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Matthias Jecker Eselsohr
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Beiträge: 328
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M 10.12.2016 00:11 Sieben Kammern von Matthias Jecker
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Sieben Kammern
Aus Himbeermus und Eichenkork
erbau ich uns ein Schneckenhaus
mit sieben hellen Kammern.
Die Wände sind wie Licht so stark,
und geht das Licht am Abend aus,
so halten sie durch Klammern.
Die erste ist voll Fliederduft,
der füllt ganz leicht und unbemerkt
den Frühling in die Nase.
Ein Nichtswiesonst liegt in der Luft,
ein Etwas, das den Schwachsinn stärkt
und Rosen hüllt in Vase.
Die zweite ist voll Heirassa,
das dringt und drängt mit Druck und Macht
aus Schleusen und aus Poren.
Was niemals war, ist plötzlich da.
Es wummert, hämmert, pocht und kracht
nachtnächtlich in den Ohren.
Die dritte Kammer ist bespannt
mit rosiger Tapetenhaut,
drauf Freudentränen schimmern.
Ein Lied so neu und nie gekannt
klingt hergebracht und altvertraut,
nichts weiter soll uns kümmern.
Im vierten Zimmer fliesst ein Bach,
er plätschert, gurgelt, rauscht, schwillt an
mit jedem neuen Regen.
Das Wasser steigt bis übers Dach,
doch irgendwann wird alsodann
die Flut sich wieder legen.
An fünfter Stelle steht ein Damm,
der mitten durch das Zimmer geht
wie durch Berlin die Mauer.
Das Kannnichtsein bewacht ihn stramm,
doch wer das Losungswort versteht,
weiss: Nichts war je von Dauer.
Im sechsten Raum, da steht ein Sack,
drin liegen Trödel, alter Kram
und auch vom Damm die Trümmer.
Von trübem Glanz und spröd im Lack.
Der volle Sack kennt keine Scham,
er füllt das ganze Zimmer.
Die siebte Kammer, öd und leer
und mit dem Besen ausgefegt,
wer hat sie nur errichtet?!
Hier herrscht das letzte Gehtnichtmehr,
hier wird kein Blatt vom Wind bewegt,
hier hat sich‘s ausgedichtet.
Weitere Werke von Matthias Jecker:
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Soleatus Klammeraffe
Beiträge: 970
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15.12.2016 10:14
von Soleatus
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Hallo Matthias,
vor kurzem geriet mir wieder einmal ein Text von Ricarda Huch in die Hände, in dem jedes Lebensjahrzehnt, von "Zehn" bis "Achtzig", in einem einzelnen Distichon vorgestellt wird.
Vor diesem Hintergund habe ich auch deinen Text sofort auf diese Art gelesen - auch, wenn es nicht wirklich passt an vielen Stellen ...
Davon abgesehen ließ er mich eigenartig unberührt. Ich denke, weil alles, was du an Gegenständlichkeit und Sinnlichkeit aufführst, nicht um seiner selbst willen da ist, sondern nur seiner Verweis-Aufgabe wegen. Dadurch wirkt der Text leer und unzusammenhängend (nicht immer, aber häufiger als nicht), was durch seine doch beachtliche Länge (acht Strophen!) besonders deutlich spürbar wird.
Handwerklich gefällt mir deine Strophenwahl und -gestaltung gut!
Gruß,
Soleatus
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anuphti Trostkeks
Alter: 58 Beiträge: 4320 Wohnort: Isarstrand
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15.12.2016 10:56
von anuphti
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Lieber Mathias,
(nach Soleatus ein Gedicht zu kommentieren hat etwas von Größenwahn ...)
deshalb nur kurz
Ich kenne das Stück von Ricarda Huch nicht und fand deshalb Dein Gedicht überraschend originell
Handwerklich absolut überzeugend.
Gerne gelesen.
Liebe Grüße
Nuff
_________________ Pronomen: sie/ihr
Learn from the mistakes of others. You don´t live long enough to make all of them yourself. (Eleanor Roosevelt)
You don´t have to fight to live as you wish; live as you wish and pay whatever price is required. (Richard Bach) |
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menetekel Exposéadler
Alter: 103 Beiträge: 2447 Wohnort: Planet der Frühvergreisten
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18.12.2016 08:21
von menetekel
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Bezogen auf's Handwerkliche stimme ich Anuphti zu, Matthias,
finde das Gedicht auch keineswegs unsinnlich (spüre Gerüche, Geschmack und sehe Farben) aber:
Der Titel im Zusammenhang mit sieben ordentlichen Strophen wirkt auf mich leicht dröge, zumindest aber langweilig. Hier verschenkst du etwas Schönes an eine veraltete Form. Es müssen durchaus nicht immer Distichen sein oder Endreime ... es gäbe eine Vielzahl an Möglichkeiten, dieses Gedicht spannender zu gestalten, beispielsweise so
Zitat: | Sieben Kammern
Aus Himbeermus und Eichenkork erbau ich uns
ein Schneckenhaus mit sieben hellen Kammern.
Die Wände sind wie Licht so stark, und geht das Licht
am Abend aus, so halten sie durch
Klammern
oder
Sieben Kammern
Aus
Himbeermus und
Eichenkork
erbau ich uns ein Schneckenhaus
mit sieben hellen
Kammern die
Wände sind wie Licht so stark
und geht das Licht am Abend
aus
so halten sie
durch Klammern
oder
...
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Hoffentlich hält sich dein Erstaunen in Grenzen ... . Du siehst aber, dass ein zusätzliches spielerisches Element dem Text nicht übel zu Gesicht stände und eine Öffnung nach außen bewirkte (Enjambements).
Vielleicht kannst du dich mit einer davon anfreunden?
[Meine Versionen sind jetzt nicht ganz durchgetüftelt (Rhythmus) und sollen lediglich der Veranschaulichung dienen.]
m.
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Matthias Jecker Eselsohr
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Beiträge: 328
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M 20.12.2016 20:48
von Matthias Jecker
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Hallo soleatus
Naja, Ricarda Huch ihrerseits lässt heute manchen unberührt.
Dass dem Leser meine sieben Kammern zu trocken und zu steinern begegnen, überrascht mich nicht wirklich. Dass ausgerechnet du das anbringst, schon eher. Aber dein Placet zur Strophengestaltung passt dann wieder, danke.
Ob mehr Leben in den Kammern wäre, wenn du statt an die wahrhaft trockene Frau Huch an „The Seven Year Itch“ gedacht hättest?
Eine echte Alternative zum Vorliegenden kann ich aus deiner Kritik nicht ableiten, da es mir zum Einstampfen und Neuschaffen doch irgendwie zu schade ist.... Macht nichts.
Hallo Nuff
Danke sehr. Auch ich kenne das betreffende Teil von Frau Huch nicht. Aber solche Zeitalter-Abfolgen sind eh ein beliebtes und verbreitetes Sujet. Dass meine Füllung für so ein Muster eine eigene Färbung hat, bestätigst du mir und ich nehme das gerne so entgegen.
Hallo menetekel
Ich muss dich ein bisschen enttäuschen, was ich ungern tue bei einem Kritiker, der selbst die schwierigsten Gedichte noch entschlüsselt oder zumindest versteht.
Aber meinst du das denn auch ernst, was du da anführst? Es liegt am Titel? Und deine Spielerei mit dem layout ist nicht als blosse Spielerei zu verstehen?
Ich schwanke zwischen Dankbarkeit für ein paar anerkennende Worte deinerseits und Ratlosigkeit über deine Kritik, von der ich nicht weiss, ob ich sie für schrägen Humor halten soll.
Euch allen drei meinen aufrichtigen Dank für die Zeit, die ihr in meine Verse investiert habt. Am Text werde ich aber voraussichtlich bis zur posthumen Gesamtausgabe nichts ändern.
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menetekel Exposéadler
Alter: 103 Beiträge: 2447 Wohnort: Planet der Frühvergreisten
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21.12.2016 08:54
von menetekel
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Hallo Matthias,
du schreibst:
Zitat: | Hallo menetekel
Ich muss dich ein bisschen enttäuschen, was ich ungern tue bei einem Kritiker, der selbst die schwierigsten Gedichte noch entschlüsselt oder zumindest versteht.
Aber meinst du das denn auch ernst, was du da anführst? Es liegt am Titel? Und deine Spielerei mit dem layout ist nicht als blosse Spielerei zu verstehen?
Ich schwanke zwischen Dankbarkeit für ein paar anerkennende Worte deinerseits und Ratlosigkeit über deine Kritik, von der ich nicht weiss, ob ich sie für schrägen Humor halten soll. |
Doch, Matthias,
ich meine diese Kritik durchaus ernst.
Denn es ist nun einmal ein wichtiges Merkmal von Lyrik, dass sie sich durch ihre Anordnung (im Vorliegenden einer recht antiquierten, überholten Strophenform) auffällig macht, um uns Heutigen einen Leseeindruck intensiv und die Rezeption nachhaltig zu gestalten.
Dies gelingt dir. m. E. in diesem Gedicht nicht zureichend. Insofern erklärt sich mein Wunsch nach Visualisierung, nach Verdeutlichung einzelner Segmente, um den Text zu öffnen.
Schade, dass du diesen Einwänden nichts abgewinnen kannst, was aber andererseits in deiner Entscheidungshoheit liegt.
[Dichtung ohne Handwerk ist nichts.
Handwerk ohne Poesie ebenfalls. ]
m.
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Feire Fiz Wortedrechsler
F Alter: 68 Beiträge: 54 Wohnort: Görlitz
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F 24.01.2017 18:35
von Feire Fiz
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Das "Nichtswiesonst", das "Kannichtsein" und das "Gehtnichtmehr" - gut verteilte Neologismen, Satznamen zwischen den konkret-bildhaften Beschreibungen der "Kammern".
Der heiter anmutende Grundton, der glatte Fluß der Verse - das ist schön, nicht bloß gefällig, nein es ist sinnvoll, weise.
Ein wunderbares Stück!
_________________ sato bandhum asati nir avindan
hrdi pratishya kavayo manisha |
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Matthias Jecker Eselsohr
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Beiträge: 328
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