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Wir sind die Anderen


 
 
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Laugeisos
Geschlecht:männlichErklärbär
L


Beiträge: 3
Wohnort: Erfurt


L
Beitrag11.02.2017 16:42
Wir sind die Anderen
von Laugeisos
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Wir schämen uns dafür, wer wir sind.
Es ist furchtbar, nicht dafür einzustehen, was man tut, liebt, hasst und meidet. Jegliche Art der Besonderheit, die ein Mensch bei sich trägt, ist für den Anderen ein Grund zur Diskussion, zur Frage oder zum Stutzen. Besonders Sein heißt nicht nur, spezielle Interessen zu haben, es bedeutet auch, dass man in einer bestimmten Schublade verschwindet; dabei ist es regelrecht egal, wer diese Schublade öffnet und uns darin verstaut: Manchmal der Fremde, der uns das erste Mal sieht, manchmal ein geliebter Mensch, der uns lange kennt und durch einen Moment merkt, dass wir nicht das sind, für das er uns hält, obwohl wir vermutlich genau das sind, nur mit einem anderen Stil, einem anderen Musikgeschmack, anderen Liebhabern oder anderen Speiseplänen. Statt uns über die Vielfalt zu freuen, die die menschliche Rasse mit sich bringt, beäugen wir einander in Kategorien: Schwarz und Weiß, Fromm und Individuell, Verängstigt und Angsteinflößend, sogar Normal und Unnormal.
Schlicht für diese Begrifflichkeit sollte man sich schämen müssen. Allein für die Tatsache, dass einige von uns normal sind, weil sie es sein wollen und glauben, es sein zu müssen. Allein schon dafür, dass einige von uns mit dem Display des Handys nach unten gerichtet nervös an einem Buch sitzen, das sie schreiben und hoffen, dass niemand erfährt, dass sie etwas Anderes mögen, etwas Anderes tun oder etwas Anderes wollen.
Jugendliche trinken Kaffee, den sie nicht mögen, rauchen Zigaretten, die sie krank machen und lieben Mädchen, die sie nicht einmal persönlich kennen, nur um das System nicht zu brechen. Das ist die Welt, die wir für uns geschaffen haben. Menschen verstecken sich vor ihren Freunden, um sie zu behalten. Niemand trägt mehr lange Mäntel, niemand hört mehr Punk, niemand sagt mehr Nein.

Das bricht uns; jeden von uns.
Denn früher oder später schreit etwas in uns, das raus will und das wir eingesperrt haben, weil wir es nicht haben durften; zumindest glauben wir das. Dann merken wir, dass ein Teil von uns nicht der sein durfte, der er ist. Dann sitzen wir in der Uni, studieren das Fach, das wir alle gemeinsam „wählten“ und realisieren, dass wir viel lieber Texte schreiben, als nur Texte zu lesen, die wir nicht einmal verstehen. Dann sind wir plötzlich an dem Punkt, an dem selbst wir in unserer Art der Verdrängung merken, dass uns etwas fehlt; dass wir etwas brauchen, das wir gerne tun.
Genau das, was wir so lange versteckt haben. Unsere Gesellschaft zwingt uns in Schubladen, denen wir niemals entkommen und wir, die denken, dass wir nicht uns selbst, sondern den Anderen wichtig sein müssen, erschaffen noch mehr Schubladen, noch mehr Gitter, noch mehr Zellen, in die wir uns selbst sperren. Und wenn wir erwarten, dass uns jemand erklärt, was genau es ist, das uns so beschneidet, erstarren wir bei dem Gedanken, dass wir Insassen unseres eigenen Gefängnisses sind. Wir dulden uns nicht nur nicht untereinander, wir dulden uns selber nicht; wir hassen nicht den Anderen, wir hassen uns aus rein kosmetischen Gründen. Wir hassen uns fürs Anderssein.

Anders sind Andere für uns.
Während wir selbst uns in kleinen Käfigen einsperren, bewundern wir Menschen für ihr Sein. Wir lieben David Bowie, Kurt Cobain, Heidi Klum, Jennifer Weist . Wir lieben sie für das, was wir an uns selbst nicht zu zeigen vermögen. Und wir orientieren uns daran. Doch wie?
Wir fangen nicht an, zu verstehen, dass es cool ist, dass Heidi Klum Grün mit Rot trägt, weil sie es mag, sondern wir fangen an, selbst Grün mit Rot zu tragen; nicht weil uns das gefällt, sondern weil uns gefällt, dass sie sich gefällt. Selbst wenn uns jemand zeigt, wie es geht, verstehen wir nicht, was das bedeutet. Wir bekommen die Lösung und übernehmen sie, ohne jemals verstanden zu haben, wie man zu der Lösung gekommen ist. Wir fangen an, sie zu sein, statt anzufangen, wir zu sein.
Wir sehen Bilder von Kurt Cobain, auf denen er eine Zigarette raucht. Er raucht die Zigarette, weil er keinen Wert darauf legt, ob das jemandem gefällt oder ob jemand es verurteilt. Und was tun wir? Wir rauchen selber gedrehte Zigaretten, weil er es tut. Wir nehmen seine Maxime und machen sie zu unserer, ohne jemals zu verstehen, dass wir genau da tun, was er nicht getan hat, obwohl wir doch offensichtlich das Gleiche tun, was er tat. Das bedeutet schlicht und einfach, dass man uns zeigen kann, was uns fehlt, ohne dass wir realisieren, was man uns gerade gezeigt hat. Wir verstehen unser eigenes Verlangen nicht, wir missinterpretieren uns selbst.

Wir sind nicht wir, wir sind die Anderen.
Indem wir all dem nacheifern, das wir nicht einmal verstehen, schaffen wir uns selbst ab und fangen an, jemand anders zu sein. Wir sind nicht wir, wir sind nicht wie die Anderen, wir sind die Anderen. Wir verkaufen uns, wir verändern uns und indem wir uns selbst verstoßen, töten wir uns. Wir füllen uns mit dem, was jeder in sich trägt und verkaufen unsere Individualität für ein wenig Ansehen. Wir mögen einander, völlig egal, ob wir Sympathie empfinden, denn wir mögen es, gemocht zu werden. Die andere Person, die uns da gegenüber steht, ist uns nicht wichtig, lediglich die Tatsache, dass wir einen Freund in ihr haben, der als weiterer Teil unseres sozialen Gefüges existiert, interessiert uns, unabhängig davon, wer diese Person ist; es ist egal, wer die Person ist, wichtig ist, was sie ist: Ein Plus Eins auf unserem Konto. Wir wollen keine Liebe, wir wollen andauernde Gesellschaft, andauernde Akzeptanz, andauernde Anerkennung von Leuten, die ihre Relevanz in unsere Welt nur dadurch erlangen, dass sie wiederum ebenfalls viele Leute auf ihrem kleinen Konto haben. Dann stolzieren wir selbstgefällig durch eine Welt, in der wir jeden zu kennen glauben und profilieren uns damit, dass wir das vollste Konto haben. Wir kennen nicht Jens, Finn, Lena oder Felix, wir kennen 250 Leute auf dem Campus; wir wollen eure Individualität nicht, wir wollen die Zahlen, die ihr auf der Stirn tragt. Dabei nehmen wir mutwillig in Kauf, dass auch wir selbst nur das sind: Nummern.

Zuhause trägt niemand eine Maske.
Wenn wir den Tag damit verbracht haben, möglichst viele Punkte zu sammeln und möglichst die Anderen zu sein, gehen wir nachhause und setzen unsere Maske ab. In den Spiegel schauen wir dennoch nicht. Wir sind einfach nur wir selbst, tun das, was wir tun möchten und verstehen dennoch nicht, dass wir genau dieses Verhalten selbst mögen. Wir genießen unsere Freiheit nicht. Wir sehen unsere Freiheit nicht. Wir verstehen unsere Freiheit nicht; denn wir realisieren in unserer Ignoranz nicht, dass wir uns die Freiheit eigenhändig nehmen. Um im Gefängnis eine offene Tür finden zu können, muss man erst einmal verstehen, dass man in einem solchen steckt. Statt festzustellen, was vor sich geht, hängen wir unsere Jacke an die Garderobe und übersehen das Preisschild, das an ihr hängt, das die Anderen für uns ausgefüllt haben. Hinter verschlossenen Türen tanzen wir zu alberner Musik, singen in schiefen Tönen und denken an Menschen, die die Anderen vermutlich gar nicht kennen. Nachdem all das aus uns rausbrach, was wir so sehr zurückhalten, schlafen wir, träumen vom Träumen und sperren uns selbst am Morgen wieder ein, verstecken uns hinter der Maske der Anderen und verlassen unsere Zuflucht, um uns wieder in das Leben zu stürzen, das die Anderen und wir für uns bestimmt haben, um dafür zu sorgen, dass die Menschen, die genau das an uns schätzen, das wir verbannen, uns niemals kennenlernen; vielleicht mögen wir Nummer 47 lieber als die Anderen; vielleicht täten wir das, wenn wir Nummer 47 nicht mehr 47, sondern Laura nennen würden. Vielleicht täten wir das, wenn wir selbst nicht mehr Nummer 68 wären, sondern wir.

Weitere Werke von Laugeisos:
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GloriaTab
Geschlecht:weiblichWortedrechsler

Alter: 31
Beiträge: 52



Beitrag11.02.2017 17:21

von GloriaTab
Antworten mit Zitat

Lieber Laugeisos,

einige Sätze sind sehr lang und würde ich streichen, weil du dich des öfteren wiederholst. So wird der Text länger als er sein müsste und ich fange an zu überspringen.

Aber ich glaube nicht, dass du mit dem Text, diese Art von Kritik willst.
Es geht dir sicher um den Inhalt. Interessante Gedanken, die du da hast. Und bei den meisten stimme ich dir wahrscheinlich sogar zu.

Auf jeden Fall ein sehr nachdenklicher und kritischer Text. Es ist wohl jedem selbst überlassen, wie viel er sich daraus ziehen möchte.

Liebe Grüße
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MariaLS
Geschlecht:weiblichLeseratte

Alter: 61
Beiträge: 140
Wohnort: Wien


Beitrag12.02.2017 19:48

von MariaLS
Antworten mit Zitat

Lieber Laugeisos,
Ein langer Text, der in jedem Fall zum Nachdenken anregt und ein bisschen traurig stimmt. Sind wir wirklich nur hinter verschlossenen Türen wir selbst?
Ich habe viele starke Aussagen gefunden, die in jedem Fall auf mich zutreffen. Was trage ich? Was mache ich? Warum mache ich das genau so?

Zur Technik:

Die Sätze sind lang, zum Teil sehr verschachtelt. Ich vermute fast, dass es gewollt ist.  Einige Fehler habe ich gefunden, aber kein Drama. Vielleicht wäre es klug, ein paar der Schachtelsätze zu trennen? Auch, weil die deine Statements ein bisschen untergehen.

Ich finde, dass dir der Einstand gelungen ist.


_________________
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