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Deutsch lernen im Lateinunterricht.

 
 
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PhilipS
Geschlecht:männlichLeseratte


Beiträge: 109



Beitrag07.03.2018 14:02
Deutsch lernen im Lateinunterricht.
von PhilipS
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Carl Zuckmayer hat Folgendes geschrieben:
Wer einmal, wenn auch widerstrebend, lateinische Grammatik und Syntax gelernt hat, wird sein Leben lang wissen, was Konstruktion, Bau, Klarheit einer Sprache, des menschlichen Sprachausdrucks überhaupt bedeutet [...].
(Aus: Als wär's ein Stück von mir. Horen der Freundschaft. 1. Aufl., Suhrkamp, Frankfurt a. M., 1966.)

Karl Kraus hat Folgendes geschrieben:
Verfehlt ist nur der Unterricht in der deutschen Sprache. Aber dafür lernt man sie durch das Lateinische, das noch diesen besonderen Wert hat. Wer gute deutsche Aufsätze macht, wird ein deutscher Kommis. Wer schlechte macht und dafür im Lateinischen besteht, wird vielleicht ein deutscher Schriftsteller.
(Genaue Stelle mir nicht bekannt, vermutlich in den Aphorismen.)

Ich selber hatte von der 5. Klasse bis zum Abitur in der 13. Latein, die letzten beiden Jahre als Leistungskurs. In meiner persönlichen Erfahrung sehe ich vor allem Zuckmayers Worte bestätigt. Ich habe in Latein Phänomene der Grammatik kennen gelernt, die erst ein Jahr später in Deutsch unterrichtet wurden. Ich habe durch die Notwendigkeit, unter mehreren möglichen Übersetzungen eine passende auszuwählen, mein Vokabular erweitert. Das Knobeln an langen, verschlungenen Sätzen von Cicero und anderen mit dem Aufspüren von aufeinander bezogenen Worten, die teilweise weit voneinander entfernt stehen hat mir die Möglichkeiten und Grenzen der Syntax gezeigt. Ich habe viel über verschiedenste Pronomina, Richtungs- und Ortsangaben den Gebrauch des Konjunktiv und noch viel mehr gelernt. Alles in allem glaube ich, dass mein Stil anders, vielleicht schlechter wäre, hätte ich nicht Latein gelernt. Gibt es hier Leute mit Lateinerfahrung? Wie würdet Ihr den Einfluss des Lateinunterrichts auf Euer Schreiben einschätzen?


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kioto
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Alter: 71
Beiträge: 442
Wohnort: Rendsburg


Beitrag07.03.2018 16:47

von kioto
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Hallo PhilipS,

Die von dir geschilderte exakte Sprachanalyse im Lateinunterricht hilft natürlich, besser auf Grammatikregeln zu achten.
Ich selber habe nur das kleine Latinum und wurde  mit den "Commentarii de bello gallico" gequält, die unseren Lehrer regelmäßig zu Begeisterungsstürmen über die klugen Strategien Caesars hinrissen. Ich fand eher, Caesar war ein hinterlistiger Kriegstreiber, wenn er Germanenstämmen freies Geleit anbot und dann ihre Häuptlinge abmurksen ließ. Egal.
Da Deutsch ja eigentlich keine romanische Sprache ist, ist der Nutzen für Italiener oder Spanier wahrscheinlich größer, aber wer will schon Zuckmayer oder Kraus widersprechen?

Gruß Werner


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Stanislav Lem: Literatur versucht, gewöhnliche Dinge ungewöhnlich zu beschreiben, man erfährt fast alles über fast nichts.
Phantastik beschreibt ungewöhnliche Dinge (leider m.M.) meist gewöhnlich, man erfährt fast nicht über fast alles.

Gruß, Werner am NO-Kanal
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PhilipS
Geschlecht:männlichLeseratte


Beiträge: 109



Beitrag07.03.2018 17:35

von PhilipS
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo kioto,
mir ging es gar nicht um den Inhalt der Latein-Lektüre. Ich selber halte auch nicht viel von Cäsars Feldzügen. Ich denke aber, dass die Praxis des Übersetzens im Lateinunterricht mit der Herausforderung, den Text möglichst präzise wiederzugeben, aber trotzdem gutes Deutsch zu schreiben, Ausdruck und Sprachgefühl schult.


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RememberDecember59
Geschlecht:weiblichKlammeraffe


Beiträge: 507
Wohnort: Franken


Beitrag07.03.2018 19:15

von RememberDecember59
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Hallo PhilippS,
ich war auf einem humanistischen Gymnasium, hatte sieben Jahre Latein (ebenfalls ab der 5., aber dann nach der 11. abgewählt Wink ) und später dann noch drei Jahre Altgriechisch, deshalb melde ich mich mal zu Wort.

Ich schließe mich an, was die Grammatik angeht. Wahrscheinlich alles, was ich da weiß, habe ich aus dem Lateinunterricht. Allerdings denke ich (ist nur eine Vermutung), dass die Lehrpläne an humanistischen Gymnasien auch entsprechend angepasst sind. Wir haben uns in Deutsch gar nicht explizit mit Grammatikregeln beschäftigt, weil das im Lateinunterricht stattgefunden hat. Doppelt braucht man’s ja nicht. An anderen Schulen dürfte der Deutschunterricht deshalb anders ausgesehen haben. Wie viel Wert da auf Grammatik gelegt wird, kann ich nicht sagen.

Dass der Lateinunterricht sich auf meinen Schreibstil ausgewirkt hat, bezweifle ich aber. Denn bei uns ging es damals absolut nicht darum, schönes Deutsch in der Übersetzung hinzukriegen. Es musste nur grammatikalisch richtig sein. Das Vokabular, das verwendet wurde, ist auch nicht das, was ich heute beim Schreiben gebrauchen könnte. Vielleicht gibt es einen Einfluss aufs allgemeine „Sprachgefühl“. Aber ich glaube, dass der Schreibstil durch andere Dinge wesentlich stärker beeinflusst wird. Meiner z.B. ist eher dadurch besser geworden (und diese Entwicklung ist hoffentlich noch nicht am Ende…), dass ich sehr viel gelesen, mich mit Texten beschäftigt und selbst geschrieben habe. Dafür hätte ich Latein nicht gebraucht.

Naja, geschadet hat es mir sicher auch nicht. Wink


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Arcularius
Geschlecht:männlichEselsohr
A


Beiträge: 202



A
Beitrag09.03.2018 10:14

von Arcularius
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Den vorangegangenen Meinungen kann ich mich nur anschließen: Hinsichtlich der Grammatik waren Latein und Alt-Griechisch wesentlich zielführender als der Deutschunterricht.

Letzterer kränkelt aus meiner Sicht aber auch noch an anderen Ecken. Wir haben dort nie gelernt, WIE man einen guten Text schreibt. Stattdessen haben wir Jahr um Jahr damit verbracht, den Erschaffern von Prosatexten (natürlich hauptsächlich Drama, Tod und nochmals Drama), Gedichten und Bildern irgendwelche Interpretationen aufzudrängen und festzulegen, was sie / er sich beim Schreiben oder Malen dabei gedacht hat. Die inhaltliche Auseinandersetzung ist wichtig, aber ich hätte mir gewünscht, dass man uns in der Schule auch das richtige Handwerkszeug für gute Texte in den "Rucksack des Lebens" packt.

Fazit: Latein und Alt-Griechisch ist für das Handwerkszeug Grammatik äußerst hilfreich und der Deutschunterricht hinsichtlich der Produktion guter Texte deutlich ausbaubar.
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i-Punkt
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Beitrag14.03.2018 09:14

von i-Punkt
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Ich kann gar nicht so oft "Gefällt mir" drücken, wie ich das möchte! Achso, ich kann es hier nicht ein einziges Mal. Aber ich finde, dass man tatsächlich ein Grammatik-Wissen und Grundgerüst mit bekommt, dass auch das Erlernen weiterer Fremdsprachen erleichtert.

Außerdem schult es still und heimlich auch analytisches Denken und eine Herangehensweise an Probleme. Während in den modernen Fremdsprachen ja meist eher mit dem Erfassen ganzer kleiner Konversationen begonnen wird, hieß es bei komplexeren lateinischen Konstrukten: Suche dir den Anfang vom Knäuel (das Prädikat) und dann Stück für Stück die Ergänzungen. Ich denke schon, dass das sich auch auf andere Problemstellungen übertragen lässt. Mein damaliger Lateinlehrer - damals auch begeistert von der zumindest für die große Mehrheit der Bevölkerung noch neuen Computerwelt - meinte, die modernen Fremdsprachen sind schöne, hilfreiche und wundervolle Zusatzprogramme. Aber Latein! Das ist das Betriebssystem. Wink

Hinzu kommt für mich, dass im Lateinunterricht neben der Sprache unendlich viel über ein antikes Weltbild, die Mythologie und Geschichte vermittelt wurde. Bei meinen Kindern, die nicht die Möglichkeit hatten Latein zu lernen, frage ich mich manchmal, wie sie den Hintergrund bekommen können, um viele Werke auch der klassischen Literatur zu erfassen.

Ja, ich bin wirklich unendlich traurig, dass es immer weniger Lateinklassen gibt und geben wird. Viele Schüler und Eltern wollen lieber sofort und offensichtlich auf dem Arbeitsmarkt Nutzbares lernen: Programmieren und Chinesisch schon im Kindergarten, Business-English, ... Dabei finde ich es gerade angesichts der teilweise rasanten Entwicklungen und der Flut an Informationen, die ja oft viel leichter zugänglich sind als zu meiner Schulzeit - dafür aber auch von jedem leichter zu verbreiten, sinnvoller zu lernen, wie und wo man Informationen bekommt und be- und verwertet. Da ist das klare und strukturierte Lateingerüst als Hirntraining eine größere Hilfe, als irgendein Spezialwissen, das vielleicht demnächst überholt ist.


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Schreiben ist einfach, man setzt sich nur hin, starrt auf ein weißes Blatt Papier, bis sich Blutstropfen auf der Stirn bilden.
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Abari
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Der bronzene Durchblick


Beitrag14.03.2018 14:27

von Abari
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Hey,

ich hatte Latein in der Uni belegt, vorher nur bruchstückhaft mitbekommen und mich aufs gute Deutsche verlegt. Sprachadel ist mE nicht von der lateinischen Sprache abhängig, aber sie hilft, Dinge zu verstehen. ZB. warum manche (auch ich) auf der Postposition und Genitivkonstruktion mit "wegen" beharren. Aber das kam nicht aus dem Latein, sondern der Liebe zur deutschen (Hoch-)Sprache. Natürlich beeinflusste das Latein das Bildungsbürgertum bis Anfang 1900 maßgeblich, ebenso als Universitätssprache, und damit letztlich die deutsche Hochsprache. Dennoch bleibt die letztere etwas völlig eigenständiges. Denn im Gegensatz zum Latein vermag das Deutsche Einflüsse aufzunehmen und abzugeben, was eben nur lebendige Sprachen können. Und das Deutsche folgt ganz anderen Gesetzen als Latein. Nachweislich ist schon lange "wegen dem" im Gebrauch gewesen und es gibt nicht wenige Schriftsteller, die sich darüber immer wieder lustig gemacht haben.

Ich glaube, es hätte Sinn, darüber nachzudenken, wie stark das Lateinische mit seinen festen Konstruktionen das Intelektuellendeutsch beeinflusst hat und wie stark letztlich die Auswirkungen auf die Volkssprache waren. Genauso stark ist heutzutage die Kraft der englischen Sprache einzuschätzen, so wie es im 18. Jhdt. französisch war. Da gibt es auch Fehlkonstruktionen, die stillschweigend übernommen werden: "macht Sinn" zB. - das hat im Deutschen keinen. Genauso bleibt für mich "erinnern" ein dreiwertige Verb, was aber gerade in den bildungssprachlichen Kreisen zu einem zweiwertigen umgebaut wird. Aber wenn wir so anfangen, müssen wir alle Sprachen, aus denen das Deutsche in seiner (nachweisbaren) Entwicklung Kraft und Zustrom bezogen hat, auseinander differenzieren und prüfen, wo wir danach heraus gekommmen sind. Denn die Trilogie der toten Sprachen, die an deutschen Unis gelehrt wird, heißt immer noch griechisch - latein - hebräisch (wobei die nachweisbare Kraft des Hebräischen eher gering ist, weil es erstens einen sehr kleinen Wortschatz hat, zweitens sich auf theologische Schriften beschränkt und drittens eher Grundstock für semitische Sprachen darstellt).

Ich verstehe diese Präferenz des Latein nicht ganz. Das kommt mir ein bisschen wie sprachliche Eingleisigkeit vor. Nur weil wir Deutschen gerne Dinge aus anderen Sprachen nachbilden und in die eigene aufnehmen, heißt das für mich noch nicht, dass sich daraus ein Bildungsstandard ableiten ließe. Ich finde das Latein schön und wert zu lernen, aber rückwirkend daraus einen Anspruch für Schriftsteller abzuleiten, geht mir persönlich zu weit. Zumal es eine tote Sprache ist, die mit ihren Gesetzen leichter zu goutieren ist als andere. Sie ist eben "fertig"; andere Sprachen sind es nicht. Wie man an mir sieht, kann man auch einen hohen Standard im Sprachgebrauch erreichen, ohne jemals das Latinum gemacht zu haben. Denn für wirkliche Sprachbildung war es bei mir zu spät, als ich an die Uni ging. Und seltsamerweise strotzen die Klassiker, die ja das Latinum und Graecum zum Erbrechen studiert haben, nicht von lateinischen Wörtern, sondern von gelernten und ausgewählten Konstruktiontn der deutschen Hochsprache, wie sie Luther und andere geprägt haben und wie sie sich dann kontinuirlich weiterentwickelte. Genauso wenig nehmen sie die Modesprachen ihrer Zeit auf, sondern bleiben der deutschen Sprache, so wie sie ist, treu.

Das Geheimnis liegt wahrscheinlich darin, dass im Lateinunterricht über eine Sprache nachgesonnen wird, die weit genug weg von deutschen Sprachgesetzen ist, um den Geist zu schulen, aber als indogermanische nah genug heran, um noch verständlich zu bleiben. Die Deklination und Konjugation beweisen es. Da entfallen Artikel und Pronomen, aber die "Mechanik" der Sprache bleibt die gleiche (ganz im Gegensatz zu semitischen Sprachen). Witzigerweise galt den alten Lateinern ja das Griechische als Bildungssprache und es wäre sinnvoll zu untersuchen, inwiefern diese Präferenz sich auf die lateinische Hochsprache ausgewirkt hat.

Ich glaube, man zwischen Einflussnahme und Realisation unterscheiden. Will man wirklich zum Volke als LeserInnen zurück, gilt es, ganz lutherisch "ihm aufs Maul zu schauen" und im zweiten Schritt mit dem ganzen humanistischen Hintergrund daraus eine neue Hochsprache für sich zu formen, so das überhaupt geht. Die lateinische Sprache als die Matrix fürs Deutsche zu eruieren halte ich für einen Irrweg, weil doch schon die grammatikalischen Grundsätze völlig verschiedene sind. Sie als Kraftquell und Hilfe zu betrachten finde ich hingegen als sehr hilfreich, weil sich doch bestimmte Gesetzmäßigkeiten übertragen und dem Deutschen anpassen lassen. Wie genannte "wegen"-Konstruktionen, die mMn papierne Konstrukte sind, die es im Laufe der Zeit einfach in die Umgangssprache geschafft haben, weil sie immer wieder von "Bildungsbürgern" korrigiert und ins Recht gesetzt wurden. Ansonsten wäre der deutsche Genitiv schon längst ausgestorben, glaube ich. Die Menschen sprechen einfach nicht so.


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PhilipS
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Beitrag14.03.2018 15:51

von PhilipS
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Zitat:
Ich verstehe diese Präferenz des Latein nicht ganz. Das kommt mir ein bisschen wie sprachliche Eingleisigkeit vor. Nur weil wir Deutschen gerne Dinge aus anderen Sprachen nachbilden und in die eigene aufnehmen, heißt das für mich noch nicht, dass sich daraus ein Bildungsstandard ableiten ließe. Ich finde das Latein schön und wert zu lernen, aber rückwirkend daraus einen Anspruch für Schriftsteller abzuleiten, geht mir persönlich zu weit. Zumal es eine tote Sprache ist, die mit ihren Gesetzen leichter zu goutieren ist als andere. Sie ist eben "fertig"; andere Sprachen sind es nicht. Wie man an mir sieht, kann man auch einen hohen Standard im Sprachgebrauch erreichen, ohne jemals das Latinum gemacht zu haben.


Hallo Abari,

mir scheint, Du pumpst die Position der Latein-Enthusiasten zu etwas auf, das sie nie sein wollte. Zumindest mir - und, wie ich die Äußerungen der anderen verstehe auch ihnen - ging es nie darum zu sagen, dass erst das Lateinische ein gutes Deutsch ermöglicht. Das würde ich nie behaupten, weil ich es für absurd halte. Der Post, mit dem ich dieses Thread eröffnet habe, sollte eine Einladung an alle sein, die Latein gelernt haben, darüber zu reflektieren, inwiefern die Beschäftigung mit Latein und die Übersetzungsarbeit ihr Gefühl für und den Umgang mit der deutschen Sprache beeinflusst haben. Wie man das als "sprachliche Eingleisigkeit" auffassen kann, ist mir nicht ersichtlich.


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Abari
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Beitrag14.03.2018 18:22

von Abari
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PhilipS hat Folgendes geschrieben:
Zumindest mir - und, wie ich die Äußerungen der anderen verstehe auch ihnen - ging es nie darum zu sagen, dass erst das Lateinische ein gutes Deutsch ermöglicht. Das würde ich nie behaupten, weil ich es für absurd halte. Der Post, mit dem ich dieses Thread eröffnet habe, sollte eine Einladung an alle sein, die Latein gelernt haben, darüber zu reflektieren, inwiefern die Beschäftigung mit Latein und die Übersetzungsarbeit ihr Gefühl für und den Umgang mit der deutschen Sprache beeinflusst haben.


Hmm. Allerdings eröffnete in meinem Verständnis hier vielen das Lateinische den Zugang zur deutschen Grammatik, was ich für mich persönlich so nicht unterschreiben kann. Ich habe es nicht gebraucht und die Grammatik dennoch hinreichend verstanden, um einen "guten" Text verfassen zu können. Dass ich dabei irgendwem unterstellt haben sollte, Latein als Grundlage eines guten Deutschs zu erfassen, will mir wiederum nicht in den Kopf. Wenn es so wirken sein sollte, tut es mir aufrichtig leid. Ich sehe aber dennoch eine Tendenz, und die zu widerlegen, darauf kam es mir an. Eine Bevorzugung des Lateinunterrichtes beispielsweise, der so viele Möglichkeiten zum Verständnis der eigenen Grammatik berge. Sicher wird die intensive Auseinandersetzung mit einer anderen alten Sprache (ich lasse an dieser Stelle bewusst offen, welcher) das Bewusstsein für die eigene Sprache schulen, weil sie eben in ihren Konstruktionen entfernter vom Deutschen ist, als beispielsweise nahe moderne Sprachen. Und sie fördert die Überlegungen, wie Sprache tatsächlich funktioniert und ich gehe überein, dass im Schulsystem da etliches im Argen liegt. Gäbe es beispielsweise auch in den höheren Klassen eine Wochenstunde Grammatik, würden viele über unsere Sprache anders nachdenken. Stattdessen bleibt es oft bei den bemängelten Interpretationen, die ein tiefes Nachdenken über das, was unsere Altvorderen sprachlich tatsächlich geleistet haben, verhindern. Ich glaube, dass das rudimentäre Aufzeigen der Möglichkeiten des Deutschen in den unteren Klassen nicht ausreicht, um ein vollendetes Gefühl für Sprache herauszubilden. Da ist immer viel Eigeninitiative gefordert, um das gleiche Niveau zu erreichen, wie es Sprachklassen haben.  Das finde ich genauso bedauerlich, aber es hängt in meinen Augen eben nicht mit dem Lateinunterricht zusammen, sondern mit der Gestaltung des Deutschunterrichts, der ruhig etwas mehr Wert auf die Grammatik und Linguistik legen könnte. Stattdessen werden die einzelnen Wortarten mit ihren Erscheinungsformen in der Unterstufe abgehandelt und fertig. Ein wirkliches Bewusstsein wird in den höheren Klassen nicht mehr geprägt und ich stimme insofern zu, alsdass etlichen in besagtem Lateinkurs durch die vorgeschobene Grammatik des Deutschen ein ganzer Kronleuchter aufgegangen ist, wie unsere Sprache tatsächlich funktioniert. Die Auseinandersetzung mit den alten Texten hat das Wissen dann gefestigt. Wohlgemerkt nicht mehr bei mir, weil ich diesbezüglich schon immer ein Freak war.

Nun noch ein Wort zur Eingleisigkeit, weil Dir das offenbar wichtig ist: Ich glaube, dass jede wirkliche Auseinandersetzung mit einer Fremdsprache die sprachlichen Fähigkeiten schult; einfach, weil man gezwungen ist, die gesehene Form in die eigene Muttersprache zu übertragen. Je weiter entfernt diese Sprache von der eigenen ist, desto größer die Spannung, die es auszuhalten gilt (ich denke zB an afrikanische oder semitische Sprachen). Latein stellt mit seinem fertigen Textkorpus einen guten Mittelweg dar, aber es ist nicht der einzige. Es ist einer Verkettung von Zufällen zu verdanken, dass sich das Latinum zum maßgeblichen Bildungsstandard herausgebildet hat; andere Sprachen (allen voran das Altgriechische) hätten die gleichen Chancen gehabt. Nun ist es so und ich freue mich für alle, die aus ihrem Unterricht Nutzen für ihr Leben ziehen konnten. Trotzdem behebt das nicht den eigentlichen Mangel, nämlich, dass der deutsche Grammatikunterricht in den höheren Klassen mehr als unzufriedenstellend ist. Da sehe ich für mich den eigentlichen Haken.


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PhilipS
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Beitrag15.03.2018 17:50

von PhilipS
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Zitat:
Allerdings eröffnete in meinem Verständnis hier vielen das Lateinische den Zugang zur deutschen Grammatik, was ich für mich persönlich so nicht unterschreiben kann. Ich habe es nicht gebraucht und die Grammatik dennoch hinreichend verstanden, um einen "guten" Text verfassen zu können.


Ein Haus kann verschiedene Ein- (oder Zu-)gänge haben. Hinterher befinden sich alle Bewohner im selben Raum.

Noch einmal: Mir ging es nie darum, zu sagen, dass man ohne Lateinkenntnisse kein gutes Deutsch schreiben könne, oder dass man ohne Latein keine deutsche Grammatik lernen könne.

Ich würde gerne ein wenig von der Grammatikfixierung dieser Unterhaltung wegkommen und eine Episode in den Raum stellen, die mir vor einigen Jahren passiert ist. Ich las in der Süddeutschen Zeitung einen Kommentar von Heribert Prantl. Das Thema habe ich vergessen, ich erinnere mich aber daran, dass ich dachte, was für ein guter Text dieser Kommentar doch sei. Ich beschloss, ihn noch einmal zu lesen, um herauszufinden, warum er so gut war. Ich stellte fest, dass Prantl die Stilmittel der klassischen Rhetorik und Lyrik benutzte, die ich bei der Lektüre von Cicero und Vergil kennen gelernt hatte. Ja, man kann das angestaubt und prätentiös finden. Tatsache ist aber, dass ein Satz, der etwa Anapher, Parallelismus und Klimax kombiniert, einschlägt wie eine Bombe. Hier ein Beispiel:
Winston Churchill hat Folgendes geschrieben:
We shall fight on the beaches, we shall fight on the landing grounds, we shall fight in the fields and in the streets, we shall fight in the hills; we shall never surrender [...].


Bis "fields" haben wir einen Parallelismus, also eine Reihe von Sätzen oder Satzgliedern mit gleicher Struktur. Dazu kommt eine Anapher, die Wiederholung einer Wendung am Satzanfang. Die Reihe "beaches - landing grounds - fields" ist eine Klimax (Steigerung). Es ist die Folge der Kampfschauplätze bei einer Invasion vom Wasser her: Strände - Landeplätze - Felder. Der Übergang zu "streets" durch ein und stellt gewissermaßen das Gelenk da, mit dem die erste Trias und die zweite verbunden werden. "Fields" und "streets" hat durch den i-Laut und die dental-und-s-Endung einen ähnlichen Klang, insofern schließt "streets" an die erste Trias "beaches - landing grounds - fields" an. Gleichzeitig wird aber eine weitere Trias von Anapher, Parallelismus und Klimax eröffnet: "We shall ... we shall ... we shall ...." Dazu die Aufzählung weiterer Kampfplätze und die Auflösung der Spannung durch den Höhepunkt der Klimax. Man wird nicht einfach nur kämpfen, man wird niemals aufgeben. Das hätte Cicero kaum besser machen können.

Und ja, man kann jetzt sagen, dass all das auch im Deutschunterricht vermittelt werden könnte. Stimmt. Wäre mir sogar lieber, weil dann mehr Leute solche Techniken erkennen und anwenden könnten. Wird es aber nicht.


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RememberDecember59
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Beitrag17.03.2018 17:28

von RememberDecember59
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PhilipS hat Folgendes geschrieben:
Mir ging es nie darum, zu sagen, dass man ohne Lateinkenntnisse kein gutes Deutsch schreiben könne, oder dass man ohne Latein keine deutsche Grammatik lernen könne.


Das Problem ist wohl, dass einer der von dir zitierte Sätze im Eingangsposting aber schon ein bisschen in diese Richtung geht, auch wenn du ihn so nicht unterschreiben würdest. In meinen Ohren klingen solche Aussagen wie die von Kraus irgendwie überheblich, obwohl sie vielleicht nicht so gemeint sind, und ich kann verstehen, wenn Leute da gar nicht oder abweisend drauf reagieren.

PhilipS hat Folgendes geschrieben:

Und ja, man kann jetzt sagen, dass all das auch im Deutschunterricht vermittelt werden könnte. Stimmt. Wäre mir sogar lieber, weil dann mehr Leute solche Techniken erkennen und anwenden könnten. Wird es aber nicht.


Bei uns hatte Stilanalyse im Deutschunterricht ihren festen Platz (mehr eigentlich, als im Lateinunterricht). Texte (sowohl Prosa als auch Lyrik) wurden während der Analyse auf die verschiedensten Stilmittel hin untersucht und anschließend interpretiert. Wenig oder gar kein Wert wurde dagegen darauf gelegt, dass man sie selbst anwenden konnte.

Ich weiß nicht, ob ich das so bedenklich finde, denn der verstärkte Fokus auf Sprache geht auf Kosten von anderen Dingen, und da zu sagen, was höhere Priorität haben sollte, ist schwierig. Als ich nach dem Abi etwas Naturwissenschaftliches studiert habe, habe ich mir manchmal gewünscht, ich hätte lieber mal in der Schule gelernt, dass es die komplexen Zahlen gibt, dann hätte ich in meiner Mathevorlesung nicht so dumm aus der Wäsche geschaut. Laughing

Das nur noch mal kurz dazu.


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PhilipS
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Beitrag17.03.2018 17:39

von PhilipS
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RememberDecember59 hat Folgendes geschrieben:
In meinen Ohren klingen solche Aussagen wie die von Kraus irgendwie überheblich, obwohl sie vielleicht nicht so gemeint sind, und ich kann verstehen, wenn Leute da gar nicht oder abweisend drauf reagieren.


Na ja, es ist ja auch Kraus Wink
Zitat:

Ich weiß nicht, ob ich das so bedenklich finde, denn der verstärkte Fokus auf Sprache geht auf Kosten von anderen Dingen, und da zu sagen, was höhere Priorität haben sollte, ist schwierig. Als ich nach dem Abi etwas Naturwissenschaftliches studiert habe, habe ich mir manchmal gewünscht, ich hätte lieber mal in der Schule gelernt, dass es die komplexen Zahlen gibt, dann hätte ich in meiner Mathevorlesung nicht so dumm aus der Wäsche geschaut. Laughing

 Klar, eine Auswahl muss immer getroffen werden. Andererseits heißt es ja "Allgemeine Hochschulreife", daher sollten die Grundlagen für ein Studium jeder Fachrichtung geschaffen werden, ohne dass es in einem Fach zu speziell wird.


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Willi Wamser
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Beiträge: 47



Beitrag22.03.2018 17:52
Bodo Wartke Liebeslied (in sehr vielen Sprachen, auch in Latein)
von Willi Wamser
Antworten mit Zitat

Salvete

Bodo Wartke Liebeslied (in sehr vielen Sprachen, auch in Latein)



Einfach,
weil´s vielleicht Spaß macht, "mit AcI-Konstruktion":

Omnibus linguis volo cantare,
omnibus instrumentis tibi id sonare, monstrare
me te adorare:
mea lux, te amo.


https://www.youtube.com/watch?v=J2UBXB4IhZM
(Lateinstrophe ca ab Minute 4)

Bonustrack:



Valete
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