Der glücklose Gewinner, oder: immer das Kleingedruckte lesen!

[V.K.B.]

Den Text habe ich direkt einen Tag nach dem 10. FFF verfasst, basierend auf einem Traum, den ich tatsächlich hatte, nachdem ich mich bis in die späte Nacht mit dem Lesen und Bewerten der Texte befasst habe. Wahrscheinlich, weil Rilke eben immer wieder vorkam.

Eine Sache würde mich interessieren, falls es einer der Moderatoren liest: Wäre mir das schon beim Wettbewerb eingefallen und ich hätte diesen Text eingereicht, wäre er nominiert worden? Oder ist das Thema zu meta umgesetzt?

Jetzt aber viel Spaß beim Lesen:



Der glücklose Gewinneroder: Warum man auch bei einem Schreibwettbewerb immer das Kleingedruckte lesen sollte

Früh morgens um zehn Uhr klingelt das Telefon und reißt mich aus dem Schlaf.
„Ja?“
„Spedition Meyerhoff, Abteilung Tiertransporte. Wir wollten eben klarstellen, ob Sie zu Hause sind. Wir hätten da eine Lieferung für Sie, Herr Fienster.“
Ich wische mir den Schlaf aus den Augen. „Bitte, was? Ich habe doch gar nichts bestellt.“
„Ist auch ein Gewinn. Herzlichen Glückwunsch!“
Ich kann es nicht fassen. „Gewinn?“ Wo hab ich denn…?
„Sie haben doch beim 'Fehlender Vers' Wettbewerb beim DSFO mitgemacht, oder?“
Ich überlege kurz. „Ja, kann sein…“ Aber ich hab doch nur Unsinn zustande gebracht, wie kann ich denn gewonnen haben?
„Wir sind in zwei Stunden bei Ihnen.“
„Äh, Moment! Sagten Sie … 'Tiertransporte'?“
„Ja,  Spedition Meyerhoff, Abteilung Tiertransporte.“
Da will mich doch jemand verarschen, überlege ich. „Sie wollen sagen, ich habe ein Tier gewonnen?“
„Jupp“
„Was für eins denn?“
„Rilkes Panther.“
„Bitte?“
„Den Panther aus Rilkes Gedicht. Hauptpreis beim „Fehlender Vers“-Wettbewerb. Den haben Sie gewonnen. Glückwunsch nochmal!“
Schweiß läuft mir die Stirn herunter. „So richtig echt? Also lebend, meine ich?“
„Jaja, dem geht’s prächtig. Braucht nur dringend mal Auslauf, das Kätzchen. Wir sind dann in zwei Stunden da, okay?“
Meine Gedanken rasen. „Wenigstens mit dem Käfig drumzu?“
„Nein, der sollte mal aus dem Käfig raus, haben Sie das nicht auch schon mal gedacht?“
„Das schon, aber… verdammt, ich habe überhaupt kein Gehege oder sowas. Und was soll ich mit einem Panther?“
„Das hätten Sie sich vor der Teilnahme überlegen müssen.“
Oh verdammt, ich habe die Teilnahmebedingungen überhaupt nicht gelesen, fällt mir ein. Stand da wirklich was von einem lebenden Panther? Die haben doch 'ne Macke!
„Bis in zwei Stunden dann, ja?“
„Ne, halt, warten Sie! Ich möchte den Preis nicht annehmen!“
„Wie meinen?“
„Na, ganz einfach. Ich schlage den Preis aus. Wenn ich der Gewinner bin und den Preis nicht haben will, kriegt ihn der Zweitplatzierte, oder?“
„Ja, theoretisch schon…“
„Dann machen wir es so. Der Panther geht an Gewinner Nummer zwei. Ich will ihn nicht!“
Ich atme erleichtert auf. Zu früh.
„Das geht leider nicht.“
„Wieso?“
„Weil die Dame auf dem zweiten Platz ihn schon ausgeschlagen hat.“
„Moment… äh… wie? Okay, verstehe. Aber wenn ich ihn nicht annehme, kriegt ihn der unter mir Platzierte, richtig? So machen wir das.“
„Geht leider auch nicht.“
Ich verstehe gar nichts mehr.
„Ich verstehe gar nichts mehr! Wieso…“
„Weil da niemand mehr ist. Die anderen haben den Gewinn schon alle ausgeschlagen. Sie sind der letzte!“
Verdammt. Worauf hab ich mich da eingelassen?
„Aber das geht nicht… ich…“
„Bis in zwei Stunden dann!“
Und aufgelegt. Hölle und Giftzahn, was mach ich nur? Ein Panther, verdammt, Rilkes Panther. Okay, wenigstens nicht Blakes Tiger oder Murakamis gehirnfressende Katzen. Man muss auch mal mit was zufrieden sein. Ich ziehe meinen Pyjama aus und schlüpfe in die Arbeitskleidung. Und raus auf die Straße, ich muss zu Hannes, der ist Bauer, vielleicht hat der noch eine Weide irgendwo frei. An der Kreuzung bleibe ich stehen, alles dreht sich. Erstmal ne Zigarette!

Der Deckel meines gelben Sturmfeuerzeugs springt ab und schwebt zehn Zentimeter darüber in der Luft. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Mein Traumindikator! Ich träume das bloß! Hach, wie geil! Ich breite die Arme aus, werfe mich nach vorne und fliege los. Rudere mit den Armen wie Flügelschläge und gewinne an Höhe. Sehe die Häuser unter mir, die Straßen, die Kanäle und die darin herumfahrenden Kreuzfahrtschiffe. Brillantes Setting, da war ich noch nie! Ich fliege hinter einem der Schiffe her, mal sehen, wer sich da so alles an Deck sonnt. Doch der Klartraum hält nicht lange, wie immer, langsam zerfasert er, ich drohe aufzuwachen. Ist das ein Auto oder ein Schiff unter mir? Fliege ich darüber hinweg oder sitze ich drin? Ich kann nicht einmal mehr sagen, ob das Fahrzeug sich bewegt oder jemand die Kulissen vorbeischiebt. Verdammt, das hätte schon im ersten Drittel passieren sollen, geht mir durch den Kopf.

Dann weckt mich der Klingelton. Mann, was für einen Schwachsinn man sich doch zusammenträumen kann! Ich greife zum Telefon. Nichts. Mein Blick fällt auf die Wanduhr. Zwölf Uhr Mittags. Die Türklingel geht noch einmal. Ich eile in den Flur zur Gegensprechanlage.
„Ja?“
„Spedition Meyerhoff, Abteilung Tiertransporte…“

[sleepless_lives]

Und so realistisch!
Ich denke, den hätten wir akzeptiert. Alle Vorgaben sind ja in gewisser Weise berücksichtigt und gut genug integriert, dass man davon ausgehen hätte können, dass es sich nicht um einen Text aus der Schublade handelt. Das zweimalige Vorkommen das Rilke-Gedichts in den Texten des Wettbewerbs hättest du natürlich nicht gewusst und insofern wäre der Text wahrscheinlich so nie entstanden. Allgemein betrachtet sind Meta-Texte aber eine zweischneidige Sache, denn man kann ohne große Schwierigkeiten einen Meta-Text vorbereiten und dann in den zwei Stunden nur auf die Vorgaben hin anpassen. Eine positive Entscheidung wäre also immer nur gültig für den konkreten Einzelfall und kein generelles grünes Licht.

[Jenni]

Sehr schön. Schönes Ende. Das hättest du bestimmt nicht in zwei Stunden so rund hinbekommen. Oder doch?

Ich versuche das jedenfalls nächstes Mal auch mal, wenn ich beim FFF mitschreibe: Stelle mir den Wecker auf viertel vor Abgabeschluss und träume mir den Text zusammen.

[V.K.B.]

[MoL]

Hihihi, klasse!
Der Traumindikator ist genial, ebenso alles andere. Gefällt mir wirklich gut!
ABER ... dein Wettbewerbstext gefällt mir sehr viel besser. Weil er Wucht hat.

Punkteabzug hier gibt es wegen des unsäglichen und von mir allzeit gehassten:

[V.K.B.]

[MoL]

[V.K.B.]

[MoL]

[BlueNote]

Sehr unterhaltsam, sehr amüsant! Hat mir gut gefallen. Die Art Schluss und die Auflösung, Wirklichkeit ist Traum ist Wirklichkeit ist mir als erstes bei einem Schüleraufsatz der achten Klasse begegnet, was ich damals als Jugendlicher wahnsinnig aufregend fand. Heute sehe ich darin eher ein Schreibtemplate.

Aber deine Geschichte hat ja nebenher und drumherum auch sonst viel zu bieten, was den Standardaufbau lässig ausgleicht. Vielleicht sollte man als Leser nicht immer das Neue einfordern, sondern sich auch einmal damit begnügen, wenn Altbekanntes gut ausgeführt bzw. ansprechend umgesetzt wurde.

[V.K.B.]

Hallo BN,

[Municat]

Ich wollte gerade fragen, wann wir nu endlich von Deinem Traum erfahren ... dabei steht er da schon seit Tagen (manchmal sollte ich echt die Augen aufmachen ...)

Ich hoffe, Du hast das Paket angenommen und den armen Kerl nicht wieder in seinen Käfig zurück geschickt.

Free Willi Panther und so!

Das bisschen Gefahr für die Nachbarn durch eine traumatisierte Raubkatze ist doch kalkulierbar. Sollen die Kinder eben im Haus bleiben. Vielleicht ist er ja sogar zahm geworden in der Gefangenschaft.

Aber im ernst: die Geschichte ist echt klasse. Wenn man die Beiträge aus dem Wettbewerb kennt, sowieso - aber auch ohne das Wissen um die beiden Rilke-Geschichten.