18 Jahre Schriftstellerforum!
 
Suchen
Suchabfrage:
erweiterte Suche

Login

Jetzt erhältlich! Eine Anthologie von und mit unseren Usern. Jetzt bestellen! Die erste, offizielle DSFo-Anthologie! Lyrikwerkstatt Das DSFo.de DSFopedia


Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Prosa -> Werkstatt
Diese Werke sind ihren Autoren besonders wichtig Arschaggedon


 
 
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
 Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  « | »  
Autor Nachricht
Leveret Pale
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 25
Beiträge: 786
Wohnort: Jenseits der Berge des Wahnsinns


Beitrag04.06.2017 00:49
Arschaggedon
von Leveret Pale
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Dies ist mein letzter Bericht. Sobald ich ihn hochgeladen habe, werde ich das Apartment in Flammen setzen und darin hoffentlich restlos verbrennen. Es gibt keine Hoffnung mehr für mich, und wenn es eine für die Menschheit geben soll, muss sofort gehandelt werden. Dieser Bericht muss an die oberste Führung weitergeleitet werden. Das Militär muss unverzüglich intervenieren. Ich empfehle den Abwurf eines atomaren Sprengkopfs auf Sinzone und eine komplette Abriegelung des Distrikts mit einer anschließenden Säuberung durch schwerbewaffnete Agenten und sibirische Kampfhamster. Wenn Sie diesen Bericht gelesen haben, werden Sie verstehen, dass das die einzige vernünftige Option darstellt und dass jegliches Zögern tödlich ist.
Mir ist ganz schwummrig von den Benzindämpfen, die mich einhüllen; die Tastatur klebt vor Blut, aber ich gebe mein Bestes, in meiner wenigen verbliebenen Zeit die Dinge so ausführlich zu erklären wie möglich und kein noch so scheinbar unbedeutendes Detail, welches sich nachträglich als relevant entpuppen könnte, auszulassen. Dies wird mein letzter Bericht sein. Mein Vermächtnis sozusagen. Das werde ich gründlich machen und nicht wieder so versagen, wie bei der Erfüllung meines Auftrags.
Es begann vor zwei Wochen, als mir mein Kontaktmann in der Tangerbar in Maine die Unterlagen für den Auftrag übermittelte.
Es spielte sich wie üblich ab.
Durch die vereinbarte Reihenfolge der von mir bestellten Drinks - Zwei Whiskycola, eine Pina Colada, zwei Shots Lotuswein und eine alkoholfreie Margarita - gab ich mich ihm zu erkennen.
 Er tippte mir auf die Schulter; ein schmaler, blonder Twig in einem blauen Hawaiihemd, mit langen, gliedrigen Fingern und dicken Lippen. Er lächelte mich an. Ich nickte, exte die Kindermargarita und stand auf. Er führte mich durch das betrunkene, zugedröhnte und halbnackte Chaos der Bar. Wildgewordene Araber tanzten um unbeschnittene Juden und sangen zusammen mit ihnen die Nationalhymne Taiwans. Die Luft war schwer vom blauen Tabakdunst und weißem Shorerauch. Ein nackter Papagei sprang umher und warf mit gebrauchten Tampons nach mir. Ich zog meine Pistole und erschoss ihn. Mit einem ohrenbetäubenden Knall explodierte das Federvieh und verteilte sich als rote Grütze auf der halben Tanzfläche. Für einen Augenblick hielten alle inne und starrten mich an. Die Musik stoppte, der Tintenfisch, der als DJ auflegte, fixiert mich mit seinem glasigen Blick. Man hätte einen Pudding zu Boden fallen hören können.
»Alles in Ordnung Leute«, sagte ich und steckte die Waffe wieder in das Brustholster.
»Der Papagei ist tot«, schrie eine alte Hexe. Die Menge brach in Jubel aus, die Überreste des Vogels wurden in die Luft geworfen und hin und her geschleudert, seine Eingeweide flogen wie Konfetti durch die Neonlaserstrahlen. Die Musik sprang wieder an, aus den Boxen donnerten die Marschlieder noch nicht existenter Imperien.
Die Barbesucher versanken erneut im ekstatischen Tanz. Der alltägliche Tangerbarwahnsinn brach wieder fiebrig aus. Wie eine Flunder glitt ich meinem Kontaktmann folgend durch den psychedelischen Strudel. Wir schlüpften hinter den Vorhang eines Darkrooms. Er drehte sich zu mir um; sein trockener Atem streichelte mir übers Gesicht.
»Das war nicht sehr professionell ihn zu erschießen«, sagte er.
Ich zuckte mit den Schultern.
»Er ging mir auf die Nerven. War ein dummer Vogel.«
»Das stimmt auch wieder.« Er steckte mir einen dicken, schwarzen Umschlag zu. »Darin ist alles, was Du brauchst«, sagte er. Ich bedankte mich mit einem Bruderkuss und schob den Umschlag in meinen Mantel. Als die Luft rein war, schlüpfte ich durch die schwitzende Masse aus tanzenden und drogenkonsumierenden Körpern zum Ausgang und hinaus in die Nacht.
In meiner Absteige angekommen, öffnete ich den Umschlag. Er enthielt eine Disc, auf der alle Unterlagen waren, sowie ein Flugticket nach Sinzone.
Ich sollte für die Organisation einen Gegenstand aufspüren, welcher vor kurzem aus dem Germania Museum im Reich gestohlen worden war. Laut unseren Informanten war das Objekt der Begierde in den Händen einer okkulten Sekte in Sinzone gesichtet worden. Es handelte sich um ein Artefakt aus den Ruinen der Stadt Ur: Der in Gold gegossene Hintern des legendären Gottkönigs Gilgamesch. Oder zumindest dafür hielten es die deutschen Archäologen offiziell. Doch bereits unsere Informanten hatten genug an Fotos und Protokollen angefertigt und Material zusammengetragen, sodass sich vor mir ein haarsträubendes Schema der wahren Natura dieses Gegenstandes abzeichnete:
Es gab einen geheimen Kult um ihn, eine perverse, obszöne Vereinigung, die seit Jahrtausenden den menschlichen Hintern als ihren Götzen verehrte. Alle Indizien deuteten darauf hin, dass diese Spinner daran glaubten, dieses goldene Prachtexemplar hätte magische Kräfte. Rückblickend komme ich nicht drumherum ihnen widerwillig Recht geben. Ich kann mir die folgenden Ereignisse nicht anders erklären, als durch das Einwirken übernatürlicher Mächte, die jenseits allen liegen, was die gegenwärtige materialistische Wissenschaft erfassen und analysieren kann. Es wäre im Interesse der Führung eine Kommission zur Erforschung dieser paranormalen Phänomene einzusetzen. Es besteht die Möglichkeit, dass es auf dieser Welt noch mehr solcher Artefakte gibt. In diesem Fall wäre es gemäß der Doktrin unsere oberste Pflicht sie aufzuspüren und unschädlich zu machen, so wie es seit jeher unsere Aufgabe war, die Welt vor parapsychologischen, literarischen, polytoxischen, prohibitionistischen, psychischen, politischen, xenomorphischen und anderen Gefahren zu verteidigen. Diesem Pflichtbewusstsein folgend, verließ ich am nächsten Morgen noch vor Sonnenaufgang nach einer gründlichen Reinigung meine Absteige und fuhr mit der Bahn zum Flughafen. Ich flog nach Sinzone, wo ich meine Nachforschungen betreiben und den Goldhintern finden wollte.
Sinzone ist eine kranke Stadt, wie ein Sterbender liegt sie eingekesselt in einem Tal und rottet vor sich hin. Das Herz, das moderne Zentrum mit nagelneuen Gebäuden und Instituten, schlägt noch lebendig und kräftig im glänzenden Licht des Konsumismus, doch je weiter man sich von ihm entfernt, desto verfaulter ist das Fleisch, desto mehr eitriger Abschaum dringt aus dunklen Ecken. Wie eine Sepsis breitet sich der Wahnsinn aus. Die Herzkammern sind bereits löchrig und zerfressen.
In den Straßen tummeln sich die Süchtigen. Koffeinentzügig schlurfen die langbeinigen Wigga und carohemdtragenden Hipster mit gesenkten Köpfen durch die Gassen. Ihre blutunterlaufenen Augen starren aus dünnen Schlitzen auf grelle Smartphonebildschirme. Sie brauchen immer mehr und immer stärkeren Stoff, um ihre von der Moderne desillusionierten und entwerteten Egos hochzupushen und nicht in lebensmüde Lethargie zu verfallen: Likes, Tindermatches, Herzchen, Alkohol, Nikotin, Koffein, Candy Crush, Ritalin, Legal Highs, Badesalze, Hash, Tilidin, Statusupdate, Brazzers, Snap und Crystal Meth. Die Psychiatrien sind überfüllt. Grinsende Katatoniker säumen die Gehsteige und halten Lampen hoch. Sie haben ihre Bestimmung als Straßenlaternen entdeckt. Dunkle Opioidnebel zischen aus den Bordsteinritzen und dampfen die ganze Stadt mit Betäubung ein. Wie ein gigantisches Monster verschlingen die zentralen Gebäudekomplexe aus Beton, Glas und Stahl tagtäglich abertausende Individuen, und scheiden Angestellte, 1er-Schüler, Arbeitnehmer, Konformisten und ähnlich langweiligen Dreck aus. Die Mühlen und Stanzen der Wirtschaft und der Jagd nach Wohlstand rattern und schlagen erbarmungslos auf den Menschen ein, bis er zerbricht, und das einzige, was ihn hält, bleibt das Rauschgift. Der Süchtige ist immer auf der Suche, nach Erlösung, nach neuem Stoff. Er kann ihn überall finden, und ist er einmal affig, so reicht ihm das Schicksal schnell eine neue Substanz oder Tätigkeit, in der er sich das Glück erhofft.
 Das Wort Sucht kommt allerdings etymologisch vom ‚siechen‘, der körperlichen und geistigen Zersetzung, die den Süchtigen befällt und sein Schicksal bestimmt. Und diesem kann er nicht entkommen. Die Sucht ist ein hässlicher, ungewaschener Affe, der auf der Schulter des Betroffenen sitzt, und wenn er einmal seine faulen Zähne in das Fleisch geschlagen hat, lässt er nicht mehr los, bis sein Opfer langsam und elendig zugrunde gegangen ist. Die einzige Überlebenschance besteht darin, den Affen durch Aushungerung zu töten, indem man die Substanz nicht mehr zu sich nimmt. Aber während der Affe hungert, dreht er durch und seine Bisse und Angriffe werden immer wütender, er schnappt nach allem, was seinen Hunger stillen könnte, und niemand möchte mit einem psychotischen Affen auf der Schulter durch die Gegend laufen. Das ist unerträglich und das macht es so schwer clean zu werden. Es ist einfacher den Affen bei Laune zu halten.
Sinzone wird von launigen und wütenden Affen zerfressen. Sie schwingen sich von einer Katatonikerlaterne zur nächsten, springen auf den Bordsteig und machen selbst vor klebstoffschnüffelnden Kindergartenkindern nicht halt und zerfleischen ganze Wohnsiedlungen.
Der verrottende Zerfall ist das unaufhaltsame Schicksal dieser einstigen Prachtmetropole.
 In dem glänzenden Stadtzentrum suchten die wohlhabenden Snobs sauberes Koks & feines, marokkanisches Gras; ihre Kinder Videospiele, Legal Highs & Ritalin; und ihre Frauen schlucken einen Benzo nach dem anderen, abwechseln mit einer Flasche Wein und einer abstumpfenden Arzt-Serie. Die vitaminreiche Bio-Nahrung und das Gesundheitssystem unterdrücken die sichtbaren Symptome der Süchte. Dort wirkt nach außen noch alles rein und sauber und minimalistisch perfekt, wie es sich für die Leistungsgesellschaft des 21. Jahrhunderts gehört. Doch je weiter man sich vom Zentrum entfernt, desto prekärer sind die Umstände, desto ärmer die Menschen, desto hässlicher die Drogen, und damit werden auch die Zersetzungserscheinungen sichtbar. Badesalze, Amphetamine, Fentanyl, Heroin, Crystal Meth, Glücksspiel, Prostitution und zwanghafte Masturbation halten die Unterschicht fest umklammert. Ausgezerrte, gelbäugige Quellgesichter, mit geschwollenen und mit Abszessen überzogenen Gliedern geistern durch die Straßen. Wahnsinn und Furcht. Allein dieser Grad an kontagiösen Degeneration würde es rechtfertigen, diese Stadt und ihr gesamtes Umland durch ein nukleares Feuer von der Landkarte zu radieren.
Genau dorthin musste ich hin, in die perversesten und entmenschlichsten Ecken der Stadt. Und das dreckigste und abgefuckteste davon ist das Problemviertel Nathanen, das sich um das Nathantor erstreckt, einen berüchtigten Umschlagplatz der Drogenhändler.
Dort reit sich eine versumpfte Sozialsiedlung an die nächste. Geisteskranke irren kläffend durch die schmierigen Straßen. Langhaarige Bisexuelle betouchen jeden beliebigen Passanten. Entlassene katholische Priester pfeifen Kleinkindern hinterher; die eine Hand unter dem vom Dreck schwarzen Messegewand, die andere an der mit Hashöl verschmierten Zigarette. Die Verzweiflung röchelt gegen den versmoggten Himmel. Die eitrigen Auswüchse des Drogenhandels wuchern auf diesem Nährboden. Ihre reichen Profite und ihre halb- und ganzwahnsinigen Beteiligten sind Futter für jegliche Art von krimineller Organisation. Von Menschenhändlern, die junge Junkies zu Strichern und Nutten umerziehen, über Sekten, die Junkies mit ihrer Propaganda schizophren und ganz abhängig von der Stimme eines imaginären Despoten machen, bis hin zu politischen Parteien, die Verdummung und Unmündigkeit ausdünsten. Überall wispert und schmatzt es in den vor Sperma, Frittierfett und Opiumharz klebrigen Straßen. Frischgeduschte Süchtige mit dicken Aktenordnern in ihren langen Fingern fragen: »Glauben Sie an Gott?« (Wenn Sie diese Frage hören, bleiben Sie nicht stehen. Rennen Sie.) Mit Hakenkreuzen übersäte Wrestler werben für Undergroundmessen und schwarzhäutige Flugbegleiter laden dazu ein, mit ihnen Hastur anzubeten. Irgendwo dort zwischen den Opiumhöhlen, die leberkranke Chinesen betrieben, den schwulen, neon-blink-blink Swingerclubs, Technoraves und Tempeln der Göttin Vivienne würde ich zwangsläufig auch auf die Anhänger jenes dubiosen Kults stoßen, der Gilgameschs goldenen Arsch aus dem Reichsmuseum entwendet hatte. Mein Plan war es dort über einen anderen Agenten Kontakte zu knüpfen, den Kult aufzustöbern und zu infiltrieren.
Am Flughafen erwartete mich bereits der Agent; Deckname William; einer von den ganz alten Hasen, der noch im dritten Koreakrieg gegen die Jong-Sun-Mutanten gekämpft hatte und an der Infiltration von Interzone beteiligt gewesen war. Er trug Dienstkleidung, ein verschlissener, schwarzer Trenchcoat, im Mundwinkel ein Zigarillo. Das lange Gesicht war eingefallen und hatte den Gelbstich eines erfahrenen Konsumenten, die Schläfen waren grau durchwachsen. Er verströmte den mottigen Geruch von altem Schwarzpulver, Tabak und abgestandenem Opium.
»Clark?«, fragte er mich. Seine Stimme kratzte in meinen Ohren. Ich nickte. »Zigarillo?«, er hielt mir die offene Schatulle hin, ich nahm danken an. Er zündete ihn mir mit seinem Zippo an. »Ich habe Dir ein Apartment besorgt. Eine total heruntergekommene Pissgrube«, er spuckte auf den Boden, während wir zu den Privatparkplätzen liefen. »Aber es liegt genau zwei Straßen vom Tor entfernt. Total verlauste Gegend, aber das ist dir sicherlich klar, oder? Nicht dein erstes Mal hier, nehme ich an.«
»Ich war oft hier. Es hat sich in den letzten Jahren stark verändert.«

[...]

12Wie es weitergeht »


Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
Longo
Geschlecht:männlichKlammeraffe
L

Alter: 34
Beiträge: 890



L
Beitrag22.06.2017 16:11

von Longo
Antworten mit Zitat

Der Text ist speziell, aber er spricht mich an und er reizt mich, weil ich zwischen den Zeilen den Drahtseilakt des Autors (am Rande des Wahnsinns) erkenne. Du presst in den Text das Maximale: alle Arten des Drogenabusus, alle Religionen, alle moralischen Instanzen, den momentanen Lifestyle mit all' seinen Auswüchsen, durcheinander, verwirbelt, ins Gegenteil verdreht.
Ich muss sagen, dass es eigentlich schon zu viel der Beschreibung ist. Nein nicht eigentlich, es ist zu viel, weil es sich auch wiederholt. Trotzdem würde ich weiterlesen wollen (wenn dem Text aufgrund dieses sehr wuchtigen Anfangs nicht die Puste ausgeht, was fast schon zu befürchten ist).
Ich lese in den Zeilen außerdem die extreme Variante von meiner Schreibe.

PS: Das einzige, was ein bisschen klischeehaft ist, ist der Anfang. Dieses "Ich werde alles genau beschreiben, wie ich es erlebt habe, werde nichts auslassen, blablabla..." Das habe ich in anderen Texten schon mal so gelesen.

MFG Longo
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Leveret Pale
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 25
Beiträge: 786
Wohnort: Jenseits der Berge des Wahnsinns


Beitrag22.06.2017 17:16

von Leveret Pale
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo Longo,

Vielen Dank für deinen Kommentar. smile

Zitat:
. Nein nicht eigentlich, es ist zu viel, weil es sich auch wiederholt. Trotzdem würde ich weiterlesen wollen (wenn dem Text aufgrund dieses sehr wuchtigen Anfangs nicht die Puste ausgeht, was fast schon zu befürchten ist).

Der Anfang ist mir etwas unter den Fingern eskaliert zu einer sehr wuchtigen Beschreibung der Stadt und vieler Details. Die eigentliche Handlung und der Spannungsbogen der Geschichte beginnen erst nach der Ankunft in der Stadt; also nach dem Abschnitt, den ich bisher hier eingestellt habe. Ab da liest sich das mehr wie ein normaler Roman, mit Dialogen und Handlung usw. und entsprechend mehr Spannung, und ich würde meiner Einschätzung nach nicht sagen, dass die Puste ausgeht, es wird eher immer schräger...

Zitat:
PS: Das einzige, was ein bisschen klischeehaft ist, ist der Anfang.

Jap. Ich wollte hier den klassischen Lovecraft-Anfang parodieren/imitieren, aber leider ist mir das nicht sehr gut gelungen. Ich werde das wahrscheinlich noch einmal umschreiben und editieren, vielleicht auch ganz weglassen. Ich habe bereits ein bisschen daran herumgebastelt, seitdem ich den Text hier reingestellte habe, weil das vor über zwei Wochen war und zwischendurch hat sich niemand dazu geäußert.

Die Geschichte habe ich mittlerweile fertig geschrieben. Es ist eine Novelle mit ca. 45 Normseiten geworden. Ich werde später vielleicht mal einen weiteren Abschnitt hereinstellen.
Zitat:

Ich lese in den Zeilen außerdem die extreme Variante von meiner Schreibe.

Interessant. Ich glaube, ich habe leider noch nichts von dir gelesen bzw. kommentiert; aber ich war in den vergangenen Monaten wegen der vielen Klausurphasen kaum im DSFo unterwegs. Ich werde mir beizeiten mal deine Beiträge durchlesen.

- Leveret
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
Drakenheim
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 44
Beiträge: 387
NaNoWriMo: 50166
Wohnort: Burg Drakenheim Gelehrtenturm


Beitrag22.06.2017 21:04

von Drakenheim
Antworten mit Zitat

Zitat:
Wie ein gigantisches Monster verschlingen die zentralen Gebäudekomplexe aus Beton, Glas und Stahl tagtäglich abertausende Individuen, und scheiden Angestellte, 1er-Schüler, Arbeitnehmer, Konformisten und ähnlich langweiligen Dreck aus. Die Mühlen und Stanzen der Wirtschaft und der Jagd nach Wohlstand rattern und schlagen erbarmungslos auf den Menschen ein, bis er zerbricht, und das einzige, was ihn hält, bleibt das Rauschgift.


Anbetungswürdig. Auch wenn ich glaube, dass der Prota seine eigenen Drogenprobleme nicht im Griff hat.

Leider schweift der Text oft ab, vor allem im ersten Absatz. Lessing soll mal geschrieben haben "Ich habe nur wenig Zeuit, darum wird dies ein langer Brief", von daher durchaus realistisch, aber langatmig zu lesen.

An anderer Stelle zählst du sämtliche Drogen auf, um sie kurz darauf in zwei Aufzählungen ("Drogen-der-Reichen" und "Drogen-der-Armen") aufgesplittet zu wiederholen. Finde ich zu viel.

Stellst du noch einen zweiten Abschnitt rein?
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Leveret Pale
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 25
Beiträge: 786
Wohnort: Jenseits der Berge des Wahnsinns


Beitrag22.06.2017 21:12

von Leveret Pale
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Vielen Dank auch für deinen Kommentar. smile
Freut mich, dass dir die eine Passage zugesagt hat.


Zitat:
Leider schweift der Text oft ab, vor allem im ersten Absatz. Lessing soll mal geschrieben haben "Ich habe nur wenig Zeuit, darum wird dies ein langer Brief", von daher durchaus realistisch, aber langatmig zu lesen.

Das Abschweifen ist wohl eine der Nebenwirkungen, wenn man so assoziativ schreibt... Ich werde das versuchen in einer Überarbeitung zu begradigen, allerdings nicht zu sehr. Ich streich wahrscheinlich die erste Aufzählung der Drogen.
Zitat:

An anderer Stelle zählst du sämtliche Drogen auf, um sie kurz darauf in zwei Aufzählungen ("Drogen-der-Reichen" und "Drogen-der-Armen") aufgesplittet zu wiederholen. Finde ich zu viel.

Die Wiederholung hat Longo bereits entdeckt und sie ist mir jetzt auch negativ aufgefallen. Ich überleg mal, wie ich sie rausstreichen kann.

Ja, ich stelle hier mal einen weiteren Abschnitt rein. Ich hoffe, der ist nicht so langatmig, wie die Einleitung:

  [...]
William schnippte den Zigarillostummel weg. »Das kannst Du laut sagen. Wird immer schlimmer, aber im Vergleich zu Interzone 98‘ ist das noch ein Witz, ich sag‘s dir.« Er knackste mit den Knöcheln. »Die Führung hat uns einen Fahrer zur Verfügung gestellt. Da vorne ist er.« William deutete auf einen dickbäuchigen Mulatten, der an einem verbeulten Cadillac lehnte, seine Arbeitermütze tief in das Bulldoggengesicht gezogen hatte und auf dem Smartphone herumtippte. Als er mich sah, steckte er es ein und nickte.
»Agent Clark. Das ist unser Chauffeur Außendienst-Officer Pearlburns«, sagte William.
»Clark. Es ist mir eine Freude«, sagte Pearlburns.
»Die Freude ist ganz meinerseits. Wollen wir dann?«
»Aber natürlich.« William und ich schlüpften auf die Rückbank, Pearlburns klemmte sich hinter das Lenkrad. Wir passierten die Papierkontrollen an der Flughafengrenze. Die dunklen, von dubiosen Gestalten bevölkerten Straßen Sinzones verschlangen uns, links und rechts wuchsen Wohnblöcke aus den Boden und Katatoniker hielten blinkende Ampeln und Lampen hoch. William zog ein Taschentuch aus der Hosen und tupfte sich den kalten Fieberschweiß von der Stirn.
»Gut, dass wir einen Wagen haben. Um den Flughafen herum lauern die hinterhältigsten Verbrecherbanden nur darauf, ahnungslose Drogentouristen zu überfallen. Nicht, dass das für Agenten ein ernsthaftes Problem darstellen könnte, aber ich hasse unnötiges Blutvergießen«, sagte William. Seine Augen wirkten wässrig. Er wippte nervös mit den Füßen auf und ab.
»Affe?«, fragte ich. Er lächelte.
»Ja, es wird Zeit für meine Mahlzeit. Du hast es erkannt.«
Er beugte sich nach vorne zu Pearlburns: »Du hast doch sicher nichts dagegen, wenn ich mir einen Schuss setze, oder?«
»Was denn? Also wenn’s Koks ist, dann kannst du das knicken. Ich kenn das. Kokspritzer sind so zittrig, die brauchen zehn Anläufe, bis sie die Vene treffen und davor bluten die alles voll. Das kann ich gar nicht gebrauchen.«
»Nein, nein, kein Dreckskoks. Nur gutes Fenta gegen meine Schmerzen.« Er jaulte das letzte Wort krächzend heraus, wie ein verwundeter Rabe. Er war kurz vorm Durchdrehen, Schaum sammelte sich bereits in den Mundwinkeln; nichts würde ihn von seinem Schuss abhalten. Es ging nur noch um die Formalitäten.
»Fentanyl, sagste«, der Wagen hielt an einer Ampel. Der Chauffeur seufzte, hob seine Mütze und kratzte sich am kurzgeschorenen Hinterkopf. »Solange ihr mir da hinten nicht abnippelt. Ich habe keinen Lust Leichen zu entsorgen und der Führung erklären zu müssen, was mit ihrem Agenten geschehen ist. Ganz abgesehen von der Sauerei.«
»Keine Sorge. Ich bin ein Experte. Fahr einfach langsam und vorsichtig, keine ruckartigen Bewegungen«, versicherte William. Pearlburns zuckte mit den Schultern. »Okay. Mach, was du nicht lassen kannst.« Die Ampel sprang auf Grün um, der Katatoniker zuckte und der Cadillac setzte sich wieder in Bewegung. William entzündete sein Zippo und steckte es in den Getränkehalter vor uns, dann kramte er sein Fixierbesteck aus der Innenmanteltasche. Sauber und ordentlich bereitete er es auf seinem Schoß vor. Aus einer Glasphiole schüttete er ein kleines Häuflein weißgelbes Pulver auf den Löffel und spuckte drauf, um es anzufeuchten.
»Willst Du auch etwas?«
»Nein Danke«, sagte ich.
»Besser so. Ich hätte dir ohnehin nichts abgegeben.« Er hielt den Löffel über das Zippo, die Flammen leckten über das verrußte Silber. Das Häuflein sank in sich zusammen und löste sich in der Spucke auf.
»Wolltest du nicht aufhören?«, fragte ich. Er grinste und zog mit den Zähnen die Kappe von der Nadel und steckte sie in das geschmolzene, gelblichbrodelnde Glück. Die Spritze füllte sich mit dem pissgelben Liquor. Er hielte sie hoch, betrachtete sie wie ein Juwelier einen kostbaren Edelstein und tippte gegen die Kanüle.
»Das wollte ich schon einige Male, aber jetzt nicht mehr. Weißt Du, was der Anfang jedes Wahnsinns ist? Wenn man immer und immer wieder das Gleiche tut, und erwartet, dass es anders endet, als die Male zuvor. Clean werden ist sinnlos, es macht einen nur verrückt und am Ende wird man sowieso wieder rückfällig. Nein, die einzige Möglichkeit in dieser Stadt sane zu bleiben ist, wenn man ehrlich und aufrichtig an der Nadel hängt.«
Er krempelte den Ärmel seines Trenchcoats hoch und offenbarte die ledrige, von schwarzen Löchern, Abszessen und Blutergüssen übersäte Armbeuge. Mit einer eingeübten Bewegung band er den Arm mit dem Stauschlauch ab, und ballte mehrmals energisch die Faust, sodass die verbliebenen Venen hervortraten.
Seine Nikotinfinger glitten wie die Tentakel eines perversen Oktopusses über das faule Fleisch, bis sie eine intakte Vene fanden. Er leckte sich über die Lippen und führte die Nadel ein. Er zog leicht und ein Blutfaden schoss in das Pissgelb, tanzte wie eine Ballerina um sich im schwitzigem Licht der Mittagssonne, und verschwand zusammen mit dem Glück schlagartig im aufgeschwollenem Protoplasma. Agent William öffnete den Stauschlauch. Er schluckte. Seine Pupillen schrumpften schlagartig auf winzige Stecknadelspitzen zusammen, und er versank mit einem zufriedenen Lächeln im Sitz. Mit einer langsamen, flüssigen Bewegung, wie in Trance, zog er die Nadel aus sich heraus, tupfte sie mit einem Desinfektionstuch ab, tat die Kappe drauf und verstaute das Besteck wieder in seinem Mantel.
»Ahh. Das habe ich gebraucht«, er atmete tief durch, das Kratzen verschwand aus seiner Stimme und der Fieberschweiß trocknete schlagartig aus. William verjüngte sich vor meinen Augen um mehrere Jahre, die Haut glättete und straffte sich. Sein Gesicht wirkte, als wäre es aus Wachs gegossen. Er sprach weich wie ein gütiger Pfarrer, der einem Schützling weise Ratschläge gab. »Also kommen wir zu den Fakten. Das Zielobjekt. Wir haben beide die Akten gelesen. Es ist eine merkwürdige Sache, meine Nase sagt mir, dass das kein gewöhnlicher Auftrag ist. Ich würde dir gerne zur Seite stehen, aber das ist gegen die Regeln und die Führung hat mich zu einem Einsatz in Normiestan abkommandiert. Mein Flug geht in wenigen Stunden. Du wirst im Apartment neue Unterlagen finden und Karten des Viertels, aber die sind eh nicht aktuell. Die Gebäude wandern hier konstant hin und her. Mal sieht die Stadt so, mal so aus. Das Wichtigste ist, dass du dich an das Tor hältst. Von dort aus kommst du in die Grimmorstreet, eine versiffte Kloake, aber wenn diese Sekte hier ist, dann wird sie sich irgendwo dort verstecken. Es ist die einzige Straße, die fest ist und die den notwendigen Untergrund besitzt. Sie ist stabil. Alle Sekten sind dort. Schließlich geht bei denen doch darum, ihre Mitglieder geistig durch eine Versimplung und Abstraktion abzustumpfen und so zu stabilisieren. Wie bist du bewaffnet?«
»Standard.«
»Welcher Standard? Das hat sich in den letzten Jahren so oft geändert.«
»DIN9 AC 2027. 9mm-Silberkugeln, eine modifizierte CZ-75 SP-17. Stiefeldolch. Skalpell. Sprungmesser. Drei Zahnstocher. Epinephrinautoinjetor. Eine Handvoll Eukodal und Pervitin. Ein Nokia 3310.«
William pfiff durch eine Zahnlücke. »Ein 3310er in der Standardausrüstung? Die spinnen doch da oben bei der Führung. Hat denen das DXM bereits Löcher ins Hirn gebrannt? Früher brauchten wir für diese Teile eine Sondergenehmigung. Nachdem, was in Syrien passiert ist. Irre. Aber für diesen Auftrag könnte das genau das Richtige sein. Gut, gut. Ich habe dir in der Wohnung noch etwas schwereres Geschütz dagelassen. Wer weiß, wie ruppig das hier wird. Es ist unterm Bett verstaut.«
»Danke.«
»Keine Ursache. Wir wären fast da, oder?«
»Exakt«, sagte Pearlburns. Der Cadillac schwenkte in eine heruntergekommene Seitenstraße hinein. Die Wohnblöcke ächzten und beugten sich über die von Rissen durchzogene Straße, als würden sie auf mich herabstarren. In den zerbrochenen Fenstern pfiff der Wind, wie durch die Rippen eines verwesenden Leichnams. Die Wände waren von den langen, gliedrigen Fingern schwarzer Kletterpflanzen bedeckt. Eine Blondine in Strapsen lehnte an einem Katatoniker und rauchte einen Joint. Ihre blutunterlaufenen, von schwarzen Ringen ummantelten Augen starrten benommen zum verrußten Himmel.
»Es ist die Nummer neun. Zweiter Stock. Apartment vier. Mach‘s gut Kamerad«, sagte William und drückte mir die Schlüssel in die Hand. »Viel Erfolg bei dem Auftrag.«
Pearlburns tippt an seine Mütze. »Viel Erfolg, Clark.«
»Danke, Leute. Bye.« Ich stieg aus.
»Bring mich zum Flughafen«, befahl William Pearlburns und der Cadillac zischte davon, eine Wolke aus aufgeweichten Zeitschriftenblättern, leeren Konservendosen und Staub aufwirbelnd. Ich sah einen Augenblick hinterher, dann drehte ich mich um und betrat das Gebäude.
Es stank nach Pisse und Schimmel. Dreimeterlange Tausendfüßler krochen über die Wände und fraßen einander auf. Überall knackten ihre Kiefer und Panzer. Ein bärtiger Penner verrottete mit einer leeren Absinthflasche in der Hand im Treppenhaus. Wahrscheinlich bereits seit einigen Tagen tot. Fliegen krochen aus seinem Mund und Käfer hatten begonnen das Fleisch zu zersetzen. Oben schlug eine Tür zu. Ein junger Stricher kam die Treppe herunter, stolperte über den Penner, fing sich wieder und krachte in mich hinein. Er taumelte zurück.
»Entschuldigung Mister«, sagte er.
»Kein Problem.«
»Wollen Sie einen Rimjob von mir bekommen?« Er leckte sich über seine brüchigen, mit Vaseline verschmierten Lippen.
»Nein.«
»Nur fünf Dollar. Oder acht Reichsmark. Ich nehme auch Reichsmark.«
»Nein, verschwinde«, sagte ich und zwängte mich an ihm vorbei.
»Ich komme am Abend wieder, falls Sie es sich anders überlegen«, rief er, dann hörte ich die Haustür hinter mir aufschwingen und wieder zuknallen.
Im ersten Stock begegnete ich dem Hausmeister, einem dicken Frosch, der in einem alten, karierten Anzug an der Heizung lehnte und Poppers schnüffelte.
»Sie sind also dad Neue?«, quakte er. Seine Amphibienaugen öffneten und schlossen sich klackend.
Die oberste Agentenregel lautet unauffällig zu bleiben. Nichts ist in so einer Absteige auffälliger, als ein glücklicher Mensch. »Jap. Der bin ich«, schnaubte ich. »Vorerst zumindest. Mal sehen, wie lange noch.«
Der Frosch lachte quakend. »Iq wünsche Ihnen, dass Sie niqt lanqe bleiben. Ist hier ne richtige Pissglube. Würde man miq niqt dafür bezahlen. Wäre ich niq auf dad Geld angewiesen. Iq wär schon länqst abgehauen. Aber einen Frosch will sonst niemand einstellen. Dieser Rassismus hier ist schreqlich.«
»Kann sein. Interessiert mich nicht wirklich.«
»Würde miq wahrscheinlich auch niqt, wenn iq so ein schöner Weißer wäre«, quakte der Frosch und drückte das bunte Poppersfläschen in eins seiner großen Nasenlöcher. Mit einem ekstatischen Heulen saugte er die Luft ein und warf den Kopf zurück. Der ganze grüne, schwitzige Körper zuckte, dann kippte er um.
Der Frosch blieb liegen, seine lange Zunge entrollte sich wie ein roter Teppich über den Flur und die Treppe runter bis in den Keller. Er röchelte.
»Wa... Wa..«
»Wie bitte?«, fragte ich und warf einen Blick auf meine Armbanduhr. Dieses Mistvieh hielt mich bereits viel zu lange auf.
»Wasser«, krächzte er.
»Ich habe kein Wasser. Tut mir leid«, sagte ich und wandte mich zum Gehen. Seine langen, grünen Finger umklammerten meinen Knöchel.
»Dann pissen Sie miq zumindest an. Bitte, iq vertrockne.«
Ich seufzte, öffnete meinen Reisverschluss und urinierte dem Frosch auf den Kopf. Der gelbe Urin plätscherte und spritzte von seiner porenübersäten Haut in alle Richtungen, er sickerte in den Mund und umspülte das noch immer in der Nase steckende Döschen. Gelbe Flutwellen strömten an meinen Schuhen vorbei und stürzten in einem tosendem Pisswasserfall die Treppen hinunter. Im Erdgeschoss stieg der Pegel rasant auf mehrere Meter, tausende Parasiten ertranken schreiend in den gelben Fluten. Die Leiche des Obdachlosen wurde durch die Tür nach draußen gespült. Der Frosch starb mit einem zufriedenen Seufzer.
»Scheiß Perverser«, sagte ich, schloss meine Hosen und lief in den zweiten Stock, wo sich mein Apartment befand. Die Wände und die Türen waren mit einem dicken, pelzigen Schimmelpilz bewachsen, sodass nicht erkennbar war, wo die Türen begannen und wo die Wände anfingen.
Ich musste eine halbe Stunde lang in dem feuchten Pelz herumwühlen, bis ich durch Zufall die Türklinke fand, die sich auf Kniehöhe befand und nach oben öffnete.
Das Apartment war ein ranziges Loch. Die grün-gelbe Tapete im viktorianischen Stil war zerfleddert und wie ein modernes Kunstwerk mit Flecken und Spritzern überzogen, die verdächtig nach getrocknetem Blut, Sperma und anderen Körperflüssigkeiten aussahen und rochen. Daumengroße Bettwanzen hatten das Bett zerfressen. Die Küche war von einem schwarzen Tumorgeschwür befallen, das bereits zwei Schränke und einen Stuhl verschlungen hatte. Im Spülbecken stapelten sich die saubergenagten Schädel der Vorbesitzer. Ein Katatoniker stand grinsend in einer Ecke und hatte die Arme von sich gestreckt. Ich hängte meinen Trenchcoat an den ausgestreckten Daumen des Katatonikers. Auf dem Schreibtisch in der gegenüberliegenden Zimmerecke fand ich zwischen zerfledderten Gedichtbänden von Erich Fried & Allen Ginsberg,  einen dicken, an mich adressierten Umschlag. Ich zog einen zusammengekauerten Katatoniker zu mir und klopfte ihm den Staub von der Kleidung. Als ich mich draufsetzte, knackten und knirschten die Wirbelknochen unter mir. Ich las mir die Unterlagen durch. Sie enthielten kaum Neues, nur vereinzelte Beobachtungen. Die Sekte hatte offenbar vor Kurzem eine neue Tracht eingeführt. Immer mehr ihrer Mitglieder waren verschwunden oder liefen nur noch in einem weißen Gewand herum, dass den ganzen Körper verdeckte. Es gab ein Foto der neuen Tracht.
Sie erinnerte an die Burka des Islams, allerdings schienen die Sektierer unter dem Gewand einen chinesischen Reisbauernhut zu tragen, sodass sie wie merkwürdige Pilze mit Beinen aussahen.
Ich kniete mich hin und fand unter dem Bett die Schachtel mit den Sachen, die mir Williams hinterlassen hatte. Hauptsächliche nette Gadgets. Komprimierte Sibirische Kampfhamster. Aufblasbare Schwimmflügel. Eine deutsche Maschinenpistole. Großkalibrige Revolver. Handgranaten. Ein Laserschwert. Darunter war aber nur eine Sache für mich wirklich interessant, nämlich der Teleskopschlagdildo: Ein kleiner unscheinbarer Griff, der auf Knopfdruck zu einem überdimensionierten violetten Kampfpornoprengel ausfuhr. Ich befestigte ihn an meinem Gürtel. Die restlichen Sachen legte ich wieder in die Schachtel und schob sie zurück unters Bett. Mein Blick schweifte durch das Apartment. Die Pendeluhr schlug vierzehn und das Krokodil, das die ganze Zeit schweigend an der Decke geklebt hatte, gähnte. Es war Zeit für mich zu gehen und meinen Auftrag auszuführen.
Als ich nach draußen ging, hatten kumbajanische Fleischspinnen bereits begonnen den Hausmeisterfrosch in ihre Netze einzuwickeln und ihn in eine Höhle unterhalb der Heizung zu zerren. Das Treppenhaus quietschte unter meinen Schuhen. Alles stank nach Urin. Die Tausendfüßler wichen mir knackend aus.
Die Blondine von der Straßenecke hatte einen Kunden gefunden; einen russischen Grizzlybären, der sie mitten auf der Straße von hinten rammelte und ekstatisch brummte, während Babuschkas um sie herum tanzten und »Ra! Ra! Rasputin, Lover of the Russian Queen« sangen.
Ich überquerte den Bordsteig, wich dabei einer Gruppe leansippender Wigga aus, die sich auf das Spektakel einen herunterholten, und steckte mir einen Zigarillo an. Ich erreichte das Nathantor. Der berühmte, namensbegebende Nathan stand neben dem von Einschusslöchern übersäten Tor auf einem Berg aus Kokainkilosäcken & Sprengstoffkisten und hielt Verkaufsreden. Zwei crackrauchende Hühner flitzten umher und verteilten Pfundtüten mit billigen, verschnittenem Kokain an Junkies, müde Hausfrauen, Banker und Politiker. Kilometerlang zogen sich die Schlangen der gierigen Kokser zu den Verkaufsständen über den Platz und blockierten den Verkehr. Die Polizei musste Straßensperren und Umleitungen einrichten, um den reibungslosen Ablauf des Kokainhandels sicherzustellen.
[...]

« Was vorher geschah12

Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
Pudelzucker
Gänsefüßchen

Alter: 36
Beiträge: 41



Beitrag26.06.2017 21:36

von Pudelzucker
Antworten mit Zitat

Wow.

Das ist so, als hätte David Foster Wallace Scheibenweltromane geschrieben und das Gesamtwerk dann auf zwei Seiten eingedampft.

smile das ist als Kompliment gedacht. Ich steh ja auf so abgefahrenen Kram. Aber ich hätte mir zwischendurch auch mal ne kleine Atempause gewünscht. Irgendwann wird es halt auch echt schwer, die krassen Einfälle immernoch weiter zu steigern bzw. den Leser nicht abzustumpfen. Nach dem geplatzten Frosch zuckt man ja über die Kokshühner fast nur noch mit den Schultern sozusagen wink

Habs aber wirklich gerne gelesen und dachte ich lass mal meine Meinung und ein Kompliment da. Ein kleiner Typo ist drin, ein "dass"wo ein "das" hingehört, aber das find ich gerade nicht wieder Confused

Viele Grüße
Anja


Achja, das Nokia! Hammer! lol2
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Leveret Pale
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 25
Beiträge: 786
Wohnort: Jenseits der Berge des Wahnsinns


Beitrag26.06.2017 22:16

von Leveret Pale
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Vielen Dank für das Kompliment smile

Zitat:
Das ist so, als hätte David Foster Wallace Scheibenweltromane geschrieben und das Gesamtwerk dann auf zwei Seiten eingedampft.

Auch wenn ich bisher weder was von DFW noch die Scheibenweltromane gelesen habe, weshalb ich nicht so genau einschätzen kann, ob das zutrifft.  Aber beides ist preisgekrönt, also sehe ich das mal als gutes Zeichen.

Zitat:

Nach dem geplatzten Frosch zuckt man ja über die Kokshühner fast nur noch mit den Schultern sozusagen

Die Kokshühner mussten aber sein als Anspielung auf meinen vorletzten Roman, bei dem sie sogar titelgebend sind. Und nach denen wird es weiter immer wirrer; der Wahn steigert sich exponentiell. Laughing

Bevor ich aber noch mehr reinstelle, warte ich aber noch etwas mehr Kritik und Verbesserungsvorschläge ab. Ich muss das in den kommenden Wochen noch für eine Anthologie, die Ende Juli in Druck geht, mal demnächst zur Perfektion editieren.

Wegen Tippfehlern und Rechtschreibfehlern geht eh nochmal ein Korrektur drüber Buch Auf Hinweise darauf freue wir uns beide aber  trotzdem Laughing

Danke,
Leveret
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
Ansch
Geschlecht:weiblichWortedrechsler
A


Beiträge: 71
Wohnort: Düsseldorf


A
Beitrag28.06.2017 15:50

von Ansch
Antworten mit Zitat

Mir gefällt die Atmosphäre. Sprachlich gut. Auf jeden Fall ausbaufähig.
Allein, mir fehlt die Handlung.
Worum geht es eigentlich?


_________________
Ansch
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Leveret Pale
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 25
Beiträge: 786
Wohnort: Jenseits der Berge des Wahnsinns


Beitrag28.06.2017 19:01

von Leveret Pale
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ähm.. Das steht doch eigentlich im Text drin.
Es ist der Bericht des Agenten Clark, der für eine dubiose, nichtgenannte Organisation ein Artefakt ( genauer den goldenen Arsch von Yabbath ) ausfinding machen musste, das zuvor von einer obskuren Sekte aus dem Museum der Hauptstadt des vierten Reiches entwendet worden war.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
Ansch
Geschlecht:weiblichWortedrechsler
A


Beiträge: 71
Wohnort: Düsseldorf


A
Beitrag29.06.2017 12:04

von Ansch
Antworten mit Zitat

Du hast Recht. Habe ich allerdings erst nach Hinweis gefunden. Mir waren zu viele blumige Beschreibungen darin, da überliest man schnell die wichtigen Dinge.
Die vielen "Atmosphärekicks" waren mir des Guten zu viel. Allerdings glaube ich, dass der Stil anderen nun gerade genau so gut gefallen kann.

Ich aber übersprang wohl aus Versehen die entscheidenden Aussagen. Sorry fürs schlampig lesen!


_________________
Ansch
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
Seite 1 von 1

Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Prosa -> Werkstatt
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht teilnehmen.
In diesem Forum darfst Du keine Ereignisse posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht herunterladen
 Foren-Übersicht Gehe zu:  

BuchEmpfehlungBuchEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlung

von JJBidell

von Beka

von hobbes

von Rike

von Lapidar

von nicolailevin

von Jocelyn

von MShadow

von Elisa

von Noelia

Impressum Datenschutz Marketing AGBs Links
Du hast noch keinen Account? Klicke hier um Dich jetzt kostenlos zu registrieren!