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niko Eselsohr
Alter: 66 Beiträge: 233 Wohnort: Göttingen
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02.04.2018 10:21 Poetry slam VS lyrik? von niko
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Hier in meiner mitteldeutschen Ecke grassiert die Poetry - Welle.
Es werden Festivals gemacht, wo sich jeder produzieren kann und seine Werke vortragen kann.
Ich bin immer ganz gerührt, wenn ich auf einem "poetry slam" bin. Soviel junge Menschen auf einem Haufen, die sich Gedichte anhören.
Aber... Sind es Gedichte? Ist es egal, was sich heute Poetry nennen kann? Ist es nicht oberflächlich und fast schon Klamauk? Wo ist die tiefe hin? Oder bin ich mit 60 Jahren schon gedanklich verhornt und erkenne nicht die Botschaften der Texte, die immer so leicht und fluffig daher kommen?
immerhin glaube ich, dass die vielen jungen Menschen, die es zu diesen Poetry slams zieht, die potentiellen lyrik - Konsumenten der Zukunft sind.
Was hat sich denn an der Lyrik geändert? Was ist lyrik? Was zeichnet sie aus? Was muss lyrik überhaupt erfüllen? Und.... Muss sie sich absetzen von Poetry im kommerziellen Sinne?
_________________ Ein Gedicht auf dem Hintergrund der Biographie des Autors zu interpretieren ist so, als würde man einem schwimmenden Schiff das Wasser nehmen. (NJK) |
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RememberDecember59 Klammeraffe
Beiträge: 507 Wohnort: Franken
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02.04.2018 23:23
von RememberDecember59
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Hallo niko,
Ich habe als Jugendliche total gerne Poetry Slams besucht, in der Zeit, als das gerade im Kommen aber noch nicht der große Hype war. Es war ein fester Termin für mich und meine Schwestern, einmal pro Monat in der Kofferfabrik Fürth gemütlich zusammensitzen und Slam-Texte hören. Als es irgendwann voller und voller wurde, verging mir dann aber doch die Lust, außerdem hatte ich andere Sachen im Kopf, und jetzt habe ich schon seit Jahren keine Veranstaltung mehr besucht.
Die wenigsten Slam-Texte würden in geschriebener Form funktionieren, denke ich, und das müssen sie auch nicht. Mein Eindruck war immer, dass der Sprecher wichtiger für den Erfolg eines Vortrags war als der Text, den er gesprochen hat. Ein charismatischer Sprecher mit einer guten Stimme und dem richtigen Gefühl für sein Publikum konnte auch mit einem inhaltlich schwachen Text zum Sieger des Wettbewerbs werden. Ähnlich wie es auch bei Musik ist, da ist Performance, Stimme, Melody und Rhythmus oft wichtiger als der Liedtext.
Was die Slam-Texte außerdem von normaler Lyrik unterscheidet, ist, dass sie gefallen und unterhalten wollen, denn es handelt sich ja in der Regel um einen Wettbewerb. Einfache Texte gehen da besser, allein schon deshalb, weil das Prozedere einer solchen Veranstaltung es ja nicht zulässt, dass man sich ausführlich und in Ruhe mit ihnen beschäftigt. Man hört sie während des Vortrags, dann sind sie weg und können meist auch nicht hinterher nochmal gelesen werden.
Bei mir hat die Poetry-Slam-Phase übrigens nicht dazu geführt, dass ich einen Zugang zur Lyrik, die man heute so liest, gefunden habe. Das liegt wahrscheinlich genau an dem, was sie von den Slam-Texten unterscheidet. Sie ist mir zu oft zu kompliziert, wirkt auf mich regelmaessig so, als wolle sie gar nicht von vielen Menschen verstanden (geschweige denn gemocht) werden und erreicht mich eben deshalb meistens auch nicht.
_________________ Bartimäus: "...-was ist das?"
Kobold: "Hätte mich das jemand anders gefragt, o Herr, der ihr Schrecklich und Unübertrefflich seid, hätte ich ihn einen Dummkopf genannt, bei Euch jedoch ist diese Frage ein Zeichen jener entwaffnenden Schlichtheit, welche der Born aller Tugend ist. ..."
Bartimäus I (Jonathan Stroud) |
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Ruby Smith Reißwolf
Alter: 33 Beiträge: 1180 Wohnort: Kenten
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03.04.2018 09:00 Re: Poetry slam VS lyrik? von Ruby Smith
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niko hat Folgendes geschrieben: | Hier in meiner mitteldeutschen Ecke grassiert die Poetry - Welle.
Es werden Festivals gemacht, wo sich jeder produzieren kann und seine Werke vortragen kann.
Ich bin immer ganz gerührt, wenn ich auf einem "poetry slam" bin. Soviel junge Menschen auf einem Haufen, die sich Gedichte anhören.
Aber... Sind es Gedichte? Ist es egal, was sich heute Poetry nennen kann? Ist es nicht oberflächlich und fast schon Klamauk? Wo ist die tiefe hin? Oder bin ich mit 60 Jahren schon gedanklich verhornt und erkenne nicht die Botschaften der Texte, die immer so leicht und fluffig daher kommen?
immerhin glaube ich, dass die vielen jungen Menschen, die es zu diesen Poetry slams zieht, die potentiellen lyrik - Konsumenten der Zukunft sind.
Was hat sich denn an der Lyrik geändert? Was ist lyrik? Was zeichnet sie aus? Was muss lyrik überhaupt erfüllen? Und.... Muss sie sich absetzen von Poetry im kommerziellen Sinne? |
Hallo Niko,
ich melde mich mal, als ehemalige Slammerin und Slammasterin (Veranstalterin von Slams), zu Wort, da ich mich mit der Materie sehr gut auskenne.
Wie RememberDecember59 schon schrieb, handelt es sich bei Poetry Slams (das ist übrigens nur die Bezeichnung für die Veranstaltung) um Slam Poetry (die Bezeichnung für das, was da auf der Bühne vorgetragen wird) - das "gesprochene Wort" in Wettbewerbsform.
Slam Poetry maßt sich nicht an, Lyrik zu sein. Das ist auch gar nicht ihr Ziel. Es geht um das "gesprochene Wort" und soll auch gar nicht auf dem Papier funktionieren (auch wenn das natürlich manche Texte tun). Man darf nicht vergessen, dass es auch bei Slam Poetry viele unterschiedliche Genres und Kategorien gibt. Zum Beispiel ganz einfacher Humor, dann gibt es noch das allseits beliebte Storytelling, Mädchenlyrik (so genannt, weil es meist von jungen Mädchen vorgetragen wird, die Herz auf Schmerz reimen), aber manchmal auch ein bisschen Lyrik.
Wichtig ist bei Slam Poetry vor allem die Performance. Wenn die nicht stimmt, kann der Text noch so gut sein, er wird es nur selten auf's Siegertreppchen schaffen. Das heißt aber nicht, dass ein tiefsinniger Text nicht auch auf die richtigen Ohren treffen kann. Es kommt nicht selten vor, dass Einzelne aus dem Publikum nach dem Slam zu dem jeweiligen Poeten gehen und ihm für seinen schönen, tiefsinnigen und zum Nachdenken anregenden Text, danken.
Ich hoffe, ich konnte dir deine Fragen ein wenig beantworten.
Lieben Gruß
Ruby
_________________ I'd like to add some beauty to life. I don't exactly want to make people know more... though I know that is the noblest ambition, but I'd love to make them have a pleasanter time because of me... to have some little joy or happy thought that would never have existed if I hadn't been born.
(Anne Shirley - Anne of Green Gables, Lucy Maud Montgomery) |
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Fjodor Reißwolf
Beiträge: 1497
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03.04.2018 13:46
von Fjodor
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Ich kenne Poetry Slam nur durch wenige Youtube-Beiträge, weiß auch nichts aus erster Hand über die Szene und Ihren lyrischen Anspruch. Mir fiel aber beim Lesen der Threaderöffnung auf, dass ich selbst die meiste „Lyrik“ wohl in Form von Liedertexten „konsumiere“; dabei durchaus Qualität wahrnehme, allerdings andere Kriterien anlege als an ein gedrucktes Gedicht.
Meine Vorrednerinnen bestätigen ja, dass Poetry Slam einiges wiederum mit Popmusik gemein hat.
Zeitgenössische Lyrik ist für mich überwiegend eher schwer zugänglich, abgesehen von vielen Autodidakten, die sich an Gedichten versuchen, deren Mängel selbst ich erkenne.
Vielleicht wäre es befruchtend, wenn man (analog eines Versuchs der Überwindung der endlosen Debatte um E-Literatur und U-Literatur) szeneübergreifend interessante Texte aufnimmt und wahrnimmt. Auch literarisch anspruchsvolle „Lyrik“ kann ja mitunter durch eine Lesung oder eine Vertonung gewinnen. Umgekehrt können gute Songtexte oder Slam-Texte –wie schon gesagt- auch als Lektüre noch einen Reiz haben.
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