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Teil 7 Ausgewandert - und nun?


 
 
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teccla
Geschlecht:weiblichLeseratte

Alter: 66
Beiträge: 160
Wohnort: Costa Blanca


Was suchst Du in Madagaskar?
Beitrag19.03.2008 21:55
Teil 7 Ausgewandert - und nun?
von teccla
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Für die Verlängerung der Visa bekamen wir eine Liste, welche Dokumente wir abgeben sollten. Ein wichtiger Bestandteil war unser Firmenkonzept, das noch immer die Überschrift trug „Export von Kunsthandwerk aus Madagaskar nach Europa.“
Ich hatte im Vorfeld in Deutschland mehr als 400 Shops angeschrieben und eine gute Resonanz erhalten. Solche Artikel waren gefragt. Zehn Prozent der Geschäfte zeigten Interesse. Unser Barvermögen sollte bis zum Start der eigenen Firma reichen. Eine Reserve, meine ausgezahlte Lebensversicherung, lagerte noch abrufbereit in Deutschland.
Neben dem polizeilichen Führungszeugnis wurden seitenlange Formulare ausgefüllt und ein Antrag auf Verlängerung des Visums von ursprünglichen vier Wochen auf ein 3-Monatsvisum, geschrieben. Wir brachten die Unterlagen mit Torsten zur zuständigen Stelle. Torsten kannte sich aus, hatte er doch gleiche Probleme mit seinem Visum einige Jahre zuvor.

Unterwegs beobachteten wir einen Menschenzug, der von einem LKW mit Lautsprechern auf der Ladefläche. Eine singende Menge tanzte hinterher.
“Torsten, was ist denn da los?“
“Das ist Wahlkampf!“
“Wahlkampf?“
“Ja Wahlkampf auf madagassisch.“ lachte er.
“Am 16.12. sind Wahlen.“
“Aha, muss man doch wissen. Und wer wird gewählt?“
“Na ich hoffe doch Marc Ravalomanana.“
“Aber ich denke, der ist schon Präsident?“
“Ja, aber er ist noch nicht durch eine Wahl bestätigt. Deshalb findet jetzt am 16. die Wahl statt und deshalb siehst du auch so viel Militär in der Stadt. Die ganzen Kontrollen sind Sicherheitsmaßnahmen, damit es keine Unruhen oder Putschversuche gibt.“
“Aber Madagaskar hatte doch schon früher eine eigene selbständige Regierung“ wunderte ich mich.
“Marc Ravalomanana kommt aus dem Volk, heißt es. Er ist einer von ihnen. Er hat studiert und aus dem Nichts eine große Firma aufgebaut. Er ist ein „Macher“, ein Manager. Die Sympathien des Volkes sind ihm gewiss. Er lässt sich nicht von der Opposition einschüchtern. Ratsiraka ist nach Frankreich geflüchtet und versucht weiterhin von dort aus an die Macht zu kommen.“
“Nun hat Marc Ravalomanana sicher die schwere Aufgabe den Hoffnungen und Wünschen gerecht zu werden. Der arme Präsident weiß sicher nicht, wo er anfangen soll...Ich denke, das Erste ist die Infrastruktur, die verbessert werden muss, damit der Handel floriert und andere Gesetze, damit Investoren kommen...“
“Ja, das wird er auch machen. Ich habe ihn einmal bei einer Kundgebung ganz nah gesehen und fotografiert.“ Berichtete Torsten stolz.
Es hieß, er soll deutsch freundlich sein. Ihm gehörte die Firma ‚Tiko’ . Er begann seine Laufbahn, in dem er Joghurt auf der Straße verkaufte. Er hatte bei den Banken und überall um einen Investitionskredit gebeten. Niemand hatte an ihn geglaubt. Deutsche und Schweizer sollen ihm geholfen haben. Er hat auch in Europa studiert, ich glaube in Deutschland oder so, jedenfalls sollte er deutsch sprechen. Ob dies alles der Wahrheit entsprach, wusste ich nicht. Es waren Gerüchte, die erzählt wurden.
„Er sieht sehr sympathisch aus. Ich habe überall Bilder von ihm gesehen. Scheint wirklich sehr beliebt zu sein. Aber warum dann die Angst vor einem Putsch oder vor Unruhen?“
“Na ja, alle sind ihm nicht wohl gesonnen. Wer vorher einen schönen Posten hatte und durch die Politik von Marc seine illegalen Geschäfte und Korruptionen nicht weiter betreiben kann, der wird versuchen, die alten Zustände wieder herzustellen.“ Es gab auch einige, die die Armut ausnutzen, um die Menschen aufzuwiegeln oder zu kaufen, um Stimmung zu machen.
“Das klingt einleuchtend.“
Die neue Regierung wurde mit der Wahl am 16.12.2002 bestätigt und man erhoffte sich wirtschaftlichen Aufschwung und eine bessere Zukunft.

Wir erreichten den Verwaltungsblock, in dem wir die Unterlagen abgeben mussten.
Das Gebäude sah von außen modern aus. Innen wurde der Eindruck nicht bestätigt. Es war primitiv ausgebaut. Die Möbel sehr alt. Auf den langen Fluren mit den Steinfußböden standen alte einfache Holzbänke. Nur wenige Büros hatten Telefon und modernes Mobiliar. Alles erinnerte an die Amtsstuben in den deutschen Nachkriegsjahren. Die Türen standen offen, man hörte lebhaftes Erzählen und immer wieder die gute alte Schreibmaschine als ständige Geräuschkulisse.
Vor einem Büro in der obersten Etage warteten wir. Die Dame empfing uns schließlich und unterhielt sich mit Torsten über seine Familie und sein Visum. Nun stellte er uns vor. Wir saßen brav auf den uns zugewiesenen Plätzen, wie die Hühner auf der Stange und nickten ab und zu, wenn Torsten auf uns zeigte, in unsere Richtung schaute oder von uns erzählte.
Auch das Büro dieser Beamtin war spartanisch eingerichtet. Ein Schrank, Schreibtisch, Telefon; Stuhl; alles aus massivem dunklem Holz. Die alte Sitzgarnitur, auf der wir Platz genommen hatten, schien gerade ihr 30-jähriges Bestehen zu feiern. Die Dame telefonierte innerhalb des Hauses. Ihre nette, sanfte Stimme wechselte in eine energische Tonart. Wir verabschiedeten uns, bedankten uns artig und gingen wieder.
“Torsten, was hat das nun gebracht?“
“Die Unterlagen geben wir bei einer bestimmten Beamtin ab, diese wird das Dossier nicht aus den Augen verlieren und darauf achten, dass es zügig und wohlwollend bearbeitet wird.“
“Ah… ja … das hört sich gut an. Besonders das „wohlwollend“ gefällt mir.“ Sagte ich zufrieden.

Wir gingen mit Torsten auf Haussuche. Hotel würde auf Dauer zu teuer werden. So sahen wir uns einige leer stehende Häuser an, aber noch schreckte ich davor zurück, mich fest zu legen.
Die Wohnungen hatten meist ein großes Wohnzimmer, Salon genannt. Ein paar halbe Zimmer als Schlafräume. Das Bad bestand aus Toilette und Dusche. Oft war die Toilette separat. Alles sehr eng und klein. Kein Platz für eine Wäschetruhe oder Waschmaschine.
Die Küchen waren in der Regel mit einer Küchenzeile ausgestattet. Hängeschränke waren nicht üblich. Ein Holzbrett ersetzte das Wandregal. Die Küchenzeile war eine gemauerte und geflieste Fläche auf einer Seite mit Spülbecken. Die Unterschränke bildeten Regale mit schweren Holztüren. An den Wänden fand man auch einfache Holzregale oder -ablagen. Kein Platz für einen Kühlschrank oder Herd. Fast jedes Haus oder Wohnung hatte eine überdachte Stelle draußen, die für den Holzkohlegrill oder –kocher vorgesehen war. Es wurde im Freien gekocht und auch gewaschen. Es gab dafür einen Wasserhahn mit einem gemauerten Becken und einer breiteren Arbeitsfläche, um dort die Wäsche per Hand zu waschen. Die traditionelle Lebensweise wurde auf diese Art auch bei der Konstruktion moderner Gebäude berücksichtigt.
Meine europäischen Ansprüche waren hier fehl am Platze. Anpassen oder verzichten, dachte ich.
“Wir sollten besser noch abwarten und uns später entscheiden. Vielleicht finden wir das richtige Haus per Zufall. Auf Krampf scheint es nicht zu klappen.“ Sagte ich zu Jan.
“Na wieso? Wir hätten doch die eine Wohnung nehmen können? Zentral gelegen.“
“Ich wäre dort nicht gerade glücklich gewesen. Mitten in der City von Tana, dann hätte ich auch in Berlin bleiben können, dort ist die Luft wesentlich sauberer.“
“Nee, also ich hatte auch kein gutes Gefühl in dieser Wohnung. Die war düster und trostlos.“ Meinte Sebastian. So vertagten wir das Thema „Wohnungssuche in Tana“ auf einen unbestimmten Zeitpunkt.

An diesem Tag hatten wir einen weiteren Termin. Torsten verhandelte mit dem Taxifahrer. Okay, wir konnten einsteigen. Er stellte uns einem "Fred" vor, so nannte er die Leute, deren Job es war, Firmen zu gründen. So wie ein Buttler grundsätzlich "James" heißt, so nannte Torsten diese Herren prinzipiell "Fred".

Alles gestaltete sich mühselig und mit vielen Terminen und Verspätungen. Dazu kam die Hitze, die wir nicht gewöhnt waren. Als ich Torsten erzählen wollte, was wir an diesem Tag alles erledigen wollten, meinte er: “Ich kann dir einen guten Rat geben. Ist einfach reine Erfahrung. Streiche von dem, was du dir für den Tag vornimmst, die Hälfte. Wenn du den Rest schaffst, dann bist du richtig gut.“
“Sieht so aus, als sprichst du ein weises Wort gelassen aus.“ Sagte ich resignierend und sah auf meinen Aufgabenzettel, der sich nur mühselig abarbeiten ließ.

Von den Händlern, die uns begegneten und ansprachen, wurden wunderschöne Halbedelsteine und Edelsteine, wie Rubine und Smaragde, die man sich in Schmuck einarbeiten lassen konnte, zum Kauf angeboten. Aber ob das alles echte Steine waren, konnte ich als Laie nicht einschätzen.
Solche Schönheiten sah ich mir gern an, wusste aber, dass im Moment andere Sorgen vordergründig waren und mein Leben nicht von diesen Dingen abhing. Daher genoss ich den Anblick gern und wendete mich dann ab.
Ich brauchte keinen Luxus. Viele Dinge, die ich früher als angenehm und wichtig empfand, waren nicht mehr wichtig. Meine verchromten Designerschalen und Bananenständer vermisste ich überhaupt nicht.

Wir lernten Fanja (sprich Fansa) kennen. Sie hatte eine kleine Touristenservice-Agentur in Tana, sprach französisch, englisch und deutsch. Fanja war uns eine große Hilfe. Normalerweise mit Führungen von Touristen betraut, begleitete sie uns durch den Behördendschungel und entlastete damit Torsten.
“Angela“ sagte sie bei der Begrüßung „Ich habe eine gute Nachricht. Das Visum wird auf drei Monate verlängert. Wir können es morgen abholen. Für euch drei.“
Doch schon nach wenigen Tagen sagte sie, dass ihr die Touristen und Lemuren ( Affenart ) lieber waren, ja selbst der nervigste Tourist sei nicht so anstrengend, wie ihre Landsleute in den Ämtern. Aber sie hielt wacker durch und opferte ihre Nerven.



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Lore
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Code Philomele
Frauenschicksale in einer Großstadt
Beitrag27.03.2008 19:46

von Lore
Antworten mit Zitat

Wie schön, es finden sich auch andere Helfer ein.

Auf Designerschalen oder Bananenständer zu verzichten kann kaum ein Problem machen, aber wie kann Frau auf eine Waschmaschine oder eine ordentliche Kochgelegenheit verzichten, wenn sie nebenbei noch eine Firma aufbauen will/muss?

Das wird interessant.

Lore


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