Historischer Roman

Aus Der DSFo.de Leitfaden
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Was ist ein historischer Roman?

Von einem historischen Roman wird gesprochen, wenn der Verfasser die Epoche, über die er schreibt, nicht selbst erlebt hat. Nach dieser Definition sind viele Klassiker, die wir heute als "historische Romane" ansehen, im eigentlichen Sinne "zeitgenössische Literatur", da der Autor über seine eigene Zeit schreibt. Als Beispiel sei hier der "Simplicissimus" von Grimmelshausen genannt.

In seiner häufigsten Form werden im historischen Roman fiktive Personen in eine historische Epoche versetzt. Solche Romane verzichten entweder ganz auf historische Persönlichkeiten, oder aber erreichen eine gewisse Authentizität durch das Einweben von Figuren, die wirklich in jener Epoche gelebt haben. Oft handelt es sich dabei um Herrscher oder militärische Würdenträger, um Namen, die einen gewissen Klang haben. Die Handlung ist meistens fiktiv und wird durch historische Fakten ergänzt.

Immer wieder versetzen uns Autoren aber auch direkt in eine historische Figur hinein. Diese Form des Histo-Romans wird auch als "Faction" bezeichnet, ein Wort-Mix aus "fact" und "fiction". Noch mehr als die erstgenannte Version des historischen Romans kommt es hierbei auf sehr tiefschürfende Recherche seitens des Autors an, denn viele Leser dieser Romane achten peinlich genau auf jeden genealogischen Fehltritt des Autors. Es liegt in der Natur der Sache, dass hierbei die historischen Fakten intensiv durch die Phantasie des Autors ergänzt werden, zahlreiche Figuren und Vorkommnisse erfunden sind, auch wenn der Hauptfaden in einer solchen Geschichte doch zumeist historisch belegt ist.

Eine dritte Form ist die sogenannte "Romanbiografie". Hierbei bleibt der Autor ganz besonders dicht an der Person, über die er schreibt, und das Buch liest sich oft beinahe dokumentarisch, wird aber aufgelockert durch Dialoge, in diesem Fall oft auch Zitate aus Briefen und Urkunden. Der große Unterschied zwischen einer "echten" Biografie und einer "Romanbiografie" besteht darin, dass in letzterer auch fiktive Figuren und Geschehnisse die Handlung ergänzen, um trotz einer möglicherweise dünnen Faktenlage zu einem runden Ergebnis zu kommen.

Eintauchen in eine andere Zeit

Der historische Roman bietet dem Leser die Möglichkeit, sich in eine andere Zeit transportieren zu lassen, und das oft noch intensiver als im Kino. Denn anders als im Film, kann (und sollte! Siehe: Mit allen Sinnen (be)schreiben) im Roman der Autor auch auf Gerüche und Geschmäcker der jeweiligen Zeit eingehen. Der Autor sollte nicht davor zurückschrecken, auf die Umstände des täglichen Lebens einzugehen, um Handlungsorte und agierende Personen lebendig zu gestalten. Nur wenn er den Mut hat, die Dinge beim Namen zu nennen, die das Leben damals beherrschten und auf die der Leser sich mit aller Neugier stürzt, bekommt dieser das Gefühl, dass der Autor weiß, wovon er schreibt.

Merke: Wenn der Hintergrund, vor dem sich die Handlung abspielt, authentisch wirkt, vertraut der Leser dem Autor dahingehend, dass er auch überzeugend darlegen kann, wie die Menschen früher dachten und fühlten. Ist der Hintergrund nicht plastisch und authentisch genug, zweifelt der Leser an der Realitätsnähe der handelnden Figuren, vom schwertschwingenden Protagonisten bis hinunter zu dem Knecht, der nur ein einziges Mal auftaucht, als er die Pferdebox schrubbt.

Und wie erreicht man diese Authenzität? Ganz einfach: Willst du einen historischen Roman schreiben, dann solltest du dir ein Bett in der Bibliothek aufstellen und den Bibliothekar zu deinem neuen besten Freund erklären. Recherche ist das A und O! Schau dich in deinem Zimmer um, in deinem Haus, in deinem Leben. Alle Dinge, die du siehst, musst du in eine andere Zeit transportieren. Gut, den PC und den Fernseher nicht... aber dafür gab es andere Sachen, die "Zeitvertreib" waren, und diesen Sachen musst du auf die Spur kommen. Mode? Kochrezepte? Fortbewegungsmittel? Von welchem Geschirr wurden welche Speisen gegessen? Womit hat der Lehrer die Schulkinder verprügelt, und welche Kinder gingen überhaupt zur Schule? Arzneimittel? Krankheiten, und wie man sie nannte? Welches Material wurde in Lampen gefüllt, und wie stark hat der Docht geraucht? Selbst wenn du zu Beginn des Schreibens nicht glaubst, solche Details jemals verwenden zu wollen ... du musst sie wissen. Der Moment wird kommen, an dem du sie brauchst, und sei es nur in einem halben Satz. Ein halber Satz, ein einziges falsch gewähltes Wort reicht aus, um deine Glaubwürdigkeit in Grund und Boden zu stampfen ...

Sprache im historischen Roman

Generell geht (fast) alles – solange man sich von einem allzu modernen Wortschatz verabschiedet. Anglizismen sollte man im Histo-Roman selbstverständlich meiden – dies gilt auch dann, wenn man ein Buch schreibt, das in England, Schottland oder Amerika spielt. Solange man sein Buch auf deutsch schreibt, sollte man auch wirklich auf deutsch schreiben.

Anders sieht es jedoch mit Sprachen aus, die in der Zeit, über die man schreibt, für die Menschen das waren, was für uns heute der Anglizismus ist. Sparsam, pointiert verwendetes Latein in mittelalterlichen Erzählungen, Französisch in Barock und Rokoko, Italienisch in der Renaissance... nur nicht übertreiben. Wer weiß, vielleicht kennst du sogar jemanden, der ein Semester mittelhochdeutsch studiert hat und dich bei deinem im 11. Jahrhundert angesiedelten Projekt unterstützen mag?

Und die deutsche Sprache? Viele "moderne" Histo-Autoren verwenden ein einfaches, ungestelztes Deutsch, wie du und ich es sprechen, wobei sie auf Fremdwörter verzichten oder aber deren Gebrauch auf jene beschränken, die es damals gab (siehe wieder zur Recherche). Und dagegen ist nichts zu sagen. Ein sprachliches Fest wird ein historischer Roman, wenn der Autor es versteht, auch mit seiner Wortwahl in die damalige Zeit einzutauchen und den Leser mitzunehmen. Dazu gehört sehr viel Übung, und es ist immer auch eine Gratwanderung, weil nicht zuletzt eine Geschmacksfrage.

Das Fantasy-Element

Es gibt Epochen, über die man beinahe nicht schreiben kann, ohne ein Fantasy-Element einzuweben. Vor Tausenden von Jahren lebten die Menschen nach Glaubensrichtungen, die für uns heute positiv zur Fantasy gehören. Aber um glaubwürdig zu bleiben, gilt hier die Devise, sparsam damit umzugehen und Fingerspitzengefühl zu beweisen, sonst passiert es schnell, dass man statt eines historischen einen Fantasy-Roman schreibt. Die Übergänge können fließend sein!

Eine Besonderheit der Fantasy, das Zeitreise-Szenario, hat in den letzten Jahren im Histo-Genre verstärkt Einzug gehalten. Es bietet die Möglichkeit, historische Ereignisse aus einem sehr viel moderneren Blickwinkel aufzuarbeiten. Doch es befreit den Autor nicht davon, seine "Hausaufgaben" (die Recherche) mit gleicher Gründlichkeit zu absolvieren!

Und dennoch ...

... ganz gleich, über welche Zeit der Autor schreibt: Er schreibt immer über das Heute. Die Art, wie wir über eine fremde Zeit denken und darüber schreiben, ist dadurch geformt, wie wir unser eigenes Jahrhundert erleben. Die Wertevorstellungen des Autors werden durch die Storyline hindurchschimmern, egal wie sehr wir versuchen, sie hinter Baretten und Ritterrüstungen zu verstecken!