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Der letzte Mord (Teil 1 von 2)


 
 
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NinaK
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen

Alter: 53
Beiträge: 39
Wohnort: Düsseldorf


Beitrag26.03.2017 12:01
Der letzte Mord (Teil 1 von 2)
von NinaK
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ich habe lange überlegt, was ich als zweiten Text in den "Einstand" stellen könnte und habe mich jetzt für diesen hier entschieden. Es handelt sich quasi um eine sehr frühe Vorarbeit zu  "Dein Weg, meine Liebe".
Leider ist selbst diese Arbeit, eine meiner kürzesten, immer noch zu lang, so dass ich sie in zwei Teilen anbieten muss.
Dies ist der erste. Ich bin gespannt, wie Euch der Text gefällt.
Nina

________________________________________________

Es war gut möglich, dass es ihr anfangs unheimlich gewesen war, mit einem Mörder zusammenzuleben. Aber dann hatte sie sich daran gewöhnt, und so wie andere frisch vermählte Frauen die Schalen seines Frühstückseis noch im Kompost mit einer gewissen Zärtlichkeit nachschauen, so sah ich sie bald die Überreste meiner Leichen betrachten. Sie tat es meist mit diesem bestimmten Lächeln, das Frauen aufsetzen, wenn sie nicht im Traum daran denken, die Gedanken, die dieses Lächeln begleiten, jemals einer sterblichen Seele mitzuteilen. Ich schaute ihr dann  - meist vom Bett aus - zu und machte mir so meine Gedanken über die Anpassungsfähigkeit der Frau.

Frauen erstaunen uns Männer immer wieder. Sie gewöhnen sich an die ungewöhnlichsten Dinge. Und zwar mit einer Selbstverständlichkeit, die jeden Mann aus der Fassung bringt. Es scheint als gäbe es nichts, womit sich eine Frau nicht abfinden könnte. Hat ihr Ehemann ein Faible für Modellflugzeuge, so besorgt sie sich eine wetterfeste Jacke, um ihn an die windigsten Hänge zu begleiten. Liebt er Erdnüsse und Himbeerjoghurt, wird sie dafür sorgen, dass stets reichlich von beidem vorhanden ist. Und wenn ihr frisch angetrauter Gatte eben Spezialist für ausgefeilte Morde ist, dann überzeugt sie sich am Morgen danach mit eigenen Augen, ob die Tat gelungen und das Opfer entsprechend mausetot ist. So ist es mit den Frauen, und dafür sollten sie wahrhaftig bewundert werden. Mehr als die Blüten der Opuntia Leucotricha oder die Tempel von Luxor.

Männer dagegen – solche wie ich oder die, die ich umbringe – finden sich mit fast gar nichts ab. In meinen Fall kann man sogar sagen, dass ich mich nicht einmal mit mir selbst abgefunden habe. Ja, vielleicht sogar am allerwenigsten mit mir selbst. Aber das tut jetzt nichts zur Sache. Viel wichtiger ist, dass meine Leistungen seit einiger Zeit nachgelassen haben. Ich weiß das. Ich weiß, dass das, was Camille da morgens vorfindet, weit davon entfernt ist, perfekt zu sein. Ja, die stümperhafte Ausführung mancher Taten läßt sogar daran zweifeln, dass ein Profi am Werke war, und der Zustand der Opfer zeugt von einer Perversität, die mich erschrickt. Camille scheint diese Veränderung bemerkt zu haben. Jedenfalls zieht sie seit einiger Zeit die Stirn kraus, wenn sie das eine oder andere Relikt aus dem Papierkorb zieht und es aufmerksam studiert. Ich beobachte sie dann immer ganz genau, schiebe mir das zweite Kissen in den Nacken und komme doch nie weiter als bis zu jenem Lächeln, hinter dem sie ihre Gedanken verschließt und das immer noch in ihren Mundwinkeln spielt, wenn sie mich ansieht. Aber wenn ich dann denke, dass sie jetzt etwas sagen, mir jetzt ihr Geheimnis enthüllen, mir das Mysterium "Frau" Punkt für Punkt erläutern wird, wie sie es manchmal mit der Einkaufsliste tut, dann täusche ich mich, und sie wirft mir nur lachend meine Jeans aufs Bett, und wenn sie besonders gut gelaunt ist, hilft sie mir hinein.
Manchmal frage ich sie dann: „Hey, was denkst du, wenn du so lächelst? Was ist es? Sag schon!“

Aber sie lacht nur noch übermütiger und sagt: "Nichts! Nichts besonderes! Nur dass ich dich liebe."

Also auch daran hat sie sich schon gewöhnt. Und ich wache immer noch jeden Morgen auf, sehe den Ring an meinem Finger und glaube an ein Wunder.

Einmal blieb ich hartnäckig und hielt sie am Hosenbund fest, bevor sie entwischen konnte.

„Nein, du dachtest etwas anderes, etwas Großartiges dachtest du!“

Und darauf lachte sie, und es war als regneten silberne und goldene Glöckchen auf mich herab, und ich vergaß meine Frage, und sie vergaß ihre Antwort, und wir küssten uns, und irgendwann merkte ich, dass sie mich gar nicht mehr anzog, sondern aus.

Ihr Lächeln, ein Mysterium. Als wüsste man plötzlich von einem zweiten Mond oder einem noch größeren Großen Wagen, den man aber nie zu sehen bekommt, weil der Horizont immer zu weit oben ist oder die Nacht immer genau da aufhört, wo die wahre Dunkelheit beginnt.

Ich habe also nicht erfahren, was sie von dem hielt, was sie jeden Morgen vorfand. Vielleicht ahnte sie, dass etwas mit mir geschah, etwas, worauf ich selbst erst einige Wochen nach unserer Hochzeit aufmerksam wurde.
Wir hatten natürlich eine ganze Menge Geschenke bekommen. Manche waren unnütz, manches hatten wir doppelt, und manches war auch ganz gut zu gebrauchen. So zum Beispiel ein erstklassiges Brotmesser aus Solinger Stahl, mit dem ich fast zwei Wochen lang mein Baguette aufschnitt, bevor mir einfiel, wozu es sonst noch gut sein konnte. Die plötzliche Erkenntnis, dass das gute Solinger Stahl geradezu wie geschaffen dafür war, einen Kopf vom Rumpf zu trennen, ohne Halsschlagader und Speiseröhre zu quetschen oder die Halswirbelsäule in ein unästhetisches Gekrümel zu verwandeln, überraschte mich.

Normalerweise brauchte ich nicht erst zwei Wochen, um auf solche Gedanken zu kommen. Nachdem mir das mit dem Brotmesser klar geworden war, sah ich mir auch die anderen Geschenke noch einmal näher an, und tatsächlich: das Brotmesser war keine Ausnahme gewesen.
Die Hängematte würden wir sowieso nicht benutzen, zumal kein Flaschenzug dabei war, der es mir ermöglicht hätte, hineinzukommen. Ich überlegte, den Privatpater einer mexikanischen Hacienda darin umzubringen. Ich könnte ihn während seiner Siesta überraschen, die Ränder der Hängematte über ihm zusammenbinden und ihn in der Hitze austrocknen lassen wie eine reife Pflaume. Mit der Blumenampel aus Makramee ließ sich vielleicht etwas ähnliches anfangen.

If you've got a job to do, you gotta do it well, summte ich also zufrieden, während ich mich an die Vorbereitungen machte. Doch genau hier lag das Problem: Ich tat meinen Job alles andere als gut. Schon die Sache mit dem Brotmesser ging vollkommen daneben. Ohne ersichtlichen Grund ließ ich mich zu einem Zweikampf hinreißen, bei dem das Messer, bevor es meinem Gegner den Hals durchtrennte, unglücklicherweise auch dessen Kinn aus dem Gesicht entfernte, so dass die Ästhetik ganz und gar beim Teufel war. Mit der Hängematte verlief es noch katastrophaler, denn ich vergaß ganz, dass Privatpater mexikanischer Haciendas nie ohne ihren Lustknaben in die Siesta gehen, und so fand ich die Hängematte voll schwitziger Gliedmaßen, die in den unmöglichsten Stellungen miteinander verdreht waren, und es war mir unmöglich, die Hängematte an den Rändern hochzuziehen, geschweige denn, sie wie einen Kokon zusammenzuschnüren.

Die Angelegenheit war ebenso absurd wie vertrackt. Durch das Telefon konnte ich hören, wie Albert, mein Auftraggeber, mit den Fingern auf seine Schreibtischplatte trommelte.

"Sieh zu, dass du diese Krise schnell überwindest. Die Sache ist eilig." Krise. Für ihn war es also eine Krise.

Dabei ging es mir so gut wie lange nicht mehr. Gewiss, manchmal musste ich noch daran denken, was früher gewesen war und an das, was jetzt nicht mehr war, und dann tat ich Dinge, für die ich mich zwar nicht schämte, über die ich aber trotzdem mit niemandem sprach. Auch nicht mit Camille. Aber das lag daran, dass sie die besondere Gabe hatte, meine Gedanken bereits zu erraten, bevor ich den ungeschickten Versuch unternahm, sie in Worte zu kleiden. Sie kam dann einfach zu mir und setzte sich auf meinen Schoß. Manchmal fand ich noch Zeit, die Bremsen festzustellen, bevor sie mich umarmte, aber manchmal kam ich auch nicht mehr dazu, so dass wir auf unbestimmtem Kurs durch den Raum trudelten, an Möbel stießen und schließlich an der Heizung endeten, an der ich auch schon so manchen gefesselten Bastard hatte schmoren lassen. In solchen Augenblicken dachte ich dann immer, dass ich trotz allem der glücklichste Mensch auf Erden war.

Und doch war da dieser Schatten

„Mach dir nichts draus!“ riet mir mein Freund Jacques mit wohlwollendem Schulterklopfen. „Ich hab mal ein ganzes Jahr keinen vernünftigen Mord hingekriegt, ich dachte schon, es wird nie mehr was, aber dann – peng! besser als je zuvor. So wird’s dir auch gehen!“

Aber zuvor musste noch etwas geschehen. Etwas, was der „Krise“ auf die eine oder andere Art ein Ende bereiten würde. Und Camille und ich würden uns entweder mit zermalmtem Sonnengeflecht in ihrer Asche wiederfinden oder an unseren Schultern die Ansätze topasfarbener Flügel entdecken, die uns zu neuen Kontinenten bringen würden, von denen es noch keine Landkarten und keine Legenden gab.

Camille war sorglos wie immer. Sie platzte ins Badezimmer, wenn ich duschte und redete, in meinem Stuhl sitzend, von Keksen, Bügel-BH's, Zahnpasta, Cabriolets und all den anderen Dingen, für die sie sonst noch Werbung machte. Durch einen Spalt im Duschvorhang sah ich dann ihre niedlichen Füße in den bunten Strickstrümpfen, die auf dem Klodeckel wippten, und manchmal wollte ich ihr sagen, sie solle aufstehen, aufstehen und weglaufen, solange es noch ging, aber sie erzählte gerade einen ihrer verworrenen Träume, in denen es um Uhren ging, die von Bäumen regneten oder um Kandisstückchen, aus denen Regenbogen wuchsen, wenn sie in einen Topf mit Silberstaub gepflanzt wurden, und ich wollte sie nicht unterbrechen. Doch bei einer dieser Gelegenheiten fiel sie sich auf einmal selbst ins Wort, fand, dass es notwendig war, neues Haarshampoo zu kaufen (Provitamine sind gut für die Haare) und

plötzlich stand sie auf, um ohne ersichtlichen Grund eine Haarspange in eine Schublade zu räumen, und nebenbei sagte sie: „Dein Problem ist, dass du selbst nicht weißt, wen du eigentlich umbringen willst. Oder du weißt es, aber du traust dich nicht, es zu tun.“

Im nächsten Moment war sie aus dem Badezimmer raus. Wahrscheinlich war ihr eingefallen, dass sie ein Marmeladenbrot essen oder einen Artikel aus der Zeitung ausschneiden wollte, und sie ließ mich zurück mit dem Schaum aus der fast leeren Shampooflasche in den Haaren und dem Gefühl, dass die Welt leichter zu nehmen ist, wenn man nachts von goldenen Panthern träumt.

Tatsächlich hatte Camille recht. Ich hatte schon seit längerem nicht die geringste Ahnung, wen ich eigentlich umbringen wollte. Hatte ich es auf einen schmierigen Neger mit Mundgeruch und Armprothese abgesehen, so geschah, was mir nie zuvor geschehen war, dass mir der Schuss fehlging und eine 56-jährige Hausfrau traf, die schaulustig auf den Balkon hinaus getreten war und mit brüchigen Fingernägeln angebranntes Kartoffelpüree aus einem blauen Emailletopf kratzte. Oder, was schlimmer war, ich selbst geriet in eine unvorhergesehene Situation, die in einem Tete-a-tete mit einer ganz speziellen Sorte von Handfeuerwaffe gipfelte und musste alle Kräfte darauf richten, mein nacktes Leben zu retten.

An einem der folgenden Tage schlug Camille mir vor, auf eine dieser Veranstaltungen zu kommen, bei denen sie ihr Geld verdiente.

„Dort triffst du bestimmt jemanden, den du umbringen kannst“, fügte sie hinzu, um mir endlich die Zustimmung abzuringen, obwohl sie wusste, dass ich mir in dieser Gesellschaft stets vorkam wie ein rachsüchtiger Revolverheld, der in die Zeremonie einer baptistischen Seligsprechung hereinplatzt. Camille hoffte zweifellos, dass ich den Abend nutzen würde, um mir die Namen meiner zukünftigen Opfer zu notieren und mir zu überlegen, welche Todesart dem einen oder anderen am besten stehen würde und dass ich mein Problem gelöst haben würde, bevor der Champagner zur Neige gegangen wäre. Gern hätte ich ihr geglaubt, doch da war etwas, das sich mit dem Geschmack fauliger Pilzen an meine Zunge klammerte: Dieser Abend würde anders sein als die anderen, an denen ich mich mit dem gleichen Ziel in Gesellschaft begeben hatte. Dieser Abend würde den Wandel bringen. Und er würde schmerzhaft sein.

Camille brauchte wie üblich eine Stunde allein im Bad, bevor sie mir half, Lederhose und Cowboystiefel anzuziehen, mich schließlich in einer Wolke von Duschgel umarmte und mir viel Spaß wünschte. Ich rauchte eine letzte Zigarette und lauschte ihren Schritten, als sie aus dem Haus sauste. Später fuhr ich ihr nach an die angegebene Adresse. Ich war zufrieden. Der Ort war geeignet für ein vorzügliches Verbrechen. Der Haupteingang ragte hoch über den Treppen auf. Ein Portal im Himmel; so schien es. Glücklicherweise gab es einen Seiteneingang.

Seiteneingänge hatten von jeher eine besondere Anziehungskraft auf mich ausgeübt. Fast war ich froh, sie jetzt benutzen zu dürfen. Sie waren die wirklichen Türen, die sich öffneten, ohne gleichzeitig zu verschließen. Sie gewährten denen Einlass, die nicht darum baten, sondern sich ihres Wegs gewiss waren. Der Mann, der zu mir in den Fahrstuhl stieg, schob eine Kleiderstange auf Rollen herein. Während ich noch versuchte, den Gewändern auszuweichen, die wie leblose Schwäne daran baumelten, musterte er mich streng.

„Glauben Sie, dass Sie die richtige Garderobe gewählt haben?“

„Die richtige Garderobe zum richtigen Anlass, und die falsche Garderobe zum falschen Anlass“, erwiderte ich gelassen. „Oder wollen Sie mir vielleicht was von dem da anbieten?“

Das Gute an Seiteneingängen war auch, dass sie einem ein unbemerktes Kommen sicherten. Das war ganz nach meinem Geschmack. Die Tür des Aufzugs öffnete sich zum Foyer, und ich war gleich mittendrin. Ich hörte die Gespräche, bevor sie verstummten und sah, wie die Gesprächspartner erschraken, weil sie mich nicht hatten kommen hören. In diesem Moment waren sie wehrlos.

Der rote Teppich schmeichelte nur scheinbar, in Wirklichkeit versuchte er, mich aufzuhalten. Ich durchschaute sein Spiel. Er ließ nur jene schweben, die ihn mit ihren Füßen betraten. Ich sah mich um. Es war alles wie ich erwartet hatte. Rasch erhobene Champagnergläser verbargen Gesichter und Lügen. Kronleuchter lächelten gleichmütig, während sie verschwenderisch Lichttropfen über Silberbesteck und Seidenstrümpfe regnen ließen. Die hohen Fenster wirkten vor dem Hintergrund des Abends wie Spiegel, in denen sich das Bild der Verschwörung vervielfachte.

Ich schickte meinen Blick auf die Pirsch. Irgendwo hier würde er meinem nächsten Opfer begegnen, und dann gab es kein Entrinnen mehr.

To be continued...[url][/url]

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Footy
Geschlecht:männlichErklärbär

Alter: 31
Beiträge: 4



Beitrag28.03.2017 14:52

von Footy
Antworten mit Zitat

Bin noch etwas sprachlos.
Ich habe den Text mehrere Male gelesen und immer wieder entdecke ich schöne, neue Bilder/Sätze. Mich wundert es auch, wieso sich noch keiner gemeldet hat. Hab ja ein bisschen darauf gehofft, dass ein anderer Leser vor mir kommentiert und vielleicht gleichzeitig auch meine Gefühle beschreibt und ich mich darauf stützen könnte. lol2 Tut mir Leid, wenn meine Meinung bisschen wirr wird.
Auf Dauer würde ich deinen Schreibstil nicht aushalten oder ich müsste ihn wie einen guten Wein genießen. Ein Kapitel pro Abend und mit Textmarker, um die tollen Bilder und guten Formulierungen einzufangen.  
Du hast viele lange Sätze in der Geschichte, du erzählst sehr dicht und ich bin nicht nur im Kopf des Protagonisten, sondern förmlich der Protagonist. Auf Dauer könnte mich das sehr anstrengen. Ich bin auf deinen Stil gespannt, wenn die Geschichte mit mehr Handlung und Aktionen auffährt – was wohl im zweiten Teil auch der Fall sein wird, habe auch schon eine Vorahnung was passieren könnte.
So eine bildhafte und detaillierte Schreibe ist wirklich schön, ich liebe es, aber es könnte eben auch „too much“ werden, was ich vor allem am Ende bemerkt habe. Der letzte Absatz liest sich gut, es sind wieder tolle Formulierungen dabei, aber es war dann doch etwas ermüdend. Manchmal werden die Sätze zu lang. Sie lesen sich zwar schön, aber unterbrechen doch manchmal den Lesefluss – zumindest ging es mir so. Zum Beispiel gleich am Anfang. Der erste Satz ist super, der Zweite hingegen war mir zu „kompliziert“ aufgebaut. Aber vielleicht liegt es auch an mir, vielleicht muss ich mich auch erst an deine Schreibe gewöhnen.

Ansonsten hat mir der Einstieg gefallen und sofort mein Interesse geweckt. Ein starker, erster Satz. Die Charakterisierung ist dir sehr gelungen. Ich finde den Prota nicht unbedingt sympathisch, aber ich hasse ihn auch nicht. Ich verfolge sehr gerne seine Gedanken.
Hier und da gibt es kleine Vorahnungen und die teilweise sehr „lustigen“ Beschreibungen der Morde haben immer wieder für Spannung und Schmunzler gesorgt. Sehr schön.
Ich bin wirklich auf den Ausgang gespannt.


Schöne Stellen

Zitat:
Ich beobachte sie dann immer ganz genau, schiebe mir das zweite Kissen in den Nacken und komme doch nie weiter als bis zu jenem Lächeln, hinter dem sie ihre Gedanken verschließt und das immer noch in ihren Mundwinkeln spielt, wenn sie mich ansieht.

Zitat:

Und darauf lachte sie, und es war als regneten silberne und goldene Glöckchen auf mich herab, und ich vergaß meine Frage, und sie vergaß ihre Antwort, und wir küssten uns, und irgendwann merkte ich, dass sie mich gar nicht mehr anzog, sondern aus.

Vor allem der Satz hier. Was für ein schöner Aufbau und dann das Ende. Boah. Sehr geil.

Zitat:
Aber das lag daran, dass sie die besondere Gabe hatte, meine Gedanken bereits zu erraten, bevor ich den ungeschickten Versuch unternahm, sie in Worte zu kleiden.


Vorahnung:
Zitat:
Dieser Abend würde anders sein als die anderen, an denen ich mich mit dem gleichen Ziel in Gesellschaft begeben hatte. Dieser Abend würde den Wandel bringen. Und er würde schmerzhaft sein.

Vor allem in der Kombination mit:
Zitat:
„Dein Problem ist, dass du selbst nicht weißt, wen du eigentlich umbringen willst. Oder du weißt es, aber du traust dich nicht, es zu tun.“

Mal schauen wie es endet smile

MfG
Hubi
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kioto
Geschlecht:männlichEselsohr

Alter: 71
Beiträge: 442
Wohnort: Rendsburg


Beitrag28.03.2017 21:58

von kioto
Antworten mit Zitat

Hallo Nina,
Mir hat der Text gut gefallen. Du schreibst auf einem recht hohen Niveau. Besonders viele der Bilder sind sehr gut gelungen und haben durchaus literarische Qualität. Deshalb stört auch nicht, dass die Handlung für mich zumindest nicht immer ganz schlüssig ist, ist er Auftrags- oder Hobbykiller oder einfach ein Psychopath? Macht er manchmal Heimarbeit? Egal.
Ein interessanter Aspekt für mich ist, wie du als Frau den weiblichen und den männlichen Prota gestaltest. Denn du hast in beide doch sehr weibliche Aspekte eingearbeitet, in den weiblichen dich selber? Und das bei diesem Thema.
Bin schon gespannt auf den zweiten Teil.

Gruß Werner

PS. Bin auch Modellflieger, leider im Norden ohne Hänge und meine Frau geht nie mit.


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Stanislav Lem: Literatur versucht, gewöhnliche Dinge ungewöhnlich zu beschreiben, man erfährt fast alles über fast nichts.
Phantastik beschreibt ungewöhnliche Dinge (leider m.M.) meist gewöhnlich, man erfährt fast nicht über fast alles.

Gruß, Werner am NO-Kanal
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Tjana
Geschlecht:weiblichReißwolf

Alter: 63
Beiträge: 1786
Wohnort: Inne Peerle


Beitrag29.03.2017 00:32

von Tjana
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Moin Nina,
dein Text beeindruckt mich. Wenn es ein Buch werden sollte, würde ich es lesen wollen. Dein Sprachstil trifft genau, was ich an Büchern so mag.
Auch inhaltlich hat er für mich exakt das Maß an aufgeworfenen Fragen, zu denen Vermutungen entstehen und die dann durch Weiterlesen geklärt werden wollen.
LGT


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NinaK
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen

Alter: 53
Beiträge: 39
Wohnort: Düsseldorf


Beitrag31.03.2017 17:27

von NinaK
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Lieber Hubi,
lieber Werner,
liebe Tjana,

vielen Dank, dass Ihr Euch die Zeit genommen habt, meinen Text zu lesen, darüber nachzudenken und mir - trotz partieller Sprachlosigkeit - Eure Gedanken dazu zu schreiben! Welche Freude darüber hinaus, dass er Euch gefallen hat. Der Text ist schon ziemlich alt, aber ich freue mich trotzdem so, als wäre er mir erst gestern aus der Feder geflossen.

Hubi,
vielen Dank für Deine lobenden Worte zum Einstieg und den verschiedenen anderen Stellen, die Dir gefallen haben. Es freut mich immer, wenn solche Formulierungen gewürdigt werden, denn teilweise ist die Arbeit daran intensiv.

Zitat:
Auf Dauer würde ich deinen Schreibstil nicht aushalten


tröste Dich, ich auch nicht. Laughing
Für eine Kurzgeschichte geht das, aber für die Länge eines Romans fände ich es auch "too much".

Zitat:
habe auch schon eine Vorahnung was passieren könnte.


Halt die Vorahnung bitte fest und erzähle sie mir hinterher, ja?

Werner,

Zitat:
Du schreibst auf einem recht hohen Niveau.


Danke. Embarassed

Zitat:
ist er Auftrags- oder Hobbykiller oder einfach ein Psychopath?


Er mordet im Auftrag von Albert, steht ja da. Wink

Zitat:
Macht er manchmal Heimarbeit?


Ja. Ich würde sagen, ausschließlich. Laughing

Zitat:
Psychopath?


Nein.

Zitat:
weibliche Aspekte


Ja? Welche sind das? Die blumige Sprache und die vielen Bilder sind ja nicht per se weiblich.

Zitat:
in den weiblichen dich selber?


Nein. Der Text ist ein Teil von mir, mein Produkt, aber die Figuren sind nicht ich.

Tjana,

Zitat:
dein Text beeindruckt mich.


Vielen Dank.

Zitat:
Wenn es ein Buch werden sollte, würde ich es lesen wollen.


Da muss ich Dich enttäuschen, zumindest ein bisschen.
Von dieser sehr ausschmückenden Sprache bin ich inzwischen etwas abgekommen. Ich baue schon hier und dort etwas ausgefallenere Formulierungen, Bilder und Vergleiche ein, aber nicht mehr in der Dichte wie hier.

Warum "Der letzte Mord" eine Vorstufe zu "Dein Weg, meine Liebe" ist, kann ich vielleicht später mal erzählen, wenn ich hier im Forum etwas mehr von dem Roman gepostet habe - oder zumindest den 2. Teil vom "Mord".

Viele Grüße
Nina
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Tjana
Geschlecht:weiblichReißwolf

Alter: 63
Beiträge: 1786
Wohnort: Inne Peerle


Beitrag31.03.2017 20:07

von Tjana
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NinaK hat Folgendes geschrieben:

Zitat:
Wenn es ein Buch werden sollte, würde ich es lesen wollen.

Da muss ich Dich enttäuschen, zumindest ein bisschen.
Von dieser sehr ausschmückenden Sprache bin ich inzwischen etwas abgekommen. Ich baue schon hier und dort etwas ausgefallenere Formulierungen, Bilder und Vergleiche ein, aber nicht mehr in der Dichte wie hier.

Schade, ich mag so was auch in Büchern, muss wirklich nicht immer den hoch gelobten "leicht und schnell zu lesenden" Text haben.
Kennst du was von Benjamin Lebert?


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NinaK
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Alter: 53
Beiträge: 39
Wohnort: Düsseldorf


Beitrag05.04.2017 21:23
Der letzte Mord (Teil 2 von 2)
von NinaK
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„Entschuldigung“, murmelte der Kellner, der mich angerempelt hatte, und verschwand, ohne mir ein Getränk anzubieten. Ich verwarf den Gedanken, ihn unter einen schmucken Wagen gefesselt zu einer Spazierfahrt durch die Cevennen einzuladen. Das Buffet sah nicht schlecht aus. Trotzdem würde es hier wohl niemanden geben, der dem gegrillten Ferkel einfach den Apfel aus dem Maul nehmen und hineinbeißen würde. Nein, so was brachte nur Camille fertig.

„Tom, wie nett...!“
Ich hätte wissen müssen, dass ich Michel hier treffen würde. Michel in weißem Smoking mit einer lächerlichen kleinen Lederfliege. Er streckte mir die Hand entgegen, die sich anfühlte wie eine verendete Fledermaus, und sein Lächeln rutschte ihm vom Gesicht in die Hose. Ich hielt schon mal Ausschau nach seinem Begleiter, der stets so eifersüchtig über ihn wachte, aber der stand an einem der Marmortische und warf mir nur lächelnd einen Gruß zu, bevor er einen weiteren Schluck von seinem Schampus nahm.

„Und – immer noch der kaltblütige Killer?“ fragte Michel geistlos wie eh und je, obwohl sonst jeder Trottel wusste, dass mein Blut immer in Wallung war, wenn nicht gar kochte, wenn ich mordete.

Ich versäumte zu antworten, weil eine Laufmasche an einem rot bestrumpften Bein meine Aufmerksamkeit erregte. Sie wurde auf der Innenseite eines bleichen Oberschenkels von einem Pünktchen Klarlack aufgehalten, und mit etwas Mühe konnte ich sie bis zu ihrem Ursprung verfolgen. Einen Moment überlegte ich ernsthaft, ob die Strumpfhose trotz ihres kleinen Defektes geeignet wäre, Michel damit zu strangulieren, aber die Idee erschien mir gänzlich unspektakulär. Sie würde Albert nicht einmal ein anerkennendes Heben der Augenbrauen entlocken. Der Teppich und der fröhliche Klang der Gläser sogen Michels Stimme auf, als ich ihm den Rücken kehrte. Bevor die Lichter ausgehen und das Spektakel beginnen würde, musste ich unbedingt dem Buffet einen Besuch abstatten.

Während ich noch überlegte, ob ich mit einem Bissen Fleisch oder einem Getränk beginnen sollte, schoben sich zwei gebräunte Beine in mein Gesichtsfeld, die inmitten einer Wolke blauer Seide zu schweben schienen.

„Die Leute sind einfach nicht sozial heutzutage“, ertönte eine Stimme mit fremdem Akzent aus der Wolke, und ich blickte auf in ein Gesicht, das brauner war, als die Haare, die es umgaben. „Möchten Sie einen Champagner?“

„Ja, gern“, antwortete ich und sah ihr nach. Ihre spitzen Absätze hinterließen Eindrücke in dem weichen Teppich. Das war schlecht. Auf diese Weise könnte jeder Anfänger erkennen, wo sie zu Boden gegangen war, wenn ich sie jetzt mittels eines gezielten Schlages auf den Hinterkopf niederstreckte. Sie kam zurück, und ihr Lächeln schwankte vage über den beiden Gläsern, von denen sie mir eins reichte.

„Ich verstehe wirklich nicht, warum sich die Leute nicht mit Ihnen unterhalten. Von mir sagen alle, ich wäre sehr sozial. Ich habe sogar einmal mit einem Clochard gesprochen.“

Ihr Lächeln schien in ihr Gesicht gehängt wie ein Lampion in einen Baum, und ich wusste, dass es nur eines Windstoßes bedurfte, um es zum Verlöschen zu bringen. Als sie anstoßen wollte, ließ ich mein Glas fallen.
Sie wurde blass, sofern ihre Hautfarbe ihr das ermöglichte, und verschwand, etwas von Hilfe stotternd. Zum Glück ertönte in diesem Moment die Aufforderung, sich in den großen Saal zu begeben, und ich schloss mich den aufbrechenden Menschen an.

Im Korridor lief Camilles Chef Francois an mir vorbei. Er rauchte in der Nichtraucherzone Zigarillos aus Elfenbeinspitzen und ignorierte mich, wie er es schon seit Jahren tat. Ich lächelte zufrieden. Zumindest war er konsequent. Wäre es meine Aufgabe gewesen, ihn zu erledigen, hätte ich ihn einfach erschossen. Aber er war nicht der Richtige.

Während ich darauf wartete, dass der durch die Türen in den Saal quellende Menschenstrom abnahm, zündete auch ich mir eine Zigarette an. Eine Frau in efeufarbigem Mini und wie eine Ranke an einen Kerl mit zu viel Gel in den Haaren geschmiegt, drängte sich an mir vorbei. Ich erkannte sie an ihrer Laufmasche.

„Entschuldigen Sie“, sagte ich. „aber wie nennt sich bitte die Farbe ihrer Strumpfhose?“

Einen Augenblick sah sie mich an, als wüsste sie nicht, ob sie mir eine runterhauen oder mich einfach für verrückt erklären sollte. Dann antwortete sie ausgesprochen liebenswürdig: „Hummer. Sie ist hummerfarben.“

Als ich meinen Platz vorne an der Bühne suchte, musste natürlich Jean-Claude meinen Weg kreuzen. Er machte sich nicht die Mühe, seine Verachtung zu verbergen, und ich fand es amüsant, dass er überhaupt zu so starken Gefühlen fähig war.

„Wer hätte das gedacht, dass du Camille auch mal im Hochzeitskleid sehen würdest“, zischte er.

„Na, du bestimmt nicht“, antwortete ich ruhig und zog einen der Stühle an meinem Tisch beiseite.

„Soll ich dir ein Bier holen?“ fragte er noch, und die Höflichkeit in seiner Stimme nahm seiner Absicht nicht die Boshaftigkeit.

„Nein, vielen Dank, aber ich hatte gerade Hummer.“

Er stockte. „Wo gab es Hummer?“

„Direkt vor meinen Augen. Und Bier passt verdammt schlecht zu Hummer.“

Jean-Claude schaute, wie er geschaut haben musste, als Camille sich geweigert hatte, ihn zu heiraten. Zum Glück kam in diesem Moment Julie, die auch an meinem Tisch saß und ihn mit einem einzigen wütenden Blick zum Teufel jagte. Ihre Begrüßungsküsschen rochen nach Pfefferminze.
 
„Was wollte er?“

„Nichts. Mich auf ein Bier einladen.“

Julie verdrehte die Augen, aber als sie sah, dass ich lachte, lachte sie auch. Ich überlegte, wie es wäre, Jean-Claude mit einem Axthieb zwischen die Beine unschädlich zu machen, aber der Anblick, den seine so zugerichtete Leiche bieten würde, widersprach meinem ästhetischen Anspruch.

Bevor endlich das losging, worauf hier eigentlich alle warteten, waren die Türen schon lange geschlossen worden, und als die ersten Mädchen über den T-förmigen Steg stolzierten, hatten sich die Gerüche parfümierter Leiber bereits zu einer Wolke von Eitelkeit verdichtet, die auf mich geradezu einschläfernd wirkte. Musik erklang wie von einer anderen Welt, Lichter zuckten über metallische Oberflächen, die Pressefotografen trugen bei, was sie beitragen konnten, und der Saal mit der ganzen Meute darin mutierte langsam zum Raumschiff, zur Kapsel, die sich selbst ins Weltall speit, über den T-förmigen Grundriss wandelten Schönheiten, die sich in ihren eigenen Lügen verzehrten.

Ich fragte mich, warum Francois den Aufbruch in fremde Galaxien zum Thema für seine Kreationen nahm. Hätte er Augen besessen, um zu sehen, und Verstand, um zu begreifen, hätte er erkannt, dass das Fremde überall um ihn herum, nicht einen Herzschlag von ihm entfernt war, und dass er nicht einmal das Geheimnis einer einzigen Paillette begriff, die sich von einer Sekunde auf die andere entschloss, mit einem Lichtblitz zu balzen, der vielleicht weiser war als wir alle, weil er die Grenzen des Universums längst überschritten hatte und deshalb keinen Pfifferling mehr auf Weisheit gab, und vielleicht hätte Francois erkannt, dass die kleine Paillette den Glanz schuf, aus dem die Finsternis erst wachsen konnte, und dass sie sich schuldig machte, weil zwischen Hummerscheren und Champagnertropfen ein Rad sich drehte, das jeder übersah und das aufgehalten werden musste.
Ich sah Francois das Licht versklaven, wie er alles um sich herum entweder versklavte oder ignorierte, ich sah, wie er Kaskaden von Seide und Satin verschwendete, weil sie über Fleisch flossen, das müde war und bereits ertränkt von zu vielen Lügen, und ich sah, dass ihm all das ein Vergnügen bereitete, das echt war und keinen Einwand duldete. Dass er Farben spie und verschlang, weil diese Welt zu bunt war und es keinen Sinn machte, vor einer einzigen Farbe in Ehrfurcht zu versinken, wenn sich über einem der Regenbogen mit allem, was sichtbar war und unsichtbar, wölbte.
Und dann war da doch die Hymne an die eine Farbe, die eine, die alles auslöschte, die Farbe des Lichtes selbst, und ich sah Camille in einem roten Kleid, das sie umschloss wie die Sünde, die sie doch nie gekannt hatte. Alles war Strahlen, alles Feuer. Die Fotografen schienen sie zu entzünden, als sie Blitze nach ihr warfen, die sie nicht berührten und ihre Schultern, über die das Kleid nur einen einzigen breiten Träger legte, in marmorierter Einheit verschwimmen ließen. Aus ihrem Haar flossen Flammen in weiten Spiralen, sie schmiegten sich an ihren Hals, als sie sich die Jacke aus blutigen Federn überstreifte, und bald stand sie da, ganz und gar entbrannt, ein Schmetterling in Flammen, Licht und Tod, Apokalypse und Auferstehung. Und plötzlich, während sie der Fessel ihres Kleides so vollkommen ausgeliefert war, dass jeder Atemzug zum Heldenstreich gegen das Material wurde, während sie im Feuerwerk des Applauses glitzerte und erstarb, und während ihr Blick mich streifte, ohne mehr zu überbringen als die Botschaft des Lichts und der Unendlichkeit, wusste ich, dass sie es war, die sterben musste, dass ich töten musste, was ich am meisten liebte, um mich endgültig zu befreien.

Ich sah ihr nach, wie sie sich in aufsteigenden Nebeln verlor und der Jubel sie davonspülte wie eine ins Meer geworfene Ikone.

Julie sah mich an. „Sie war gut.“

Ich brauchte eine Weile, um mich auf das zu besinnen, was vor mir lag.

„Ja, das war sie. In der Tat.“

Den Rest der Nacht und die Hälfte des nächsten Tages verbrachte ich am Schreibtisch. Meine Heldin starb in einem Inferno hummerfarbener Flammen, die über allen Sternen und Scherben der vergangenen Monate zusammenschlugen. Als ich fertig war, kam es mir seltsam vor, keine Rußspuren auf den Seiten zu finden, wo ich doch in mir selbst immer noch die Hitze der letzten Stunden spürte.

Camille betrat das Arbeitszimmer am späten Nachmittag. Sie hatte eine große Pizza mit Artischocken und extra Käse dabei und ein Zucken um die Mundwinkel, das sich auch nicht beruhigte, als ich sie ausgiebig küsste.  

„Ist es gelungen?“ fragte sie.

„Ich denke schon.“

Jacques war der erste, dem ich die Seiten zeigte. Er saß mir in der Brasserie auf halbem Weg zwischen unseren Wohnungen gegenüber, und die Glut seiner Zigarette erreichte fast seine Finger, bevor er endlich den Blick vom Papier losriss. Dann sahen wir uns an, und ich hatte das Gefühl, dass in seinen Pupillen noch immer Asche und Funken durcheinanderwirbelten.

„Es ist dein letzter Mord, was?“

Ich nickte. „Glaubst du, Albert wird zufrieden sein?“

„Er wird begeistert sein.“

Wir schwiegen eine lange Weile, in der Jacques seine Zigarette mit leisem Knistern in dem frisch gespülten Aschenbecher ausdrückte.

„Und was wirst du jetzt machen?“

„Was Vernünftiges schreiben. Irgendwer wird es schon wollen.“

Wir mussten beide lachen, und Jacques klopfte mir auf die Schulter und wünschte mir viel Glück, wie man jemandem auf die Schulter klopft und Glück wünscht, der gerade in die transsibirische Eisenbahn steigt.

Albert war tatsächlich begeistert. Nachdem er meine Kündigung erhalten hatte, bemühte er sich redlich, mich umzustimmen, aber schließlich akzeptierte er meine Entscheidung. Wir trennten uns mit einem herzlichen Händeschütteln und dem Versprechen in Kontakt zu bleiben.

Bevor ich meinen verspäteten Mittagsschlaf beendete, bekam ich Besuch von Camille. Im gestreiften Licht, das durch die Jalousien fiel, schien ihr Körper eine optische Täuschung zu sein oder eine zufällige Formation von Sternenstaub, die der leiseste Hauch auseinander wehen konnte. Ich war froh, als sie sich auf die Bettkante setzte und ich ihre Hüfte umschlingen konnte. Auf meinem nackten Arm spürte ich einzelne ihrer Haarlocken, die sich mir wie Fühler entgegenstreckten, und ich schloss die Augen, um die Gegenwart des Mysteriums zu genießen.

Als ich sie näher an mich ziehen wollte, blieb sie steif.

„Ich habe heute bei Francois gekündigt“, sagte sie.

Ich sah in ihr Gesicht, das sich wie eine Blüte über mich neigte und lächelte.

„Das ist okay.“

Ihre Hand war warm und zart, als ich sie an meine Lippen führte und küsste.

„Hast du keine Angst?“ flüsterte sie.

„Nein. Wovor denn?“

Ihr Lächeln war noch immer unergründlich, als sie zu mir unter die Decke schlüpfte, aber mit jeder Berührung spürte ich mehr, wie ich Teil ihrer Welt wurde. Im Handumdrehen schuf sie ein Universum nach der Geographie ihrer Träume, in dem es weder Treppen noch Türme gab, und in dem wir uns schwebend fortbewegten.

Als ich aufwachte, war es draußen schon dunkel. Durch die Jalousien fiel gestreiftes Licht auf meine Bettdecke, und das Ticken der Uhr weigerte sich, die Stille zu füllen.

Ich wusste nicht, was Camille wusste, aber ich lächelte, und ich war mir sicher, dass sie, wo auch immer sie gerade war, mein Lächeln erwiderte.

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