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Yume-sama Schneckenpost
Y Alter: 35 Beiträge: 6 Wohnort: Esslingen
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Y 03.02.2008 17:27 Wie der taube Herr Schmidt das Gedächtnis an alle Geräusche von Yume-sama
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Wie der taube Herr Schmidt das Gedächtnis an alle Geräusche in seinem Leben verlor
Der taube Herr Schmidt legt das alte Herbstgedicht zur Seite, und versucht unter Tränen, sich an das Blätterrascheln vom vergangenen Herbst zu erinnern.
Er hat sich seit einem Jahr mit der Tatsache abgefunden, dass er sein Gehör im Alter verloren hatte, aber nicht, dass er seit einem halben Jahr auch das Gedächtnis an alle Geräusche in seinem Leben verloren hatte. Das kratzende Geräusch von seinem Federkiel, als er noch selber Gedichte schrieb; das helle, heitere Lachen seiner Enkelin, und die Geräusche im Herbst, die in dieser Jahreszeit irgenwie dunkler, würziger waren als zu jeder anderer Zeit.
Als er damals neben seiner toten Frau vor einem halben Jahr aufgewacht ist, war die Welt noch ein Stück mehr von ihm entrückt.
Er hat auf seine Hände geschaut, sie zusammengeballt, glaubte, sie wieder zu spüren, glaubte, sich wieder zu fühlen, nachdem sich seine Existenz langsam aufgelöst hatte, als er sie angesehen hatte.
Er blieb noch eine Weile liegen, sah sie stumm an. "Meine arme Mathilda..." flüsterte er. Dann stand er langsam auf, ging zur Nachbarschaft, und klärte mit denen über Umwege die Situation, welche sofort bedauernd alles Organisatorische in die Wege leiteten. Nach einer Weile setzte er sich wieder an das Bett, grub seinen Kopf in seine erschöpften Hände und schluchzte das erste Mal nach dreißig Jahren.
Als er keine Tränen mehr hatte, ging er in das nun leere Zimmer herum und suchte nach etwas Geeignetem, das er mit seinen Händen halten konnte, auf dass es ihn halte, wenn er an sie dachte. Sein Blick fiel schließlich auf das Nachtschränkchen von Mathilda.
Er öffnete es andächtig, und zog von den Gegenständen drinnen einen schönen Anhänger heraus. Es war ein Familienerbstück, das er ihr vor knapp zwanzig Jahren geschenkt hatte, weil das Auge, das es darstellte, vom gleichen durchdringend weichen Grau war wie Mathildas Augen.
Seit sie gesagt hatte, dass sie sich jedesmal, wenn sie es trug, den von ihr meist geliebten Menschen näher fühlte, wurde es unter den beiden als eine Art Talisman, Amulett gehandelt.
Mann konnte das Amulett aufklappen, und dahinter befand sich, wie Herr Schmidt wusste, ein Foto von den beiden samt den zweien Söhnen und der Enkelin. Dieses Utensil immer mit sich tragend, hatte er nun die nächsten drei Tage einen kleinen Trost bei sich.
Es mag kitschig klingen, dass er es immer in seiner linken Westentasche, nahe seinem Herzen trug; aber er hat es verdient, dass man ihm wenigstens Kitsch gönnte.
Es sind drei Tage vergangen seitdem, und Herr Schmidt ging ermattet und zerschlagen wieder in seine Wohung hinein, fasste instinktiv in seine Manteltasche, holte den Anhänger heraus, legte den schwarzen Mantel ab, setzte sich auf den Sessel und strich, wie er es in den letzten Tagen immer wieder getan hatte, nochmal zärtlich und nachdenklich über den Gegenstand. Dann öffnete er die Türchen des Amuletts - und blickte in dunkle Augen von einem Mann, den er anfangs nicht glaubte wiederzuerkennen. Für einen gnädigen Moment musste er überlegen, wo er war und was er tat, dann besann er sich schnell: er hatte ein Foto aus alten Zeiten erwartet, wo die Menschen, die er am meisten liebte, fröhlich in die Kamera schauten, und stattdessen musste er rausfinden, dass seine Frau das Foto ausgetauscht hat mit einem von seinem längst in die Ferne gezogenen besten Freund.
Und das war der Moment, wo es passierte: er verlor sein Gedächtnis über alle Geräusche in seinem gesamten Leben, weil er ihr all die Zeit in Gedanken alle Geräusche seines Lebens gewidmet hatte, was umsonst gewesen war.
Weitere Werke von Yume-sama:
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Gast
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04.02.2008 13:35
von Gast
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Kleiner Tip: "Hat noch keinen Titel" ist ein ganz schlechter Titel. Warum nicht als Titel "Der alte Herr Schmidt"? Wenn alle hier ihre Sachen mit "Ohne Titel", "hat noch keinen Titel" oder ähnlich einstellen, wie soll man dann einen Text vom anderen unterscheiden? Ich muß mich auch immer überwinden, einen solchen Text überhaupt aufzumachen, um ihn zu lesen, weil ich denke: »Das ist bestimmt nichts. Der Autor hat sich noch nicht mal die Mühe gemacht, einen Titel zu suchen. Dementsprechend wird wohl auch der Text sein.«
Und so schlecht ist Dein Text doch gar nicht. Nur solltest Du Dich für eine Zeit entscheiden. Du fängst im Präsens an, dann wechselst Du ins Perfekt, dann ins Präteritum. Fang gleich mit dem Präteritum an. Das ist die normale Erzählform. Etwas anderes kannst Du später immer noch ausprobieren.
Zitat: | Der taube Herr Schmidt legte das alte Herbstgedicht zur Seite und versuchte unter Tränen sich an das Blätterrascheln des vergangenen Herbstes zu erinnern. |
Hinter "Seite" kommt kein Komma, der Satz geht einfach weiter. Klingt es so nicht besser, in der Vergangenheitsform? Ich würde, weil der Satz eigentlich ziemlich poetisch klingt, "des vergangenen Herbstes" schreiben statt "vom vergangenen Herbst".
Ob man nun hinter "Tränen" ein Komma macht oder nicht, das ist fakultativ. Ich würde es weglassen, aber man kann es auch setzen.
Zitat: | Das kratzende Geräusch von seinem Federkiel |
Dasselbe wie oben: Nimm den Genitiv, das klingt besser.
Das kratzende Geräusch seines Federkiels ...
Der Herr Schmidt muß aber schon sehr, sehr alt sein, wenn er noch mit einem Federkiel geschrieben hat. Spielt die Geschichte im 18. Jahrhundert oder so?
Zitat: | die Geräusche im Herbst, die in dieser Jahreszeit irgendwie dunkler, würziger waren als zu jeder anderen Zeit. |
Die Geräusche waren würziger? Toll! Das ist mal eine außergewöhnliche Formulierung, aber sie paßt hervorragend.
Der ganze Text ist ziemlich außergewöhnlich. Deutsch ist offensichtlich nicht Deine Muttersprache, und daher kommen die meisten Fehler, aber das Poetische, das dieser Text hat, wird dadurch nicht beeinflußt.
Ich könnte Dir den Text rein vom Deutsch her korrigieren, aber ich weiß nicht, ob Dir das etwas bringt, deshalb höre ich jetzt hier auf.
Mach so weiter. Das klingt sehr gut.
Liebe Grüße
Angela
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Yume-sama Schneckenpost
Y Alter: 35 Beiträge: 6 Wohnort: Esslingen
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Y 06.02.2008 22:05
von Yume-sama
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Danke erst mal für dein Lob! *freu* Fühl mich jetzt schon darin beschwichtigt endlich mal wieder mehr zu schreiben.
Zitat: | "Hat noch keinen Titel" ist ein ganz schlechter Titel. |
Ja, mir ist auf die schnelle jetzt auch dann ein titel eingefallen (deinen vorschlag wollte ich nicht klauen), ich warte nur darauf, dass der Mod an dem ich mich gewendet habe, den Titel einfügt ^^
Zitat: | Deutsch ist offensichtlich nicht Deine Muttersprache |
Aua, das klang hart Es ist nämlich so, dass deutsch eben doch meine Muttersprache ist, und im Fach Deutsch auch immer gut war.
Es war nur so: ich musste meinen Computer formatieren, und alle meine Daten sind so verloren gegangen.
Anschliessend hab ich den Text dann, den ich zum Glück schon früher ausgedruckt habe bis mein computer streikte, hier vom Blatt abgeschrieben - ganz eilig in innerhalb 15 Minuten oder so, und damit auch leider schlampig und fehlerhaft.
Ich hab dann auch später die ganzen Zeichenfehler gesehen, aber ich dachte mir "egal das editiere ich dann irgendwann schon". Dass Editieren mittlerweile nicht mehr möglich ist, hab ich zu spät erfahren
Zitat: | Nur solltest Du Dich für eine Zeit entscheiden. Du fängst im Präsens an, dann wechselst Du ins Perfekt, dann ins Präteritum. |
Ich seh da keinen Fehler. Meine Erklärung:
Zuerst kommt in der Geschichte die Gegenwart, die der alte Herr Schmidt weint. dann kommt die Tatsache, wie er sich mit etwas abgefunden hat -> die sache, mit der er sich abzufinden hatte, fing in der vergangenheit an (Taubheit), hält aber natürlich noch im Präsens an.
Das Präteritum folgt dann schliesslich bei der Rückblende -> Tod der Frau, ect. ect.
Natürlich wechsle ich die Zeiten, weil ja eine Rückblende erfolgt. Klar, das Präteritum ist die typische Erzählzeit.
Aber: Ab dem zweiten, dritten Satz ist die komplette Geschichte eine Rückblende.
Und wenn ich die Geschichte im Präteritum angefangen hätte, müsste ich den Rest der Geschichte im Plusquamperfekt fortsetzen, wenn ich oberkorrekt deutsch sein wollte (und das war ich ja auch XD).
Zitat: | Der Herr Schmidt muß aber schon sehr, sehr alt sein, wenn er noch mit einem Federkiel geschrieben hat. Spielt die Geschichte im 18. Jahrhundert oder so? |
Hm, da hast du Recht, Logikfehler, ich hätte deutlich machen müssen, dass herr Schmidt einfach Federkiele mag - er liebte ja schon immer gewisse Geräusche, und da er das kratzende Geräusch von Federkielen auf dem Papier mochte, hat er mit denen - trotz dass sie schon seit vielen vielen Generationen nicht emhr benutzt wird - eben seine Geschichten geschrieben.
Ich hätt wierklich daran denken können, das irgendwie extra zu erwähnen, weil befremdend klingt das sonst schon.
Liebe Grüße
Yume-sama
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Gast
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07.02.2008 09:55
von Gast
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Yume-sama hat Folgendes geschrieben: | Zitat: | Nur solltest Du Dich für eine Zeit entscheiden. Du fängst im Präsens an, dann wechselst Du ins Perfekt, dann ins Präteritum. |
Ich seh da keinen Fehler.
Und wenn ich die Geschichte im Präteritum angefangen hätte, müsste ich den Rest der Geschichte im Plusquamperfekt fortsetzen, wenn ich oberkorrekt deutsch sein wollte. |
Nein, Du kannst einen Satz im Plusquamperfekt schreiben und dann wieder ins Präteritum zurückkehren.
Die meisten Anfänger wissen bzw. beherrschen das nicht, aber so ist es. Wenn Du durch den ersten Satz die Vorvergangenheit markiert hast, kannst Du dann in der normalen Erzählvergangenheitsform fortfahren. Das ist korrekt, das machen alle guten Schriftsteller so.
So, wie es jetzt ist, wirkt es fehlerhaft, und ist es auch. Du kannst ruhig die korrekte Form Plusquamperfekt->Präteritum benutzen.
Die Idee der Geschichte finde ich klasse. Und ebenso wie bezüglich des Federkiels kannst Du noch ein bißchen mehr über das Faible von Herrn Schmidt für Geräusche sagen, das fände ich schön. Z.B. ein ganz besonderes Erlebnis, das er hatte, wenn er mit seinem Federkiel schrieb ... was für Gefühle das in ihm hervorgerufen hat. Dann merkt man noch mehr, wie furchtbar es für ihn ist, daß er sein Gehör verloren hat.
Liebe Grüße
Angela
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