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Veggie


 
 
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EWJoe
Geschlecht:männlichEselsohr
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Alter: 65
Beiträge: 274
Wohnort: A-2384 Österreich Breitenfurt bei Wien


E
Beitrag19.10.2015 22:44

von EWJoe
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Veggie

Mit rasendem Herz erwachst du aus einem Alptraum. Unerträglich real fühlte sich die Folter an. Schläge, Waterboarding, Elektroschocks, Injektionen. Erleichtert willst du tief Luft holen. Es geht nicht. Gleichmäßiges Pfauchen dringt in dein Bewusstsein. Wo bist du überhaupt?

Du versuchst die Augen zu öffnen, sie gehorchen dir nicht. Der Verdacht, der Traum wäre wirklich, nimmt dich gefangen. Was waren das bloß für brutale Verhöre, deren Inhalte unklar bleiben. Dennoch beginnst du an ihre Realität zu glauben.

Du möchtest schreien und wild um dich schlagen, doch du bewirkst keinen Laut und keine Bewegung. Ist es ein Serum, das dich lähmt?

Ohnmächtig weinst du, ohne Tränen. Diese intensiven, brennenden Schmerzen am Rücken   stammen vermutlich von den heftigen Schlägen während der Befragungen. Nur, was will wer wissen?

Möglicherweise halten dich die Folterknechte mit Drogen im Körper gefangen. Ungehört verhallen deine Fragen nach dem Warum in der Isolation deiner Gedanken. Vielleicht blockieren noch Barbiturate dein Gedächtnis?

Keine Stimme spricht zu dir. Einzig dieses gleichmäßige Geräusch, deinen Brustkorb hebend und senkend, dringt zu dir herein. Beatmen sie dich? Welch ein Teufel könnte so etwas erdacht haben?

Du wirst müde und bald in den Schlaf sinken. Das Grauen weicht der Ruhe. Wäre sie nur ewig.

Die Hoffnung, dass du in einer anderen Realität erwachst, erfüllt sich nicht. Einzig dein Puls und das Pfauchen begleiten dich stundenlang. Du verzweifelst. Man hat dich wohl vergessen.

Angestrengt erforscht du das Gedächtnis. Das Gesicht einer Frau taucht auf, einer hübschen Frau, mit weichen vielversprechenden Lippen, die dir ein bezauberndes Lächeln schenkt. Eine Frau, Kinder, ein Haus mit Garten, einen schicken Sportwagen nennst du dein Eigen. Du hattest ein gutes Leben. Eine Party, anlässlich deiner Beförderung zum Vorstandsdirektor, im Hochgefühl des Erfolges, blendet sich ein.

Vergeblich suchst du nach den Gründen deiner Folter. Alles Rückblicken endet bei diesem Fest.

Andere Geräusche erregen deine Aufmerksamkeit. Eine Türklinke wird gedrückt, eine Tür geöffnet. Schritte. Jemand bewegt sich auf dich zu. Du fühlst ein Aufgerichtet-werden.



„Karla, hilf mir bitte. Der Veggie auf 34 hat sich wundgelegen.“ Diese gellende Frauenstimme erschreckt dich. Wieder Schritte.

„Gerda, du bist zwar neu, aber merk dir gleich, dass du solche Ausdrücke nicht verwenden sollst, auch wenn er permanent vegetativ eingestuft ist. Wenn dich der Professor hört! Ich habe dir doch schon gezeigt, was zu machen ist, dass es nicht zum Wundliegen kommt.“

Karlas rauchige Stimme erinnert an deine Putzfrau. Wie oft hatte sie deine Zigaretten geraucht und deinen Whiskey getrunken.


„Bei den vielen Patienten kann ich nicht alle paar Stunden vorbeikommen. Ich verstehe nicht, dass man bei solchen armen Schweinen nicht schon längst den Stecker gezogen hat. Wie lange liegt der schon da?“

„Seit gut sechs Monaten. Ein Schlaganfall und er rührt sich nicht mehr.“

Du stellst dir vor, wie du, einer Plastikpuppe gleich, unfähig zur menschlichen Kommunikation, daliegst. Zahllose Schläuche sind wohl an dir befestigt, halten dich, hilfloser noch als ein Fötus, am Leben. All diese Medizintechnik verlängert die Isolationshaft in deinem Körper. Das ist schlimmer als das Folterszenario. Du hast doch eine Patientenverfügung. Wieso dürfen sie dich weiter-quälen? Vielleicht gibt es doch noch Hoffnung?
Der brennende Schmerz am Rücken begleitet die Behandlung, aber er ist das kleinste Übel.

Gerda bricht das Schweigen. „Wer war er?“

„Er war ein hohes Tier bei einer Großbank. Franka, meine Schwester putzte bei ihm. Er war kein Pfennigfuchser, ganz anders als seine Frau.
Just auf seiner Feier, anlässlich der Ernennung zum Vorstandsdirektor, hat es ihn erwischt. Erst nachdem seine Frau ein ganzes Jahresgehalt kassiert hatte, ist die Patientenverfügung aufgetaucht. Alles wegen irgend so einer Klausel in seinem Arbeitsvertrag.
Seit kurzem ist sie angeblich wieder mit einem Banker zusammen. Jetzt beantragte sie die Abschaltung. Das Gericht muss nun entscheiden.“

Du bist wohl endgültig abgeschrieben. Ausgepresst, nur noch ein fauler Kredit.

Wochen vergehen. Du meinst deine Lage ist schlimmer als lebendig begraben zu sein, kein Ende in Sicht. Sogar die Folter würdest du vorziehen, wenigstens wieder sehen und ein wenig dich bewegen können. Oder sterben. Ja, endlich Frieden finden.

Keine Besuche. Deiner Frau hast du längst verziehen, wie sollte sie auch mit Dir kommunizieren? Schön wäre es wenigstens die Kinder nochmals zu hören. Doch welch ein furchtbares Bild bietest du ihnen, welche Erinnerung an dich würde ihnen bleiben?
 
Gelegentliche Schritte im Raum sind die einzige Abwechslung, vielleicht einmal eine Stimme. Pflegende Hände hantieren an dir, entfernen Schleim, an dem du zu ersticken drohtest, waschen dich, setzen eine Nährsonde in deinen Magen. Er füllt sich. An das Wechseln der Windeln hast du dich auch gewöhnt, diesen üblen Gerüchen, dieser Peinlichkeit gegenüber, bist du längst abgestumpft. Sonst nur das monotone Einerlei deines Herzschlages und der Beatmungsmaschine. Gelegentlich dringen Geräusche von der Straße zu dir durch. Du zählst die Fahrzeuge, gierst nach Abwechslung. Eine Fliege, die im Raum summt, wird zur Sensation.

Eines Tages wecken dich Stimmen.

„Herr Professor, heute ist der Tag. Er spürt bestimmt nichts mehr?“ Die Stimme deiner Frau! Du willst sie sehen, mit ihr sprechen, sie berühren. Doch der Körper versagt dir seinen Dienst. Der Duft ihres Parfums weckt so schöne Erinnerungen.

„Ja, wie schon besprochen. Kein EEG zeigte, dass er noch Bewusstsein hat, damit spürt er eigentlich nichts. Er ist praktisch tot und wir brauchen das Bett für einen neuen Patienten, dem wir vielleicht helfen können.“

Lautlos rufst du ihren Namen.
Kaum spürst du, wie dir eine Hand über deinen Kopf streicht. Zu kurz, bleib und sprich mit mir! Erzähl mir von den Kindern. Vielleicht noch einen Kuss, einen Letzten! Verzweifelt willst du ihre Hand ergreifen. Wie Peitschen-knallen hallt das Geräusch ihrer, sich entfernenden, Stöckelschuhen in dir nach.

„So, Schwester! Stellen Sie die Beatmungsmaschine ab.“

Hände zerren an dir. Du bekommst keine Luft mehr, das Herz beginnt zu rasen. Du stirbst wohl.


_________________
Kulissen schiebt man gerne vor die Wahrheit, verdeckt sie auch durch viel Theater. Nur Backstage offenbart sie sich.
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