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Peter Waldbauer Leseratte
Alter: 57 Beiträge: 179 Wohnort: Heidelberg
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08.03.2018 01:08 John Grisham – Die Erbin von Peter Waldbauer
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Katastrophal
Dieser Roman ist nur schwer erträglich. Sicher, es gibt flott geschriebene Grishams (die Firma, der Klient, der Regenmacher) und langweiligere (Das Testament, die Kammer), aber „Die Erbin“ schlägt dem Fass den Boden aus. Hier zeigt sich Grisham nur noch als Meister der Klischees und der Versatzstücke. Wenn einem die Ideen ausgehen, kehrt man dorthin zurück, wo alles begann: in der ländlichen Idylle von „die Jury“, ehemalige Protagonisten inklusive.
Soweit (nach zwei Dutzend Romanen) noch tolerierbar. Aber dann. Ständig und überall wird Kaffee getrunken, zum Frühstück gibt es immer Rührei mit Speck, sonst wird fleißig Maisbrei gegessen. Die geschilderten Personen, deren Vielzahl kaum noch zu überblicken ist, sind derart eindimensional, dass man sie eine Seite weiter schon vergessen hat. Bei vielen Namen, die auftauchen, muss man zurückblättern (Willie? Wer was das nochmal?).
Eine der Hauptpersonen des Romans, Lettie, ist schwarz, Haushälterin, Köchin und Krankenschwester. Eine andere Schwarze namens Sallie ist ebenfalls Haushälterin, Köchin und auch Krankenschwester. Man beachte allein die drollige Namensgebung „Lettie“ und „Sallie“. Nomen est Omen. Die Verniedlichungssilbe am Namensende soll dem Leser deutlich machen: der Unterschicht zugehörig; naives, braves Dienstmädchen.
Überhaupt sind Grishams Nebenfiguren größtenteils Trottel, primitiv oder rassistisch. Zu Ihrer Charakterisierung verwendet der Autor ausschließlich Klischees. Über einen missratenen Bruder auf der Flucht heisst es: „Und so war es ihm nach einem unsteten Leben zur Gewohnheit geworden, ständig einen Blick über die Schulter zu werfen.“ (S. 291).
oder
„...er arbeitete in einer Kneipe...in einer heruntergekommenen Gegend der Stadt, wohin Matrosen, Hafenarbeiter und Handlanger kamen. Um sich zu betrinken, beim Würfel zu verlieren und Dampf abzulassen. Zwei grimmig aussehende Rausschmeißer sorgten für Ordnung...“ (S. 290).
und
„Er fuhr jahrelang auf Frachtschiffen und sah die Welt, die ganze Welt. Es gibt keinen Fleck auf der Landkarte, den Ancil nicht kennt. Keinen Berg, keinen Hafen, keine Stadt, keine Sehenswürdigkeit. Keine Bar, keinen Nachtclub, kein Bordell – Ancil war überall (S. 556)
Als die kleine Tochter der Hauptperson zu Weihnachten einen Welpen geschenkt bekommt, geschieht folgendes: „Sie sah ihre Eltern mit Tränen in den weit aufgerissenen Augen an und brachte kein Wort heraus.“ (S. 356).
Das ist Schundroman-Niveau, so klingt Groschenheft-Prosa.
Auch Jugendliche gehören bei Grisham entweder zur Null-Bock-Genration: “Vor den auf volle Lautstärke gedrehten Fernsehgeräten saßen Teenager und starrten auf die Mattscheibe.“ (S. 353) oder aber sie entstammen einer Märchenwelt und werden klischeehaft als Engel verklärt: „Zwei Teenager – intelligente Jugendliche, gut Schüler, Sportler, Kirchenmitglieder, beliebte Jungs aus einer anständigen Familie – waren auf einer eisglatten Straße von einem Betrunkenen um ihr Leben gebracht worden....Die armen Jugendlichen“ (S. 412)
Vor allem bei den Anwaltstypen greift Grisham tief in die Kiste mit den Versatzstücken: da ist der unerfahrene, aber moralisch überlegene Junganwalt mit Finanzproblemen, der gegen den älteren und teuren Staranwalt einer großen Kanzlei kämpft. Die Gegenseite ist natürlich skrupellos und arbeitet im Prozess mit illegalen Methoden (wie schon in „Der Regenmacher“ und „Das Urteil“). Da gibt es den alten Dorfanwalt mit Gesundheits- und Alkoholproblemen, dessen Ruf bereits gänzlich ruiniert ist; den publicitysüchtigen Selbstdarsteller, der im Rolls Royce vorfährt oder den mausgraue 0-8-15-Anwalt mit Dienst nach Vorschrift.
Auch sonst tauchen altbekannte Grisham-Typen auf: die laszive Bedienung im Coffeeshop; die ehrgeizige Praktikantin; ein skurriler Richter, der die „Bösen“ in seinem Gerichtssaal erst zur Schnecke macht und dann hinauswirft (wie schon in „der Klient“).
Wäre nicht alles schon so oft da gewesen, man würde schmunzeln müssen. So aber wirkt Grishams Kombinationsspiel nur beliebig, die Verwendung immer gleicher Versatzstücke austauschbar und ideenarm. Neu in diesem Buch ist nur die ellenlange, nervtötende Ahnenforschung. Einzig, dass ab und an ein witziger Dialog den dicken Schmöker versüsst, hält einen davon ab, das Buch vorzeitig zuzuklappen. Dem Roman hätte es gut getan, um mindestens 200 Seiten gekürzt zu werden.
_________________ Peter Waldbauer, Jahrgang 1966, ist Betriebswirt und wohnt als freiberuflicher Dozent und Autor in der Nähe von Heidelberg. Er veröffentlichte bisher Essays und ein Dutzend Bücher:
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BlueNote Stimme der Vernunft
Beiträge: 7304 Wohnort: NBY
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08.03.2018 08:00
von BlueNote
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Zitat: |
Dieser Roman ist nur schwer erträglich. Sicher, es gibt flott geschriebene Grishams
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Das kann ich mir gut vorstellen. Ich finde Grisham insgesamt unerträglich - oder vielleicht auch alle amerikanischen Romane mit Junganwälten/Staranwälten, die irgendwann zwangsläufig verfilmt werden.
Na ja, vielleicht wär mir der alte "Dorfanwalt" mit Alkoholproblemen wenigstens sympathisch gewesen.
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Peter Waldbauer Leseratte
Alter: 57 Beiträge: 179 Wohnort: Heidelberg
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08.03.2018 10:01
von Peter Waldbauer
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BlueNote hat Folgendes geschrieben: |
Ich finde Grisham insgesamt unerträglich |
Sehr aufschlussreich ist auch, wie Sol Stein in seinem Buch "Über das Schreiben" Grishams Roman "Die Firma" analysiert.
Da fragt man sich wirklich, wie so etwas im Lektorat durchgehen kann.
Aber die Antwort ist einfach: es ist ein Pageturner und daher extrem verkäuflich (vor allem, wenn Hollywood die Filmrechte erwirbt, bevor das Buch erscheint.)
Bei James Pattersons "Denn zum Küssen sind sie da" sind ähnlich gravierende Mängel festzustellen. Man muss es leider sagen: das sind eigentlich gar keine (richtige) Autoren (Patterson kam aus der Werbebranche; Grisham aus der Kommunalpolitik), sondern Leute, die zur rechten Zeit am richtigen Ort waren, eventuell auch noch entsprechend vernetzt (Patterson) und dann auf den Thriller-Zug in den Achtzigern/Anfang der Neunziger aufgesprungen sind (Patterson z.B. auf die Serienkiller-Manie, die Thomas Harris ausgelöst hatte.)
Und seitdem wird das (fast) gleiche Modell in Serie (Grisham) oder sogar in Masse (Patterson) produziert. Patterson lässt ja bekanntlich im Team arbeiten, um seinen Produktionsausstoß halten zu können und Grisham kopiert größenteils sich selbst.
Aber so neu ist das alles auch wieder nicht. Schon im 19. Jahrhundert strickte die Schriftstellerin Hedwig Courths-Mahler auf diese Weise 200 Liebesromane. Weit über 700 Schmonzetten schaffte die Engänderin Barbara Cartland. Auch Georges Simenon fabrizierte seine 400 Krimis im 14 Tage-Rhythmus. Etwa die gleiche Anzahl produzierte bisher der Österreicher Thomas Brezina, der bei Kinderbüchern den Dreh raus hat.
Neu ist das Ganze also nicht und es gibt extremere Formen als Grisham, aber man darf ab und zu ruhig darauf hinweisen.
_________________ Peter Waldbauer, Jahrgang 1966, ist Betriebswirt und wohnt als freiberuflicher Dozent und Autor in der Nähe von Heidelberg. Er veröffentlichte bisher Essays und ein Dutzend Bücher:
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