18 Jahre Schriftstellerforum!
 
Suchen
Suchabfrage:
erweiterte Suche

Login

Jetzt erhältlich! Eine Anthologie von und mit unseren Usern. Jetzt bestellen! Die erste, offizielle DSFo-Anthologie! Lyrikwerkstatt Das DSFo.de DSFopedia


Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Prosa -> Einstand
Staubtaub


 
 
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
 Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  « | »  
Autor Nachricht
frauenimsinn
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen


Beiträge: 21
Wohnort: Augsburg


Beitrag08.03.2017 17:15
Staubtaub
von frauenimsinn
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Es war ein glühend heißer Tag im August gewesen und wir hatten uns in seinem Atelier verabredet. Ich hatte ihn überredet, mich zu malen – es sollte ein Geschenk für dich werden. Ich hatte keine Hemmungen, mich vor ihm auszuziehen – erstens war Bruno so homosexuell, wie man eben nur homosexuell sein kann, und zweitens war ich eingebildet genug, um zu wissen, dass mein Körper perfekt war. Anerkennend pfiff er damals auch durch die Zähne, als ich keck nackt vor ihn trat.

Die Leinwand war jungfräulich weiß. Sie schrie fast nach Bemaltwerden, nach dem Aufsaugen von Acrylfarben, nach Alkohol und in erster Linie natürlich nach greller Verwandlung. Im Raum war es kühl, während draußen die Hitze tobte, die Jalousien weit heruntergezogen, gerade so, dass noch genug Licht hereinkam.

Es war still und es war staubtaub.

Bruno wollte wissen, welche Farbe die Vorherrschende in seinem Bild sein sollte. Die Frage kam mir insofern seltsam vor, da ich es ungewöhnlich fand, dass ein Künstler das Objekt nach der Farbe, in der er es malen sollte, fragte. Ich wollte ihm daher nicht antworten. „Na komm, Cielita. Verrate mir die Farbe, in der ich dich malen soll. Keiner kann so wie du die Farben sehen. Ich beneide dich darum...“

Ich war irritiert und überlegte einen Moment, ob er mich irreführen wollte, sah dann aber den Ernst in seinen schwarzen funkelnden Augen. Da war kein Neid, nur offensichtliche und aufrichtige Neugier. Ich hatte ihm nie von meinen Farben erzählt und war einen Moment verunsichert.
Ich schloss irgendwann die Augen, es roch im ganzen Raum nach Hellgrau mit einem Hauch von Blau und ich murmelte das vor mich hin.
„Was für ein Blau?“, wollte er wissen. Ich musste sekundenlang nachdenken, da ich wieder an meine Grenzen geriet, bei dem dilettantischen Versuch einem anderen Menschen eine Farbe zu schildern, die ich selbst doch so klar und ganz und gar deutlich vor meinen Augen sah.

„Ein dunkles, aber ganz und gar durchsichtiges Blau, ein Blau, das in seiner Kraft Verletzlichkeit ausstrahlt. Kannst du das malen?“

Er lächelte mich verwundert an, schien lange nachzudenken, nickte dann aber irgendwann und schraubte mit einem Ruck das Ventil an eine seiner Tuben weg. Es war keine mit blauem Inhalt. Hatte ich die richtige oder die falsche Antwort gegeben? Warum grinste er noch immer so? Wahrscheinlich war das nicht wirklich relevant, dachte ich mir und brachte mich unsicher wieder in Pose. Und lediglich, um meine in mir herumstreunenden Vermutung zu festigen, frage ich eine Nuance lauter als stumm.
„Werde ich dabei am Ende... nicht überleben?“
Wieder nickte er, schweigend und es erschien kein schelmisches Lächeln mehr um seinen Mund. Sein Schweigen war orangefarben. Ein kratziges Orange, eher ein dunkles Gelb, das verwässert-trüb an sich selbst zu ersticken schien. Ein keuchendes, zerschlissenes Orange eben, eines, das sich in kaum merklichen Nuancen verliert. Kaum wahrnehmbar für andere, für mich jedoch durchaus.

„Wie werde ich zu Grunde gehen?“

„Auf äußerst kunstvolle Art und Weise natürlich, Darling. Ich werde dich in ein Kunstwerk verwandeln, du wirst großartiger denn je aussehen. Verlass dich auf mich. Und jetzt stai fermo, Cielita!!! Wie soll man arbeiten können, wenn dein Mundwerk nie stillsteht...“

Ich starrte auf die nackte Leinwand, versuchte mich an ihrem grellen Weiß festzuhalten. Ich fixierte all die vielen Farben, die in einer sich mir nicht erschließenden Ordnung auf dem Fensterbrett und dem Boden herumstanden, Tube an Tube, manche aneinander gelehnt, andere ineinander verschüttet - geradeso als würden sie sich verzweifelt gegenseitig umklammern, um nicht gänzlich im Chaos dieses Studios unterzugehen. Ich suchte natürlich das Blau, mein Blau. Ich fand es nicht und meine Gedanken wanderten in die Tiefe des Himmels. In meinem Kopf rauschte es verdächtig, schepperte es ein paarmal schrill. Ich kannte dieses Rauschen bereits seit langem und es machte mir seit jeher Angst, da es in nicht kontrollierbaren Situationen völlig aus dem Nichts kam.

Es ist nicht dieses austernhafte Muschelrauschen, das einem die eigenen Ohrgeräusche manchmal vorgaukeln, wenn es ganz ruhig ist. Mein Rauschen ist viel zänkischer, wie grellbunte Zuckergussstreusel auf vergilbtem Schieferboden. Mein Rauschen ist destruierend, höhnisch und überaus demütigend, zugleich aber auch machtvoll und zärtlich. Mein Rauschen verschlingt mich völlig, um mich zu metamorphisieren und gewaltsam wieder auszukotzen. Mein Rauschen ist nicht cyanblau, es ist...

„Du stehst nicht im richtigen Licht, Cielita  - dreh dich mehr nach links...“
Ich murrte kurz auf, ungehalten, doch sein knappes, fast unwilliges Stirnrunzeln ließ mich innehalten. Ich konnte seinen künstlerischen Überlegungen auch nach so vielen Jahren nicht im Geringsten folgen, da mir seine Welt immer noch hermetisch verschlossen war. Paradox – da standen wir uns zänkisch gegenüber – ich, die Farbenkennerin, und er der Farbenverschwender. Am liebsten hätte ich ihm in diesem Moment seine gesamte Farbpalette über einen Haufen geschmissen, aber ich riss mich am Riemen.
Er kniff die Augen zusammen, wie er es immer tat, wenn er intensiv konzentriert war auf eine Sache. Er taxierte mich, machte mich nackter als nackt, schob mich mal ein Stück weiter in die eine oder die andere Richtung, ganz nach seinem Belieben und ohne darauf zu achten, ob ich dies ebenso wollte wie er. Seine Hände waren so warm und schön, zartgliedrig und doch von so enormer Kraft. So, wie Frauenhände eben niemals sein können.
Hatte ich Angst vor ihm in dieser Situation?
Welche Farbe hat die Angst überhaupt? Hat die Angst eine Farbe oder ist sie immer schwarz oder weiß? Welche Farbe hat meine Angst? Ich sah wieder auf die unzähligen kleinen Tuben. Die Farben bewegten sich plötzlich, schrien mich jetzt an, jede einzelne brüllte mir etwas aus ihrem Plastikgefängnis entgegen. Plötzlich sah ich auch den anderen Behälter, der weiter Abseits stand, am Boden unter der Staffelei, beinahe wie achtlos darunter geschoben.
„Was steht da eigentlich unter dir?“, fragte ich und deutete mit dem Kinn leicht in diese Richtung – nur mit einer ganz sachten Bewegung, um Bruno nicht erneut zu echauffieren, wenn ich mich zu sehr aus seiner Vorstellung hinausbewegte.
„Du weißt, was das ist. Warum fragst du also?“

Natürlich wusste ich, was das war, wollte mich aber rückversichern, dass ich mich nicht geirrt hatte. Es war seine alte rostige Schrotflinte, gefüllt mit bunten, schillernden und spritzenden kleinen Farbkugeln.
„Sie werden meinen Körper regelrecht zerfetzen, mich hässlich aufplatzen lassen und sich zusammen mit meiner Seele in das Weiß dieser tela insolenta hineinätzen. Die Leinwand wird mich komplett aufsaugen und einatmen wie ein feuchter Schwamm. Ich werde nicht mehr als diese verdammte Leinwand sein.“
Dies alles dachte ich, ohne zu wissen, wie nah ich an der Realität war – der Realität, von der ich noch nicht ahnen konnte, wie sie mich nur wenige Wochen später filetieren und malträtieren würde... Ich fragte ihn leise, was mit meinem Körper nach der ganzen Show passieren würde.

„Was ist schon ein verdammter Körper?“ zischte er mich nahezu ein wenig ungehalten an, als wäre meine Frage an sich schon ungehörig gewesen. „Ein Körper ist nicht mehr als eine nutzlose Hülle, eine wahllos übergestreifte Eitelkeit. Ich kann dich davon befreien, Cielita. Was darunter hervorkommt wird dich nicht erschrecken oder vielleicht doch? Es wird dir fremd sein, sehr fremd. Ich pigmentiere dich bis zur völligen Auflösung – sei gespannt....“

Weitere Werke von frauenimsinn:
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Tim Weber
Geschlecht:männlichSchneckenpost
T


Beiträge: 6



T
Beitrag08.03.2017 17:31

von Tim Weber
Antworten mit Zitat

Hi frauenimsinn,

habe grad deinen Text gelesen. Die Idee der wechselseitigen Zuordnung von Farben zur Realität/Gegenständen/Sprache/Gefühlen etc. finde ich toll. Und dass das Geschehen, wie angedeutet, sich in einem Bild auflöst/bündelt ebenso. Auch liest sich dein Text, wie ich finde, sehr gut.

Insgesamt eine tolle Sache, ich wäre neugierig, wie dieses Vexierspiel von Farbe <---> ??? weitergeht.

Grüße, Tim
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
gold
Geschlecht:weiblichPapiertiger


Beiträge: 4939
Wohnort: unter Wasser
DSFo-Sponsor


Beitrag08.03.2017 17:47

von gold
Antworten mit Zitat

hallo frauemimsinn, haha, was für ein Name...
... kann dem Vorposter nur zustimmen.

Viele Grüße
gold

Edit: Ah ja, herzlich willkommen im Forum! Wink


_________________
es sind die Krähen
die zetern
in wogenden Zedern

Make Tofu Not War (Goshka Macuga)

Es dauert lange, bis man jung wird. (Pablo Picasso)
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Socki
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen

Alter: 37
Beiträge: 33



Beitrag08.03.2017 18:14

von Socki
Antworten mit Zitat

Ich finde den Text auch spannend, musste allerdings gleich an eine Folge der Schlümpfe denken (so ist das wohl, wenn man Kinder hat). Da gab es mal eine Folge, wo das Gemalte im Gemälde verschwand.

Ich würde natürlich gern wissen, für wen Cielita sich da malen lässt. Und warum lässt sie zu, dass er sie malt, immerhin weiß sie ja, dass sie verschwinden wird. Kurz deutest du ja an, dass sie eventuell Angst hat.

Macht Lust auf mehr
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
frauenimsinn
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen


Beiträge: 21
Wohnort: Augsburg


Beitrag08.03.2017 23:14

von frauenimsinn
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Danke Euch für Eure Resonanz. Es ist schwierig, sich das erstmal an die "Öffentlichkeit" zu wenden mit seinen Texten - aber der erste Schritt ist getan.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
NinaK
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen

Alter: 53
Beiträge: 39
Wohnort: Düsseldorf


Beitrag09.03.2017 21:20

von NinaK
Antworten mit Zitat

Ui! Interessanter Text! Mir gefällt die Idee, das Model in seiner Abbildung aufzulösen. Ich mag so was, wenn die Realität surreal wird.

Fragen, die sich mir stellen:
    Was ist staubtaub? Ich verstehe es am Anfang nicht und am Ende hat es sich auch nicht erschlossen. Es ist ein schönes Wort, aber es trägt in meinen Augen nichts zur Geschichte bei.

    Wozu die zweite Person Singular, für die das Bild angefertigt werden soll? Diese wird nur einmal erwähnt. Die Beziehung von Cielita zu ihr bleibt ungeklärt. Mir würde nichts fehlen, wenn die Person nicht erwähnt würde.

    Warum ist der Maler homosexuell? Oder konkreter gefragt: Warum hast Du Dich gegen eine wie auch immer geartete Liebesbeziehung zwischen Maler und Model entschieden? Warum möchte er sie auslöschen?

    Warum ist das Model bereit, sich auslöschen zu lassen? Wenn sie z.B. glaubt, dass das Bild dann der ultimative Liebesbeweis für ihren Freund wäre, würde ich das stärker herausarbeiten. Oder ist sie lebensmüde? Irgendwie fehlt mir ein bisschen der Grund, warum sie das mit sich machen lässt.

    Warum nimmst Du die Pointe (dass sie das Bild nicht überleben wird) schon so früh vorweg? Schon vor der Hälfte der Geschichte wird das klar. Wäre es vielleicht eine Überlegung wert, diese Erkenntnis bis ins letzte Drittel oder gar letzte Viertel zu ziehen?

    Warum die Schrotflinte? Sie steht für einen brutalen Tod, ein krasses Zerfetzen, statt ein Auflösen. Muss das sein? Kommt der Tod nicht eher schleichend, Pinselstrich für Pinselstrich?

    Malt Bruno immer so (dass seine Models dabei sterben)?  


So weit meine Gedanken. Ich hoffe, ich lese hier noch öfter von Dir.
LG Nina
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
frauenimsinn
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen


Beiträge: 21
Wohnort: Augsburg


Beitrag12.03.2017 17:12

von frauenimsinn
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Liebe Nina

Der Text ist nur ei ganz kleiner Auszug aus meinen Buch - daher erschließt sich die Geschichte natürlich nicht wirklich.

Die Schrottflinte steht symbolisch für etwas, was deutlich später im Buch passieren wird.

Die beiden sind kein Paar - Cielita schreibt in der zweiten Person, da das Buch an ihre Partnerin gerichtet ist.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
Seite 1 von 1

Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Prosa -> Einstand
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht teilnehmen.
In diesem Forum darfst Du keine Ereignisse posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht herunterladen
 Foren-Übersicht Gehe zu:  

EmpfehlungBuchBuchEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungBuchBuch

von Boro

von Wirbi

von Günter Wendt

von EdgarAllanPoe

von Gefühlsgier

von Keren

von jon

von JT

von Catalina

von silke-k-weiler

Impressum Datenschutz Marketing AGBs Links
Du hast noch keinen Account? Klicke hier um Dich jetzt kostenlos zu registrieren!