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Die Punkerin


 
 
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James Blond
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Beitrag23.08.2017 10:46
Die Punkerin
von James Blond
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

So lässig steht sie da, leicht angelehnt,
als wär der Ort Kalkül und jene Stätte
weit mehr als nur ein Gral moderner Glätte,
die sie mit müder Nonchalance begähnt.

Ihr Lippenschwarz betont die Zigarette,
das Dekolleté empfängt weit ausgedehnt
des Fremden Blick, doch was er sich ersehnt,
versperrt ein Handgriff der Toilettenkette.

Der Irokesenkamm soll jene locken,
die leuchtend rotes Haupthaar motiviert,
doch wenden sich die Gäste meist erschrocken,

sobald ein Zungenschlag signalisiert,
ihr Mündchen ist gepierct, voll spitzer Pocken -
was nur der echte Kenner honoriert.



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Herr N.
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Beitrag23.08.2017 12:53

von Herr N.
Antworten mit Zitat

achja, die punkerin

herrlich, wie hier auch deutlich wird, dass eben das antagonistisch szenische spiel von reiz und abscheu einem geheimen kalkül entspringt. gerade, wenn man sich schon in wollüstigen fantasien wähnt, öffnet sich doch der rachen des raubtiers und lässt den biedermann vor furcht erzittern. man möchte ihm sofort glück wünschen, dass ein blick hinter und oft erst auf fassaden schon, auch mal frei vom pauschalstrom gelänge.
und klar: man ist ja nur gast für den moment.
fehlt nur noch der regen, damit alle mal so richtig geil nass werden.

gern gelesen


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Das Herrliche:
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host
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Beiträge: 48
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Beitrag24.08.2017 00:37

von host
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Hi,

Sehr interessant dein Sonett. Ich musste es mehrfach lesen, bis ich verstand. Ein paar Gedanken dazu:
Die "Punkerin", die du hier vorstellst, ist ein Altmänner-Fantasiegebilde über eine "Punkerin" und hat so gut wie nichts mit der Realität der Punker zu tun hat. Deren besondere Kleidungsart, die Haare, das Make-Up, die Musik, ihr Miteinander ist ihnen selbstverständliche Lebensart und keine Attitude - da ist viel Verzweiflung zu spüren, Wut und Selbsthass, Verlieren und Desillusionierung und nun wirklich das Gegenteil von "müder Nonchalance" und "Glätte. Punk-Style (gibt es diesen Begriff überhaupt?) entstand sicherlich nicht, um ein weiteres erotisches Reizmittel zu kreieren. Jedenfalls nicht im Punk, sondern später vielleicht, um (alte) geile Männer anzutörnen. Das Gedicht befasst sich nicht mit der Punk, sondern spricht über eine Prostituierte; sie "steht ... da, leicht angelehnt" - in lässiger Pose -. Sie nutzt diese spezifische Kleidung in einem unpassenden Ambiente, um es sich von "echte[n] Kenner[n]" unter den "Gästen"  honorieren zu lasen, wie dein Sonett sagt.
Was frischen exotischen Wind verspricht, ist nur neuer Guss für simple alte sexuelle Stereotypen und Geilheit.
Und auf einer tieferen Ebene ist Sexualisierung von Protestverhalten nichts anderes als Missbrauch, Demonstration von Macht, ja von Verhöhnung - jedenfall dann, wenn es zum schwülstigen Gleitmittel degeneriert.

LG host
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host
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Beitrag24.08.2017 00:38

von host
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.
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James Blond
Geschlecht:männlichEselsohr

Alter: 71
Beiträge: 448
Wohnort: HAMBURG


Beitrag24.08.2017 15:11
Gleitmittel?
von James Blond
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Oha - immerhin schon mal drei Antworten, von denen die letzte allerdings etwas kurz ausgefallen ist. wink
Beiden Verfassern gilt mein aufrichtiges Dankeschön und ich freue mich, dass in den Beiträgen die "wollüstigen Fantasien" des "Biedermann[s]", bzw. das "Altmänner-Fantasiegebilde" als solches erkannt wird. Das gibt viel Hoffnung und motiviert zu weiteren Versuchen im Rahmen konventioneller Lyrik jenseits absoluter Metaphorik.

Hier wird, auch im Gegensatz zu konventioneller Lyrik, ganz auf Metaphern verzichtet, das Sonett hält sich an Beschreibungen und transportiert dennoch eine verständliche Aussage, die über das Beobachtbare hinausführt und zu einer Kritik befähigt. Wenn es gelingt, weitaus mehr zu sagen, als man sagt, scheint mir das Unterfangen gelungen.

Der Titel mag zunächst in die Irre führen. Host merkt zu Recht an, dass sich der Text mit dem sozialen Phänomen des Punk (oder der Punkerin) in keiner Weise auseinandersetzt und schnell wird klar, dass hier der Begriff im Sinne einer Kostümierung gebraucht wird, dem ganz andere Absichten zugrunde liegen, als eine vermutete Identität auszudrücken. Man kann es dem Text zum Vorwurf machen, dass er des Lesers Erwartung enttäuscht, man kann es dem Gedicht aber auch hoch anrechnen, sofern dabei mehr als nur ein neuer (Auf-)"Guss für für simple alte sexuelle Stereotypen und Geilheit" dabei herauskommt.

Das Gedicht zielt nicht darauf ab, den Leser sexuell zu befeuern, und wird es vermutlich auch nicht. Denn der Leser wird nicht zum Betrachter einer sich zur Schau Stellenden, sondern er wird  Beobachter einer Zurschaustellung, zur dritten Person. Somit beschreibt der Text keine Person, sondern eine Situation und lädt zur Reflexion ein.

Punk, vormals eine schillernde Blüte der Jugendkultur, ist innerhalb des Mainstream längst zum Karnevalskostüm mutiert und bietet (im Gegensatz zu Seeräubern oder Cowboys) auch im gewerblichen Bereich einen geeigneten erotischen Spielraum:  Ein link zur Erläuterung.

Dieser wird im Gedicht allerdings nicht als "Gleitmittel" benutzt, nicht ausgekostet, sondern aus einer ironischen Distanz heraus als Guck-und-Zeige-Spielchen dargestellt. Ich denke nicht, dass daraus dem Text ein "Missbrauch" durch "Sexualisierung von Protestverhalten" erwächst, geschweige denn, dass er irgend jemanden "verhöhnen" würde.

Ich hätte mir statt der soziologischen Betrachtung des Punk-Themas eine etwas lyrikzentriertere Betrachtung gewünscht, die Sonettform und Inhalt in Beziehung setzt, anstatt mit Moralkeulen Löcher in die Luft zu schlagen. Immerhin hatte ich den Text vor allem deshalb eingestellt, weil ich in hosts "Muttermilch!" die Frage nach dem nützlichen - oder störenden - Kontrast zwischen Form und Inhalt aufgeworfen hatte und hier ein Beispiel abliefern wollte, in welcher die "feine" Sprache den dargestellten Inhalt kontrastiert und damit ironisierend wirken soll. Ob das angekommen ist? Ich weiß es nicht.

Aber noch ist ja nicht aller Tage Abend!


Bis dahin nix für ungut & viele Grüße

smile
JB


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Herr N.
Geschlecht:männlichEselsohr


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Beitrag24.08.2017 15:44

von Herr N.
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Zitat:
Ich hätte mir statt der soziologischen Betrachtung des Punk-Themas eine etwas lyrikzentriertere Betrachtung gewünscht, die Sonettform und Inhalt in Beziehung setzt, anstatt mit Moralkeulen Löcher in die Luft zu schlagen.


hi jb,

dann schick doch nächstes mal deine wunschverpackung einer potentiellen beurteilung gleich vorneweg, dann kommt es garantiert auch lyrikzentrisch retoure und du musst dich nicht mit soziologischen betrachtungen bzw. moralkeulen herumärgern wink


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Das Herrliche:
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host
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Beitrag24.08.2017 21:46

von host
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Hallo J. Blond,

Ja, das Moralisieren-Müssen - eine meiner drei alten, so zählebigen Tugenden. Die anderen sind der Entschuldigungszwang und das Jammerjammern. Manchmal muss einfach Moralinsaures aus meinem Mund fließen und mit dröhnenden Worten grollen. Ich bin dann kaum zu bremsen. Göttliche Energie flutet mich, du kennst das?
Dann heißt es, einfach abwarten. Irgendwann ist das Reinigungakt vollendet, meine Seele wieder aufnahmefähig und vielleicht sogar poetologiebereit.

Wie Herr N. es mit anderen Worten tat, bitte ich dich um ein bisschen Zeit. Flink wie du deine Analyse vorlegst, besteht die Gefahr, dass deine Erläuterungen apodiktisch und/oder apologetisch wirken.

Ich sprach in meiner ersten Reaktion auch nur von "einigen Gedanken" zu deinem Sonett, nicht von einer Analyse. Also hier noch weitere Gedanken, die jetzt poetologisieren wollen.

Mir fiel gleich die goutierende Gesinnung der Kenner auf. Sie schien mir unpassend angesichts der öffentlichen Zurschaustellung der "Punkerin". Die gemeine Geilheit versteckt sich hier hinter der Attitude von Vornehmheit. In meiner "soziologischen Betrachtung" habe ich diesen Gedanken weiterverfolgt und bewertet. Damit habe ich dein Gedicht verlassen.

In deinem Sonett feiert dessen inhärenter Betrachter in keiner Weise, das was ich gerade "vornehm" nannte, noch identifizierst er sich in mit diesem herrschaftlich Goutieren. Er präsentierst es einfach - ohne jegliche Bewertung. Seine Distanz ist spürbar, leicht spöttelnd. In diesem Sinne ist deine Botschaft angekommen.

Ich will noch weitergehen. Du hast eine strenge, "alte" Form gewählt: das Sonett und dann auch noch dessen schlegelsches Ideal (Ich habe das gegoogelt).
Und dann ist das Betrachtete nicht irgendwas Erbauendes, nicht Tod, Verlust, hehre Liebe, sondern nur versteckte Gier hinter der Maske von Männern mit Geschmäckle. Nun steht das Sonett nicht mehr so auf dem "Erbaulichen", wie es früher mal war. Dennoch klingt es hier mit seinem Thema wie künstlich hoch gezogen und aufgewertet.

Lässt die 1. Strophe unseren Blick auf die "Punkerin" im passenden Ambiente werfen, kapriziert die 2. Strophe auf einige Details der Dame.
Die "Toilettenkette" bremst zwar das bei manchen aufkommende "Sehnen" aus. In den beiden Terzetten wird gezeigt, dass sich Spreu von richtigen "Kenner"n trennt.
Auf die klassische Sonetteinteilung projiziert könnte man sagen:
1) These: Die "Punkerin" ist anziehend (1. Strophe und erster Teil der 2. Strophe).
2)  Antithese: Sie irritiert und stößt ab (letzte Zeile 2. Strophe und 3. Strophe).
3) Synthese: Sie ist nur was für Feinschmecker (letztes Terzett).

Kurz: 1) heiß - 2) widerwärtig - 3) nur für Kenner. Sicherlich sind tiefergehende antithetische Schritte denkbar. Hier wirken sie nur noch als Persiflage.

Oder so ähnlich ...

LG host
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James Blond
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Alter: 71
Beiträge: 448
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Beitrag25.08.2017 12:03

von James Blond
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Lieber N.!

Herr N. hat Folgendes geschrieben:

dann schick doch nächstes mal deine wunschverpackung einer potentiellen beurteilung gleich vorneweg, dann kommt es garantiert auch lyrikzentrisch retoure

In meiner Ungeduld hatte ich ja genau das gemacht - und mit Erfolg, wie man sieht. smile

Lieber host!
host hat Folgendes geschrieben:

Flink wie du deine Analyse vorlegst, besteht die Gefahr, dass deine Erläuterungen apodiktisch und/oder apologetisch wirken.


Das ist natürlich die Schattenseite jeglicher Autorenäußerung zu eigenen Werken. Und eigentlich schon ein Tabubruch. Allerdings geht es hier um keine Werkveröffentlichung, sondern wir sitzen auf dem Bänkchen einer Lyrikerschule und da kann ein wenig "Anmoderation" zuweilen nicht schaden. Und allzu viel hatte ich ja auch nicht verraten, lediglich versucht, den nunmehr seelengereinigten Blick vom Punk auf die Interaktionen des Sichzeigens und Gesehenwerdens und auf die lyrische Form zu richten - soviel "apo" darf schon mal sein, ohne dabei zu viel zu präjudizieren. smile
host hat Folgendes geschrieben:

Mir fiel gleich die goutierende Gesinnung der Kenner auf. Sie schien mir unpassend angesichts der öffentlichen Zurschaustellung der "Punkerin". Die gemeine Geilheit versteckt sich hier hinter der Attitude von Vornehmheit.


Das ist ein interessanter Gedanke, dem (in einem neuen Anlauf) nachzugehen, sicher lohnenswert wäre. Hier spielt er kaum eine Rolle:

host hat Folgendes geschrieben:

In deinem Sonett feiert dessen inhärenter Betrachter in keiner Weise, das was ich gerade "vornehm" nannte, noch identifizierst er sich in mit diesem herrschaftlich Goutieren. Er präsentierst es einfach - ohne jegliche Bewertung. Seine Distanz ist spürbar, leicht spöttelnd. In diesem Sinne ist deine Botschaft angekommen.


Nun ja, der Beobachter verrät durch seine Wortwahl schon das Bestreben, seine Geschmackskompetenz herauszustellen. Die "feinen" Worte (Kalkül,  Nonchalance, ... ) wirken allerdings etwas ironisch deplatziert, weil sie auf ein Äußeres treffen, das ursprünglich aus einer ästhetischen Verweigerung entstand. Punk wollte alles andere als "schön" sein. Hier nun entsteht daraus im Kontrast zur modernen Umgebungsglätte ein neuer, auch erotischer Reiz. Das ist fast schon paradigmatisch: die herrschende Schicht saugt den Protest der Subkulturen auf, um aus dem antithetischen Kontrast neue Vitalität zu gewinnen. Dass die ursprüngliche "Message" bis zur Unkenntlichkeit verdünnt, teilweise sogar in ihr Gegenteil verkehrt wird, spielt dabei keine Rolle: Die Mode wechselt stets nur Verpackungen, um die alten Inhalte von Reiz und Verführung neu zu transportieren.

Dieses Sonett schlägt nun den umgekehrten Weg ein: Es transportiert in der alten Verpackung des Schlegelsonetts den zeitgenössischen Inhalt einer kalkulierten (gewerblichen?) erotischen Verführung. Dabei tritt die klassische, sonetttypische Erörterung durch These, Antithese und Synthese allerdings in den Hintergrund, stattdessen findet sich in allen Strophen eine Gegenüberstellung von Objektanreiz und erzielter oder beabsichtigter Wirkung, aus der sich ein Wechselspiel von Annäherung und Verweigerung ergibt. Anstelle des üblichen Resümees kommt es im letzten Terzett zu einem Entscheidungszwang: für oder gegen, ganz oder gar nicht - der das Spielchen schlagartig beendet.

host hat Folgendes geschrieben:

Und dann ist das Betrachtete nicht irgendwas Erbauendes, nicht Tod, Verlust, hehre Liebe, sondern nur versteckte Gier hinter der Maske von Männern mit Geschmäckle. Nun steht das Sonett nicht mehr so auf dem "Erbaulichen", wie es früher mal war. Dennoch klingt es hier mit seinem Thema wie künstlich hoch gezogen und aufgewertet.


Zustimmung. Genau diese Aufwertung ist auch beabsichtigt. Die lyrische Aufmerksamkeit wendet sich, von aufwühlenden oder kryptisch chiffrierten Innenwelten zunehmend gelangweilt, ab und wirft ihren spöttisch-ironischen Blick auf die gepiercte Wirklichkeit. Für mich ist das eine akzeptable Alternative zu den zahllosen Versuchen, alten Gefühlssenf in moderne Tuben zu pressen, was ihn auch nicht besser macht. Die Aufwertung des Alltäglichen, auch des scheinbar Banalen,  taugt im Gegensatz zur inflationären Abwertung innerer Ausnahmezustände zum lyrischen Programm. Der Eindruck von Künstlichkeit ist dem Ungewohnten geschuldet, denn an den roten Haaren herbeigezogen wurde hier eigentlich nichts.

Und es bleibt ein Spiel mit Worten, die hier, wie ihr Objekt, ebenfalls um Aufmerksamkeit buhlen, gelesen werden wollen, um an dem Spiel der Attraktion teilzunehmen. Insofern sollten hier Wortgourmets auf ihre Kosten kommen.

Lieber host,
ich danke dir für deine ausführlichen Einlassungen zur Form!

Viele Grüße
JB


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Ralfchen
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Beitrag25.08.2017 12:33

von Ralfchen
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hallo James -

das ist ein sehr elegant gesetzter text, der absolut und unverzüglich bilder im leser erscheinen läßt. womit ich nicht zurecht komme ist der GRAL MODERNER GLÄTTE, denn damit kann ich keine zuordnung fraternisieren. der gral ist ein mythischer becher aus dem der unselige JC kolportierter weise trank. wie also kann der becher mit  weit mehr als nur (noch dazu) moderner glätte im rahmen einer toilettentür verwendung finden? und der becher selbst besteht ja aus einem material alter glätte - also poliertes metall oder glas. beide materialien altern nicht. es gibt kein altes gold und keinen alten quarz. nur die herstellung mochte vor jahrtausenden stattgefunden haben. somit erschließt mir diese zeile rein gar nichts, sondern kommt mir eher wie eine gezwungen modernierung vor.



Zitat:
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weit mehr als nur ein Gral moderner Glätte,
die sie mit müder Nonchalance begähnt.
[/b]

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James Blond
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Beitrag25.08.2017 13:09

von James Blond
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Hallo Ralfchen,

vielen Dank für die Anerkennung und deinen Hinweis auf die ursprüngliche Wortbedeutung des Grals.

Hier ist allerdings kein heiliger Becher gemeint, sondern der Ort stellt im übertragenen Sinne einen "Gral moderner Glätte" dar. Soll heißen: hier feiert sich die Moderne in spiegelnden Oberflächen, in Chrom, großen Fensterscheiben und polierten Granitplatten, wie z.B. in den Empfangshallen der Bürotürme. "Gral" ist hier als ein Heiligtum der Moderne zu verstehen, das mit seinen Oberflächen beeindrucken und zugleich einschüchtern will.

Apropos: Von Toilettentür ist hier nicht die Rede: Die Lady trägt zur stilsicheren Präsentation einen Handgriff von der Klokette als Halsschmuck und der baumelt ihr ziemlich tief ins Dekolleté. smile

Grüße
JB


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Ralfchen
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Beitrag25.08.2017 14:33

von Ralfchen
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danke James - dass das wort GRAL auch den dom und die halle der eisigen moderne definieren kann und darf ist mir ein wenig neu, aber dennoch akzeptabel.

somit: alles klar.

vlg
r


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James Blond
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Beitrag25.08.2017 16:05

von James Blond
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Ralfchen hat Folgendes geschrieben:
danke James - dass das wort GRAL auch den dom und die halle der eisigen moderne definieren kann und darf ist mir ein wenig neu, aber dennoch akzeptabel.


Nun ja: Es ist neu - ich hoffe aber, nicht zu gewagt.
Die Freiheit zu ungewöhnlichen Vergleichen darf und sollte man sich dann nehmen, wenn man meint, dadurch etwas einfach und treffend charakterisieren zu können.

Ich wollte so die Überhöhung des Säkularen ins Heilig-Metaphysische aufs Korn nehmen, die den Tempeln der Moderne innewohnt. Und habe dafür den Gral als ein Symbol spiritueller Suche für meine Zwecke missbraucht.

Grüße
JB


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Ralfchen
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Beitrag25.08.2017 17:11

von Ralfchen
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Zitat:

Nun ja: Es ist neu - ich hoffe aber, nicht zu gewagt.
Die Freiheit zu ungewöhnlichen Vergleichen darf und sollte man sich dann nehmen, wenn man meint, dadurch etwas einfach und treffend charakterisieren zu können.


stimmt absolut und dein text ist ohnehin erste klasse. und als professioneller maler fällt es meiner bunten 5-D-fanatsie letztlich nicht schwer, den gral als dieses chromblitzende und kaltglatte raum-gefüge bildlich zu empfinden.[/quote]


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host
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Beitrag25.08.2017 17:31

von host
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Vielleicht für euch interessant:
Byong-Chul Han über die Ästhetik der Glätte z.B. in:

http://www.zeit.de/zeit-wissen/2014/05/byung-chul-han-philosophie-neoliberalismus

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uffjedn
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Beitrag27.08.2017 12:24

von uffjedn
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Punk in einem Sonett.
Mit Reimen.
Und analysierten Bildern.
Erklärt wie tot Punk ist.

Es bleibt:
Manche Punker waschen ihren
Ironie.


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sagt Paul.
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IQ Dino
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I
Beitrag27.08.2017 13:47
Re: Die Punkerin
von IQ Dino
Antworten mit Zitat

Hallo J.B.

nun mal ein Wort von Jemandem, der einfach den Sinn der Worte liest, die Wirkung spürt und nichts mit den theoretischen Begriffen und Inhalten am Hut hat. Also ... eigentlich Zielgruppe. Hoffe ich.


James Blond hat Folgendes geschrieben:
So lässig steht sie da, leicht angelehnt,
als wär der Ort Kalkül und jene Stätte
weit mehr als nur ein Gral moderner Glätte,
die sie mit müder Nonchalance begähnt.

Fand ich gut ... und zeigt den Style, den ein Punk oder eine Punkerin vermitteln will.
Reiner Protest ist das heute sowieso nicht mehr. Eher ein Stück Weltanschauung und ein Stück Show.


Ihr Lippenschwarz betont die Zigarette,
das Dekolleté empfängt weit ausgedehnt
des Fremden Blick, doch was er sich ersehnt,
versperrt ein Handgriff der Toilettenkette.

Wie Host es schrieb. Die erste Strophe lässt den Reiz dieser Person spüren.
Die zweite hier, finde ich, steigert sogar weiterhin den Reiz ...
gerade wegen der "Attraktivitätsstörung" durch die Kette,
die Überlegenheit gegenüber einem Underdog vermittelt ...


Der Irokesenkamm soll jene locken,
die leuchtend rotes Haupthaar motiviert,
doch wenden sich die Gäste meist erschrocken,

hier bekomme ich, was die Gedichtsform angeht, Schwierigkeiten.
Mir fehlt die Harmonie und der Rhythmus in den Zeilen.
Vier Zeilen hätte ich tatsächlich besser gefunden.


sobald ein Zungenschlag signalisiert,
ihr Mündchen ist gepierct, voll spitzer Pocken -
was nur der echte Kenner honoriert.

zu dieser Strophe finde ich nun gar keinen Bezug.
Ich erkenne den Sinn, dass wir nun ganz abgeschreckt sein sollen, aber dazu müssten mir die Worte bildhafter und klarer sein.
Und auch hier ... ich hätte vier Zeilen sinnvoller gefunden.



Das mal als Kommentar aus dem theoriefreien Volke smile.
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James Blond
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Beitrag28.08.2017 08:38

von James Blond
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Hallo uffedn,

danke für deinen Kommentar.

uffjedn hat Folgendes geschrieben:

Manche Punker waschen ihren
Ironie.


Sie waschen ihren Iro nie? Wäre die Wäsche nicht auch Ironie?

Grüße
JB


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James Blond
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Beitrag28.08.2017 09:16
Re: Die Punkerin
von James Blond
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Hallo Herr Bossi!
Dankeschön zu den Kommentaren der einzelnen Strophen. Auch "naives" Feedback ist mir sehr willkommen, zumal es gar nicht so naiv ist.

Ja, es ist schon so, dass die Dinge im Strophenverlauf nicht nur sprachlich komplizierter werden und den Lesefluss zunehmend aufhalten. Zugleich steigert sich die Ironie zu einer kleinen abschließenden Pointe. Damit verbunden ist ein Wandel vom ruhigen, glatten Einstieg hin zu einer eher dynamischen Konfrontation, die auch sprachlich mehr Widerstand leistet, allerdings - so hoffe ich - wohl nicht um den Preis der Verständlichkeit. Der Rhythmus soll sich allerdings durchgängig am Jambus orientieren, also im steten Wechsel von unbetonter und betonter Silbe.

Was den fehlenden 4. Vers ab der 3. Strophe anbelangt, so schreibt das Sonett diese Form vor, um nach den anfänglichen Quartetten einen formalen Bruch einzuleiten, der mit einem Gedanken- oder Perspektivwechsel in der Betrachtung einhergeht. Allerdings ließen sich die beiden Terzette (auch sonettkonform) zu 4 + 2 Versen gruppieren, dann würde die Schlusspointe etwas stärker betont.

Grüße
JB


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IQ Dino
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I
Beitrag28.08.2017 10:26

von IQ Dino
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moin moin ...

ich habe den Begriff jetzt mal gegoogelt und gesehen, da steckt ein recht umfängliches Regelwerk dahinter. Tatsächlich sehr interessant.

Weitere Frage eines naiven Betrachters (wobei ich das Wort im Sinne von unbefangen bis unbedarft sehe).

Darf ein solches Sonett "schön" sein? Also Harmonie beinhalten, oder ist das just die Absicht, dass es ab der dritten Strophe so asymmetrisch wird, dass es mir nach den ersten beiden Strophen nicht mehr "rund" und eher "holpernd" klingt? Oder entgeht mir da einfach etwas? Smile

Ganz bestimmt ... aber was entgeht mir da?
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James Blond
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Beitrag28.08.2017 10:45

von James Blond
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Herr Bossi hat Folgendes geschrieben:

Darf ein solches Sonett "schön" sein? Also Harmonie beinhalten, oder ist das just die Absicht, dass es ab der dritten Strophe so asymmetrisch wird, dass es mir nach den ersten beiden Strophen nicht mehr "rund" und eher "holpernd" klingt? Oder entgeht mir da einfach etwas? Smile


Moin Herr Bossi!

Nein - holpern sollte hier eigentlich nichts.

Jetzt auch mal bitte etwas Butter bei die Fische: Was genau holpert ab der dritten Strophe? Vielleicht entgeht mir ja etwas: Ich merk's nicht, weil mir der Text nicht mehr fremd genug ist.

Grüße
JB


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IQ Dino
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I
Beitrag28.08.2017 11:03

von IQ Dino
Antworten mit Zitat

Ich erwarte einfach intuitiv, wie in den beiden ersten Strophen, zwei Reimpaare, also 4 Zeilen, die da aber der 3. nicht mehr sind ...

und darum stockt es mir.

Aber ich habe ja nun erlesen, dass das beim Sonett so sein muss, auch wenn ich das klanglich nicht schön finde ...

In dieser Form ist das eben nicht "meins", da ich mich damit ab der 3. aus dem Gedicht rausgeworfen fühle und nur noch auf drei Zylindern zum Ende hoppeln spüre.

Beachte mich also einfach nicht weiter smile
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Harald
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Beitrag28.08.2017 11:12
Re: Die Punkerin
von Harald
Antworten mit Zitat

James Blond hat Folgendes geschrieben:


sobald ein Zungenschlag signalisiert,
.


Diese Zeile wirft manche phonetisch raus …

http://www.duden.de/rechtschreibung/signalisieren

Zur Aussprache gehen und anhören …


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Harald

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von Nina
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Tinaschreibt Roter Teppich & Check-In 1 01.04.2024 14:25 Letzten Beitrag anzeigen


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