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Die Lovemap - Ein Plädoyer für erotisches Schreiben

 
 
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Nayeli Irkalla
Geschlecht:weiblichReißwolf

Alter: 41
Beiträge: 1083
Wohnort: Ruhrgebiet
Extrem Süßes!


Beitrag20.04.2013 10:24
Die Lovemap - Ein Plädoyer für erotisches Schreiben
von Nayeli Irkalla
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Mir ist beim Lesen hier im Forum bereits mehrfach aufgefallen, dass der Begriff der Erotik beim Schreiben per se erst mal negativ behaftet ist. Bei mir entstand der Eindruck, dass das Meinungsbild sich ein bisschen so beschreiben ließe: "Eigentlich will man gut schreiben. Aber manchmal muss man eben noch ein bisschen Sex reinpacken, damit es sich verkauft oder weil die Lektoren das so wollen."

In Fällen, in denen in einem Liebesroman der Lektor das Manuskript zurück schickt und nach dreißig Seiten die erste Sex-Szene verlangt, weil es da höchste Zeit wird, und wo der Autor dann nachträglich eine Szene mit explizit beschriebenen Techniken und genauen Beschreibungen von "Wer in welcher Stellung wo genau hinein" schreiben muss, kann ich diese Vorbehalte sogar verstehen.

Aber das Schreiben erotischer Szenen bietet so viel mehr Möglichkeiten als nur plattes "Noch nie zuvor wurde sie von derartigen Empfindungen überwältigt. Seine kundigen Hände bescherten ihr ein Feuerwerk der Lust, und die Orgasmen rannen wie eine Welle durch ihren aufnahmebereiten Körper." Oder so ähnlich.

Sexualität ist eine sehr mächtige Triebkraft im Leben eines jeden Menschen. Ich finde, dass jede Figur, die man kreiert und schreibt, es auch verdient, neben einer einzigartigen Persönlichkeit auch eine einzigartige Sexualität zu haben, die sie genau wie ihre Ticks beim Sprechen und ihr Händewaschzwang charakterisieren und einzigartig macht. Unabhängig davon, ob das Genre nun erotische Anteile aufweist oder nicht. Elizabeth George, deren Krimis sich durch für mich sehr beeindruckende Komplexität und Figurentiefe auszeichnen und die daher meines Erachtens zu Recht regelmäßig auf den Bestsellerlisten landet, spart die Sexualität ihrer Figuren bei der Charakterentwicklung niemals aus. An manchen Stellen ihrer Bücher schimmert sie durch. Das macht die Bücher garantiert nicht schlechter und wirkt niemals aufgesetzt.

An dieser Stelle möchte ich den unausgereiften Versuch unternehmen, ein paar Möglichkeiten aufzuzeigen, wie das Schreiben erotischer Szenen sogar richtig Spaß machen kann.

Die Figuren und ihre Lovemap
Wenn man eine gute Geschichte schreiben will, macht man sich üblicherweise bereits im Vorfeld Gedanken über die Protagonisten, so zumindest habe ich es gelernt. Man überlegt sich, wie sie aussehen, was sie antreibt, wie ihre Ziele und Motivationen aussehen, wie sie durch ihre Familie geprägt wurden ...

Wenn man eine so sorgfältig geplante Figur dann auf einmal in eine 0815-Sex-Szene stecken soll, die mit ihren individuellen Eigenheiten eigentlich gar nichts zu tun hat, macht das weder beim Schreiben noch beim Lesen wirklichen Spaß. Das ist klar. Aber muss das so sein?

Jeder Mensch wurde durch seine Geschichte geprägt. Und in jedem Manuskript mit Tiefe wird er durch das, was er erlebt hat, weiter geprägt und verändert sich, reagiert auf das, was ihm geschieht, in seiner eigenen und unverwechselbaren Weise. In der Diskussion über Figuren in U und E wurde gerade dieser Punkt als Merkmal guter Geschichten genannt. Die Figur mit ihrer Einzigartigkeit steht im Mittelpunkt.

Meiner Ansicht nach gilt das nicht nur für nichtsexuelle Themenbereiche, sondern genauso für die Bereiche des Verliebens und auch der Sexualität. Das Menschen durch ihre Vergangenheit, ihre Erlebnisse geprägt werden, ist eindeutig. Ein Mann, der bei seiner ersten Freundin unter Ejakulatio Praecox litt und von ihr dafür ausgelacht wurde, wird mit 25 bei einem Vorstellungsgespräch vielleicht sehr gehemmt sein, wenn die Chefin optische Ähnlichkeit mit genau dieser Freundin hat. Eine Frau, die große Probleme damit hat, die Kontrolle abzugeben, wird beim Liebesspiel mit einem anderen Mann vielleicht nicht in der Lage sein, einen Höhepunkt zu erreichen, selbst wenn sie ihm vertrauen und loslassen will. Ein Mensch, der betrogen wurde, wird vielleicht extrem verletzt reagieren, wenn ein neuer Partner beim Liebesspiel auf einmal den Namen eines Ex seufzt, weil dieser Name über so viele Jahre mit dem Expartner verbunden war.

Das sind nur drei Beispiele, aber sie machen vielleicht bereits in Ansätzen deutlich, warum ich meine, dass jede Figur es verdient, differenziert nicht nur in Bezug auf ihre Karriere und ihre Freizeitgestaltung ausgestaltet zu werden, sondern eben auch in Bezug auf ihre Sexualität sowohl in Bezug auf Vorgeschichte wie auch in Bezug auf allgemeine Charakterzüge und darauf, wie die sich beim Liebesspiel bemerkbar machen.


Wenn Charaktere interagieren und nicht bloß nackte Körper
Ich habe keine Ahnung, woher die Vorstellung kommt, dass Sex-Szenen immer mit einem überdurchschnittlich großen Phallus und einem Überangebot an weiblichen Orgasmen einhergehen müssen. Einzigartige Figuren erschafft man damit tatsächlich nicht, und derartige Sex-Szenen in Romanen überlese ich immer. Aber muss es denn auf solche Szenen hinauslaufen?

Eine der schönsten Sex-Szenen, die ich je gelesen habe, befindet sich ganz am Ende von "Vater Himmel, Mutter Erde" von Sue Harrison. Die Protagonistin, die Aleutin Chagak, ist als Jungfrau nach der Zerstörung ihres Dorfes vergewaltigt worden und hat den Vergewaltiger, als er danach einschlief, mit seinem eigenen Messer getötet. Wenn so etwas nicht prägt, dann weiß ich auch nicht. Sie baut sich ein neues Leben auf, gebiert ein Kind und lebt zusammen mit einem alten Mann, der für sie zu einer Art Großvater wird. Als neue Menschen auf die Insel der beiden kommen, gibt es weitere Konflikte, so wunderschön und doch wenig plakativ beschrieben ... Chagak ernährt den fast verhungerten Sohn des Anführers, und am Ende heiratet er sie, um eine Mutter für seinen Sohn zu bekommen. In der abschließenden Sex-Szene versucht Chagak, sich auf ihn einzulassen, doch die Flashbacks von der Vergewaltigung kommen zurück. Ihr neuer Mann fragt verwundert, warum sie so verängstigt ist, sie wäre doch keine Jungfrau mehr. Sie sagt, dass der Vater ihres Sohnes ihr wehgetan hat. "Er kann froh sein, dass er schon tot ist", knurrt der Mann. Er bricht das Liebesspiel ab, nimmt sie in den Arm, tröstet ... Langsam werden daraus neue Zärtlichkeiten.

Der Schlussatz lautet: "Als Kayugh sich auf sie legte, hatte sie keine Angst." Mehr nicht. Keine Orgasmen, kein Monsterprügel - und doch, wie schön und wie romantisch! Als er sich auf sie legte, hatte sie keine Angst. Mehr kann sie, nach dem, was sie durchgemacht hat, wohl auch nicht erreichen. Erst mal jedenfalls nicht. Aber sie hat keine Angst. Und damit hat sie gesiegt. Diese Szene ist wichtig für den Roman! Unverzichtbar. Und eine solche Szene überliest man garantiert nicht.


In Erotikszenen agieren üblicherweise zwei Figuren miteinander. Die Fälle, in denen es drei oder mehr werden, lasse ich hier mal weg, weil sie in normalen Roman eher selten auftauchen. Oder?

Hah, reingefallen. Natürlich gibt es in jeder Sex-Szene mindestens eine dritte Figur, und zwar den Ex des Prota, der unsichtbar und unmerklich über die Schulter schaut. Oder die frühere große Liebe. Oder den früheren Partner, der Grenzen nicht respektiert hat, auch wenn es nie eine wirkliche Vergewaltigung war. Oder einen inneren Linienrichter, der Punkte vergibt. Oder die Stimme, die sagt, dass die kleinen Fettpolster an der Hüfte auf den anderen bestimmt abstoßend sind.

Vielleicht kommt sogar noch eine vierte Figur im Kopf des Prota hinzu, nämlich der oder die Ex des Liebesspielpartners und der gefühlte, unsichtbare Vergleich, der je nach Persönlichkeit auch wieder ganz andere Formen annehmen kann.

Ich frage mich nur, warum man von diesen weiteren Figuren so selten etwas liest und sie nur so oberflächlich gestreift werden ... Gerade die Auseinandersetzung damit kann als Schriftsteller hochspannend sein, finde ich.


Konfliktformen
Geschichten ohne Konflikte sind langweilig, lernt man in jedem ernstzunehmenden Schreibseminar und jedem Schreibratgeber. Und da ist was dran. Es werden üblicherweise drei Formen von Konflikten genannt:

- Mensch gegen sich selbst
- Mensch gegen anderen Menschen
- Mensch gegen Naturgewalt

Auf Sex-Szenen übertragen heißt das, dass Sex-Szenen ohne Konflikte langweilig sind. Der gutbestückte Vampir und die heiße, blasse Rothaarige, die in seinen Armen nie gekannte Erfüllung findet, ist (inzwischen) dank des Marktes vorhersehbar geworden. In Twilight ist dabei wenigstens noch in Edward der Konflikt "Vampir gegen sich selbst und seinen Blutdurst" vorhanden, aber in den vielen Epigonen verläuft es nahezu kompltt konfliktfrei, wenn meine spärlichen Rechercheergebnisse dazu übertragbar sind.

Aber jede erotische Szene birgt in sich das Potential, eben durchaus mindestens eine der drei Grundkonfliktformen zu bergen, und wenn diese Grundkonflikte in einem Zusammenhang mit dem Rest des Buches stehen, dann werden die Szenen weder beim Schreiben noch beim Lesen langweilig und schematisch.

Mensch gegen sich selbst
Auch, wenn der Partner der liebste und beste Mensch ist, den man sich nur vorstellen kann, können die Erotikszenen durch seelische Konflikte im Innern der Figur spannender werden. Die Missbrauchs- oder Betrugserfahrung in der Vergangenheit wurde schon genannt, die jeweils ganz andere Gedankenströme triggert. Die Angst, nicht gut genug zu sein. Der Wunsch, den Partner zu beeindrucken und alles richtig zu machen. Gedanken an einen Konflikt auf der Arbeit. Selbszweifel am eigenen Körper oder den eigenen Fähigkeiten im Bett.

Mensch gegen Mensch
Eine Frau benutzt ihren Körper, um bei ihrem Chef Vorteile zu erringen, indem sie ihn verführt und ihm ein Feuerwerk an Höhepunkten vorspielt, während sie innerlich eiskalt und berechnend ist. Eine Frau hat sich in einen verheirateten Mann verliebt und versucht, ihn an sich zu binden. Ein Mann möchte gerne Vater werden, aber seine Frau weigert sich, weil sie ihre Karriere nicht aufgeben will, so dass die Frage der Verhütung ständig im Raum steht. Ein Mann weiß, dass sein bester Freund in die Frau verliebt ist, während sie für ihn nur ein ONS ist, aber sie ist so ein schöner ONS, und es macht trotz Schuldgefühlen so viel Spaß. Eine Frau wurde betrogen und möchte jetzt im Urlaub durch einen ONS Genugtuung erlangen, obwohl sie sich das selbst nicht eingesteht.

Beide Figuren verfolgen Ziele, wenn sie miteinander ins Bett gehen. Klar, wenn beide sich lieben, ist das in der Realität wunderschön - aber genau wie bei Dialogen ist es literarisch spannender, wenn beide unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen und diese unausgesprochen bleiben, aber für den Leser erahnbar sind.

Mensch gegen Natur/Umfeld
Es gibt die Möglichkeit, für sein Liebesspiel an Orte wie mitten im Wald zu gehen, wo die Gefahr des Erwischt werdens besteht. Das Angesicht des Todes, und sei es nur bei einem Beinahe-Auto-Unfall, weckt den Urtrieb, sich fortzupflanzen. Aber wie genau geschieht das bei genau diesem Prota? Ähnliches gilt für "verbotene Liebe", die es auch im modernen Deutschland durchaus noch geben kann, da wir eine multikulturelle Gesellschaft sind, in der so was noch auftaucht. Die Herausforderung liegt darin, solche Szenen so zu schreiben, dass der Konflikt den Leser mitzieht. Gerade bei der letzten Konfliktform ist das tatsächlich sehr schwer, das richtig und doch subtil genug zu schreiben, weswegen die beiden ersten Formen in den meisten Fällen sicher geeigneter sind.


Sprachbildlichkeit
Dass die Haare einer normalen Frau nur in begründeten Ausnahmefällen "wallende Wellen von wogendem Gold" sind, setze ich einfach mal als allgemein bekannt voraus und vermute mal, dass nur die wenigsten Lust haben, für solche Formulierungen 50 Cent in die Klischeekasse zu zahlen.

Trotzdem bietet auch das Schreiben erotischer Texte eine Fülle von Chancen, ungewöhnliche und neue Sprachbilder zu finden. Ich bitte um Verzeihung dafür, dass mir an dieser Stelle gerade keine einfallen - das gehört momentan zu meinen Schwächen und ich fürchte, ich muss mich bald mal wieder intensiver mit Metaphernbildung und Vergleichen und Montagetechniken auseinander setzen, um meine Sprache wieder ein bisschen reichhaltiger werden zu lassen. Deswegen habe ich diesen Unterpunkt auch zunächst weggelassen. Ich denke aber trotzdem, dass Sprachbildlichkeit einmal das Merkmal guter Literatur und auch guter Erotikszenen sein kann.

Weil mir gerade keine guten Beispiele dafür einfallen, klaue jetzt einfach mal aus einem Essay, den ich früher mal für eine Zeitschrift geschrieben habe:

Zitat:
Urteile selbst, welche Formulierung dir als Leser besser gefällt: „Unbeschreibliche Gefühle überwältigten sie beim Anlegen der Augenbinde“? Oder sollte der Autor sich nicht doch besser die Mühe machen, diese Gefühle wenigstens ansatzweise zu beschreiben: „Als kleines Mädchen war sie einmal am Meer gewesen und zu weit in die immer wieder an den Strand heranrollenden Wellen gelaufen. Als Steven ihr den Schal aus mercerisierter Baumwolle über die Augen legte, der noch ein wenig nach Kaufhaus roch, hatte sie das Gefühl, dass die große Welle von damals wieder über ihr hereinbrach und ihr den Atem nahm. Es war die gleiche Mischung aus Angst und Aufregung im Angesicht des Unbekannten, das größer war als sie selbst. Unwillkürlich holte sie tief Luft und merkte erst jetzt, dass das Salzwasser von damals ihr nicht die Nase verstopfte.“?


Da ging es eigentlich um die Vermeidung von etikettierenden Beschreibungen, aber es verdeutlicht hoffentlich auch, was ich mit Sprachbildlichkeit meine. Die Sequenz macht klar, dass die Sexualität immer eingebunden ist in einen größeren Kontext, in das gesamte Leben einer Protagonistin. Bestimmt geht das noch viel besser. Ich gebe gerne zu, dass ich als Schriftstellerin noch eine große Anfängerin bin und meine Bilder nie besonders gut sind. Aber hier geht es ja nicht um leuchtende Beispiele, sondern erst mal nur darum, dass Erotik durchaus auch anspruchsvoll beim Schreiben und beim Lesen sein kann.

Schöne Sprachbilder gehören also definitiv auch in diese Rubrik rein.


Was ist, wenn der Geschlechtsverkehr misslingt?
Ich habe eine Weile gebraucht, um darauf zu kommen, aber selbst in erotischen Romanen erwarten die Lektoren gar nicht, dass jede einzelne Erotikszene ein Feuerwerk an Höhepunkten bietet. Im Gegenteil. Für eine Szene in einer Leseprobe, in der die Prota ständig versucht, den Gedanken an ihren Ex beiseite zu schieben, sich auf den Akt zu konzentrieren und doch innerlich unbeteiligt bleibt und sich zwingt, weiter zu machen, weil sie "schließlich über den Ex längst weg ist" (von wegen!) und am Ende zu ihrer Frustration keinen Höhepunkt bekommt, habe ich von einem Lektor ein Kompliment bekommen, der (aufgrund dieser Szene?) das Gesamtmanuskript anforderte.

Ganz ehrlich, solche Szenen sind einfach realistischer. In jedem Beziehungsratgeber steht, dass es am Anfang etwas dauert, bis zwei neue Partner sich sexuell aufeinander eingespielt haben. Das entspricht einfach auch mehr dem realen Leben. Es kann ja im Verlauf des Buches immer noch besser werden.


Abschluss
Ich hoffe, ich konnte meine mir selbst noch etwas unstrukturiert erscheinenden Gedanken hier halbwegs verständlich niederschreiben. Vielleicht ist ja für den einen oder anderen eine interessante Anregung dabei. Ich erhebe keinesfalls den Anspruch, dass alles richtig ist oder dass damit bereits alles gesagt ist, was zu sagen ist.

Aber ich habe mit dieser Methode, die Sex-Szenen eben nicht zwischen den Beinen, sondern bei der Charakterisierung der Protas, ihren Träumen, Zielen und prägenden Erfahrungen zu beginnen (auch, wenn die im eigentlichen Text dann gar nicht mehr auftauchen) bereits einiges an erotischen Geschichten verkaufen können. Und nein, entgegen von landläufigen Vorurteilen nehmen solche Herausgeber keineswegs alles, in dem gef***t wird. Obwohl ich dabei nahezu komplett auf Synonyme für Phallus und Vagina verzichtet habe und das innere Erleben und die inneren Konflikte viel wichtiger waren als welcher Körperteil jetzt mit welchem anderen Körperteil agiert, bekam ich bereits einiges positives Feedback. So ganz verkehrt kann diese Herangehensweise also nicht sein.

Und vielleicht gilt das ja auch für andere Genres, die nicht primär die Erotik im Fokus haben und die trotzdem durch erotische Szenen und das Wissen des Autors über die Lovemap der Protas profitieren. Sexualität komplett aus dem Leben einer Figur auszuklammern erscheint mir ehrlich gesagt genauso falsch, wie die Sexualität von Protagonisten auf "Kolben in Zylinder" zu reduzieren.
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Ruth
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Beitrag20.04.2013 13:23

von Ruth
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Danke für die ausführliche Ausführung  smile Habe ich sehr gern gelesen!
Ich finde auch, man stößt viel zu selten auf originelle erotische Szenen. Was den gegensätzlichen Trieb, Gewalt, angeht, sind viele fantasievoller (da nehme ich mich nicht aus). Also her mit mehr gelungenen Beispielen. Neulich habe ich eins gefunden, in einer Short Story von Joshua Ferris (sorry, English):

Es geht um einen verwitweten Rentner, vor dessen Tür eines Tages ein Mädchen steht, dass er für eine Prostituierte hält:

The girl straightened herself on the sofa and reached around her back and untied something essential. She lifted her blouse to reveal the kind of breasts that Arty believed were seen up close only by men who dealt cocaine or played professional football. There was disbelief, and then there was what passed beyond the realm of the comprehensible into the sensuous world of warrior kings. Dusty arrived with the pizza. Arty ignored the doorbell[...]


http://www.newyorker.com/fiction/features/2009/08/03/090803fi_fiction_ferris?currentPage=all
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Versuchskaninchen
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Beitrag20.04.2013 15:07

von Versuchskaninchen
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Schön hat das auch mal Diana Gabaldon in einem Interview vergangenen Jahres beschreiben "How to write Sex Scenes" - ist leider nur auf englisch verfügbar, aber ich fand das hochinteressant, nicht den "Akt" an sich in den Vordergrund zu stellen, sondern eben, wie du schreibst, die Charaktere, die Wünsche, Ängste, Sehnsüchte, das was sie spüren, was es verspricht, welche Konflikte in einem brodeln, es liegt viel Professionalität zwischen einem geschriebenen Porno und einer hoch erotischen oder sexuell bewegenden (was nicht erotisch sein muss) Szene.

Also danke für den Beitrag! Ich lese nämlich sehr gerne (gute) erotische Kapitel, die über das 'Nievau' von 50SOG hinaus reichen  Rolling Eyes
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DasProjekt
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Beitrag20.04.2013 17:04

von DasProjekt
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50SoG hat einige der besten erotischen Szenen überhaupt zu bieten, das muss jetzt hier mal klipp und klar gesagt werden. Dass immer gleich auf diesem Buch rumgeritten werden muss, will mir einfach nicht in den Kopf. Wer bei der Thomas-Tallis-Szene nicht sofort nach dem Lesen youtube anwirft und das Musikstück sucht, dessen erotische Vorstellungskraft ist irgendwo in seinem langen und wahrscheinlich sehr ereignisreichen Leben verloren gegangen! So! (Alternativ kann man das Buch natürlich auch beladen mit Vorurteilen in die Hand nehmen und sowieso unempfänglich sein ...)

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25. Mai 2017 - Kim Henry "Be Mine Forever"
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Murmel
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Beitrag20.04.2013 18:26

von Murmel
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Bei allen überlegungen, WIE eine Sexszene zu schreiben ist, sollte nie das WARUM vergessen werden.

Die Antwort auf die Frage "Warum Sex an dieser Stelle im Skript" macht den Unterschied zwischen Sex als Zugabe und Sex als natürlicher Bestandteil aus.

Problem: Sex wird als Belohnung empfunden, die Sexszene ist in der Regel konfliktlos. Selbst wenn am Ende etwaige Konflikte (Bedenken) beseitigt sind, wirkt die Szene als positive Komponente - und nimmt daher Spannung weg. Das will man eigentlich nicht.

Sex als Konfliktlöser:  Anders in Geschichten, in denen Sex instrumentalisiert wird. Sex dient hier als Lösungsweg. Die Ehefrau, die über die Vergewaltigung in hinwegkommen muss, das Entdecken bestimmter sexueller Neigungen, das Bewältigen von Kindheitstraumata, all das motiviert den Sex und lässt ihn natürlich in den Plot einfließen.

Sex als Belohnung: meist am Ende eines Liebesromans. Endlich schaffen es die beiden ins Bett.

Ziel, Motivation und der daraus resultierende Konflikt bestimmen, ob der Sex aufgesetzt und künstlich erzwungen wirkt, oder ob er natürlich in die Geschichte einfließt, ja sogar notwendig wird. Oder anders ausgedrückt: Hat sich durch den Sex nichts am Plot geändert, ist er unnötig. Das lässt sich leicht testen. Was passierte, wenn die Sexszene entfernt würde? Nichts anderes? Dann ist der Sex nur ein Ereignis, keine Notwendigkeit.

Anders natürlich beim Sex als Ziel: Die Erfüllung sexueller Träume der Leser(in) und vielleicht auch des Autors/der Autor(in). Auch das gibt es und hat seine Daseinsberechtigung. Das sind dann die Fälle, bei denen der Lektor schon nach dreißig Seiten nach einer Sexszene verlangt. Sex ist dann Ziel der Figuren, alles andere ist Nebenhandlung.


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Nayeli Irkalla
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Beitrag20.04.2013 19:40

von Nayeli Irkalla
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Meinst du nicht, dass es noch einen dritten Weg gibt, Murmel? So wie du es beschreibst (korrigiere mich), gibt es genau zwei Gründe für Sex-Szenen in Romanen:

1.) Belohnung. Nach langen Irren und Wirren kommen beide endlich zusammen und haben konfliktlosen Sex.

2.) Sex als Ziel, der die restliche Handlung untergeordnet ist:

Zitat:
Die Erfüllung sexueller Träume der Leser(in) und vielleicht auch des Autors/der Autor(in). Auch das gibt es und hat seine Daseinsberechtigung. Das sind dann die Fälle, bei denen der Lektor schon nach dreißig Seiten nach einer Sexszene verlangt. Sex ist dann Ziel der Figuren, alles andere ist Nebenhandlung.


Ich meine, und das wollte ich eigentlich deutlich machen, dass es noch eine dritte Variante gibt:

3.) Sexualität als ein Teil des normalen Lebens der Figur, der bei der Charaktererschaffung genauso wenig ausgespart wird wie die Kindheit. Sex-Szenen können dann genauso der Figurencharakterisierung dienen wie die Gedanken der Figur beim Kartoffeln schälen und ihr Verhalten im Umgang mit dem Chef. In einem solchen Fall ist Sexualität und die Darstellung entsprechender Szenen im Romanverlauf genauso wenig Belohnung wie Selbstzweck, sondern einfach ein Teil der Figurenentwicklung und die Beschreibung kann durchaus bei entsprechendem Können literarische Qualitäten besitzen.
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Murmel
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Beitrag20.04.2013 23:09

von Murmel
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Hm... Sexualität als Bestandteil des normalen Lebens. Das heißt, es findet keine Entwicklung statt, die durch den Sex ausgelöst oder forciert/verlangsamt wird. Dann ist Sex genauso spannend wie die Beschreibung eines Restaurantsbesuchs oder des Mittagschläfchens, oder wie wär's mit drei Seiten Beschreibung, wie die Heldin ihre Wohnung aufräumt?

Ich übertreibe etwas, aber nur etwas. Alfred Hitchcock sagte einmal: "a good story is life, with the dull parts taken out".

Drei Möglichkeiten habe ich aufgezeigt:
1. Sex als Konfliktlöser
2. Sex als Belohnung
3. Sex um des Sex willen

Wenn der Sex etwas normales, alltägliches ist, und du beschreibst ihn trotzdem, gehörst du zur dritten Partie: Sexszene um der Sexszene willen.
Was ja nichts Schlechtes ist. Mich langweilen diese Partien, aber das bin halt ich.

Oder habe ich dich falsch verstanden?


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Gast







Beitrag20.04.2013 23:59

von Gast
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Hallo,

kurzer Einwurf, vielleicht eine Frage:

Ein "Plädoyer für erotisches Schreiben" - so ist der Faden betitelt. Ich bin mir nicht sicher, ob "erotisches Schreiben" mit der Frage viel zu tun hat, ob die Sexualität bzw. das sexuelle Erleben von Figuren in der Fiktion ausgeklammert wird?

Schlechte bis lächerliche Sexszenen in Unterhaltungsromanen sind absolut tödlich, finde ich.
Zwanghaftes Schliessen von Schlafzimmertüren, Scheunentoren und Zeltreissverschlüssen allerdings mutet manchmal recht seltsam an, im Extremfall reissen sie den Leser 'raus, weil er in eine Beobachterrolle gedrängt wird und dazu noch wird ihm moralisierend auf die Finger geklopft smile

Würde ich nun versuchen, einen Unterhaltungsroman zu schreiben smile, dann bestimmt nicht ohne (für die Handlung relevante) Sexszenen, warum sollte ich dieses Verkaufsargument von vornherein amputieren?

Allerdings würde ich dem Plädoyer von Mme Irkalla hinzufügen wollen: Vorsicht! Lieber Sex als Motivation/Triebfeder "durchscheinen" lassen, als schlecht (ab-)geschriebene, ausgelutschte Szenen, die eine Geschichte in die Peinlichkeit abdriften lassen.

Uwe Tellkamps Figur des Christian Hoffmann in Der Turm und seine Gedanken/Wûnsche bezüglich der Achselhöhlen eines Mädchens, dem er sich annähert/die seine Phantasie beschäftigt, sind absolut deliziös und nicht wegzudenken, aber das sind Sphären, um die es vllt. hier gar nicht gehen soll (?)


Grüsse,

Lorraine
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Nihil
{ }

Moderator
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Beitrag21.04.2013 02:02

von Nihil
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Ich finde den Punkt von Nayeli schon sinnvoll, denn an Sex als Charakterzeichnung denkt man ja normalerweise seltener. Im Idealfall ist die Szene natürlich handlungsrelevant und beschreibt die Figur gleichzeitig. Wenn der schüchterne Junge, der vor Unbekannten kein Wort herausbringt, im Bett plötzlich ein leidenschaftlicher Liebhaber ist, sagt das genai so viel, vielleicht sogar mehr über ihn aus als eine lange Aufzählung darüber, wie er in der Schule immer gemobbt wurde. In einem Krimi könnte Handlungsrelevanz mit Charakterbeschreibung zusammentreffen, wenn man erfährt: Aha, doch nicht der Psycho von nebenan, der kann ja auch normal. Oder so.

Ich verstehe das Plädoyer so, dass man sich nicht davor scheuen sollte, Sexszenen in seinem Roman unterzubringen und sie als Teil des normalen menschlichen Lebens darzustellen. Als Figurenbeschreibung passt es natürlich nicht immer, denke ich mir dazu, genau so wie nicht jeder Tagebuch schreibt und nicht in gleichem Maße selbstreflexiv ist. Der Singlemensch muss sicher nicht erst einen Sexualpartner finden, um dem Leser endlich sein Innerstes offenbaren zu können. Sex um des Sexes willen würde ich zumindest nicht lesen wollen.
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Murmel
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Beitrag21.04.2013 14:46

von Murmel
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Handlungsrelevant trifft es auf den Punkt. Jede Szene sollte es sein, und damit auch die Sexszene - unabhängig davon, WIE sie ausgeführt wird. Der beste Relevanztest einer Szene ist die Frage, was sich ändert, wenn man sie weglässt.  Ändert sich nichts, dann sollte man hinterfragen, warum man sie haben möchte - und was man tun kann, um sie relevant zu gestalten.

Attribute wie 'alltäglich' und 'natürlich' sind nicht unbedingt die richtigen Kriterien - 'relevant' und 'plotfördernd' die erfolgversprechenderen.


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seitenlinie
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Pokapro 2015


Beitrag21.04.2013 17:30

von seitenlinie
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Murmel hat Folgendes geschrieben:
Handlungsrelevant trifft es auf den Punkt. Jede Szene sollte es sein, und damit auch die Sexszene ...


Das ist auch mein Ansatz und daraus sollte sich die Länge der Geschichte ergeben.
Allerdings sind Romane viel opulenter als sie von der Geschichte her sein müssten.

Ich habe mir vor kurzem die erste Staffel von Game of Thrones angesehen. Schon der Film ist endlos in die Länge gezogen.
Die Buchvorlage besteht wohl aus insgesamt 14 dicken Wälzern.

Es gibt offensichtlich noch andere Kriterien.

 Buch


Erotische Literatur hat ihre Nischen und Leser. Für einige scheint es zu funktionieren. Ich kann damit nicht viel anfangen.


Meine persönliche Neigung, äh Meinung:

Sex und Erotik sind zwei verschiedene Dinge, auch wenn sie leider oft in einen Topf gehauen werden.

Eine Sexszene lässt sich technisch beschreiben. Die Erotik fehlt allerdings. Deshalb wirkt das albern bis langweilig,
manchmal auch abstoßend.

Sprache (Nicht Stimme!) und Erotik sind nicht wirklich kompatibel. Erotische Spannung lässt sich schwer durch Sprache
erzeugen, das geht nur über Umwege. Zerstören kann man sie mit Sprache allerdings sehr schnell. Ein falscher Satz,
ein falsches Wort können eine zarte erotische Stimmung zunichte machen. Das gilt für die Story - wie fürs reale Leben.

Begriffe werden ganz unterschiedlich empfunden. Was für den einen als Antörner wirkt, ist für andere ungenießbar.

Es ist schwierig, die erotischen Gefühle einer Person so zu zeigen, dass die Stimmung rüberkommt und vom Leser geteilt
werden kann.

Erotik hat mit Genuss zu tun. Sie wird oft mit dem Essen verglichen. Allerdings möchte ich keine zwei Seiten über einen
leckeren Entenbraten lesen. Entweder ich hab gar keinen Appetit oder ich bekomme einen mordsmäßigen und will
den Braten.


Neben der Altersbeschränkung für erotische Literatur dürften das Gründe sein, warum Sex und Erotik in Romanen eher
sparsam beschrieben werden. Erotik findet meistens zwischen den Zeilen statt und ist dort meiner Ansicht nach viel besser
aufgehoben.


Was mich jedoch stört, sind Andeutungen intimer Szenen, bei denen ich als Leser überhaupt nicht weiß, was dort eigentlich
passiert. Einige Autoren beschränken sich darauf, dass ihre Figuren miteinander schmusen, bei anderen läuft eine
Entkleidungsszene ins Nirwana. Mich stört daran die stumpfsinnige Denkweise, dass solche Situationen automatisch mit
Sex enden (müssen).
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DasProjekt
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Wohnort: Ørbæk, Nyborg, Dänemark


Beitrag21.04.2013 17:43

von DasProjekt
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seitenlinie hat Folgendes geschrieben:


Ich habe mir vor kurzem die erste Staffel von Game of Thrones angesehen. Schon der Film ist endlos in die Länge gezogen.
Die Buchvorlage besteht wohl aus insgesamt 14 dicken Wälzern.



Äh, die erste Staffel behandelt ja auch nur das erste von sieben Büchern (aus denen in Deutschland 14 gemacht wurden, warum auch immer ...) - in die Länge gezogen fand ich da nun aber nix (die TV Serie, meine ich ... beim Buch kan ich noch nicht mitreden, ich will immer, leide aber derzeit an einer leichten Fantasy-Übersättigung, auch wenn ich die Leseprobe durchaus ansprechend fand ...)


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25. Mai 2017 - Kim Henry "Be Mine Forever"
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eqvis
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Wohnort: Tübingen


Beitrag26.04.2013 18:56
Die Liebesblödigkeit
von eqvis
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Hallo,

vielleicht kennen einige "Die Liebesblödigkeit" von Genazino? Also, da geht es um einen Mann in den 50ern der mit 2 Frauen Beziehungen pflegt. Es geht immer mal wieder (recht oft) um den Sex den er mit den Frauen hat. Aber er erzählt es wie er über alles andere "normale" und "natürliche" in seinem Leben erzählt. Er erzählt über einen Ausflug in die Natur, die Gespräche, die Meinungsunterschiede... Der Sex gehört einfach dazu, weil er Teil des Lebens des Protas ist, weil er sich darüber Gedanken macht (wie jeder Andere es auch machen würde), weil es manchmal nicht so recht klappt und manchmal eben doch unerwartet super läuft.

Ich finde Nayeli hat Recht. Und ich würde es noch etwas anderes hinzufügen: die meisten Menschen haben Angst davor und ganz falsche Vorstellungen wie Sex zu sein hat. Und wenn ich mich mit meinem Prota identifizieren kann, dann gehört für mich der Sex auch dazu.

Hier habe ich jetzt nicht zwischen Sex und Erotik unterschieden. Ich rede von Sex(ualität) im ganz weiten Sinne (eben auch das Grübeln der Charaktere).

@seitenlinie:
Das (erotische) Stimmung nicht mit Sprache beschrieben/erzeugt werden kann, finde ich so gar nicht! Warum sollte die Stimmung in einem Krimi gut oder einfach zu beschreiben/erzeugen sein und die Stimmung in der Erotik nicht? Es sind etwas andere Gefühle aber es sich nun doch nur Gefühle die jeder kennt (Menschlich halt).

Zitat:
Zerstören kann man sie mit Sprache allerdings sehr schnell. Ein falscher Satz, ein falsches Wort können eine zarte erotische Stimmung zunichte machen. Das gilt für die Story - wie fürs reale Leben.
Begriffe werden ganz unterschiedlich empfunden. Was für den einen als Antörner wirkt, ist für andere ungenießbar.

Wirklich? Ich denke (so wie die meisten Paartherapeuten), dass es da um die Angst geht zu enttäuschen oder enttäuscht zu werden. Aber wie oft passiert das nicht auch mit ganz anderen Szenen? Ich meine, man trifft eben nicht immer den Geschmack von allen. Selbst in der "Zielgruppe" kann es dann trotzdem noch welche geben, die mit einen Bestimmten Autor nicht klar kommen, weil sie anders denken/fühlen/erwarten. Das gilt für alle Bereiche.

Zitat:
Es ist schwierig, die erotischen Gefühle einer Person so zu zeigen, dass die Stimmung rüberkommt und vom Leser geteilt
werden kann.

Das finde ich so gar nicht... Wirklich nicht. Und ich finde auch, wie bei den anderen Gefühlen und Aspekte eines Characters: es muss einfach stimmig sein.

Interessant finde ich, was ich beim Herrn Dr. Schnarch (ja, ja, doofer Name für einen Sexualtherapeuten) gelesen habe: Frauen können Sex scheinbar besser beschreiben und haben weniger Hemmungen darüber zu reden...  Cool

Es gibt einen chilenischen Schriftsteller der meint, dass Künstler dazu verpflichtet sind die Welt besser zu machen. Vielleicht mancht man die Welt auch dadurch ein wenig besser, in dem man die Sexualität nicht ausklammert, weil sie ein wichtiger Teil eines jeden IST (deshalb gehört sie auch zu einem Character in einem Buch).

Noch was: ich finde trotzdem nicht, dass in jedes Buch (und auf jedem Fall) eine oder mehrere erotische Szenen gehören. Aber darum ging es doch gar nicht!


_________________
Gruß,
Eqvis

"Mit leerem Kopf spricht man nicht!" Paradigma
"Nur Menschen brauchen Namen, weil sie nicht wissen wer sie sind" (Katze aus Coraline) Neil Gaiman
"Wenn man zu dem wird was erschreckt, braucht man keine Angst mehr zu haben" (Alice Cooper) Neil Gaiman
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Nayeli Irkalla
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Beitrag27.04.2013 12:31

von Nayeli Irkalla
pdf-Datei Antworten mit Zitat

So, jetzt am Wochenende habe ich endlich ein bisschen Zeit, um auf einige der Antworten etwas detaillierter einzugehen smile. Ist selten genug, dass ich ein ganzes Wochenende nur fürs Schreiben habe.


Murmel schrieb:
Zitat:
Hm... Sexualität als Bestandteil des normalen Lebens. Das heißt, es findet keine Entwicklung statt, die durch den Sex ausgelöst oder forciert/verlangsamt wird. Dann ist Sex genauso spannend wie die Beschreibung eines Restaurantsbesuchs oder des Mittagschläfchens, oder wie wär's mit drei Seiten Beschreibung, wie die Heldin ihre Wohnung aufräumt?

Ich übertreibe etwas, aber nur etwas. Alfred Hitchcock sagte einmal: "a good story is life, with the dull parts taken out".

Drei Möglichkeiten habe ich aufgezeigt:
1. Sex als Konfliktlöser
2. Sex als Belohnung
3. Sex um des Sex willen

Wenn der Sex etwas normales, alltägliches ist, und du beschreibst ihn trotzdem, gehörst du zur dritten Partie: Sexszene um der Sexszene willen.
Was ja nichts Schlechtes ist. Mich langweilen diese Partien, aber das bin halt ich.

Oder habe ich dich falsch verstanden?


Mir ist bei deinem Post nicht ganz klar, auf was du dich beziehst: Sex-Szenen im Roman - oder darauf, dass die Figur bei der Konzeption eben auch eine individuelle Sexualität erhält, deren einzelne Elemente sie genauso charakterisieren wie die Farbe ihres Nagellacks? Ich splitte meine Antwort mal in Bezug auf diese beiden Punkte.

Szenen, in denen die Figuren sexuell interagieren
Szenen erfüllen ja üblicherweise mehrere Funktionen für den Roman, spontan aus der Erinnerung fallen mir dazu ein:

- Charakterisiert und beschreibt die Figur im Sinne von "Show, don't tell"
- Konflikte entwickeln sich, werden deutlicher
- Die Handlung kommt voran

Wenn eine Sex-Szene nichts davon bewirkt, ist sie natürlich überflüssig. Das wäre dann dein Punkt drei "Sex um des Sex willen". Macht mir auch weder beim Schreiben noch beim Lesen Spaß, weswegen ich so was meist vermeide.

Du schreibst, dass du genau zwei weitere Gründe für Sex-Szenen in Romanen siehst: "Sex als Konfliktlöser" und "Sex als Belohnung".

Sex als Belohnung ist demnach ebenfalls idyllisch und nimmt Spannung raus. Bietet sich an, wenn zwei Liebende lange getrennt waren und jetzt eben zueinander finden - entweder am Ende des Buches oder zwischendrin, bevor neue Konflikte die beiden wieder auseinander treiben. Die Sex-Szene hat demnach aber auch wenig Funktion für den Roman selber.

Sex als Konfliktlöser. Damit beschreibst du, wenn ich dich richtig verstanden habe, Szenen, in denen die Charaktere verborgene Motivationen und Ziele haben, die gegeneinander angehen und die durch den Sex vordergründig gelöst werden sollen, wodurch sich aber idealerweise neue konfliktrelevante Schwierigkeiten ergeben. Solche Szenen passen dann in den Zusammenhang des Romanes.

Meiner Ansicht nach gibt es aber noch eine weitere Art von Szenen, in denen ebenfalls Sex beschrieben wird:

Sex zur Figurcharakterisierung.
Das kann ich vielleicht am Besten anhand eines Beispiels verdeutlichen: Elizabeth George führt in irgendeinem ihrer Bücher einen Mann ein, indem sie ihn Sex haben lässt. Er ist ein erfahrener Mann Mitte vierzig, der ein junges Mädchen mit Hilfe seiner "Weltgewandtheit" verführt hat. Sie himmelt ihn an, er ist beim dritten Mal Sex (das gerade stattfindet) bereits von ihr genervt, redet aber noch mechanisch die tausend erprobten Floskeln für solche Situationen. Während des Aktes klingelt sein Handy. Er geht nicht ran, guckt aber nachher, wer es war. Oh. Jemand wichtiges. Er schmeist das Mädchen raus, das fast in Tränen ausbricht, und wählt die Nummer. Überleitung in den Dialog.

Diese Szene diente keiner der drei von dir beschriebenen Funktionen für den Roman, auch wenn sie für die Figur des Mädchens durchaus eine solche Bedeutung hatte. Aber im Romankontext war diese Szene wichtig, um für den Leser diesen Mann durch sein Verhalten ihr gegenüber zu charakterisieren. Das Mädchen taucht später nur noch zwei Mal als ein Telefonanruf auf, den er nicht annimmt. Es ging also nicht um die beiden, sondern tatsächlich in erster Linie um die Charakterisierung dieses Mannes.

Eqvis hat in seinem/ihren Beitrag ein weiteres Beispiel dafür, also zitiere ich einfach mal:

Zitat:
er erzählt es wie er über alles andere "normale" und "natürliche" in seinem Leben erzählt. Er erzählt über einen Ausflug in die Natur, die Gespräche, die Meinungsunterschiede... Der Sex gehört einfach dazu, weil er Teil des Lebens des Protas ist, weil er sich darüber Gedanken macht (wie jeder Andere es auch machen würde), weil es manchmal nicht so recht klappt und manchmal eben doch unerwartet super läuft.



***

Damit komme ich zu dem anderen Bereich, den ich meine. Oben habe ich das nicht sauber genug getrennt, glaube ich:

Sexualität bei der Figurerschaffung

Dafür zitiere ich wieder eqvis:
Zitat:
Es gibt einen chilenischen Schriftsteller der meint, dass Künstler dazu verpflichtet sind die Welt besser zu machen. Vielleicht mancht man die Welt auch dadurch ein wenig besser, in dem man die Sexualität nicht ausklammert, weil sie ein wichtiger Teil eines jeden IST (deshalb gehört sie auch zu einem Character in einem Buch).


Obwohl ich über keinerlei künstlerisches Sendungsbewusstsein verfüge, denke ich dennoch, dass das Erschaffen von realistischen Figuren eben auch eine realistische Sexualität beinhalten sollte - und dass ich da keine asexuellen Jungfrauen haben will, es sei denn, die Asexualität ist eben tatsächlich und bewusst ein Teil der Figurcharakterisierung.

Realistische Sexualität heißt nicht, dass sie in allen Einzelheiten im Buch beschrieben werden muss. Jedes Manuskript erhält ja immer nur einen Teil der Informationen, die man vorher dafür gesammelt und zusammengeschrieben hat. Realistische Sexualität kann auch heißen, dass man sich darüber Gedanken gemacht hat, was für Unterwäsche die Figur tragt: Schwarz und schlicht? Sportlich und bequem? Farbige Spitze, in perfekten Sets? Ein buntes Durcheinander aus praktischen, billigen Baumwollunterhosen und Micro-Faser-BHS, die farblich nicht zusammen passen?

Und all diese Überlegungen lassen sich dann vielleicht auf einen Nebensatz reduzieren, wenn die Figur sich morgens anzieht oder der BH kneift, den sie wegen eines möglichen abendlichen Dates angezogen hat ...

***

Seitenlinie schrieb:
Zitat:
Sex und Erotik sind zwei verschiedene Dinge, auch wenn sie leider oft in einen Topf gehauen werden.


Stimme unbesehen zu.

Zitat:
Eine Sexszene lässt sich technisch beschreiben. Die Erotik fehlt allerdings. Deshalb wirkt das albern bis langweilig,
manchmal auch abstoßend.


Ja, wenn sie technisch beschrieben wird, ist das oft so. Der Zauber liegt ja immer im Innenleben. Der eigentliche Akt ist ja tatsächlich etwas ... brachial und biologisch.

Daher ja auch die Überlegung, das ganze eben durch die inneren Konflikte und unterschiedlichen Zielsetzungen der beiden plotrelevanter und damit dann auch spannender und persönlicher zu machen.

Zitat:
Sprache (Nicht Stimme!) und Erotik sind nicht wirklich kompatibel. Erotische Spannung lässt sich schwer durch Sprache
erzeugen, das geht nur über Umwege. Zerstören kann man sie mit Sprache allerdings sehr schnell. Ein falscher Satz,
ein falsches Wort können eine zarte erotische Stimmung zunichte machen. Das gilt für die Story - wie fürs reale Leben.


Eine Freundin sagt immer gerne: Wenn es leicht wäre, könnte es ja jeder. Aber jeder hier im Forum wird wissen, wie schwer es eben sein kann, Szenen so zu schreiben, dass das Gefühl aus dem eigenen Kopf durch die Worte auch für den Leser erfahrbar wird.

Zitat:
Begriffe werden ganz unterschiedlich empfunden. Was für den einen als Antörner wirkt, ist für andere ungenießbar.


Hierfür der Vorschlag mit der Lovemap, der inneren Landkarte, wie die Figur eben Sexualität erlebt und damit umgeht. Es geht dann nämlich nicht mehr darum, welche Begriffe der Autor, der Erzähler benutzen würde - sondern er versetzt sich in die Perspektive der Figur und beschreibt die Szene so, wie die Figur sie erlebt, mit den Worten, die diese Figur wählen würde.

Das muss man schließlich in jeder Szene so machen. Ein Mann aus Paris wird beim Betrachten des Eiffelturms ganz andere Gedanken haben als ein Tourist aus Japan oder ein Architekt. Warum also dieses Prinzip nicht auch mal für die erotischen Szenen anwenden?

Zitat:
Es ist schwierig, die erotischen Gefühle einer Person so zu zeigen, dass die Stimmung rüberkommt und vom Leser geteilt
werden kann.


Ja, natürlich. Aber das gilt für jeden Bereich der Schriftstellerei.

Zitat:
Erotik hat mit Genuss zu tun. Sie wird oft mit dem Essen verglichen. Allerdings möchte ich keine zwei Seiten über einen
leckeren Entenbraten lesen. Entweder ich hab gar keinen Appetit oder ich bekomme einen mordsmäßigen und will
den Braten.


Erotik hat mit Figurcharakterisierung, Konflikten im Plot, Beschreibungstechniken und Gedankenstömen zu tun smile. Jedenfalls dann, wenn man sie schreibt.

***

Nihils Aussage
Zitat:
Ich verstehe das Plädoyer so, dass man sich nicht davor scheuen sollte, Sexszenen in seinem Roman unterzubringen und sie als Teil des normalen menschlichen Lebens darzustellen. Als Figurenbeschreibung passt es natürlich nicht immer, denke ich mir dazu, genau so wie nicht jeder Tagebuch schreibt und nicht in gleichem Maße selbstreflexiv ist.


stimme ich zu. Natürlich ist es nicht immer der richtige Weg. Aber es ist eben auch nicht automatisch der falsche Weg und nicht  automatisch plump und platt und "schlechte Literatur, die man pornografisch macht, damit sie sich verkauft".

Murmels Satz
Zitat:
Die Antwort auf die Frage "Warum Sex an dieser Stelle im Skript" macht den Unterschied zwischen Sex als Zugabe und Sex als natürlicher Bestandteil aus.

bringt es für mich noch mal sehr schön auf den Punkt.
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Murmel
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Beitrag27.04.2013 13:35

von Murmel
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Ich glaube, ich verstehe dein Anliegen nicht so ganz. Selbstverständlich gehört das Sexleben zur Figur. Aber das Sexleben gehört nicht in jeden Roman.

Um als Autor meine Figur zu verstehen, sollte ruhig das Sexleben mit einbezogen sein, aber es kann nun einmal sein, dass eine vollausgeführte Sexszene unnötig ist oder der Sex durch die Ereignisse nicht zustande kommt. Dann ist es eben so, und das hat nichts damit zu tun, dass der Autor sich gescheut hat.

Vielleicht verstehe ich dein Plädoyer deshalb nicht, weil ich kein Defizit an Sexszenen in der Literatur sehe. Bisher habe ich noch keinen Roman gelesen, bei dem ich eine Sexszene vermisst hätte. Sie waren entweder da (organisch eingebunden) oder fehlten, weil andere Aspekte der Figur für die Geschichte relevanter waren. Im Gegenteil, manchmal war es eine Sexszene zu viel, langweilig, wiederholend.

Ich würde eher ein Plädoyer halten, eine Sexszene auch einmal auszublenden oder wegzulassen.

Die Frage ist auch Genreabhängig. Du schreibst erotische Literatur, das ist doch ok, schreibe sie und geniesse sie, aber verlange nicht, dass in jedem Roman der Sex dargestellt sein muss - alles zu seiner Zeit. Es muss auch Liebesromane geben dürfen, die sich mit der Zeit vor dem ersten Sex beschäftigen.

Mir kommt dein Plädoyer eher als Rechtfertigung vor. Der Eindruck mag falsch sein und wäre auch völlig unnötig. Es gibt genügend Leser, die gerne Sex lesen, und es gibt genügend Autoren, die ihn beschreiben. Aber es gibt auch genügend Autoren, die Sex auch mal ausblenden oder gar nicht einbinden, wiederum aus guten Gründen. Lassen wir's bei der Vielfalt, würde ich sagen.


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Nayeli Irkalla
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Beitrag27.04.2013 14:24

von Nayeli Irkalla
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Vielleicht ist es tatsächlich ein Stück weit Rechtfertigung. Ich lese hier gefühlt sehr oft davon, dass andere Schreiber sich darüber erbosen, dass ihre sicher sehr guten Bücher nicht die nötige Anerkennung bekommen, weil der "Markt" eben keine guten Bücher wolle, sondern "nur" Sex und Gewalt, und der Unterklang dieser Aussagen hat immer etwas ... Herablassendes ... was mir nicht gefällt.

Auf dem Literaturmarkt gibt es sicher genug Erotisches und auch genug anderes, was nicht erotisch ist - aber ich mag es nicht, wenn da gewertet wird. Es gibt gute Krimis, es gibt schlechte Krimis. Es gibt gute Familienromane und schlechte Familienromane. Und es gibt eben auch gute und schlechte Erotikromane. Und einen guten Erotikroman zu schreiben ist in meinen Augen handwerklich nicht unbeingt leichter als einen guten Krimi zu schreiben. (Ob mir das dann gelingt, ist natürlich eine andere Sache - Anspruch und Wirklichkeit können ja durchaus divergieren)

Mir gefällt einfach nicht, dass mein Genre immer automatisch in die Ecke "Schund" geschoben wird und unterstellt wird, dass man dieses Genre nur bedient, weil man sich da davor drücken kann, "gute" Bücher zu schreiben, so lange nur genug nackte Haut hervorblitzt. So einfach ist es nämlich lange nicht. Man kann im Erotik-Bereich sogar versuchen, "E-Literatur" zu schreiben - hat da aber dann das gleiche Problem wie überall im Bereich "E", dass es sich einfach nicht so gut verkauft. Also muss man hier genau wie überall sonst nach einem Mittelweg zwischen Publikumsinteresse und eigenem Anspruch suchen. Und natürlich lässt sich über Geschmack auch nicht wirklich streiten.

Worauf wollte ich also mit meinem Eingangspost hinaus? Vielleicht auf ein bisschen mehr Bewusstsein dafür, dass erotische Romane eben viel mehr sein können als nur Klischees und Titten und man sie bitte nicht unbedingt immer und automatisch als Synonym für anspruchslosen Schund verwenden solle. Und vielleicht auch darauf, dass es manchmal auch als Autor wichtig sein kann, sich mit diesem Bereich des Schreibhandwerkes zu beschäftigen, auch wenn das eigene Buch gar nicht in das Genre gehört. Wenn man das als Autor bereits tut, muss man sich ja an dieser Stelle hier nicht mehr damit beschäftigen.
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firstoffertio
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Beitrag28.04.2013 23:43

von firstoffertio
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Als ich jung war, recht lange her, fiel mir auf, dass man in Filmen und Büchern so gut wie nie aufs Klo ging. Ich fragte damals, wieso eigentlich nicht. Inzwischen gibt es das öfters. Aber mir wurde bald klar, warum nicht. Es ist ja langweilig. Es trägt selten etwas zur Geschichte bei. Wir tun das alle jeden Tag ein paar Mal. Ähnlich ist es mit Sex, Essen, Putzen, Schlafen. Damit eine genaue lange Beschreibung dessen, was wir alle mehr oder weniger regelmäßig tun, in einer Geschichte. einem Roman einmal relevant, interessant  wird, muss es für die besondere Geschichte, die ich lesen will, relevant sein. Es interessiert mich ja bei Filmen und Romanen das Besondere, Einzigartige dessen, was erzählt wird. Da kann nun eine Putz- oder Sexszene durchaus aussagekräftig eingebaut werden, aber als allgemeine Methode der Charakterisierung, wie du das andenkst, Nayeli, kann ich mir das nur selten als effektiv vorstellen.
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zwima
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Beitrag30.04.2013 09:08

von zwima
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Nayeli Irkalla hat Folgendes geschrieben:


Auf dem Literaturmarkt gibt es sicher genug Erotisches und auch genug anderes, was nicht erotisch ist - aber ich mag es nicht, wenn da gewertet wird. Es gibt gute Krimis, es gibt schlechte Krimis. Es gibt gute Familienromane und schlechte Familienromane. Und es gibt eben auch gute und schlechte Erotikromane. Und einen guten Erotikroman zu schreiben ist in meinen Augen handwerklich nicht unbeingt leichter als einen guten Krimi zu schreiben. (Ob mir das dann gelingt, ist natürlich eine andere Sache - Anspruch und Wirklichkeit können ja durchaus divergieren)

Mir gefällt einfach nicht, dass mein Genre immer automatisch in die Ecke "Schund" geschoben wird und unterstellt wird, dass man dieses Genre nur bedient, weil man sich da davor drücken kann, "gute" Bücher zu schreiben, so lange nur genug nackte Haut hervorblitzt. So einfach ist es nämlich lange nicht. Man kann im Erotik-Bereich sogar versuchen, "E-Literatur" zu schreiben - hat da aber dann das gleiche Problem wie überall im Bereich "E", dass es sich einfach nicht so gut verkauft. Also muss man hier genau wie überall sonst nach einem Mittelweg zwischen Publikumsinteresse und eigenem Anspruch suchen. Und natürlich lässt sich über Geschmack auch nicht wirklich streiten.


Da unterschreibe ich vollinhaltlich. Nur ist es leider so, dass gerade in diesem Genre sehr, sehr viel Schund veröffentlicht wird. Gerne dann auch als KDP, oder im Selbstverlag. Und sich seitenweise über anatomische Besonderheiten auszulassen macht nuneinmal leider noch keine gute Geschichte. Ich habe mich schon oft gefragt, ob so viel schlechte Erotikbücher auf den Markt drängen, weil sich zu viele Autoren für "zu gut" halten, um gute Erotika uz schreiben.

Naja, erfahren werden wir es nie. Ich kann dich nur ermutigen, weiter an dem festzuhalten, was du gerne machst. Es gibt mit Sicherheit einen nicht zu unterschätzenden Markt für Erotika und nicht wenige Autoren verdienen sich unter Pseudonym dort ihre Brötchen, während sie sich dann unter dem Klarnamen mit "seriösen" Inhalten beschäftigen.

Ganz verstehen kann ich das auch nicht - muss ich aber auch nicht. Ich freu mich lieber jedes Mal darüber, wenn ich über ein Buch stolpere, dass gut gemachte Erotik mit interessanten, tiefgründigen Figuren und einer mitreißenden Handlung abseits der Sexualität  verbindet.


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suntime
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S
Beitrag30.04.2013 12:24

von suntime
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Ich stelle mir gerade Stirb langsam vor, in dem der Regisseur/Autor dem armen Bruce Willis ein paar Minuten gibt, in denen er eine Sexszene ausfüllen kann, nur weil jemand meint, das gehört so, das will der Leser so.

Ich persönlich würde, spätestens bei der Überarbeitung, in der ich alles raus werfe, was ich als überflüssig erachte, diese Szene streichen. Einzig, weil sie überflüssig ist und die Story nicht voranbringt.

Wo eine Sexszene hingehört und die Story fördert, da muss sie sogar sein, andernfalls gehört sie spätestens beim Überarbeiten in dieselbe Tonne, in der die Füllwörter landen.

Wie man eine Sexszene ins Leben ruft, ohne vulgär zu sein, das ist allerdings ein anderes Thema. Und da können die Anregungen von Nayeli Irkalla durchaus zu Verbesserungen beitragen.
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Miss Havisham
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Beitrag30.04.2013 16:19

von Miss Havisham
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DasProjekt hat Folgendes geschrieben:
50SoG hat einige der besten erotischen Szenen überhaupt zu bieten, das muss jetzt hier mal klipp und klar gesagt werden. Dass immer gleich auf diesem Buch rumgeritten werden muss, will mir einfach nicht in den Kopf. Wer bei der Thomas-Tallis-Szene nicht sofort nach dem Lesen youtube anwirft und das Musikstück sucht, dessen erotische Vorstellungskraft ist irgendwo in seinem langen und wahrscheinlich sehr ereignisreichen Leben verloren gegangen! So! (Alternativ kann man das Buch natürlich auch beladen mit Vorurteilen in die Hand nehmen und sowieso unempfänglich sein ...)



Man kann den sexistischen Drecksplot aber auch ganz einfach so scheiße finden, dass da keinerlei erotische Stimmung aufkommt. So.

Natürlich ist das sicher nicht das einzige miese "erotische" Buch, in dem Gewalt erotisiert wird, aber es ist das, mit dem man heute am meisten genervt wird.

Sex wird, genau wie Gewalt, dummerweise auch dann gelesen, wenn er mies geschrieben ist. Das sind wohl die Urtriebe die da durchkommen ... sicher kann man es auch besser machen, aber - und das ist das Problem - man kommt auch damit durch, wenn man es schlecht macht.


Ich finde nicht, dass in Büchern zu wenig Sexszenen vorkommen, aber man kann schon sagen, dass einige Autoren dem Thema mehr Aufmerksamkeit widmen sollten um diese Szenen besser schreiben zu können.
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Ruth
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Beitrag30.04.2013 20:28

von Ruth
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firstoffertio hat Folgendes geschrieben:
Als ich jung war, recht lange her, fiel mir auf, dass man in Filmen und Büchern so gut wie nie aufs Klo ging. Ich fragte damals, wieso eigentlich nicht. Inzwischen gibt es das öfters. Aber mir wurde bald klar, warum nicht. Es ist ja langweilig. Es trägt selten etwas zur Geschichte bei. Wir tun das alle jeden Tag ein paar Mal. Ähnlich ist es mit Sex, Essen, Putzen, Schlafen.

Lustig, mir ist es schon öfter passiert, dass ich einen Film gesehen und gedacht habe: Jetzt müssten sie aber mal was essen.
(Aber das könnte auch daran liegen, dass ich sehr oft an Essen denke.)
Aber Putzen ... braucht wirklich niemand auch noch in fiktionialer Form. Und Toilettengänge demontieren jeden Held.
Entschuldigung, OT ...
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Nayeli Irkalla
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Beitrag30.04.2013 20:47

von Nayeli Irkalla
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Dass man Szenen mit Putzen, Schlafen, Essen etc. prinzipiell und in jedem Fall nicht braucht, möchte ich hier jetzt auch mal nicht so stehen lassen, auch wenn das nicht mehr direkt auf das Ausgangsthema bezogen ist wink. Als retardierendes Moment können solche Szenen durchaus ihre Berechtigung haben, genauso als Möglichkeit zur Figurcharakterisierung. Auch hier wieder ein Beispiel bei Elizabeth George (die find ich einfach toll): Die Polizistin, die sich selbst immer von Fast Food ernährt, ist für eine Besprechung privat bei einer anderen Officer, die ihr großes Vorbild ist. Das Vorbild ist schlank, gutaussehend, perfekt gekleidet - und während die beiden in der Wohnung des Vorbildes etwas besprechen, macht sich das große Vorbild Joghurt mit Müsli und frischen Obst, was die Minderwertigkeitskomplexe der Polizistin wegen ihrem Fastfood-Konsum und ihrer gefühlten Unperfektheit noch verstärkt. Gleichzeitig wird in diesem Gespräch eine für den Kriminalfall notwendige Information vermittelt.

Essen-Zubereitungs-Szene hier also durchaus relevant für den Plot - und das müsste beim Kürzen garantiert genauso wenig gestrichen werden wie die von mir weiter oben beschriebene Sex-Szene, mit der eine männliche Figur in die Handlung eingeführt wird.

Ich habe angefangen, auf solche Dinge zu achten, seit meine Schreib-Sensei uns allen mal auftrug, eine Figur beim Kartoffeln schälen zu beschreiben. Eine Seite lang. Und dann haben wir die Szenen verglichen. Klar, ein ganzes Kapitel lang nur Kartoffeln schälen wäre langweilig. Aber solche "unspektakulären" Szenen sind bei längeren Textprojekten ebenfalls sehr wichtig, da man keinen Leser nur von Höhepunkt zu Höhepunkt hetzen lassen kann. Die Kunst liegt darin, zu entscheiden, an welchen Stellen man sie einsetzt, sie so zu schreiben, dass sie nicht langweilig sind, und sie an der richtigen Stelle wieder plotrelevant weiterzuführen.
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