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Sing das Nachtlied, Luzi - eine PsychoBurleske


 
 
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Sun Wukong
Geschlecht:männlichEselsohr
S

Alter: 44
Beiträge: 459

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S
Beitrag27.05.2009 18:43
Sing das Nachtlied, Luzi - eine PsychoBurleske
von Sun Wukong
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Hallo, hier ist der Beginn einer grotesken Komödie, mit der ich hauptsächlich zeigen möchte, wie es momentan Prosa-technisch um mich bestellt ist. Mein Ziel ist, bildhafte Geschichten schreiben zu können, die sich als unterhaltsames, mosaik-artiges Kopfkino lesen lassen. Meine Fragen wären: Funktioniert der Aufbau von Personen und Handlung in diesem Fall? Und mit den 7 Regeln gesprochen: welchen Puls hat es? Danke fürs lesen, Kea.

Sing das Nachtlied, Luzi

Der krokodilgroße Aktenvernichter schnappte nach meinen Schuhen. Er setzte an zu einem weiteren Sprung und stieß mich in den Staub. Wie oft hatten wir das jetzt schon durchgespielt? Doch zum ersten Mal sah ich in der kahlen Landschaft, nicht weit entfernt, einen Flecken Grün, bevor mich der Apparat schredderte. Am Morgen lag im Briefkasten die Einladung des Professors. Halb im Taumel der Traumbilder überflog ich seine vielversprechenden Zeilen am Frühstückstisch: Zeit für ein langes Wochenende!

Tage darauf stand ich vor der altmodischen Villa des Professors. Man zeigte mir das Gästezimmer. Ich breitete meine Unterlagen auf dem Sekretär aus und konnte gedämpfte Stimmen hören, die über den Ozean sprachen, über die Qualität verschiedener Meeresböden, über Korallen und marine Lebensformen. Aus anderen Zimmern kam das Spiel einer Harfe oder das Brausen eines Whirlpools. Nichts deutete auf das geniale Vorhaben des Professors hin.

Unzählige Schätze vergessen im Meer

Dr. Bruno Franks eckiges Gesicht füllte den Raum. Er nuckelte an einer Zigarre, wobei seine dicken Augenbrauen lustig wackelten und immer wieder weiße Kringel durch den Salon schwebten. Zwischen diese Kringel schoben sich die spitzen Lacher der Kassandra. Oh ja, sie kenne es auch, das Fleisch der geringelten Phantomforelle, seine aphrodisierende Wirkung, den wilden Appetit auf Wackelpudding, den man anschließend verspürte. Neben mir auf dem grünen Diwan mit seinen ausufernden floralen Schnitzereien saß Luzi Fandango gebeugt über meinen Handteller und las darin. Sie las gerne aus fremden Händen, hatte sie gesagt, selbst wenn die dazugehörigen Personen nicht an Schicksal glaubten. Langsam fuhr sie mit dem Zeigefinger all die Linien und Verästelungen ab. Zwischen Farnblättern schaute der Hauskater verstohlen in die Runde, trippelte zur Kassandra und rieb seinen schwarzen Buckel an ihrem massiven Bein.

"Sehen sie, wenn sie sich die Erdkruste als Kuchenboden und den Ozean als Gelee, gefüllt mit Rhabarber und Kirschen, vorstellen, kommen wir dem Kernpunkt schon sehr nahe.“, fuhr Dr. Frank fort, „Grundlage der Hydrologie bildet die Erforschung der Geleekonsistenz: wie von einer guten Bäckerin zu erwarten, sollte der Boden nicht durchsuppen.“ Ausführlich redete er anschließend „von der rauschenden und gurgelnden Kraft des Wassers", um dann in einer großen geschwungenen Bewegung seinen Flachmann von der Brusttasche an den Mund zu führen. Sid Wallace folgte all diesen Ausführungen mit kalter Miene vom Ledersessel aus. Er schien sowieso insgesamt ein eiskalter Typ zu sein. Manchmal glich sein Blick asiatischen Dolchen, die genau zwischen die Augen, ins Zentrum des Bewusstseins zielten, besonders wenn von Kuchen die Rede war.

Ein mächtiger Gongschlag ging durch die von Gummibäumen gesäumten Gänge und die Gesellschaft fand sich ein unter den Masken, Speeren und Muscheln des Speisesaals. Junge Bedienstete huschten umher mit silbernen Tabletts, auf denen frittierte Phantomforelle dampfte, als eine Tür am Nordende des Saals aufsprang: Professor Bakterius betrat den Raum.

Die Kassandra und Sid Wallace blickten beschämt auf ihren Mangosalat, während Dr. Frank dem vor Überschwang unglücklich über die Schwelle gestürzten Professor aufhalf. Jetzt klirrten die Gläser, wurde das anregende Wassertier zerteilt und verspeist. „Anhand meiner Forschungen mit den Effekten der Phantomforelle auf das Gehirn, möchte ich nun illustrieren, wie die Gedanken eines Menschen in Musik umgewandelt werden können.“, begann der Professor eine Rede über seinen Beitrag zum Weltfrieden. Alle hingen an seinen von Weisheit zerfurchten Lippen, doch der Kater lag bloß frech unter dem Tisch und leckte seine Pfoten, als sei nichts geschehen und selbst der gelehrteste Vortrag der Welt hätte ihn nicht aus dieser Ruhe bringen können.

Ihr roter Mund: Fleischrezepte

"Sag mir, dass Du es bist.", hörte ich mich später in dieser Nacht reden und "Achtung, der Kronleuchter!". Diese Worte waren offensichtlich an Luzi gerichtet. Wusste ich vor einigen Stunden lediglich, dass auch sie keine Erfahrungen mit psychotropen Fischen gemacht hatte, sah ich jetzt, wie Luzi an einer Schulbank zwischen Reihen von Klassenkameradinnen saß. Alle in rosa Pullis, alle beschäftigt, säuberlich die Kästchen in ihren Schreibblöcken auszufüllen bis ein Schachbrettmuster entstand. Sorgfältig achteten sie darauf, die Grenzen nicht zu übermalen. Es schien ein ganzes Heer von Mädchen in Rosa zu sein, die den Globus bevölkerten, ganz im Kästchenfüllen versunken. Bis die Schuluhr 12:15 schlug. Da packten sie alle ihre Schreibsachen in den Schulranzen und verließen den Raum um eine zu rauchen - ich fand mich wieder allein mit Luzi im Gästezimmer der Villa und sie hielt mir einen Löffel voll grünem Wackelpudding an den Mund. Phantomforelle!

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Matt Gambler
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Beitrag04.06.2009 13:43

von Matt Gambler
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Anfangs wollte ich dich nicht lesen, mir war dein Nick unangenehm. Hab bis jetzt gar nicht versucht in auszusprechen.

Aber deine Schreibe gefällt mir ziemlich gut! smile

Ein bisschen wirr, hier und da ist vielleicht ein Satz unnötig lang, aber das meiner Ansicht nach wichtigste Kriterium für einen Text hast du erfüllt:

Habs gern gelesen.

edit: Und bei den rosa Mädchen die Kästchen ausfüllen musste ich ganz ehrlich laut lachen. Ich kenn diese Mädchen nur zu gut.

edit2: Ich fand deine Titel ein wenig seltsam. So, jetzt wird aber nix mehr nachgebessert!

edit3: echt nicht.

lg

Matt Smile


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Ich will der Wind sein. Irgendwann.
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Sun Wukong
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S
Beitrag04.06.2009 17:22

von Sun Wukong
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Und nochmals Hallo, Matt! Da hab ich ja was angerichtet mit meinem Username. Dabei finde ich ihn eigentlich ganz hübsch und prägnant, wenn man ihn so ausspricht: keAla keKUa. Crying or Very sad

Sehr schön, dass Dich dieser tatsächlich etwas wirre Text unterhalten hat und danke für das Lob! Dahinter steckt eine Spielerei: ursprünglich hatte ich verschiedene Sätze von mir und aus dem I.net (z.b. Stichwort Hydrologie) von dieser Schneidemaschine zerschnipseln lassen. Dann hab ich ein paar interessante Sätze rausgegriffen, als roten Faden eine schöne B-Moviehandlung darüber gespannt und schließlich alles "mit Weichzeichner" überschrieben. Die Zwischentitel sind rohe Überreste dieser Zufallscollagen, eine [platte?] surrealistische Spielerei, die den Effekt haben soll, die üblichen Assoziationen zu den Wörtern aufzuheben.

Naja, eigentlich eindeutiger Trash, aber für mich mit dem Anspruch 'gut' erzählt zu werden. Wenn die ganze Story steht, fliegen auch noch einige der unpassenderen "Bilder" raus (aber die Kästchenmalerinnen bleiben dann schon mal drin!)
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Sun Wukong
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S
Beitrag10.06.2009 11:26

von Sun Wukong
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Hallo, ich hab die Geschichte mal weiter verfolgt und hier ist der nächste Teil. Hoffe, ihr könnt dem was abgewinnen! Grüße, Kea.

...sie hielt mir einen Löffel voll grünem Wackelpudding an den Mund. Phantomforelle! Später schlichen wir noch in die geheime Nachtbibliothek des Professors. Wir lasen uns gegenseitig Sartre oder vielleicht auch Simmel vor, während unter der gläsernen Kuppel der Villa Dr. Frank und die Kassandra die schönsten Volkslieder der Inuit anstimmten.

Im Schlaf rutschte ich dann tief in die Vergangenheit. Längst vergangene Farben und Gerüche zogen auf. Mit Moonboots stapfte ich durch Pfützen, betrat ein großes Haus, um über das Treppengeländer zu den bunten Prilblumen in Omis Küche zu rutschen. Ich schlich zur dunklen Diele mit der vergilbten Blümchentapete. Immer noch stand das schwere, ausgeleierte Sofa hier, auf dem ich so gerne wild herumgehüpft hatte. Nach alter Manier sprang ich darauf. 'Ratsch' riss die Bespannung des Sofas und darunter blitzte eine lange Leiste mahlender Stahlzähne auf: der Aktenvernichter! Mit einem zerschredderten Schrei erwachte ich pünktlich zum Kikeriki des Haushahns schweißgebadet an diesem wunderschön sonnigen Samstagmorgen.

Ein blauer Kimono

Im Konferenztisch steckte drohend ein asiatischer Dolch. Ich saß auf einem gekippten Stuhl, die Füße auf dem schweren Tisch und las in einer Zeitung. Es stand nichts von Bedeutung darin. Der Professor watete durch die überall verstreut liegenden, hastig ausgelöffelten Wackelpuddingbecher und besprach mit mir die ersten Ergebnisse. Wie bei allen Teilnehmern hatte am Morgen der Laborgehilfe meine Gehirnaktivitäten gemessen. Tatsächlich, ein starker Anschub im nichtsprachlichen Bereich zeichnete sich ab. Selbst bei Sid Wallace, den der Professor aufgrund seines völlig ungerührten Auftretens mit einer Einladung bedacht hatte. An erster Stelle der Skala stand Luzi. Diese Frau konnte wirklich stolz auf ihren Frontallappen sein! Nun sei er ganz dicht dran, die Formel zum Gedankenmusizieren zu finden, verriet mir Bakterius. Aber wir Testkarnickel sollten auf spontane Dissoziationen gefasst sein.

Vornehm knirschte der Kiesweg unter meinen Schritten. Luzi hatte sich noch eine Runde aufs Ohr gelegt und ich spazierte durch den Park des Anwesens. Im lauen Wind raschelten die Bambussträucher – oder war es das Rasseln von Säbeln? Ich setzte das Fernrohr an und suchte den Horizont ab. „Piraten an Steuerbord! Kanonen bereit!“ Eine Krähe stakste in der Mittagssonne durch die Wiese und konnte über diese Verwechslung nur krächzend den Kopf schütteln. „Alle Männer auf Deck! Klar zum Gefecht!“ Ein Butler half mir später ohne lästige Fragen aus dem Pool. Wieder trocken eingekleidet, traf ich im Salon auf Dr. Frank und die Kassandra. Sie wollten gerade auf die Freiheit der Gedanken anstoßen. Als unsere Kelche sich berührten, formten unsere gespreizten kleinen Finger ein perfektes Dreieck.

Von meinem Mund führte ein massives Bein über einen Leib zu einem Gesicht. So zumindest stellte sich mir die Lage im mittlerweile zerbrochenen Wandspiegel des Salons mehrfach dar. In diesem Gesicht hing ein verschmiertes Lächeln und aus einer Flasche Rum rann ein stetes scharfes Flüsslein über den Leib, das Bein herab bis zu den Zehen zurück in meinen Mund. Darüber schauten die zwei Abgründe der Nasenlöcher Kassandras tief in mich hinein. Dr. Frank hielt derweil einen eindrucksvollen Vortrag in fremden Zungen, als ein zarter Umriss an der Türschwelle erschien. Luzis Gesicht zog sich zusammen wie eine Schnecke, die sich auf einen Salzleckstein verirrt hatte.

Wenn man ganz leise gewesen wäre, hätte man das sachte Gluckern der Drüsen hören können, das langsame Quellen heißen Wassers aus dem rosa Fleisch neben dem Weiß des Auges, bis über Luzis kohlschwarzem Lidstrich ein glänzender Tropfen anschwoll. Gebannt ließen wir alles stehen und liegen; gespannt, wie lange die bröcklige Schwärze noch standhielt. Krachend brach zuerst die Kruste aus Schlafsand. Dann rissen tosend alle Dämme. Der Flug der dampfenden Träne wurde um ein Vielfaches auf unsere Augenrückwände gespiegelt. Mit fataler Konsequenz zerschlug die erkaltete Träne auf der polierten Oberfläche der Kommode. Was hatte ich bloß angestellt?

Gestrüpp. Leerstelle.

Meine Füße standen in einer Lache kalten Bluts. Der Gehilfe zur Messung der Gehirnaktivitäten lag erschlagen auf dem Boden des Labors. Der Täter hatte es wahrscheinlich auf die Messergebnisse abgesehen und dieser arme Vogel war ihm in die Quere gekommen. Man ließ einen Inspektor rufen, der für Klarheit sorgen sollte. Gegen Abend fand sich ein anonymes Bekennerschreiben. Es war unter das Sofa gerutscht und mit Wackelpudding bekleckert: „Schminken sie sich die Freiheit der Gedanken ab!“, war alles, was darauf zu lesen war. Bakterius bestand trotzdem darauf, die Testreihe fortzusetzen. Während meinen beruflichen Beschäftigungen mit fremden Kulturen hatte ich schon einige bizarre Situationen erlebt. Diese hier war, wie es in Fachkreisen hieß, „so Mittel“.
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Matt Gambler
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Beitrag10.06.2009 17:54

von Matt Gambler
Antworten mit Zitat

Keine Ahnung warum, aber ich finds nach wie vor irgendwie... Puh... Bitte frag mich nicht warum, aber ich mag es sehr, obwohl es obejktiv betrachtet eigentlich.... Pff... Keine Ahnung. Jenseits von Gut und Böse.

Ich werd mich auf sprachliche Schnitzer beschränken.

Zitat:
auf dem ich so gerne wild herumgehüpft hatte


ich habe gehüpft? Ich bin gehüpft? Keine Ahnung, wieder eine Falte mehr auf meiner Stirn.


Zitat:
Alle Männer auf Deck! Klar zum Gefecht!


Heißt es nicht "Alle Männer an Deck"?


Zitat:
Krachend brach zuerst die Kruste aus Schlafsand. Dann rissen tosend alle Dämme.


Ich weiß, wenn man die Dämme auch noch brechen lässt, gibts da eine Wortwiderholung, aber sie reißen zu lassen find ich auch nicht so gut. An sich find ich die Formulierung, bzw diese sehr kurze Szene ziemlich gut, nur die reißenden Dämme gefallen mir nicht.
Ist wohl Geschmackssache.

Zitat:
Mit fataler Konsequenz zerschlug die erkaltete Träne auf der polierten Oberfläche der Kommode.
...auf.

So viel von mir, Genehmigung zum Weitermachen wurde erteilt.

greez

matt


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Sun Wukong
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S
Beitrag11.06.2009 21:23

von Sun Wukong
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Howdy! "Jenseits von Gut und Böse" trifft ziemlich gut, womit ich versuche, Komik zu erzeugen. Handlung und Collage sollten sich die Waage halten, hauptsache, dass das beim Lesen ähnlich Spaß macht, wie beim Schreiben. Freut mich, dass es bei Dir bis jetzt geklappt hat (Rap-Halblinge sind für mich übrigens auch schon ziemlich starker Tobak! Smile  )

Ein paar Wortwiederholungen sind mir jetzt auch aufgefallen, hatte kurz vorm Reinstellen noch ein bisschen gekürzt. Danke also nochmal für Deinen Kommentar und die Anmerkungen; werde am dritten und letzten Teil feilen und schauen, ob sich die Geschehnisse zu einem Ganzen zusammenfügen...

Grüße, Kealakekua.
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Sun Wukong
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Alter: 44
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S
Beitrag14.06.2009 14:22

von Sun Wukong
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Hey Matt (und alle anderen Mitleser), hier ist der letzte, etwas längere Teil. Ich hab lange keine Geschichte mehr abgeschlossen, dafür allein hat sich die Anmeldung schon mal gelohnt. Als Ösi kennst Du vielleicht den berühmten Kommissar Kottan? Wenn nicht, lerne ihn mal kennen (Youtube...), danach dürfte Dich wenig wundern!

Von wuchtigen, wie mit der Axt gemalten Leibwächtern wurde die Kassandra in einer Sänfte an den gedeckten Abendtisch getragen. Dann stellten sich die Riesen mit verschränkten Armen um den Tisch und schauten finster in die Runde, den Götzen der Osterinseln nicht unähnlich. Wir standen alle unter Verdacht - zu Recht, wie ich mir eingestehen musste. Luzi blieb an diesem Abend auf ihrem Zimmer. Seit dem Vorfall im Salon hatte ich sie nicht mehr gesehen. Doch der nervlich strapazierte Professor nahm sich ihrer Portion Forelle gerne an. Nach einem schweigsamen Dinner wurde ausgelost, wer zur Tankstelle fährt, um neuen Wackelpudding aufzutreiben.

Vor meiner Tür stand wie vor jedem Gästezimmer einer der grobschlächtigen Götzen Kassandras Wache. Ich warf mich aufs Bett. Bald füllte sich der Raum erst blass, dann kräftiger mit fremden Frauen und Männern, die grobgewebte, zu Röcken gewickelte Decken trugen. Gemeinsam saß man in sternenlosem Ödland um ein Feuer. Einige der Frauen schmückten sich festlich, indem sie ihre Haare mit weißem Hammelfett belegten. Als sich aus der Ferne wieder das krokodilartige Rattern näherte, ging ein Raunen durch die Gruppe. Ein älterer Mann schaute mir eine lange Zeit zustimmend durch die Flammen in die Augen, dann hob er die Faust vor seine Brust und öffnete die Lippen: „Tschakka!“

Ich sauste unter schwarzen Himmel eine steile Düne hinab, hinter mir das ewige Schreddern, das mich seit der Absage des Instituts verfolgte. Am Fuß der Düne raschelte es um meine Füße. Den grünen Flecken in der Öde hatte ich jetzt erreicht, aber wie weiter? Farne wucherten dicht um dicht. Fast stolperte ich über eine Wurzel. Als ich mich umdrehte, sah ich direkt in den nimmersatten Schlund. Dann sprang es mich an. Ich ließ mich fallen und über mir zerschellte die Maschine am Baumstumpf, vor den ich mich geistesgegenwärtig gestellt hatte. Metallteilchen regneten auf mich nieder. Lametta, nein, Quecksilber begoss mich. Ein Blitzschlag brach die Grenzen zwischen meinen Gedanken auf. Alles war Sprache, war Signal, das seit ich denken konnte durch meinen Kopf raste und es hatte einen Ursprung: Luzi! Ehrlich gesagt, war das ziemlich der Hammer.

Aloha Ohé - Les Temps Passé


Sonntag. Eine Feder, ein Tintenfass und einige Bögen Schreibpapier lagen vor mir auf dem Nussbaumsekretär. Ich schrieb etwas auf, was mir in diesem Moment äußerst wichtig erschien.
"In übergroßer Jacke und Regenbogenstiefeln stürzt Du auf mich zu, wir umarmen uns mit kleinen Ärmchen und geben uns einen Nasenkuss. Kurz darauf ziehen Deine Eltern um. Vielleicht war es auch nur ein Mädchen, das Dir ähnlich war. Oder eine Phantasie, aus vielen Gesichtern zusammengesetzt, die ich auf der Straße, im Fernsehen, auf Fotos gesehen hatte. Es wird keinem an der Wiege gesungen, was künftig aus ihm wird. Auch nicht, ob es die namenlose Sandkastenliebe ist, die einem Jahre später aus der Hand liest.
So long, Luzi
Prajit Bakshi“

Gefaltet steckte ich den Bogen in einen Umschlag und schob den Brief unter Luzis Zimmertüre durch. Leise hörte ich sie singen, ein Lied über das Träumen, über Mut und Misserfolg, doch ich wagte nicht zu klopfen.

Im Labor konnte ich lange auf meine Gehirnmessung warten. Der Herr Professor schlief wohl noch seinen Rausch aus. Plötzlich schrie jemand bestialisch aus Richtung seines Schlafzimmers. Dort angekommen, klickten die Handschellen. Mit einer blutverkrusteten Brechstange war Sid Wallace durch das Fenster des noch selig schlafenden Bakterius eingebrochen. Doch hatte er dabei den unter dem Fenster tapsenden Schwanz des Hauskaters übersehen. Der Inspektor warf jetzt einen prüfenden Blick auf den wortkargen Wallace und zog ihm zur Überraschung aller die Maske vom Kopf. „Marta!“, keuchte der dem Tod von der Schippe gesprungene Professor. Richtig, es war seine frühere Ehefrau, von ihrem militanten Hass auf Befürworter des freien Willens zum Äußersten getrieben. „Und ich wäre damit durchgekommen, wenn nicht der dumme Kater gewesen wäre!“, hörte man sie noch, bevor der Inspektor Marta B. abführte.

Jubelnd spielte das Orchester in der Konzertmuschel des Anwesens auf. Zwischen den Paukenschlägen, Blumen und Posaunen schütteten Luzi und ich uns unsere Herzen aus. Sie wollte gar nicht mehr aufhören zu reden und ich wollte auch gar nicht mehr aufhören ihr zuzuhören. Wörter und Sätze purzelten aus Luzi heraus über ihre gemeinsame Nacht mit der Kassandra, wie befreiend das alles für sie war, wie sehr sie sich über meinen Brief gefreut hatte, und dass es jetzt langsam aber auch mal gut sei mit dem Gerede. Dann ertranken wir in Küssen, Küssen, Küssen.

Mit einer zuckenden Wünschelrute in der Hand stolperte der unverbesserliche Bruno Frank durch die Feierlichkeiten. Neugierig folgten wir ihm alle durch den Hauseingang in den Keller. Die Rute schlug immer stärker aus. Hinter einer Geheimtür, die der Professor fast vergessen hatte, führte ein modriger Tunnel hinab zu einer Grotte. Ein hallendes Plätschern war zu hören. Irgendwo weiter unten müsse sich vor kurzem eine neue Quelle aufgetan haben, erklärte der Doktor. Vermutlich war über Nacht der letzte Stein, der im Weg gestanden hatte, endgültig zerbröckelt. Und wie rasant es aus der Quelle sprudelte: jetzt schwappte uns das kühle Wasser schon an die Schuhe. Wir schauten uns alle mit dem selben Blick an: Nichts wie raus! Als wir durch die Empfangshalle ins Freie rannten, rauschte das Hochwasser bereits in den Salon. Durch matschigen Rasen flüchteten wir zum Orchester in die Muschel, die jetzt wie eine Schale auf der ansteigenden Wasseroberfläche lag. Dann riss es die Villa in die Tiefe. Wir aber trieben in der Konzertmuschel leicht auf schäumenden Wellen dem Horizont entgegen. Begleitet vom Orchester und dem Kater sang die Kassandra glockenhell „Time to say Goodbye“ in die Meeresdämmerung. Bakterius, Dr. Frank, Luzi und ich rückten zusammen in Freude und Ehrfurcht. So endete die Forellenkonferenz. Aus. Vorbei. Auch das schönste Wochenende muss einmal dem Beginn einer neuen Woche Platz machen.

Epilog

Die Erforschung der geringelten Phantomforelle wurde um Jahre zurückgeworfen. Alle Aufzeichnungen über die Formel zum Gedankenmusizieren liegen unlesbar auf dem Meeresboden, von Seetang umwuchert. Doch hat der Professor in seiner Zweitvilla bereits dutzende neue, verrückte Ideen auf der Pfanne. Und was Luzi und mich betrifft: Wir experimentieren mit Erfolg an anderen Methoden, unsere Gehirne endlich jenseits der Sprachen, Ketten und Korsetts miteinander singen zu lassen.
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JonathanFabrizius
Gänsefüßchen
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Beiträge: 27



J
Beitrag15.06.2009 23:17

von JonathanFabrizius
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Was soll ich sagen? Geil! Geil! Geil!
Super Idee und Figuren, Handlung wie in jeder guten Geschichte ziemlich egal und die Sprache ist aber mal allererste Sahne.

Die Auflösung mit der Ehefrau (die ja eine Art "Pointe" darstellt) geht etwas unter im ganzen Wirrwarr, aber mich stört das nicht.

Ein LSD-Trip in niedlich, dürfte nicht länger sein, aber ich würde auch nix kürzen.

Und auf diese zwei Sätze bin ich regelrecht neidisch!
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Während meinen beruflichen Beschäftigungen mit fremden Kulturen hatte ich schon einige bizarre Situationen erlebt. Diese hier war, wie es in Fachkreisen hieß, „so Mittel“.
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Aus irgendwelchen Gründen, habe ich jetzt Lust "The Life Aquatic with Steve Zissou" von Wes Anderson zu gucken...

Grüße!

JF
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Sun Wukong
Geschlecht:männlichEselsohr
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Alter: 44
Beiträge: 459

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S
Beitrag16.06.2009 16:34

von Sun Wukong
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Danke, Jonathan, freut mich sehr, dass Du Dich so zufrieden durch den Textberg gelesen hast!

Genau, Handlung ist zweitrangig und an erster Stelle stand der Versuch einer naiven Hommage an Screwballkomödie und Surrealismus.

Deinen zwei 'Lieblingsätzen' zufolge scheinen wir ein ähnliches Interesse an Komik (und betreffend Deiner Traumszene an Phantastik) zu haben. Habe beim Schreiben aber gemerkt, dass ich da noch sehr kurzatmig bin. Ist wohl eine Frage der Übung, bis man weitflächigere, detailliertere Szenarien entwerfen und niederschreiben kann, also bis man länger 'tauchen' kann.

Und "the life aquatic" kannte ich noch gar nicht, aber wie mir die IMDB verrät, muss das eine sehr unterhaltsame Unterwasser-Groteske sein, sogar mit Bill Murray. Werde ich mir anschauen!

Hydrophile Grüße, Kealakekua!
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JonathanFabrizius
Gänsefüßchen
J


Beiträge: 27



J
Beitrag16.06.2009 16:58

von JonathanFabrizius
Antworten mit Zitat

Hier, hau rein:

http://www.youtube.com/watch?v=aZVxCNwBqXI
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