[Die schlechteste Geschichte der Welt] Ein Witz

[ArtFaulII]

Ein Witz


Ich schreckte hoch, aus meinem Schlaf, denn ich hatte geschlafen, und der letzte Rest Schlaf flog mir mit einem letzten Rest Schnarchen und ein bisschen Rotz aus der Nase, ziemlich schnell, und blieb am Fenster kleben, wo er langsam runterrutschte, ich betrachtete ihn nachdenklich, durchsichtiger Rotz an durchsichtiger Scheibe, wenn nur alles so durchsichtig wäre! Leider ist aber nicht alles so durchsichtig im Leben und das wird mir gerade, in diesem Augenblick, schmerzhaft bewusst, wie ein Pfahl bohrt sich die Erkenntnis in meinen Bauch, ich kann kaum atmen von dem Schlag, fühle mich wie unter Wasser, Wasser, das aber nicht durchsichtig ist, sondern schwarz, also auch nicht schwarz und transparent, sondern schwarz und opak, schließlich muss man unterscheiden zwischen transparent und opak und farblos und mit Farbe, es gibt schließlich auch Flüssigkeit mit Farbe, die aber transparent ist, also durchsichtig, und genauso war das Wasser, das wie die Erkenntnis in meine brennenden Lungen drang, während ich um Hilfe ruf, was aber eigentlich nicht ging, mit diesen Lungen, und ich weinte, in das Wasser, was man nicht sah, weil ja auch Tränen nur Salzwasser sind, weinte meinen Schmerz über die Welt, die so kompliziert mit Opakazität ist und manchmal sogar farblos, aber das alles nur in meinem Inneren, natürlich, nach außen war ich so cool wie immer, nur meine Spiegelung im Bierkrug sah ich ertrinken, das Bier war transparent, aber gelb. Ralf hatte es auch gesehen, er lachte, und auch ihm flog mit dem bisschen Lachen ein bisschen Spucke aus dem Mund auf den Kneipentisch, wo wir saßen, da waren wir nämlich, in der Kneipe, mit Freunden und wir saßen an einem großen hölzernen Kneipentisch, und Bier gab es auch, und Ralf lachte, wie schon gesagt, und sprühte das Bier auf das Holz. „Bier auf Holz, Gott erholts!“, brüllt Stann, „Prost!“ und alle prosten sich zu und lachen und Gerd ruft: „Das ist witzig! Apropos Witz! Kennt ihr den schon?“, verkündet er als Einleitung um einen Witz zu erzählen, was er gerne tut, die Einleitung verwendet er, um sicherzustellen, dass alle mitbekommen, dass es ein Witz ist, was bei Gerd seinen Witzen auch gar nicht mal so doll inadäquat ist.
Dann war es so, dass ich einen Witz erzählte, was ich wirklich gut kann, und es war sogar so, dass sogar der Willi dafür extra aufgewacht war, also erklärte ich vorher, dass ich einen Witz erzählen würde, nämlich „Kennt ihr den schon?“, fragte ich, weil das eine international anerkannte Konvention ist, dass man einen Witz so einleiten kann und dass es, wenn man etwas auf diese Weise anfängt, das, was dann kommt, folgerichtig ein Witz ist, aber weil Willi geschlafen hatte, erklärte ich nochmal, was denn ein Witz überhaupt war, ein Witz ist nämlich der Versuch eines Erzählers, durch gesprochene oder geschriebene, besonders strukturierte fiktive Erzählung den Zuhörer oder Leser durch einen für ihn unerwarteten Ausgang (Pointe) zum Lachen anzuregen, also sagte ich: „ Ein Witz ist der Versuch eines Erzählers, durch gesprochene oder geschriebene, besonders strukturierte fiktive Erzählung den Zuhörer oder Leser durch einen für ihn unerwarteten Ausgang (Pointe) zum Lachen anzuregen.“
Da schlief ich also wieder ein, den Bierkrug noch in den Händen, und konnte nicht mehr hören, wie Gerd seinen Witz erzählte und ein außerirdischer Kampfdrohnenschwarm vom Planeten Yrks durch die transparente Fensterscheibe flog, an der mein Rotz noch klebte, und die Erde zerstörte.


Ende

[Terhoven]

Hui! Eine Achterbahn der Gefühle. Der sparsame Einsatz von Absätzen zahlt sich aus. Gerne gelesen und Hut, äh, Fliegerbrille ab.

[ArtFaulII]

Ja, die Absätze habe ich abgesetzt, um mich mehr von der Masse abzusetzen! Außerdem wollte ich die emotionale Achterbahn damit ein bisschen beschleunigen und den Tiefgang des Protagonisten betonen
Es freut mich, dass du daraus so viel mitnehmen konntest

[Jenny]

Hah, einfach nur gut gemacht! Und die Pointe von den pointiert wiedergegebenen Witzen fand ich wirklich witzig! Oder so

[menetekel]

Gern schicke ich auch ein
 


ins Baumhaus.
Eine atemlose Geschichte, die das Wirrwarr der Gedanken eines Angetrunkenen gut widerspiegelt.
Besonders gefallen mir sprachlichen Kontraste wie:

[ArtFaulII]

Oh, so viel Lob - ich seh erst jetzt, dass ich die Geschichte aus Versehen im Bereich der "schlechtesten Geschichte" hochgeladen habe - die sollte natürlich eigentlich in den Feedback-Bereich  
Umso mehr freut es mich natürlich, dass dennoch verstanden wurde, wie vielschichtig der Hauptcharakter ist und dass es sich eigentlich um ein brillantes Stück voller Dramatik und Humor handelt

Vielen Dank für eure Kommentare