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Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Antiquariat -> Zehntausend 11/2015
Leila

 
 
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Autor Nachricht
Babella
Geschlecht:weiblichKlammeraffe

Alter: 61
Beiträge: 889

Das goldene Aufbruchstück Der bronzene Roboter


Beitrag15.11.2015 20:00
Leila
von Babella
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Sie gehorcht mir nicht. Die Steuerung funktioniert nicht mit wässrigen Augen. Sie schwimmen in Wasser, schon wieder. Wie gern würde ich schwimmen. Wie sehr habe ich das Wasser geliebt.

Anfangs ist es noch gegangen; sie hat mich begleitet, auch noch, als es schon sehr schwer war, aber dann war ich jedes Mal dem Ertrinken nah. Ich gab es auf an dem Tag, als ich dabei so viel Wasser schluckte und beim Atmen so sehr aus dem Takt kam, dass ich mich übergeben musste.

Sie sagte nichts dazu; an ihren Augen ist auch für einen scharfsichtigen Beobachter nichts abzulesen. Unser Vorbild waren die geduldigen Navigationsgeräte, die stumpf die Wege berechneten, ohne zu schimpfen, wenn man falsch abgebogen war; anfangs fand man das merkwürdig, dann gewöhnte man sich daran und nahm sich seine Fehler nicht mehr übel, es gab ja keinen Zuschauer, und die Kinderangst, getadelt zu werden, verlor sich rasch, ja, die frühen Traumen von feixenden Mitschülern und tadelnden Eltern und Lehrern schienen geheilt.

Auch Software altert. Es waren zuerst die Zahlen. Ich versuchte, mir eine vierstellige Nummer zu merken und schaffte es noch nicht einmal bis zur Bürotür. Ich musste nachfragen oder nachgucken, schrieb mir Zettelchen; ich konnte mich irgendwie behelfen, aber ich bemerkte mein Unvermögen. Anfangs war ich verwundert, später ärgerlich, schließlich resignierte ich.

Dann waren es die Namen. Das Nachfragen war peinlich, es gab so viele Zuschauer. Die Neuzugänge im Büro wussten dann schon, warum sie nötig waren, und die Praktikanten blieben am liebsten unter sich. Es entstanden Fluchtgedanken. Allein sein. Sich niemanden merken müssen.

Schließlich die Gedanken selbst. Immer öfter dieser Zustand wie kurz vor dem Einschlafen, wenn man allmählich die Kontrolle verliert und den Faden nicht mehr halten kann, ein Gedanke beginnt, flieht, ist nicht mehr zurückzuverfolgen und verendet im Nirwana. Zuerst gab es gute und schlechte Tage, dann nur noch ein paar gute Stunden, und dann wurde mir klar, was mit dem Begriff „lichter Moment“ gemeint ist: Ein grelles Blitzlicht zeigte mir meinen Zustand, bevor ich wieder ins Dämmern verfiel. Ich habe viel Zeit zum Dämmern jetzt, wo mir nur noch wenig Zeit bleibt.

Leilas Bestimmung besteht darin, Hardwaredefekte auszugleichen. Leila ist stark und ermüdet nicht. Sie hebt auch schwere Körper mühelos an, sie hilft auch nachts, ohne leise zu jammern und Schuldgefühle zu erzeugen. Ihre Geduld ist unbegrenzt, es macht ihr nichts aus, wenn eine Mahlzeit, die nur aus einer dünnen Suppe besteht, eine Stunde dauert.

Die eigentliche Leila kommt gelegentlich. Sie schleicht sich leise herein, bringt meist Veilchen mit, aber sie wirkt stets ein bisschen gelangweilt und scheint es immerzu eilig zu haben.

Ach Leila. Du warst Patin für das Projekt, dabei warst du noch ein Baby. Lucidly Enhanced Intensive Living Assistence, kein Mensch hat sich das gemerkt, dabei haben wir wochenlang an dem Akronym gefeilt, wir saßen zusammen, gut gelaunt und hellwach, bei Kaffee, der immer zu schwarz und zu viel war, wir machten Witze, die außerhalb unserer Büros niemand verstand, wir hockten eng zusammen und stoben, wenn uns ein guter Gedanke gekommen war, auseinander, saßen mit krummen Rücken an unseren Tastaturen und starrten auf unsere Bildschirme, und dann sprang einer von uns auf, weil er so begeistert von einem seiner Einfälle war; wir hatten zu diesem Zweck eine Lokomotive programmiert, die dann zeitgleich über all unsere Bildschirme fuhr und „Eine Insel mit zwei Bergen“ pfiff, das hieß: Schaut her, was ich Tolles habe, und tatsächlich, unsere Begeisterung war ungebrochen, bis – ja, wann war das –

Die Hardwaredefekte finde ich nicht so schlimm, also, vom Schwimmen einmal abgesehen. Leila hat stets Opium im Beifach, wendet mich, bevor ich wundliege, hat immer eine Salbe, eine Spülung, eine Massage für mich parat. Und dass die Nahrung nur noch über die Sonde kommt, geschenkt.
Aber ich will das Unterhaltungsprogramm nicht mehr, Zeitvertreib, was für ein Wort. Die eigentliche Leila kommt auch ohne mich zurecht, schon lang.

Wir haben das Mitleid nicht programmiert. Es war die Zeit, als die Leute einander aufgeregt beschimpften und voneinander behaupteten, dass es ihnen an Empathie mangele, aber viele wussten nicht, wie man das Wort schreibt, sie ahnten wohl, dass es ein besonderes Wort ist, etwas Gewichtiges wie Euphorie und Euthanasie, so schwer, dass man darin ein h unterbringen musste, an einer Stelle, an der man es nicht hört, so wie in Mathematik, und so schrieben sie Emphatie oder Emphasie, so wie sie von Sympthomen schrieben, ohne die Selbstbezüglichkeit zu erkennen; es war einfach zu viel Emothion im Spiel. So wie sie eine Verachtung für die Mathematik hegten, die sie nicht verstanden, so verachteten sie auch die anderen Anstrengungen des Geistes, aber natürlich gaben sie nicht zu, dass sie die Zusammenhänge nicht begriffen, die am wenigsten, die am lautesten schrien. Wir hätten hellhörig werden sollen, aber dafür war es zu laut.

Schon im ersten Semester haben wir gelernt, dass man sprechende Bezeichnungen wählen muss, aber Empathie spricht nicht. Mitgefühl, ja, da muss man die Lippen spitzen, als würde einem eng ums Herz, da kann man nicht die Lippen aufeinanderpressen und starr geradeaus schauen. Empathie: Ein Bücherwort. Emotion: Ein gelacktes Wort für Hochglanzbroschüren. Wellness: Sie sitzen in blubbernden Pools und lassen draußen sterben.

Meine Gedanken  – flüchtig wie die kleinen Vögel, die man nicht fotografieren kann, weil sie längst weggeflogen sind, bevor man die Kamera klargemacht hat, und nah herangehen kann man auch nicht; zoomt man sich jedoch heran, dann verpixeln sie. Man könnte sie fangen und einsperren, doch zuverlässiger kann man sie nicht zerstören. Vielleicht wollen wir das; wir wollen sie zerstreuen, weil wir die Schärfe nicht erthragen.

Leila hält sich diskret im Hintergrund, so wie es ihr befohlen ist. Sie stellt den Tee auf den Besuchertisch, bevor sie meine Tochter in mein Zimmer lässt.  Leila hält immer Ordnung. Ich kann keine Unordnung mehr machen. Je nach Tagesform und Medikamentierung empfinde ich das als Entlastung oder als das Schlimmste von allem.

Wir haben gelernt, in Kästchen zu programmieren, damit wir die Ideen kombinieren und uns austauschen können. Die Kästchen stellten wir in Bibliotheken, und die Bibliotheken sind immer größer geworden, das unterscheidet sie nicht von den anderen Bibliotheken dieser Welt, und wir haben schon früh über uns hinausprogrammiert; unsere koffeinierten Gehirne überblicken nicht mehr, was alles da war, Übersicht heißt, man übersieht das meiste, aber Übersehen ist auch der falsche Ausdruck, ich –

Die großen Scheiben: Als ich noch etwas wollen konnte, habe ich dieses Zimmer ausgesucht, hier oben, mit den Atelierfenstern, Blick auf bunte Häuser, hohe Kiefern und einen weiten Himmel. Leila öffnet die Klappen und ich bade in den Geräuschen, die an mich herankommen.
Die Krähen und Elstern meckern herum wie die alten Leute. Die Autobahn zeugt von ungehindertem Fließen.

Wir haben das Reißverschlussprinzip entwickelt, um die unendlichen Ströme zu kanalisieren, und da rauschen sie nun, ununterbrochen und ununterbrechbar, wie es scheint, den Affengriff haben wir längst vergessen, Steuerung-Alt-Entfernen. Entfernen. Entfernen.

Als ich meine Gedanken noch festhalten konnte, habe ich aus ihnen Befehle gemacht; nun steuere ich Leila mit meinen Augen, aber das Feature mit dem Wasser, das müsste jemand nachprogrammieren, ich kann das nicht mehr, und nun lässt sie mich nicht gehen, sie versteht das nicht, sie kann nicht leiden und nicht mitleiden – sie versteht das Wort bitte nicht. Nie hat ein Feldwebel bitte strammgestanden gesagt.

Ich habe viel gelernt, seit ich hier bin. Der freie Blick auf den Himmel hat mir gezeigt, was ich dort immer übersehen habe. Die Zugvögel zum Beispiel, wie durch ein Wunder sind sie immer noch da, sie ziehen im Frühling und im Herbst, Leila liest mir vor und erklärt mir geduldig alles, was ich wissen will, sie spricht von den Austernfischern und den Brachvögeln, von den Kranichen und den Staren; sie erklärt, wie die Vögel mit ihrer Energie haushalten, um über den Winter zu kommen, wie sie ihre Organe zurückbilden, um den langen Flug zu überstehen, wie sie den Weg finden, mit dem eingebauten Kompass und dass sie den Mond brauchen.

Die Wolkenformationen. Zirrokumuli, Nimbostratus. Ich versuchte, das Wetter vorauszusehen, das Wetter, ausgerechnet, nichts ist weniger wichtig für mich hier im geheizten Atelier, und ich habe gelernt, die Uhrzeit anhand der Umgebungsgeräusche zu bestimmen, als sei die Uhrzeit für mich von Relevanz – noch so ein Wort.

Worte, wann sind sie mir wichtig geworden? Seit ich sonst nichts mehr habe? Leila lehrte mich, in Gedichten zu baden. Ich konnte ihr sagen, ob ich etwas Heiteres oder etwas Romantisches hören wollte, es erschlossen sich Welten, die mir bis dahin verschlossen waren, aber man kann nicht immer baden, es trocknet die Haut aus, und man kann sich auch in Pudding wundliegen.

Habe ich etwas versäumt? Ich jage der Frage hinterher und weiß doch, sie entflieht wie all die anderen Gedanken, ich bin dankbar, dass sie sich auflöst wie all das andere, und in den fernen Himmel scheint sich ein Schriftzug zu malen: Es spielt doch keine Rolle.

Ich möchte vom Baum fallen, aber Leila würde darunter stehen und mich auffangen. Ich möchte ins Meer gehen, aber Leila würde meinen Kopf oben halten. Sie gehorcht mir nicht; ich müsste den Strom abstellen, aber das geht nicht, sie arbeitet mit Sonnenenergie und die Sonne scheint zu oft.
Die Sonne soll vom Himmel stürzen und die Kiefern verbrennen und die brennenden Äste wird der Sturm in mein Zimmer fegen –

Zeit für die Medikamente. Sie lässt sich nicht überlisten – nicht von mir – nicht mehr von mir – ich gehorche mir nicht mehr –

Leila. Bitte

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Schreibhand
Geschlecht:männlichLeseratte


Beiträge: 105



Beitrag16.11.2015 04:04

von Schreibhand
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...macht nachdenklich..macht Lust mehr zu erfahren...hat mir sehr gut gefallen, danke..
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Literättin
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Das silberne Stundenglas Der goldene Roboter
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Beitrag17.11.2015 10:15

von Literättin
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Leila ist offenbar eine Pflegemaschine, die von der inzwischen ans Pflegebett gefesselten Protagonistin in beruflich aktiven Zeiten mitentwickelt wurde. Die Geschichte scheint in einer Zeit zu spielen, die unserer heutigen nur etwas voraus ist. Gleichzeitig gibt es da die Tochter, die hin und wieder zu Besuch kommt. Sie heißt ebenfalls Leila und stand aus diesem Grund – wenn ich das richtig verstanden habe – mit ihrem Namen für das Akronym der Maschine Pate.

Der Text besteht aus dem fragmentarisch gestalteten Gedankenstrom der Hauptfigur und in den mäandernden Gedanken findet sich für mich auch die Schwäche dieses Stückes. Das Bild der enthusiastisch und erfolgreichen Entwicklergruppe wird klar, der Kulturpessimismus der Hauptfigur klingt an, aber manches erscheint mir hier zu bemüht und an manchen Stellen nicht ganz schlüssig. Die Stelle mit dem Affengriff z.B. wie lässt sich der Befehl zum Programm beenden mit dem Rauschen der Straße verbinden? Ohnehin: die geschilderte Aussicht aus dem Atelier-Fenster erscheint mir doch eine idyllische, bunte und irgendwie auch komfortable zu sein?

Der Protagonistin fehlt es in der Welt an an Empathie – aber ihre wortspielerischen Gedanken, die um das von manchen Mitmenschen falsch eingefügte h kommen mir ein wenig kraus vor, um nicht zu sagen auch ein wenig von oben herab.

Ich fühle also eher mit der Tochter, die sich offenbar zu den Besuchen quält, Veilchen als Präsent dabei und in früheren Zeiten bemüht, das triste Leben der Mutter zu bereichern, indem sie Gedichte aussucht und liest, ich fühle also eher noch mit dieser Tochter, als mit der mit ihrem Schicksal und der „unmenschlichen Zeit“ hadernden Hauptfigur.

Für mich passt einiges nicht so ganz zusammen, wiewohl auch ein zeitkritischer Unterton mitzuschwingen scheint, der in meinen Ohren aber an manchen Stellen leicht misstönend klingt.

Vielleicht gibt es noch den ein oder anderen Punkt für den interessanten Ansatz und manch schöne, ausgefeilte Stelle wie z. B. meinen Lieblingsabsatz:

Zitat:
Ich möchte vom Baum fallen, aber Leila würde darunter stehen und mich auffangen. Ich möchte ins Meer gehen, aber Leila würde meinen Kopf oben halten. Sie gehorcht mir nicht; ich müsste den Strom abstellen, aber das geht nicht, sie arbeitet mit Sonnenenergie und die Sonne scheint zu oft.
 Die Sonne soll vom Himmel stürzen und die Kiefern verbrennen und die brennenden Äste wird der Sturm in mein Zimmer fegen –


In die oberen Punkteränge schafft es Leila dennoch nicht.
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holg
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Moderator

Beiträge: 2395
Wohnort: knapp rechts von links
Bronzenes Licht Der bronzene Roboter


Beitrag17.11.2015 11:51

von holg
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Schöner, wohlgeschriebener schwermütiger Text über das Altern, das dement, das hilflos Werden. Er rührt, entfaltet im Vergehen ein Entstehen. Aber dann muss unbedingt noch die Sterbehilfe-Problematik mit reingepackt werden. Ja, wichtiges Thema, ja, es wird uns in der Zukunft (uns alle, jeden Einzelnen, der bis dahin überlebt) betreffen. Aber hier wirkt das Thema auf mich hineingequetscht, so als sollte unbedingt noch Relevanz mit in den Text, der ansonsten ein wunderschöner, melancholischer Wachtraum hätte sein können.
Weniger relevant, vielleicht, aber mehr Kunst als Betroffenheitsliteratur.
Reicht dennoch locker für Punkte.

war eine enge kiste, in den punkten. am ende habe ich nach gesamteindruck und persönlichem geschmack entschieden.


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Why so testerical?
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Vanir7777
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V


Beiträge: 96



V
Beitrag20.11.2015 09:58

von Vanir7777
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Bei meinen Bewertungen gehe ich nach folgendem Schema vor:
Inhalt/Hat es zum Denken angeregt?
Sprache/Stil (Ich bin kein Germanist! Ich finde ein guter Schreibstil schlägt sich darin nieder, dass man den Text liest und nicht über Sätze, seltsame Metaphern o.Ä. stolpert.)
Subjektiver Eindruck
Am Ende entscheidet mein Eindruck, da ich der Meinung bin, dass Texte schwer objektiv bewertet werden können. Ich versuche aber bei Inhalt und Stil auf die Gründe einzugehen.

Gefällt mir sehr gut smile Ich bin quasi in deinen Wörtern ertrunken. Konnte mich nicht satt lesen und war vollkommen in der melancholischen Geschichte versunken. Der Maschine/Technik-Aspekt ist hier zwar peripher (das ist wohl so ein Wort), aber wunderbar eingebaut. I like!
Zu dieser Geschichte habe ich nicht viel mehr zu sagen, mir hat sie wunderbar gefallen und ich bin hin und weg. Mein absoluter Favorit, für mich der erste Platz 
12 Punkte.
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rieka
Geschlecht:weiblichSucher und Seiteneinsteiger


Beiträge: 816



Beitrag24.11.2015 13:03

von rieka
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Hallo Inco.
Es ist ziemlich schwierig für mich, den Texten dieses Wettbewerbs gerecht zu werden. Ich versuche es:
Du hast eine Idee entwickelt, die mir gut gefällt und die ich auch teilweise für realistisch halte. Ansätze dazu gibt es ja schon. Androide ersetzt Pflegekraft, der zu pflegende Mensch ist ihr am Ende auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Gleichzeitig werden die Grenzen zwischen den Androiden und dem betroffenen Menschen immer mehr verwischt.
Der Text ist leicht und flüssig, auch mitreißend geschrieben.
Der Handlungsstrang holperte ein wenig: Schwierigkeiten machte mir der Einstieg. Ich habe anfangs nicht gemerkt, dass sich der Satz:  ‚Die Steuerung funktioniert nicht mit wässrigen Augen‘ auf Leilas Augen bezieht. Ich dachte, der/die Prota spricht von seinen eigenen Augen.  
Etwas später gibt es diese Verunsicherung, um wen es sich handelt, noch einmal, dort, wo es um die Software geht.
Oder ist die Verwischung zwischen beiden schon auch am Anfang gewollt?
Oder steckt die Androidin Leila etwa im Protagonisten drin?
Ja, einiges bleibt mir unklar in dieser Geschichte, sie ist aber deshalb umso mehr anregend. Verschiedene Versionen könnten stimmen.             
Über die Veilchen musste ich ein wenig lächeln. Ich habe mich gefragt, wo wohl die echte Leila rund um das Jahr die Veilchen herbekommt.
LG rieka
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nebenfluss
Geschlecht:männlichShow-don't-Tellefant


Beiträge: 5987
Wohnort: mittendrin, ganz weit draußen
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Beitrag24.11.2015 19:23

von nebenfluss
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Ein weiterer Beitrag, der sich an der Sichtweise eines medizinisch von einer Maschine abhängigen Menschen versucht und dabei die Frage stellt, wie erstrebenswert ein solches Leben denn noch wäre. Bzw. bin ich mir da nicht so ganz sicher, ob es sich nun bei der Prota um einen Menschen handelt. Sie beschreibt ihren eigenen Verfall als Software- und Hardwaredefekte, was aber vermutlich nur ihrem (ehemaligen) Job geschuldet ist, der sie gelehrt hat, den Menschen selbst als eine Art Bio-Maschine zu betrachten.
Manches passt dann aber nicht dazu. Ein so anfechtungswürdiger Satz wie "Auch Software altert." würde so jemandem sicher nicht passieren. Und müsste dann nicht das Wissen, dass die künstliche Leila auch altert, irgendwo als Hoffnungssschimmer auftauchen, dass es dann irgendwann klappen dürfte mit dem unverhinderten Ableben? Na gut, muss man vielleicht nicht hinterfragen, mag auch übers Ziel hinaus gedacht sein.

Was den "Softwaredefekt" der Prota angeht, gibt es ja eine ganze Reihe von Alterserscheinungen und Krankheitsbildern, die Wahrnehmung und Erinnerungsfähigkeit in Mitleidenschaft ziehen. "Normale" Demenz, Alzheimer, auch Parkinson, glaube ich, kenne mich da nicht wirklich aus. Dass sich eine Aneinanderreihung "lichter Momente" aber wirklich so ausgefeilt darstellen würde, halte ich für unrealistisch. Da wird nicht um die richtigen Worte gerungen, da liest sich kein Fetzen Nebel, da kann sogar noch viele Sätze lang über die Pseudo-Bedeutung eines "h" in der Sprache reflektiert werden. Vielleicht irre ich mich, aber ich glaube, wenn dem so wäre, gäbe es viel mehr Aufzeichnungen der Patienten. Der Dämmerzustand in "Die Aufwacher" hat mich da mehr überzeugt, wobei mir natürlich klar ist, dass Wachkoma und Demenz zwei ganz verschiedene Dinge sind.

Etwas problematisch war für mich das im Sinne der Vorgaben realisierte Konzept: Durch die Fragmentierung des Inhaltes selbst ist auch mir nichts so wirklich im Gedächtnis haften geblieben. Ich habe den Text in den letzten acht Tagen viermal gelesen, jedes Mal wieder mit dem Gefühl: Den fand ich ziemlich gut, aber worum ging es eigentlich im Detail? Liegt sicher auch daran, dass er eben von der Idee her ein wenig mit ähnlichen Beiträgen verschwimmt.

Tja. Irgendeiner muss ihn treffen in den gnadenlosen Fesseln des ESC-Bewertungssystems: den verdammten 11. Platz. Also jenen Platz, auf dem zwar meist ein passabler Beitrag landet, der aber in der Endwertung in der gesamten qualitativ inhomogenen Masse der Unbepunkteten untergeht. Dieses Mal hat es bei mir diesen Text ereilt. An seinem Wert per se ändert das selbstverständlich nichts. Bin mir sowieso unsicher wie nie mit der Bepunktung in diesem Wettbewerb. Sagt etwas über das hohe Niveau der Beiträge aus. Respekt hat mir dieser Text auf jeden Fall auch abgenötigt. Vielleicht bewertest du ja selbst und kennst das Dilemma ...


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Michel
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Das bronzene Bühnenlicht Das goldene Niemandsland
Der silberne Durchblick Der silberne Spiegel - Prosa
Silberne Neonzeit


Beitrag25.11.2015 16:12

von Michel
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Gefesselt an die Maschine, die Segen und Fluch gleichzeitig ist.
Der Text rührt mich umso mehr an, je häufiger ich ihn lese; die anfängliche Distanz stellt sich als Vermeidung des Angerührtseins heraus. Das passiert durch den ruhigen Erzählton, ganz als ob die Hauptfigur mir am Küchentisch gegenübersitzt und aus ihrem sich verengenden Leben erzählt. Manchmal fehlt mir das innere Drama, das die anstehenden Entscheidungen mit sich bringen müssen. Müssten? Was weiß ich, wie es sich anfühlt, an Maschinen gefesselt zu sein? Gerade in seiner Nüchternheit, angereichert mit einer Fülle kleiner Fakten, wird der Text glaubhaft.
Doch, ja, ich gebe Punkte. Und bedauere, dass ich nicht häufiger mehr geben kann.
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Jenni
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Beiträge: 3310

Das goldene Aufbruchstück Die lange Johanne in Gold


Beitrag25.11.2015 20:49

von Jenni
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Die Erzählerin (? - weiß ich gar nicht, mir kommt sie zumindest weiblich vor) ist altersschwach, körperlich beeinträchtigt und dement. Sie wird gepflegt und am Leben gehalten von einem Pflegeroboter, den sie in jüngeren Jahren selbst mitentwickelt hat. Mit dem Roboter, Leila, kommuniziert sie über Augenkontakt, ihren Wunsch zu sterben kann sie darüber aber nicht vermitteln, weil Leila keine Empathie kennt.

Sterbehilfe ist ja (wieder mal gerade) ein ganz aktuelles Thema. Deinen Roboter ohne Fähigkeit zur Empathie kann man vielleicht als Metapher für den schwierigen (menschlichen) Umgang mit kranken oder alten Menschen verstehen, die ihre Wünsche nicht mehr äußern können. Die Entwicklung der Leila-Software stünde dann für die Diskussion um dieses Thema und um die kürzlichen Gesetzesänderungen, die Sterbehilfe erschweren. Soweit leuchtet mir deine Idee und die Konstruktion deiner Erzählung ein.

Mir gefällt auch für sich gesehen der Sprachfluss sehr gut, der Gedankenfluss der Erzählerin. Aber - und das ist für mich der ganz große Schwachpunkt deiner Geschichte: Dieser entspricht so gar nicht dem, was die Erzählerin beschreibt, ihr gelinge es nämlich nicht mehr, ihre Gedanken festzuhalten und zu verfolgen. Nein, widerspricht dem sogar, denn die Vorgeschichte ist so strukturiert erzählt, jeder Gedanke ist klar ausformuliert und führt sinnig zum nächsten. Und das funktioniert für mich so nicht. Nicht aus der Ich-Perspektive, dann müssten diese Gedankenabbrüche und die Suche nach den richtigen Worten (Gedanken) sich auch in der Form der Geschichte widerspiegeln. Und das stelle ich mir doch sogar sehr spannend vor, das sprachlich umzusetzen.
Als (weniger interessante) Alternative: Du ersetzt ihre Unfähigkeit ihre Gedanken zu verfolgen dadurch, dass sie sich - geistig fit - eingesperrt in ihrem Körper fühlt?
So, wie es jetzt ist, klafft das Wie und das Was jedenfalls mir zu stark auseinander. Leider für mich ein wichtiges Kriterium gerade in diesem Wettbewerb.

Was mich noch irritiert hat: Ich verstehe es so, dass sie nur metaphorisch von ihrem Körper als Hardware und ihrem Geist als Software spricht. Das finde ich problematisch, weil ja der Unterschied zwischen ihrer neuentdeckten Menschlichkeit und der emotionslosen Maschine gerade eine tragende Rolle spielt, und dieser dadurch aufgeweicht wird. Das aber nur am Rande.

Tja, weiß ich jetzt gar nicht, wie ich damit in der Bewertung umgehen soll, denn einiges an der Geschichte gefällt mir wie gesagt auch sehr gut. Das werde ich dann wohl im Vergleich mit den anderen Texten und unter Berücksichtigung des Wettbewerbs und der Vorgaben - und letztlich subjektiv entscheiden.

Am Ende hat es leider sehr knapp nicht zu Punkten gereicht.
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Tjana
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Beitrag25.11.2015 21:19

von Tjana
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Wow!
Wow und schwer zu kommentieren.
Der Text berührt mich tief. Dabei kommt die Sprache so „leicht“ daher, ganz ohne Hinweisschilder. Eben. Das ist es.
Dennoch erfahre ich einen Werdegang, einen langsamen Verfall, aber eher wie nebensächlich.
Lieblingssatz:
Zitat:
Worte, wann sind sie mir wichtig geworden? Seit ich sonst nichts mehr habe? Leila lehrte mich, in Gedichten zu baden. Ich konnte ihr sagen, ob ich etwas Heiteres oder etwas Romantisches hören wollte, es erschlossen sich Welten, die mir bis dahin verschlossen waren, aber man kann nicht immer baden, es trocknet die Haut aus, und man kann sich auch in Pudding wundliegen.


Auf jeden Fall weit oben


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Flotte Schreibefeder
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Beitrag25.11.2015 22:05

von Flotte Schreibefeder
Antworten mit Zitat

Die Idee, dass sich Maschinen um uns kümmern, wenn wir alt/krank sind, fand ich sehr schön. Eine tolle Interpretation des Themas!

Für mein Empfinden ist im Text aber zu wenig passiert. Er besteht eigentlich nur aus der Selbstreflexion des Erzählers. Auch wenn er/sie jetzt nicht mehr sehr mobil ist, hätte ich mir trotzdem mehr wirkliche Handlung gewünscht. Angefangen mit der Geschichte des Ertrinkens über die Bewegungen beim Schwimmen bis hin zum Alltag hätte es viele Möglichkeiten gegeben, aktiv Handlungen zu beschreiben und dabei trotzdem auf das "Ausgeliefert-Sein" des Protagonisten eingehen zu können. Dass du Handlungen so passiv beschreibst, wie zum Beispiel das Suppe essen, hat für mich leider viel Spannung aus dem Text genommen.
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Akiragirl
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Beitrag25.11.2015 22:49

von Akiragirl
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Hallo Inko,

dieser Text ist einer meiner Favoriten in diesem Wettbewerb. Mir gefällt, dass du hinter die Ebene des künstlichen Helfers, also die mehr oder weniger „schöne“ Zukunftsvision eine zweite Ebene gelegt hast, nämlich die Frage der Selbstbestimmung des Menschen und seines eigenen Todes.
Im Gegensatz zu vielen anderen Texten in diesem Wettbewerb ist die Kritik an der Technisierung hier nicht holzhammerhaft, sondern sehr subtil und lässt genug Freiräume, dass ich als Leser mir meine eigene Sicht beibehalten kann; mir der Autor nichts „aufzwingt“.

Die Technik ist in deiner Geschichte nicht „böse“: Sie reißt nicht die Macht an sich, sie macht sich die Menschen nicht zu Dienern. Sie ist einfach so, wie die von den Menschen gemacht wurde und darin ziemlich perfekt (bis auf eine fehlerhafte Steuerung bei zu feuchten Augen). Sie erlaubt dem Protagonisten nicht zu sterben, lässt ihn leiden. Schadet ihm in ihrem unermüdlichen Versuch, ihm zu helfen. Für mich ist Leila in dieser Geschichte eigentlich eher ein Symbol für die grausame Entmündigung schwer kranker Menschen, denen die Entscheidung über den eigenen Tod aus „humanen“ Gründen nicht überlassen wird.

Das Ende der Geschichte fand ich besonders stark, es hat wirklich etwas in mir ausgelöst.
Zitat:
Ich möchte vom Baum fallen, aber Leila würde darunter stehen und mich auffangen. Ich möchte ins Meer gehen, aber Leila würde meinen Kopf oben halten. Sie gehorcht mir nicht; ich müsste den Strom abstellen, aber das geht nicht, sie arbeitet mit Sonnenenergie und die Sonne scheint zu oft.
Die Sonne soll vom Himmel stürzen und die Kiefern verbrennen und die brennenden Äste wird der Sturm in mein Zimmer fegen –

Zeit für die Medikamente. Sie lässt sich nicht überlisten – nicht von mir – nicht mehr von mir – ich gehorche mir nicht mehr –

Leila. Bitte –


Daher vergebe ich für diesen Text 8 Punkte.

Liebe Grüße
Anne


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Das goldene Aufbruchstück Das silberne Niemandsland


T
Beitrag26.11.2015 00:18

von tronde
Antworten mit Zitat

Hallo!

Fragment: ja
MenschMaschine: ja
Schön geschrieben

oben dabei

Grüße
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Eredor
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Das silberne Stundenglas DSFx
Goldene Harfe Pokapro III & Lezepo I


Traumtagebuch
Beitrag26.11.2015 11:25

von Eredor
Antworten mit Zitat

Auch hier vergebe ich viele Punkte; aber nicht wegen der Leila als Umsetzung von Menschmaschine - auch nicht wegen der guten Umsetzung der Vorgabe Fragment - denn du steigst zwar fragmentarisch ein, fällst dann aber doch noch auf die W-Fragen zurück - nein, viel mehr wegen der Bilder, die hier gezeichnet werden, wegen der Gedankenlinien, die mich faszinieren und mich aber letztlich frustrieren: warum müssen solche schönen Bilder neben einer plumpen Leila verarbeitet werden? Die nimmt dem ganzen Text seine Stärke.
Also für mich: großartiger Text, aber nicht für diesen Wettbewerb bestimmt. Daher gibt's viele Punkte - aber nicht allzuviele.

LG Dennis


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- Lütfiye Güzel
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lupus
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Beitrag26.11.2015 21:01
Re: Leila
von lupus
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Guten Abend,

Dieser Text oszilliert zwischen 'top' und 'leider nicht so gelungen'. Das vor allem sprachlich. Da blitzen echte Highlights durch, andererseits gibt es dann Formulierungen, die extrem ungenau sind, die Bezugsfehler aufweisen, die unangenehme Konstruktions-Parallelen aufweisen (es waren - waren es + es). Wunderbare Gedanken werden gefolgt von Redundanzen und seltsam ausgelutschten Formulierungen ('flüchtig wie ein kleiner Vogel') und zwar so, dass man richtig aus dem Leseflow kommt.

Trotz der schönen Idee werden dann unlogische, z.T. widersprüchliche   Aussagen getroffen.

das Ende ist gut gedacht, aber seehr getragen formuliert.

Die sprachlichen Mankos und die - wie mir scheint - teilweise wenig durchdachten Formulierungen und der fehlende Anreiz weiter zu denken, lassen mir das nicht als E erscheinen. Im normalen Dsfo-Modus wär das alles kein Problem, ein paar Handgriffe und die Sache wäre erledigt ... aber hier ...

Außerdem ist mir das in Bereichen zu gefühlsbetont, mir scheint die Emotionen werden zur treibenden Kraft.

lgl


_________________
lg Wolfgang

gott ist nicht tot noch nicht aber auf seinem rückzug vom schlachtfeld des krieges den er begonnen hat spielt er verbrannte erde mit meinem leben

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"Ich bin leicht zu verführen. Da muss nur ein fremder Mann herkommen, mir eine Eiskugel kaufen und schon liebe ich ihn, da bin ich recht naiv. " (c) by Hubi
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Lilly_Winter
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Beitrag26.11.2015 21:50

von Lilly_Winter
Antworten mit Zitat

Hallo Inko,
ein neutraler Kommentar, um zu Bepunkten.

lg Lilly
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anderswolf
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Beitrag26.11.2015 23:27

von anderswolf
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Großartig, weil gesellschaftsentlarvend diese Definition von Wellness: "Sie sitzen in blubbernden Pools und lassen draußen sterben."
Dieser Text hat ein paar dieser Perlen, allerdings ist das dazwischen ein bisschen arg verplaudert. Man könnte es (mit viel gutem Willen) als Symptom des alten Menschen in seinem Atelier über den Wipfeln sehen: dass er manches so sehr scharf sieht und anderes wieder verschleiert.

Dazwischen dann immer mal wieder viel erklärt und wenig erzählt, ab und an auch Ausrutscher wenn bspw. "eine Mahlzeit, die nur aus einer dünnen Suppe besteht, eine Stunde dauert." Man fragt sich, was da dauert: die Zubereitung oder der Verzehr.

Alternativ könnte man (mit noch mehr gutem Willen) den Text auch als Parabel sehen. Die echte Leila kommt kaum noch, während die Pflege-Leila immer da ist. Wie auch in Wirklichkeit pflegende Angehörige Gefahr laufen, irgendwann zu reinen Pflegekräften zu werden und immer weniger zu anteilnehmenden Partnern, Kindern oder Geschwistern.

Die mäandernden Gedanken sind die größte Schwäche dieses Textes, denn sie nehmen den Aphorismen den Glanz.
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Nihil
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Beiträge: 6039



Beitrag27.11.2015 13:45

von Nihil
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    Fünf Punkte für Leila

    Die Zukunft der Kranken heißt Pflegeindustrie
    Was die Tochter nicht kann, besorgt der Roboter. Überlastete Pflegekräfte und Angehörige werden in „Leila“ durch stets funktionierende Automaten ersetzt. Dabei deckt der Text die Probleme der Gegenwart auf.

    Leila, das ist der Pflegeroboter, der den Ich-Erzähler rund um die Uhr versorgt. Der alte Herr kann nicht mehr schwimmen, sich nicht mehr alleine auf die Seite drehen, ist schmerzmittelabhängig. Auch sein Geist wird schwächer, sein Gedächtnis nimmt ab. Schon als er noch arbeiten konnte, war er auf Zettel als Merkhilfen angewiesen. Und jetzt, wo sich sein Zustand noch verschlimmert hat – kann er immerhin noch eine zusammenhängende, logische Geschichte erzählen. Respekt.
       „Leila“ ist kein perfekter Text. Mit etwas mehr Mut zu einer Form, die dem Setting und auch seinem Erzähler gerechter würde, hätte man die Vorgabe des Fragments wunderbar erfüllen können. Die hier verwendete Erzählweise ist hingegen konventionell, was nichts Schlechtes sein muss, und wird seinem Thema nicht ganz gerecht. Es erstaunt, dass ein Patient mit Gedächtnisschwäche eine stringente Erzählung bewerkstelligen kann, ohne sich verbessern zu müssen, ohne Lücken entstehen zu lassen, ohne das selbst zu bemerken, ohne den Namen seiner Tochter zu vergessen, nach der er schließlich auch seinen Hilfsroboter benannt hat: Leila. „Lucidly Enhanced Intensive Living Assistence [sic!]“ wie der Text uns verrät. Ob es Sinn macht, von einer „geistvoll erweiterten“ Lebensassistentin zu reden, steht zu beweifeln. Hier wollte der/die Autor/in vermutlich unbedingt die Verbindung zur Tochter des Erzählers herstellen und hat eine bessere Bezeichnung dem Wortspiel zum Opfer gemacht. Auch die Rechtschreibstunde, die sich anschließt, zeigt, dass der Text cleverer sein wollte, als er eigentlich ist.
       Warum erhält Leila trotz dieses Verrisses noch so viele Punkte? Weil seine Problematik aktueller und dringlicher nicht sein könnte. Und weil gerade in der „doppelten Ausführung“ der Tochter, der großen Stärke in der Komposition des Textes, der Konflikt auf die Spitze getrieben wird. Die menschliche Leila zeigt kaum Interesse für ihren gealterten Vater. Kaum ist er die Zeit eines Besuches überhaupt wert. Ihn zu pflegen steht außer Frage. Selbst für das Pflegepersonal, das diesen Beruf nicht umsonst gelernt hat, sind die Belastungen zu hoch. In der Erzählung lediglich angedeutet, wird dennoch klar, dass die Intensivbetreuung eine enorm belastende Arbeit ist die auch nicht ohne ein gelegentliches, genervtes Stöhnen auskommt. Die robotische Leila erledigt ihren Job ohne Klage. Ist verlässlich an vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.
       Insgesamt bleibt der Beitrag streitbar. Ein starkes Konzept trifft auf Defizite in der Umsetzung. Dennoch bleiben am Ende die Fragen offen: Ist das unsere Zukunft? Kann das eine Lösung sein? Ist das Funktionieren das höchste Gut unserer Gesellschaft? Weil er es schafft, diese Fragen aufzuwerfen und einen Diskurs loszutreten, ist „Leila“ trotz aller Schwächen ein gelungener Text.

     
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MaryShelley
Schneckenpost
M

Alter: 36
Beiträge: 10



M
Beitrag27.11.2015 16:10

von MaryShelley
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Ernste Literatur: Ja
Fragment: Ja
Lesequalität: gut

...die Wortwahl hat mir sehr gut gefallen. Der Text liest sich flüssig. Es schwingt Besonnenheit mit. Leider war der Nachhall etwas weniger intensiv.
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wwwave
Gänsefüßchen
W


Beiträge: 27
Wohnort: Hinterm Mond


W
Beitrag27.11.2015 18:35

von wwwave
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Mir haben die Gefühle gefehlt, es wird erzählt und erzählt und ich denke mir: "Wen juckt's?"
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Ithanea
Geschlecht:weiblichReißwolf

Alter: 34
Beiträge: 1062

Ei 3 Pokapro 2017


Beitrag27.11.2015 18:36

von Ithanea
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Klasse Text. Der wird mit jedem Absatz besser. Ich weiß zwar nicht, wozu die vielen Absätze nach jedem dritten Satz gut sein sollen, aber das markieren sie. Ich habe nur schwer reingefunden, immer wieder nicht verstanden, zurück gesprungen, zugemacht, aufgemacht, nicht beendet, zurückgekommen, aber als ich dann endlich einmal drin war (irgendwo zwischen Empathie und den Vögeln und großen Fenstern) hat es mich reingezogen und rausgeschleudert, wie von der Themenvorgabe angezettelt.
Einer der Favoriten.


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Verschrieben. Verzettelt.
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