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Constantine Bücherwurm
Beiträge: 3308
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06.03.2016 19:00 Selina und ich von Constantine
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Selina und ich
Selina starrt mich an und weint. Ich helfe ihr wieder, halte für sie die Gabel – unsere Eltern unterhalten sich am Tisch – und führe den Arm. Sie öffnet die zuvor zusammengepressten Lippen und macht mir nach, wie ich kaue, dabei wandern ihre Augen umher.
Keine Sorge, niemand wird uns entdecken.
Ich streiche ihr Haar vom Gesicht.
»Schlimmen Tag gehabt, Seli?«, fragt Papa.
Ich antworte – sie würde nur schreien.
In unserem Bett umklammert sie ihren Teddy und rollt sich ein. Sie zittert. Ich ziehe die Bettdecke über den Kopf.
»Schlaf gut, Liebes.« Mama löscht das Licht und schließt die Tür.
Selina lauscht – ich schlafe ein.
Ihr Schrei weckt mich – die Tür knarrt, Schritte –, presst mich von sich – abstreifende Pantoffeln –, ich schwebe zum Fenster – raschelnder Stoff – und fliege hinaus. In die Nacht. In den Sternenhimmel.
Unter. Mir. Schrumpft. Unser. Haus. Die. Stadt. Alles. Zu. Einem. Hellen. Flackernden. Punkt.
Als das Licht verglimmt, tauche ich in die Dunkelheit, zurück in die Stadt, ins Zimmer, in Selina. Die Bettdecke liegt herunter gestrampelt auf dem Boden, der Teddy daneben. Sie schluchzt und zittert. Ich hebe den Teddy auf – sie presst ihn an sich – und decke uns zu.
Weitere Werke von Constantine:
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Gast
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06.03.2016 21:23
von Gast
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Mit diesem Text weiß ich absolut nichts anzufangen. Vor allem das Ende hat mich irritiert - von dem habe ich nichts verstanden. Vielleicht habe ich ein Brett vor dem Kopf und sehe das Offensichtliche nicht, ich weiß es nicht. Umso gespannter bin ich natürlich auf die Auflösung.
Von mir gibt es leider keine Punkte.
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V.K.B. [Error C7: not in list]
Alter: 51 Beiträge: 6123 Wohnort: Nullraum
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07.03.2016 03:49
von V.K.B.
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Heftig!
Du beschreibst sehr "schön" das zum-Zuschauer-werden einer beginnenden Persönlichkeitsspaltung bei Missbrauchopfern. Das Flüchten aus dem eigenen Körper, alles sehr eindrucksvoll. Geht richtig unter die Haut und macht erstmal sprachlos.
8 Punkte von mir!
_________________ Let the cosmic muse I summoned forth inspire thee …
Warning: Cthulhu may still occasionally jumpscare people … |
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Literättin Reißwolf
Alter: 58 Beiträge: 1836 Wohnort: im Diesseits
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07.03.2016 07:32
von Literättin
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Eine wirklich heftige Kurzgeschichte über Missbrauch in der Familie, der vom Vater an einem Kind vollzogen und von der Mutter verdrängt / ausgeblendet / nicht realisiert wird. Gezeigt werden hier vor allem die Folgen für das Kind: eine dissoziative Persönlichkeitsspaltung.
Ein wenig zwiegespalten bin ich bezogen auf die Umsetzung des Themas in einem Kürzestgeschichtenwettbewerb. Lässt sich ein solches Thema im Hinblick auf die Umsetzung des Wettbewerbsthemas bewerten?
Nicht zu leugnen, dass hier eine der dunkelsten Arten der "Nachtseite" beleuchtet wird. Aber wie kann ich sagen, ob das gelungen ist, oder nicht?
Während die Dissoziation am Küchentisch einem beim Lesen wirklich die Haare zu Berge stehen lässt: es ist ein grausames Bild mit diesen "beiden" kleinen Kindern, von denen "das eine" noch vom "anderen" gefüttert wird, während der Vater die saublöde Frage nach einem "schlimmen Tag" vor absolut fürchterlichem und verschwiegenen Hintergrund der "schlimmen Nächte" stellt, steht dann auf der anderen Seite die weitere textliche Gestaltung - die aneinandergereihten Satzfragmente und die durch Punkt getrennten ein-Wort-Sätze. Beide wirken eher ... ich suche nach passenden Worten ... wie der reine Versuch einer Textgestaltung eines Effektes wegen, der sich allerdings vom vermittelten Inhalt getrennt hat.
Im Beginn der "Geschichte" werde ich als Leser geradezu unfreiwillig "in die familiäre Situation hineingezogen" - die Erkenntnis über das, was sich dort vollzieht geschieht mittendrin, während ich es lese (es ist insofern literarisch gelungen umgesetzt). Ich sitze da plötzlich wie ein stummer Zeuge mit am Küchentisch - und werde dann zum Zuschauer im Kinderzimmer.
Beides will ich nicht wirklich sein: Zeuge und Zuschauer und doch bin ich als Leser sehr nah dabei, ob ich will oder nicht. Eine "minimale Zumutung" um etwas rüber zu bringen, das so schwer rüberzubringen und die unvergleichlich viel schwerwiegendere Zumutung ist? Die "Gedanken" des dissoziierenden Kindes, die dann folgen erreichen mich dann jedoch nicht: hier erscheint mir vielleicht die Textgestaltung zu vordergründig und vor allem die ein-Wort-Sätze zu ... fast zu "hip", zu "werbetextig" ... irgendetwas in dieser Art.
Das Thema an sich ist ein herausforderndes. Bei dieser Umsetzung bin ich mir nicht wirklich sicher, ob ich Punkte vergeben kann. Es wird sich im weiteren Verlauf herausstellen.
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HerbertH Klammeraffe
Beiträge: 544 Wohnort: terra sol III
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07.03.2016 09:19
von HerbertH
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neutraler kommentar, um werten zu können
_________________ schiefwinklig ist eine kunst
© herberth - all rights reserved |
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hobbes Tretbootliteratin & Verkaufsgenie
Moderatorin
Beiträge: 4279
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07.03.2016 18:21
von hobbes
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Eine Rätselgeschichte. Es könnte um Kindesmisshandlung gehen. Es gibt aber auch Stellen, die dagegen sprechen. Dann könnte es alles mögliche andere sein. Ist aber wohl eher unwahrscheinlich.
Mich kriegt der Text jedenfalls nicht, dafür erreicht mich von Selina zu wenig und falls es tatsächlich um Misshandlung geht, kommt der Horror des Ganzen wenig bis gar nicht bei mir an.
Keine Punkte.
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anuphti Trostkeks
Alter: 58 Beiträge: 4320 Wohnort: Isarstrand
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07.03.2016 21:17
von anuphti
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Sehr beklemmende Beschreibung einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung aufgrund von Kindesmissbrauch.
Gänsehaut beim Lesen. Die dunkelste Seite einer Familie.
4. Platz
7 Punkte
LG
Nuff
_________________ Pronomen: sie/ihr
Learn from the mistakes of others. You don´t live long enough to make all of them yourself. (Eleanor Roosevelt)
You don´t have to fight to live as you wish; live as you wish and pay whatever price is required. (Richard Bach) |
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KeTam Ungeduld
Alter: 49 Beiträge: 4952
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08.03.2016 11:08
von KeTam
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In diesem Text hast du mehr weggelassen, als gezeigt und damit dem Grauen einen großen Platz zwischen den Zeilen eingeräumt, den dieses Grauen braucht. Ich finde das sehr gut umgesetzt.
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Oktoberkatze Eselsohr
Alter: 58 Beiträge: 314
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08.03.2016 16:25
von Oktoberkatze
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Bei dem Thema sind ja viele bittere Texte dabei, aber deiner hat mich derart aufgewühlt. Super geschrieben!
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Einar Inperson Reißwolf
Beiträge: 1675 Wohnort: Auf dem Narrenschiff
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08.03.2016 21:49
von Einar Inperson
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Ja, was ist das denn?
Inzest oder ein Brand, oder Inzest und ein Brand, oder Geschwisterliebe, oder Fürsorge, oder eine Persönlichkeitsstörung, durch Inzest ausgelöst, oder eine nächtliche Flucht vor dem Grauen zu den Sternen, bis alles vorbei ist.
Ja, eine erschütternde Geschichte. Ja, Nachtseiten in ihrer grausamsten Form.
Mehr gibt es nicht zu sagen.
10 Punkte
_________________ Traurige Grüße und ein Schmunzeln im Knopfloch
Zitat: "Ich habe nichts zu sagen, deshalb schreibe ich, weil ich nicht malen kann"
Einar Inperson in Anlehnung an Aris Kalaizis
si tu n'es pas là, je ne suis plus le même
"Ehrfurcht vor dem Leben" Albert Schweitzer |
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Seraiya Mondsüchtig
Beiträge: 924
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08.03.2016 22:51
von Seraiya
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Hallo Inko,
Ebenfalls ein schöner Text, der es aber leider nicht in meine Top Ten geschafft hat. Gerne gelesen.
LG,
Seraiya
_________________ "Some people leave footprints on our hearts. Others make us want to leave footprints on their faces." |
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Kopfkino Eselsohr
Alter: 40 Beiträge: 262 Wohnort: zwischen Fluss und Wald
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09.03.2016 21:24
von Kopfkino
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Dieser Text. Er erzeugt ein beklemmendes Gefühl.
_________________ Lächeln!
____
...
Stop complainig said the farmer
who told you a calf to be?
...
But whoever treasures freedom
like a swallow has learned to fly.
...
(Donna Donna, Zeitlin und Secunda, Übers. Joan Baez) |
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Heidi Reißwolf
Alter: 42 Beiträge: 1424 Wohnort: Hamburg
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09.03.2016 21:41
von Heidi
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Der Schluss deiner Geschichte ist sehr gelungen.
Natürlich braucht ein Schluss auch ein Davor - auch das ist dir gelungen. Aber vor allem das Ende hat mich mitgerissen und berührt.
Ich bin mit deinem Ich-Erzähler hinausgeflogen aus dem Fenster, zu den Sternen.
Du bekommst viele Punkte.
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tronde Klammeraffe
T
Beiträge: 524
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T 09.03.2016 22:48
von tronde
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Hallo!
Beklemmender Text. Diese Andeutungen sind klasse. Und dann die Dissoziation, gut beschrieben.
Oben dabei.
Grüße
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shatgloom Eselsohr
Beiträge: 372 NaNoWriMo: 27985 Wohnort: ja, gelegentlich
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10.03.2016 21:36
von shatgloom
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Wow, also wenn der Text die Bedeutung hat, die ich vermute, bin ich echt erschüttert.
Ich denke, hier erlebt ein Kind Schreckliches. Um dem zu entgehen, verlässt seine "Seele"? zeitweise den Körper. Die Persönlichkeit spaltet sich auf.
Was in diesem kurzen Text vermittelt wird, ist bewundernswert. Auf jeden Fall einer meiner Favoriten.
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Piratin Exposéadler
Alter: 58 Beiträge: 2186 Wohnort: Mallorca
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11.03.2016 15:59
von Piratin
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Hallo Inko,
harter Stoff, der mich zwar nicht kalt lässt, aber auch nicht so ganz packt. Ich denke es hätte mehr Worte gebraucht, um mir das "ich" näherzubringen.
Leider keine Punkte,
viele Grüße
Piratin
_________________ Das größte Hobby des Autors ist, neben dem Schreiben, das Lesen. |
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Jack Burns Reißwolf
Alter: 54 Beiträge: 1444
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11.03.2016 20:51
von Jack Burns
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7 Punkte
_________________ Monster.
How should I feel?
Creatures lie here, looking through the windows. |
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firstoffertio Show-don't-Tellefant
Beiträge: 5854 Wohnort: Irland
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11.03.2016 23:00
von firstoffertio
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Leider keine Punkte von mir. Es gab so viele Texte...
Dieser bleibt fuer mich ein Spiel, etwas fehlt mir.
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hypnobader Eselsohr
Alter: 63 Beiträge: 420 Wohnort: Voralpen
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12.03.2016 11:33
von hypnobader
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Ein sehr schwieriges Thema gut umgesetzt. MPS und Dissoziation werden ungekünstelt und nachfühlbar beschrieben. Mutig und gut.
Punkte im oberen Bereich.
_________________ Es gilt das gebrochene Wort |
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rieka Sucher und Seiteneinsteiger
Beiträge: 818
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12.03.2016 13:49
von rieka
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Ein heftiges Stück. Der Versuch, das Ausgeliefertsein eines Kindes darzustellen, das aus-sich-heraustreten aufzuzeigen. Ich finde, du hast es ganz gut geschafft, dies umzusetzen. Dein Schreibstil ist lebendig und klar. Du schreibst spannend und es gelingt dir weitgehend, dich in das Kind zu begeben.
An einigen Stellen bin ich ins Stolpern gekommen:
>> Keine Sorge, niemand wird UNS entdecken.<<
Meinst du UNS oder DICH, Selina, den von Seli verselbständigten Teil.
>>»Schlaf gut, Liebes.« Mama löscht das Licht und schließt die Tür.<<
Ist hier die echte Mutter gemeint oder die die Kontrolle und Sorge übernehmende Seli.
Punkte
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Mermaid Leseratte
Beiträge: 143
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12.03.2016 16:11
von Mermaid
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Erst beim zweiten Lesen wurde mir klar, dass die Erzählerin und Selina dieselbe Person sind, dass beide im Körper eines kleinen Mädchens wohnen, das zwischen Vernunft und Angst hin- und hergerissen wird. Mit einer so begrenzten Wörterzahl einen solchen Konflikt so darzustellen – Respekt! Und dann ist es doch die Vernünftige, die zu den Sternen fliegt …
Stoff zum Nachdenken. Von mir gibt es 10 Punkte.
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Babella Klammeraffe
Alter: 61 Beiträge: 884
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13.03.2016 08:47
von Babella
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Überleben, indem ein zweites Ich für einen sorgt. Sehr bewegend.
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