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[Schneeballeffekt] Das Orchester

 
 
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Shinobi
Geschlecht:männlichErklärbär

Alter: 40
Beiträge: 3



Beitrag17.03.2016 16:22
[Schneeballeffekt] Das Orchester
von Shinobi
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Eine dumme Idee war das dachte Conrad, als er am Morgen nach einer durchzechten Nacht vor dem Spiegel stand und in sein zerknirschtes Gesicht schaute. Gott sei dank habe ich noch ein paar Stunden Zeit
bis zur Aufführung


Der Dirigent des Generalorchesters war normalerweise kein Trinker. Wenn er allerdings trank, war er nicht mehr zu stoppen. So auch am gestrigen Abend in einer kleinen Pinte in Glasgow. Drei seiner Orchesterkollegen begleiteten ihn zum Abendessen. Das kam regelmäßig vor und war nicht ungewöhnlich. Seltsam wurde es erst, als einer seiner Kollegen ihn in eine kleine Wahrsager-Stube gezogen hatte.
>>Na los Conrad, was bringt dir die Zukunft. Wirst du der größte Dirigent aller Zeiten? Komm schon, da ist doch nichts bei. Lass dir aus der Hand lesen.<<
Die Worte klangen an diesem Morgen noch frisch in seinem Kopf. Der Gedanke an die Minuten nach diesem Spruch, ließen ihm allerdings einen kalten Schauer über den Rücken laufen.

Mit einem schelmischen Grinsen über seine eigene Naivität beugte Conrad sich vor und mit den Händen schaufelte er sich einen Schwall kalten Wassers auf das Gesicht. Obwohl sein Herz einen kurzen Moment stehen zu blieben schien, erfrischte ihn das eiskalte Wasser. Seine verhärteten Muskeln entspannten sich ein wenig. Aberglaube, nichts weiter! Wer glaubt an so einen Schwachsinn?
Leicht erfrischt begab er sich an den kleinen, in die Wand eingebauten, Kleiderschrank des Hotelzimmers. Sorgfältig nahm er den schwarzen Anzug und das weiße Hemd aus dem Schrank und zog ein Teil nach dem anderen an. Zuletzt stülpte er die schwarzen Businessschuhe über und beugte sich vor um die Schnürsenkel zu binden. Schon beim ersten Zug riss der Schnürsenkel des linken Schuhs. Kein Drama dachte er ich habe ja noch einen Ersatzschnürsenkel im Koffer. Nun wendete er sich zunächst dem rechten Schuh zu. Das linke Ende gepackt, das rechte Ende und dann ein kräftiger Zug. Mit einem dumpfen knack riss auch der andere Schnürsenkel. Conrad konzentrierte sich darauf die Fassung zu wahren. Er konnte das jetzt überhaupt nicht gebrauchen. Eifrig durchsuchte er den Koffer und hoffte insgeheim noch ein weiteres Ersatzexemplar zu finden. Zu seiner Verwunderung jedoch fand er nicht einmal das Erste.

Wie ein Idiot kam er sich vor, als er den Flur des Hotels bis zum Aufzug entlang schlürfte. Die unverschlossenen Schuhe gaben ihm kaum Halt.

Im Fahrstuhl holte er tief Luft. Während er sich im Spiegel betrachtete und Stockwerk für Stockwerk dem Erdgeschoss näher kam, musste er unweigerlich wieder an die Prophezeiung der alten Wahrsagerin denken:
>>Schon bald<< schaute sie ihn eindringlich durch ihre großen grün-gelben Augen an >>wird ein Tag alles verändern. Ein Tag in deinem Leben wird ausreichen um dein Werk zu zerstören!<<. Erzürnt hatte er seine Hand aus ihren Händen entrissen. >>Schluss jetzt mit dem Hokus Pokus, nimm dein Geld, wir verschwinden hier!<< fluchte er.
Sie allerdings sprach weiter >>Du kannst deinem Schicksal nicht entfliehen<< Mit einem lauten Knall schlug er die Tür hinter sich zu und suchte augenblicklich die kleine Bar schräg gegenüber auf. >>Ich brauche jetzt einen Scotch.<< wies er die anderen in befehlsartigem Ton an, während er sich auf eine kleine Eckbank setzte.

Eigentlich war Conrad kein abergläubischer Mensch, aber irgendwas an dieser alten Frau machte ihm Angst. Das mulmige Gefühl in seiner Magengegend verstärkte sich beim Gedanken an den vergangenen Abend. Nach dem Frühstück wird alles anders beruhigte er seine Gedanken.

Am Frühstückssaal angekommen empfing ihn eine nette Servicekraft und begleitete ihm zu seinem Platz mitten im Raum. Die Lokation war fast voll besetzt. >>Kaffee mein Herr?<< >>Ja, bitte. Mit Milch.<< sein Tonfall klang ein wenig genervt. Er versuchte Zorn und Angst zu unterdrücken. Er hatte einen Ruf zu verlieren und wollte nicht, dass das Personal ihn als Griesgram in Erinnerung behielt.
Mit der selben Freundlichkeit wie zuvor servierte ihm die junge Dame seinen Kaffee und eine kleine Kanne frischer Milch. Der Duft der frisch aufgebrühten Kaffeebohnen war eine Wohltat für ihn. Die Anspannung fiel ab und seine Sorgen verflüchtigten sich von einen auf den anderen Moment. Voller Vorfreude auf den ersten Schluck kippte er ein paar Tropfen Milch in seine Tasse. Mit dem perfekt glänzenden Silberlöffel tauchte er in die dunkelbraun-weiß gemischte Flüssigkeit ein und verrührte sie, bis die Milch sich komplett mit dem Kaffee zu einer hellbraunen Symphonie verband.
Vor dem ersten Schluck, sog er noch einmal einen tiefen Atemzug des frischen Kaffeeduftes in sich ein. Langsam floss die warme Flüssigkeit in seinen Mund. Und dann lösten seine Geschmacksnerven einen Ekel in ihm aus. Die saure Milch hatte den Kaffee ungenießbar gemacht. Ein tiefer Hustenreflex sorgte dafür, dass er die Flüssigkeit aus seinem Mund auf dem Tisch und dem gegenüber liegenden Stuhl verteilte. >>Verfluchte Scheiße, was ist das für ein Service!<< platze es aus ihm heraus. Die Anspannung der letzten halben Stunde entlud sich in seinem Ärger. Alle Gäste und das Personal schauten ihn entsetzt an. >>Stimmt etwas nicht mein Herr?<< kam die junge Servicekraft herbeigeilt. >>Sieht das hier etwa so aus, als ob alles in Ordnung wäre?<< fauchte Conrad zurück. >>Was haben sie mir für einen Mist serviert, die Milch in ungenießbar!<< Die junge Frau errötete. >>Das tut mir sehr leid. Ich bringe ihnen sofort eine neue Kanne.<< >>Die können sie ihren Küchenkräften zu trinken geben, ich trinke hier nichts mehr.<< Conrad merkte wie er sich in die Situation reinsteigerte. Es tat gut seinem Druck Luft zu machen, allerdings war ihm der Umstand nach kurzer Zeit doch unangenehm. Als er gerade fertig war, seinen Anzug mit einem Tuch abzutupfen, eilte der Koch aus der Küche herbei. >>Mein Herr, glauben Sie mir, es tut uns sehr leid. Wir kommen für alle Kosten auf. Unsere Milch wird jeden Morgen frisch geliefert, ich kann mir selbst nicht erklären wie es dazu kam.<< Conrad schüttelte nur mit dem Kopf und entgegnete >>Dann probieren sie ihre Milch doch das nächste mal bevor sie sie ausliefern.<<
Mit seinem kleinen Finger tauchte der Koch in die Milch und testete sie  vorsichtig in seinem Mund. >>Aber...aber, mein Herr, die Milch ist nicht schlecht.<< Nun trank er einen Schluck vom Rest der Kaffeetasse. Der Kaffee schmeckte wie immer, frisch und aromatisch. Stirnrunzelnd blickte Conrad dem Koch ins Gesicht. Sichtlich beschämt stürmte er aus dem Speisesaal und flüchtete augenblicklich zurück in sein Hotelzimmer. Sein Herz pochte ihm bis zum Hals als er die Türe hinter sich schloss. Panik stieg in ihm auf. Hatte die alte Frau gestern einen Fluch über ihn gebracht? Er wusste nicht mehr was richtig und was falsch war. Was sollte er tun? Er überlegte kurz das Konzert an diesem Abend abzusagen aber das würde der Organisator ihm nicht verzeihen. Fiebernd suchte er nach Gründen aber nichts plausibles fiel ihm ein.
Den Rest des Tages verbrachte er eingeschlossen in seinem Hotelzimmer. So konnte ihm kein weiteres Missgeschick passieren. Als er sich um 17:00 Uhr begann fertig zu machen, hatte er sich weitestgehend beruhigt. Es blieb einzig und allein das Unwohlsein in seiner Magengegend. Jede Bewegung führte er sorgsam aus, immer mit Bedacht auf etwaige Vorfälle die passieren könnten. Mit Fingerspitzengefühl knüpfte er das neue Hemd zu, dabei behandelte er jeden Knopf als wäre es ein kleiner Drahtseilakt. Als das Hemd ohne den Verlust eines Knopfes zugeknüpft war, atmete er durch. Auch die Hose und das neue Sakko konnte er ohne weitere Vorfälle anziehen. Die Hose war ihm ein wenig zu eng, weshalb er bei ihr besonders behutsam vorging. Auf dem Weg hinunter zum Taxi entschloss er sich das Treppenhaus zu nutzen. Er war fest entschlossen dem Schicksal keine weitere Vorlage zu geben, um die Vorhersage der alten Frau in die Realität zu verwandeln.

Die letzten Zweifel verflogen als Conrad im Backstage Bereich des alten Konzerthauses eintraf und seine Assistentin ihm ein paar Schnürsenkel reichte, welche er problemlos zum schließen der Schuhe verwendete. Es ist vorbei flüsterte er zufrieden zu sich selbst. Seine Laune besserte sich von Minute zu Minute und als er die Meldung bekam, dass die Abendkasse nun auch die letzte Karte verkauft hatte und das Haus ausverkauft sei, war er sicher, dass das Glück zurück auf seiner Seite war.

Der Moment des Abends war gekommen. Vor seinem Orchester erhob er den Dirigierstab und mit einer dynamischen Bewegung von unten nach oben begannen die vor ihm sitzenden Musiker zu spielen. Plötzlich begann sein Herz wieder schneller zu schlagen, Panik machte sich in ihm breit. Er hatte das falsche Stück vor sich liegen. Sie hatten an einer neuen Version eines alten Klassikers gearbeitet, die Conrad in seinem Koffer hat liegen lassen. Augenblick wurde ihm kalt und warm gleichzeitig. Die 350 Zuschauer hinter ihm, würden vermutlich nicht so viel Verständnis für diesen Fauxpas haben. Er versuchte sich krampfhaft zu erinnern und improvisierte bis dahin. Das Orchester allerdings spielte in unterschiedlichem Tempo und das Stück missriet vollkommen. Nach und nach verließen die Zuschauer die Ränge und der ein oder andere Musiker hörte sichtlich irritiert auf zu spielen. Dann fiel ihm zu allem Überfluss noch der Dirigierstab aus der Hand. Hektisch bückte er sich und vergas dabei, dass er eine straff sitzende Hose anhatte. Sie riss. Eine lange Spalte in seiner Po-Gegend entblößte seine Shorts, die mit vielen kleinen roten Herzen geschmückt war. Er hatte vergessen, seine Unterwäsche zu wechseln. Das Publikum brach in tosendes Gelächter aus und Conrad versank sprichwörtlich im Erdboden. Er huschte entsetzt von der Bühne und brüllte seine Assistentin an alles abzusagen. Die Vorstellung war hinüber. Sein Ruf war ruiniert. Ohne Umwege rannte er aus dem Konzerthaus und sprang in ein wartendes Taxi. Noch auf dem Weg ins Hotel bemerkte er plötzlich, dass die alte Frau recht behielt. Auf seinem Blackberry traf eine Nachricht ein und die Überschrift verriet ihm genug: Auflösung des Vertragsverhältnisses!
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