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Die gleiche Geschichte - zehnmal anders

 
 
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Eliane
Geschlecht:weiblichKlammeraffe


Beiträge: 824



Beitrag19.01.2017 23:17
Die gleiche Geschichte - zehnmal anders
von Eliane
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo!

Bevor unsere Diskussion aus dem Bereich Internes/Verbesserungsvorschläge wegen fortgesetzter Missachtung des Bereichsthemas rausfliegt (http://www.dsfo.de/fo/viewtopic.php?t=59187&highlight=), transferiere ich sie mal hierher -

und frage in die Smalltalkrunde, ob jemand Lust auf ein kleines Schreibspiel hat:

Auf wie viele Arten kann man dieselbe Geschichte erzählen?


Folgende Regeln:

- Einer gibt einen Pitch (d.h. eine kurze Inhaltsangabe) vor, der ein offenes Ende haben kann.

- Zusätzlich denkt derjenige sich noch ein paar Genres aus, in denen die Geschichte geschrieben werden könnte (aber nicht muss - wem ein anderes vorschwebt, nur zu!).

- Jeder, der mitmachen möchte, sucht sich ein Genre aus und legt los. Ob man in seinem Lieblingsgenre bleibt oder mal was ganz anderes probieren will, kann jeder selbst entscheiden.

- Wenn eine Runde abgeschlossen ist, ist der Nächste an der Reihe, sich einen Pitch und passende Genres dazu auszudenken.

Ach ja: Vielleicht wär's geschickt, wenn die Geschichten eher in der Größenordnung KURZgeschichte blieben Pfiffig Blinzeln

Etwas komplizierter als die meisten Spiele hier, ich geb's zu. Trotzdem Lust drauf? Dann kommt hier der erste Pitch:

Ein Blinder sitzt an einer (genreoffenen) Haltestelle des Personenverkehrs (welcher Art auch immer), als ihn eine Frau anspricht. Sie kommt ihm vage bekannt vor, er kann sie aber nicht recht einordnen. Obwohl er sich für nutzlos hält, geht er auf ihre Bitte ein, ihr bei der Suche nach einem geheimnisvollen Knopf zu helfen. Nach und nach entpuppt sie sich als ...?

Himmel, was für ein unprofessioneller Pitch, wer hat den denn geschrieben?! Rolling Eyes

Als Genres schlage ich vor: Science Fiction, E-Literatur, Thriller, Liebesgeschichte, High Fantasy, Familiendrama und Western. Eures ist nicht dabei? Prima, dann nehmt das statt meiner Vorschläge und haut rein smile
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menetekel
Geschlecht:weiblichExposéadler

Alter: 104
Beiträge: 2451
Wohnort: Planet der Frühvergreisten


Beitrag20.01.2017 09:32

von menetekel
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Zitat:
Ein Blinder sitzt an einer (genreoffenen) Haltestelle des Personenverkehrs (welcher Art auch immer), als ihn eine Frau anspricht. Sie kommt ihm vage bekannt vor, er kann sie aber nicht recht einordnen. Obwohl er sich für nutzlos hält, geht er auf ihre Bitte ein, ihr bei der Suche nach einem geheimnisvollen Knopf zu helfen. Nach und nach entpuppt sie sich als ...?


Genre: Trash

Nach und nach entpuppte sie sich als Nymphomanin, die sich zuvor ausschließlich aus dem schier unerschöpflichen Arsenal arbeitsloser Musiker bedient hatte. Wie viel sensibler musste erst ein Blinder auf ihre Weiblichkeit reagieren! - Fände er nur einen der appetitlichen Knöpfe ...


_________________
Alles Amok! (Anita Augustin)
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Uwe Helmut Grave
Geschlecht:männlichOpa Schlumpf

Alter: 69
Beiträge: 1016
Wohnort: Wolfenbüttel


Beitrag20.01.2017 20:55

von Uwe Helmut Grave
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Buch

von Uwe Helmut Grave
Genre
Fantasy-Humor

Unheilvolle Begegnung

Er war blind – doch der weiße Magier konnte besser „sehen“ als andere Menschen. Daher spürte er ihr Kommen schon von Weitem, anhand des Hasses, den sie permanent verströmte. Sie näherte sich auf einem der Laufbänder, die im Minutentakt anhielten, damit die Passanten an den dafür vorgesehenen Haltepunkten heruntersteigen konnten.
Sie erkannte ihren Erzfeind nicht. Für sie war er nur ein Bettler unter vielen, dem sie lässig, mit leichter Verachtung, eine Münze in den Hut warf.
Als der magische Dolch ihr Herz durchbohrte, war es für einen Gegenzauber bereits zu spät.
„Du?“, keuchte sie ungläubig.
„Ich“, entgegnete er ruhig.
Ein ergreifender Dialog, der die Luft zum Vibrieren brachte.
Niemand hatte den Vorfall beobachtet, alle waren nur mit sich selbst beschäftigt. Als sich das leere Laufband wieder in Bewegung setzte, lag ihr Leichnam darauf und entschwand in der Ferne.
Zurück blieb nur ein Knopf im Hut des Bettlers; sie hatte ihn betrogen – die vermeintliche Münze war gar keine. Somit triumphierte sie noch im Tod über ihn.
ENDE


_________________
U.H.G. - Freude am Lesen
"Wie sind des Kaisers neue Kleider unvergleichlich!" - "Aber er hat ja gar nichts an!" (Hans Christian Andersen) - Die Welt ist anders(en) als sie es dir erzählen.
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Schlomo
Geschlecht:männlichEselsohr

Alter: 67
Beiträge: 215
Wohnort: Waldperlach


Beitrag20.01.2017 22:55

von Schlomo
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Science Fiction

München, Hauptbahnhof, 2087. Neben einem Fahrkartenautomaten sitzt ein “Blinder”, ein Robot ohne Kamera und Bildverarbeitung. Seine Entwickler hielten ihn für nutzlos und überflüssig, da die Fahrkartenautomaten – entworfen von den selben Entwicklern – selbsterklärend sind. So die Meinung der Ingenieure.

Als vor acht Jahren ein Stadtrat versucht hatte, mit der Bahn nach Augsburg zu reisen, sich eine Fahrkarte an besagtem Automaten zu kaufen, dabei kläglich gescheitert war, ließ er eine Umfrage durchführen, deren ernüchterndes Ergebnis lautete: Noch nie hat es ein potentieller Fahrgast geschafft, sich mit diesem Gerät eine Karte zu kaufen. Schon gar nicht nach dort hin, wohin er eigentlich wollte. Andererseits berichteten mehrere Leute von sonderbaren Orten, von denen sie nie zuvor gehört hatten, die sie mittlerweile aber als durchaus sehenswert betrachteten. Leider hat es bei keinem von ihnen bisher geklappt, diesen Ort ein zweites Mal zu besuchen.

Mit diesen Erkenntnissen konfrontierte der Stadtrat den Projektleiter, und zwang ihn unter der Androhung, in Zukunft auf ein uraltes, aber bewährtes Konzept umzustellen - ein kleines Kabuff, in dem ein Mensch saß, der den Kunden auf Wunsch Fahrkarten aus Papier verkaufte, die tatsächlich zu einer Reise zum genannten Ziel berechtigten -, was der Ingenieur natürlich nicht zulassen konnte. Also versprach er, für Abhilfe zu sorgen.

Nach langen Jahren der Forschung und Entwicklung besuchte der Ingenieur den Stadtrat, schob auf einem Handwagen ein telefonzellengroßes Gerät vor sich her, das er neben dem Fahrkartenautomaten aufstellen wollte.

Stadtrat: “Und das ist der neue Automat?”
Ingenieur: “Fast. Es ist ein Zusatzgerät. Wir montieren es neben dem Fahrkartenautomaten, und wenn ein Fahrgast eine Karte kaufen will, aber nicht versteht, was er dazu tun muss, dann frägt er den Blinden. Und der sagt ihm dann, was er machen muss.”

Dem Stadtrat gefiel das Konzept, und er half dem Ingenieur, den “Blinden” zum Hauptbahnhof zu schieben und aufzustellen.

“Wo ist eigentlich ihr Assistent abgeblieben? Der hätte ihnen beim Aufstellen doch sicher besser helfen können als ich.”
“Der ist inzwischen andersweitig beschäftigt.”

Als der Kasten angeschlossen war, wollte ihn der Stadtrat natürlich vorgeführt bekommen.

“Kein Problem,” meinte der Ingenieur. “Man muss nur zwei Mal am Tag in diese Klappe eine Pizza und eine Kanne Kaffee stellen - “
“Wieso das denn?”
“Der Blinde enthält organische Komponenten, und die brauchen das.”

Als auch das erledigt war, fragte der Ingenieur: “Wohin wollen sie probehalber fahren?”
“Nach Buxtehude.”
“Gut. Dann sprechen ihren Wunsch einfach in das Gitter an der Vorderseite des Blinden.”
Was der Stadtrat auch erwartungsvoll tat: “Buxtehude”

Und der Blinde antwortete mit hohler Stimme: “Suchen sie am Fahrkartenautomaten den Knopf “Start”, drücken sie ihn und...”
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Eliane
Geschlecht:weiblichKlammeraffe


Beiträge: 824



Beitrag21.01.2017 00:30

von Eliane
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Sich kaputt lachen

Daumen hoch² für Euch!

(auch wenn ich dank Uwe meinen erblindeten elbischen Bogenschützen jetzt wieder einpacken muss Laughing )
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firstoffertio
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Beiträge: 5854
Wohnort: Irland
Das bronzene Stundenglas Der goldene Spiegel - Lyrik (1)
Podcast-Sonderpreis Silberner Sturmschaden


Beitrag21.01.2017 00:59

von firstoffertio
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Buch

von firstoffertio
“Mein Knopf”, sagt sie laut. “er ist weg. Wissen sie, wie spät es ist?”, fragt sie den Mann neben ihr.
“Nein. Schauen sie doch am besten auf die Uhr.”
“Mein Handy hat den Geist aufgegeben.”
“Die Bahnhofsuhr?”
“Die gibt es nicht mehr. Jeder hat doch heute ein smart phone.”
“Oh. Ich nicht.”
“Wie kommen sie nur ohne zurecht, heutzutage? Aber der Knopf, er ist mir im Moment wichtiger als das. ”
“Warum? Wieso ist er so wichtig?”
“Er schließt.”
“Was?”
“Meine Manteltasche.”
“Was ist so wichtiges darin?”
“Ich.”
Auf einmal kam ihm die Frau bekannt vor.
“Sie wohnen in Ihrer Manteltasche?”
“Ja..Nie würde ich verreisen, hätte ich sie nicht dabei. So nehme ich mein Zuhause überall hin mit. Und ich muss es zuschließen können. Ohne den Knopf fühle ich mich verloren.”
“Wie fühlt sich der Knopf an? Wie groß, welche Form, welches Material?”
“Holz Viereckig, vier Löcher darin, Durchmesser ca. vier Zentimeter.”
“ich habe Sie doch schon öfters hier getroffen. Jedesmal suchen Sie nach dem Knopf.”
“Ja. Ich konnte ihn bisher nicht finden.”
“Wo haben Sie gewohnt, seit Sie ihn nicht finden?
“In meiner Handtasche. Dort fühle ich mich aber nicht daheim.”
Der Mann bietet ihr Hilfe an:
“Vielleicht finde ich den Knopf. In meinen Taschen.” Er durchsucht seine. Hose, Jacke,  Rucksack..
Dort findet er etwas Rundes.
“Das ist nicht ihr Knopf?”
“Nein”
Ein Zug fährt ein in den Bahnhof.
“Das ist meiner”, sagt die Frau. “Auf Wiedersehen. Vielleicht finde ich meinen Knopf im Zug.”
“Sie reisen, um Ihr Zuhause zu suchen?”
“Ja. Auf Wiedersehen.”
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Eliane
Geschlecht:weiblichKlammeraffe


Beiträge: 824



Beitrag21.01.2017 01:18

von Eliane
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firstoffertio, das ist ... wow. Ich bin sprachlos.

obwohl mir beim zweiten Lesen auffällt, dass sie den Zug gar nicht nehmen dürfte, wenn sie konsequent wäre

Tolle Geschichte!
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MoL
Geschlecht:weiblichQuelle


Beiträge: 1838
Wohnort: NRW
Das bronzene Stundenglas


Beitrag21.01.2017 01:23

von MoL
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Empfehlung

von MoL
Er wusste, er musste die Postkutsche erreichen, es gab keine andere Möglichkeit. Wounded Will würde alles in seiner Macht stehende tun, um ihn aufzuspüren; das hatte er bereits in Passadina City bewiesen.

Er war vorsichtig gewesen. War bereits ab Wisconsin nur noch in Verkleidung unterwegs gewesen: Alter Mann, alte Frau, Einfaltspinsel. Und nun der Bettler. Ausgerechnet diese Verkleidung würde es sein, der ihn über die Grenze nach Mexiko bringen würde. Die Ironie gefiel ihm.

Ebenso gefiel Unerring Eny die Ironie, als sie beim Versuch, dem vermeintlichen Bettler auf sein bitten hin eine Münze vor die Füße zu werfen dieselbe zu spät losließ und diese in einer einer eigenen Logik folgenden Kurve wegrollte und schließlich mit einem unhörbaren Geräusch an einem Stein abprallte und umfiel. Dann schoß sie ihm genau zwischen die Augen.
"Never will be wounded again, right?" Sie lächelte grimmig.
Dann riss sie alle Knöpfe von Wounded Wills altem Mantel, betrachtete einen nach dem anderen und warf schließlich alle bis auf einen weg.
"Strike!"
Perhaps Porter mochte die Schatzkarte haben, aber sie besaß nun den Schlüssel. Und jede Menge Munition ...


_________________
NEU - NEU - NEU
gemeinsam mit Leveret Pale:
"Menschen und andere seltsame Wesen"
----------------------------------
Hexenherz-Trilogie: "Eisiger Zorn", "Glühender Hass" & "Goldener Tod", Acabus Verlag 2017, 2019, 2020.
"Die Tote in der Tränenburg", Alea Libris 2019.
"Der Zorn des Schattenkönigs", Legionarion Verlag 2021.
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Lapidar
Geschlecht:weiblichExposéadler

Alter: 61
Beiträge: 2701
Wohnort: in der Diaspora


Beitrag21.01.2017 11:44

von Lapidar
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Krimi-Thrash (sorry, hoffe ist nicht zu lang)
Fetisch

Der Geruch nach Urin auf Zement, Erbrochenen und kaltem Zigarettenrauch wurde überlagert von etwas, das er von früher kannte. Kurz blitzten in seinem Inneren Bilder auf: weiche Frauenhaut, diese sanften weichen Kurven des Busens, wenn er vorsichtig die Knöpfe an der Bluse öffnete. Das erregte Atmen. Das aufregende Gefühl, wenn man über diese eine Stelle am Hals streicht, dort wo die Halsschlagader sanft pochte, immer schneller, wenn er sie entflammte.
Verloren. Er schüttelte den Kopf, um die Geruchserinnerung loszuwerden. Das lag alles hinter ihm. Nie wieder. Die Chancen waren vertan. Er war nur noch ein Wrack. Eine leere Hülle. Nutzlos.
„Entschuldigen Sie.“ Die Stimme war weich, dunkel, samtig: Heiße Schokolade mit einem Schuss Rum.
Ob der Kuss auch so schmeckt? Früher hatte er sich nie darüber Gedanken gemacht. Dummkopf. Verpasste Gelegenheiten.
„Hallo. Ich rede mit Ihnen. Sind Sie auch noch taub?“ Nun klang die Stimme ungeduldig, weniger sanft, ein wenig schrill.
Der Geruch nach teurem Gesichtspuder, Parfüm und Zahnpasta überwältigte ihn, blendete den Gestank der Bushaltestelle komplett aus.
Jemand rüttelte ihn unsanft an der Schulter. Er schrak zurück, hob seine Arme, um das Gesicht zu schützen.
„Entschuldigung, ich wollte Sie nicht erschrecken, aber Sie haben nicht reagiert. Ich hatte Angst.“
Er räusperte sich. Es war schon eine Weile her, dass er mit einer Frau gesprochen hatte und noch dazu mit einer, die ihrem Geruch und ihrer Stimme nach zu urteilen, äußerst attraktiv aussehen musste. Schade.
„Ich war in Gedanken. Was kann ich für Sie tun?“ Er kam sich unbeholfen vor. Nutzlos.
 „Ich habe das hier gefunden. Gehört er Ihnen?“
Stille. Erwartungsvoll.
Er deutete auf seine Binde und tippte mit dem Stab an seine Brille.
„Natürlich. Hier“
Kurz fühlte er die weiche Berührung, als ihm etwas in die linke Hand gedrückt wurde.
Es fühlte sich kühl an, glatt. Rund. Metallisch und schwer. In der Mitte eine Prägung, auf der Rückseite die Öse zum Annähen.
„Ein Knopf?“
„Ja.“ Er hörte ein kurzes Rascheln, als sie sich neben ihn auf die Bank setzte. „Ich habe ihn gefunden. Er scheint wertvoll zu sein.“
„Hmm“ Nachdenklich drehte er den kleinen Gegenstand in seinen Händen. Ein Plan formte sich. Vielleicht war doch nicht alles vorbei. Nur hatte er nicht mehr viel Zeit. Er lauschte, konnte aber das typische Motorengeräusch noch nicht hören. Fortuna schien ihm heute hold.
„Der gehört mir nicht. Aber früher habe ich Knöpfe gesammelt.“
„Oh wie spannend.“ Er stellte sich vor, wie rote Lippen ein vollkommenes O formten, spürte seine Erregung.
„Wenn Sie möchten, kann ich gerne mehr in Erfahrung bringen. Alter, zu welcher Art von Kleidung. - Allerdings", er deutete mit einem bedauernden Schulterzucken auf sein Gesicht. „… benötige ich Hilfe. Meine Nachschlagewerke sind nicht in Braille.“
Er wartete, ob sie darauf eingehen würde. In seine Nase stieg Erregung. Weibliche Erregung. Dieser unbeschreibliche Geruch, den er früher nie so bewusst wahrgenommen hatte und seit seinem Unglück nur noch als unbeteiligter Dritter. Es tat gut, der Verursacher dieses Geruchs zu sein. Er atmete tief ein.
„Nun“, Sie legte Zögern in ihre Antwort. Er wusste, es war nur aufgesetzt. Eine Konvention. „Gerne. Aber heute kann ich leider nicht. Ich habe gleich einen Termin.“
„Das macht nichts.“ Es war sogar besser, denn sein Plan war noch nicht ganz ausgereift.  „Ich kann ja auch nicht erwarten, dass Sie einem wildfremden Mann einfach so nach Hause begleiten. Das wäre sehr unvorsichtig.“
Beide lachten herzhaft über den Scherz.
„Darf ich vorschlagen, wir treffen uns morgen wieder hier? Vielleicht etwas früher. Wir könnten ja zunächst in ein Café gehen. Ich bringe eines meiner Bücher mit.“
Kurzes Schweigen.
Sein Herz pochte. Die Wonnen, die er früher durch schöne Frauen erfuhr, rückten wieder in Reichweite.
„Gut. Ich werde da sein“, er hörte die Verheißung und konnte sich ihr Lächeln vorstellen. „Nein, behalten Sie den Knopf.“
Er fühlte, wie ihre Hand das kalte Metall zurück in seine Handfläche drückte. Leicht irritierte es ihn, dass er anstatt der weichen Frauenhand einen kühlen Lederhandschuh spürte. „Der Knopf soll das Pfand sein, das uns verbindet. Da ist Ihr Bus.“
Bald saß er auf seinem Platz, ließ sich einlullen vom gleichmäßigen Dröhnen des Dieselmotors und gab sich seinen Träumen hin. Den kleinen Kratzer in seiner Handfläche spürte er nicht. Das Ganze musste sorgfältig geplant werden. Viel sorgfältiger noch, als früher. Andererseits … wer würde schon einen Blinden verdächtigen? Wenn er vorsichtig blieb, alles gut vorbereitete, dann konnte er sicherlich seine Knopfsammlung erweitern.
Kurz versank er in Tagträume. Wie er seine Opfer liebevoll berührt hatte. Diese verletzliche Stelle, so weich und so warm, an der Seite des Halses. Das heftige Atmen der Frauen, als er sich an ihren Knöpfen zu schaffen machte. Er hatte sich immer gerne von unten nach oben gearbeitet. Damit er ihnen am Ende in die Augen sehen konnte.
Seine letzte Frau vor dem Unglück: Knopfstiefeletten, in denen göttlich lange Beine steckten, verhüllt mit dunklen Netzstrümpfen. Sein Atem beschleunigte sich, als er daran dachte, dass diese Strümpfe mit einem Strumpfhalter befestigt waren unter einem vorne durchgeknöpften Minirock, dazu passend ein teures paillettenbesticktes Top. Ein hübsches Spinnwebmuster: leider keine Knöpfe. Aber als Ausgleich, diese lange Jeansjacke mit Knöpfen. Die gleichen Knöpfe, wie am Rock: Groß, schwer, silberfarben mit aufgeprägten Spinnen.
Ihn durchlief ein Schauer. Sie war die letzte Frau gewesen, die er erblickt hatte.
Langsam unten an den Stiefel beginnend, trennt er die Knöpfe ab, mit dem großen scharfen Jagdmesser, dass er für diese Zwecke gerne benutzte. Ein Schnitt ein Kuss. Stück für Stück hatte er sich das Wesen untertan gemacht.
Sich seiner zu sicher.
Der Bus dröhnte von Haltestelle zu Haltestelle, während die angenehme Erinnerung an seine Eroberung sich in einen Alptraum verwandelte aus dem es kein Erwachen gab.
Knopf für Knopf wuchs seine Erregung. Hasserfüllt hatten ihre grünen Augen geblickt, als er die letzte Trophäe hochhielt und sagte: „Der Knopf wird uns verbinden. Immer wenn ich ihn betrachte, werde ich an dich denken.“ Er hob das Messer an, beugte sich zu ihr herunter, dieser Stelle am Hals zu. Danach nur noch Schmerz und Dunkelheit.
Sie hatte es geschafft, sich ihrer Fesseln zu entledigen und aus ihrer Jackentasche, die er dummerweise nicht durchsucht hatte, ein Spray zu nehmen. Dies sprühte sie ihm ins Gesicht. Salzsäure, wie später die Ärzte konstatierten.
Der Bus näherte sich seiner Haltestelle. Es war Zeit aufzuwachen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Wie Phönix aus der Asche, würde er sich erheben. In Zukunft würde es keine Fehler mehr geben. Ihm war kalt. Der Atem kam schwer.
Durch das Brummen der Motoren nahm er ein Rascheln wahr, ein Geruch nach Gesichtspuder und Weiblichkeit. Etwas wurde ihm in den den Arm gelegt, den er selbst nicht mehr bewegen konnte. Eine sanfte Berührung von Lippen an seinem Ohr. „Ich löse mein Pfand ein.“


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"Dem Bruder des Schwagers seine Schwester und von der der Onkel dessen Nichte Bogenschützin Lapidar" Kiara
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Eliane
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Beitrag22.01.2017 14:05

von Eliane
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Oh, der Western. Cool Cool

Und, Lapidar, mir war's nicht zu lang Daumen hoch²
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Lapidar
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Wohnort: in der Diaspora


Beitrag22.01.2017 14:09

von Lapidar
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Empfehlung

von Lapidar
Eliane hat Folgendes geschrieben:
Sich kaputt lachen

Daumen hoch² für Euch!

(auch wenn ich dank Uwe meinen erblindeten elbischen Bogenschützen jetzt wieder einpacken muss Laughing )


der erblindete Bogenschütze täte mich schon interessieren und ja du hast recht, bis dato gefällt mir firsts story am besten, aber die andren drängeln sich dicht nebeneinander. Laughing


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Merlinor
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Wohnort: Bayern
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Beitrag22.01.2017 17:46

von Merlinor
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(Trash)

Blinde Suche

Ein Mann sitzt unter dem Dach der Bushaltestelle und wartet. Neben ihm eine Frau.
Nach einer Weile fingert die Frau geräuschvoll an ihrer Kleidung herum, öffnet den obersten Knopf ihres Mantels, rückt den Schal zurecht und will den Knopf wieder schließen.
Erfolglos: Man hört einen Faden reißen, danach ein leises Klappern auf dem Boden, direkt zu Füßen des Manns.
„Oh verflixt!“ Die Frau klingt erschrocken: „Mein Knopf ist abgerissen.“
Der Mann rührt sich nicht, schweigt. Die Stimme kommt ihm vage bekannt vor, aber er kann sie nicht zuordnen.
Er spürt neben sich tastende Bewegungen, dann ertönt ein enttäuschtes Seufzen: „Ich kann ihn nicht finden“.
Der Mann bleibt unbeweglich sitzen.
„Hallo?“ Wieder die Stimme der Frau, ruhig und hoffnungsvoll. „Könnten sie mir bitte suchen helfen? Ich glaube, er muss ganz in ihrer Nähe liegen.“
Der Mann schüttelt nur den Kopf und deutet wortlos auf die gelbe Binde mit den schwarzen Punkten an seinem rechten Oberarm.
„Bitte! Der Knopf müsste direkt neben ihren Füßen liegen.“
Der Mann beugt sich vor, tastet ein wenig unter seinen Füßen herum, doch ohne Ergebnis. Also richtet er sich wieder auf und schüttelt schweigend den Kopf.
Der Tonfall der Frau ist nun leicht ironisch: „Wie? Schon fertig mit ihrer Suche?“
Kurze Pause, dann nachdrücklich: „Was ist eigentlich los mit ihnen? Warum wollen sie mir denn nicht richtig suchen helfen? Ich hätte diesen Knopf wirklich gerne wieder und er muss ganz in ihrer Nähe liegen. Das habe ich genau gehört!“
Der Mann weiß darauf nichts zu sagen. Seinen Gesichtsausdruck trübt eine Spur Resignation.
Es folgt ein Moment gemeinsamen Schweigens. Nur das Brausen der vorüberfahrenden Autos ist zu hören, dazu aus der Ferne etwas Kindergeschrei. Von gegenüber dringt das leise Gelächter eines jungen Paares über die Straße.
Dann beide, Mann und Frau, wie aus einem Munde: „Ich kann den Knopf doch nicht sehen. Ich bin blind!“


_________________
„Ich bin fromm geworden, weil ich zu Ende gedacht habe und nicht mehr weiter denken konnte.
Als Physiker sage ich Ihnen nach meinen Erforschungen des Atoms:
Es gibt keine Materie an sich, Geist ist der Urgrund der Materie.“

MAX PLANCK (1858-1947), Mailand, 1942
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Corydoras
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Beitrag24.01.2017 01:32

von Corydoras
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Animal Fiction

(Alles andere als perfekt, weil ich weder in dem Genre, noch mit Kurzgeschichten schon Erfahrung habe, und ich technisch gesehen einen Punkt im Pitch nicht wirklich erfüllt habe, aber für einen Spontanversuch ganz ok:)

Alle waren sie gekommen. Jetzt konnte es sich nur noch um Stunden handeln, bis der erste nervös wurde, sich in die Lüfte erhob und den gesamten Schwarm mit sich fortriss.
Mit einer Mischung aus Stolz und Zufriedenheit blickte sie auf eine Unzahl ihrer Artgenossen. Das sonst so beruhigende Gurren schwoll jetzt zu einem ohrenbetäubenden  Lärm an und die Herbstsonne ließ das orangefarbene Brustgefieder der Männchen grell aufleuchten. Bald aber breiteten sie alle in einer Einheit ihre Flügel aus, um zu einem einzigen, gigantischen Vogel zu werden. Sie konnte es kaum erwarten, in diesem Jahr zum ersten Mal bei der großen Wanderung dabei zu sein.
Mit einem Mal machte sie inmitten dieser wirren Ansammlung ein einzelnes Männchen aus, das orientierungslos auf den Boden starrte. Sie beobachtete ihn einige Zeit. Seltsam, als ob er all seine Artgenossen ringsherum nicht einmal wahrnahm, blieb er im Gegensatz zu ihnen stumm und ruhig sitzen. Das interessierte sie.
Unter Zuhilfenahme einiger Flügelschläge hüpfte sie hinüber zu dem Sonderling. Selbst als sie vor ihm stehen blieb, zeigte er keine Regung.
„Hallo?“
Endlich hob er den Kopf. „Oh“, sagte er, dachte nach und setzte zaghaft fort. „Kenne ich dich? Du klingst so vertraut.“
Aufgeregt klapperte sie mit dem Schnabel. „Das glaube ich nun wirklich nicht. Meine Mutter hat mir mal gesagt, es gäbe Milliarden von uns. Ich weiß zwar nicht wie viel das ist, aber es klingt nach sehr viel.“
Er unterbrach sie mit einem Kichern. „Ja, das hat meine Mutter auch immer erzählt.“
„Und sieh dich doch mal um. Jeder einzelne von uns sieht gleich aus. Also ich denke nicht, dass wir uns kennen.“
„Achso.“ Er scharrte verlegen mit dem Fuß im Sand. „Weißt du, kurz nachdem ich mein Nest verließ, hatte ich einen Unfall. Seitdem sehe ich nichts mehr. Ich wusste gar nicht, dass wir uns alle so sehr ähneln. Das erklärt dann auch, warum ich deine Stimme schon kannte.“
Stumm betrachtete sie seine Augen. Tatsächlich, das war ihr vorher gar nicht aufgefallen. Die trüben Linsen blickten ins Leere. Dann fiel ihr etwas ein und ihre Stimmung erhellte sich wieder.
„Ach, das macht doch nichts. Ich habe nach meiner Nestzeit auch etwas verloren. Als ich noch ganz klein war, hat mir meine Mutter einen Schatz geschenkt, den sie einmal bei einem Ausflug in das Menschendorf gefunden hat. Ein rundes, glänzendes Ding mit zwei Löchern in der Mitte. Es war sehr schön und ich habe es gerne betrachtet, aber es muss wohl verloren gegangen sein.“
Sie wurde nachdenklich. Als ob er sie verhöhnen wollte, fing er jetzt aber an zu lachen. Beinahe wollte sie schon etwas sagen, ihn zurechtweisen, denn so eine Behandlung hatte sie nun wirklich nicht verdient.
Er aber hob seinen Flügel und dort eingeklemmt an seiner Seite lag… ihr Schatz!
„Ich wusste doch, dass ich dich kenne“, sagte er mit einem Glucksen in der Stimme. „Seit du viel zu aufgeregt ausgeflogen bist und ihn vergessen hast, wollte ich ihn dir wieder bringen.“


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Beitrag24.01.2017 01:39

von Corydoras
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Merlinor, jetzt les ich deins erst.

Großartig, die Schlusspointe habe ich nicht kommen gesehen! Laughing

Aber warum Trash?


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Eliane
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Beitrag24.01.2017 10:51

von Eliane
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Merlinor: Ja, die Zuordnung zu "Trash" versteh ich auch nicht - genausowenig bei Lapidars Krimi: Wenn das Trash ist, was schreibe ich dann?! Laughing Ich fand's jedenfalls gut. Deine Tiergeschichte auch, Cory.

Und ich staune Bauklötze, was man alles aus so einem kurzen Anriss einer Handlung rausholen kann Daumen hoch²
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Eliane
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Beitrag24.01.2017 13:52

von Eliane
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[Genre: High Fantasy-Familiendrama-Kitsch]

„Lebt wohl, Herr der Lichtung!“ Das Hufgetrappel wurde leiser und verklang schließlich in der Ferne zwischen den Bäumen.

Herr der Lichtung. Spott klang in ihren Stimmen, wenn sie ihn so nannten. Früher war man ihm mit Respekt begegnet, ehrfürchtig gar. Das war, bevor … Er schüttelte den Gedanken ab und tastete nach der Bank, um sich für ein Weilchen darauf auszuruhen. Bis die nächste Karawane auf der Waldstraße vorbeikam und nach Wein und Essen verlangte, konnte es dauern. Er konnte sich also eine Pause gönnen, bevor er die schmutzigen Teller und Becher in die aus Weidenzweigen geflochtene Kiepe sammelte, mit der er sie zum Bach trug.

Das Geräusch war so leise, dass ein Mensch es niemals gehört hätte. Seine Ohren waren jedoch schärfer. Ihnen entging das leise Rascheln zwischen den Bäumen nicht.

„Wer ist da?“

„Nur ich.“ Eine Mädchenstimme. Jung und hell. Unbekümmert.

„Ihr habt Eure Karawane verpasst. Sie sind eben aufgebrochen.“

„Ich reise allein.“

„Verzeiht mir die Einmischung, doch Ihr solltet Euch lieber Schutz suchen. Die Straßen sind nicht sicher.“

Sie lachte. „Niemand sieht mich, wenn ich es nicht will.“

Er erstarrte. Dieselben Worte hatte auch er benutzt. Damals, als er noch der beste Bogenschütze im Reich seines Vaters war. Und dann hatten sie ihn doch entdeckt. Hatten ihn aus der Kammer gezerrt, vor das Feuer auf dem Dorfplatz. Grölend. Hasserfüllt. Einer der Männer hielt einen Ast in die Glut, bis dessen Spitze rot zu leuchten begann. „Du wirst nie wieder ein Auge auf eine von unseren Frauen werfen!“

Der Schmerz ließ seine Existenz zerbersten, heiß und kalt zugleich. Er stolperte in den Wald, lief gegen Bäume, fiel, rappelte sich mühsam wieder hoch, verfolgt von ihrem Gelächter: „Schaut ihn an, den edlen Elben! Flieht vor uns wie ein erbärmlicher Hund!“

Noch heute verfolgte ihn ihr Gejohle im Traum. Ebenso wie die Worte seines Vaters, als er endlich den Weg nach Hause gefunden hatte, schwach und elend vom Geruch seines eigenen verbrannten Fleisches. „Du bist nicht mehr mein Sohn. Einer, dem eine Menschenfrau lieber ist als seinesgleichen, der hat in meinem Hause nichts verloren.“

Er schreckte hoch. „Was habt Ihr gesagt?“

„Ich bin Gilda. Wie ist Euer Name?“

„Den habe ich verloren. Zusammen mit denen hier.“ Er deutete auf die Binde, die seine leeren Augenhöhlen verdeckte.

Sie setzte sich neben ihn. Etwas an ihr schlug einen Ton in seinem Innersten an, eine Erinnerung, lang begraben. Die Art, wie sich die Luft um sie bewegte, wie die Falten ihres Gewandes sie zum Schwingen brachten …

„Vielleicht könnt Ihr mir helfen. Ich suche etwas.“

Er schüttelte den Kopf. „Wie könnte ich Euch dabei behilflich sein? Für eine Suche bin ich nutzlos.“

Eine warme Hand nahm die seine und legte etwas darauf. Zögernd griff er danach. Metall, rund und flach. Zwei Löcher. Die Vorderseite kunstvoll mit Blumenranken verziert. Ihm stockte der Atem.

„Er gehörte meinem Vater“, sagte Gilda. „Meine Mutter hat ihn mir gegeben, bevor sie starb. Sie fand ihn auf dem Boden ihrer Kammer, nachdem sie meinen Vater von ihr fortgerissen hatten. Er muss von seinem Wams abgesprungen sein. Mutter hat erzählt, wie prachtvoll es war, grüne Seide und Stickereien … und diese wunderschönen Knöpfe, so glänzend wie seine Augen. Sie versprach mir, wenn ich den Bruder dieses Knopfes suchte, würde ich meinen Vater finden.“

Sie verstummte. Sein Herz, das all diese Jahre stumpf vor sich hin gepocht hatte, erwachte zu neuem Leben. Es hämmerte wie der Specht an den Bäumen, seine Schläge viel zu  schnell, um sie zu zählen. Er schob mit zitternder Hand seinen Umhang zur Seite. Es musste längst seine Farbe verloren haben, und von den gestickten Ornamenten waren nur noch einzelne Fäden übrig. Ob überhaupt noch etwas zu erkennen war von dem einstigen Glanz?

Gildas Finger tippte nacheinander auf die Knöpfe, die das Wams zusammenhielten. Oben und unten. Zuletzt berührte er die Stelle in der Mitte, wo ein leeres Knopfloch blind in die Sonne blinzelte.
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Corydoras
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Beitrag24.01.2017 14:02

von Corydoras
Antworten mit Zitat

Haha, auch bei dir spielt JEDE MENGE Zufall mit, dass sich genau die beiden finden. Laughing

Ich wollte übrigens bei mir auch den Grund des Erblindens mit dem Verlust des Knopfes verbinden, aber am Ende war ich dann doch zu faul bzw. befürchtete, es würde zu lang werden.
Deine Idee diesbezüglich gefällt mir jedenfalls sehr gut. Cool


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Lapidar
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Beitrag24.01.2017 14:22

von Lapidar
Antworten mit Zitat

@ Eliane love

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If you can't say something nice... don't say anything at all. Anonym.
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Merlinor
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Beitrag24.01.2017 18:23

von Merlinor
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Eliane hat Folgendes geschrieben:
... ich staune Bauklötze, was man alles aus so einem kurzen Anriss einer Handlung rausholen kann Daumen hoch²


Ja, da sind schon einige schöne Geschichten entstanden. Sehr abwechslungsreich ... smile extra
Bin gespannt, was noch kommt.

Corydoras hat Folgendes geschrieben:
... warum Trash?


Warum ich "Trash" als Genre für meine Geschichte gewählt habe?
Na ja ... mir ist einfach nichts besseres eingefallen ... Embarassed
Ist ja nur eine kurze Szene, die einzig von der Pointe lebt.

LG Merlinor


_________________
„Ich bin fromm geworden, weil ich zu Ende gedacht habe und nicht mehr weiter denken konnte.
Als Physiker sage ich Ihnen nach meinen Erforschungen des Atoms:
Es gibt keine Materie an sich, Geist ist der Urgrund der Materie.“

MAX PLANCK (1858-1947), Mailand, 1942
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Eliane
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Beiträge: 824



Beitrag25.01.2017 11:23

von Eliane
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Merlinor hat Folgendes geschrieben:

Ja, da sind schon einige schöne Geschichten entstanden. Sehr abwechslungsreich ... smile extra
Bin gespannt, was noch kommt.



Allein die Interpretation der "Haltestelle" finde ich klasse: Wir haben

- 1 x Laufbandhaltepunkt
- 2 x Bahnhof
- 1 x Postkutsche
- 2 x Bushaltestelle
- 1 x Vogelzugabflugplatz (da wäre ich ja im Leben nicht drauf gekommen!)
- 1 x Karawanenrastplatz
- 1 x unbestimmt

Summa summarum sind wir jetzt bei neun Geschichten, und ich finde, sie ähneln sich nicht die Bohne smile. Was meint Ihr, kommen wir noch auf zehn? Oder sogar mehr? Ich bin gespannt!
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Kätzchen
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Wohnort: Katzenkörbchen


Beitrag25.01.2017 16:55

von Kätzchen
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[Fantasy, Mytholgie]


„Hödr?“
Die samtweiche Stimme einer Frau drang an sein Ohr.
Der blinde Hödr wandte den Kopf nur leicht in ihre Richtung, wie um den Klang zu erfühlen. Der Rest seiner Statur blieb unbewegt. Er kannte diesen melodischen Klang nicht, hatte ihn noch nie zuvor vernommen und doch war er angenehm, schmeichelte seinem Ohr. Wer würde ihn, den Blinden, den Verhassten, so lieblich ansprechen wollen?
„Ja?“
„Du bist Hödr? Man sagte mir, du wärst einem Höhlentroll gleich, doch ich sehe nur einen stattlichen, mutigen Mann.“
„Das ist gütig, liebliche Frau, doch ich fürchte Ihr seid so blind wie ich, wenn ihr das denkt.“
„Vielleicht bist du auch nur blind, weil du in Wirklichkeit siehst?“
Hödr zögerte. Nervös fuhr er mit einer rauen Handfläche über die Regenbogenbrücke, auf der er saß, unschlüssig, was es zu tun galt. Sollte er bleiben? Sollte er gehen?
„Hast du keine Angst, Krieger? Unter dir lauern unergründliche Tiefen. Wenn du fällst, magst du womöglich an den unmöglichsten Orten auftauchen. Vielleicht auf der Insel der Stille, oder bei den Ebenen Helheims!“
Hödr hatte noch nie gesehen, wohin er fallen würde, sollte er fallen. Wie auch, schließlich war er blind. Es war ihm auch egal, was hatte er noch zu verlieren? Er konnte die Pracht der neun Welten nicht sehen und selbst sein Zuhause war befremdlich geworden, seit Loki ihn überredet hatte, den Mistelzweig zu werfen. Niemand redete mit ihm. Niemand lud ihn ein. Er war verstoßen, ein Mörder.
„Ich möchte dich um etwas bitten, Krieger!“
„Nenn mich nicht so, denn ich bin nur ein Mörder! Aber wenn auch nur eine meiner Taten eine solch liebliche Stimme zu einem Lachen bewegen könnte, so sagt mir, Frau, was ihr von mir verlangt!“
„Zuerst beantworte mir eine Frage in aller Ehrlichkeit: Hast du Balder getötet?“
„Er starb durch meine Hand!“
„Das mag wohl sein, aber sag mir, warst du es, der es tat?“
„Ich führte den Mistelzweig, zwischen meinen eigenen Fingern!“
„Das ist nicht meine Frage!“
Die ungehaltene Stimme der Frau ließ Hödr zögern. Er wusste genau, was sie meinte. Eigentlich war er unschuldig, das Opfer eines Tricks. Aber was, wenn er die Wahrheit sagen würde? Würden die Asen ihn noch immer verschmähen? Würden sie ihn womöglich wieder lieben können, wenn der wahre Täter gefasst war? „Es war Loki, die Schlange, die mich verführte, oh liebe Frau. Und das ist die Wahrheit.“
Die Frau lächelte, das hörte er an ihrem Tonfall. Es war schön, dass sie lächelte, auch wenn er es nicht sehen konnte.
„Ich glaube dir. Und nun da du ehrlich warst, will ich dich um einen Gefallen bitten. Dort unten, nicht weit zu deinen Füßen ist ein Vorsprung. Ich habe meinen magischen Knopf verloren und er war mir lieb und teuer, mehr als alle Geschmeide der goldenen Stadt zusammen! Du mutiger Krieger, würdest du es für mich greifen? Mir wird schwindelig, allein vom Hinsehen!“
Hödr fühlte seine Brust mit Stolz schwellen. Er, der Blinde, er wurde endlich angehört! Endlich hatte er sagen können, was ihn die Tage von Sonnenaufgang bis Untergang gequält hatte. Es fühlte sich gut an, die Wahrheit zu sagen. Er würde den Knopf aufheben und dann würde er nach Asgard zurückkehren und es allen sagen. Er wollte nicht als Mörder sterben. Er wollte nicht als Mörder in Erinnerung bleiben!
„Natürlich helfe ich dir, sag mir nur wo, da ich nichts sehe!“
„Etwas weiter links! Ja, so ist es gut. Weiter… weiter…“

Und Hödr beugte sich weiter, so weit, bis er fiel. Sein Schrei verklang nach wenigen Atemzügen und ließ den Bifröst unberührt zurück, still, ewig, als wäre nie etwas geschehen. Nur das zaghafte Lachen der Frau, welches sie Hödr versprochen hatte, durchbrach die Stille und verebbte langsam in der Einsamkeit des schwarzen Sternenhimmels.

Die junge Frau wandte sich ab, ihr hübsches Kleid zerfiel zu einer bodenlangen Robe, die kunstvoll gesteckten Haare entwirrten sich wie von Zauberhand auf Schulterlänge. Ihr feines Gesicht bekam Kanten und als unweit der goldenen Stadt eine Stimme erklang, war aus der Frau ein Mann geworden.

„Loki!“, rief Thor von weitem zu ihm herüber. „Komm, das musst du dir ansehen!“
Loki lächelte, während er seine Hände in seinen Manteltaschen versenkte. „Ich bin gleich da!“

Es war egal, was Thor ihm zeigen wollte; Loki war sich sicher, dass nichts seinem Augenlicht heute mehr schmeicheln konnte, als der Fall des letzten Zeugen.

Nr. 10! badadum- TSSSS[/spoiler]


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Kätzchen
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Wohnort: Katzenkörbchen


Beitrag25.01.2017 16:56

von Kätzchen
Antworten mit Zitat

Buch

von Kätzchen
Doppelpost Crying or Very sad

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