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Frau Marianne Zwick


 
 
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Kurt Bach
Geschlecht:männlichErklärbär
K


Beiträge: 4
Wohnort: Wien


K
Beitrag26.02.2018 00:58
Frau Marianne Zwick
von Kurt Bach
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo Ihr :)
Hier, zum Einstand, ein Textauszug aus einem meiner größeren Projekte.
Ich freue mich über ausführliche Kritiken oder auch nur kurze Impressionen davon. Kommentare zum Lesefluss, den leidigen hypotaktischen/ parataktischen Sätzen, Interesse am Text, oder was auch immer euch einfällt, sind erwünscht. :) Vielen Dank schon mal im Vorraus.


Der Rasen vor dem schmalen Häuschen in der Lautergasse 10 sah aus als hätte er schon vor einigen Wochen gemäht werden sollen, doch Frau Marianne Zwick in dem schmalen Häuschen in der Lautergasse 10 fühlte sich schon seit einigen Wochen nicht danach. Der kleine Garten um das Haus wucherte wild und nutzte den Frühling um die Grenzen abgesteckter Beete und Felder zu überwinden. Ameisenkolonien bildeten Sandhügel im Gras, Löwenzahn drängte sich in frei Ritzen und Moos besetzte schattige Flächen. Im Geiste dieser Naturrevolte hatte ein Igel mehrere Gartenzwerge um geschmissen, woraufhin Spinnen und Asseln sie bezogen, nur um kurz darauf von einer Spitzmausfamilie aus ihrem Mietverhältnis gelöst zu werden. Und während dieser Dschungel so versuchte die Spuren kleinbürgerlicher Gartenkultur vor dem Häuschen zu beseitigen, versuchte das Alter selbiges mit Frau Zwick in ihrem Häuschen. Die Knochen taten ihr Weh, die Gelenke ächzten und jeder Schritt kostete sie ihren Atem. Einige Staubmäuse hatten dies frech ausgenutzt um sie von ihren Winkeln und Spalten her zu verspotten, aber die alte Frau hatte gelernt Ungewolltes schlicht nicht zu beachten. Wenn sie sich Mühe gab konnten marginale Widrigkeiten den Raum des Realen gänzlich verlassen. Vergilbte Vorhänge, Spinnweben an der Decke und Fusseln auf den Schränken unterlagen schrittweise immer mehr ihrer Imagination als ihrer tatsächlichen Reinlichkeit.
Ihr Leben lang war sie mit dem ersten Hahnenschrei aufgestanden, doch mittlerweile lag sie des Öfteren bis zum späten Vormittag im Bett, und stand nur auf um sich schließlich einen mittäglichen Malzkaffee mit Zwieback zu machen oder vom Fenster aus die Nachbarn und Passanten zu beobachten. Sogar für Tiraden gegen die Jugend, ihre Kleidung und Musik und überhaupt ihr Gebaren, fehlte ihr zunehmend die Kraft. Kein Wunder, dass der sonntägliche Kirchgang besondere Herausforderungen barg. Es war nicht so, als hätte sie es weit zur Kirche, jedoch führte der Weg bergauf und die Kirche mit Kirchgarten war nur über eine unfreundlich steile Treppe zu erreichen. Das Treppensteigen war ihr sowieso eine Tätigkeiten der Jungen und Aberwitzigen. Darum hatte sie es sich angewöhnt schon eine Stunde vor dem Gottesdienst in bester Tracht und mit Gehstock auf dem Trottoir vor ihrem Haus zu stehen und auf vorbeifahrende Autos zu lauern. Kam nun ein Auto mit respektablem Fahrer die Straße entlang, keuchte sie sich, den Gehstock fuchtelnd, in dessen Weg und verlangte mitgenommen zu werden. Ob dieses tatsächlich Richtung Kirche fuhr war dabei unrelevant. Wär hätte einer so alten Frau mit einem so knorrigen Gehstock auch widersprochen, zumal die einzige Möglichkeit die freundliche Bitte auszuschlagen gewesen wäre das Auto die komplette Gasse zurückzusetzen.
An diesem Sonntag lag Frau Zwick noch im Bett und bereitete sich mit geschlossenen Augen mental auf ihren Tag vor. Aus dem Bett hieven, die gerichteten Sonntagsklamotten anziehen, vor dem großen Spiegel im Bad die Haare mit viel Haarspray zu einer soliden Frisur richten, eine Mitfahrgelegenheit abwarten, zur Kirche gehen und letztlich müde vom Fenster aus den Rest des Tages den desolaten Zustand ihres Gartens bekritteln. Doch überraschenderweise gestaltete sich das Aufstehen als nicht halb so kräfteraubend wie gedacht. Überhaupt schien es sie gar keine Kraft zu kosten. Von jugendlicher Energie durchflutet streckte sie sich und machte eine erstaunlich respektierliche Kniebeuge. Alles schien heller, die Farben leuchtender. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie den Lavendelstrauß am Türrahmen das letzte Mal so deutlich gerochen hatte. Ungewöhnlich freudig sah sich in ihrem Schlafzimmer um, und sah sich. Dort vor ihrem Bett stand sie, und dort auf ihrem Bett lag sie. Und während sie anfing sich doch noch Sorgen um den Staub auf ihren Kommoden, den Zustand des Gartens und ihrer Unterwäsche zu machen trieb sie völlig aus dem Leben.

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LeviathanII
Geschlecht:männlichEselsohr
L


Beiträge: 297



L
Beitrag26.02.2018 08:29

von LeviathanII
Antworten mit Zitat

Ich  finde der Bruch kommt zu abrupt: Es wird etwas Ungeheuerliches präsentiert. Ähnliche Textstellen, etwa in Sartres Das Spiel ist aus, oder am Anfang von Kafkas Verwandlung lassen sich dahingehend mehr Zeit.
 Wenn du schreibst: "Ungewöhnlich freudig sah sich in ihrem Schlafzimmer um, und sah sich. Dort vor ihrem Bett stand sie, und dort auf ihrem Bett lag sie. Und während sie anfing sich doch noch Sorgen um den Staub auf ihren Kommoden, den Zustand des Gartens und ihrer Unterwäsche zu machen trieb sie völlig aus dem Leben." Wenn du es so schreibst, so tritt zwischen den ungeheuerlichen Akt des sich selbst, tot, erblickens und dem nicht weltlichem Gefühl des "aus dem Leben" treibens, nur ein kurzer Gedanke, eine letztendlich leere Textstelle. Wie viel stärker wäre hier nämlich ein Schrei des Entsetzens, nicht dass er in den Text passen würde, aber zumindest eine Reaktion: Vielleicht eine Beschreibung, wie sie nicht´stattdessen, sondern gerade deswegen, in Verzweiflung, Unglauben gestürzt, ja selbst Unglauben alleine passt, an den bevorstehenden Tag denkt - Wie viel stärker und näher wäre eine solche, verständliche Reaktion inmitten des Unvorstellbaren.
 Ein zweiter Punkt, der mir eigentlich ganz gut gefiel, liegt in der Überwucherung des Gartens, in der Überwucherung des Kleinbürgerlichen durch die Natur. Die einzige Kritik hier, was ich erzählerisch für eine durchaus gelungene Bewegung halte, ist dass die Begrifflichkeiten des Kleinbürgerlichen zuweilen auf die Natur, den verwildernden Garten übernommen wurden: "nur um kurz darauf von einer Spitzmausfamilie aus ihrem Mietverhältnis gelöst zu werden". ich fände einen stärkeren Kontrast, also eine Gegenüberstellung des Vokabulars des kleinbürgerlichen zu dem der Natur, eine Überwucherung des ersteren durch das Zweitere ansprechender.

Desweiteren (Kleinigkeiten):
 Den ersten Satz empfand ich noch als etwas verhakt - Grundsätzlich finde ich die kontrastierte Wiederholung gut, doch nach dem Satzteil: "doch Frau Marianne Zwick in dem schmalen Häuschen" verliert sie, wiewohl sie sich noch einmal so weit streckt, ihre Funktion. Vielleicht wäre eine verkürzte Dopplung besser: in dem Häuschen der Lautergasse 10 (oder klingt das krumm) und eine Umformulierung der Wochen, um einen Gleichklang zu vermeiden und so die Unterschiedlichkeit der Hauptsätze noch stärker zu betonen, statt sich auf kurze "in" zu verlassen.
 Ich fand die Formulierung: "Sogar für Tiraden gegen die Jugend, ihre Kleidung und Musik und überhaupt ihr Gebaren, fehlte ihr zunehmend die Kraft.", obwohl sie als Scherz gemeint sei, allzu ironisch-klischeehaft und von dem Charakter allzu sehr trennend.
 Apropos Klischee: Bei "Doch überraschenderweise gestaltete sich das Aufstehen als nicht halb so kräfteraubend wie gedacht." wusste ich, was die nächsten Sätze sagen würden. Aber erst am Ende des fünften Satzes sieht sie sich selbst im Bett liegen und wird im sechsten Satz schon fortgerißen. Die begleitenden Gefühle sind Verwunderung und Freude. Gefühle die berechtigt sind und doch, sollte nicht auch Furcht, Entsetzen darin liegen, die Angst sich umzudrehen, könnte nicht beispielsweise ein leicht werden beschrieben werden, während sie noch im Bett liegt? Und wenn es fröhlich sein soll, dann könnte doch aller realistischer Schrecken im liegen sich abspielen und mit dem Aufstehen gebrochen werden. Ich weiß es selbst nicht, aber irgendwie erscheint mir der letzte Abschnitt allzu erwartbar und kurz, der Kontrast ist zu schwach.

 Umso besser gefallen mir dahingehend erzähltechnische Aspekte der ersten beiden Absätze: Die Überwucherung des Gartens als Metapher, wie oben genannt und Kleinigkeiten der Charakterisierung der Figur - Wobei das Bild der anhaltenden Autos aufgrund folgender Erklärung etwas unnötig gestreckt wird: "Wär hätte einer so alten Frau mit einem so knorrigen Gehstock auch widersprochen, zumal die einzige Möglichkeit die freundliche Bitte auszuschlagen gewesen wäre das Auto die komplette Gasse zurückzusetzen." Eine kürzere Alternative (seufzend lächelnd wurde sie dann mitgenommen, oder so etwas?) wäre als abschließender Satz des zweiten Abschnittes vielleicht passender.
 "Vergilbte Vorhänge, Spinnweben an der Decke und Fusseln auf den Schränken unterlagen schrittweise immer mehr ihrer Imagination als ihrer tatsächlichen Reinlichkeit. " - Diesen Satz finde ich inhaltlich, was die Konstruktion der Geschichte angeht, überaus gelungen, als Satz, wie er dort steht, jedoch leicht zweifelhaft.
 Solche Kleinigkeiten, wie : "Einige Staubmäuse hatten dies frech ausgenutzt um sie von ihren Winkeln und Spalten her zu verspotten" (auch wenn ich erst an echte Mäuse gedacht hatte) und "hr Leben lang war sie mit dem ersten Hahnenschrei aufgestanden, doch mittlerweile lag sie des Öfteren bis zum späten Vormittag im Bett, und stand nur auf um sich schließlich einen mittäglichen Malzkaffee mit Zwieback zu machen oder vom Fenster aus die Nachbarn und Passanten zu beobachten. " - Irgendwie fand ich diese beiden Sätze sehr gelungen (und Andere ähnliche). Den letzteren nicht zuletzt, weil er ein sehr nachvollziehbares, plastisches und doch redendes Bild der Figur malt.
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Elster
Geschlecht:weiblichLeseratte
E


Beiträge: 140



E
Beitrag26.02.2018 20:26

von Elster
Antworten mit Zitat

Hallo Kurt,

mir gefällt dein Text sehr gut, er zaubert mir ein trauriges Lächeln auf die Lippen und lässt mich an meine Oma denken. Das Bild mit dem langsam verwildernden Garten spricht mich total an.

Über zwei Sätze bin ich gestolpert:
Zitat:
Und während dieser Dschungel so versuchte die Spuren kleinbürgerlicher Gartenkultur vor dem Häuschen zu beseitigen, versuchte das Alter selbiges mit Frau Zwick in ihrem Häuschen.

Das finde ich ein bisschen unglücklich formuliert, Alter und der Versuch zu beseitigen passt für mich nicht richtig zusammen.

Und hier:
Zitat:
Kam nun ein Auto mit respektablem Fahrer die Straße entlang, keuchte sie sich, den Gehstock fuchtelnd, in dessen Weg und verlangte mitgenommen zu werden.

Das sehe ich einfach nicht vor mir. Erst muss sie schauen, ob der Fahrer genehm ist, und dann hüpft sie schnell auf die Straße?

Aber das sind nur Kleinigkeiten, dein Text ist im Ganzen echt schön.

LG Elster
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d.frank
Geschlecht:weiblichReißwolf
D

Alter: 44
Beiträge: 1122
Wohnort: berlin


D
Beitrag26.02.2018 20:57

von d.frank
Antworten mit Zitat

Mir gefällt`s auch. Ich mag diesen leicht betulichen, ironisch angehauchten Erzähler, ich arbeite auch des Öfteren mit ihm. An einigen Stellen würde ich vielleicht kürzen, an anderen bin ich dann auch mal gestolpert. Aber im Großen und Ganzen hat es mich nicht gelangweilt, obwohl das Setting nichts wirklich Neues birgt und auch die Figur zunächst keine Kanten hat.
Was sie nun allerdings gedenkt zu tun, ob sie einfach verschwindet und ihr Haus in desolatem Zustand zurücklassen muss, oder ob sie sich vielleicht am Leben festhält und der Erzähler mit ihr zusammen in der Gesellschaft herumspukt, das hätte ich gern noch gelesen. smile

Weil´s sonst so leer aussieht:

Zitat:
Der Rasen vor dem schmalen Häuschen in der Lautergasse 10 sah aus als hätte er schon vor einigen Wochen gemäht werden sollen, doch Frau Marianne Zwick in dem schmalen Häuschen in der Lautergasse 10 fühlte sich schon seit einigen Wochen nicht danach.


Die Wiederholung hat mich hier ein bisschen gestört. Ich brauche das hier nicht, um mir die Frau Zwick hinter der Gardine vorzustellen. Dahin führt mich ja der kommende Text und hier nimmt die Wiederholung diesem schon die Luft aus den Segeln.

Zitat:
Ameisenkolonien bildeten Sandhügel im Gras, Löwenzahn drängte sich in frei Ritzen und Moos besetzte schattige Flächen. Im Geiste dieser Naturrevolte hatte ein Igel mehrere Gartenzwerge um geschmissen, woraufhin Spinnen und Asseln sie bezogen, nur um kurz darauf von einer Spitzmausfamilie aus ihrem Mietverhältnis gelöst zu werden. Und während dieser Dschungel so versuchte die Spuren kleinbürgerlicher Gartenkultur vor dem Häuschen zu beseitigen, versuchte das Alter selbiges mit Frau Zwick in ihrem Häuschen.


Du schließt mit einer Zusammenfassung. Da ist gut und schön formuliert, aber durch die ausschweifenden Beschreibungen in den Sätzen davor verliert es ein bisschen an Wirkung. Ich würde den Löwenzahn oder das Moos herausnehmen, damit man nicht sogleich erschlagen wird und auch die Spuren kleinbürgerlicher Gartenkultur bekommt nicht so recht auf die Frau Zwick verlagert, die vom Alter ja eher anderweitig gebeutelt wird.

Zitat:
aber die alte Frau hatte gelernt Ungewolltes schlicht nicht zu beachten.


Fehlt hier ein Komma? Ich bin mehrmals drüber gestolpert.

Zitat:
Vergilbte Vorhänge, Spinnweben an der Decke und Fusseln auf den Schränken unterlagen schrittweise immer mehr ihrer Imagination als ihrer tatsächlichen Reinlichkeit.


Ich habe Probleme mit diesem Satz. Mit scheint, er trifft nicht so hundertprozentig das, was er eigentlich aussagen soll?

Dass du beim Thema Jugend dann scharf am Klischee vorbei schlitterst, hatte ja schon jemand gesagt. wink

Zitat:
unrelevant


??

Ungewöhnlich freudig sah sich in ihrem Schlafzimmer um

Ich kann nicht mal konkret sagen, warum, aber dieses ungewöhnlich freudig stört mich einfach. wink lol2

 
Zitat:
Dort vor ihrem Bett stand sie, und dort auf ihrem Bett lag sie. Und während sie anfing sich doch noch Sorgen um den Staub auf ihren Kommoden, den Zustand des Gartens und ihrer Unterwäsche zu machen trieb sie völlig aus dem Leben.


Auch das hat schon jemand gesagt und auch ich finde nicht so ganz hinein. Wenn da nun nichts mehr kommt, würde mich das auch nerven. Wenn es nur ein kurzer Blick ist, weil die Frau Zwick es noch nicht realisiert hat, ginge es für mich in Ordnung.


_________________
Die Wahrheit ist keine Hure, die sich denen an den Hals wirft, welche ihrer nicht begehren: Vielmehr ist sie eine so spröde Schöne, daß selbst wer ihr alles opfert noch nicht ihrer Gunst gewiß sein darf.
*Arthur Schopenhauer
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Ubalda
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen


Beiträge: 18



Beitrag26.02.2018 21:51
Re: Frau Marianne Zwick
von Ubalda
Antworten mit Zitat

Hallo Kurt,

vorweg, ich kann Frau Zwick prima sehen, sie steht ganz deutlich vor meinem inneren Auge. Gefällt mir gut, wie Du das geschrieben hast. Smile

Mir sind ein paar Worte aufgefallen und ein paar Kommata, die man vielleicht ändern/einsetzen könnte. Alle in rot eingefügt. Nimm Dir, was Du magst/brauchst. Wink - Die Absätze sind nur der besseren Lesbarkeit im Zitat wegen eingefügt.

Liebe Grüße
Ubalda


Kurt Bach hat Folgendes geschrieben:

Der Rasen vor dem schmalen Häuschen in der Lautergasse 10 sah aus, als hätte er schon vor einigen Wochen gemäht werden sollen, doch Frau Marianne Zwick in dem schmalen Häuschen in der Lautergasse 10 fühlte sich schon seit einigen Wochen nicht danach. Der kleine Garten um das Haus wucherte wild und nutzte den Frühling um die Grenzen abgesteckter Beete und Felder zu überwinden.

Ameisenkolonien bildeten Sandhügel im Gras, Löwenzahn drängte sich in freie Ritzen und Moos besetzte schattige Flächen. Im Geiste dieser Naturrevolte hatte ein Igel mehrere Gartenzwerge um geschmissen umgeworfen, woraufhin Spinnen und Asseln sie bezogen, nur um kurz darauf von einer Spitzmausfamilie aus ihrem Mietverhältnis gelöst gedrängt zu werden. Und während dieser Dschungel so versuchte, die Spuren kleinbürgerlicher Gartenkultur vor dem Häuschen zu beseitigen, versuchte  probierte das Alter selbiges mit Frau Zwick in ihrem Häuschen. Die Knochen taten ihr Weh schmerzten, die Gelenke ächzten und jeder Schritt kostete sie ihren Atem.

Einige Staubmäuse hatten dies frech ausgenutzt, um sie von aus der sicheren Deckung ihren/r Winkeln und Spalten her zu verspotten, aber die alte Frau hatte gelernt Ungewolltes schlicht nicht zu beachten zu ignorieren. Wenn sie sich Mühe gab, konnten marginale Widrigkeiten den Raum des Realen gänzlich verlassen. Vergilbte Vorhänge, Spinnweben an der Decke und Fusseln auf den Schränken unterlagen schrittweise immer mehr ihrer Imagination als ihrer tatsächlichen Reinlichkeit.

Ihr Leben lang war sie mit dem ersten Hahnenschrei aufgestanden, doch mittlerweile lag sie des Öfteren bis zum späten Vormittag im Bett, und stand nur auf, um sich schließlich einen mittäglichen Malzkaffee mit Zwieback zu machen oder vom Fenster aus die Nachbarn und Passanten zu beobachten. Sogar für Tiraden gegen die Jugend, ihre diese Kleidung und Musik und überhaupt ihr das ganze Gebaren, fehlte ihr zunehmend die Kraft. Kein Wunder, dass der sonntägliche Kirchgang besondere Herausforderungen barg. Es war nicht so, als hätte sie es weit zur Kirche, jedoch führte der Weg bergauf und die Kirche mit Kirchgarten war nur über eine unfreundlich steile Treppe zu erreichen. Das Treppensteigen war erschien ihr sowieso als eine Tätigkeiten der Jungen und Aberwitzigen. Darum hatte sie es sich angewöhnt, schon eine Stunde vor dem Gottesdienst in bester Tracht und mit Gehstock auf dem Trottoir vor ihrem Haus zu stehen und auf vorbeifahrende Autos zu lauern. Kam nun ein Auto mit respektablem Fahrer die Straße entlang, keuchte sie sich, den Gehstock fuchtelnd, in dessen Weg und verlangte mitgenommen zu werden. Ob dieses man tatsächlich Richtung Kirche fuhr war dabei unrelevant irrelevant. Wär Wer hätte einer so alten Frau mit einem so knorrigen Gehstock auch widersprochen, zumal die einzige Möglichkeit die freundliche Bitte auszuschlagen gewesen wäre das Auto die komplette Gasse zurückzusetzen.

An diesem Sonntag lag Frau Zwick noch im Bett und bereitete sich mit geschlossenen Augen mental auf ihren Tag vor. Aus dem Bett hieven, die  den am Abend gerichteten Sonntagsklamotten Sonntagsstaat anziehen, vor dem großen Spiegel im Bad die Haare mit viel Haarspray zu einer soliden Frisur richten arrangieren, eine Mitfahrgelegenheit abwarten, zur Kirche gehen und letztlich müde vom Fenster aus den Rest des Tages den desolaten Zustand ihres Gartens bekritteln. Doch überraschenderweise gestaltete sich das Aufstehen als nicht halb so kräfteraubend wie gedacht. Überhaupt schien es sie gar keine Kraft zu kosten. Von jugendlicher Energie durchflutet streckte sie sich und machte eine erstaunlich respektierliche Kniebeuge. Alles schien heller, die Farben leuchtender. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie den Lavendelstrauß am Türrahmen das letzte Mal so deutlich gerochen hatte. Ungewöhnlich freudig sah blickte sich in ihrem Schlafzimmer um, und sah sich. Dort vor ihrem Bett stand sie, und dort auf ihrem Bett lag sie. Und während sie anfing sich doch noch Sorgen um den Staub auf ihren Kommoden, den Zustand des Gartens und ihrer Unterwäsche zu machen trieb sie völlig aus dem Leben.


_________________
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Bryon
Geschlecht:männlichWortedrechsler
B


Beiträge: 95



B
Beitrag01.03.2018 10:17

von Bryon
Antworten mit Zitat

Hallo Kurt,
dann will ich auch mal meinen „Senf“ dazu geben ..
Zitat:

Der Rasen vor dem schmalen Häuschen in der Lautergasse 10 sah aus als hätte er schon vor einigen Wochen gemäht werden sollen, doch Frau Marianne Zwick in dem schmalen Häuschen in der Lautergasse 10 fühlte sich schon seit einigen Wochen nicht danach.

Rasen per Definition kurz geschnitten – so wie ich es mir vorstelle mittlerweile eine Wiese .. .
Zitat:

Der kleine Garten um das Haus wucherte wild und nutzte den Frühling um die Grenzen abgesteckter Beete und Felder zu überwinden. Ameisenkolonien bildeten Sandhügel im Gras, Löwenzahn drängte sich in frei Ritzen und Moos besetzte schattige Flächen. Im Geiste dieser Naturrevolte hatte ein Igel mehrere Gartenzwerge um geschmissen, woraufhin Spinnen und Asseln sie bezogen, nur um kurz darauf von einer Spitzmausfamilie aus ihrem Mietverhältnis gelöst zu werden. Und während dieser Dschungel so versuchte die Spuren kleinbürgerlicher Gartenkultur vor dem Häuschen zu beseitigen…

Ich mag „aktive“ Schreibweise wink  - für mich passt es. Könnte bei harten Kritikern und Befürwortern des gnadenlosen Kürzens die Frage hervorrufen – wieso das alles? Hat das mit dem Plot zu tun?
Zitat:

Wenn sie sich Mühe gab konnten marginale Widrigkeiten den Raum des Realen gänzlich verlassen. Vergilbte Vorhänge, Spinnweben an der Decke und Fusseln auf den Schränken unterlagen schrittweise immer mehr ihrer Imagination als ihrer tatsächlichen Reinlichkeit.

Verständnisproblem erst verbannt sie alles aus der Welt … und dann meint sie nur dass sie davon träumt? Ich hätte erwartet dass sie auch diesen „Dreck“ ins Schwarze Loch der Bedeutungslosigkeit verbannt ..
Zitat:

Ob dieses tatsächlich Richtung Kirche fuhr war dabei unrelevant.

Irrelevant?
Zitat:

 Wär hätte einer so alten Frau mit einem so knorrigen Gehstock auch widersprochen, zumal die einzige Möglichkeit die freundliche Bitte auszuschlagen gewesen wäre das Auto die komplette Gasse zurückzusetzen.

Gasse? Das Bild vorher war Häuschen Idylle mit Garten – Gasse ist für mich Bild eng aneinander stehender Häuser …
Bzgl der Vorstellung das eine alte Frau vors Auto hüpft hatte ich auch meine Probleme – eine die mittlerweile bei den Schmerzen so die Nase voll hat vom Leben dass sie sich einfach auf die Strasse stellt könnte ich mir eher vorstellen – und ist es noch wichtig dass der Fahrer genehm ist … .. der soll sie ja nur zur Kirche bringen und wenn er blöd redet hat sie zwei Ohren – eins wo’s reingeht und eins wo es rausgeht…

Mal eine direkt Korrektur…
Zitat:

An diesem Sonntag lag Frau Zwick im Bett und bereitete sich mit geschlossenen Augen auf ihren Tag vor. Aus dem Bett hieven, die gerichteten Sonntagsklamotten anziehen, vor dem großen Spiegel im Bad die Haare mit Haarspray zu einer soliden Frisur richten, eine Mitfahrgelegenheit abwarten, zur Kirche gehen und letztlich müde vom Fenster aus den Rest des Tages den desolaten Zustand ihres Gartens bekritteln. Überraschenderweise gestaltete sich das Aufstehen nicht halb so kräfteraubend wie gedacht. Überhaupt kostete es sie keine Kraft. Von jugendlicher Energie durchflutet streckte sie sich und machte eine respektierliche Kniebeuge. Alles war heller, die Farben leuchtender. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie den Lavendelstrauß am Türrahmen das letzte Mal so deutlich gerochen hatte. Freudig sah sich in ihrem Schlafzimmer um, und sah sich. Dort vor ihrem Bett stand sie, und dort auf ihrem Bett lag sie. Sie fing an sich Sorgen um den Staub auf ihren Kommoden, den Zustand des Gartens und ihrer Unterwäsche zu machen und trieb völlig aus dem Leben.


Also ich habe mal versucht zu kürzen nach den Regeln die ich kenne – wobei ich kein Meister darin bin und bei meinen eigenen Texten immer die Hälfte übersehe wink

Alles in allem finde ich den Text gut geschrieben – ob es mein Genre ist kann ich nicht sagen. Ich spüre noch nicht wo es hingeht und hätte im Moment keinen Haken der mich weiterführt. Man stirbt und dann ist eine Geschichte zuende – dass es vielleicht weitergeht erkenne ich aus dem Absatz noch nicht.

Sehr schön finde ich die Bilder in den Beschreibungen – ich mag so etwas (visuell veranlagt) ..

Gruß,

Bryon
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