei Wochen her. Fieberhaft versuchte ich mich zu erinnern, wann er mir sagte, ich sei seine große Liebe. Aber spielte das noch eine Rolle?
„Ist der Kaffee schon fertig?“ fragte er gut gelaunt.
“Ja, ich hole ihn, Moment.“ Der Weg in die Küche war eine Flucht.
Ich wusste nicht, was ich sagen, was ich denken sollte. Er tat so unschuldig.
“Jan, ich habe eine Diskette gefunden“ begann ich und reichte ihm die Tasse mit dem frisch gekochten Kaffee. „Darauf ist eine Mail an eine Anna.“
Jan sagte nichts. Er zündete sich eine Zigarette an. Ich wartete. Als er weiterhin schwieg, begann ich wieder.
Eine kluge Frau hätte sicherlich ganz anders gehandelt. Sie hätte diesen Vorfall zwar als Hinweis gesehen. Mit diesem Hintergrund war sein ganzes Verhalten in den vergangenen Monaten erklärbar. Ich hätte schweigen und die Nacht als neuen Anfang betrachten sollen. Immerhin hatte er dieser „Anna“ den Abschied erteilt.
Doch es bohrte in mir. Nicht der Umstand, Gefühle zu einer anderen Frau aufgebaut zu haben, war das Problem. Die Heimlichkeit und die menschliche Enttäuschung, der Vertrauensmissbrauch und die Unehrlichkeit ließen mir keine Ruhe. Er hatte nicht das Vertrauen zu mir, dass ich mit dem Problem normal, sachlich umgehen könnte.
Hätte er nicht sagen können „Ich habe eine andere Frau kennen gelernt und muss heraus finden, was ich will und zu wem ich gehöre.“ ? Ich hätte ihm die Zeit gegeben und hätte seine Reaktionen verstanden. Stattdessen habe ich mich wochenlang zerfleischt, woran es liegt, dass wir uns nicht mehr verstanden.
Ich hatte Ehrlichkeit erwartet, auch wenn diese unangenehm gewesen wäre. Ich konnte mit Ehrlichkeit besser umgehen als mit Hinterlist und Betrug.
„Was soll das? Ich warte hier in Tana auf dich und du amüsierst dich in Berlin. Was ist mit dieser Anna?“ polterte ich los.
“Was suchst du in meinen Disketten herum?“ versuchte er den Ball mir zu zu werfen.
“Entschuldige, es stand nicht dran, dass es DEINE Diskette ist. Ich habe eine leere gesucht, um Fotos abzuspeichern.“ Er trieb ein falsches Spiel und ich soll mich rechtfertigen?
“Jan, was ist mit dieser Anna? Was läuft da?“
“Das ist nur Träumerei.“
“Bitte? Träumerei? Oh, ich bin sehr wach!“ Wieso stand er nicht dazu? Warum sagte er nicht, was wirklich geschehen war? Jeder kann sich mal verlieben. Das passiert.
Es kam kein wirkliches Gespräch zustande. Die Unterhaltung wurde gestört, Georgina kam zum Putzen.
Doch meine Gedanken konnte ich nicht abstellen. Es ratterte in meinem Hirn wie in einem Rechenzentrum.
Was war in der Nacht, in der er in Berlin war, ich in Tana so weinte und das Gefühl hatte, etwas zerbricht gerade? War es diese Nacht? Habe ich es gespürt über tausende Kilometer hinweg?
Er sagte mir, er möchte, dass wir wieder zusammen finden. Ich sei seine große Liebe.
Ich sprach von Vertrauen.
Kann man Vertrauen nachbestellen, wenn der Vorrat gegen Null geht?

Wir hatten an diesem Punkt, die Möglichkeit neu zu beginnen, reinen Tisch zu machen. Doch weder er noch ich, fanden die richtigen Worte. Wir redeten aneinander vorbei.
Ich fühlte mich belogen. Er fühlte sich unverstanden und abgelehnt.

Nun begann meine Reise eine andere Dimension anzunehmen. Sie führte mich nicht nur nach Madagaskar und in ein neues Leben. Ich setzte mich mit mir auseinander, meinem Weg.
Ich sah die Berge, die wir erklommen und die Kämpfe, die wir ausgefochten haben, die kleinen Eitelkeiten und den Schmerz, der gefühlt werden wollte.
All das gehörte dazu, das nennt sich "Leben"!
Ich sah aber auch die Erkenntnis aus allem. Immer wieder wurde mir das Thema „Loslassen“ präsentiert.
Welche Kraft doch im Loslassen liegt. Den Besitz loslassen, materielle Verluste akzeptieren, Menschen loslassen, Gefühle loslassen.
Ja, ich würde auch meine Gefühle zu ihm loslassen können ... irgendwann.
Doch im Moment spürte ich Enttäuschung und Traurigkeit und die konnte ich, verdammt noch mal, nicht so einfach loslassen!
Immer wieder drehte sich das Gedankenkarussel.
Hatte er sich plötzlich verliebt? Bestand das Verhältnis schon als wir noch in Deutschland waren?
Warum redete er nicht darüber? So etwas kann doch passieren.
Aber dann muss er doch dazu stehen und wie passte sein Verhalten in dieses Bild?
Warum dann seine Worte von Liebe und Beziehung? Wie passte die letzte Nacht in diese Szenerie? War es nur Verlangen nach einer Frau, was ich für Liebe hielt? Beliebig austauschbar?

Der Arbeitstag hatte begonnen. Rondro erschien pünktlich. Wir hatten Termine. Keine Zeit für private Sorgen und Gedanken. Eine gute Gelegenheit zur Flucht. Flucht aus dieser Situation.
Ich verdrängte all die Fragen, stellte sie in eine Ecke, wie einen alten Schirm.
Jan nutzte den anbrechenden Tag auch. Er fuhr zu Gunter. Ich sah ihn nicht einmal zum Mittag. Er war für mich nicht erreichbar. Ging mir aus dem Weg. Er hatte so viel zu tun.

Ich spürte in den freien Minuten meinen Kummer und sah keinen Ausweg. Konnte nichts essen und wand mich doch dem Leben zu. Dem Leben im Süden, am Meer, wie es mein Traum war.
Hierher wollte ich, hier leben und nun sollte ich mich auch daran erfreuen.

Täglich erfüllte meine Aufgaben, die sich uns stellten. Wie eine Distel legte ich mir Stacheln zu, weinte in mich hinein.
Doch wenn ich nach vorn schaute, dann fühlte ich Kraft und Zuversicht. Jetzt endlich war ich fähig, diese Wut umzuwandeln in Energie. Ich lernte jeden Tag ein wenig mehr die Lektion „Loslassen“. Doch die große Prüfung sollte später kommen.

Nach einigen Tagen konnte ich die Sonne wieder sehen, auch wenn es nicht "mein Tag" war.
Ich sah die Schönheit, auch wenn Gefühle da waren, die mich zerreißen wollten.
Da saß ich am Meer, hörte die Brandung, spürte den leichten Wind im Haar und war ganz ruhig. Meine Seele ließ ich wie ein kleines Kind weinen und sah zu, wie die Sonne die verletzte Stelle streichelte und den Schmerz weg pustete. Ich wurde frei, streifte Fesseln ab, verlor an Last.
Die kleinen verbissenen alltäglichen Kämpfe mit Jan konnte ich ertragen und weilte doch in meiner inneren Mitte.
Bei aller Aufregung, Hektik und Existenzangst konnte ich innehalten und mich darauf besinnen, dass die Stürme des Lebens zwar heftig sind, aber ebenso vorüber gehen, wie ein warmer Sonnentag. Und ich fand immer öfter den Frieden und das Glück in mir selbst.
„Nach meiner Erfahrung besteht das wesentliche Merkmal des wahren Glücks in innerem Frieden.“ (Dalai Lama)

Meine Freundin fragte in einer Mail, ob ich es schon bereut hätte.
Ich antwortete ihr: „Nein, auf keinen Fall.“



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Wenn du immer nur tust, was du schon kannst, bleibst du, was du bist.
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Gabi
Geschlecht:weiblichReißwolf

Alter: 53
Beiträge: 1216
Wohnort: Köln


Beitrag21.04.2008 19:01

von Gabi
Antworten mit Zitat

Hallo Angela!

Ich lese deine Geschichte mit Spannung weiter. Dieser Teil ist wirklich traurig. Das was mit Jan passiert ist, kostet zusätzliche Kraft. Gespannt warte ich darauf, wie es weiter geht. Wink  

L.G.
Gabi


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"Das hier ist mein Dach und mein Tag!" (Oma Thea macht die Fliege)
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