|
|
Autor |
Nachricht |
Papiertiger Leseratte
Alter: 57 Beiträge: 125 Wohnort: Paderborn
|
08.11.2017 15:13 Ernstgemeinte Frage zu einem "problematischen" Thema von Papiertiger
|
|
|
Liebe Leute,
ich habe eine ernstgemeinte Frage zu einem etwas "problematischen" Thema.
Ich schreibe einen historischen Roman, eine Szene spielt in einem Bordell. Zeit: Ende 18. Jahrhundert.
Eine Dame sagt zu der anderen, dass sie ihre primären Geschlechtsteile waschen möge.
Welcher Begriff wurde damals für dieselben verwendet? Muschi, Pussy scheint mir ziemlich "modern" zu sein, das gab es damals eher nicht. Glaube ich zumindest.
Fotze als wohl ordinärste Form würde mir in den Sinn kommen, aber ich weiß nicht, ob
a) es das damals schon gab und
b) man das heute in einem Roman bringen sollte, der nicht von Effekthascherei und Verbalentgleisungen lebt, sondern einen gewissen "Anspruch" hat.
Vielen Dank für eure Meinungen und viele Grüße
|
|
Nach oben |
|
|
Murmel Schlichter und Stänker
Alter: 68 Beiträge: 6380 Wohnort: USA
|
08.11.2017 15:35
von Murmel
|
|
|
Ich empfehle jedem historischen Romanschreiber, sich den "Kluge" zuzulegen, oder zumindest Online nach einem Etymologischen Wörterbuch zu suchen, zum Beispiel: http://etymology_de.deacademic.com/
|
|
Nach oben |
|
|
Papiertiger Leseratte
Alter: 57 Beiträge: 125 Wohnort: Paderborn
|
08.11.2017 16:25
von Papiertiger
|
|
|
Danke für den guten Tipp.
Demzufolge scheint die o.g. ordinärste Form korrekt zu sein. Überhaupt war die Sprache damals äußerst derb, ähnliche Begriffe waren wohl auch in Schauspielen an der Tagesordnung.
|
|
Nach oben |
|
|
Taranisa Bücherwurm
Alter: 54 Beiträge: 3180 Wohnort: Frankenberg/Eder
|
09.11.2017 12:28
von Taranisa
|
|
|
Ich bedanke mich auch für den Tipp , zumal ich sehr darauf achte, keine entsprechend der Epoche zu modern klingende Wörter zu verwenden. Manches habe ich schon im Internet nachgeforscht, ab wann es im Sprachgebrauch auftauchte, aber ein solches Wörterbuch spart sicher viel Zeit.
Meist lasse ich mich vom Gefühl her leiten, wie die Menschen "damals" gesprochen haben könnten.
|
|
Nach oben |
|
|
Papiertiger Leseratte
Alter: 57 Beiträge: 125 Wohnort: Paderborn
|
09.11.2017 14:42
von Papiertiger
|
|
|
Taranisa hat Folgendes geschrieben: |
Meist lasse ich mich vom Gefühl her leiten, wie die Menschen "damals" gesprochen haben könnten. |
Ich habe mich damit schon vor meiner Frage etwas beschäftigt - tendenziell war die Sprache sehr derb, für unseren Geschmack recht primitiv, teilweise obszön, und Fäkalsprache, wie ich sie hier thematisiert habe, gang und gäbe. Auch und besonders in Schauspielen, Schauspieler wurden damals weniger als Künstler denn als Handwerker angesehen.
Kraftausdrücke etc. wurden allg. recht häufig benutzt.
|
|
Nach oben |
|
|
sleepless_lives Schall und Wahn
Administrator Alter: 58 Beiträge: 6458 Wohnort: München
|
09.11.2017 22:18
von sleepless_lives
|
|
|
Da stellt sich aber ein weiteres Problem: Was auch immer die gängige Ausdrucksweise war, es war die Normalität für die Leute in der Zeit innerhalb ihrer Gesellschaftsschicht. Für die Betroffenen war es nicht - zum Beispiel - auffallend derb, sondern so wie man halt redet. In der gleichen Weise haben sie keine veralteten Ausdrücke benutzt, sondern ihre zeitgenössischen Ausdrücke einschließlich der letzten Mode an neuen Kreationen und Fremdwörtern. Wenn man also den heutigen Lesern ein realistisches Bild vermitteln wollte, müsste man das heutige Alltagsdeutsch verwenden und es wäre nur dahingehend einzuschränken, dass Klassenunterschiede möglicherweise stärker ausgebildet waren (diskutabel für viele Epochen) und sich stärker in der Ausdrucksweise manifestieren haben.
_________________ Es sollte endlich Klarheit darüber bestehen, dass es uns nicht zukommt, Wirklichkeit zu liefern, sondern Anspielungen auf ein Denkbares zu erfinden, das nicht dargestellt werden kann. (Jean-François Lyotard)
If you had a million Shakespeares, could they write like a monkey? (Steven Wright) |
|
Nach oben |
|
|
Selanna Reißwolf
Beiträge: 1146 Wohnort: Süddeutschland
|
10.11.2017 11:58
von Selanna
|
|
|
Das wäre eine unglaublich interessante Idee. So einen historischen Roman würde ich gerne einmal lesen! Dann würde der mittelalterliche Held in modernen coolen Oneliner sprechen (der Wikinger würde den Überfall lapidar abtun mit: "War nicht so krass wie St. Cuthbert"), Richard Löwenherz würde sein Verhalten bei Akkon gegenüber Leopold im Nachhinein als "suboptimal" bezeichnen, deutsch-römische Kaiser über den "Abbruch (oder die Wiederaufnahme) der diplomatischen Beziehungen" mit dem Papst hadern.
Die Charaktere wären einem näher und man würde die Probleme so aktuell wahrnehmen wie sie es für die Protagonisten auch sind. Trotzdem bin ich mir ziemlich sicher, dass die Leserschaft von historischen Romanen den Stil als experimentell ablehnen würde, weil sie vielmehr die Erwartung hat, in veralteter Sprache schwelgen zu dürfen, die die Geschichte nicht als für die Zeit aktuell präsentiert, sondern als lange vergangen.
Kennt jemand einen historischen Roman, der "modern" geschrieben ist?
_________________ Nur ein mittelmäßiger Mensch ist immer in Hochform. - William Somerset Maugham |
|
Nach oben |
|
|
Dr. Fusselpulli Leseratte
D Alter: 38 Beiträge: 110 Wohnort: Prag
|
D 13.11.2017 10:17
von Dr. Fusselpulli
|
|
|
Keine wirklich historischen Romane, sondern eher Fantasy, aber Andrzej Sapkowski benutzt in seinen Romanen, die als Vorlage für die Witcher Computerspiele dienten, eine recht moderne Sprache. Allerdings auch nur bis zu einem gewissen Grad. Ein Wort das mir grade in den Sinn kommt ist hier "Geheimdienst"
|
|
Nach oben |
|
|
Selanna Reißwolf
Beiträge: 1146 Wohnort: Süddeutschland
|
13.11.2017 12:02
von Selanna
|
|
|
Hallo Dr. Fusselpulli,
danke für den Hinweis! Aber Fantasy ist ja eine komplett andere Welt - wenn ein Mittelalter- oder Frühe Neuzeit-Roman mit modernen Dialogen geschrieben wäre, ist das noch einmal ein ganz anderes Kaliber, finde ich.
Trotzdem danke, ich behalte es im Hinterkopf!
Liebe Grüße
Selanna
_________________ Nur ein mittelmäßiger Mensch ist immer in Hochform. - William Somerset Maugham |
|
Nach oben |
|
|
paleking Gänsefüßchen
Alter: 33 Beiträge: 33 Wohnort: Hinterland
|
13.11.2017 13:58
von paleking
|
|
|
Das heutige Alltagsdeutsch in das Mittelalter zu versetzen wäre tatsächlich eine spannenden Ausgangssituation. Gleichzeitig würde man wohl einen Teil der "traditionellen" Histo-Leser abschrecken.
Man könnte natürlich aber auch die Errungenschaften der Aufklärung, Emanzipation etc. in einem Buch rückgängig machen, und das Standesdenken in die heutige Zeit weiterspinnen, mit all den technologischen Möglichkeiten, die wir besitzen. Also zeitlich zurück ins Mittelalter springen und von dort ausgehend einen Zukunftsroman schreiben. Ob das funktionieren würde?
|
|
Nach oben |
|
|
Rainer Prem Reißwolf
R Alter: 66 Beiträge: 1271 Wohnort: Wiesbaden
|
|
Nach oben |
|
|
Fjodor Reißwolf
Beiträge: 1497
|
13.11.2017 14:36
von Fjodor
|
|
|
Zu beachten ist, dass man früher ja im Dialekt gesprochen hat, was die Wirkung von manchem Derben und Obszönen etwas abmildert. - Indem man das heutige Hochdeutsch verwendet, ist man also auch schon Übersetzer; d.h. ich muss eine Figur, die vom Charakter her nicht besonders derbe ist, auch entsprechend angepasst übersetzen. Einen Dialektausdruck 1:1 ins heutige Hochdeutsch zu übersetzen träfe nicht den eigentlichen Charakter. D.h. es wäre eine stimmige Mischung zu wählen aus Zeitfärbung und heutigem Sprachempfinden. (Ich weiß schon warum ich keinen historischen Roman schreiben wollte )
|
|
Nach oben |
|
|
Taranisa Bücherwurm
Alter: 54 Beiträge: 3180 Wohnort: Frankenberg/Eder
|
13.11.2017 15:14
von Taranisa
|
|
|
paleking hat Folgendes geschrieben: | Das heutige Alltagsdeutsch in das Mittelalter zu versetzen wäre tatsächlich eine spannenden Ausgangssituation. Gleichzeitig würde man wohl einen Teil der "traditionellen" Histo-Leser abschrecken.
|
Wenn ich einen Histo lese (oder schreibe), dann möchte ich mich in die Zeit versetzen können, bzw. in die vergangene Welt eintauchen. Eine zu moderne Wortwahl (wie z.B. "cool", "kontraproduktiv", "ey Alter") würde mich herausreißen, da so zu der Zeit eher nicht gesprochen wurde. Eine künstlich-verkrampfte Sprache ("Mir deucht") wäre aber auch nichts für mich.
Die verwendete Sprache muss sich einfach natürlich anfühlen.
|
|
Nach oben |
|
|
Arcularius Eselsohr
A
Beiträge: 202
|
A 13.11.2017 15:36
von Arcularius
|
|
|
Selanna hat Folgendes geschrieben: | Kennt jemand einen historischen Roman, der "modern" geschrieben ist? |
Ein Projekt, welches zumindest in die Richtung geht, durfte ich vor Kurzem verlegen. Es ist zwar letztlich Urban-Fantasy wegen der Parellelwelten-Tore, aber die dahinterstehende Parallelwelt folgt dem Muster "was wäre, wenn". Ein spätrömischer Kaiser hat dort die Meuterei seiner Soldaten überlebt (in der Realwelt nicht) und so besteht dort das römische Reich bis in die Neuzeit. Durch den Austausch über die Tore spricht man dort verhältnismäßig modern, u.a. weil neben Latein auch Deutsch als Diplomatiesprache zwischen den Parallelwelten zum Einsatz kommt. Das war eine ganz eigene und tolle Erfahrung, gerade für mich als Historiker, und ich hoffe, dass "Was wäre, wenn"-Romane bei uns mit der Zeit beliebter werden und mehr davon auf den Markt kommt.
Fjodor hat Folgendes geschrieben: | Zu beachten ist, dass man früher ja im Dialekt gesprochen hat, was die Wirkung von manchem Derben und Obszönen etwas abmildert. - Indem man das heutige Hochdeutsch verwendet, ist man also auch schon Übersetzer; d.h. ich muss eine Figur, die vom Charakter her nicht besonders derbe ist, auch entsprechend angepasst übersetzen. Einen Dialektausdruck 1:1 ins heutige Hochdeutsch zu übersetzen träfe nicht den eigentlichen Charakter. D.h. es wäre eine stimmige Mischung zu wählen aus Zeitfärbung und heutigem Sprachempfinden. (Ich weiß schon warum ich keinen historischen Roman schreiben wollte ) |
Etwas abmildern halte ich auch für den besten Ratschlag, weil die heutigen Leser/innen viele Wörter anders wahrnehmen, ob nun von der "Stärke" des Ausdrucks oder von der Bedeutung. Wie unterschiedlich Wörter wahrgenommen werden, sieht man ja auch heute sehr schön, wenn z.B. jemand aus Bayern von einer "Fotzn" spricht und sich wundert, warum sich der Rest der Welt darüber amüsiert oder echauffiert, obwohl sie/er eigentlich nur etwas über den Mund oder die Ohrfeige von sich gegeben hat.
Taranisa hat Folgendes geschrieben: | Wenn ich einen Histo lese (oder schreibe), dann möchte ich mich in die Zeit versetzen können, bzw. in die vergangene Welt eintauchen. Eine zu moderne Wortwahl (wie z.B. "cool", "kontraproduktiv", "ey Alter") würde mich herausreißen, da so zu der Zeit eher nicht gesprochen wurde. Eine künstlich-verkrampfte Sprache ("Mir deucht") wäre aber auch nichts für mich.
Die verwendete Sprache muss sich einfach natürlich anfühlen. |
Vor allem beim LARP ist dieses Extrem oft anzutreffen. Einen historischen Roman mit LARP-Mittelalter-Sprech würde ich sofort weglegen, weil einem das sehr häufige "Gehabt Euch wohl", "wohlan" und "fürwahr" irgendwann auf den Schnürsenkel geht.
|
|
Nach oben |
|
|
Bunt Speck Eselsohr
Beiträge: 436 Wohnort: Brimm
|
13.11.2017 16:39
von Bunt Speck
|
|
|
Selanna hat Folgendes geschrieben: |
Kennt jemand einen historischen Roman, der "modern" geschrieben ist? |
Eine Roman nicht, aber das wird natürlich im Film verwendet (Ritter aus Leidenschaft z.B., war ja erfolgreich), um dem Zuschauer eine Identifikationsbrücke mehr zu bieten (schätze ich mal). Hier ists halt nicht die Sprache, sondern die Musik, die dann wieder manche Szenen modern im alten Gewand erscheinen lässt. Die Möglichkeit hat der Autor halt nicht. Wie will man über die sprachliche Ebene hinaus Moderne durch den Leser erfühlen lassen?
Als Leser würdeich es wahrscheinlich seltsam finden, wenn historische Persönlichkeiten modern sprechen.
Gruß
Bunt
|
|
Nach oben |
|
|
Papiertiger Leseratte
Alter: 57 Beiträge: 125 Wohnort: Paderborn
|
15.11.2017 20:13
von Papiertiger
|
|
|
Interessanter Input von euch.
Ich werde das Problem wohl elegant umschiffen, indem ich besagten Kraftausdruck gar nicht verwende. Ist eben immer auch die Frage, wie Leser auf so etwas reagieren, nicht nur, inwieweit es authentisch sein mag.
Ich möchte keinem Leser den Eindruck vermitteln, als würde ich in Fäkalsprache abgleiten, nur um Effekthascherei zu betreiben.
|
|
Nach oben |
|
|
titanium_boy Gänsefüßchen
Alter: 52 Beiträge: 20 Wohnort: Niederrhein
|
03.12.2017 18:23
von titanium_boy
|
|
|
Such mal im Internet: "Josefine Mutzenbacher oder Die Geschichte einer Wienerischen Dirne von ihr selbst erzählt." ist bei archive.org als kompletter Text verfügbar.
Soweit ich das verstehe ist der Roman von 1906 und erzählt die Lebensgeschichten besagter Dame, die im 19. Jahrhundert gelebt hat. Das sollte von der Wortwahl dem Zieljahrhundert schon recht nahe kommen.
CU - titanium_boy
|
|
Nach oben |
|
|
|
|
Seite 1 von 1 |
|
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben. Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten. Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten. Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen. Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht teilnehmen. In diesem Forum darfst Du Ereignisse posten Du kannst Dateien in diesem Forum nicht posten Du kannst Dateien in diesem Forum nicht herunterladen
|
Empfehlung | Empfehlung | Empfehlung | Buch | Empfehlung | Buch | Empfehlung | Empfehlung | Buch | Buch |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|